X.


Vardiss:

„… und nachdem ich meinen Captain darüber informiert hatte, hielt er es für das Beste, mich sofort hierher zu schicken", sagte Jessamy und fixierte schnell das Poster an der Wand hinter Breghalas Schreibtisch mit festem Blick, was aber auch nicht verhinderte, dass ihr Gesicht verdächtig zu glühen begann.

Und wenn er dich nicht hergeschickt hätte, dann wärst du auch nicht gekommen, Kleine, was? dachte Breghala und grinste ein wenig.

Er hatte nichts dagegen, dass Sorkin der Wahrheit ein beschönigendes Mäntelchen umhängte, um ihre Würde zu bewahren, aber es amüsierte ihn trotzdem. Er warf ihr einen Köder zu, neugierig, ob sie anbeißen würde.

„Ihr Captain ist ein kluger Mann."

Jessamy war nicht in der Stimmung, Dakall irgendwelche positiven Eigenschaften zuzuerkennen, weder Klugheit noch sonst was. Daher sah sie sich prompt dazu genötigt, das Poster noch ein wenig aufmerksamer zu studieren. (Es war übrigens ein lebensgroßes Bild von Mon Mothma, der Anführerin der Rebellen-Allianz. Nach seiner körnigen Qualität zu urteilen, handelte es sich dabei um den stark vergrößerten Abzug irgendeines Fahndungsplakates. Eines uralten Fahndungsplakates, denn die Mothma auf diesem Bild wirkte noch relativ jung, aber Jessamy wusste, dass die Frau inzwischen schon gut und gerne in den Fünfzigern, also selber schon uralt war, wie sie mit der gedankenlosen Grausamkeit der Jugend dachte. Das Poster war seltsamerweise voller winziger Löcher – es sah aus, als wäre ein ganzer Schwarm Tatumi-Motten darüber hergefallen. Gab es überhaupt Tatumis auf Vardiss?)

Aber ihr ohnehin schon ziemlich rosiger Teint verfärbte sich noch ein wenig mehr und Breghalas Grinsen wurde breiter.

Doch er war nicht ganz und gar ohne Mitgefühl und deshalb sagte er milde: „Sie haben das Richtige getan, Lieutenant."

Jessamy nickte ergeben, obwohl sie seine Meinung keineswegs teilte.

Ob dieser furchtbare Tag wohl je ein Ende nehmen würde? Immerhin war es schon Abend, das konnte sie an der zunehmenden Dunkelheit draußen vor den Fenstern sehen. Sie hatte Stunden und Stunden hier gesessen und geredet und geredet – wie ging es jetzt weiter?

Vielleicht hatte Breghala die Frage in ihren Augen gelesen, denn er verkündete: „So wie es aussieht, werden wir uns Rakosh wirklich mal aus der Nähe ansehen müssen. Und wir werden sie uns sehr gründlich ansehen, das kann ich Ihnen versichern."

Jessamy schauderte, sagte aber nichts. Was hätte sie dazu auch sagen sollen?

Breghala lehnte sich in seinem Schalensessel zurück, streckte sich behaglich, verschränkte die Arme hinter seinem Nacken und betrachtete sie nachdenklich. „Und dabei sind wir natürlich auf Ihre Hilfe angewiesen, Sorkin."

Jessamys Augen weiteten sich vor Schreck. Breghala seufzte nachsichtig.

„Eine unangenehme Situation für Sie, das ist mir schon klar, aber das lässt sich leider nicht vermeiden. Sie werden verstehen, dass wir nicht nur an Rakosh interessiert sind, sondern auch an ihren Komplizen.

Natürlich könnten wir Rakosh jetzt einfach verhaften und verhören, aber was hätten wir im Endeffekt schon davon? Die Rebellen sind in kleinen Zellen organisiert, die relativ unabhängig voneinander agieren – das ist ihre große Stärke. Schnappen wir uns Rakosh, haben wir zwar ihre Zelle schon so gut wie in der Hand, aber das reicht uns nicht, Sorkin. Das sind für uns nur kleine Fische. Und wir wollen natürlich an die großen Fische heran."

Er ließ seinen Sessel herumkreiseln und wies mit dem Daumen, der aus seiner Faust herausschnappte wie ein Klappmesser, auf das Mothma-Plakat.

„Je größer, desto besser!"

„Aber ich habe gedacht … Ich habe gehofft …" Jessamy biss sich auf die Lippen.

„Sie haben gehofft, dass Sie die ganze Geschichte überstanden haben, sobald Sie hier rausgehen", vollendete Breghala ihren Satz. „Und das kann Ihnen auch niemand verdenken."

Er schenkte ihr ein warmherziges Lächeln. (Er hatte sehr viel Erfahrung damit, auf welchen Knopf er drücken musste, um genau das zu bekommen, was er haben wollte. Bei Paejonn kehrte er zu diesem Zweck den Despoten heraus, bei Sorkin den Vaterersatz. Es war im Grunde ganz einfach. Menschen waren so leicht zu manipulieren, besonders junge Menschen. Breghala zweifelte nicht daran, dass er Sorkin mühelos zur Kooperation bewegen und bei der Stange halten konnte – ewig, wenn es sein musste!)

„Aber wir brauchen Sie, Sorkin. Keine Angst, es wird nicht halb so schlimm, wie Sie jetzt wahrscheinlich denken. Alles, was ich von Ihnen erwarte, ist, dass Sie einfach so weitermachen wie bisher.

Sie sitzen schön brav Ihre Dienstzeit auf der Warbride ab und an Ihren freien Wochenenden fliegen Sie nach Hause so wie immer. Und dort verhalten Sie sich auch genau so wie immer. Benehmen Sie sich einfach ganz normal, tun Sie so, als wäre alles völlig in Ordnung. Lassen Sie sich nichts anmerken, tun Sie nichts, was Rakosh misstrauisch machen könnte. Und das ist auch schon alles, was ich von Ihnen verlange. Gar nicht so schwierig, oder?"

