Jahr 4

Kapitel 12 - Die Hinrichtung

Im Juni waren die Prüfungen und die Lehrkräfte noch beschäftigter als sowieso schon. Amina hatte es sich jedoch nicht nehmen lassen, ihren Urgroßonkel zu überreden, dass sie ihn zu Seidenschnabels Hinrichtung begleiten durfte. Er hatte es erst nicht gewollt, weil er befürchtete, dass Lucius denken könnte, sie wäre gegen ihn. Doch Amina hatte nicht lockergelassen. Also liefen sie an Albus Seite zusammen mit dem Minister, dem Henker und dem alten Ausschussmitglied für die Beseitigung gefährlicher Geschöpfe zu Hagrids Hütte.

Schon auf dem Weg bemerkte sie, dass sich Potter und seine Anhängseln in der Nähe aufhielten. Doch sie konnte sie aus ihr unerklärlichen Gründen nicht direkt orten. Lediglich bei dem Weasley war sie sich sicher, dass er gerade von Hagrid durch die Hintertür geleitet wurde. Potter und Granger schienen irgendwie sowohl bei dem Weasley als auch auf dem Gelände zu sein. Doch das war nicht möglich. Außerdem befand sich Pettigrew in der Hütte. Sie bekam wieder Kopfschmerzen. Ihr ging es seit den Osterferien zwar ein wenig besser, doch vollkommen normal war es immer noch nicht. Vor allem, weil sie ihre Seromentik noch nicht stabil halten konnte. Gerade wenn sie müde war oder nicht ganz bei der Sache, was sehr oft an Severus lag, konnte es passieren, dass sich ihr Geist selbstständig machte und wieder jeden Geist in ihrer Umgebung analysierte.

Bei Hagrids Hütte angekommen klopfte ihr Urgroßonkel behutsam an die Tür. Amina war unruhig. Sie bemerkte, dass Weasley die panische Ratte mitnahm. Hoffentlich versuchte der Verräter nicht zu fliehen oder die Jugendlichen anzugreifen. Sie selbst würde nicht einfach von der Hinrichtung weggehen können, ohne Verdacht zu erregen. Dem Minister war ihre Anwesenheit sowieso schon ein Dorn im Auge.

Er konnte sie nicht leiden. Schon seit ihrem ersten Zusammentreffen, bei dem Amina ihm gedroht hatte, seiner Frau von seiner damaligen Affäre zu erzählen, wenn er sie nicht behandelte, wie man eine Unschuldige zu behandeln hatte. Er war von ihrer Unschuld nie überzeugt und hatte versucht, sie mit haltlosen Anschuldigungen und unverschämten Behauptungen aus der Reserve zu locken.

Amina bemerkte, wie sich Weasley und Pettigrew entfernten und nahm an, dass auch Potter und Granger bei ihm waren, doch sie war sich bei ihnen immer noch nicht sicher. Sie schüttelte leicht den Kopf, um den Gedanken an die Schüler zu vertreiben. Albus warf ihr einen fragenden Blick zu und sie tippte sich unauffällig auf die Stirn. Er nickte kaum merklich und sie verband ihren Geist mit seinem. Sofort bemerkte er, was sie auch bemerkte.

Pettigrew ist bei dem Weasley. Ich denke, das könnte gefährlich werden.", sagte sie in Gedanken zu ihm. „Pass auf, wo die beiden hingehen. Ich kann nichts unternehmen, so lange Cornelius anwesend ist und Severus und du auch nicht. Pettigrew ist Voldemorts Verbündeter. Wenn ihr ihn abhalten würdet, zu ihm zu fliehen, würde er euch enttarnen." „In Ordnung." Sie löste die Verbindung wieder, denn sie bemerkte, wie der Schulleiter mit ihrer Verbindung zu kämpfen hatte. Auch ihm schienen die vielen Eindrücke Kopfschmerzen zu bereiten. Zudem musste er ihre eigenen spüren, die mit jeder Minute, in der sie Potter und Granger ausgesetzt war, schlimmer wurden.

