Ein Schleier von Staub und Asche legte sich über die Steppe. Gierig krächzten die Krähen über ihren Köpfen. Ihre Schwingen rauschten im Wind. Ivren gab den Sterbenden die letzte Gnade, während Eragon jene heilte die noch zu retten waren. Eine schmerzende Enge schloss sich um sein Herz und Ivren wusste das es Schuld war. Wenn er Nainar nur darum gebeten hätte einzugreifen . .
Auf dem Boden lag ein Mann, so verschmiert mit Blut, dass Ivren nicht mehr erkennen konnte ob er zu den Varden oder dem Imperium gehörte. Er stöhnte vor Schmerz. Seine Hand zuckte und griff nach etwas unsichtbaren. Ivren ging neben ihm in die Knie und lies ein Rinnsal an Magie über ihn fließen. Der Soldat hatte Glück. Sehnen verbanden sich wieder, Knochen schoben sich auf ihre rechtmäßigen Plätze, Haut wuchs über Fleisch und Adern pulsierten mit Blut.
Mit einem Windstoß wirbelte der Staub umher. Mit sich brachte er den Gestank von kochendem Blut und verbrannten Fleisch. So gut es ging wurden Gräber ausgehoben oder Leichen verbrannt. Die Krieger mit denen er letzte Nacht noch ein Mahl teilte waren tot, wenige von vielen. Wie viele Tausende waren gestorben? Welch sinnloses Blutvergießen!
Doch was brachte es zu verzweifeln? Ivren konnte das Stundenglas nicht umdrehen. Die Zeit gehorchte niemanden. Hoffentlich würden sie es verstehen. Oromis würde ihn verstehen. Er wollte nicht über die Alternative nachdenken. Und doch - Ivren scheuchte eine Krähe von einen Leichnam. Es war scheußlich. Wie oft würde er so eine Schlacht miterleben? Wäre Galbatorix nur verwundbar würde Ivren ihm selbst die Kehle durchschneiden. Um es zu beenden, um all dies zu beenden, benötigte es nur einen einzigen Tod.
Eine Kriegerin der Varden presste die Hand auf die Wunde an ihrer Seite. Tropfen nach Tropfen färbte ihr Blut die Steppe rot. Ivren heilte auch sie. Langsam wurde die Energie wirklich knapp. Der Eldunari speiste ihn zwar mit Energie, aber auch diese Quelle würde versiegen. Nein, er musste eine Notfall-Reserve zurückbehalten, für den Fall das er Galbatorix begegnen würde or einen anderen außergewöhnlichen Gegner. Wie ein Schatten.
Hm. Was trieb wohl Rauthren? Aurora hielt ihn wohl im Griff. Wie gerne hätte er sie jetzt an seiner Seite und sei es nur für eine Umarmung und ein paar lehrende Worte. Seine Ziehmutter kam immer unerschütterlich vor. Ivren konnte sich nur zu gut vorstellen wie sie Murtagh und Dorn in die Enge getrieben hätte, ihn besiegt und befreit hätte. Die Träumerei eines Kindes.
Und doch eine Frage blieb: Wo war Nainar?
Die Abenddämmerung brach herein. Immer noch hatte Ivren ihn nicht erreicht. Zuerst versuchte sich Ivren einzureden das alles in Ordnung war. Vielleicht verfolgte er Dorn und Murtagh? Allein bei dem Gedanken wurde ihm kalt. Wenigstens konnte Shruikan nicht auftauchen ohne das es jeder bemerken würde. Ivren strich sich durch die Haare. Noch hatte er noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Er verschwand in Eragon's Zelt, goss Wasser in eine Schale, bis eine flache Oberfläche erreicht war, atmete noch einmal tief ein und sprach: "Draumr kópa."
Das Wasser kräuselte sich. Schatten wirbelten umher. Ein helles Auge blitze hervor, dann schwarze Schuppen. Sie formten ein Körper, in sich gekrümmt. Die Schwingen mit vielen kleinen Wunden versäht von denen dunkles Blut tropfte. Ein Bein war eng an den Körper gezogen.
Verdammt! Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er hätte gar nicht erst seine Seite verlassen sollen!
Irgendwo, an einen Ort, den er nicht kannte, lag sein Freund, sein Bruder. Ivren hatte so gut wie nichts von Alagaesia mit eigenen Augen gesehen. Es könnte überall sein!
Nein, er musste rational bleiben. Nainar musste am Anfang der Schlacht angegriffen worden sein oder vielleicht doch am Ende, wenn Murtagh und Dorn auftauchten. Ach, es brachte doch nichts!
Aber wer konnte einen Drachen im Alleingang verletzten? Konnte es sein – Nein. Nainar hätte doch um Hilfe gerufen. Magier? Wie sollten die von ihm überhaupt wissen? Nein. Ein Drache konnte es nicht sein, außer es trieb sich doch ein wilder umher. Äußerst unwahrscheinlich. Die Möglichkeiten wurden immer geringer. Was konnte schon alles fliegen?
Ivren lachte nervös. Ja, was konnte schon fliegen . . Verzweifelt klammerte er sich an der Lüge fest, doch es blieb nur eine Wahl: Lethrblaka. Welch anderes Geschöpft würde es wagen einen Drachen anzugreifen?
Ivren spürte Saphira's Landung durch den Boden vibrieren. Er trat aus dem Zelt hervor. "Hallo Eragon, hallo Saphira." begrüßte er sie. "Seid ihr noch verletzt?"