„Und der Rest?" fragte Jessamy sehr leise.

„Um den Rest kümmern wir uns, keine Sorge", sagte Breghala leutselig. „Natürlich bedeutet das auch eine lückenlose Überwachung Ihrer Wohnung. Tut mir Leid, wenn sich das auf Ihr Intimleben auswirkt, aber ein paar kleine Zugeständnisse müssen Sie uns schon machen, Sorkin. Schließlich kommt das auch Ihrer eigenen Sicherheit zugute. Ich bin sicher, Ihr Freund wird dafür volles Verständnis haben …"

Jessamy schwieg. Sie war sicher, dass Zev schon senkrecht an die Decke gehen würde, wenn er nur erfuhr, dass sie Sondra noch eine Zeitlang auf dem Hals haben würden. Wie er aber darauf reagieren würde, wenn sie ihm erzählte, dass sie von jetzt an auch noch auf Schritt und Tritt beobachtet werden würden, wagte sie sich gar nicht erst vorzustellen.

Lückenlose Überwachung? Hatte Breghala etwa vor, überall in ihrer Wohnung Videokameras und Abhörgeräte zu installieren? Schlagartig wurde Jessamy klar, was ihr da eigentlich zugemutet wurde: Überhaupt keine Privatsphäre mehr, nicht einmal bei einem Gang auf die Toilette oder unter die Dusche … Nicht einmal in ihrem eigenen Schlafzimmer. Nicht einmal beim …

OH MEIN GOTT!

Und sie (und mit ihr Zev!) durfte sich rein gar nichts anmerken lassen, damit Sondra keinen Verdacht schöpfte …

„Also nein ... wirklich ... Das ist unmöglich!" protestierte sie.

Doch Breghala tat ihren Einwand mit einer lässigen Handbewegung ab. „Manchmal verlangt das Wohl des Imperiums eben große Opfer von uns", sagte er salbungsvoll.

Jessamy dachte aufsässig, dass das Imperium von manchen Leuten offensichtlich sehr viel größere Opfer verlangte als von anderen. Oder war von jemandem wie dem Colonel etwa auch schon erwartet worden, dass er sich splitterfasernackt vor einer Überwachungskamera präsentierte – und das in jeder nur denkbaren Situation?

Vielleicht merkte Breghala, dass plötzlich ein Hauch von Aufruhr in der Luft lag, denn er lächelte beschwichtigend und tröstete: „Es ist ja nur für eine kleine Weile, Sorkin. Und falls Sie das beruhigt: Meine Männer sind sehr diszipliniert. Die sehen nur dann hin, wenn es unbedingt sein muss."

Wer's glaubt, wird selig! Ein kleiner Striptease hier und da macht die Brüder wahrscheinlich erst so richtig munter … Das ist bestimmt das Sahnehäubchen auf ihrem Tag! dachte Jessamy giftig.

„Das wäre dann also abgemacht", sagte Breghala sonnig und erhob sich.

Jessamy, die sich an keine Abmachung erinnern konnte – sie hatte nie ja gesagt, oder? –, begriff, dass die Audienz trotzdem beendet war, und stand ebenfalls auf.

Breghala drückte auf den Summer an seiner Sprechanlage, woraufhin prompt die Tür aufschwang und der junge Adjutant aus dem Vorzimmer hereingestürzt kam. Jessamy überlegte in einem Anflug von Bosheit, ob sich wohl irgendwo unter seinem strohblonden Bürstenhaarschnitt ein Computerinterface verbarg – falls ja, hoffte sie, dass es demnächst einen Kurzschluss erlitt! (Sie haderte gerade mit Gott und der Welt und am meisten mit sich selbst und Paejonn strahlte unbestreitbar die einladende Aura des geborenen Prügelknaben aus.)

„Ich nehme an, Sie müssen gleich wieder auf die Warbride zurück?" erkundigte sich Breghala.

„Ja, Sir", erwiderte Jessamy. Sogar sie hörte den Unterton resignierter Hoffnungslosigkeit heraus.

„Wenn Sie irgendeine Transportmöglichkeit brauchen, das lässt sich ganz schnell arrangieren."

„Das wird nicht nötig sein, Sir. Ich …"

Aber schon platzte Paejonn, den niemand gefragt hatte, dazwischen …

„Nein, Sir, denn da ist doch dieser Commander von der Warbride, der sie hergebracht hat und immer noch auf sie wartet. Er wartet schon seit Stunden, Sir … Und er hat gesagt, ich soll ihr sagen, dass er sich jetzt in die Kantine verzieht, denn das hier dauert ja ewig und drei Tage … und er kippt noch aus den Stiefeln, wenn er nicht sofort etwas Solides zwischen die Rippen kriegt …

Und ich soll sie hinbringen … in die Kantine … wenn sie endlich hier fertig ist … falls sie heute überhaupt noch fertig wird, hat er gesagt. Und dann habe ich zu ihm gesagt, wo er die Essensbons für die Kantine herkriegt, Sir. Und dann hat er gesagt, dass ich …"

Danke, Junge! Ich glaube, wir haben alle begriffen, worauf Sie eigentlich hinaus wollen", sagte Breghala seidenglatt, aber mit einer gewissen Schärfe unter der Seide. (Auch er hatte einen langen Tag hinter sich und vor Dienstschluss noch einiges vor sich.)

Paejonn merkte, dass er gerade einen Rüffel bekommen hatte, wusste aber nicht genau, womit er ihn sich verdient hatte. Er salutierte vorsichtshalber demonstrativ zackig und nahm dann betont steif neben Jessamy Aufstellung wie ein Wachposten neben einer Gefangenen – obwohl er dabei eher aussah wie ein Zinnsoldat, der einen echten Wachposten darstellen sollte.

