KAPITEL 9

Als Tim die LAPD-Zentrale betritt, flammt überall Applaus auf. Er spürt Hände, die auf seine Schultern schlagen und hört aufmunternde Worte. Sogar Smitty hält sich mal mit einem seiner zynischen Kommentare zurück, zeigt ihm seine beiden nach oben gestreckten Daumen und verspricht, dass die nächste Runde Donuts auf ihn geht.

Tim betritt zusammen mit Angela den Meetingraum und sieht, dass auf einem Whiteboard alle Infos zusammengetragen wurde, die es zu Lucys Verschwinden gibt. Er tritt näher an die Tafel heran und sein Blick fällt fast sofort auf mehrere Bilder.

Es sind drei Aufnahmen vom Hafen zu sehen. Auf dem ersten Bild sieht man einen Van. Davor stehen drei Personen. Zwei Männer und Lucy. Man sieht, wie ihre Hände hinter ihrem Rücken gefesselt sind und die Männer sie mit sich zerren. Dann sieht man im nächsten Bild den geöffneten Kofferraum eines Fords. Dieselben zwei Männer haben Lucy auf dem Arm. Man kann erkennen, dass sie sich wehrt. Man sieht es an ihrem Gesichtsausdruck und an ihrer Körperhaltung. Tim sieht die Angst in ihrem Gesicht. Er weiß auch warum. Das letzte Mal, als sie in einen Kofferraum geworfen wurde, wurde sie von Caleb entführt. Er muss seine Augen kurz schließen, um mit dem Anblick klar zu kommen. Er ist im Zwiegespräch mit sich. Er weiß, dass er die Kontrolle behalten muss, wenn er sie retten will. Er darf sich nicht in seinen Emotionen verlieren. Er spürt, wie Angela die Hand auf seine Schulter legt und diese kurz drückt. Sie steht ihm still zur Seite, weil sie weiß, wie schwer das für ihn ist. Und weil sie weiß, dass er gerade mit jeder Faser darum kämpft, nicht den nächsten Stuhl zu packen, um diesen durch die Scheiben des Meetingraumes zu werfen. Oder etwas ähnlich Dummes anzustellen. Auf dem nächsten Bild ist der graue Ford von hinten zu sehen, wie er davonfährt.

„Ich schätze, dass Kennzeichen war gestohlen."

„Ja."

Dann wandert sein Blick zum nächsten Bild. Er hatte dies gleich beim ersten Betrachten des Boards gesehen, war aber noch nicht bereit gewesen, es sich genauer anzuschauen. Und er weiß auch jetzt nicht, ob er jetzt dazu bereit ist.

Er hört Angelas leise Stimme neben sich: „Du musst das nicht tun."

„Doch, das muss ich."

Auf dem nächsten Bild ist Lucy zu sehen. Sie sitzt auf einem Stuhl und ist mit ihren Armen und Beinen an diesen gefesselt. Sie ist bewusstlos oder schläft. Er vermutet ersteres, denn ihr Kopf ist nach hinten verdreht und liegt halb auf der Rückenlehne des Stuhles auf. Er sieht Blut, dass irgendwo von ihrem Hinterkopf kommen muss und das an ihrem Hals hinabgelaufen und dort getrocknet ist. Dann sieht er eine deutlich hervorstehende Beule auf ihrer Stirn. Die sich rot verfärbt hat. Und dann sieht er ihre geschwollene und blau verfärbte Wange und einen Abdruck, der von einer Hand herrührt. Der Anblick ist für ihn kaum zu ertragen und er muss die Augen wieder schließen und durchatmen. Doch was ihn fast über die Grenze seiner Selbstbeherrschung bringt, sind die deutlichen Spuren von Tränen, die sich über Lucys ganzes Gesicht ziehen und überall getrocknet sind.

Er zwingt sich den Text zu lesen, der auf einem Karton steht, der ins Bild gehalten wird.

Wenn ihr euch uns nähert, ist sie tot.

„Von wann ist das Bild?" Er hat seine Stimme wieder unter Kontrolle.

„Vom gleichen Abend noch."

„Und ihr habt es nicht für nötig befunden, es mir zu zeigen?" Seine Augen funkeln Angela wütend an.

