Die nächsten Tage sind sehr langweilig und nichts passiert großartig. Zu Chris Freude scheint Street auch nicht wirklich im Gebäude zu sein. Er hat sich für ein paar Tage die Schicht vor den Monitoren und im Fahrzeug zugeteilt.
Die nächste Rotation würde er aber in Mollys Appartement sein und irgendwas sagte ihm schon, dass das nicht so spaßig werden würde.
Im Anschluss an den Mädels Abend hatte er auf den Monitoren gesehen, dass Chris etwas niedergeschlagen war, aber am nächsten Tag war wieder alles okay.
Er wusste jetzt auch, dass die zwei Frauen morgens normalerweise gemeinsam joggen gingen und seine Leute nicht immer hinter her kamen. Das Resultat war, dass die zwei alleine unterwegs sein durften. Mollys Argument war: "Du hast ja auch den gemeinsamen Abend erlaubt mit der Begründung Chris ist eine exzellente Personenschützerin.!" Da hatte er keine Widerworte mehr gewagt.
Jim zieht die frische Brise ein und genießt den Lauf am Strand, der Rhythmus der Wellen gibt den Takt seiner Schritte vor und es tut gut sich am Morgen auszupowern.
Als er eine kleine Trinkpause einlegt spürt er etwas feuchtes, kaltes an seiner Wange und denkt im ersten Moment an Regen, bis ihm eine raue Zunge über die Wange leckt. Er dreht sich irritiert zur Seite und sieht die hechelnde Luna vor sich stehen.
"Wo hast du denn dein Frauchen gelassen?" fragt er leise und streichelt die doch mittlerweile sehr zutrauliche Hündin kurz.
Eine trockene Stimme hinter ihm antwortet "Zuhause." und sofort zieht sich Luna zurück und knurrt leise.
Chris zieht eine Wasserflasche aus ihrer Bauchtasche und eine Faltschachtel. Sie füllt Luna die Schale und die Hündin trinkt dankbar.
Chris lässt sich ein paar Meter weiter in den Sand fallen. Hatte Molly vielleicht doch Recht? Sollte sie versuchen nochmal mit ihm zu reden?
Aber was sollte das denn bringen? Er würde demnächst eh wieder verschwinden.
Während Chris noch immer im Sand sitzt, und grübelnd Kreise in diesen malt hört sie mit einem Mal ein Knurren von ihrer Seite. Sie dreht den Kopf und sieht Street wie er sich vorsichtig aufrichtet und den Sand von den Klamotten klopft.
Luna muss gespürt haben, dass Chris sich etwas unwohl fühlt und durch das Knurren hat sie das jetzt verraten. Street blickt sie traurig aber verständnisvoll an.
"Ich werde dann mal.." sagt er und deutet mit der Hand einfach zurück Richtung Promenade.
Chris verzieht kurz die Mundwinkel und sagt dann: "Vielleicht sollten wir doch kurz reden? Ich meine, wenn du noch ein bisschen Zeit hast natürlich nur."
Sie senkt den Blick und muss zugeben sie weiß nicht ob das jetzt eine gute Idee war aber dieser Moment alleine war eine Chance, eine Einladung und ja, sie wollte sie nutzen.
Jim kratzt sich etwas unsicher und überrascht am Hinterkopf lässt sich dann aber wieder in den Sand plumpsen.
Er saugt kurz scharf Luft ein. Irgendwie hat er mit einem Mal Angst. Was würde sie jetzt sagen?
Langsam und vorsichtig hebt er den Blick und versucht ihren Gesichtsausdruck zu lesen. Aber keine Chance. Chris hatte ihr Gesicht hinter Lunas Hals versteckt. Die Hündin hatte sich fast sofort nachdem er sich gesetzt hatte zu Chris gedreht und fast schon nach Streicheleinheiten gebettelt.
In den letzten Tagen war ihm das öfters aufgefallen. Wann immer Molly oder Chris aufgewühlt wirkten würde die Hündin sich an die beiden Kuscheln und ihnen die volle Aufmerksamkeit schenken aber auch abverlangen.
Er beginnt trotzdem zu sprechen. "Chris? Worüber möchtest du reden?"
Ja, fragen ist eine gute Idee sagt er sich bis Chris ihn anblickt und er genau weiß, dass es nicht gut war zu Fragen.
"Warum?" sagt sie hart und Luna jault kurz erschreckt auf. "Warum bist du einfach so, ohne ein Wort, aus LA weg gegangen. Warum hast du nicht mehr auf Anrufe und Nachrichten reagiert? Warum musste ich es von Luca erfahren?" sprudelt es aus Chris heraus und er hört sehr genau, dass sie noch immer verletzt ist. Aber sie musste doch verstehen...
Chris versteckt ihr Gesicht wieder in Lunas Fell während sie mit angehaltenem Atem wartet was Jim zu sagen hat.
"Du hattest doch schon entschieden..." sie kann die Tränen nicht zurückhalten, als die Anschuldigung kommt und Chris hört auch den Rest nicht mehr. Sie nimmt nur noch wahr, dass sich auf einmal Schritte entfernen. Er war wieder gegangen und nichts war gelöst.
Der Reminder an ihrer Smartwatch sagt Chris, dass sie sich beeilen muss wenn sie Luna noch zuhause abliefern will. Duschen muss sie wohl im HQ, denn dafür wird es wohl zu knapp werden wenn sie pünktlich beim Dienst erscheinen will. Völlig in Gedanken läuft sie zurück. Im Eingangsbereich des Apartment Gebäudes läuft Luna nicht wie gewöhnlich direkt fröhlich zu Molly sondern bleibt an Chris Seite.
