Jahr 5
Kapitel 9 - Der Rosengarten
Nach dem ersten Lied verließen einige die Tanzfläche, darunter auch Potter und ihr Urgroßonkel. Letzterer steuerte lächelnd auf sie zu. Sie konnte seine Gedanken lesen, ohne dies tatsächlich zu tun. Er war ihr wohl nicht so ähnlich wie Severus. „Ihr zwei solltet nicht nur hier am Rand rumstehen. Amina sei so gut und tanz mit einem alten Mann wie mir. Severus, Sie werden mich nach diesem Tanz ablösen.", befahl er. Der Tränkemeister setzte schon zum Protest an, da warf Albus ihm einen vielsagenden Blick zu. „Keine Widerrede!", sagte er nur vergnügt. Ergeben seufzte Severus und nickte. Amina sah mit hochgezogener Augenbraue zwischen den beiden hin und her. Was hatte das denn zu bedeuten?
Sie tanzte mit Albus einen Wiener Walzer. „Du bist ein guter Tänzer.", stellte sie mitten im Tanz fest. „Du auch. Haben das deine Eltern dir beigebracht?", fragte Albus sie. „Sie haben eine Tanzlehrerin angestellt. Jeden Sommer musste ich lernen, wie man sich auf einer solchen Festlichkeit und ähnlichen Veranstaltungen benimmt und dazu gehörten selbstverständlich auch sehr viele Tänze.", antwortete sie. „Schaden kann es jedenfalls nicht.", stellte Albus fest. Sie antwortete nicht. Tatsächlich war sie vor allem in ihren letzten Schuljahren froh gewesen über den Unterricht, denn er bedeutete, dass sie ihre Eltern in dieser Zeit nicht sehen musste.
Am Ende des Lieds hatte Albus sie so geschickt geführt, dass sie in Severus Nähe anhielten, um der Band zu applaudieren. „Darf ich abklatschen?", fragte Severus, der hinter Amina getreten war. Albus lächelte ihn an und legte Aminas Hand in die Severus'. „Aber natürlich, Severus.", sagte er fröhlich und verschwand aus ihrem Blickfeld. Amina hatte das Gefühl, etwas nicht mitbekommen zu haben.
Die Lernenden um sie schauten die beiden mit einer Mischung aus Respekt, Furcht und Unglauben an. „Ich bringe ihn dafür irgendwann noch um.", murmelte Amina. Dann warf sie den Starrenden einen vernichtenden Blick zu. Sie wandten sich schnell ab. „Ich werde dir helfen.", sagte Severus ebenso mit finsterer Miene.
Die Musik setzte ein. Ein langsamer Walzer. Sie würden sich also nicht vollständig die Blöße geben müssen. Severus war ein guter Tänzer. Nicht so gut wie der Schulleiter, aber Amina merkte, wie geübt er war. Sie unterhielten sich während des Tanzes nicht, sondern sahen sich unablässig in die Augen, wie es sich für diesen Tanz gehörte. Severus führte sie ohne Probleme durch die anderen Tanzpaare, auch wenn die meisten Lernenden eher stümperhaft hin und her schaukelten.
Sie konnte einige Blicke auf sich spüren, was sie wenig überraschte. Severus und sie waren die wohl unsympathischsten Lehrkräfte in Hogwarts. Wobei Severus definitiv in Führung lag. Vermutlich konnte kein Teenager sie sich als normale Menschen vorstellen. Wenigstens waren die meisten mit sich selbst oder ihrer Begleitung beschäftigt. „Lass uns nach dem Tanz einen Rundgang um das Schloss machen. Ich wette mit dir, wir finden einige Lernende bei den Kutschen und im Rosengarten.", sagte Severus, als sich der Tanz langsam dem Ende neigte. Amina nickte. „Das glaube ich auch. Vielleicht auch auf den Ländereien. So entkommen wir wenigstens Albus, bevor er uns noch mal zum Tanzen verdonnert." Severus zog sie näher an sich ran. „Das auch."
Nachdem der Tanz endete, verbeugte sich Severus leicht und Amina knickste. Dann führte er sie von der Tanzfläche. „Wo hast du eigentlich gelernt, wie man sich zu verhalten hat? Ich meine, Tanzen kann ich verstehen, aber das außen rum." Amina sah ihn interessiert an. „Ich hatte genug reinblütige Freunde. Lucius zum Beispiel hat großen Wert daraufgelegt, dass seine Freunde solche Kleinigkeiten beherrschten.", antwortete er ihr. Sie standen wieder am Rand der Halle und beobachteten mit ausdruckslosen Mienen die Schülerschaft. Ihr Blick traf kurz auf den Potters. Anscheinend hatte er sie beobachtet. Schnell wandte der Schwarzhaarige seinen Blick ab.
