Wiedersehen
Nichts als Nackenhaare, die sich aufstellten, beim ersten Mal, als er durch die Ruinen des heruntergekommenen Staudamm-Geländes lief. Verborgen hinter üppigen Wäldern lag der Alkali-See. Gestaut ruhte er in eisiger Kälte, aber keine Erinnerungen und keinen Eingang fand er zu der einst unzerstörbaren Industrieanlage. Nur von Menschen geschaffenes, das in Vergessenheit geriet und von der Natur zurückerobert wurde.
Beim zweiten Mal, in Gesellschaft von Freund und Feind, kann er die einstige Hölle mithilfe einer List durch unendliche Röhren aus Beton passieren. Unter der Erde findet er das Gefängnis, das manch einer ehemals sein Zuhause hätte nennen können. Hier kam er her. Hier wurde er zu dem gemacht, was er heute ist. Sie hatten ihn geschaffen, wiedergeboren aus Blut und Metall.
Die anderen sind hier, um die Kinder und den Professor zu retten. Er will zwar helfen, aber er hat auch Fragen. So viele seit so langer Zeit und dieser Ort kann ihm endlich die Antworten gegen dieses schon lange quälende Gefühl geben. Wer war er?
Sie waren als Team gekommen, aber er war schon immer ausgezeichnet allein klargekommen und anderen erging es ohne ihn ohnehin besser. Sie würden es schaffen. Er brauchte sich bestimmt keine Sorgen um sie zu machen.
Immer auf der Hut und angespannt nach jeder möglichen Gefahr Ausschau haltend, läuft er durch die Gänge. Als er eine Treppe hinuntergeht, betritt er einen Raum mit trübem Licht, welches diesen aus Schaukästen und einem Wasserbassin erhellt. Er war schon einmal hier gewesen. Konnte sich wage an Schmerz und das Gefühl des Ertrinkens erinnern. Erkennt die Markierungen seiner Krallen im Beton, als er vor langer Zeit nackt und verwirrt aus der Anlage geflohen war. Vorbei an Militär, Ärzten und einer Frau.
Stryker stellt sich ihm wieder einmal nicht allein entgegen. Er ist in Gesellschaft und lässt die Frau, die bei ihm ist, für sich seine Kämpfte austragen. Verschwindet hinter dicken Türen und lässt sie beide gemeinsam zurück. Sie ist wie er und doch nicht gleich. Lange Krallen ersetzen jeden ihrer Fingernägel, während sie sich mit akrobatischer Leichtigkeit ihm entgegenstellt. Er denkt, dass er dieses Gesicht kennen sollte, aber sie blickt ihn aus toten Augen stoisch entgegen. Keine Miene verzieht sich ihr Gesicht. Eine Marionette genau wie er eine hatte werden sollen. Tödlich und effizient heilen beide genauso schnell, wie sie einander verletzen.
Er hat das Gefühl, als würde ihn etwas hemmen, aber kommt nicht darauf, was es ist. Ist es vielleicht, weil sie nichts dafür zu können scheint, was sie hier macht oder doch weil sie einfach besser ist als er, befreit von jedwedem Gewissen. Er weiß es nicht.
Ihr Kampf ist einer auf Leben und Tod und so bleibt ihm keine Wahl, als nach den Spritzen mit dem Adamantium zu greifen. Als das Metall sie ausfüllt und sich ihre Blicke treffen, begreift er es endlich. Erinnert er sich endlich. Er kennt sie und so stirbt sie endgültig ein letztes Mal durch seine Hände.
Vergessen ist jetzt die Schuld, die sie einst auf sich lud, als sie ihre Liebe verriet und vor so langer Zeit innerhalb dieser Mauern hatte tilgen wollen. Jetzt ist auch sie endlich frei. Stirbt mit Gedanken, die ihr gehören und einem letzten Lächeln auf den Lippen. Er weiß, dass er trauern sollte, dass er trauern wird, doch jetzt ist nicht die Zeit dafür und auch wenn er sie wiedererkannt hat, sind doch weiterhin nicht alle Puzzleteile an ihrem Platz. Stryker ist der Einzige, der ihm dabei helfen kann und so rennt er ihm hinterher. Lässt sie allein in die Tiefen ihres nassen Grabes sinken.
Freiwillig … Stryker sagt, dass sie sich kennen und er freiwillig zu dem wilden Tier wurde, das jeder in ihm sieht. Dass nur er alle Antworten zu seiner Vergangenheit und der Arbeit, die sie gemeinsam geleistet hatten, kennen würde. Auch behauptet Stryker, dass er sich nie ändern könnte, doch er irrt sich. Die letzten Monate hatten ihn verändert und er weiß, dass die Suche nach Antworten ihn wohl am Ende genauso zurück in die Tiefen seiner Selbst führen könnte, wie er jetzt zurück ins Labyrinth des Staudamms musste, um seine Freunde zu retten.
Als der Staudamm reißt und die Fluten über die Landschaft hereinbrechen, spülen sie nicht nur die Spuren der Laboratorien weg, die ihn einst beherbergten, nein auch seine Vergangenheit verschwindet und es ist ihm egal. Er hat nicht alle Antworten bekommen, aber er hat beschlossen es einfach darauf ankommen zu lassen und endlich verstanden, welches Geschenk sie ihm gemacht hatte, als sie sich immer wieder für ihn opferte. Sie gab ihm Freiheit. Frei von seiner Vergangenheit, frei von seinen Sünden und frei endlich in eine Zukunft zu gehen mit Menschen, denen er und die ihm wichtig sind und die ihn brauchen. Er ist nicht das Monster, das sie aus ihm hatten machen wollen, aber er kann zu einem werden, um die zu beschützen, die er liebt.
