Gryffindors waren schlechte Lügner. Professor McGonagall wusste es immer, wenn die Jungs logen, Professor Snape wusste es immer, wenn sie log. Und sie hatte gewusst, dass er etwas verheimlichte.
Was sie nicht wusste, war, wie sie aufrichtig entsetzt aussehen sollte, wenn sie es doch nicht war.
Umdrehen, ans Fenster, niemanden ansehen.
Als er sich zu ihr umgedreht hatte, hatte sie es geahnt. Das passte nicht zu ihm. Irgendetwas an der Situation war falsch gewesen.
Aber alles zwischen ihr und Snape hatte einen gemeinsamen Nenner: Geheimnisse. Sie hatte welche, er hatte welche, beide bewahrten und beide teilten welche. Mit Mord hatte sie allerdings nicht gerechnet.
Ist es Mord, wenn es abgesprochen war?
Denn das musste es gewesen sein. Severus Snape war kein Verräter. Nur voller Geheimnisse …
„Das ist alles meine Schuld." McGonagalls dünne Stimme bohrte sich brutal in ihre Gedanken.
Scheiße. Wie soll ich das geheim halten?
„Geht es dir gut, Liebes?" Die zitternde Hand auf ihrer Schulter gehörte zu Madam Pomfreys furchtbar blassem, furchtbar altem, furchtbar verletztem Gesicht.
„Ja, ich bin okay."
Lüge.
Und Madam Pomfrey wusste es. „So okay wie wir alle, nicht wahr?"
„Ja …"
Gryffindors waren schlechte Lügner. Also lernte sie besser schnell, keine Gryffindor mehr zu sein.
Aber ihre Gryffindorseite zu unterdrücken, als Harry das Buch das Halbblutprinzen in den Kamin warf, war hart. Sehr hart.
„Ich fass es nicht, dass es seins war!"
Starr es nicht an!
„Das ganze Jahr über! Ich hab gedacht, er -"
Nicht hinstarren!
Aber wenn sie es haben wollte, musste sie Harry weglocken.
Es tut mir wirklich leid, Harry!
„Ich habe dich die ganze Zeit vor dem Buch gewarnt …"
Es tut mir leid! Es tut mir leid! Es tut mir so, so leid!
Sein Blick tat weh wie ein Schlag ins Gesicht, sein Schnaufen raubte ihr den Atem. „Klar …"
Aber er stürmte davon. Natürlich, er war schließlich ein Gryffindor, das Drama lag ihnen einfach im Blut.
„War das wirklich notwendig, Hermine?"
Ja, Ron, war es. Und jetzt sei der treue Freund, der du bist, und geh ihm nach!
Was er tat. Aber wenn das Portrait der Fetten Dame eine Tür gewesen wäre, hätte er sie hinter sich ins Schloss geknallt, so laut, dass selbst der Kraken im See es noch gehört hätte.
Ich mach es wieder gut.
Später.
„Accio Buch!"
Die Flammen, die an den Ecken und Kanten gezüngelt hatten, erstickten unter ihrem Umhang, den sie darüber warf.
Ihr schlechtes Gewissen nicht.
Bücher, Bilder, Dokumente, Zeugnisse.
Getöpferte Aschenbecher.
Gemalte Was-auch-immers.
Snapes Hände einen Zentimeter über ihrem nackten Bauch, so heiß, dass sie sie spüren konnte.
Kartons mit altem Spielzeug vom Dachboden.
Gebastelte Mutter- und Vatertagskarten.
Eine Schürze mit dem Aufdruck 'Bester Dad der Welt'.
Das kleine Keuchen, halb verkniffen, als würde nicht passieren, was gerade passierte, wenn es nur lautlos passierte.
Der Gipsabdruck ihrer Babyfüße.
Die kleine Box mit Milchzähnen vom Kamin.
Das Foto von ihr und ihrer Mum ein paar Stunden nach der Geburt aus der Brieftasche ihres Vaters.
„Sei nicht meine Schülerin." – „Bin ich nicht." – „Doch, bist du." – „Jetzt bin ich nur irgendjemand. Ugh, fester!"
Einen einzigen Karton unter dem Arm, stand sie schließlich in der offenen Schlafzimmertür von Wendell und Monica Wilkins, in einem Haus, in dem niemals ein Kind gelebt hatte, in dem das Kinderzimmer als Sportraum genutzt wurde und in dem es Rotwein zum Abendessen gab.
Rotwein, der mit Traumlosschlaftrank versetzt gewesen war.
Wie nennt man eine Tochter, deren Eltern sich nicht an ihre Existenz erinnern können?
„Irgendjemand steht dir nicht." – „Fell auch nicht, aber was soll's? Wir sind alle, was wir sein müssen, oder?" – „Warte!" – „Was? Ich muss zum Unterricht." – „… Vergiss es."
„Ich wünschte, ich könnte."
„Das ist übel, oder?"
Beinahe hätte sie das Buch zugeschlagen und verschwinden lassen. Ihre Finger hatten schon gezuckt. Gryffindor.
Aber für Ron sah das Buch des Halbblutprinzen aus wie eines aus Professor Dumbledores Büro. Die über Horkruxe.
Unglaublich, dass ihn das weniger aufregt als die Wahrheit.
„Hermine?"
„Ja! 'Tschuldige, ich war in Gedanken."
„Hab's gemerkt. Was steht da drin?"
Nichts darüber, wie ich an Wolfsbanntrank rankommen kann.
„Finsteres Zeug. Diese Horkruxe … Das ist wirklich übel." Selbst ohne einen wilden Werwolf. „Ich frage mich, wie Harry sie finden will."
Sein typisches Schulterzucken. „Dumbledore wird's ihm wohl gesagt haben, oder?"
„Ja, hoffentlich …"
Zehn Tage bis Vollmond und kein Plan.
Jedenfalls keinen besseren als im Wald zu verschwinden. Ihre alte Grundschule war inzwischen abgerissen worden.
Wie sollte das bloß in den nächsten Monaten funktionieren? Die Perlentasche, die sie verzaubert hatte, war jetzt schon halbvoll mit Camping-Equipment, Proviant, Kleidung, Büchern – die Wahrscheinlichkeit, dass sie einen festen Ort fanden, von dem aus sie agieren konnten, hingegen gering. Sie konnte den Jungs schließlich nicht sagen, dass Grimmauldplatz Nummer 12 immer noch geschützt war.
Vielleicht konnte sie sie überreden? Es war bequem …
Aber ist es sicher?
Traute sie sich wirklich zu, einen der Räume magisch so abzusichern, dass sie sich dort verwandeln und es vor den beiden verbergen konnte?
Vielleicht …
Das wären ein paar hilfreiche Themen für Nachhilfe gewesen, Professor Snape!
Snape …
Sie musste es wagen.
Ginny drehte sich auf die andere Seite, Hermine aus dem Bett. Papier, Stift, Geld und hinüber ins Bad. Ugh, hell …
'Wie viel Halbblut steckt noch im Prinzen?
Irgendjemand aus dem Erdloch'
Die Eule brauchte zehn Minuten vom Zentralpostamt zum Fuchsbau. „Bring den Brief Severus Snape, nur ihm! Ich weiß leider nicht, wo er ist."
Die Eule schuhute leise und verschwand im Glimmen der aufgehenden Sonne.
War das jetzt Slytherin oder dumm?
'Ich gebe es ungern zu, aber Sie hatten recht, Miss Granger: Ich habe unsere privaten Unterrichtsstunden für die falschen Zwecke genutzt. Irgendjemand aus dem Erdloch?!
Sparen Sie sich in Zukunft Ihre amateurhaften Versuche von codierten Nachrichten, meine Post ist sicher.
S. Snape'
„Angeber …"
Aber ein Angeber, der Wolfsbanntrank geschickt hatte.
Und den Trank für den Morgen danach.
Zurück zum Althergebrachten …
„Hermine?"
Scheiße! Nox!
„Ja?"
„Sei so lieb und komm herein. Ich habe kein gutes Gefühl dabei, wenn ihr euch jetzt im Dunkeln draußen herumtreibt."
„Natürlich, Mrs Weasley."
Ihre Post war nicht sicher. Und würde es im Fuchsbau auch niemals sein.
Eine vorgetäuschte Magen-Darm-Grippe, die ihr für eine Nacht ein Einzelzimmer bescherte, eine halsbrecherische Rettungsaktion, die ihnen Harry bescherte, und eine fast perfekte Hochzeit, die ihnen eine überstürzte Flucht bescherte, später war die mangelnde Diskretion im Fuchsbau nicht mehr ihr größtes Problem.
'Wir sind jetzt im Haus am Grimmauldplatz. Irgendeine Idee, wie wir einen Einbruch ins Ministerium unbeschadet überstehen könnten? H.G.'
'Eine: Seien Sie einmal im Leben clever und lassen Sie es bleiben. S.S.'
„Nicht hilfreich …"
Ihr gefiel Harrys Plan auch nicht, aber da ihr kein besserer einfallen wollte, um an dieses Medaillon zu kommen, würde er wohl seinen Willen kriegen.
.
Drei Jahre als Werwolf hatten einiges mit ihr gemacht. Sie war stärker. Sie war skrupelloser. Sie war verlogener.
Sie wurde zur Furie, wenn sie Remus Lupin sah.
Innerlich.
Anschließen? Du willst dich uns anschließen? Ist das dein scheiß Ernst? Du hast eine Frau! Schwanger noch dazu! Übernimm zur Abwechslung mal Verantwortung für das, was du getan hast! Deinetwegen bin ich ein Werwolf! Nur weil es offenbar zu viel verlangt ist, eine Woche lang jeden Abend einen scheiß Trank zu nehmen! Ich hasse dich! Und der einzige Grund, warum du es nicht weißt, ist, dass es dann alle wüssten! Manchmal bin ich so kurz davor, es öffentlich zu machen! Und wenn du es wagen solltest, dich uns anzuschließen, dann werde ich es tun! Mir egal, wer es dann erfährt! Mir egal, ob du dann in Askaban landest! Du willst deine Familie sowieso im Stich lassen, warum sollte es mich also kümmern! Ich hasse dich!
