Ich habe diese Geschichte 2006 unter dem Namen Waffenbündnis begonnen und wie das so manchmal ist passiert das Leben und Geschichten werden vergessen. Doch ich habe sie eben nie richtig vergessen können und auch wenn ich nicht mehr wusste, wohin ich damit einmal gehen wollte, habe ich sie doch zum Ende gebracht. Hier ist nun, was daraus wurde und ich hoffe, sie gefällt.
Tja und wenn einem dann beim Lesen einige Ungereimtheiten auffallen kann es passieren, dass selbst das Korrigieren noch einmal ewig dauert. Jetzt ist sie aber (hoffentlich) endlich fertig und ich stelle alle Kapitel mit einmal online, damit es auch keine weiteren Verzögerungen mehr gibt.
Erste Begegnung?
Man hörte Schreie. Schreie voller Schmerz und Verzweiflung. Ein geschundener Körper quälte sich durchs grüne Dickicht. Seine Beine trugen ihn kaum noch, doch er musste weg. Weit weg aus dieser Hölle, die ihm zu dem gemacht hatte, was er jetzt war. Ein Monster, das durch den dunklen Wald rannte. Den Geruch von Blut in der Nase, das an seinem Körper klebte und ihn immer weiter trieb. Er wusste nicht, woher es kam und er wollte es auch nicht wissen, zu viele einzelne Fetzen durchschwirrten seine Gedanken. Unwirklich. Ohne zu wissen, ob Traum oder Realität. Bilder voller Schmerz und immer wieder aufblitzendes Metall. Krallen. Er wusste nicht, wo er war, doch er musste weg. Keuchte, rannte unter Schmerzen, doch trugen ihn seine Beine immer weiter, gezwungen vom eisernen Willen seines Geistes.
Ein Knacken. Hecktisches umschauen.
Sind sie etwa schon hinter mir her? Ist mein Vorsprung so schnell geschwunden?
Er wurde wieder schneller, bis er plötzlich auf einer Art Lichtung stand. Hell, etwas blendete ihn.
Was ist das?
Er hatte so etwas schon einmal gesehen. Vor langer Zeit? Doch er konnte sich nicht mehr erinnern. Sein Kopf schmerzte. Verwirrt blickte er sich um. Laut. So viele Geräusche, die er nicht mehr zuordnen konnte. Das laute Ding hielt quietschend und mit stotternden Reifen vor ihm an.
Sie haben mich entdeckt! Ich muss fliehen, doch … Nein, ich würde es nicht schaffen. Diesmal nicht. Erst einmal wieder Deckung suchen! Und dann? Auflauern, töten wenn nötig!
Er zog sich zurück und wartete in der Dunkelheit. Atmete leise und flach. War vollkommen auf jedes Geräusch konzentriert. Wie ein Tier auf der Jagd. Da, jemand rief.
Etwa nach mir? War das mein Name, der da gerufen wird? Ich weiß es nicht!
Und doch nahm die Anspannung in seinem Körper, die er bislang nicht einmal bemerkt hatte, rapide ab. Die Stimme klang nicht wie die anderen, die durch seinen Kopf schwirrten und bedrohliches verkündeten. Nein, diese Klang fast freundlich und aus irgendeinem Grund vertraut. Doch er rührte sich keinen Millimeter. Blieb versteckt hinter einem Baum stehen, während die Stimme näher kam und noch immer nach jemandem rief.
Wenn sie nicht bald ruhig ist, lenkt sie noch die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich! Feind? Wer war der Feind überhaupt? Der, vor dem ich weglaufe oder vielleicht doch ich selbst? Ich weiß es nicht, weiß gar nichts mehr! Jetzt, die Stimme ist hinter mir. Was soll ich nur tun?
Ein spitzer Schrei erfüllte die Stille des Waldes, als er hinter dem Baum hervorsprang. Nackt, verdreckt und völlig wild aussehend. Eher wie ein Tier als wie ein Mensch. Sie lief nicht weg. Schaute ihn nur unentwegt an, als sie den ersten Schreck überwunden hatte. Die Hände erhoben und leer, um ihm zu zeigen, dass von ihr keine Gefahr ausgehen würde. Dann brach er zusammen. Die ganze Anstrengung der letzten Stunden, dass viele laufen, alles machte sich in diesem Moment bemerkbar. Nichts hatte er bis eben gespürt, doch als er in ihre Augen sah, wusste er, dass ihm von ihr keine Gefahr drohen würde und er endlich nicht mehr weglaufen musste. Er fühlte sich sicher, sich eingestehen zu können, müde und erschöpft zu sein. Er spürte das feuchte Gras unter seinen Knien und Händen. Stütze sich schwer atmend darauf ab. Dann Wärme. Hände an seinen Schultern. Sie hatte sich zu ihm hinunter in den Dreck gekniet, als er eine sanfte Stimme hörte.