„Du weißt genau, warum wir es dir nicht gezeigt haben."

Er weiß, dass sie recht hat. Das macht es nicht besser.

Jetzt erst merkt er, dass er seine zwei Hände so fest zu Fäusten geballt hat, dass die weißen Knöchel zu sehen sind. Er zwingt sich seine Hände zu öffnen und zu entspannen. Er muss alles nochmals im Kopf durchgehen und laut aussprechen. Um sich zu erden. Um nicht die Kontrolle zu verlieren. Um das Gefühl zu haben, dass sie irgendetwas wissen und nicht nur im Dunkeln tappen.

„Also dann lass uns nochmals alles zusammenfassen. Die vier Attentäter konnten anhand der Fotos vom Tatort und der Fotos vom Hafen identifiziert werden. Seit dem Attentat sind sie untergetaucht. Sie halten Lucy irgendwo fest und wir gehen davon aus, dass sie noch lebt …", dabei muss er schlucken und sich kurz unterbrechen „ … weil sie ihr bestes Druckmittel gegen uns ist. Der graue Ford, war eine Sackgasse und hat uns nicht weitergebracht. Es gibt keine bestätigten Meldungen, dass irgendjemand irgendetwas gesehen hat." Seine Stimme wird lauter. „Also im Prinzip wissen wir NICHTS."


Wesley sitzt in einem der Verhörräume des LAPD. Er ist nicht in bester Stimmung und er ist müde. Sein gestriger Abend bestand aus Akten, Akten und Akten. Sie waren alle möglichen Aufzeichnungen über Meldungen von Personen durchgegangen, die Lucy oder die Attentäter angeblich irgendwo gesehen hatten. Sie, das waren er und Angela, Nyla und James, Nolan und Bailey, Aaron und Celina und natürlich Tim. Sie, das war die kleine Familie innerhalb des LAPDs. Zusammengewachsen durch gemeinsame Erfahrungen. Nicht alle immer schön. Manche grausam. Im Ernstfall waren sie immer füreinander da. Und so war es auch dieses Mal. Jemand aus ihrer Mitte wurde vermisst. Lucy. Und sie würden alles tun, um sie zu finden. Und wo die Polizeiarbeit ihre Grenzen hatte, arbeiteten sie inoffiziell weiter. Es hatte nur eine Nachricht in ihrem gemeinsamen Gruppenchat benötigt und jeder war gekommen.

Einladung zum gemütlichen Beisammensein im Hause Lopez / Evers. Mit interessanter Literatur. Pizza ist bestellt.

Doch egal, worin sie wühlten, sie hatten keine einzige Spur gefunden. Alles war eine Sackgasse. Es war erschöpfend, es war frustrierend. Und mit jeder Stunde war die Laune von Tim immer mehr gesunken. Auch, wenn Wesley am Anfang des Abends gedacht hatte, dass dies überhaupt nicht möglich wäre. Denn schon da war seine Stimmung auf dem Level der Temperaturen der Antarktis. Doch Wesley hatten auch beobachtet, wie sehr Tim darum kämpfte nicht die Beherrschung zu verlieren und Haltung zu bewahren. Sich auf die Arbeit zu konzentrieren, die getan werden musste. Und das war schon jede Menge, denn bei Lucys letztem Verschwinden, war er sofort auf die Straße zurückgekehrt mit den Worten „Ich kann hier nicht rumsitzen. Ich muss Türen einschlagen."

Aber Tim war weit entfernt von der Verfassung Türen einzuschlagen. Und Angela und auch Nyla hatten ihm dies unmissverständlich deutlich gemacht. Trotzdem war es schon weit nach Mitternacht, als es Angela und Nyla gelungen war, Tim ins Bett zu schicken. Der Mann hatte eine Not-Operation hinter sich und bräuchte eigentlich Erholung. Doch Tim würde nicht ruhen, bis er Lucy finden würde. Oder sie tot war. Und dann würde er niemals aufhören, die Täter zu suchen. Und egal, ob er diese dann finden würde oder nicht. Er würde sich auf dem Weg verlieren. Und er würde danach nicht mehr der Mann sein, den sie kannten.