Harry fand ähnlich deutliche Worte, minus den ganzen Werwolf-Kram. Sie wusste nicht, ob er dieselbe Genugtuung spürte, als Lupin mit eingekniffenem Schwanz abzog. Vermutlich nicht. Aber ihre schmeckte süß wie Honig.
„Hermine?"
„Ich gehe duschen."
Zum Rauschen des heißen Wassers schrieb sie an Snape: 'Ich hasse ihn!'
Snape ignorierte ihren Brief.
Besser so. Je mehr Zeit verging, desto peinlicher war es ihr, dass sie ihn überhaupt abgeschickt hatte. In London kamen die Zentralpost-Eulen einfach viel zu schnell …
Ende August schickte er jedoch ein kleines Notizheft. Leer. Die Eule erwischte sie, als sie sich nachts ein Glas Wasser holte. Nach ein paar Zaubern wusste sie, dass es ein Gegenstück geben musste. Das ist genial …
'Es ist angekommen.'
'Gut.'
„Eloquent wie immer …"
Dann schrieb er mehr: 'Schicken Sie keine Eulen mehr, ich bin wieder in Hogwarts. Und ich möchte darum bitten, nur zu schreiben, wenn es wirklich notwendig ist.'
Ugh, hätten wir meinen Brief nicht einfach weiter ignorieren können?
'Natürlich. Ich möchte mich für meinen letzten Brief entschuldigen. Das war unangebracht.'
'War es.'
„Ich weiß!" Es war zwar nur ein Flüstern, aber das laut auszusprechen, notwendig.
'Wenn Sie mir allerdings schon so eine Nachricht schicken, dann schreiben Sie wenigstens dazu, auf wen sie sich bezieht.'
Ha! Neugierig war er also doch …
'Lupin …'
'Verstehe. Sie haben sich also bereits zurückgehalten.'
„Oh ja …"
'In Zukunft werde ich das noch mehr tun.'
Mehrere Minuten zogen vorbei.
Was hab ich jetzt Falsches geschrieben?
Dann: 'Passen Sie auf sich auf.'
Oh …
'Sie auch.'
Schrieb ich und ließ mich trotzdem von Harry ins Ministerium locken, um ein verdammtes Medaillon vom Hals einer Irren zu klauen!
Aber dieses Mal traf es weder sie noch Harry. Obwohl das Ministerium Schlammblüter in die Finger bekommen wollte, obwohl auf Harry ein Kopfgeld ausgesetzt worden war – schlussendlich war es Ron, der beinahe vor ihren Augen verblutete.
Scheiße … Das war …
Scheiße!
„Lass mich dir helfen."
„Geht schon."
„Aber -"
„Ich sagte, es geht schon, Harry!"
„O-kay!"
„… Kümmer dich einfach um Ron."
„Sicher …"
Verdammte Scheiße!
Und wo zum Teufel war dieses Zelt? Sie musste sich waschen, da war … einfach zu viel Blut.
'Wir sind ständig unterwegs. Was soll ich tun?'
Die Seite blieb leer.
Ich hoffe, Sie sind bloß zu beschäftigt zum Antworten und nicht genauso ratlos wie ich … In drei Tagen brauchte sie den Wolfsbanntrank. Das oder später einen triftigen Grund für ihr Verschwinden.
Aber erst mal ein lösbares Problem: Frühstück.
„Schon wieder Eier?"
Nun, außer Ron machte es zu einem unlösbaren.
„Wir haben nichts anderes."
„Na toll …"
„Ich hab es mir nicht ausgesucht, Ron!"
„Ich auch nicht!"
„Hört auf, alle beide! Keiner von uns hat sich das ausgesucht!"
Dieses Mal war Ron derjenige, der Gryffindor-Drama bewies. Dass man die Zeltklappe auch nicht zuknallen konnte, half nicht.
„Bist du okay, Hermine?"
„Sicher …"
Aber wirklich okay war sie erst, als sie vier Apparationen später eine Antwort von Snape bekam: 'Rufen Sie nach Madry.'
Also tat sie das. Die Hauselfe überreichte ihr wortlos zwei Phiolen – den Wolfsbanntrank und den Trank gegen Übelkeit.
„Richte Professor Snape meinen Dank aus."
„Ja, Miss."
Und weil alle von ihnen ständig schlechte Laune hatten und sie so vorausschauend gewesen war, die Nachtwachen immer nur mit Zweien von ihnen zu besetzen – „So kann jeder von uns ab und zu mal eine Nacht durchschlafen." –, blieb ihr Geheimnis vorerst genau das.
Dreiundzwanzig Tage und zehn Stunden später waren sie nur noch zu zweit.
Er ist deinetwegen gegangen.
Nur deinetwegen.
Das ist alles deine Schuld.
Anfassen. Herumzupfen. Festhalten. All das tat sie mit dem Medaillon, aber es stoppte nicht die Gedanken.
Deine Schuld.
„Nein …"
Laut antworten half.
Kurz.
…
Deine Schuld.
Alles deine Schuld.
„Nein …"
Oder?
War sie zu viel gewesen? Zu fordernd? Oder hatte sie … zu viel falsch gemacht?
Nein! Sie waren alle müde, sie wussten alle nicht, wie es weitergehen sollte. Und für wie lange. Das hier war keine Schnitzeljagd, niemand hatte ihnen Spuren ausgelegt. Es gab kein festes Ziel, kein Ende ohne es geschafft zu haben.
Oder doch, aber das war keines, das sie sehen wollte.
Was sie außerdem nicht sehen wollte, war Harry im Zelteingang, als sie den Wolfsbanntrank nahm.
Scheiße! „Harry …"
„Schau mich nicht so an. Ich bin nicht dumm, ich weiß es schon lange. Du kriegst den von Snape, oder?"
Ja.
„Kannst du ihm wirklich trauen?"
„Wir alle können es."
„Hm. Kann er uns helfen?"
„Ich ähm … glaube nicht."
Sieh dich an! Verlogener Werwolf mit dem Trank in der Hand wie ein Junkie.
„Nein …"
„Was?"
„Nichts! Es tut mir leid."
„Hm. Kannst jedenfalls aufhören, dich zu verstecken."
Das Lagerfeuer, an dem sie ihn fand, fraß sich durch zwei feuchte Holzscheite und die wackligen Pfeiler ihrer Freundschaft. „Seit wann weißt du es?"
Schulterzucken. „Halbes Jahr nach deiner Verwandlung?"
„Wa-as?" So lange? Aber …
„Es war doch Lupin, oder?"
„… Ja."
Ein Stück Holz zerbröselte unter Harrys Stochern. „Tut mir leid."
„Nicht deine Schuld."
„Hm …"
Aber er gab sich doch die Schuld, sie konnte es ihm ansehen. „Harry, es -"
„Warum hast du es uns nie gesagt?"
Weil ich mich geschämt habe. Weil es ein bisschen weniger real sein konnte, solange ihr es nicht wusstet. Weil ihr es zu eurem Problem gemacht hättet. „Ich konnte es nicht."
„Was dachtest du, dass wir tun? Dich fallenlassen?"
„Nein!"
„Was dann? Warum konntest du nicht mit uns reden?"
„Weil ich für euch nicht der Werwolf sein will!"
„Aber -"
„Ich kann der muggelgeborene Streber sein, aber nicht der muggelgeborene Streber-Werwolf, Harry! Ich kann das einfach nicht!"
„Aber bei Snape war's okay, ja?"
„Ja! … Nein. Ich hab es ihm nicht freiwillig gesagt, er hat es einfach rausgefunden. Er ist schließlich auch nicht dumm."
„Nein, nur ein Mörder …"
Na klar … Aber als sie gehen wollte, hielt er ihre Hand fest.
„Für mich bist du einfach nur Hermine, okay?"
Nein, nicht okay. Einfach nur Hermine war schon eine Ewigkeit vorbei.
Sie blieb trotzdem.
„Weiß Ron es auch?"
„Glaub nicht. Wir haben nie drüber gesprochen, also …"
Aber Ron hätte es nicht so verheimlichen können wie Harry. „Weg von mir, Werwolf!" So hatte er auf Lupin reagiert. Ja, sie hätte es definitiv bemerkt.
„Wie hat Snape es eigentlich rausgefunden?"
„Er ähm … hat mich davor bewahrt, bei meiner zweiten Verwandlung im Schloss jemanden zu verletzen."
„Und er hat es einfach so für sich behalten? Nachdem er Remus gerade verraten hatte?"
Dieses Mal war das Schulterzucken ihres. Diese Kiste würde sie nicht anrühren. Zu viele Geheimnisse, die nicht ihre waren.
„Also weiß es sonst wirklich niemand?"
„Nein. Und ich will, dass es so bleibt, Harry. Ich werde schon dafür verfolgt, dass meine Eltern Muggel sind. Wenn jetzt auch noch rauskommt, dass ich ein Werwolf bin … Außerdem könnte das Folgen für Lupin haben. Er wird Vater. Wir können es nicht riskieren, dass er -"
„Schon gut! Ich werd's niemandem sagen, okay? Hab ich die letzten drei Jahre ja auch nicht."
„Danke."
„Aber dass ausgerechnet Snape …"
„Er ist wirklich in Ordnung, Harry. Warum hätte er mir sonst helfen sollen? Das alles muss abgesprochen gewesen sein."
„Hm."
„Wo willst du hin?"
„In den Wald."
„Aber es ist gefährlich!"
Ach, wirklich? „Niemand wird einen Werwolf angreifen, Harry." Man würde höchstens versuchen, sie zu rekrutieren …
„Warum bleibst du nicht hier? Mit dem Trank und so …"
„Ich fühl mich nicht wohl, wenn du -"
„Ich bleib draußen! Ehrlich! Ich übernehme die Wache und du bist im Zelt und …"
Wow … Verzweifelt wie Neville vor einem überschäumenden Kessel. Das Medaillon verursachte wirklich einen Kurzschluss im Denken.
„Ich komme wieder, Harry."
„Ja … natürlich … 'Tschuldigung."
Sagte er und kauerte sich ans Feuer.
Oh, verdammt …
„Na schön. Aber wehe, du kommst rein!"
„Tue ich nicht! Versprochen!"
Harry hielt sein Wort.
Den nächsten Vollmond verbrachte sie trotzdem im Wald; sie brauchten Essen.
„Bist du dir sicher, dass du das tun willst?"
