Jahr 4
Kapitel 8 - Weihnachtsessen
Die Weihnachtsferien begannen sehr ruhig. Amina und Severus bereiteten einige Experimente vor und gingen, so gut es ging, jedem singenden Bernstein aus dem Weg. Es war wohl die lästigste Sache, die die beiden jemals hergestellt hatten.
An Heiligabend nach dem Essen trafen sich beide bei Amina. Sie wollten einen gemütlichen Abend zu zweit und so landeten sie kurze Zeit nachdem Severus bei ihr eingetroffen war auf dem Sofa. Entspannt lag Aminas Kopf in seinem Schoß. Er fuhr mit seiner Hand ihre Gesichtszüge nach. „Ich habe es vermisst, so den Abend mit dir zu verbringen.", gestand sie mit geschlossenen Augen. „Ich auch.", erwiderte Severus mit seiner angenehmen Stimme. Sie öffnete ihre Augen und sah ihn liebevoll an.
Sie musterte seine harten Gesichtszüge, seinen warmen Blick aus den sonst eher kühlen Augen und seine schwarzen Haare, die heute ausnahmsweise nicht fettig waren von den Zaubertrankdämpfen. Er hatte lediglich ein weißes Hemd an. Sie fand ihn attraktiv, nicht schön, das war er wirklich nicht, aber attraktiv. „Über was denkst du nach?", unterbrach er ihren Gedankengang. „Darüber, dass du ein attraktiver Mann bist.", antwortete sie wahrheitsgemäß. Er zog spöttisch eine Augenbraue nach oben. „Bin ich das? Ich denke doch, dass du um einiges attraktiver bist.", antwortete er. Sie schmunzelte. „Bin ich das? Du hast das blinde Auge und die Narbe quer über meinem Gesicht bemerkt, oder? Meines Wissens zählt ein Sixpack bei Frauen auch nicht zur Attraktivitätssteigerung."
Er legte seine große Hand auf ihrem Bauch. „Ich mag dein Sixpack und dein Auge zeigt, was für ein entschlossener Mensch du bist." Er lächelte eines seiner kleinen und seltenen Lächeln. Amina wurde warm ums Herz. Sie nahm seine Hand von ihrem Bauch und verschränkte ihre Finger mit seinen. Seine Hände waren rau und voller kleiner Narben. Gezeichnet durch seine Arbeit und doch zu einer fast schon unmenschlichen Präzision fähig. Sie würde ihn um nichts in der Welt hergeben wollen. Es gab niemanden, der ihr Verhalten und ihre Beweggründe besser verstehen würde. Keinen, der eine solche Wirkung auf sie hatte und der sie so nahm, wie sie war, denn er war ihr ähnlich. Er strich ihr mit seiner anderen Hand durch ihre blonden, glatten Haare. „Was hältst du von einem gemeinsamen Bad?", fragte er sie. Sie brummte ihre Zustimmung. Sie hatten seit Monaten kein gemeinsames Bad mehr genommen. Amina hatte es genauso vermisst wie seine gesamte Gesellschaft. Ungezwungen, ohne an einen Massenmörder oder einen Werwolf denken zu müssen.
Am nächsten Morgen standen die beiden direkt nach Aminas Frühsport im Alchemie-Klassenzimmer. Die Geschenke am Fußende von Aminas Bett hatten sie schon nach dem Aufstehen geöffnet. Severus hatte ihr ein seltenes Metall geschenkt, dass sie schon länger haben wollte. Sie war überglücklich. Sie selbst hatte ihm, wie im Jahr zuvor ein Trankrezept geschenkt, von dem sie wusste, dass er es nicht kannte und an das er auch so schnell nicht rankommen würde. Sie hatte sein Glück spüren können, wenn auch nicht sehen.
Sie hatten beschlossen, mit einem Manipulationstrank anzufangen. Der Trank sollte eine ähnliche Wirkung haben wie der Imperius-Fluch. Das Grundrezept gab es bereits, doch es wirkte nicht so, wie es sollte. Dementsprechend wollten die beiden es wirkungsvoller machen. Vielleicht sogar so stark, dass es selbst jemanden wie Amina beeinflussen könne, bei der der Imperius-Fluch keinerlei Wirkung hatte. Dieser Trank ging selbstverständlich tief in die Dunklen Künste und war nicht dafür gedacht, jemals zum Einsatz zu kommen. Es war lediglich die Neugier, die die beiden Antrieb.