Der Minister und der Abgeordnete hatten sich während des kurzen Gedankenaustauschs mit Hagrid unterhalten. Fudge verlas den Hinrichtungsbefehl. Amina bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Es waren immer noch Potter und Granger. Außerdem schien auch etwas mit den Hippogreif zu sein. Amina trat von einem Fuß auf den anderen. Gerade als der Henker durch die Tür wollte, zog Amina ihrem Uhrgroßvater am Ärmel und nickte zu dem Dokument, auf den noch eine Unterschrift fehlte. Albus wies den Henker darauf hin. Dieser fluchte und unterschrieb das Papier. Erst dann trat er polternd in den Garten. Dort war aber kein Hippogreif mehr. Sie bemerkte ihn im Wald. Hütete sich jedoch etwas zu sagen. „Wo ist er?(18)", fragte das alte Ausschussmitglied. Der Henker beteuerte, dass Seidenschnabel gerade noch da gewesen war.

Ihren Urgroßonkel schien das Ganze zu amüsieren. Er machte den Anschein, als wüsste er mehr, als er zeigte. Hagrid war überglücklich. Der Henker schlug frustriert auf den Zaun und forderte, dass das Tier gesucht werden würde. „Das Tier ist nicht in der Nähe. Das würde ich merken.", sprach Amina mit ruhiger Stimme. Angestrengt versuchte sie ihre Schmerzen zu unterdrücken. Der Minister sah sie grimmig an. „Sie müssen es ja wissen.", sagte er bitter. Amina bemerkte, wie er an ihre erste Begegnung dachte. Der Henker schien frustriert und Albus schlug ihm heiter vor den Himmel abzusuchen. Dann fragte er Hagrid nach einem Getränk. Amina folgte den Männern nach einem langen Blick auf den Verbotenen Wald. Es interessierte die brennend, was das alles zu bedeuten hatte.

„Amina, wollen Sie auch einen Tee?", fragte Hagrid sie strahlend. „Nein danke, Hagrid. Ich muss mich leider verabschieden. Die Prüfungen müssen korrigiert werden.", redete sie sich raus. Noch länger würde sie es mit so vielen Menschen nicht aushalten. Zudem musste sie die Kinder im Auge behalten. „Oh, schade. Na, dann sehen wir uns morgen beim Frühstück. Arbeiten Sie nich zu lang.", antwortete er enttäuscht und doch glücklich. Sie verabschiedete sich von den anderen Anwesenden mit einem kurzen Nicken und verließ die Hütte.

Weasley und Pettigrew waren nicht ins Schloss zurückgekehrt Ihre Geister schienen in der Nähe der Peitschenden Weide zu sein. Black schien ebenfalls dort zu sein. Bei Potter und Granger konnte sie es nicht sicher sagen. Sie würde Remus und Severus verständigen und dann selbst bei dem Baum nachsehen gehen. Ihre Kopfschmerzen wurden schlimmer. Was auch immer nicht mit Potters und Grangers Geistern stimmte. Es reizte ihre sowieso schon gespannten Sinne.

Im Schloss angekommen lief sie zielstrebig auf das Büro des Verteidigungslehrers zu. Severus musste sie erst noch in alles einweihen, doch den Braunhaarigen würde sie vorschicken können. Black war unbewaffnet und die Teenager der Meinung, er sei der Böse. Es sah schlecht für ihn aus. Amina wurde schwindlig.

Mit einer Hand stützte sie sich an der Wand ab und blieb stehen. Ihre Gedanken rasten. Nein, nicht nur ihre. Es waren noch viele andere dabei. Ein Wechsel an Gefühlen überkam sie. Sie hatte nicht auf ihre Seromentik geachtet. Verzweifelt versuchte sie ihren Geist im Zaum zu halten und lief langsam weiter. Sie musste zu dem Werwolf kommen.

Sie kam noch einige Schritte weit. Gerade als sie eine Abkürzung hinter einem der Wandvorhänge nahm, verlor sie das Bewusstsein und schlug hart auf den steinernen Boden auf.

Das Nächste, was sie bemerkte, war, wie sie jemand umdrehte und an der Schulter rüttelte. Der- oder diejenige sprach mit ihr. Sie verstand ihn nicht. Zu schwach, um die Augen zu öffnen versuchte sie über die unzähligen Gedanken hinweg wahrzunehmen, wer er war, doch es gelang ihr nicht und sie wurde erneut ohnmächtig.