„Ich bin mir sicher, dass ich weder verhungern noch beim Klauen erwischt werden will." Außerdem konnte sie … vielleicht den Wolf mehr rauslassen? „Ich krieg das schon irgendwie hin. Kannst du Tiere ausnehmen?"
„Keine Ahnung. Ist das wie bei Fischen?"
„Ich weiß es doch auch nicht!"
Harrys Magen mischte sich grollend in ihre Unterhaltung ein. „Ich werd's rausfinden. Schlimmer als der Basilisk kann es nicht sein …"
„Ich pass auf, dass es dich nicht mehr beißen will."
„Perfekt."
Perfekt … Nichts hieran ist perfekt!
Schnee war einfach ein lausiger Ersatz für Wasser und Seife und sie wünschte, sie hätte vorher ihre Nägel geschnitten.
Wie konnte überhaupt Blut unter ihren Nägeln sein? Ein Werwolf hatte nicht mal Fingernägel!
Verdammte Scheiße …
Die Stirn in den Neuschnee zu pressen, tat nichts gegen das Gefühl des zappelnden Hasens zwischen ihren Zähnen oder gegen das Geräusch seines brechenden Genicks, ihr Körper wusste nur plötzlich nicht mehr, wie man atmete.
Reiß dich zusammen, sofort!
In Snapes Stimme.
Es war notwendig gewesen, sie brauchten etwas zu essen.
Und außerdem hatte Harry den schwierigeren Job. Mitten in der Nacht, aus dem Schatten der Bäume heraus einen toten Hasen zugeworfen zu bekommen von einem Werwolf, der vielleicht eine Freundin war, vielleicht aber auch nicht, war Stoff für einige Albträume – vom Häuten und Ausnehmen des Tieres ganz zu schweigen.
Wenn das hier vorbei ist, werde ich Vegetarierin.
Aber jetzt hatte sie Blut unter den Fingernägeln, spürte das Zappeln eines Hasen, der seit Stunden tot war, hörte sein Genick unter der Kraft ihrer Zähne brechen und ihr Herz hörte einfach nicht auf, den irren Rhythmus des Krieges zu trommeln, der auf einmal noch viel, viel realer war als jemals zuvor.
Was außerdem real war, war die Schlange, die von Bathilda Bagshots Leichnam Besitz ergriffen hatte.
Und das Medaillon, das mit Harrys Haut verwachsen war.
Während Harry schrie.
Und sie das Ding von seiner Haut schnitt.
Das neue Blut unter ihren Fingernägeln, das war real.
Und der vibrierende Horkrux in ihren Händen.
Wie er flüsterte: Alles deine Schuld, du hättest es doch wissen müssen, dummes Mädchen!
Ihr die Diptamessenz beinahe aus den blutigen Fingern rutschte.
Deine Schuld!
Ja.
Dummes Mädchen!
Ja.
Alles geht kaputt wegen dir!
Ja.
Bald stirbt irgendjemand wegen dir!
Ja …
Bis: Irgendjemand steht dir nicht.
Snapes Stimme war wie durch die Wasseroberfläche brechen und tief Luft holen.
Passen Sie auf sich auf.
Wie die Hand, die einen nach oben zog.
Werden Sie jetzt etwa rührselig, Miss Granger?
Nein.
Sich vorzustellen, Snape stünde hinter ihr und beobachtete jeden ihrer Handgriffe, so wie früher im Zaubertrankunterricht, klärte ihren Kopf mehr als das Wegwerfen des Medaillons. Diptamessenz auf die Wunde. Ratzeputz! Noch mehr Diptam. Ratzeputz! Da! Sie schloss sich. Zarte, dünne Haut spannte sich über das rohe Fleisch. Merlin sei Dank.
Aber als sie sich zu Snape umdrehen und einen Blick mit ihm tauschen wollte, war er nicht da.
Dummes Mädchen.
„Du glaubst auch, dass es Snape war, oder?"
„Dass Snape was war?"
„Der Patronus."
Das Knistern des Feuers klang wie das Knacken von Zweigen, aber Ron stand nicht hinter ihr.
„Er schläft."
„Hm."
„Also … Dieser Patronus …"
„Ich weiß nicht, wessen Patronus das gewesen ist, Harry."
„Aber du glaubst, dass es Snapes war, oder? Dass er das Schwert in den Teich getan hat."
Oh, um Himmels Willen! „Ich weiß es nicht! Ich weiß nicht, wer auf einmal beschlossen hat, uns zu helfen! Ich weiß auch nicht, warum das so lange gedauert hat! Ich weiß es nicht! Ich -"
Harrys erhobene Hände ließen sie verstummen. „Also habt ihr … keinen Kontakt?"
Doch, theoretisch hatten sie den. Praktisch allerdings … „Nein. Ich rufe nur nach einer Hauselfe, das ist alles."
„Hm."
Sie hatte vorgestern darüber nachgedacht, ihm zu schreiben. Nach dem Fiasko in Godric's Hollow. Aber sie hatte es nicht getan. Es war nicht notwendig gewesen.
Und ihr zu sagen, dass er vorbeischauen würde, war auch nicht notwendig gewesen. Wenn es denn Snape gewesen war …
Mistkerl!
„Du bist ihm wirklich wichtig."
Was? „Was?"
„Ron."
Oh. „Ach ja?"
Selbst im flackernden Feuerschein konnte sie ihn erröten sehen. „Sei nicht so hart zu ihm."
„Nicht mehr als nötig."
Harry und Ron waren ihre Achillesferse.
„Crucio!"
Von Anfang an. Sie würde alles für die beiden tun, jederzeit, ohne Kompromisse.
„Woher habt ihr das Schwert?"
Sie würde die Hölle durchqueren, ihr Leben opfern, sich Fenrir Greyback ausliefern.
„Sag es mir!"
Sie würde lügen, foltern, töten, um die beiden zu beschützen.
„Crucio!"
Sie würde sich foltern lassen.
Aber das hier … Das war nicht für die Jungs.
„Wenn du es mir sagst, werde ich dich vielleicht nicht umbringen …"
Das war für Snape.
„Sag mir endlich, wo ihr das verdammte Schwert herhabt!"
Ich schweige, wenn Sie schweigen, Sir.
„CRUCIO!"
Wir haben einen Deal.
Der Cruciatus war genauso hässlich wie die Werwolfverwandlungen; es reichte einfach nicht, währenddessen zu leiden.
„Kommst du zurecht?"
„Ja, Ron. Geh Harry helfen."
„Er will keine Hilfe. Er sagt, Dobbys Grab ist seine Sache."
Natürlich … „Dann setz dich daneben. Vielleicht ändert er seine Meinung."
„Du wirst deine also nicht ändern?"
„Nein."
Ron hatte jedoch kaum aufgegeben, da stand sie dem nächsten Weasley gegenüber. „Wo willst du hin?"
„Raus. Ich brauche frische Luft."
Bill hatte den Blick seiner Mutter geerbt. „Ich komme mit."
„Nein. Ich habe Ron abblitzen lassen und ich werde dich abblitzen lassen."
„Ich will nicht, dass du allein draußen unterwegs bist."
„Warum? Hast du Angst, dass mich noch ein Todesser foltert?"
„Nicht witzig."
„Ein bisschen witzig ist es schon."
„Nein, gar nicht."
Hättest ja wenigstens so tun können … „Wie auch immer. Entweder lässt du mich freiwillig gehen oder ich zwinge dich dazu."
Sein raues Lachen erstickte, kaum dass es begonnen hatte, denn sie hatte Snapes Blick geerbt.
„Also?"
„Versprich mir, vorsichtig zu sein."
„Natürlich." Sie musste schließlich auf die Jungs aufpassen.
Und gerade brauchte sie dafür den Wolfsbanntrank.
Sie lief ein paar hundert Meter entlang der Klippen, ehe sie anhielt. „Madry!"
Und plötzlich doch wieder einem Todesser gegenüberstand.
„Danke, Madry."
„Professor Snape, Sir."
Der Knall der Apparation zerriss den Moment ihrer Überraschung. „Was willst du hier?" Sie waren viel zu nah am Cottage. Was, wenn Bill oder Ron -
„Es ist niemand hier außer uns."
Klar. „Ich habe nichts gesagt, falls du deswegen hier bist."
„Bin ich nicht."
„Weswegen dann?"
Stille.
Werden Sie jetzt etwa rührselig, Professor Snape?
Kühler Wind vom offenen Meer zerrte so plötzlich an ihren Haaren wie das Echo des Cruciatus an ihren Muskeln – beides versuchte, sie zu Boden zu strecken.
Stattdessen landete sie in seinen Armen. „Deswegen bin ich hier."
Klugscheißer.
Aber ein Klugscheißer, der unglaublich gut roch und dessen Umhang so warm war.
Trotzdem ließ sie ihn los, sobald das Zittern verebbte. „Das braucht es also, damit ich dich mal wieder zu Gesicht bekomme. Eine kleine Folter durch Bellatrix Lestrange. Wenn ich das früher gewusst hätte …"
„Das ist nicht lustig."
Ugh. „Keiner versteht meinen Humor."
„Du hättest sterben können!"
„Nein, wirklich? Ich hätte an Weihnachten auch sterben können und trotzdem bist du zwei Tage später einfach wieder gegangen."
„Hätte ich Tee mit dir, Potter und Weasley trinken sollen?"
„Bist du jetzt zum Teetrinken hier?"
Stille.
Sein „Nein" hörte sie kaum, bevor er sie küsste.
Hinter ihr lag ein riesiger Findling. Vermutlich schon die ganze Zeit, denn sie hätte es wohl mitbekommen, wenn ein Riese ihn kürzlich dorthin geworfen hätte, aber als sie hier angehalten hatte, hatte sie ihn nicht zur Kenntnis genommen.
Jetzt stoppte er ihren Rückzug. „Was zum -"
„… Einwände?"
Wie die Zunge einer Katze kratzte seine Stimme über ihre wunden Nervenenden. Mmh … Worüber hatten sie gerade noch gesprochen? Tee? Bellatrix Lestrange?
Einwände! Genau.
„Nein."
Keine Einwände.
Nur Zähne, die gegeneinanderstießen, Klamotten, die zu eng waren, Haut, die zu lange nicht berührt worden war.