„So, Sorkin, dieser junge Mann hier bringt Sie jetzt also zu Ihrem Begleiter. Gute Reise!" sagte Breghala, jetzt wieder die Liebenswürdigkeit selbst. „Und denken Sie immer daran: Es ist nur für eine Weile. Es wird bestimmt nicht lange dauern."

„Ja, Sir", sagte Jessamy mechanisch.

Aber nachdem sie von dem Colonel verabschiedet und von seinem Adjutanten wieder auf den Flur hinausgescheucht worden war, fragte sie sich trotzdem, wie lange „nicht lange" eigentlich war und wie sie diese reichlich unbestimmte Frist durchstehen sollte. Und diese Fragen beschäftigten sie die ganze Zeit, während sie vor Paejonn dahinmarschierte, weil er ihr auf den Fersen klebte, statt die Führung zu übernehmen, wie es sein Auftrag und ein gewisses Maß an Manieren eigentlich erfordert hätte.

Doch immerhin war dank der berühmten imperialen Gründlichkeit alles gut ausgeschildert und so fand sie die Kantine und ihren letzten Gast auch unter eigener Regie, während Paejonn, vorübergehend mit Stummheit geschlagen, weil er mit seinem eigenen beruflichen Krisenherd beschäftigt war, schmollend hinter ihr her trottete.

Als sie die Kantine erreicht hatten, übergab er Jessamy ohne großes Zeremoniell an ihren 1O und machte sich wieder davon, um seine neuesten Wunden zu lecken und vor allem seinem launischen undankbaren alten Bastard von einem Chef nach Möglichkeit bis zum Feierabend aus dem Weg zu gehen …

„Da sind Sie ja endlich wieder, Sorkin! Ich dachte schon, die wollen Sie gleich hier behalten", rief Rellnik fidel, denn er war inzwischen mit einem erstklassigen Abendessen verwöhnt und danach mit Bergen von köstlichem Gewürzkuchen gefüttert worden.

Auch sonst hatte er sich prächtig unterhalten, woran die dralle Küchenfee, die ihm ihre beängstigend üppige Oberweite quer über den Tresen entgegenstreckte und heftig mit ihm schäkerte, nicht ganz unbeteiligt war. Doch sein wohlgefüllter Magen und seine allgemeine Zufriedenheit machten ihn nicht völlig unempfänglich für den mitgenommenen Zustand seiner Umwelt und nachdem er einen zweiten Blick auf das angespannte kreideweiße Gesicht eines ganz bestimmten Teils dieser Umwelt geworfen hatte, orderte er sofort einen großen Becher Cofecea mit viel Milch und noch mehr Zucker, der Jessamy gleich darauf mit einem Maximum an gutem Zureden und einem Minimum an körperlicher Nötigung eingeflößt wurde.

„War es denn so schlimm?" fragte er teilnahmsvoll, als sie sich nach der halbwegs erfolgreich verlaufenen Erste-Hilfe-Maßnahme (und nach einem bemerkenswert herzlichen Lebewohl an die Königin des Kuchenbüfetts!) auf den Rückweg zu ihrem Shuttle machten.

„Nein, gar nicht", murmelte Jessamy, obwohl sie gerade darüber nachsann, ob es – abgesehen von den Beerdigungen ihrer Eltern – irgendeinen Punkt in ihrem Leben gegeben hatte, an dem sie sich noch erbärmlicher gefühlt hatte als hier und heute.

„Das wird schon wieder!" versicherte Rellnik und klopfte ihr auf die Schulter.

Er war wirklich sehr nett zu ihr, er war ganz reizend, aber Jessamy hatte trotzdem die vage Befürchtung, dass sie den Commander auf ihrem Rückflug in das Saatoo-System wahrscheinlich umbringen würde, wenn er nicht endlich damit aufhörte, sie mit irgendwelchen Das-wird-schon-wieder-Parolen einzudecken.

Doch natürlich biss sie die Zähne zusammen, bis ihre Kiefermuskeln vor Anstrengung schmerzten, während Rellnik seine soziale Ader auslebte und alles daran setzte, seine sichtlich niedergeschlagene Reisegefährtin ein wenig aufzuheitern.

Als sie in den frühen Morgenstunden des folgenden Tages wieder auf der Warbride landeten, war Jessamy vor Erschöpfung grau wie ein zu oft benutztes Löschpapier und ihre Nerven lagen mehr als nur ein bisschen blank. Aber sie musste trotzdem auch noch ein ausgiebiges Verhör durch Dakall über sich ergehen lassen, der alle Einzelheiten wissen wollte, bevor sie sich in ihrer Kabine verkriechen durfte.

Und als sie sich endlich in ihre Koje fallen ließ, bleischwer vor Müdigkeit und auf dem Grund einer schier bodenlosen Depression, wünschte sie sich nur noch, nie geboren worden zu sein …

Devon:

„Dieser Geheimdienstfreak ist ja völlig übergeschnappt! Was bildet der sich eigentlich ein? Er kann dich doch nicht einfach dazu zwingen, zusammen mit dieser Schmalspurschnüfflerin in so einer Art Glashaus zu leben und dabei auch noch so zu tun, als wäre alles in Butter. Und was heißt hier für eine Weile? Das kann ja Monate dauern. Monate!"

Zev Gilfoy schleuderte aufgebracht die bestickte Leinenserviette von sich, die prompt in seiner Terrine mit den geschmorten Garnelenschwänzen landete, was eine Minieruption aus überbackenen Dilldillzwiebeln und Weißweinsoße zur Folge hatte.

Das zierliche Twilek-Mädchen, das die Gäste am Nebentisch bedient hatte, gab ein missbilligendes Zischen von sich, eilte dann aber doch an den Schauplatz der kulinarischen Freveltat, um zu retten, was noch zu retten war. Zev entschuldigte und bedankte sich mit einem schmelzenden Lächeln bei ihr, was mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen wurde. Sie legte sogar eine frische Tischdecke auf und zupfte sie sorgfältig mit ihren anmutigen Tentakeln zurecht – ein eindeutiger Beweis dafür, dass ihm verziehen worden war.

