ᴇᴍɪʟʏ ʜᴜɴᴛᴇʀ
31. Dezember 1994
Eingehend betrachtete ich mich im Spiegel. Heute stand wieder einmal der alljährliche Silvesterball an, an dem „die hohen Tiere des Ministeriums zusammen das neue Jahr einklingen lassen." Und wie jedes Jahr war mein Vater natürlich eingeladen und ich durfte mitkommen. Vielen Dank.
Was genau Vater für einen Beruf ausübte, war mir unklar; um ehrlich zu sein, interessierte es mich auch nicht sonderlich, wo genau er sich eingekauft hatte. Auch wenn er immer behauptete, er wäre nur aufgrund seines Talents ins Ministerium gekommen.
Natürlich, wegen des „Talents".
Wahrscheinlich saßen hunderte Kilometer entfernt in einem großen Schloss im Norden Schottlands gerade meine besten Freunde in gemütlichen Klamotten vor dem Feuer, mit heißer Schokolade, während sie sich Witze erzählten. Währenddessen durfte ich auf einem schnöseligen Ball des Ministeriums sein und um das Ganze noch zu toppen war Malfoy auch anwesend. Juhu.
„Bist du dann endlich fertig, Emily?!", schallte es durch meine Tür und ich musste seufzen. Wenigstens sah ich gut aus; meine Eltern wollten mir erst ein schreckliches Kleid geben, doch zu meiner Überraschung hatten meine ganzen Proteste etwas genützt und Mutter hatte mit mir gemeinsam ein Kleid herausgesucht, wobei sie mir mitteilen ließ, dass Hogwarts mir nicht guttäte und ich frecher geworden wäre. Wie reizend.
Aus diesem Grund trug ich nun ein kurzes One-Shoulder Kleid, welches mir knapp über die Knie reichte und dass oben aus schwarzen Stoff bestand, ab der Mitte einen schönen Farbverlauf hatte und am Saum mit einem hellen dunkelblau endete, was meine langen Beine betonte. Außerdem waren an meiner rechten Seite und am Träger kleine Diamanten eingelassen, die mich elegant und strahlend wirken ließen. Meine Füße steckten in dunkelblauen Pumps, bei denen sich ein silberner Träger um meine Füße schlang und ich hatte ein passendes Set aus Saphir-Ohrringen und Kette, die meine Augen betonten. Meine Haare waren hinten zu einem eleganten Knoten frisiert worden und meine Augen und Lippen hatte ich ein wenig rosé-glitzernd geschminkt und betonte so meine natürlichen Gesichtszüge.
Tatsächlich sah ich gar nicht mal so schlecht aus und würde ich nicht mit meiner Familie, sondern mit meinen Freunden auf den Ball gehen, würde ich mich sogar freuen. „Ja, ich bin jetzt fertig", rief ich zurück, schnappte mir schnell meine schwarze Lieblingsminitasche und öffnete die Tür. Meine Mutter stand dort in einem elegantem, tiefroten Kleid und musterte mich. Dann kam sie zu dem Entschluss, dass ich gut aussah, denn sie sagte keinen Ton, und das war extrem selten, sondern winkte mich nur mit einer gestressten Handbewegung und einem „Wir müssen uns beeilen, sonst sind wir zu spät" die Treppe runter.
Im Salon waren schon Jacob und Vater, beide in einem Anzug, und in diesem Moment war ich wirklich heilfroh ein Mädchen zu sein. Ernsthaft, es war vielleicht nicht immer einfach und Jungs hatten es deutlich leichter, doch zu jeder Veranstaltung immer nur einen Anzug tragen zu müssen, und jeder Junge trug einen Anzug, klang nicht wirklich verlockend für mich. Das machte ja überhaupt keinen Spaß.
Nacheinander flohen wir direkt ins Ministerium, das schon relativ gut gefüllt war. Das riesige Atrium tauchte vor meinen Augen auf und ich lief rasch aus dem Kamin, damit niemand auf mich drauf flog. Es gab wie jedes Jahr eine kurze Panikattacke meiner Eltern, weil sie dachten, sie hätten uns verloren, dann liefen wir gemeinsam über den dunklen Boden direkt auf die Aufzüge zu.
Wir stiegen gemeinsam mit anderen eingeladenen Gästen ein, zum Glück waren die Malfoys nicht darunter, und stiegen auf der Etage aus, auf der der sogenannte Ballsaal lag, weshalb man die Etage auch gerne die „Partyetage" nannte. Genau, was für eine Party.