Viel zu lange …
Der Findling kam ihnen gerade wirklich gelegen.
„Du hättest Weihnachten zum Tee kommen sollen."
Ihre Beine, seine Finger, blaue Flecke.
„Ich weiß."
Sein Hals, ihre Lippen, gleiches Spiel.
„Ich hätte dir guten Tee serviert."
Reißverschlüsse, Knöpfe, Knöpfe und Knöpfe.
„Ohne Zweifel."
Kalte Luft, heißer Atem, Nahtoderlebniskrisenbewältigung.
„Ah!"
„Was?"
„Nichts, mach weiter." Es tat nur gerade so gut weh, der harsche Fels unter ihrem Po und dass sie eigentlich noch nicht bereit war.
Und gleichzeitig doch, seit Weihnachten schon, gierig und durstig und süchtig wie ein Junkie ohne Stoff und genauso wütend und der erste Schuss musste einfach wehtun, weil es keine Perfektion gab und jeder Genuss seinen Preis hatte, je besser desto höher, weil es das wert war, um vom höchsten Punkt der Welt zu springen und zu fliegen.
Den Aufschlag am Ende war es wert.
Dabei in seine Augen zu sehen, war es wert, auch wenn sie eine Leerstelle hinterlassen würden, die sie morgen und übermorgen und überübermorgen und an jedem weiteren Tag wahrnehmen würde wie einen fehlenden Zahn. Aber zusammen zu fliegen war besser als allein, genauso wie zusammen Werwolf sein besser war als allein, einfach zusammener, und sie vermisste die Vollmondnächte mit ihm, bei ihm, „Du fehlst mir", „so sehr".
Und dann flogen sie.
Wenn man lange genug auf einem Findling saß, fühlte er sich gar nicht mehr kalt an.
Zugegeben, Snapes Umhang half auch. Warm und fest und grob an ihrer Haut. Und er roch so gut …
„Bist du in Ordnung?"
Ugh … Im Ernst? „Ja! Und ich wäre noch mehr in Ordnung, wenn man mich nicht ständig fragen würde." Raus aus dem warmen Umhang, zurück in die kalte Realität.
Aber die hatte einen erstaunlich festen Griff. Und absurde Forderungen noch dazu: „Kannst du bitte mal für einen Moment ehrlich sein?"
„Nein!"
Die Stille wartete auf eine Reaktion, die niemals kam, und zerstach die Blase, die sie so angenehm isoliert hatte.
„Was willst du von mir, Severus?"
„Ich will wissen, ob du noch weißt, wie Ehrlichkeit funktioniert."
„Warum? Warum ist das jetzt wichtig?" Und warum fand sie den blöden Ärmel ihres Pullov- Ah, da. „Es gibt keinen Platz für Ehrlichkeit in dem hier! Du und ich, wir funktionieren, weil wir füreinander lügen! Warum willst du das jetzt plötzlich ändern? Nur weil der Krieg gefährlich ist? Nur weil Bellatrix Lestrange mich in die Finger bekommen hat?"
„… Ich will es wissen, weil ich es mir nicht verzeihen könnte, wenn du das durch meine Lügen verloren hättest."
Was zum Teufel … „Wovon redest du?"
Der Vorhang fiel durch ein simples Zucken um seinen Mund. „Vergiss es."
„Nein!" Nicht dieses Mal!
„Lass mich los, Hermine. Geh zurück zu deinen Freunden."
In diesem einen Wort, in der Art, wie seine Lippen und seine Zunge es formten, wie seine Stimme es in Lächerlichkeit kleidete und sein Blick es zur Waffe machte, lag mehr Ehrlichkeit, als sie jemals von ihm gehört hatte. Mehr Nacktheit, als sie jemals geteilt hatten. Mehr Bedürftigkeit, als sie … Mehr als sie anschauen konnte.
„Ich kann ehrlich sein."
„Tatsächlich?"
„Ja!" Aber sie brauchte fünf hektische Atemzüge, bevor sie die Worte aussprechen konnte. „Ich habe Angst. Und ich bin einsam. Und ich will … nur zurück." Siehst du? Ich bin ehrlich! „Und du?"
Dieses Mal war es ein Zucken auf seiner Stirn. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, dass sie den Spieß umdrehen würde. Aber er wäre nicht Severus Snape, wenn er sich von einer Gryffindor übertrumpfen lassen würde. „Ich hatte Angst um dich. Es ist furchtbar in Hogwarts. Und ich … denke nicht, dass ich diesen Krieg überleben werde."
Wa-as? „Das kannst du nicht wissen!"
„… Ehrlichkeit, in der Tat …" Seine Lippen auf ihrer Stirn und dann war er fort.
„Severus!"
Snape hatte ihr die Tränke in die Tasche geschmuggelt, der Teufel wusste wann.
Idiot.
Aber ein Idiot, der -
„Wo warst du?"
Heilige Scheiße! Harrys Gesicht schälte sich nur langsam aus dem dunklen Wohnzimmer hervor, ein bleicher Fleck in der Nähe der Couch. „Warum?"
„Wir haben uns Sorgen gemacht. Bill und Ron wollten schon nach dir suchen gehen und ich dachte, Snape -"
„Wag es nicht!"
„Schon gut! Aber du hast ihm nichts gesagt, oder?"
„Nein."
„Gut. Wir können ihm einfach nicht trauen."
Wir? „Sprich nur von dir, Harry."
Die Zeit schien zu stolpern. Von der Wahrheit am Halfter so brutal zurückgerissen, dass sie scheute wie ein verschrecktes Pferd.
„Verstehe."
Oh, dieses Spiel willst du spielen? Der verratene Gryffindor? Schön! „Nein, du verstehst gar nichts. Genau das ist das Problem. Du nimmst dir keine Zeit zum Nachdenken. Deswegen sind wir geschnappt worden. Deswegen hat Bellatrix mich gefoltert. Deswegen ist Dobby tot. Nur weil du nicht aufhören kannst, von diesen dämlichen Heiligtümern zu reden und Du-weißt-schon-wen beim Namen zu nennen!"
Licht ließ sie beide herumwirbeln. „Was ist denn hier los?" Nicht einmal ein Pyjama konnte Bill seiner Präsenz berauben.
Trotzdem zerstach ihr „Nichts!" den Moment und niemand hielt sie auf, als sie ging.
Ich denke nicht, dass ich diesen Krieg überleben werde.
Wie konnte er so etwas sagen und dann einfach gehen? Wie konnte er sie einfach … hängenlassen? Wie konnte er Ehrlichkeit fordern und dann -
Wo zum Teufel ist mein Stift?
„Verdammte Scheiße!"
Die überfüllte Perlenhandtasche landete in der Ecke neben dem Schrank und sie selbst auf dem Boden vor dem Bett. Das wusch-wusch-wusch ihres Herzschlags in den Ohren und die Spuren des Moments auf dem Findling zwischen ihren Beinen, wie ein Metronom, das zwischen Hölle und Himmel pendelte.
Ich kann dich nicht verlieren.
Werden Sie jetzt etwa rührselig, Miss Granger?
Nein, nicht rührselig. Niemals rührselig. Nur verdammt wütend.
Sie wollte ihm schreiben, Antworten fordern, das Thema ausdiskutieren, ohne dass einer von ihnen vor der Ehrlichkeit weglief, die seine scheiß Forderung gewesen war, nicht ihre!
Aber das konnte sie nicht.
Es gab keinen Platz für Ehrlichkeit zwischen ihnen. Sie funktionierten, weil sie füreinander logen.
Und voreinander.
Weil sie sich keine Illusionen machten. Keine Hoffnungen. Keine Versprechungen. Keine Entschuldigungen.
Es gab keine Antworten, nichts zu diskutieren.
Und wenn eine unüberlegte Nachricht von ihr in dem Heft für Notfälle die Ursache für seinen Tod werden würde, würde sie sich das niemals verzeihen.
Schluss mit Gryffindor.
Türen.
Türen.
Türen.
„Lauf ruhig weg, Schlammblut, ich finde dich!" Das manische Gelächter kroch wie Ameisen über ihre Haut.
Ausgang. Wo ist der Ausgang?
„Lauf nur, lauf!"
Nach links.
„Mum … Dad!"
„Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?"
„Mum!"
„Raus! Verschwinden Sie!"
Nach rechts.
„Du hättest es uns sagen müssen, Hermine! Ein Werwolf, das ist abartig!"
„Ron, bitte -"
„Verschwinde! Du widerst mich an!"
Zurück.
„Wo bist du Schlammblut? Wo hast du dich versteckt?"
Die nächste Tür links.
„Severus!"
„Ich sagte dir, ich würde den Krieg nicht überleben." Er zerfiel beim Sprechen zu Staub.
„Nein! Bleib bei mir!"
Aber alles verschwamm …
„Habt ihr euch gestritten?"
„Was meinst du?"
„Na ja, es ist echt seltsam gerade mit euch beiden. Als hätte ich was Wichtiges verpasst …"
Lumos!
Autsch!
Bellatrix' Zauberstab war ein bissiges Ding. Dunkel, verdorben, skrupellos. Vielleicht wusste er, dass er sie gefoltert hatte. Vielleicht widersetzte er sich ihr deswegen. Blödes Ding.
„Hermine?"
Was? Oh … „Frag Harry."
„Hab ich. Er sagt, es ist nichts."
Tatsächlich? „Na, dann hast du wohl nichts Wichtiges verpasst."
Lumos!
Ah!
Es war die anhaltende Stille, die sie aufblicken ließ. Und was sie sah, war Rons Hundeblick. Oh, zum Teufel … „Ich bin … möglicherweise ein bisschen unfair geworden."
„Unfair."
„Ziemlich."
„Was hast du gesagt?"
Nichts, das ich wiederholen werde. „Ich … Es … Er hat mich im falschen Moment erwischt!"
„Im falschen Moment? Was meinst du damit? Wo bist du überhaupt gewesen?"
„Ich bin nur spazieren gegangen!"
„Nachts?"
„Ja, Ron, nachts!"
Rote Funken stoben aus der Zauberstabspitze.
„Verdammt!" Das Klappern des Holzes auf dem Tisch war so befriedigend, dass sie das Ding am liebsten gleich nochmal weggeworfen hätte.