"Nur erschöpft." gab Eragon mit einem müden Lächeln zu. "Aber Saphira wollte nicht das ich sie heile."
Saphira schnaubte. "Ein paar Kratzer. Die Verwundeten brauchten dich mehr." Sie atmete tief ein. "Du riechst nach Blut-und-Beute-Angst. Was ist geschehen"
"Wir müssen sprechen." Ivren sagte es nur ungern. Die Varden benötigten Eragon und Saphira dringend, aber viel wichtiger war es, dass die beiden noch erschöpft und ausgelaugt von der Schlacht waren. Er wusste nicht wie die zwei sich fühlten, aber er konnte es sich vorstellen. Ein Freund, jetzt ein Feind, keine Dracheneier mehr in Alagaesia. . .
"Ich hatte versucht Nainar zu rufen, um uns gegen Dorn beizustehen. Aber . . Etwas ist passiert. Ich weiß nicht was. Meine Vermutung sind Ra'zac und Lethrblaka, denn was sonst könnte ihn angreifen?"
"Er ist verletzt?"
"Ja. Ich habe ihn mit der Traumsicht gesucht, doch ich kenne den Ort nicht. Ich muss mich wohl verabschieden."
"Wir können dir helfen." Saphira stupste mitfühlend seine Schulter an. Er zwang sich ein Lächeln auf.
"Ihr müsst euch ausruhen." Ivren starrte in den Horizont. Jede Sekunde zählte. "Ich kann nicht warten. Ich muss ihn finden."
"Die Spur wird kalt." Eragon nickte. "Ich könnte mit der Traumsicht nach ihm suchen?" schlug er vor. Ivren blinzelte. Er wollte sich die Hand vors Gesicht schlagen. Warum war er darauf nicht gekommen? Er hatte ja Freunde, Verbündete. Welch Erleichterung!
Eragon schaute ihn erwartungsvoll an.
"Ja klar!"
Sie verschwanden im Zelt. "Draumr kópa." Erneut bildete sich Nainar ab, gekrümmt, seine Flügel eng angezogen und sein Auge voller Erschöpfung. Doch der Hintergrund blieb dunkel. Verzweiflung umschloss sein Herz. Wie lange würde es dauern all die ihm unbekannten Ecken von Alagaesia zu durchsuchen? Zeit die sie nicht hatten. Schmerz schreckte ihn auf. Ivren rieb über die Abdrücke seiner Fingernägel.
"Wir werden ihn finden, das verspreche ich dir." sagte Eragon. Er zog eine Karte hinter ein paar Schriftrollen hervor und fixierte ihre Ecken. "Er muss in der Nähe sein."
"Das Beor Gebirge kennst du, ebenso kann es nicht Hadarac, Weldenvarden oder das Leona-Gebiet sein."
"Hier war ich auch schon." Eragon deutete auf Teirm, dann auf Gil'ead. "Würde Nainar weit fliegen?"
"Ich denke nicht. Aber," grübelte Ivren, "vielleicht zu Wasser. Vor allem die offene See. Ich muss zugeben, ich weiß nicht wie gut Lethrblaka schwimmen können, aber wir sind öfters tauchen gegangen."
"Also dann Richtung Meer."
Ivren fokussierte auf die brennenden Steppen. Für einen Drachen war es nicht einmal eine Tagesreise bis zum Wasser.
"Wenn ich jetzt mal davon ausgehe, dass er es geschafft hat seine Angreifer abzuschütteln oder zu töten, und nicht irgendwo gefangen ist – wo könnte er dann sein?" murmelte Ivren. "Ich bin verletzt. Ich brauche einen Ort abseits von Menschen. Ich brauche Wasser und Nahrung. Wo bin ich?"
Der See Tudosten zog seinen Blick an. Es war der perfekt Ort und er sagte das nicht nur weil Oromis dort geboren war. Ein See voller Fisch, ein Wald voller Beute, perfekt geeignet für Nainar. Aber sie waren dort gewesen. Die Traumsicht würde ihn zeigen.
"Ich würde nicht weit fliegen." Ivren umkreiste mit seinem Finger ein Gebiet. Es streckte sich ins Landesinnere bis zum Helgrind, Furnost und dem westlichen Ende des Beor Gebirge. Nainar konnte diese Strecke ohne Probleme an einem Tag schaffen. War er gezielt geflohen?
Das würde einen gewaltigen Unterschied machen. "Ein dichter Wald, ein hoher Berg oder tiefes Wasser. Alles gute Verstecke."
"Hier?" schlug Eragon vor. Er zeigte auf eine Bucht an der Küste Surdas, umgeben von Wald.
"Vielleicht. Ich schätze er wird sich von dem Imperium fernhalten wollen. Eher nicht der Helgrind oder Leona."
Ivren seufzte. "Verdammt. Ich weiß es einfach nicht."
"Wir sollten nach Spuren suchen. Ich muss noch mit Nasuada sprechen, aber sie wird es mir sicher erlauben Ra'zac zu jagen."
"Stell dir nur mal vor sie würden es hinbekommen einen koordinierten Angriff mit Murtagh zu veranstalten."
Eragon schauderte. "Schrecklich. Wir werden sie nicht davon kommen lassen. Das verspreche ich dir. Wir werden Nainar finden."