Wesley musste an die Zeit denken, als Angela entführt worden war. Zusammen mit seinem ungeborenen Baby. Selbst die Erinnerungen daran waren grausam. Ohne Tim und den Rest des Teams hätten sie damals nicht geschafft Angela zurückzuholen. Und auch dieses Mal würde niemand ruhen. Sie würden Lucy finden. Sie mussten Lucy finden.

„Hey Mister Anwalt. Können Sie sich mal auf mich konzentrieren?"

Wesley wird aus seinen Gedanken gerissen. Oh, ein Kaffee wäre gut. Muss bis später warten, denkt er sich.

Ihm gegenüber sitzt eine sehr freizügige Dame. Was offensichtlich mit ihrem Beruf zu tun hatte. Denn sie ist eine Prostituierte. Sie ist übermäßig geschminkt, hat dunkles braunes Haar, nicht zu verachtende Titten .. äh Brüste … denkt sich Wesley und sie sitzt geradezu aufreizend da. Angela, die neben ihm sitzt, mustert ihn kurz und versetzt ihm unter dem Tisch dann einen Tritt gegen sein Schienbein. Leg dich nie mit einer Ehefrau an, die hört, wie du über die Titten einer anderen Frau nachdenkst.

Die Dame ihm gegenüber war gestern Nacht verhaftet worden, weil sie beim Dealen von Drogen erwischt worden war. Ihm war heute der Fall zugeteilt worden, weil man vermutet, dass ihr Lieferant zu einem Drogenring gehörte, mit dem die Staatsanwaltschaft schon länger beschäftigt ist. Angela war als betreuender Detektiv des Falls dabei.

Wesley wirft einen Blick in die Akte, die vor ihm liegt.

„Miss Aberdeen. Kommen wir gleich zur Sache, weil unsere Zeit begrenzt ist. Sie werden für einige Zeit ins Gefängnis gehen. Die Beweislage ist eindeutig. Ein Schuldeingeständnis wird die Haftstrafe verringern." Er schiebt ihr ein Formular und einen Stift zu. „Sie müssen das hier nur ausfüllen und unterschreiben."

Der Blick von Miss Aberdeen ist erschrocken, als sie den Stift nimmt zittert ihre Hand ein wenig.

„Das können sie nicht machen! Ich habe einen kleinen Sohn zu Hause. Denken Sie, ich mache das hier freiwillig. Denken Sie, es macht mir Spaß mich von Männern begrabschen zu lassen. Ich will nur meinen Jungen groß bekommen. Sein Vater, dieser Dreckskerl, hat mich schwanger sitzen lassen. Da war ich 16. Ohne Geld, ohne Job, ohne Schulabschluss. Was hätte ich denn machen sollen? Ich muss alles nehmen, was ich mir nebenbei verdienen kann. Und ab ein zu einen Schein, weil irgendein verwöhntes Söhnchen ohne Geldsorgen sich was einwirft. Das ist doch nicht verwerflich."

Nun spricht Angela. Sie lehnt sich leicht nach vorne und Wes weiß, dass die Geschichte sie nicht kalt lässt, auch wenn sie so tut.

„Das Sorgerecht für Ihren Sohn wird Ihnen entzogen werden. Das Jugendamt ist schon informiert. Man wird sich gut um ihren Jungen kümmern. Dafür werden wir sorgen."

Die Frau schluchzt auf. „Nehmen Sie mir nicht meinen kleinen Jungen."

Wesley ist an der Reihe. Es ist ein einstudiertes Spiel zwischen ihm und seiner Frau. „Das liegt gerade nicht in unserer Hand, Miss Aberdeen. Aber die Staatsanwaltschaft könnte sich kompromissbereit zeigen, wenn sie es tun. Ich denke da an eine Strafminderung und an Besuchsrecht. Wenn sie Informationen für uns haben, die uns bei unseren Ermittlungen bezüglich der bei Ihnen gefundenen Drogen weiterhelfen, dann werde ich mich für Sie einsetzten. Sie haben mein Wort."

Der Kopf der Frau sinkt auf ihre Brust. Es ist ab und an ein Schluchzer zu hören.