„Was ist los mit dir, Hermine?"
„Was los ist? Bellatrix' Zauberstab hasst mich!"
„Na, Merlin sei Dank!"
Was? „Aber -" Oh … „Trotzdem nicht hilfreich."
„Doch, schon. Und wenn du jetzt noch mit Harry redest …"
Fünf Stunden und einundvierzig Minuten lang Formulierungen zu wälzen, hatte sie keinen Schritt weitergebracht.
Zum Teufel!
„Harry, hast du -"
Aber mit einem Klopfen an der Tür waren alle auf den Beinen, alle Zauberstäbe gezückt, alle mucksmäuschenstill.
„Wer ist da?"
„Ich bin es, Remus John Lupin!"
Sie konnte sich später nicht mehr daran erinnern, ins Bad gegangen zu sein. Sie konnte auch nicht sagen, wie lange sie hier gesessen hatte. Als Harry hereinkam, war es, als würde sie aus einem Zustand der Nicht-Existenz zurückkehren.
„Er ist weg."
„Okay."
„Geht es dir gut?"
„Ja."
Offenbar glaubte er ihr nicht, denn anstatt zu gehen, setzte er sich neben sie auf den Badewannenrand.
Mit seiner Körperwärme kamen die Worte, die sie vorhin so stur zu vermeiden versucht hatte: „Es tut mir leid."
„Ich weiß. Hast trotzdem recht."
„Will ich gar nicht."
„Ich weiß."
Das Friedensabkommen wurde nicht unterschrieben, sondern mit einem Stupsen Schulter an Schulter besiegelt.
„Was wollte er hier?"
„Tonks hat das Baby bekommen."
Oh.
„Ein Junge."
Hm.
…
„Ich will dich ja nicht drängeln, aber irgendwie blockierst du das Klo und -"
Scheiße! „Natürlich! Tut mir leid, ich -"
„Das war ein Scherz!"
Hmpf. „Nicht witzig!"
„Doch, das ist witzig. Na komm, Abendessen ist fertig."
Einen Einbruch bei Gringotts und einen Ausflug in die Kammer des Schreckens später wurde sie Zeugin eines Wunders.
„Du hast was?"
„Ich hab mit Snape geredet."
„Warum? Er ist ein Todesser! Er hat Dumbledore getötet!"
Aber Harrys Blick bohrte sich unverwandt in ihren, ignorierte Ron. „Du hattest recht, Hermine. Wir können ihm vertrauen."
Ja, können wir.
„Was?!"
„Ich erklär es dir später, okay?"
„Aber -"
„Worüber habt ihr gesprochen?" Warum bist du so blass, Harry? Warum sind deine Augen so rot?
„Nur ähm … darüber, wie wir Voldemort umbringen können."
„Und du glaubst ihm?"
„Ja, Ron, ich glaube ihm."
„Wie können wir ihn umbringen?"
„Zuerst mal, indem wir das Diadem vernichten. Ihr habt die da doch nicht als Souvenir mitgebracht, oder?"
Sie wurde sich der Fangzähne in ihren Händen so plötzlich wieder bewusst, dass sie sie beinahe fallengelassen hätte. „Nein, haben wir nicht." Aber es steckte mehr hinter der Sache. Mehr als Harry bereit war zu erzählen.
„Dann kommt!"
„Warte, Harry!" Seine Hand war kalt unter ihren Fingern. „Wo ist Snape?"
„Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, wo das Diadem ist. Okay?"
War es okay? Sein Schweigen? Die Geheimnisse, die es plötzlich nicht mehr nur zwischen ihr und Snape gab?
…
„Okay."
Snapes Hände machten alles, was sie berührten, zu einem Instrument. Messer zum Schlagzeug, Kessel zur Klangschale, ihren Körper zum Cello.
Tischplatten zur Klaviatur, Pergamentstapel zur Gitarre, ihr Herz zur Trommel.
Sie waren Komponist und Dirigent. Konnten mit der einen Geste für Stille sorgen, mit einer anderen ein ganzes Orchester führen, mit einer Feder auf Pergament zwischen Harmonie und Dissonanz entscheiden.
Jede ihrer Bewegungen konnte Musik sein, wenn Hermine es ihnen erlaubte. Konnte Teil einer Symphonie sein, die so tief in ihrer Seele spielte, dass sie sie beinahe hören konnte.
Insbesondere an Vollmond.
Aber sie konnten nicht verhindern, dass er starb.
„Neinneinnein …"
„Hermine, stopp!" Harry war überraschend stark.
Wann war er so stark geworden?
„Lass mich los!"
„Den Teufel werd ich!" Ein Zischen wie von einer wilden Katze. Sie hatten schon Fred verloren, er würde nicht auch noch sie …
Aber Snape!
Snape, der versuchte, eine schockierend starke Blutung mit einer schockierend unzulänglichen Hand zu stoppen.
Snape, der …
Und sie …
Und …
So leicht stirbt es sich als Werwolf nicht.
So leicht stirbt es sich als Werwolf nicht.
So leicht …
Bitte halte durch!
Als Voldemort endlich weg war, hielt keine wilde Katze dieser Welt sie mehr auf.
„Hermine!"
Nein, auch nicht Ron.
Sie sank neben Snape auf den Boden, mitten in sein Blut, und durchsuchte mit genauso unzulänglichen Händen seinen Umhang.
„M-Miss Grang-"
„Scht!"
Welche Tasche? Wo waren die Tränke? Er musste doch -
„Severus, wo hast du -" Bittebittebitte!
Unzulänglich.
Das waren nicht ihre Hände.
Fühlten sich nicht an wie ihre Hände.
Oder wie ihr Körper.
Oder wie die Realität.
So leicht stirbt es sich als Werwolf nicht.
„So leicht … stirbt es sich als … Werwolf nicht."
Da! Tränke! Da waren Tränke! Sie kippte ihm alles in den Mund, was sie fand. „So leicht stirbt es sich als Werwolf nicht, also denk nicht mal dran!"
Stille, so gewaltig und verstörend wie die spiegelglatte Nordsee, antwortete ihr.
Stille, die in einen Körper gekrochen war, der sein Leben lang nicht einen einzigen Moment davon erlebt hatte.
Stille, die …
„Er ist tot, Hermine."
„Nein." So leicht stirbt es sich als Werwolf nicht! Das hatte er ihr beigebracht! Er brauchte nur … nur ein paar Minuten!
„Hermine …"
„Nein!"
Aber Snape regte sich nicht. Blut sickerte langsam aus der Halswunde, seine Augen waren leer, sein Brustkorb absolut still.
„Ich weiß, dass du mich willst. Ich kann deinen Herzschlag hören."
„Hermine."
„Ich will wissen, ob du noch weißt, wie Ehrlichkeit funktioniert."
„Hermine."
„Du und ich, wir funktionieren, weil wir füreinander lügen!"
„Hermine!"
„Ich denke nicht, dass ich diesen Krieg überleben werde."
„Herm-"
„Ja."
Stille.
„Ich komme."
„Ehrlichkeit, in der Tat …"
Sie stand auf. Folgte Harry. Durch den Tunnel. Zurück aufs Schlossgelände.
Aber als sie aus dem Loch unter der Peitschenden Weide kroch, warf sie einen Blick zurück.
Was soll ich jetzt tun?
Wie sollte sie … weitermachen und …
Ohne ihn?
Wie konnte es sein, dass er recht gehabt hatte?
„Hermine!"
Das Zittern war so plötzlich so heftig, dass nur Harrys Arme sie davor bewahrten, zusammenzubrechen.
Was sollte sie denn alleine jetzt bloß tun?!
Nichts hätte sie auf diesen Anblick vorbereiten können.
Egal, was man ihr gesagt, wie genau man es ihr beschrieben, wie viel Zeit sie gehabt hätte – dass Remus Lupin und Severus Snape am selben Tag sterben würden, war so weit weg von vorstellbar, dass sie es niemals begriffen hätte, ohne es selbst zu sehen.
Die beiden Menschen, die ihr Leben am gravierendsten beeinflusst hatten.
Der eine, der ihr seine Bürde auferlegt hatte.
Und der andere, der versucht hatte, es leichter zu machen.
Die Angeln, die ihre Welt gehalten hatten, waren verschwunden.
Sie fiel.
In ein Meer von Toten.
Von bleichen Gesichtern und geschlossenen Augen.
Ich wünschte, ich wäre eine von ihnen …
„Hören Sie mir zu! Mehr hiervon bedeutet auch mehr Zeit, mehr Leben! Wagen Sie es nicht, das wegen einer Nacht im Monat wegzuwerfen!"
Und was, wenn ich es wegen aller Nächte tue?
„Werden Sie jetzt etwa rührselig, Miss Granger?"
Vielleicht …
Es war jedenfalls das erste Mal seit vier Jahren, dass sie sich eine Träne vom Gesicht wischen musste.
Du hast gesagt, so leicht stirbt es sich als Werwolf nicht! Und jetzt seid ihr beide tot! Was soll ich denn jetzt tun?!
Stille.
Das dachte ich mir …
„Hermine, wo ist Harry?"
Als alles vorbei war, schlich sie zurück in die Heulende Hütte. Vielleicht …
Vielleicht war er doch …?
Aber nein.
Er war immer noch da.
Er war immer noch tot.
Die Stille hing so schwer über ihm, dass sie sie schmecken konnte wie das metallische Aroma seines Blutes. Der Raum war zu klein dafür und für den Bogen, den sie um die Lache herum schlagen musste. Aber dann konnte sie sein Gesicht sehen. Die Augen, die sich langsam eintrübten. Die trockenen Lippen, die kantigen Wangenknochen. Die Nase, die mindestens einmal gebrochen gewesen war. Alles davon sah aus wie immer minus Leben und die Differenz war etwas Fremdes, das ihr die Nackenhaare aufstellte.
Die leeren Phiolen lagen mitten im kalten Blut wie die Pointe eines Witzes, den sie nicht begriff. Stärkungstrank. Schmerztrank. Wachtrank. Wie sinnlos, das alles …
Sie zersplitterten nicht mal, weder als sie sie anschrie noch als sie sie gegen die Wand kickte. Bestimmt hatte er sie unzerbrechlich gezaubert.
„Wie kannst du nur?! Wie kannst du mich hier allein lassen?"