Aminas Kopf tat weh, als sie das nächste Mal zu Bewusstsein kam, doch sie hatte keine fremden Gedanken im Kopf. Verwirrt öffnete sie langsam die Augen. Es war hell und sie kniff die Augen zusammen. Wo war sie? Ihr Auge gewöhnte sich an das Licht und sie sah eine hohe Decke. Langsam hob sie den Kopf und sah Betten. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie ebenfalls in einem lag. Sie musste im Krankenflügel sein. „Sie sind wach? Was für ein Glück!" Als Poppy sie ansprach, zuckte sie erschrocken zusammen. Sie hatte die Heilerin nicht bemerkt. „Was ist passiert? Was ist los mit mir?", fragte sie verwirrt und richtete sich vorsichtig auf. Ein stechender Schmerz fuhr in ihren Kopf und sie legte eine Hand auf ihn.

„Filius hat Sie bei einem seiner Rundgänge bewusstlos hinter einem Wandvorhang im zweiten Stock gefunden. Wir haben Sie einfach nicht wach bekommen, Liebes.", erklärte Poppy ihr aufgeregt. „Sie haben einiges verpasst, wissen Sie? Sirius Black wurde geschnappt und ist keine Stunde später geflohen. Remus hat gekündigt und die Dementoren sind auch weg. Professor Snape ist rasend vor Wut. Ich habe ihn noch nie so gesehen.", berichtete sie ihr.

Amina stutzte. „Black ist geflohen? Wie lange war ich bewusstlos?" „Das ist schwer zu sagen. Wir wissen nicht, wie lange Sie schon da lagen. Aber da sie zuletzt bei der fehlgeschlagenen Hinrichtung von Hagrids Hippogreif gesehen wurden, dürfte es eine Woche gewesen sein. Wir können froh sein, dass sie überhaupt noch mal aufgewacht sind. Der Direktor meinte, Ihre Legilimentik hätte Sie übermannt. Ihr Kopf war einfach überlastet.

Erst heute Morgen ist Professor Snape mit einem Trank hier rein gestürmt und hat irgendetwas zu Ihnen gesagt. Er wollte mir nicht sagen, was es für ein Trank war. Doch wie es aussieht, hat er geholfen. Wie fühlen Sie sich?" „Severus hat mir einem Trank gegeben?", fragte sie verwundert. Was es für einer gewesen sein mag? Bis jetzt waren doch alle Tränke wirkungslos. „Ja, Sie sind ja noch ganz durcheinander. Sagen Sie schon, wie geht es Ihnen? Haben Sie Schmerzen?" Poppy wirkte ungeduldig.

Amina starrte sie an. Kein Gefühl war zu erkennen. Kein Gedanke zu erahnen. Hatte Severus ihr ihre Fähigkeit genommen? Das konnte nicht sein. Sie war ein Teil von ihr. Einer ihrer wichtigsten. Auch wenn sie diese Fähigkeit in dem Schuljahr mehr als einmal verflucht hatte, konnte sie sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen. Sie hatte das Gefühl, einen Teil ihrer selbst verloren zu haben.

„Ich bin blind.", flüsterte sie entsetzt und schüttelte den Kopf. „Ich bin blind." Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. „Was? Sie sehen nichts mehr? Zeigen Sie mir Ihr Auge! Hat der Trank Ihr letztes Auge etwa auch noch geblendet?!", schrie Poppy schon fast. „Ich bin blind, Poppy. Ich spüre nichts mehr. Ich höre nichts mehr. Sie sind weg. Meine Legilimentik ist weg." Amina kämpfte mit den Tränen. „Aber Liebes, ist das nicht gut?", fragte die Heilerin sie sanft und setzte sich neben sie. Amina schüttelte den Kopf und sah ihr in die Augen. „Poppy, sie ist nicht eingedämmt. Sie ist weg! Es ist so leise." Ihre Stimme verlor jeden Ton. Sie sah traurig auf die weiße Bettdecke.

Poppy streichelte ihr über die Schulter. „Ich werde Ihnen einen Tee machen und Dumbledore Bescheid geben. Er hat sich furchtbare Sorgen um sie gemacht. Sie waren zwei Tage verschwunden, bevor Filius Sie fand." Sie stand auf und lief davon. Amina blieb sitzen und starrte weiter auf die weiße Decke. Sie fühlte sich einsam. Was hatte Severus mit ihr gemacht? Wie konnte er ihr so etwas antun?

Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie Schritte hörte. Sie waren ihr egal. Es war egal, wer den Krankenflügel betrat. Sie spürte es nicht. Es war als hätte sie eines ihrer Sinnesorgane verloren. „Amina, du bist wach.", sprach ihr Urgroßonkel sie an. Doch sie reagierte nicht. Starrte weiter auf die Decke. Eine warme Hand legte sich auf ihren Unterarm. Wieder zuckte sie erschrocken zusammen. „Was ist los, meine Liebe? So habe ich dich noch nie gesehen.", sprach Albus sie mit sanfter, aber besorgter Stimme an. „Ich bin blind.", flüsterte sie monoton. Der Schulleiter hätte sie fast nicht gehört.

„Deine Legilimentik ist weg?", fragte er überrascht. Amina nickte und zog ihre Knie an. Ihr Kinn legte sie auf ihren Knien ab. Sie traute sich nicht, ihren Urgroßonkel anzusehen. „Warum hat er mir das angetan?", fragte sie leise. „Ich weiß nicht, was Severus dir gegeben hat. Er wollte es keinem verraten. Er schien sauer auf dich zu sein. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er dir schaden wollte." „Weiß er es? Hat ihm jemand erzählt, wie ich in der Sache mit Black drinstecke?" Erst jetzt sah sie ihm traurig in seine blauen Augen. „Ich denke, ja. Aber ich war es nicht. Ich hielt es für besser, wenn ihr das unter euch klärt.", antwortete er ruhig. Sie kniff die Augen zusammen. „Er wird mir das niemals verzeihen.", flüsterte sie und fühlte, wie ihr Herz brach. Ihr lief eine einsame Träne über die Wange.

Nachdem Albus ihr einen groben Überblick über die Geschehnisse der letzten Woche gegeben hatte, ging er, damit sie sich ausruhen konnte. Tatsächlich schlief sie wenig später wieder ein.

Erst gegen Abend erwachte sie wieder. Poppy hatte ihr etwas zu Essen neben das Bett gestellt, doch sie rührte es nicht an. Sie fühlte sich leer. Ihrer Kräfte beraubt und weggestoßen von dem Mann, mit dem sie ihr Leben verbringen wollte. Auch wenn sie noch nicht mit ihm gesprochen hatte.

„Liebes, Sie müssen etwas essen! Sie verhungern mir noch.", schimpfte Poppy zwei Tage später. Amina hatte, seitdem sie aufgewacht war, lediglich einen Apfel gegessen. Zu mehr hatte sie sich nicht durchringen können. Albus hatte sie jeden Tag besucht und versucht ein wenig aufzuheitern. Er hatte auch erzählt, das Aberforth sich ebenfalls um sie sorgte und sauer auf ihn war, weil er ihr nicht geholfen hatte. Minerva, Filius, Pomona, Aurora, Charity und Bathsheda hatten sie ebenfalls besucht und ihr alles Mögliche erzählt. Sie schätzte ihre Bemühungen, doch keiner von ihnen konnte ihr helfen. Eine tiefe Trauer hatte von ihr Besitz ergriffen. Poppy hatte Bess verboten, in den Krankenflügel zu kommen und die Eule wäre eine der wenigen, die sie ein wenig hätte trösten können. Amina starrte wie in den Tagen zuvor auf einen Punkt auf ihrer Bettdecke und versank in ihrer Trauer.

Weitere zwei Tage später reagierte sie einfach nicht mehr, wenn man sie ansprach. Sie blieb in ihrem Bett und zuckte zusammen, sobald man sie berührte, doch zu mehr war sie nicht fähig. Poppy hatte angefangen, sie zum Essen und Trinken zu zwingen, damit sie sich nicht vollkommen verlor. Severus war bis jetzt nicht zu ihr gekommen.


(18) Rowling J. K., 2017. Harry Potter und der Gefangene von Askaban. Schmuckausgabe. Hamburg: Carlsen Verlag GmbH. Harry Potter. 3. S. 300. ISBN 978-3-551-55903-6