„Ich sag Ihnen alles, was ich weiß."

Wesley nickt der Frau zu.

„Die Drogen werden mir immer von verschiedenen Boten übergeben. Immer woanders. In unregelmäßigen Abständen. Sie sind immer in einem Umschlag. Zusammen mit meinem Anteil. Meist ein Hunderter. Ein paar Tage später kommt dann immer ein anderer Bote und holt das Kuvert mit den Einnahmen wieder ab."

Sie schaut Wesley und Angela an.

„Das sind doch gute Informationen? Die helfen ihnen doch weiter? Dafür bekomme ich doch was?"

Wesley schaut zu Angela, die nickt.

„Könnten sie die Boten bei einer Gegenüberstellung identifizieren."

„Nein, es war immer nachts. Und sie hatten immer eine Kapuze oder ähnliches auf. Ich habe nie ein Gesicht gesehen."

„Das ist schlecht. Es gibt noch eine andere Möglichkeit. Sie müssten mit uns kooperieren. Wir müssten sie als Köder einsetzten. Dafür brauchen wir erst einmal eine Genehmigung und ihre Zustimmung. Denn das ist kein Kinderspiel und ist gefährlich. Darauf muss ich sie hinweisen. Es gibt viele unbekannte Variablen. Zeitpunkt, Ort, Ablauf. Das macht es schwierig. Und nur, wenn wir die Hintermänner erwischen, können sie auf ein Entgegenkommen hoffen."

Wesley sieht, wie die kurze Hoffnung, die im Gesicht der Frau aufgeleuchtet hat, wieder verlischt. Sie legt ihr Hände auf den Tisch und fängt an unruhig mit ihren Fingern zu spielen. Sie scheint mit sich zu ringen. Wesley weiß, was das bedeutet. Sie hat noch mehr auf Lager. Und das weiß auch Angela.

Angela erhebt sich, geht um den Tisch herum und legt Aberdeen eine Hand auf die Schulter.

„Wenn Sie noch mehr wissen, dann teilen sie es uns jetzt mit. Das ist ihre letzte Chance."

Am tiefen Einatmen der Frau sieht Wesley, dass die Worte von Angela genügt haben. Sie würden jetzt die Info bekommen. Womit er nicht gerechnet hat, ist das, was sie als nächstes sagt. Denn es hat absolut nichts mit den Drogen zu tun.

„Suchen sie immer noch diese weibliche Polizistin? Die die bei dem Attentat dabei war und seitdem vermisst wird?" Sieh schaut Wesley direkt in die Augen. „Dann habe ich Infos für sie."


Tim weiß, dass er gerade unausstehlich ist. Aber er kann es nicht ändern. Aber es scheint ihm auch niemand übel zu nehmen. Was noch schlimmer ist. Er blafft Leute an und sieht nur verständnisvolle Blicke. Gott, es wäre einfach viel befriedigender, wenn er jemanden zusammenschreien könnte und dieser dann wenigstens kurz eingeschüchtert wäre. Er würde sich dann besser fühlen. Er ist sich sicher. Nein, er ist sich nicht sicher, weil er dann Lucys Stimme in seinem Kopf hört.

Sei kein Arsch Bradford. Niemand kann was für deine schlechte Laune.

Und er entschließt sich den nächsten, der ihm im Weg steht oder der ihm nicht schnell genug aus dem Weg gehen kann oder der ihm einfach die falsche Frage stellt, etwas weniger laut anzublaffen. Weil sie es so gewollt hätte.