„Alles wird gut werden. Du bist nicht mehr allein."
Allein. Einsam. Ich war doch immer allein gewesen, oder? Mal, weil ich es wollte und die Gesellschaft anderer mied und mal weil sie mich mieden. Ich war anders, das wusste ich schon immer und mit solchen wollten die Leute nun mal nichts zu tun haben. Und doch. Die Stimme hat gesagt, ich bin jetzt nicht mehr allein.
„Komm. Wir müssen hier weg, bevor die anderen uns eingeholt haben."
Also doch. Sie verfolgen mich. Nie würde ich Ruhe finden und ein normales Leben führen können. Normal. Was ist schon normal? Ich erinnere mich vage an Schlachten und Kriege. An ein wild um sich wütendes Monster oder doch einen heldenhaften Krieger? Vielleicht war aber doch alles nur ein Traum? Ich weiß es nicht.
Eine Hand. Helfend. Er stand auf. Gestützt. Dirigiert.
Wo gehen wir hin? Kann ich ihr wirklich vertrauen? Vertrauen. Noch nie habe ich jemandem wirklich vertraut, nicht wahr? Man konnte auf die Menschen nicht vertrauen, ihnen nicht vertrauen. Alle waren sie gezeichnet von Verrat und Egoismus. Nur sich selbst konnte man vertrauen, wenn man überleben wollte. Deshalb habe ich schon immer den Kontakt mit ihnen nur auf das Nötigste beschränkt. Doch jetzt. Jetzt kann ich nicht einmal mehr meinem eigenen Körper vertrauen, geschweige denn meinem Geist. Was ist Erinnerung, was Traum?
Sein Körper zitterte unter seinen widersprüchlichen Gedanken und folgte ihr doch bereitwillig. Ohne zu wissen, wieso. Ohne zu wissen, wohin. Sie gingen. Lange. Er wusste nicht mehr wie lange. Nur, dass sie liefen und nicht mehr rannten. Ohne Furcht. Ohne Hasst. Irgendwann ging er wieder allein. Neben ihr, aber ohne ihre Hilfe.
Stille. Sie redeten nicht. Er wusste ohnehin nicht, ob seine Stimme noch existierte. So lange war es her, dass er sie benutzt hatte. Nur in Gedanken sprach er noch.
Langsam wurde es heller. Ein neuer Tag begann. Noch einer.
Wie viele wohl schon vergangen sind, seit ich so bin wie ich jetzt bin? Ich weiß es nicht.
Sie liefen weiter, bis die Sonne schon recht hoch stand und den dichten Wald in ein helles Licht tauchte. Eine kleine Lichtung und er hörte Wasser plätschern. Durst. Erst jetzt bemerkte er ihn.
„Hier bleiben wir besser, bis es dunkel wird. Eine Rast tut uns beiden gut."
Sanft. So sanft und zerbrechlich.
Er ging sofort auf den kleinen Bach zu und hielt seinen Kopf ohne Umschweife hinein. Er trank. Wusste nicht wie lange.
Sie. Wo ist sie hin? Hat sie mich wieder allein gelassen?
Er drehte seine Oberkörper um. Auf Knien hockte er da. Sah sie auf einem Stein sitzend.
Ich sollte mich auch ausruhen. Wenigstens für ein paar Minuten.
Er lief auf sie zu. Sie wich zurück, auch wenn es mehr nur ein unmerkliches Schaudern, das ihren Körper erfasste war.
Hat sie Angst? Verständlich. Wie ich wohl auf sie wirke? Wohl wie ein Monster, wild und angsteinflößend. Nein, sie macht Platz und lächelt mich an.
Er senkte den Kopf. Ertrug ihren Blick nicht, aber setzte sich doch neben sie. Atmete tief ein und aus. Fand endlich etwas Ruhe, als sie aufstand und zum Wasser ging. Auch sie Trank und hielt dann etwas hinein. Sie kam wieder auf ihn zu. Ruhig. Bedächtig. Stand direkt vor ihm. Er schaute auf. Genau in ihr Gesicht und konnte ihr doch nicht in die Augen sehen. Zu groß war die Scham vor dem, was sie wohl bei seinem Anblick denken musste. Und doch. Sanfte Hände. Kühle Nässe. Er griff nach ihrer Hand.