Molly ist ein wenig verwundert und als sie die getrockneten Tränen im Gesicht ihrer Freundin sieht mach sie sich Sorgen.
Ohne zögern zieht sie Chris in eine Umarmung. "Was ist passiert?" flüstert sie aber Chris antwortet nicht.
"Ich muss los. Ich bin spät dran." presst sie nur zwischen den Lippen hervor.
Molly blickt den Personenschützer kurz an und er geht ein paar Schritte weg, dann widmet sie sich wieder ihrer Freundin. Es ist ungewöhnlich für Chris so leicht in Tränen auszubrechen, daher nimmt sie an etwas schreckliches muss passiert sein.
"Chris, so kannst du doch nicht arbeiten gehen. Was ist passiert? Rede mit mir!" sagt sie nochmal und hält Chris ein Taschentuch hin.
"Ich," schluchzt Chris "Ich, wir... Street." mehr sagt sie nicht und blickt verzweifelt nach oben um die Tränen zu stoppen.
Molly nimmt sie wieder in den Arm und auch Luna setzt sich jetzt winselnd neben Chris und leckt ihr immer wieder über' s Knie.
Irgendwann hat Chris sich wieder ein wenig gefangen und lächelt dankbar. "Ich sollte jetzt wirklich los. Ich bin schon viel zu spät dran." sagt sie mit einigermaßen fester Stimme und wischt sich nochmal mit dem Ärmel durchs Gesicht. "Und du musst sicher auch los." nickt sie noch in die Richtung der Handtasche die Molly schon bei sich hat.
"Ja, und Nein. Ich muss heute im HQ vorbei, wegen ein paar Akten. Und du kannst heute den Tag mit mir verbringen. Mein Vater wird sicher nichts dagegen einzuwenden haben. Es war sowieso ein Fall den dein Team bearbeitet hat. Du briefst mich gerade eh schon," zwinkert sie noch kurz und Chris schaut überrascht.
Molly schiebt sie Richtung Eingang. "Ab Duschen. Und dann reden wir nochmal in Ruhe."
Während Chris in ihrer Wohnung verschwindet schreibt Molly eine SMS. "Heute Abend will ich ein paar Antworten und wehe du änderst den Dienstplan. Dann frage ich Chris vor deinen Mitarbeitern aus!"
Nachdem Chris fertig ist fahren die beiden Frauen mit Chris' Wagen ins HQ und Molly weiß, dass Jim mit Sicherheit darüber informiert wurde. Es ist schließlich eine Planänderung, wenn sie nicht ihren Wagen nimmt. Aber sie wollte sicher gehen, dass sie alleine waren, falls Chris reden wollen würde. So unwahrscheinlich dieser Gedanke auch war, es sollte zumindest möglich sein.
Der Tag an sich ist relaxed, wenn auch anstrengend. Molly wühlt sich mit Chris Unterstützung durch den Aktenberg und sie werden von den anderen Teammitgliedern umsorgt. Luna wird mit den Rekruten zum Joggen und Dauerlauf geschickt und ist somit auch voll ausgelastet.
Als sich Chris und Molly im Flur verabschieden zieht Chris die Anwältin in eine feste Umarmung. "Danke. Fürs einfach nur da sein heute." Molly lächelt und nickt. "Gerne, und wann immer du reden möchtest..."
Chris guckt kurz zu dem Personenschützer "Vielleicht wenn du keinen Schatten mehr hast." und geht dann in ihre Wohnung.
Luna winselt kurz, da sie keine Verabschiedung bekommen hat, folgt dann aber Molly ohne zögern in deren Wohnung.
Einige Zeit später, zum Schichtwechsel erwartet Molly fast, dass die Tür aufgeht und irgendwer rein kommt aber zu ihrer Überraschung ist es tatsächlich Jim.
Nachdem er seinen Mitarbeiter verabschiedet hat steht er etwas unsicher im Raum. Den ganzen Tag, seit der Begegnung am Strand sind seine Gedanken auch Achterbahn gefahren. Er weiß, dass seine verletzten Gefühle gerade ein weiteres zartes Band im Keim zerstört haben und er kann sich nur ausmalen was Molly sich heute so alles angehört hat.
Er weiß von seinen Mitarbeitern, dass die beiden Frauen den ganzen Tag alleine waren.
Molly sieht ihn Ernst an und stemmt eine Hand in die Hüfte. Mit einer Kopfbewegung deutet sie Jim an sich zu setzten und nimmt dann im Sessel Platz.
"Kannst du mir wenigstens erklären was heute passiert ist? Ich verstehe, warum du nicht mit mir über letztes Jahr reden willst. Wobei auch das kein Grund sein sollte. Ich wusste immer schon, dass ihr zwei euch sehr nahesteht. Andere würden vielleicht sogar seelenverwandt sagen. Aber davon sehe ich nichts mehr. Ich sehe nur zwei gebrochene Menschen und Herzen."
Molly sagt alles so sanft und verständnisvoll, dass Jim unweigerlich aufblicken muss, um sicher zu gehen, dass er sich den Tonfall nicht eingebildet hat.
Er muss tief schlucken. Hatte Chris wirklich alles erzählt? Was wusste Molly? Und warum war sie so verständnisvoll?