Tim schließt kurz die Augen. Sieht dann aber wieder nur das Bild von Lucy vor sich, wie sie auf diesem Stuhl sitzt. Gefesselt. Verletzt. Tränenüberströmt. Er zwingt sich andere Bilder von Lucy zu sehen. Wie sie sich in einem Park zu Kojo hinunterbeugt und ihn mit Küsschen überhäuft. Um ihm dann einen Blick zuzuwerfen und zu sagen „Brave Jungs haben sich viele Küsse verdient". Wie sie in seinen Armen auch der Couch liegt und in hysterische Lachen ausbricht, als ein Teilnehmer bei Top Chef sein fertiges Steak aus Versehen mit Zucker würzt, statt mit Salz. Wie er von einer späten Schicht heimkommt, sie schon schläft und er sich ganz vorsichtig ins Bett legt, um sie nicht zu wecken. Und sie, als er überzeugt ist, dass es ihm gelungen ist, sich zu ihm umdreht, ihren Kopf auf seine Schulter legt, ihren Fuß über seine Füße schlingt und ihm mit ihrer schläfrigen Stimme ins Ohr flüstert „Anschleichen ist wohl nicht deine Stärke Bradford." Wie er von einem erfolgreichem Metro-Einsatz zurückkommt, in Greys Büro für seinen Bericht steht und er ihren Blick auffängt. Der so voller Stolz auf ihn ist. Und er danach denkt, er könnte die ganze Welt retten.

Sein Telefon klingelt. Es ist Grey, der ihn in sein Büro zitiert. Als Tim eintritt, sieht er, dass Angela und Nyla bereits dort sind. Sein Herz macht einen kleinen hoffnungsvollen Sprung. Er tritt ein und schließt die Tür hinter sich. „Sir?"

„Tim setzten Sie sich."

„Ich bevorzuge es zu stehen."

Grey schaut kurz nach oben. So wie er immer schaut, wenn er denkt, dass einer seiner Untergebenen unnötig an seinen Nerven zehrt. Dann entschließt er sich, dass er es auf sich beruhen lässt. Er macht eine auffordernde Geste Richtung Wesley.

„Erzählen Sie es ihm."

Tim dreht sich in Richtung Wes. „Wir hatten gerade ein Verhör mit Miss Aberdeen."

„Sollte mir der Name etwas sagen?"

„Nein … also ich hoffe nicht."

Nyla springt dazwischen. „Sie ist eine Prostituierte Bradford."

Seine Antwort ist etwas dumb. „Nein, dann kenne ich sie nicht."

Tim sieht, wie Angela ein Lächeln unterdrücken muss.

„Und warum ist sie dann wichtig für uns?"

„Würden wir dir ja erzählen, wenn du uns nicht dauernd unterbrechen würdest." Angela hat keine Lust auf seine schlechte Laune. „Wir haben sie wegen Drogenhandels verhaftet. Die Staatsanwaltschaft wollte mit ihr einen Deal abschließen, um an die Hintermänner des Drogenrings ranzukommen. Aber die Informationen sind das Papier nicht wert auf dem sie stehen. Also bietet sie uns was anderes."

Tim merkt, wie er langsam die Geduld verliert. Als er den Raum betreten hat, hatte er wenigstens die wage Hoffnung, dass es neue Infos zu Lucy geben würde. Aber jetzt sind sie bei Drogen. Das ist Zeitverschwendung. Er hat besseres zu tun.

„Und das wäre?"

Grey tritt einen Schritt auf ihn zu. „Erst klären wir die Regeln. Harper und Lopez führen das Verhör. Sie können im Nebenraum zuhören. Wesley ist als Vertreter der Staatsanwaltschaft dabei. Und wenn sie einen Fuß in der Verhörraum setzten, dann ziehe ich Sie aus den Ermittlungen ab. Wir machen alles nach Vorschrift. Damit uns niemand später einen Verfahrensfehler unterstellen kann."

Tim kann nur nicken und ein „Okay" von sich geben. Er hat keine Ahnung, worum es geht. Grey schnauft hörbar durch.

„Miss Aberdeen behauptet, dass sie Informationen zu Lucy hat."

Tims Herz macht einen Sprung. Endlich.


Ungefähr zwanzig Minuten später steht er im Umkleideraum des LAPD an einem Waschbecken. Ihm kommt sein Frühstück hoch und er kämpft mit sich, damit er sich nicht übergibt. Er spritzt sich Wasser ins Gesicht und versucht seinen Puls zu beruhigen. Seine Hände krallen sich in das Waschbecken und er hat das Gefühl, dass, wenn er nur noch etwas fester drücken würde, Risse im Porzellan entstehen.

Angela steht plötzlich neben ihm und reicht ihm Tücher, um sein Gesicht abzutrocknen.