Kaum hatten meine Eltern den Saal betreten, starrte sofort ein paar zu uns herüber und fingen an sich leise zu unterhalten, wobei sie nicht gerade unauffällig rüberschielten. Genau deshalb mochte ich diese Veranstaltungen nicht; jeder lästerte über jeden und tat dann auf gespielt freundlich, aber den Mut, einem etwas ins Gesicht zu sagen, hatte niemand. Was für ein schöner Einstieg ins neue Jahr.
Seufzend nahm ich ein Glas von dem Tablet, was mir irgendein Kellner ins Gesicht hielt und nahm einen Schluck. Sofort verzog ich den Mund; das Zeug war widerlich süß und schmeckte nach purem Zucker. Unauffällig kippte ich den Rest in eine Pflanze an der Seite und stellte das Glas ab.
Meine Eltern waren schon längst weg, doch ich hatte ich nichts anderes erwartet und war froh so einigermaßen meine Ruhe zu haben. Nachher würden sie mir bestimmt wieder irgendwelche Leute vorstellen und mich wie ihr Juwel präsentieren, doch im Moment hatte ich noch meine Ruhe und konnte tun und lassen, was ich wollte, solange ich mich nicht komplett daneben benahm.
Eine Weile schlenderte ich so herum, wobei ich auch mehrmals von irgendwelchen Leuten, die sich angeblich super mit meinen Eltern verstanden, angelabert wurde. Nachdem ich mich von dem letzten, einem „wichtigen Kollegen" meines Vaters loseisen konnte, sah ich wie der Schrecken des Abends direkt auf mich zumarschierte: Draco Malfoy. An seinem Arm hing die Greengrass und starrte mich mit ihrem Todesblick an.
„Hunter."
„Malfoy. Wo sind deine Babysitter?", entgegnete ich und die erwartete Reaktion ließ nicht lange auf sich warten.
Zu meiner Überraschung war es allerdings nicht Malfoy, der mir antwortete, sondern Greengrass. „Wie bitte? Wieso kannst du nicht einfach den Schnabel halten und Draco in Ruhe lassen!", zischte sie und ich musste stark an mich halten, nicht einfach loszulachen.
Zu meiner grenzenlosen Überraschung sah es tatsächlich so aus, als ob Malfoy auch ein Lachen unterdrücken musste. „Siehst du- jetzt sagst du nichts mehr. Ist dir wohl nichts Gescheites eingefallen", spottete Greengrass, unwissend, dass tatsächlich Malfoy, mein Erzfeind, gemeinsam mit mir sie auslachte.
„Ja, deine komplette Dummheit hat mich einfach kurz sprachlos gemacht", erwiderte ich und sah zufrieden, wie sie dunkelrot anlief und nach Luft schnappte. Jetzt konnte Malfoy nicht mehr an sich halten und prustete los, woraufhin Greengrass ihn so scharf ansah, dass er es schnell in ein Husten umwandelte, doch es war zu spät.
„Lachst du mich gerade aus, Draco? Ist das dein Ernst? Hunter beleidigt mich, du solltest mich verteidigen und stattdessen lachst du mich aus!", schrie sie erbost und starrte ihn mit absolut tötendem Blick an, der meinem bestimmt Konkurrenz machen konnte.
„Nein, Daphne, so meinte ich das-"
„Und das, wo du mir erst vor wenigen Tagen deine Liebe gestanden hast", rief sie mit einer Stimme, die verriet, dass sie kurz davor war zu weinen. So eine Heulsuse.
„Oh, hast du ihr das gesagt, Malfoy? Wie süß, ich wusste gar nicht, dass dein kleines, verschrumpeltes Herz aus Eis in der Lage ist zu lieben", höhnte ich und für einen Bruchteil meinte ich Verzweiflung in seinem Gesicht sehen zu können.
„Ja, Hunter. Stell dir vor. Ich kann lieben!" Mit einem wütendem Blick, in dem etwas undeutbares mitschwang, griff er nach Daphnes Arm und zog sie von mir weg.
Nachdenklich sah ich ihm nach und merkte, wie sich ein mulmiges Gefühl in mir breit machte. Das lag bestimmt daran, dass Malfoy heute so komisch war. Erst sah er mich ohne Hass an, dann lachte er über meine „Witze" und dann sagte er noch, dass er lieben konnte.