Aber der schwergewichtige rhodianische Inhaber der Smaragdwasser-Lagune – einem kleinen, aber exklusiven Fischrestaurant direkt am Hafen, das seit kurzem Zevs und Jessamys Lieblingslokal war – wälzte sich trotzdem mühsam in die enge Nische, die seine sehr viel agileren Gäste bevorzugten.

Dort angekommen röchelte er kurzatmig durch seinen Rüssel: „Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit, junger Herr? Und die charmante Dame? Möchte sie vielleicht lieber etwas anderes bestellen?"

Sein vorwurfsvoller Blick fiel auf die noch fast unberührte Portion Geekaar-Muscheln, die vor Jessamy stand, wie ein Felsbrocken in einen stillen Teich. (Man konnte beinahe das Platschen hören und die vielen konzentrischen Ringe sehen, die sich von der Einschlagstelle her ausbreiteten.)

„Nein, nein, es ist alles ganz wunderbar, vielen Dank!" sagte Zev rasch.

Und Jessamy, die wieder mal unter völliger Appetitlosigkeit litt, spießte tapfer eine der Muscheln auf und mimte so viel Begeisterung, wie man mit vollem Mund nur zum Ausdruck bringen konnte. Doch der Rhodianer verharrte eigensinnig neben ihnen, bis sie sich dazu überwunden hatte, noch zwei oder drei weitere entblößte Schalentiere hinunterzuwürgen. Erst dann rollte er mit dem wiegenden Seemannsgang, dem ihm seine gewaltige Leibesfülle aufzwang, wieder davon und Jessamy legte mit einem Seufzer der Erleichterung ihre Gabel zurück auf den Tellerrand.

„Ich dachte schon, der geht überhaupt nicht mehr."

Aber wie üblich verfolgte Zev sein Thema mit dem konzentrierten Jagdeifer eines Gharrans, der seine nächste hektisch davon krabbelnde Beute gesichtet hatte.

„Zum Henker mit diesem Colonel Blablabla oder wie er heißt! Niemand kann von dir verlangen, dass du dir das antust, Sam. Am besten ziehst du einfach zu uns, bis die ganze Sache ausgestanden ist. Mom und Dad wären begeistert. Die Mädchen sowieso …"

Die Idee war mehr als nur verführerisch, aber Jessamy wusste nur zu gut, dass sie ihr nicht nachgeben durfte.

„Du verstehst das nicht. Die können alles von mir verlangen, was sie wollen – und sie können mir die Hölle heiß machen, wenn ich nicht genau das tue, was sie wollen."

Zev begutachtete seine Garnelenschwänze so finster, als hätte er sie im Verdacht, sich mit Sondra und Colonel Breghala gegen Jessamy verschworen zu haben.

„Am allerbesten wäre es natürlich, wenn du der ganzen Bande einen Tritt in den Hintern gibst. Knall ihnen einfach dein Abschiedsgesuch auf den Tisch und sag ihnen, sie sollen zum Teufel gehen."

„Ich kann nicht einfach so von einem Tag auf den anderen den Dienst quittieren."

Jessamy stieß einen brunnentiefen Seufzer aus, denn auch diese Idee war inzwischen sehr, sehr verführerisch.

Doch die imperiale Flotte war kein Nonnenkloster, aus dem man austreten konnte, sobald man keine Lust mehr hatte, in Armut, Keuschheit und Gehorsam vor sich hin zu vegetieren.

„Weißt du eigentlich, wie viel so eine Offiziersausbildung kostet? Ich musste mich für fünfzehn Jahre verpflichten, Zev, und darauf werden sie pochen. Die lassen mich nicht einfach so gehen. Nicht ohne triftigen Grund …"

Ihr Liebster gab ein angewidertes Schnaufen von sich, das im Klartext besagte, dass sie seiner Meinung nach ungefähr eine Million triftige Gründe auf Lager hatte.

„Nein, nein, vergiss es, Zev. Da ist absolut nichts zu machen – wenn ich nicht gerade im Rollstuhl lande oder Wahnvorstellungen bekomme oder …"

Als Zevs grüne Augen prompt aufleuchteten wie Ampelsignale in der Nacht, musste Jessamy unwillkürlich an ein Gerücht denken, das ihr irgendwann und irgendwo zu Ohren gekommen war. Hatte es da nicht einen gewissen General Tragoryan gegeben, der angeblich ziemlich hastig pensioniert worden war, nachdem er während einer Einsatzbesprechung zur flächendeckenden Bombardierung von Callidoon im Ondryll-Sektor in ein wirres Gefasel über die siebenundzwanzig verschiedenen Blauschattierungen der Blüten einer dort heimischen Orchideenart verfallen war?

Einen Augenblick lang spielte sie mit dem höchst verlockenden Gedanken, sich bei der nächstbesten Gelegenheit auf Captain Dakalls Schoß zu setzen und ihm zu erzählen, dass sein Astralkörper ihr neuerdings mitternächtliche Besuche in ihrer Kabine abstattete …

Sie verwarf diese Eingebung aber gleich wieder, denn diese Behauptung hätte zweifellos nur dazu geführt, dass sie postwendend ins Lazarett geschickt wurde. Und dort herrschte eine erbarmungslose Harpyie von Chefärztin, die die unerfreuliche Angewohnheit hatte, Simulanten mit unheimlicher Treffsicherheit zu erkennen und mit einer extragroßen Dosis Abführmittel drastisch, aber ungemein wirkungsvoll von all ihren Leiden zu befreien.