„Ich gehe schon mal raus. Warte vielleicht noch ein paar Minuten bevor du nachkommst. Potter hat uns gerade beobachtet. Alastor tut es sowieso immer und die anderen warten alle nur darauf, dass wir zusammen verschwinden. Ich warte im Rosengarten auf dich.", flüsterte sie ihm zu. Er nickte, behielt seinen Blick aber auf den Menschen vor sich gerichtet. Amina lief aus der Großen Halle in Richtung Eingangsportal. Dort vergrößerte sie sofort ihren Legilimentik-Radius, um nicht nochmals in Gefahr zu laufen, ungewollt beobachtet zu werden, wie am Tag zuvor.
Langsam lief sie durch den Innenhof vor der Großen Halle. Dort standen die Kutschen, welche zur Abholung der Eingeladenen gedient hatten. Normalerweise mussten die Lernenden aus Durmstrang und Beauxbatons zum Schulgebäude laufen, doch in hohen Schuhen und Festkleidung wollte Albus sie nicht über die Ländereien laufen lassen.
Aus einer der Kutschen hörte sie verdächtige Geräusche. Sie lief auf die Kutsche zu und öffnete sie mit einem Ruck. „Zehn Punkte abzog für jeden von Ihnen.", sagte sie kühl zu den beiden Schülern. Zwei Gryffindors. Eilig verließen die beiden die Kutsche und murmelten Entschuldigungen.
Sie lief weiter in den Rosengarten. Dort folgte sie einem der Pfade und setzte sich auf eine der Steinbänke. Die Feen beleuchteten den Garten wie Kerzen. Er sah schön aus in dem künstlichen Dämmerlicht. Wieder weitete sie ihre Legilimentik ein wenig aus. Sie bemerkte einige Teenager in den Büschen und verzog das Gesicht. Das Schloss hatte so viele Möglichkeiten und die Lernenden wählten den kalten und dreckigen Boden…
Sie bemerkte Severus, bevor sie ihn sehen konnte. In seiner schwarzen Kleidung hob er sich kaum von der Dunkelheit ab, was es schwer machte, ihn mit den Augen zu fixieren. Er trat neben sie, als sie gerade aufstand. „Sind wir allein?", fragte er leise. Sie schüttelte den Kopf. „Wenn du den Weg nimmst und ich diesen treffen wir mindestens auf zehn Schüler in den Büschen. Am Ende werden wir allein sein.", sagte sie und zeigte auf die Wege. „In Ordnung.", sagte er und lief einen der beiden Wege entlang. Sie nahm den anderen.
Nachdem sie insgesamt sechzig Hauspunkte abgezogen hatte, traf sie wieder auf Severus.
„Wie viel hast du?", fragte er. „Sechzig. Du?" „Fünfzig." „Ich habe gewonnen." Sie schmunzelte. „Nur dieses Mal." Er sah sie mit vielsagendem Blick an. Sie überprüfte nochmals ihre Umgebung. Kein menschlicher oder ansatzweise menschlicher Geist war zu spüren.
„Wir sind allein.", informierte sie ihn und fand sich keine Sekunde später an die Schlossmauer gedrückt wieder. Er küsste sie gierig. Sie erwiderte den Kuss nach einigen Sekunden und vergrub ihre Hände in seinem Haar. „Weißt du eigentlich, wie gut du aussiehst? Du kostest mich heute Abend sämtliche Selbstbeherrschung.", flüsterte er ihr mit rauer Stimme zu, bevor er anfing, ihren Hals zu küssen. Sie stöhnte leise auf. „Severus… wir sind nicht besser als die Kinder.", murmelte sie in einem schwachen Versuch, Vernunft walten zu lassen. „Na und? Wenigstens wälzen wir uns nicht in Dreck und Büschen.", gab er ihr als Antwort und blickte ihr in ihr sehendes Auge.