…
„Rede gefälligst mit mir!"
…
„Bitte lass mich nicht allein … Bitte …"
…
„Scheiße …" Das Kieksen ihrer Stimme erschreckte ihre Beine so sehr, dass sie einknickten, und der einen Träne von vorhin folgten Hunderte mehr.
Schluss mit Gryffindor.
An diesen drei Worten hatte sie sich durchs letzte Jahr gehangelt. Von Tag zu Tag und Vollmond zu Vollmond. Von Geheimnis zu Geheimnis, von Lüge zu Lüge.
Bis sie wahr geworden waren.
„Was soll ich denn jetzt tun?"
So kläglich, dass sie Snapes Antwort hören konnte, obwohl er tot vor ihr lag: „Dummes Mädchen! Unsere wöchentlichen Treffen waren mehr als ein Vorspiel. Du weiß alles, was du wissen musst."
„Nein. Ich weiß nicht, wie ich das allein schaffen soll. Ich bin nicht so stark wie du."
„Die Frage nach der Stärke ist irrelevant, wenn man sich keine Schwäche leisten kann. Hör auf, dir darüber den Kopf zu zerbrechen."
„Ich kann nicht."
„Du willst nicht."
„Und wenn schon! Komm doch her und -"
„Und was?"
„Und sag mir, was ich tun soll …"
Doch er kam nicht und er sagte ihr nicht, was sie tun sollte. Niemand sagte ihr, was sie tun sollte, während die Nacht verblasste und der Morgen den Schleier der Dunkelheit fortzog wie ihr Dad ihre Bettdecke. Aufstehen, Mina! Die Vögel singen schon!
Was sie tatsächlich taten.
Als ob nichts passiert wäre …
Aber es war etwas passiert. Und sie musste sich darum kümmern.
Schluss mit Selbstmitleid!
„Madry!"
Madrys Stimme war so zart wie das Netz, das eine Spinne von seinem Schuh zum staubigen Boden gespannt hatte irgendwann zwischen Mitternacht und 'Bitte lass mich nicht allein'. „M-Master Snape, Sir …"
Severus …
„Es tut mir so leid."
In den Tennisballaugen stand derselbe Schmerz, den sie selbst empfand. Drei Sekunden Verbundenheit. „Master Sir war ein guter Master. War gut zu Madry und gut zu Miss."
„Ja."
Und für einen Augenblick hörte Snape auf, tot zu sein, denn Madry zog eine Phiole aus den Falten ihres Geschirrtuchs, als hätte Hermine sie gerade zum achten Baum links hinter dem ausgetrockneten Bach im Forest of Dean gerufen, nur weil demnächst Vollmond war. „Für Miss."
Natürlich … Natürlich hatte er vorgesorgt. „Danke."
Der Phiole folgte ein Brief. „Master Sir hat Madry gesagt, dass Miss den bekommen soll, wenn ihm etwas zustößt. Madry hat gut darauf aufgepasst."
Wa-as? „Da bin … ich mir sicher." Ihrer Fähigkeit, ihn anzunehmen, nicht so sehr. Aber es ging.
Der Umschlag war schwer, viel schwerer als erwartet. Es war mehr als Papier darin. Was hat das zu bedeuten, Severus?
„Danke." Unmöglich, der Elfe nicht in die Augen zu sehen. „Für alles!"
Madry verneigte sich.
„Kannst du mir helfen, ihn ins Schloss zu bringen?"
„Bist du dir sicher, dass du nicht mitkommen willst?"
„Ja." Snape war hier, sie würde bleiben. „Professor McGonagall und die anderen Professoren brauchen Hilfe und ich … Den Fuchsbau halte ich gerade nicht aus, Harry."
„Bin mir auch nicht sicher, ob ich es aushalte."
„Wenn nicht, weißt du ja, wohin du gehen kannst."
„Ja …"
Am Türrahmen tauchte ein roter Haarschopf auf. Ron, der Abstand hielt. „Weiß er es?"
„Hm?" Harry sah sich auf ihr Kopfnicken hin um. „Weiß ich nicht. Aber ich finde, du solltest es ihm sagen."
Klar … „Alle finden, ich sollte es allen sagen …"
„Vielleicht haben alle recht."
„Vielleicht sollten alle sich aus meinen Angelegenheiten raushalten."
„Schon gut … Ich sage nur, dass das mit Snape leichter zu schlucken ist, wenn man weiß, dass ihr beide -"
„Spar es dir, Harry. Geh in den Fuchsbau zu deiner Familie und ich kümmere mich um -"
… meine. Das Wort presste sich gegen ihre versiegelten Lippen, wie sich der versiegelte Umschlag gegen ihr Bein presste.
„Okay. Aber sie sind auch deine Familie, Hermine."
Sind sie nicht. Sie hatte keine Familie mehr. Die eine hatte sie ohne Erinnerung nach Australien geschickt, die andere lag tot in einem leeren Klassenraum im Kerker. Sie war allein.
„Ich weiß."
Die Schuhe hatten Lavender gehört. Schlicht. Schwarz. Schmales Riemchen, sechs Zentimeter Blockabsatz.
Ihre Eltern hatten sie vermutlich übersehen, als sie die Sachen ihrer toten Tochter abgeholt hatten.
Parvati hatte sie vermutlich übersehen, weil das Einzige, was von ihrer toten besten Freundin übrig war, keine Schuhe sein konnten.
Und Hermine hatte sie angezogen, weil die einzige Art, wie sie Snapes Beerdigung überstehen konnte, in den Schuhen einer anderen war.
Zu behaupten, die Schmerzen, die sie ihr bereiteten, hätten sie geerdet, war lächerlich, aber irgendetwas hatte sie davon abgehalten durchzudrehen.
Musste als der kleine Friedhof in Hogsmeade immer voller wurde. Fremde Körper, die erste Hitzewelle, Wolfsbanntrank. Beinahe hätte sie in sein offenes Grab gekotzt.
Und sie wurde den Gedanken nicht los, dass ihm das gefallen hätte.
„Wie sonst hätte man auf die Rede reagieren sollen?"
Mit Tränen.
Hatte sie aber nicht.
Sie hatte sich auf ihre Füße, die fremden Körper, die Hitze und den Brief in ihrer Tasche konzentriert und nicht geweint.
Immer noch versiegelt.
Erst jetzt, als nichts mehr von ihm übrig war, kein Trank, kein Notizbuch, kein Wollen, kein Brauchen, kein kehliges Stöhnen, öffnete sie ihn.
Und war nicht überrascht, dass ihr ein Schlüssel in den Schoß fiel.
Gar nicht.
In Cokeworth bluteten die Häuser Elend und die einst auf großen Hoffnungen erbauten Straßen waren vor Jahrzehnten schon an der Realität zerbrochen.
„Hier hast du gelebt?"
„Hast du das Ritz erwartet?"
„Nein, aber …"
Mit jedem Schritt durch Dreck und Unrat, mit jedem Blick, der von zerfallenen Häuserwänden zurückhallte wie das Echo einer Chance, die sie nie gehabt hatten, rieb sich ein Salz immer tiefer in die Wunde, die sie war: Das hier hätte Snape ihr niemals freiwillig gezeigt.
Und sie hätte es sich niemals freiwillig angesehen.
Aber Tote konnten nicht füreinander lügen. Schluss mit Kleinmädchenträumen, alles, was blieb, war Wahrheit.
Und die Wahrheit war, in der Tat, nackt.
Nicht wortwörtlich, aber wenn sie plötzlich vor einem stand mit blinden Fenstern, fleckigen Teppichen, fadenscheinigem Sofa und einer leeren Tasse mit braunem Teerand auf einem Tisch, dessen drittes Bein mit einem Stapel alter Zeitungen gestützt wurde, dann fiel es ihr schon schwer hinzugucken.
Und wegzugucken.
„Sei nicht mein Lehrer."
„Bin ich nicht."
„Nein …"
Denn je länger sie hinsah, desto mehr konnte sie es sehen. Ihn. Hier. Mit einem Buch und einer Tasse Tee auf dem Sofa. Mit einem vagen Gedanken vor dem Bücherregal. Mit diesem furchtbaren Nachthemd, das sie mal in seinem Schlafzimmer, aber nie an ihm gesehen hatte, auf dem Weg in die Küche nach einer Nacht, die keine Vollmondnacht gewesen war, sondern einfach nur anstrengend aus Gründen, die keine normalen Gründe waren, aber auch nichts, das notwendigerweise ein Geheimnis hätte sein müssen, wofür es aber keine Ohren in seinem Leben gegeben hatte, denen er es hätte erzählen können.
Ich wünschte, ich hätte diese Ohren sein können.
Irgendwann. Wenn sie nicht mehr Lehrer und Schülerin gewesen wären. In einer Zukunft, die sie sich seit vier Jahren nur noch mit ihm darin vorstellen konnte und nicht mehr ohne.
„Sei nicht tot."
Stille.
Wohnzimmer, Küche, traumreal.
Wie die Treppe hinter dem Regal mit wispernden Büchern.
Wie Mücken rechts von ihr, links von ihr, rechts von ihr.
Wie niemand da und nicht allein.
Wie knarzende Stufen, kein Handlauf, kein Licht.
Keine Angst!
Keine Tapeten an den rauen Wänden, kein Teppich auf dem Boden.
Keine Chance, keine Wahl.
Kein Blick zurück.
Traumreal wie das kleine Zimmer nur mit Bett.
Mit Klauenspuren an Wänden, Boden, Decke.
Mit kribbelnder, pulsierender Magie, in Lagen gespannt, verwoben, verstrickt.
Mit so viel Gebrüll, dass es aus den Wänden sickerte.
Oder wie das Labor nebenan.
Nur ohne Snape.
Aber mit Brief.
Das Haus gehört Dir. Solange Du die Banne in Ruhe lässt, werden die Muggel Dich in Ruhe lassen.
Allerdings brauchst Du Magie. Das Haus ist nicht an Wasser und Abwasser angeschlossen, es gibt keine Elektrizität, keine Heizung.
Das Bad ist auf dem Hinterhof.
Nimm dich in Acht vor den Büchern! Einige von ihnen haben ein Bewusstsein. Sie brauchen Zeit, um sich an Dich zu gewöhnen. Lass Dich nicht von ihnen korrumpieren! Am besten verkaufst Du sie.