Drückeberger und andere Hypochonder hatten keine Chance auf der Warbride, weder beim Captain noch bei dieser Med-Tech-Hexe, die übrigens auf sehr vertrautem Fuß miteinander standen, wenn man der Gerüchteküche in dieser Hinsicht glauben wollte, und das obwohl beide angeblich glücklich verheiratet waren. Ach ja, die Welt war schlecht! Durch und durch schlecht …

Jessamy riss sich nur mühsam von ihren Betrachtungen über die moralischen Abgründe der höheren Dienstgrade los und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer ganz privaten kleinen Schlucht zu.

„Und wenn ich Sondra einen Wink gebe? Ich meine, trotz allem, was passiert ist … Sie würde sich natürlich sofort aus dem Staub machen. Und ich könnte … wir könnten endlich … na ja, du weißt schon" sagte sie zögernd.

„Wie willst du denn das anstellen, Sam? Willst du sie vielleicht ganz unauffällig in eine dunkle Ecke zerren und ihr ins Ohr flüstern, dass du sie verpfiffen hast, dass deine Wohnung von oben bis unten verwanzt ist und dass sie ungefähr fünf Minuten vor der Verhaftung steht?"

Jessamy errötete vor Ärger. „Ob du es glaubst oder nicht, aber sogar ich kann mir etwas ausdenken, das ein kleines bisschen subtiler ist, Zev", sagte sie spitz.

„Wie subtil kann jemand sein, der auf Schritt und Tritt bewacht wird? Nein, ganz im Ernst, was hast du vor, Sam? Willst du ihr von einer öffentlichen Kom-Zelle aus eine anonyme E-Mail schicken? Willst du irgendwo, wo sie ihn garantiert finden muss, einen Zettel deponieren, im Kühlschrank, in einer Packung Katzenfutter oder vielleicht im Deckel ihrer Zahnpastatube? Willst du ihr einen Kuchen backen und die frohe Botschaft mit Zuckerguss draufschreiben?"

„Ich weiß doch auch nicht", stöhnte Jessamy.

Zev wurde sofort wieder weich. „Quäl dich doch nicht so. Es ist nicht deine Schuld."

„Doch, ist es! Wenn ich nur auf dich gehört hätte. Wenn ich sie nur rausgeschmissen hätte, als ich noch die Chance dazu hatte. Wenn ich wenigstens nicht mit Chevan geredet hätte…"

„Es nützt niemandem etwas, wenn du dich mit Selbstvorwürfen zerfleischst, Sam. Die Katze ist nun mal aus dem Sack und niemand kann sie wieder reinstecken. Es gibt nichts, was man jetzt noch tun kann. Manchmal muss man den Dingen eben einfach ihren Lauf lassen."

„Du hast gut reden! Du hast sie ja nicht ständig um dich herumschleichen, du musst ihr nicht in die Augen sehen und dabei genau wissen …"

Jessamy verstummte. Es war unmöglich zu erklären, es war unmöglich in Worte zu fassen, wie es war, wie es sich jetzt anfühlte, zusammen mit Sondra im Shaalizaar Inn zu leben …

Sie dachte an den Morgen, der hinter ihr lag, an das Frühstück, das sie zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder mit Sondra gemeinsam eingenommen hatte. Es war ein einziger Alpdruck gewesen und doch nur ein kleiner Vorgeschmack auf die viel zu vielen anderen Mahlzeiten, die sie wahrscheinlich bis zum bitteren Ende miteinander einnehmen mussten. Sie hatten sich stumm und steif wie Stockfische gegenüber gesessen und ihre Müsliportionen heruntergelöffelt, während unaussprechliche Geheimnisse sich über ihnen verdichtet und die Atmosphäre vergiftet hatten wie unsichtbare Giftgaswolken.

Als das Schweigen irgendwann unerträglich geworden war, hatten sie sich beide wie auf ein lautloses Startsignal hin in den oberflächlichsten Smalltalk gestürzt, den man sich nur vorstellen konnte. Kein Thema war ihnen zu abgedroschen, sie redeten über die schon oft und ausgiebig diskutierten Marotten des Katers, über die Müsliflocken, deren Qualität und Geschmack auch nicht mehr viel Gesprächsstoff hergab, und schließlich sogar über das Wetter, denn inzwischen waren sie beide verzweifelt und nur noch krampfhaft bemüht, den Ball der Konversation irgendwie im Spiel zu halten, um nur ja keine neue atembeklemmende Pause aufkommen zu lassen.

Aber das Schlimmste von allem waren die schnellen prüfenden kleinen Seitenblicke gewesen, die Jessamy immer wieder von Sondra aufgefangen hatte – oder hatte sie sich das nur eingebildet?

„Vielleicht weiß sie es ja schon. Vielleicht ahnt sie es", sagte Jessamy und gab sich für eine Sekunde dieser tröstlichen Wunschvorstellung hin.

„Ach was! Wenn die auch nur den Schatten eines Verdachtes hätte, wäre sie längst weg wie ein geölter Blitz. Nein, nein, die fühlt sich so sicher wie in Großmutters Schoß", gab Zev mürrisch zurück.

Er befand sich inzwischen in einem Stadium der Erbitterung, in dem er Sondra sogar ihre Arglosigkeit übel nahm. Also wirklich, wie vertrauensselig konnte eine Rebellenspionin eigentlich noch sein?

Jessamy rang noch nicht die Hände, aber sie war kurz davor. „Was sollen wir nur machen?"

Zev gab einer anderen Twilek-Kellnerin, die im Hintergrund auf aufbruchs- und zahlungswillige Gäste lauerte, einen Wink.

„Das einzige, was uns jetzt noch übrig bleibt: Warten!" seufzte er.

Und genau das taten sie auch …

Sie warteten … und warteten … und warteten …

... aber die Wochen vergingen wie im Flug und es tat sich nichts. Gar nichts. Buchstäblich gar nichts!

Denn Sondra legte plötzlich einen bei ihr völlig ungewohnten Müßiggang an den Tag. Es fing damit an, dass sie praktisch über Nacht zur Einsiedlerin mutierte. Egal, ob Jessamy wie üblich an jedem zweiten Wochenende nach Hause kam oder ob sie völlig außerplanmäßig im Shaalizaar Inn aufkreuzte, Sondra war immer da. Und sie war rund um die Uhr da.