Sie schmunzelte. „Da hast du natürlich recht. Du siehst übrigens auch gut aus. Vielleicht hätten wir nach dem Tanz wo anders hingehen sollen.", sagte sie und verschloss seine Lippen mit ihren. Er erwiderte den Kuss bereitwillig und legte eine Hand in ihren Nacken, um sie näher zu ziehen. Seine andere Hand schob langsam ihr Kleid höher. Er würde doch nicht hier draußen …
Amina bemerkte am Rande ihres Bewusstseins, wie sich jemand näherte und drückte Severus leicht von sich weg. Er sah sie fragend an. Sie musste sich beherrschen, ihn nicht wieder an sich zu ziehen mit seinem lustvollen Blick in den Augen und den Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht fielen.
„Es kommt jemand.", flüsterte sie. Unwillig ließ Severus sie los und brachte Abstand zwischen sie und sah sie abwartend an. „Karkaroff.", stellte sie fest, als die Person näherkam. Noch hatte er sie nicht gesehen. „Versteck dich. Er sollte uns nicht zusammen sehen.", zischte Severus ihr zu und sie verschwand hinter einigen Büschen.
Keine Minute später hatte Karkaroff Severus bemerkt. „Severus, du gehst mir aus dem Weg.", stellte der Schulleiter fest. „Ich wüsste nicht, warum ich dies tun sollte, Igor.", antwortete Severus kühl und lief an ihm vorbei. „Du siehst die Zeichen doch auch, oder? Du spürst es!", sagte Karkaroff und lief Severus hinterher.
„Wir sollten darüber reden.", stellte der Weißhaarige fest. Amina trat leise einige Meter hinter den beiden Männern auf den Weg und folgte ihnen mit leisen Schritten. „Ich verstehe nicht, was es da noch zu reden gibt, Igor.(21)", versuchte Severus seinen Gesprächspartner abzuwimmeln. Amina bemerkte, dass die beiden nicht mehr allein waren. Zwei Teenager in den Büschen, ein bis zwei Meter vor den beiden und dann noch Potter und Weasley weiter vorne auf den Weg. Sie müssten die beiden hören, doch Amina konnte ihn nicht warnen, ohne selbst aufzufliegen.
Karkaroff redete weiter auf Severus ein, welcher zunehmend genervter wurde und ihm sagte, er solle fliehen, wenn er wollte. Dabei bearbeitete er den Busch, unter dem sie die zwei Lernenden bemerkt hatte, mit seinem Zauberstab. Diese sprangen panisch aus dem Busch hervor. Severus zog ihnen Punkte ab und schien endlich auch Potter und Weasley zu bemerken. Er fuhr sie kurz an und lief dann eilig an ihnen vorbei. Amina überlegte, wie sie aus der Situation wieder herauskam. Doch die zwei Schüler bogen ab. Sie überlegte kurz, dann folgte sie ihnen. Sie wollte wissen, wie viel die beiden gehört hatten. Doch viel sagten sie nicht dazu. Amina war erleichtert, auch wenn sie bemerkte, wie das Misstrauen der beiden gegenüber Severus wieder stieg.
Drei weitere Geister tauchten in ihrem Umkreis auf. Davon konnte sie Hagrid und Madame Maxime erkennen. Der Dritte schien nicht wirklich menschlich zu sein. „Ein Animagus!", schoss es Amina durch den Kopf. Sofort lief sie zu dem entsprechenden Busch, in dem sie den Animagus geortet hatte. Sie brauchte einige Sekunden, bis sie den großen Käfer entdeckte, der gerade zum Flug ansetzte. Bevor der Animagus reagieren konnte, hatte Amina ihn mit einem Zauber eingefangen und lief eilig von den anderen vier Personen weg. Sie fühlte die Angst, den Ärger und die Nervosität des Käfers. Sie fragte sich, wer es wohl war.
Sie wusste von keinem weiteren Animagus in Hogwarts neben Minerva und war seit den Ereignissen des Vorjahres auch um einiges skeptischer gegenüber Animagi. Mit schnellen Schritten lief sie auf das Eingangsportal zu. Dort kam ihr Severus entgegen. Bevor er etwas sagen konnte, flüsterte sie: „Ein Animagus im Rosengarten. Ich habe ihn gefangen genommen." Severus sah sie kurz an und nickte dann. „In mein Büro. Ich gebe dem Direktor Bescheid.", sagte er und lief mit eiligen Schritten voraus. Amina lief möglichst unauffällig in die Kerker.
(21) Rowling J. K., 2017. Harry Potter und der Feuerkelch. Schmuckausgabe. Hamburg: Carlsen Verlag GmbH. Harry Potter. 4. S. 269. ISBN 978-3-551-55904-3