„Geht es wieder?"

Er macht ein undefinierbares Geräusch, dass zwischen einem Schluchzen und einem Keuchen ist. Er spürt, wie eine Hand von Angela in Kreisen über seinen Rücken streicht.

„Ich weiß das hört sich hart an, aber du musst das ausblenden Tim."

Er wünschte es wäre so einfach.

„Wie hast du das damals gemacht, Angela? In Guatemala? Als sie gedroht haben dir dein Kind wegzunehmen. Wie konntest du dich … aufrecht halten? Wie konntest du … nicht durchdrehen?"

Angela dreht Tim zu sich herum, so dass er ihr in die Augen schauen muss. Sie nimmt seine Hände in ihre.

„Indem ich mich immer wieder daran erinnert habe, dass ihr mich holen werdet. Indem ich mir immer wieder vorgesagt habe, dass es nicht passieren wird. Das sie mein Kind nicht kriegen. Das alles gut wird."

Und dann lächelt sie ihn an „Und ich habe sie in meinen Gedanken mit allen Flüchen belegt, die ich kenne."

„Vielleicht könntest du mir den ein oder anderen Fluch beibringen. Nur für den Notfall."

„Darauf kannst du dich verlassen. Hör zu Tim …" sie drückt seine Hände „… Lucy ist stark. Sie wird nicht aufgeben. Und das sollten wir auch nicht. Und wir werden sie da rechtzeitig rausholen. Daran musst du glauben."

„Danke Ang. Ich glaub ich muss mich jetzt kurz in mein Büro einsperren und irgendwas zertrümmern."

„Okay. Aber ruf mich, wenn du etwas brauchst. Oder, wenn ich dir beim Schadensformular helfen soll. Uns wird schon einfallen, wie wir das erklären."

Tim drückt kurz ihre Hand, dreht sich dann um und geht. In seinem Büro schließt er die Tür ab, lässt die Rollos herunter und lässt sich in seinen Stuhl fallen. Zu schnell, was ihm einen schmerzhaften Stich in seiner Bauchgegend einbringt. Stimmt, er wurde ja angeschossen.

Und dann legt er seinen Kopf an die Rückenlehen, schließt seine Augen und versucht seine Gedanken zu sortieren.

Er sieht sich im Nebenraum des Verhörraums stehen. Er sieht Aberdeen auf ihrem Stuhl sitzen. Und dann fängt sie das Reden an. Erzählt, dass sie bei ihrer „Schicht" am Abend des Attentats einen Freier hatte. Einen Typen, wie man ihn sich nicht mal als Prostituierte wünscht. Grob, gnadenlos, tyrannisch. Ihr laufen die ersten Tränen über das Gesicht. Sie erzählt, dass sie heute noch Abdrücke von seinen Händen hat, in ihr immer noch alles wund ist, weil er so gnadenlos mit ihr umgesprungen ist. Sie erzählt, dass dies zum Berufsrisiko gehört, aber dieser Typ sogar ihr Angst gemacht hat. Sie erzählt, wie er damit angegeben hätte, dass sie nur jemand zum Adrenalin ablassen wäre. Dass er schon wisse, wen er als nächstes ficken würde. Dass er dann nichts zahlen müsste. Dass die kleine brünette Schönheit völlig in seiner Hand wäre. Dass er ihr zeigen würde, wie es wäre mal einen richtigen Mann zu haben. Und dass er sie so hart ficken würde, dass sie danach nicht mehr stehen könne. Und dann würde er ein Foto machen, wie sie nackt und blutend vor ihm liegt. Und das würde er dann ihren kleinen Freunden vom LAPD schicken, damit sie mal sehen würden, wie man es richtig macht. Und was mit kleinen Mädchen passiert, die man auf Undercover-Einsätze schickt. Und dann würde er ihr mit einer Kugel das Licht ausblasen. Sie erzählt, dass sie ihn am nächsten Tag auf einem Fahndungsfoto erkannt hat. Sie erzählt, dass sie zu viel Angst hatte zur Polizei zu gehen. Sie erzählt, dass er einer der Attentäter ist, die Lucy Chen in ihrer Gewalt haben.