Was tut sie da?
Und sah sie endlich an. Sah das kleine Zucken in ihren Augen. Erschrockenheit. Dann wieder dieser sanfte Blick.
„Ich möchte dir nicht wehtun. Keine Angst."
Er hatte ihre Hand losgelassen, ohne es zu merken. Lies sie einfach gewähren. Und sie fing langsam an, sein Gesicht vorsichtig von Schmutz und Blut zu befreien. Er beobachtete sie dabei. Jeden ihrer Handgriffe. Sie lächelte ihn an. Wieder so unendlich sanft, dass er darin hätte versinken können.
Knacken. Schritte. Viele Menschen, die sich schnell auf sie zubewegten. Sie hatte sich geregt, sah sich um.
Hat sie sie etwa auch gehört, obwohl sie noch ein gutes Stück entfernt sind?
„Sie kommen von allen Seiten."
Ihrer Stimme schwankte kaum. Mehr Feststellung als Angst, aber ihre Augen zeugten davon, dass es ihr leidtat.
Es ist zu spät zum Weglaufen. Zu viele, die sie verfolgen und sich von allen Seiten nähern. Keine Chance. Ich allein würde kämpfen bis zum Tod. Aber sie. So zart und unschuldig. Hilflos.
Er hatte den Ersten zwischen den Bäumen in einiger Entfernung gesehen. Die Reflexion eines Zielfernrohres leuchtete auf. Das Betäubungsgewehr zielte direkt auf ihn. Stimmen summten wie ein Schwarm Insekten in den Tiefen des Waldes.
„Geht nicht zu nah ran. Er ist gefährlich. Hat Scott und Anderson regelrecht zerfetzt. Passt auf, da ist noch jemand bei ihm."
Er sah sie wieder an. Schmerz und Bedauern lag jetzt in ihrem Blick. Ihre Lage aussichtslos. Er war aufgestanden. Hatte sich schützend vor sie gestellt, während sie eingekreist wurden. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der erste Schuss fiel.
Ich muss sie beschützen. Will sie beschützen.
Ein Schrei.
Bin ich das gewesen? Schmerzen. Meine Hände schmerzen.
Er blickte kurz nach unten und erschrak vor sich selbst. Metallene Krallen, die aus seinen Knöcheln hervortraten und an denen Blut hinunterlief.
„Vorsicht, er greift an."
Nein, nicht angreifen. Verteidigen. Beschützen.
Der erste Schuss fiel. Aus Panik, Anspannung, gelöst ohne Befehl. Traf ihn direkt in die Brust und verteilte das hoch dosierte Betäubungsmittel schnell in seinem gesamten Körper. Was er davon spürte, war nur ein kurzes stechen. Er griff nach dem Betäubungspfeil, zog ihn heraus und warf ihn weg. Spürte eine leichte Benommenheit, die so schnell ging, wie sie kam.
„Angriff!"
Nun folgte ein Schuss dem nächsten und alles ging unglaublich schnell. Überall in seinem Körper steckten Pfeile. Andere fielen zersplitternd auf den Boden, während seine Krallen durch die Luft schnitten. Er schrie und wollte sich auf sie stürzen, doch etwas hinter ihm knallte dumpf auf den Boden. Er drehte sich um. Zwei der Pfeile hatten sie getroffen und jetzt lag sie bewusstlos da. Noch mehr Pfeile trafen seinen ungeschützten Rücken. Trafen ihn, als er sich umdrehte und er zog in schnellen Bewegungen mehrere von ihnen gleichzeitig heraus. Hatte sich hastig zu ihnen umgedreht und wollte angreifen, doch langsam begannen die Unmengen des Betäubungsmittels zu wirken. Seine Beine fühlten sich taub an. Er schwankte leicht, unfähig zu laufen. Dann begann alles schwarz vor seinen Augen zu werden und er sackte in sich zusammen, während sein Gesicht ungeschützt auf den feuchten Waldboden fiel. Einen verschwommenen Moment blickte er noch starr auf die sich ihm langsam und vorsichtig nähernden Füße. Stimmen, die so weit entfernt zu sein schienen, drangen nur noch schwerfällig und unverständlich in seinen davondriftenden Geist.
„Seid vorsichtig. Er ist immer noch etwas bei Bewusstsein, also immer noch gefährlich."
Ich konnte sie nicht beschützen. Konnte ihnen nicht entfliehen. Schon wieder.
Dann Dunkelheit und nichts mehr als unendliche Leere.