Tatsächlich gewann Jessamy langsam den Eindruck, dass sie die Wohnung überhaupt nicht mehr verließ. Aber Sondra versuchte nie, ihre permanente Anwesenheit irgendwie zu erklären, nicht einmal ansatzweise. Sie machte sich nicht mehr die Mühe, Jessamy ein normales Berufsleben vorzugaukeln, sie ersparte es sich, irgendwelche halbwegs glaubwürdigen Geschichten über einen langfristigen Urlaub oder eine kurzfristige Arbeitslosigkeit zu erfinden. Sie verlor nicht ein Wort über den Grund ihres neue Eremitendaseins – und Jessamy hütete sich davor, unbequeme Fragen zu stellen.

Aber eine noch viel auffälligere Wandlung als diese Stubenhockerei war Sondras Passivität. Hatte sie früher keine zehn Minuten lang stillsitzen können, wenn es irgendetwas zu tun gab, so kauerte sie jetzt stundenlang regungslos in einem Sessel im Wohnzimmer, die Hände im Schoß, untätig, lethargisch.

Sie kümmerte sich um nichts mehr, sie ließ einfach alles stehen und liegen. Und langsam nahm die Wohnung, sonst immer tipptopp, eine unübersehbare Aura von Verwahrlosung an, wie sie Kaye Drumheller nicht einmal in ihren chaotischsten Phasen um sich herum verbreitet hatte.

Sondra vernachlässigte ihre Haushaltspflichten, sie vernachlässigte den Kater, sie vernachlässigte sich selbst. Sie ließ sich gehen, sie schlurfte tagelang im selben Schlafanzug durch die Gegend, ohne auch nur einen BH darunter zu tragen, und wenn sie sich dabei überhaupt ein Minimum an Körperpflege gönnte, dann dehnte sie sie jedenfalls nicht bis zu einer dringend notwendigen Haarwäsche aus.

Und als Jessamy Sondra in diesem Zustand sah, in einem schmuddeligen Pyjama in ihrem Sessel hängend und mit teilnahmslosem Blick in das Holovid hineinstarrend, auf dem Boden neben sich einen mit ausgetrockneten Senfschlieren überkrusteten Teller voller Speisereste, da hätte sie jeden Eid darauf schwören können, dass die gefährlichste Mitbewohnerin aller Zeiten an ernsthaften Depressionen litt.

Aber warum? Warum sollte ausgerechnet Sondra Trübsal blasen? Es war ein Rätsel – wie überhaupt alles an dieser Frau ein Rätsel war.

Hatte sie Probleme mit ihrem Auftrag? Oder wurde sie inzwischen etwa auch von ihrem Gewissen heimgesucht? Zweifelte Sondra eigentlich je an der Richtigkeit ihres Vorhabens, fühlte sie sich jemals zwischen ihrer Pflicht und ihren Gefühlen hin und her gerissen? Das hätte Jessamy nur zu gerne gewusst, aber sie war sich darüber im Klaren, dass sie wahrscheinlich nie eine Antwort auf diese Frage bekommen würde.

Doch was auch immer in Sondra vor sich gehen mochte, sie war todunglücklich darüber, so viel stand fest. Sie war auf ihre Weise genauso schwermütig wie Jessamy selbst. Und so wurde die Stimmung mit jedem Tag ein wenig melancholischer, bis in dem Appartement im neunundvierzigsten Stock des Shaalizaar Inns schließlich die feierliche Trostlosigkeit eines Staatsbegräbnisses herrschte.

Aber der absolute Tiefpunkt war an einem stickigen Herbstabend erreicht, als Jessamy Sondra in ihrem Zimmer weinen hörte, eine Serie aus lang gezogenen herzzerreißenden Schluchzern, die gar kein Ende mehr zu nehmen schien …

Jessamy zog sich verstört in ihr eigenes Refugium zurück, warf sich auf ihr Bett und verbrachte viele schlaflose Stunden mit dem Versuch sich einzureden, dass Sondra kein Mitleid verdient hatte, weil sie ein Feind war, weil sie der Feind war. Und der Feind war keine Person und schon gar kein menschliches Wesen, er war nur eine gesichtslose und garantiert gefühllose Masse, die weder Schmerz noch Tränen kannte. Der Feind weinte nicht – niemals!

Und mit diesem bedingungslosen Credo jedes Soldaten, der die Unbegreiflichkeit der Bestie Krieg überleben wollte, ohne dabei den Verstand zu verlieren, kuschelte sich Jessamy entschlossen in ihre zerwühlten verschwitzten Kissen, um doch noch ein wenig Schlaf zu finden.

Aber das erwies sich als Fehler, denn für den Rest der Nacht wurde sie von schaurigen Alpträumen heimgesucht, in denen sich eine riesige statuenhafte Sondra immer wieder vor ihr aufbaute wie eine gigantische Rachegöttin, um mit einem anklagenden Zeigefinger auf sie zu weisen, von dem ganze Wasserfälle von Blut strömten. Aber das Schlimmste an dieser überdimensionalen Nemesis war, dass sie zwischendurch schmolz wie eine Kerze, um abwechselnd die Gestalten von Mr. Furgan und Kaye anzunehmen, die mit grabestiefen hallenden Stimmen „Das ist alles nur deine Schuld, Sam!" riefen.

Als Jessamy irgendwann im Morgengrauen wieder zu sich kam, war sie wie gerädert und kurz davor, selbst in Tränen auszubrechen. Nur die schattenhafte, aber unvergessliche Präsenz von Breghalas Wachhunden verhinderte, dass sie sich so weit vergaß, vor all den unsichtbaren neugierigen Augen die Nerven zu verlieren.

