6. Dezember: Tanzen

Das Gespräch wurde unterbrochen, als die Band anfing zu spielen und alle Gäste zur Tanzfläche gebeten wurden. Dudley und Susanna tanzten ihren ersten Tanz als frisch verheiratetes Paar. Dudley wirkte etwas unbeholfen, aber das schien sie nicht weiter zu stören.

„Sie haben extra einen Tanzkurs belegt", flüsterte Katie Harry grinsend zu. „Hat wohl nicht so viel gebracht. Dabei müsste sich dein Cousin doch als Boxer mit Fußarbeit ganz gut auskennen."

„Ist wohl nicht ganz das gleiche", erwiderte Harry schulterzuckend. Ron und Hermine belegten regelmäßig Tanzkurse. Harry fand das etwas übertrieben und er hatte das Gefühl, dass Ron immer noch ein bisschen versuchte, wieder gutzumachen, dass er Hermine damals nicht zum Ball eingeladen hatte. Aber den beiden machte es Spaß und Harry musste zugeben, dass Ron mittlerweile wirklich gut geworden war. Ginny und er hatten vor ihrer Hochzeit auch einen Kurs gemacht, aber wirklich Spaß hatte es keinem von beiden gemacht. Er hatte die Grundschritte im Kopf behalten und das war genug, dass sie sich auf den vielen Hochzeiten, die in den letzten Jahren stattgefunden hatten, nicht blamierte, aber das reichte auch. So wie jetzt, als Ginny ihn auf die Tanzfläche zog.

Nach Ginny wollte Mrs Figg mit ihm tanzen und dann Katie und ehe er sich's versah, hatte er die strahlende Braut in den Armen.

„Ich find's wirklich super, dass ihr kommen konntet", wiederholte Susanna schon zum mindestens dritten Mal heute. „Dudley hat mir erzählt, dass seine Eltern dich wohl ganz schön miserabel als Kind behandelt haben." Sie warf einen vielsagenden Blick auf Onkel Vernon und Tante Petunia, die als einzige noch auf ihren Plätzen saßen und Albus und James missbilligend musterten, die zusammen mit Lily und den anderen Kindern in einer Ecke der Tanzfläche auf und ab hopsten. „Wundert mich nicht, die beiden sind wirklich sehr … speziell." Sie verzog das Gesicht.

„Ja, das kannst du laut sagen", nickte Harry.

„Und Dudley belastet das sehr, dass er als Junge auch nicht sehr nett zu dir war."

Harry biss sich auf die Zunge, um nichts Schlechtes über ihren Bräutigam zu sagen. So schwer es ihm auch fiel, das zu glauben, aber Susanna schien Dudley wirklich aufrichtig zu lieben und er wollte ihnen das nicht kaputt machen. Und wenn Mrs Figg recht hatte, dann hatte Dudley sich wirklich positiv entwickelt. Auch wenn das noch schwerer zu glauben war.

„Wirklich", versicherte Susanna ihm. „Das mit den Dementoren hat ihn damals sehr mitgenommen. Manchmal hat er deshalb immer noch Albträume. Was er damals gehört hat, das hat ihn so erschüttert, dass er immer noch versucht, allen zu beweisen, dass er nicht mehr dieser Mensch ist."

„Was hat er denn gehört?", fragte Harry neugierig. Das hatte ihn schon damals interessiert, was ein so gut behüteter Junge wie Dudley, dem noch nie etwas wirklich Schlimmes widerfahren war, gehört haben könnte, dass ihn so verängstigt hatte, dass er sich von Grund auf geändert hatte.

„Das hat er mir nie erzählt. Und ich wollte ihn nicht drängen. Sollte er je dazu bereit sein, dann hör ich ihm natürlich zu und bin für ihn da, aber ich glaube, mittlerweile ist er ganz gut mit sich im Reinen. Du hast davon nicht mehr viel mitgekriegt, weil ihr wohl kaum Zeit zusammen verbracht habt, seit das passiert ist, aber ich weiß, dass er sich wirklich freut, dass du gekommen bist. Selbst wenn ich dich mit Lily als Blumenmädchen ködern musste."

„Wenn du meinst", sagte Harry skeptisch. Er hatte angenommen, dass Susanna die treibende Kraft hinter ihrer Einladung gewesen war. Durch Katie hatte sie genug über ihn Bescheid gewusst, dass sie beeindruckt von seinen Heldentaten war. Er hatte gedacht, dass sie einfach ein bisschen angeben wollte beim magischen Teil ihrer Familie, dass sie jetzt diejenige war, die tatsächlich mit Harry Potter verwandt war, obwohl sie selbst keine Hexe war.

Susanna nickte vehement. „Ja, ich meine! Ich kenne meinen Mann." Sie musste unwillkürlich grinsen, als sie das sagte, und Harry fühlte sich daran erinnert, als Ron und Hermine frisch verheiratet gewesen waren und Ron Hermines Namen kaum noch benutzt hatte, sondern sie immer nur „meine Frau" genannt hatte. Irgendwann hatten sie sich alle über ihn lustig gemacht, aber als er dann Ginny geheiratet hatte, hatte er seinen besten Freund verstehen können. Es gab der Beziehung ein viel größeres Gewicht, wenn man „meine Frau" anstatt „meine Freundin" sagen konnte.

„Dudley weiß nicht wirklich, wie er mit dir reden soll, nach allem, was war. Aber er hat in den letzten Jahren viel an dich gedacht, das weiß ich."

Harry konnte das seinerseits nicht behaupten, er hatte immer sein Bestes gegeben, seine Kindheit bei den Dursleys zu vergessen. Schön war sie schließlich nicht gewesen. Bei den Weasleys hatte er sich immer viel mehr Zuhause gefühlt als bei der Schwester seiner Mutter und er war froh gewesen, dass er nach Kriegsende nicht mehr in den Ligusterweg zurückkehren musste.

Seine Gedanken mussten ihm ins Gesicht geschrieben stehen, denn Susanna nickte nur traurig. „Ich kann verstehen, dass es dir nicht so geht. Deshalb danke ich dir umso mehr, dass du trotzdem gekommen bist."

Harry lächelte sie schwach an. Dann drehte er sie um die eigene Achse in die Arme ihres Vaters und verdrückte sich schnell ans Buffet. Die Hochzeitstorte war zwar noch nicht angeschnitten, aber es gab auch anderen Kuchen und Pudding zur Auswahl und wenn er etwas zu Essen vor sich hatte, dann musste er wenigstens nicht mehr tanzen.

Er setzte sich mit seinem Kuchen und einer Tasse Tee zurück auf seinen Platz. Der Tisch war mittlerweile verweist. Die Kinder spielten vor dem Restaurant wieder mit ihrem Ball und die anderen Erwachsenen waren auf der Tanzfläche oder standen in kleinen Grüppchen zusammen und unterhielten sich. Harry war froh, dass er seine Ruhe hatte und in Frieden seinen Tee trinken konnte. Es hatte schon was, wenn nicht jeder wusste, wer er war.

Lange hielt seine Ruhe allerdings nicht an, denn plötzlich setzte sich jemand neben ihn. Erstaunt stellte Harry fest, dass es Dudley war.

TBC …