Wobei gut- Malfoy hatte sowieso die Stimmungsschwankungen einer Schwangeren. Im einen Moment ging er komplett aggressiv auf mich los, im nächsten war er ruhig und ignorierte mich für mehrere Wochen und dann tat er so, als ob wir uns nicht seit Jahren hassen würden. Er war mir ein komplettes Mysterium und ich war mir sicher, dass das seine Taktik war, mich zu verärgern.
Jetzt reicht's aber auch. Genug Malfoy für heute!, zischte meine innere Stimme mich an und ich riss mich aus meinen Gedanken. Super, jetzt stand ich mutterseelenallein mitten im Saal und sah nicht einmal mehr ein bekanntes Gesicht.
Mit einem Seufzen machte ich mich auf die Suche nach meinem Bruder, der, wenn ich Glück hatte, auch nicht viel zu tun hatte und vielleicht irgendwas mit mir machen konnte. Hauptsache, es hatte nichts mit Malfoy zu tun.
Wobei seine Gesellschaft tatsächlich deutlich angenehmer war, als die von Menschen, die ich kaum kannte und dabei immer lächeln und nicken musste. Bei Malfoy konnte ich wenigstens ehrlich sein und ihn anmotzen; er störte ihn sowieso nicht, da er mich hasste und ich ihn hasste.
Okay, Schluss jetzt!, schrie ich mich selbst an und entdeckte gleich daraufhin meinen Bruder, der etwas einsam in einer Ecke stand und verloren durch den riesigen Saal sah.
„Hey", begrüßte ich ihn und lehnte mich an die Wand.
„Hey", murmelte er ziemlich traurig. Er sagte daraufhin nichts mehr und eine kurze Stille entstand, bis ich leise etwas sagte: „Was ist los?"
Für einen kurzen Moment, sagte er überhaupt nichts und ich dachte, er wollte nichts sagen, doch dann fing er an zu sprechen: „Ist dir mal aufgefallen, wie viele Slytherins eigentlich beliebt sind?"
„Was?"
„Eben. Gar keine. Die Vorbilder seit immer ihr, die Gryffindors. Potter ganz oben natürlich. Aber eigentlich sind Slytherins gar nicht so übel-"
„Wie kommst du denn jetzt da drauf?", unterbrach ich ihn.
„Weil mich gerade die Typen da hinten ziemlich doof angemacht haben, weil ich ein 'Drecksslytherin' bin."
„Bitte was?"
„Ich weiß, dass du Gryffindor bist und sicherlich Slytherin hasst, aber du hast keine Ahnung, was eigentlich abgeht, oder? Ihr alle seid eine große Gemeinschaft und dann gibt es da noch uns, die Slytherins. Wir sind die ausgeschlossene Gruppe, weil angeblich alle Slytherins Du-weißt-schon-wen verehren, dabei stimmt das gar nicht. Du kennst mich, ich würde niemals jemandem schaden, aber das ist den Leuten ja egal. Solange sie ihren Sündenbock haben, passt das schon. Hufflepuff und Gryffindor? Das ist okay, aber Hufflepuff und Slytherin geht gar nicht, weil Slytherins ja viel zu böse sind."
„Aber-"
„Wir werden in den Gängen blöd angemacht, weil wir das Zeichen einer Schlange auf der Uniform tragen. In Gruppenarbeiten werden wir ausgeschlossen; fremde Leute hören auf zu reden, wenn einer von uns den Raum betritt, weil wir ja ach so hinterlistig sind und im Unterricht bekommen wir ständig ohne Grund Punkte abgezogen. Slytherins laufen eigentlich nie alleine durch die Gänge, weil die Gefahr zu groß ist angegriffen zu werden. Die neuen Erstklässler sitzen meistens heulend im Gemeinschaftsraum, weil sie es nicht verkraften können, ausgeschlossen zu werden. Letztens erst saß wieder einer da und musste von den Vetrauensschülern getröstet werden, weil ihn ein paar Gryffindors ausgeschlossen und beleidigt haben."
„Aber warum?", fragte ich entsetzt über das, was er mir gerade erzählte.
„Weil wir Slytherins sind", antwortete er schlicht, als wäre es die simpelste Antwort der Welt.
„Das ist kein Grund."
„Doch, für viele schon. Du verstehst das nicht, du bist Gryffindor. Ihr seid das beliebteste Haus, die Helden, aber wir sind nun mal die Bösen. So funktioniert das", sagte er und zuckte traurig mit den Schultern. „Du bist auch nicht ganz unschuldig, ständig sehe ich, wie du mit Malfoy streitest.
„Aber das ist Malfoy!"