Und so krochen viele dunkle Tage im Schneckentempo dahin und reihten sich aneinander wie eine Kette aus schwarzen Perlen, denn ein Ende war gar nicht abzusehen …

Jessamy begann ihre Landurlaube zu hassen.

Sie begann in dieser Zeit überhaupt eine ganze Menge Dinge zu hassen. Aber am allermeisten hasste sie zweifellos Captain Dakall, der allmählich geradezu diabolische Züge entwickelte. Sie hätte inzwischen fast alles getan, um der zunehmend gespenstischen Situation im Shaalizaar Inn zu entrinnen, aber in welche Richtung auch immer sie sich dabei verirrte, überall stieß sie auf Dakall wie auf eine unüberwindliche Mauer. Er warf ihr Steine in den Weg, wo er nur konnte, er ließ einfach nicht zu, dass sie sich dem entzog, was er für absolute Priorität hielt.

Als sie versuchte, ihr Standard-Wochenende mit einem anderen Lieutenant zu tauschen, dessen Frau hochschwanger war und ihn, wenn er zu Hause war, jeden Tag mit neuen Fehlalarmen über verfrühte Wehen in Panik versetzte, bestand Dakall mit einer gönnerhaften Freundlichkeit, deren Perfidie Jessamy beinahe Magenkrämpfe verursachte, darauf, dass die beiden Junioroffziere ihren Urlaub gleichzeitig antraten, was er noch nie zuvor erlaubt hatte.

Und als Jessamy in ihrer Not eine schwere Erkältung vortäuschte und mit heiserem Geflüster und einem sorgfältig inszenierten Hustenanfall sogar einen zuerst eher skeptischen Commander Rellnik davon überzeugt hatte, dass sie auf keinen Fall reisefähig war, schickte der Captain sie nur mit einem kommentarlosen Achselzucken ins Lazarett – mit den üblichen grässlichen Folgen! (Die Med-Tech-Hexe, eine platinblonde Amazone, die auf den Namen Mordikai hörte und das hämischste Grinsen besaß, das je ein menschliches Antlitz zu einer Maske blanken Hohns verzerrt hatte, ließ es sich nicht nehmen, ihre geplagte Patientin darüber aufzuklären, dass sie während ihrer langen dornenreichen Laufbahn als Militärärztin noch nie auf einen eingebildeten Kranken gestoßen war, der ausgerechnet vor seinem Urlaub zu kneifen versuchte!)

Aber erst als Jessamy, die mit ihrer Weisheit am Ende war, ganz schamlos ihre Arbeit als Ausrede vorschützte (sie konnte schließlich unmöglich das Schiff verlassen, wenn sie noch so viele brandeilige und hochwichtige Berichte zu schreiben hatte, nicht wahr?), schlug der Captain endlich mit der Faust auf den Tisch (im übertragenen Sinn, nicht wortwörtlich!) und zitierte das schwarze Schaf herbei, um eine Strafpredigt vom Stapel zu lassen, die vor Zynismus nur so triefte.

„Was ist denn bloß los mit Ihnen, Sorkin? In letzter Zeit können Sie sich ja gar nicht mehr von uns trennen. Ihr plötzlicher Arbeitseifer erfüllt uns alle mit Ehrfurcht. Dieser Fleiß, diese Gewissenhaftigkeit, dieses Engagement – wir sind ganz erschlagen von Ihrem neuen Tatendrang!"

Dakalls sarkastischer Tonfall verwandelte jedes einzelne Wort, das er von sich gab, in eine nadelspitze Waffe, die Jessamys ohnehin schon waidwundes Ego durchbohrte und darin hängen blieb wie ein Pfeil mit Widerhaken.

„Aber Sie dürfen sich trotzdem zwischendurch ruhig mal eine kleine schöpferische Pause gönnen, denn schließlich will keiner von uns, dass Sie sich durch Ihre ungewohnten Energieausbrüche völlig verausgaben. Stress ist pures Gift für das Immunsystem, wie Ihr schlimmer, schlimmer Husten neulich erst bewiesen hat. Und schon deshalb ist Dr. Mordikai der Meinung, dass Sie sich unbedingt ein bisschen mehr schonen sollten. Dr. Mordikai ist wirklich sehr besorgt um Sie, Sorkin!"

Jessamy erhob keinen Einspruch gegen diese ziemlich gewagte Behauptung, obwohl die bloße Erinnerung an die sehr spezielle Ausdrucksweise von Dr. Mordikais ärztlicher Fürsorge ein warnendes Grollen durch ihre Eingeweide ziehen ließ.

„Sie werden also in Zukunft Ihre Begeisterung ein klein wenig zügeln und Ihren Urlaub ohne Wenn und Aber antreten", fuhr der Captain mit einem grimmigen kleinen Lächeln fort.

„Anderenfalls würde ich mich nämlich leider dazu gezwungen sehen, Sie für die nächsten zwei oder drei Monate vom Dienst zu suspendieren – natürlich nur im Interesse Ihrer angegriffenen Gesundheit.

Wohnen Sie nicht irgendwo direkt an der Küste, Sorkin? Ah, die wohltuende Wirkung von Seeluft! Der reinste Balsam für hoffnungslos überarbeitete Lieutenants mit dubiosen Atemwegserkrankungen! Dr. Mordikai ist jedenfalls jederzeit gerne bereit, Ihnen ein entsprechendes Attest auszustellen."

Jessamy biss sich auf die Unterlippe und starrte zu Boden, unsicher, wie sie auf Dakalls unverhüllte Drohung reagieren sollte. Eine Suspendierung – egal, ob sie wegen ihrer Gesundheit oder aus ganz anderen Gründen erfolgte – wäre der Anfang vom Ende ihrer Karriere gewesen, das wusste sie nur zu gut.