Die Banne im Schlafzimmer sind stark genug, um Dich ohne Trank zu halten.
Aber im Labor findest Du alle Instrumente und Rezepte, die Du brauchst, sowie genug Zutaten, um die nächsten drei Jahre auszukommen. Du weißt, wie es geht.
Wenn Du Hilfe brauchst, ruf Madry.
Und zu guter Letzt: Es tut mir leid, dass ich so wichtig für Dich geworden bin. Ich hätte das nicht zulassen dürfen. Aber Du wirst darüber hinwegkommen und Deinen Platz finden. Erzähl es Deinen Freunden! Lass Dir helfen! Weasley ist ein Idiot, aber er ist weder wie Sirius Black noch wie ich und seine Familie wird zu Dir stehen.
Von allen Personen, die hinter mein Geheimnis gekommen sind, bist Du mir überraschenderweise die liebste gewesen. Ich danke Dir.
Severus
Das S war dick.
Er hatte gezögert, wie er unterschreiben sollte.
Es tut mir leid, dass ich so wichtig für Dich geworden bin.
„Tu nicht so, als wäre ich dir nicht wichtig geworden …"
Aber die Zeit der Totengespräche war vorbei, ihre Vorstellungskraft ans Ende einer düsteren Sackgasse gestoßen.
Bin ich dir wichtig gewesen, Severus?
Ihre Finger auf seiner Unterschrift fanden nichts, keine geheime Botschaft, keine Antworten. Nur seinen Dank und einen Abschied, der beinahe förmlich geraten wäre.
Die Weasleys werden zu dir stehen.
Als ob …
Aber sie würde es einfach machen wie Snape. Allein. Schließlich wusste sie, wie es ging.
Sie stolperte, taumelte, stürzte. In die Dunkelheit, die ihre Seele bei Vollmond verschluckte. Flog allein, suchte nach einer Symphonie, die nicht mehr spielte, nach Halt in den vergessenen Schuhen einer anderen, nach einer Lüge, einem 'Bin ich nicht' auf ihr 'Sei nicht tot'.
Aber alles, was sie fand, waren Trickstufen, durch die sie immer tiefer fiel, Treppen ins Nichts, ein Meer aus Toten und einen Abschied, der beinahe förmlich geraten wäre.
„Warte!"
„Was? Ich muss zum Unterricht."
„… Vergiss es."
Nein!
Schluss mit Vergessen! Was wolltest du mir sagen?
…
Von allen Personen, die hinter mein Geheimnis gekommen sind, bist du mir überraschenderweise die liebste gewesen.
Ich danke dir.
Und aus dem endlosen Fallen wurde ein Schweben, aus der Dunkelheit Grau.
In dieser Nacht, unter dem Licht des blutroten Vollmondes, das zwischen halb eins und zwei Uhr morgens durch das winzige Fenster in Snapes Schlafzimmer fiel, verwebte sie Erinnerung mit Erinnerung mit Erinnerung, flocht seinen Geruch hinein wie einen französischen Zopf und bestickte es mit all den kleinen 'Was wäre wenn's, über die sie sich nie nachzudenken getraut hatte, bis es ein Netz war, in das sie ihre Seele fallen lassen konnte, während der Wolf seine Nase in das fremdvertraute Bett grub.
Der nächste Morgen war weder Flug noch Fall, er war Frontalzusammenstoß, ohne Netz und ohne Trank.
Letzteres ließe sich beheben, wäre da nicht …
Ein Klopfen an der Tür, die nicht ihre war, und das sie ignoriert hätte, wenn sie nicht neugierig und im Labor gewesen wäre – ein ausgezeichneter Ort, um durch das Fenster zur Tür zu schielen.
Wo Harry stand.
Harry?
Also nicht ignorieren.
„Woher weißt du, dass ich hier bin?"
Gryffindor, der er war, schaffte Harry es nicht zu verbergen, dass etwas an ihrem Anblick ihn erschreckte. Vielleicht die Augenringe. Sie hatte sich nicht mit Zaubern aufgehalten, der Trank war wichtiger gewesen.
„Ebenfalls guten Morgen!"
„Nichts an diesem Morgen ist gut. Also?"
„Wow, er färbt ab …"
„Was?"
„Nichts! Ähm … Als ich mit Snape geredet hab, du weißt schon, vor … Da hat er ähm … erwähnt, wo er aufgewachsen ist. Und als McGonagall dich im Fuchsbau gesucht hat, weil du nicht nach Hogwarts zurückgekommen bist, dachte ich, ich versuch mal mein Glück."
„Hm. Und jetzt?"
„Na ja, ich … Darf ich reinkommen, Hermine? Du siehst aus, als …"
… hätte mich ein Werwolf erwischt?
„… könntest du einen Freund brauchen."
Oh.
„Ich hab auch Kaffee mitgebracht." Er zog eine geschrumpfte Thermoskanne aus der Tasche.
„Okay."
In Snapes Küche gab es keine zwei Gegenstände, die zusammenpassten. Oder heil waren. Nachdem sie also zwei Tassen mit Macke auf den Tisch gestellt hatte, goss Harry ihnen ein. „Du siehst müde aus."
„Ich bin müde. Lupin war nicht grundlos nach dem Vollmond immer ein paar Tage krank."
„Ist mir bei dir nie so aufgefallen …"
„Snape hatte einen Trank dagegen. Wollte ihn gerade brauen, als du geklopft hast."
„Oh. Ich kann auch warten."
„Ich komm schon klar."
„Du siehst nicht so aus."
„Könntest du … mein Aussehen einfach unkommentiert lassen, Harry?"
„'Tschuldigung. Wir machen uns nur Sorgen."
„Wir?"
„Ron und ich."
Wie bitte? „Harry, weiß er etwa -"
„Jep. Und es ist ihm egal, Hermine! Es ist uns egal! Du bist unsere beste Freundin und dass dir das passiert ist, ändert nichts daran!"
„Und wenn schon! Du hattest kein Recht, es ihm zu sagen!"
„Ich hab's ihm nicht gesagt, er hat es mehr oder weniger erraten. Ich konnte nur lügen oder seine Vermutung durch nichts sagen bestätigen und ich will Ron nicht anlügen."
„Auf einmal?" Ihnen nicht zu sagen, dass er sterben musste, war offenbar okay gewesen.
Aber Harry ignorierte die Spitze. „Darf ich ihn jetzt rufen? Er wartet um die Ecke …"
Ron betrat Snapes Haus wie ein Fünfjähriger eine Geisterbahn. Und er äußerte sich darüber, wie Draco Malfoy über den Fuchsbau: „Was für eine Bruchbude …"
Gewagte Aussage aus deinem Mund. „Er hat es mir geschenkt."
„Dachten wir uns", warf Harry ein, bevor Ron nochmal den Mund aufmachen konnte.
Aber er sah aus, als würde ihm dieser Umstand körperliche Schmerzen bereiten.
„Ich werde es annehmen."
Auch auf Harrys Stirn erschienen ein paar Falten. „Bist du dir sicher?"
„Ja. Es gibt ein Labor, ich brauche ein Labor."
„Du musst nicht nur deswegen hierbleiben, Hermine. Du kannst, was du brauchst, auch ins Haus am Grimmauldplatz bringen und -"
„Ich will hierbleiben, Harry." Auf keinen Fall würde sie mit den Jungs zusammenziehen. Dieses Haus mochte eine Bruchbude sein, aber es gefiel ihr. Alles hier war genauso kaputt wie sie.
„Ich weiß nicht, Hermine … Snapes Haus?" Jetzt sah Ron aus, als würde er gleich auf den ranzigen PVC-Boden kotzen.
„Du musst ja nicht herkommen."
„So hab ich das nicht gemeint …"
„Hat aber so geklungen."
„Hey! Beruhigt euch! Wir sind nicht zum Streiten hier."
„Weiß er das auch?"
„Er ist anwesend!"
„Offensichtlich." Hätte die Küche eine Tür gehabt, wäre sie dieses Mal diejenige gewesen, die sie zugeknallt hätte.
Das Labor hatte eine Tür und sie knallte so befriedigend und so laut, dass die Gläser in den Regalen klirrten.
Zum Teufel mit ihm! Sie hatte gewusst, dass Ron es nicht verstehen würde! Sie hatte gewusst, dass es Stress geben würde! Er hätte niemals herkommen sollen!
Zehn Sekunden lang plante sie ernsthaft, den blöden Trank zu brauen. Dann fegte sie alles vom Tisch und durchsuchte Snapes Vorräte. „Du musst doch etwas gehabt haben, mit dem man sich besser fühlt! Bei dem, was du aushalten musstest, musst du doch -"
Da! Eine unbeschriftete Phiole. Vielversprechend …
Ein Tropfen würde sie wohl nicht umbringen …
Und selbst wenn!
Aber er brachte sie nicht um.
Ganz im Gegenteil.
„Heilige Scheiße!"
Der Trank rann zitternd durch ihren Körper, wie ein kleiner Orgasmus gefolgt von Schwere. Die gute Art Schwere. Wie nach drei Gläsern Wein. „Professor Snape …" Warum hatte er ihr den nie gezeigt? Nun, sie würde ihn jedenfalls genießen.
Aber erst mal die Jungs.
Als sie in die Küche zurückkehrte, war Ron auf dem Hinterhof und rauchte. „Seit wann raucht er?"
„Seitdem Fred tot ist, George jeden anschreit, Molly weint und Arthur schweigt."
„Oh."
„Ihm geht's echt mies, Hermine."
„Uns allen."
„Ja. Deswegen sollten wir zusammenhalten. Okay?"
Ron vergaß seine Zigaretten. Sie blieben auf dem Küchentisch neben Harrys Worten liegen, die sich in die jahrzehntealten Kratzer und ihr Gehirn gruben wie ein Ohrwurm.
Wir sollten zusammenhalten.
Aber nach Hogwarts gingen später an diesem Tag nur sie, ihre wundgeriebene Seele und ein Entschluss: „Ich werde die Nächte nicht mehr im Schloss verbringen, Professor McGonagall."
„… Bitte?"