Kurz vor dem Mittag unterbrachen sie ihre Arbeit, um sich dem Festessen in der Großen Halle anzuschließen. Amina wollte noch kurz in ihre Räume gehen müssen, um sich umzuziehen, während Severus selbst schon in die Halle ging. Ihr Oberteil hatte bei einem der Experimente einiges an Farbe abbekommen.
Als Amina auf den Weg in die Halle war, traf sie zu ihrer großen Überraschung Sybill, die Lehrerin für Wahrsagen. Sie hatte nie viel mit ihr zu tun, was nicht nur an der speziellen Art ihrer Kollegin lag, sondern auch an dem Tatbestand, dass Sybill nur selten aus ihrem Turm kam. „Amina, wir haben uns lange nicht gesehen.", sprach die Wahrsagerin mit rauchiger und mysteriöser Stimme. „Stimmt.", bestätigte Amina knapp. „Wie geht es Ihnen? Nicht, dass ich es nicht schon wüsste, aber es gebietet die Höflichkeit, dass ich dennoch nachfrage." „Natürlich. Mir geht es gut. Wie ich merke Ihnen auch. Sie scheinen ein wenig einsam zu sein.", bemerkte Amina, die die Gefühle der libellenartigen Frau schon fast greifen konnte.
Sie glaubte, dass Sybill immer ein klein wenig high war, doch das konnte auch ein Charakterzug bei ihr sein. Sicher war sie sich nicht. „Ein wenig. Wahrscheinlich hatte ich deshalb die Vision, meinem einsamen Mahl den Rücken zu kehren und Gesellschaft in der Großen Halle zu finden.", sagte Sybill. Amina nickte verstehend. Sie würde nicht weiter auf die nicht vorhandene Vision eingehen. Wenn Sybill glaubte, sie wäre eine gute Wahrsagerin, würde Amina sie in dem glauben lassen. Es war nicht ihre Art, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Minerva würde dies beim Essen bestimmt zu Genüge tun. Die Verwandlungslehrerin hielt nicht viel von Sybill und ihrem Unterrichtsfach. Dies zeigte sie auch, so oft sie die Gelegenheit dazu bekam.
Als beide die Große Halle betraten, warteten die anderen zwölf Anwesenden bereits. „Amina, wir haben auf dich gewartet. Sybill, das ist ja eine angenehme Überraschung! (17)", Albus lächelte ihnen entgegen. Sybill gab ihre Ausrede mit der Vision zum Besten, während Amina sich neben Severus setzte. Erst jetzt viel ihr der Kopfschmuck ihres Urgroßonkels auf, welchen sie missbilligend ansah. Es war ein Hut mit ausgestopftem Geier darauf. Ähnlich dem, den der Irrwicht getragen hatte. Albus schien ihren Blick zu bemerken und nahm ihn, mit einem kurzen entschuldigenden Blick zu ihr, ab. Er kannte ihre Einstellung zu ausgestopften Tieren. Zufrieden nickte sie.
Ihr Urgroßonkel zeichnete einen Stuhl für die unerwartete Lehrerin, welche sich ohne ein weiteres Wort zwischen Minerva und sie setzte. Minerva war nicht begeistert. Amina bemerkte ihre Abneigung gegen die Wahrsagerin deutlich. Die Lernenden am Tisch wirkten bei so vielen Lehrkräften ein wenig verängstigt. Zudem schienen Potter und seine Freunde über irgendeinen Besen nachzudenken. Dabei waren ihre Gefühle sehr unterschiedlich. Potter war überglücklich, Weasley neidisch und Granger besorgt. Was hatten die drei nur wieder angestellt?
Auch die Ratte, Pettigrew, war anwesend. Sie konnte seine Angst deutlich wahrnehmen. Ihm schien es nicht gut zu gehen. Der Stress machte seinem Rattenkörper zu schaffen. Er hatte einen sehr hohen animalischen Anteil in seinem Geist. Sie hielt es für möglich, dass er die letzten Jahre fast schon vergessen hatte, dass er eigentlich ein Mensch war. Dies würde auch erklären, warum Amina ihn nicht als solchen erkannt hatte. Die Bedrohung durch Black muss den Menschen in ihm wieder geweckt haben.