Und doch … war das nicht genau das, was sie inzwischen selbst wollte? Die Raumflotte verlassen und etwas Neues, etwas ganz anderes machen? Das hieße natürlich, alles, wofür sie sich so lange abgerackert hatte, einfach in den Wind zu schießen, die letzten fünf oder sechs Jahre ihres Lebens mit all ihren Höhen und Tiefen als reine Zeitverschwendung anzusehen und als Totalverlust zu verbuchen, noch einmal ganz von vorne anzufangen. Aber … großer Gott! Sie hatte alles so satt! Sie konnte einfach nicht so weiter machen …

„Aber ich will Sie nicht aufhalten, wo doch Berge von Arbeit auf Sie warten. Sie können jetzt gehen, Lieutenant", sagte Dakall mit einer Kälte, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte und sie dafür noch mehr verabscheute, als es ohnehin schon der Fall war.

Und Jessamy ging. Auf dem Rückweg zu ihrem Schreibtisch, wo eher Hügel als ganze Berge von Arbeit auf sie warteten, grübelte sie weiter über das durchsichtige Einschüchterungsmanöver des Captains nach.

Die Ironie dabei war, dass Dakalls Erpressungsversuch Jessamy einen ganz unerwarteten Ausweg aus einer Situation gezeigt hatte, die mit jedem Tag unhaltbarer wurde. Denn Tatsache war, dass sie sich allmählich nicht nur in ihrer Wohnung auf Devon, sondern auch hier auf der Warbride wie eine verlorene Seele auf dem Weg in die ewige Verdammnis vorkam.

Noch vor kurzem war Jessamy sowohl bei ihren Offizierskollegen als auch bei ihren Untergebenen ausgesprochen beliebt gewesen – doch jetzt zogen sich alle von ihr zurück.

Niemand außer Dakall, Rellnik und Chevan wusste genau, was eigentlich los war, aber alle Crewmitglieder wussten, dass Sam Sorkin aus irgendeinem mysteriösen Grund in Ungnade gefallen war – und sie ließen es sie spüren.

Es war nicht so, dass Jessamy wirklich gemieden worden wäre, dass man ihr ganz offen die kalte Schulter gezeigt hätte. Niemand stand demonstrativ auf und ging weg, wenn sie sich beim Mittagessen in der Messe zufällig an denselben Tisch setzte oder irgendwas in dieser Art.

Aber dafür gab es jetzt eine Menge Unterhaltungen, die abrupt verstummten, sobald Jessamy den Raum betrat, es gab viel zu viele misstrauische Blicke, die ihr folgten, wo sie auch ging und stand. Und es gab diese nervöse Mischung aus Verlegenheit und Vorwurf in den Augen all der Leute, die mit ihr zusammenarbeiten und daher ganz zwangsläufig auch mit ihr reden mussten.

Im Prinzip konnte Jessamy diese Selbstschutzhaltung durchaus verstehen. Trotzdem verletzte es sie zutiefst, dass Menschen, die sich gestern noch als ihre Freunde bezeichnet hatten, heute abrupt auf Distanz gingen und einen Sicherheitsabstand zu ihr einhielten wie Konvoi-Frachter, die sich von einem angeschossenen Schwesterschiff entfernten, dessen schwer beschädigte Triebwerke jeden Augenblick explodieren und sie in einen feurigen Untergang mitreißen konnten.

Der Einzige, der wirklich zu ihr hielt, war Commander Rellnik, der keine Gelegenheit versäumte, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Aber seine betonte Freundlichkeit machte alles nur noch schlimmer, wenn das überhaupt möglich war, weil er für sein Helfersyndrom bekannt war und deshalb unbewusst allen anderen signalisierte, dass Jessamy auf seine Barmherzigkeit angewiesen war.

Übrigens hätte auch Chevan, der im Grunde ein gutmütiger Zeitgenosse war, das Kriegsbeil nur zu gerne wieder begraben, zumal sein Harmoniebedürfnis schrecklich unter der ungerechten und völlig unverdienten Feindseligkeit litt, die ihm seine eigensinnige junge Kollegin neuerdings entgegenbrachte. Aber natürlich biss er mit seinen zaghaften Versöhnungsversuchen auf Granit, denn Jessamy klammerte sich schon aus purem Trotz an die Rolle der Ausgestoßenen und wäre lieber tot umgefallen, als zuzulassen, dass die charakterlose Wanze vom Schreibtisch nebenan Frieden stiftete.

So saßen sie sich also tagein, tagaus in verbissenem Schweigen gegenüber, denn an dieser verhärteten Front wurde jeder überflüssige Wortwechsel schon durch Jessamys abweisende Miene im Keim erstickt.

Dieser starre unnachgiebige Ausdruck hatte sich ihrem Gesicht bereits eingeprägt und sie fing gerade damit an, eine Aura von allgemeiner Verachtung auszustrahlen, die es ihren beunruhigten Kollegen nicht gerade leichter machte, über den eigenen Schatten zu springen und Zivilcourage zu zeigen, indem sie der Verfemten den Rücken stärkten.

Bei ihren ruhelosen Streifzügen durch die belebten Korridore und Decks der Warbride erinnerte Jessamy jetzt schon ein wenig an eine einsame und entsprechend angriffslustige Wölfin auf der Pirsch und es würde wohl nicht mehr allzu lange dauern, bis jeder, der den Fehler beging, ihren Weg zu kreuzen und sie anzusprechen, nur noch ein Zähnefletschen zur Antwort bekam.

So standen also die Dinge auf der Warbride und unter diesen Umständen war es nur natürlich, dass Jessamy sich immer öfter wilden Fluchtphantasien hingab. Aber so leicht machte Dakall es ihr nun auch wieder nicht – und am Ende blieb Jessamy nichts anderes übrig, als genau das zu tun, was sie schon die ganze Zeit über getan hatte: Warten. Auf die entscheidende Wende hoffen.

Und die entscheidende Wende kam ...

… und hob Jessamys Welt endgültig aus den Angeln …


Fortsetzung folgt …