„Es war falsch von mir, mich gestern nicht abzumelden, und dafür entschuldige ich mich. Es war nicht meine Absicht, dass Sie sich um mich sorgen. Aber ich werde von nun an morgens herkommen, um zu helfen, und abends wieder gehen."
„Ich weiß Ihre Entschuldigung zu schätzen, Miss Granger. Aber ich hoffe, Ihnen ist bewusst, dass Sie nicht helfen müssen, wenn es Sie von Ihren Plänen abhält. Das Ministerium unterstützt uns und wir -"
„Ich weiß!" Ugh, ihre Hauslehrerin zu unterbrechen, schauderte immer noch wie Eiswürfel durch ihren Körper. „Entschuldigung, Professor. Ich weiß, dass ich nicht helfen muss. Ich möchte es. Es hilft mir, etwas zu tun zu haben. Ich möchte nur … woanders übernachten."
„Ich verstehe. Ich denke, wir alle tun das."
Tun Sie nicht. Aber sie lächelte die neue Schulleiterin trotzdem an, als die in einer beinahe großmütterlichen Geste ihre Schulter drückte und ging.
Ob Snape wohl jemals geraucht hatte?
Ihr Blick spielte mit den Zigaretten wie ein junger Hund mit einem Schuh. Und wie einen ebensolchen konnte sie auch ihre Gedanken nicht zur Raison rufen.
Hatte er?
Nicht in Hogwarts – außer er hatte auch dafür sein eigenes kleines Repertoire an Zaubern und Tränken gehabt.
Aber es war nicht schwer, ihn sich hier vorzustellen. Auf dem Hinterhof wie Ron neulich.
Der Gedanke faszinierte sie.
So sehr, dass sie sich zwei Tage später die Zigaretten schnappte, auf den Hinterhof ging und sich eine anzündete.
Es schmeckte furchtbar.
Aber es ging nicht um den Geschmack, es ging um das Gefühl. Um Nähe.
Sie war clever genug, den Rauch nicht zu inhalieren. Aber sie setzte sich auf die kleine Stufe an der Hintertür, schloss die Augen und stellte sich vor, Snape wäre hier und würde mit ihr gemeinsam rauchen.
„Nur ein Gryffindor würde paffen und es rauchen nennen." Aber seine Augen blitzten und als er sie küsste, schlug ihr Herz schneller.
Vielleicht war es auch das Nikotin.
Auf jeden Fall schnappte Hermine nach Luft und inhalierte dabei doch und begann zu husten, bis ihr beinahe schwarz vor Augen wurde.
Trotzdem zündete sie sich abends die nächste an.
Irgendwann stand Ron vor ihrer Tür, die Hände so tief in den Hosentaschen als müsste er seine Schuhe festhalten.
„Was machst du hier?" Verkatert von dem unbeschrifteten Trank, den sie im Labor gefunden und möglicherweise ein, zweimal zu oft genommen hatte.
„Hab meine Zigaretten vergessen."
„Hab ich aufgeraucht."
„Hm." Dann stand er einfach da und die Grillen zirpten wie in einer schlechten Sitcom. Würde es ihr nicht so elend gehen, hätte sie vielleicht gelacht. „Du siehst beschissen aus."
„Danke, gleichfalls." Und das war nicht gelogen. Er sah mindestens so verkatert aus, wie sie sich fühlte.
Ron zog die Nase und die Schultern hoch. „Kann ich reinkommen?"
„Hast du Zigaretten dabei?"
„Sicher."
Also ließ sie ihn rein.
Ins Haus.
Und nach ein paar Zigaretten und mehr von Snapes Trank auch in ihr Bett.
Ein in diesem Fall irreführender Euphemismus, denn tatsächlich schafften sie es nicht mal bis ins Wohnzimmer.
Der Küchentisch und seine von Harrys Worten getränkten Kratzer hielten mehr aus, als sie ihnen zugetraut hatte, und wenn sie die Augen ganz fest zukniff, konnte sie sich beinahe einbilden, es wäre Snape.
Bis Ron hinterher dastand mit Hundeblick und zerzausten Haaren und Reue in ihr flatterte wie ein Kolibri und -
„Obliviate!"
In den Tagen danach rauchte sie nicht, um sich Snape nahe zu fühlen, sondern um seinen Gesichtsausdruck zu vergessen. Seinen Blick, als er gesagt hatte: „Ich habe Ihr Geheimnis bewahrt! Ich habe gelogen für Sie! Wiederholt! Und so danken Sie es? Indem Sie hingehen und Ihre Mitschüler obliviieren, nachdem Sie sie in Ihr Bett gelockt haben?"
Ich hab ihn nicht gelockt, es ist … einfach passiert! Ich wollte das nicht …
Was eine so unverfrorene Lüge war, dass ihr schlecht davon wurde. Sie hatte es gewollt! Den Sex mit Ron. Genauso wie sie den Sex mit Snape gewollt hatte und keines von beidem war eine gute Entscheidung gewesen.
Sie war so kaputt …
Und dass Ron ständig wieder in Spinner's End auftauchte, half nicht.
„Hermine? Bist du da?"
Nein!
Mit angehaltenem Atem klang das Wispern der Bücher noch lauter als sonst. Vielleicht witterten sie eine Chance.
Lass Dich nicht von ihnen korrumpieren!
Ich versuche es …
Am Morgen nach dem nächsten Vollmond kapitulierte sie und öffnete die Tür. „Ron, ich -"
„Ist mir egal."
„Aber wir -"
„Ich sagte, es ist mir egal. Schick mich nur nicht weg, okay?"
Also ließ sie ihn wieder hinein.
Ins Haus.
Und in Snapes Bett.
Sie konnte einfach nicht anders.
„Darf ich meine Erinnerung dieses Mal behalten?"
Fuck. „Ich … Es tut mir so leid."
„Kratzt mich nicht."
Was? „Warum nicht?"
Mit seinem Schulterzucken verpasste er ihr beinahe einen Kinnhaken. Verdient. Denn Fakt war, er hätte jedes Recht, ihr noch ganz andere Dinge zu verpassen. Wie zum Beispiel eine gehörige Standpauke, einen saftigen Denkzettel und zum Abschluss einen Tritt in den Hintern. Stattdessen streichelte er ihren nackten Arm, als wäre er nicht komplett vernarbt und sie nicht komplett kaputt. „Bin doch hergekommen, um zu vergessen."
Heilige Scheiße …
Seine Nähe war plötzlich wie ein Kissen, das ihr Scham so fest aufs Gesicht presste, dass Snapes Standpauke dagegen wie ein Kindergeburtstag wirkte. Sich aufzusetzen war nicht genug, um ihm oder dem Bedürfnis, ihn wieder zu obliviieren, zu entkommen.
„Du hast Snape geliebt, oder?"
Fragte er, während er in Snapes Bett lag. In Snapes Haus. Nachdem er Snapes Trank genommen und mit Snapes Schüleraffäre geschlafen hatte.
„Scharf kombiniert, Watson."
„Was?"
„Vergiss es." Sie sah über ihre Schulter zu ihm. „Du solltest gehen und nie wieder herkommen. Ich bin völlig kaputt."
„Hab ich versucht, hat nicht geklappt."
Sie wischte sich über die Augen. „Scheiße."
„Ja." Er zog sie zurück in seinen Arm. Und erinnerte sich.
Wann hörte eine Bewältigungsstrategie auf, eine Bewältigungsstrategie zu sein? Wenn man wusste, was man zu bewältigen versuchte? Wenn man es nicht mehr allein tat? Oder wenn beide einwilligten, die Bewältigungsstrategie des jeweils anderen zu sein?
Sie rätselte viel über diese Fragen, hier, in Snapes Haus, das eine Bruchbude war, vollkommen kaputt, genauso wie sie und Ron. Und je weniger in Hogwarts zu tun war, desto mehr Zeit verbrachten sie hier und manchmal hatten sie keinen Sex. Manchmal nahmen sie nur den unbeschrifteten Trank, den sie in keinem Buch finden konnte, nicht mal in den wispernden, manchmal saßen sie stundenlang auf dem Hinterhof und rauchten, bis sie heiser waren vom Husten und Lachen und Weinen, manchmal redeten sie über alles, was passiert war – und alles, was niemals passieren würde.
Für einen Mann so verhärmt wie Snape erwies sein Haus sich als überraschend behaglich.
Aber irgendwann schmolz der Juni in den Juli und schließlich in den August. Irgendwann teilten sie sich den letzten Rest des Trankes. Irgendwann beschloss Ron, mit Harry zum Vorstellungsgespräch im Ministerium anzutreten und einen dicken Strich unter den Krieg zu ziehen.
Der Sommer verblasste vor den ersten Farben eines goldenen Herbstes und mit ihm die Mutter aller Bewältigungsstrategien.
Was nach all den Zigaretten, mehreren Vollmonden und der besten Droge dieser Welt übrigblieb, war Sommersonne auf roten Haaren, blaue Augen und Zeit, die einfach weiterlief.
Du wirst darüber hinwegkommen und Deinen Platz finden.
„Klugscheißer …"
Ron plumpste neben ihr aufs Sofa. „Was ist das?"
„Ein ähm … Brief von Snape. Er hat nicht gewusst, dass Harry überleben würde."
„Hm."
„Er hat nur von dir geschrieben. Dass ich es dir sagen soll und dass du zu mir stehen würdest. Er … ist gestorben in dem Glauben, sein einziges Ziel neben Voldemorts Tod nicht zu erreichen: Harry lebend durch den Krieg zu bringen." Die Stille fühlte sich an wie ein Scheinwerfer, der sich auf 'dümmstes mögliches Verhalten' gerichtet hatte. „'Tschuldigung. Das war -"
„Nein, ist okay. Ich will dich kennenlernen."
Oh. „Okay … Ähm. Er … hat auch geschrieben, ich würde meinen Platz finden und glücklich werden. Glaubst du, er hat recht?"
„Einen Platz hast du doch schon. Auch wenn er eine Bruchbude ist …"
„Ha ha." Sie lehnte sich trotzdem gegen ihn. „Hilfst du mir beim Renovieren?"
Er küsste ihre Schläfe und ließ es sich wie ein Versprechen anfühlen. „Klar. Gehst du zurück nach Hogwarts und kämpfst später im Ministerium für Elfen- und Werwolfrechte?"
Würde sie?
„Ja."