Amina hörte, wie Sybill neben ihr nach Remus fragte. Dieser hatte sich seit Anfang der Ferien zurückgezogen, um der Verwandlung kurz vor Neujahr vorzubeugen. Ihn würden sie wahrscheinlich erst wieder nach den Ferien zu Gesicht bekommen. Dies bedauerte Amina kein bisschen. Sie hatte nicht direkt etwas gegen den Verteidigungslehrer, doch konnte sie gut auf seine Gesellschaft verzichten. Er war ihr zu neugierig.
Nach einem kleinen Wortgefecht zwischen Minerva und Sybill, fragte Albus Severus, ob er den Trank für den Braunhaarigen gebraut hatte. Dieser bestätigte. „Amina, öffne doch eines dieser Knallbonbons.", wies der Schulleiter sie fröhlich an und wandte sich an einen Erstklässler, um ihn von den Würstchen zu überzeugen. Amina tat, wie ihr geheißen und öffnete mit einem lauten Knall das Bonbon. Heraus kam ein Krönchen. Sie schmunzelte und setzte es kurzerhand Severus auf den Kopf. Dieser starrte sie finster an, nahm es jedoch nicht weg. Amina konnte seine Belustigung spüren und zog zufrieden einen Mundwinkel nach oben.
Die Lernenden bekamen allesamt Panik bei seinem Blick. Schienen sich jedoch trotzdem an dem Anblick zu erfreuen. Ihr Urgroßonkel lachte vergnügt und nahm Severus das Schmuckstück vom Kopf und setzte es selbst auf. „Viel besser als dieser widerliche Hut.", sagte Amina. Albus nickte erheitert. „Da hast du recht, meine Liebe. Oder wollen Sie es wieder zurück, Severus?" Das Gesicht des Angesprochenen verfinsterte sich. „Nein, danke. Direktor.", sprach er kühl, was der Blauäugige mit einem Lachen quittierte.
Nach dem Essen machten sich Severus und sie wieder auf den Weg in das zweckentfremdete Klassenzimmer und setzten ihre Experimentreihe fort. Am Abend erfuhren sie von Minerva, was es mit Potters Besen auf sich hatte. Kein Wunder, dass der Junge so aufgeregt war. Von Severus konnte sie sogar ein wenig Neid gegenüber Minerva erkennen. Sie war sich sicher, dass er auch jemanden in seiner Hausmannschaft haben wollte, der einen Feuerblitz flog. Filius und Rolanda würden den Besen bis aufs letzte Haar untersuchen, damit bloß nichts Schlimmes passierte, wenn der Junge auf ihm flog. Selbstverständlich war er davon nicht begeistert und das bemerkte Amina auch die ganzen Weihnachtsferien über.
Die beiden Jungen schienen sich mit Granger wegen des Besens zerstritten zu haben, was ihre Anwesenheit noch unangenehmer machte. Zumal ihre Sensibilität gegenüber fremden Gedanken und Gefühlen in den letzten Monaten zugenommen zu haben schien. Sie konnte Gefühle von Teenagern nicht ausstehen. Die Gesellschaft der drei bei den Essen war äußerst unangenehm für Amina, die absolut jedes Gefühl mitbekam und die drei hatten davon eine ganze Menge.
Von ihrem Onkel erfuhr sie, dass er Black geholfen hatte den Besen zu beschaffen und dieser definitiv nicht verzaubert war. Doch das konnte der Schulleiter schwer seiner Stellvertreterin erklären und so musste Potter auf seinen Besen warten.
Die Weihnachtsexperimente mit Severus waren sehr erfolgreich verlaufen. Den „Imperius-Trank", wie sie ihn nannten, zeigte volle Wirkung, sogar bei Amina. Dies hatten beide in einem Selbsttest herausgefunden und waren begeistert von dem Ergebnis. Sie hatten sich je ein Fläschchen abgefüllt und den Rest des gefährlichen (und wahrscheinlich auch verbotenen) Tranks vernichtet. Keiner sollte erfahren, dass es ihnen gelungen war, einen solchen Trank herzustellen. Er war in den falschen Händen bestimmt sehr gefährlich.
(17) Rowling J. K., 2017. Harry Potter und der Gefangene von Askaban. Schmuckausgabe. Hamburg: Carlsen Verlag GmbH. Harry Potter. 3. S. 174. ISBN 978-3-551-55903-6