„Weißt du- eigentlich ist Malfoy gar nicht so übel. Ich weiß, dass du ihn hasst und so, aber er hat mir nie etwas getan. Du denkst wahrscheinlich, dass er immer jüngere schikaniert, aber wenn er nicht unter Leuten ist, ist er viel ruhiger. Im Gemeinschaftsraum sitzt er meistens mit Blaise Zabini da und redet oder macht Hausaufgaben, aber er fällt nie negativ auf. Und letztens hat er mir sogar seine alten Zauberkunstnotizen geliehen, weil ich das Thema nicht ganz verstanden habe."
„Das hat er?", fragte ich entsetzt, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass Malfoy tatsächlich nett sein konnte. Das widersprach sich komplett mit seiner Persönlichkeit.
„Ja, aber du verstehst das nicht. Du siehst nur das, was du sehen willst. Wärst du Slytherin, wäre er anders, aber du bist Gryffindor- es ist fast verboten zu Gryffindors nett zu sein. Du bist meine Schwester, das ist eine Ausnahme, aber wir bekommen direkt am Anfang des Schuljahres eingeschärft, dass Gryffindors uns hassen und wir gar nicht erst versuchen sollten, uns mit ihnen anzufreunden. Deshalb sind wir so eiskalt und undurchdringlich-, weil wir keine andere Wahl haben. Sonst wüssten alle, dass wir auch Gefühle haben und verletzt werden können. Würden wir vor ihren Augen Schwäche zeigen, würden sie das nur ausnutzen. Glaubst du, wir tragen unsere Masken freiwillig? Nein, das ist nur reiner Selbstschutz." Jacob lachte kurz bitter auf.
Geschockt starrte ich ihn an und versuchte das alles zu verarbeiten. Schließlich, als ich glaubte meine Stimme wieder erlangt zu haben, flüsterte ich leise: „Das wusste ich nicht."
„Natürlich nicht. Das wissen die wenigsten Gryffindors." Er klang nicht einmal wütend oder vorwurfsvoll, sondern einfach nur traurig. „Siehst du das Mädchen da hinten? Das ist Astoria Greengrass. Ich bin mit ihr befreundet, seit ich sie weinend in einem Gang gefunden habe, weil sie von ein paar älteren Schülern fertig gemacht wurde." Mit diesen Worten lief er tatsächlich zu dem hübschen, dunkelhaarigen Mädchen hinüber und ließ mich sprachlos zurück.
Das wusste ich nicht; ich hatte ja keine Ahnung. Und dabei wollte ich doch immer das Gute in Menschen sehen und niemanden hassen, doch das war mir anscheinend überhaupt nicht gelungen.
Meine Gedanken rasten zurück an den Anfang des ersten Schuljahres. Ich hatte mich damals darüber aufgeregt, dass die Gryffindors jetzt schon Streit mit den Slytherins hatten, ohne sie dabei überhaupt zu kennen. Meine Gedanken überschlugen sich weiter. Ich erinnerte mich, wie ich Slytherins auf den Gängen böse Blicke zugeworfen hatte, wie ich selbst daran beteiligt war, einen auszulachen, der in eine Pfütze gefallen war. So viele kleine Details fielen mir ein, in denen ich grundlos, und ohne es überhaupt zu merken, Slytherins fertig gemacht hatte.
Ich war schrecklich und keinen Deut besser, als diejenigen, die den Häuserstreit noch mehr anstachelten. Wie unreflektiert ich war; kein Slytherin außer Malfoy und seine Kumpanen hatte mir eigentlich je etwas getan und ich verhielt mich trotzdem so, als würde ich sie hassen. Und das nur, weil man uns seit Jahren einbläute, dass Slytherins böse waren. Und ich hatte es einfach so hingenommen, ohne es zu hinterfragen oder nachzudenken.
Ausgerechnet ich. Ich, die Harry und Ron anmotzte, weil sie Slytherins für böse hielten. Ich, die sich darüber aufregte und es selbst nicht besser machte und schließlich ich, die einen Bruder in Slytherin hatte und es eigentlich besser wissen sollte.
Ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, spürte ich, wie mir die Tränen in die Augen schossen. Vielleicht war ich schuld daran, dass kleine Erstklässler weinten und sich selbst und ihr Haus hassten. Weil ich nie hinterfragt hatte, was ich eigentlich tat.
Ruckartig drehte ich mich um und lief direkt auf den Balkon zu. Ein wenig frische Luft würde mir mit Sicherheit guttun.
