7. Dezember: Aussprache

„Hallo", sagte sein Cousin zögerlich.

„Hallo", erwiderte Harry überrascht und wartete darauf, dass Dudley etwas sagte, aber der starrte ihn eine Weile nur stumm an und deutete schließlich auf den Kuchen.

„Schmeckt's?", fragte er. Harry nickte. „Gut", sagte er. „Wir haben ziemlich viel probiert. War gar nicht so leicht, sich zu entscheiden, die Sachen waren alle so gut. Aber es scheint allen zu schmecken." Harry nickte erneut. Er wusste wirklich nicht, was er sagen sollte. „Deine Tochter war wirklich ein super Blumenmädchen."

„Ja, sie hat sich sehr darauf gefreut", erwiderte Harry.

„Mum und Dad waren nicht sehr begeistert, dass wir euch überhaupt eingeladen haben", fuhr Dudley fort. „Und dass wir ihnen nichts davon gesagt haben. Aber genau wegen der Reaktion haben wir ihnen nichts gesagt." Er verdrehte die Augen. Harry zuckte mit den Schultern.

„Ich glaube nicht, dass sie damit gerechnet haben." Hatte er ja auch nicht. Er wäre nie auf die Idee gekommen, Dudley oder seine Eltern zu seiner eigenen Hochzeit einzuladen.

„Jaah, ich glaube, sie haben versucht, zu vergessen, dass es dich überhaupt gibt."

„Wundert mich nicht." Das hatten sie schon gemacht, als Harry noch bei ihnen gewohnt hatte.

Dudley seufzte. „Ja, wahrscheinlich nicht. Sie reden nie über dich. Oder über das eine Jahr, als wir uns verstecken mussten, weil uns jemand umbringen wollte." Er seufzte.

Harry schluckte. Jetzt wusste er wirklich nicht, was er sagen sollte. Stattdessen aß er ein Stück von seinem Kuchen und trank einen Schluck Tee. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie Tante Petunia sie misstrauisch beäugte, aber sie wollte wahrscheinlich keine Szene machen, deshalb kam sie nicht näher.

„Ich habe mich nie richtig bei dir bedankt", sagte Dudley dann unvermittelt.

„Wofür?", fragte Harry erstaunt.

„Dass du mich damals vor den Dementoren gerettet hast. Ich wusste nicht wirklich, wie schlimm die sein können, aber Dädalus hat erzählt, was passiert, wenn sie dich küssen und wenn du nicht gewesen wärst …" Er erschauderte.

„Wenn ich nicht gewesen wäre, dann wärst du denen nie begegnet", erwiderte Harry. Es war ja nicht so, als ob die Dementoren es auf Dudley abgesehen hatten. Er war nur wie Cedric und so viele andere zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen und hatte sich aus Versehen zwischen Harry und die Gefahr begeben.

„Ja, aber dafür kannst du ja nichts. Du hast Voldemort schließlich nicht gebeten, dass er dich und deine Eltern umbringt", widersprach Dudley entschieden. Harry schaute ihn mit großen Augen an. Er hätte nie gedacht, dass er jemals Voldemorts Namen aus Dudleys Mund hören würde. Den meisten Zauberern fiel es immer noch schwer, den Namen auszusprechen. „Jedenfalls hätte das wirklich übel ausgehen können mit den Dementoren. Ich wollte mich schon damals bedanken, aber du warst danach fast nur in deinem Zimmer und ich wusste nicht …" Dudley zuckte hilflos mit den Schultern. „Es war damals beschissen, aber ich glaube, wenn das nicht passiert wäre, dann wäre mein Leben ganz anders gelaufen. Wahrscheinlich wäre ich jetzt im Knast. Oder tot." Er erschauderte. „Weil meine Eltern mir immer weiß gemacht haben, dass ich der Beste bin und mir niemand etwas anhaben kann und ich immer im Recht bin, egal, was ich anderen angetan habe. In der richtigen Welt funktioniert das nur nicht und ich glaube, ohne die Dementoren wäre mir das nie wirklich klar geworden."

Harry nickte überrascht. Damit hatte Dudley natürlich recht, Harry hätte nur nie gedacht, dass Dudley das jemals so klar erkennen würde. Das erklärte dann auch die Veränderung, von der Mrs Figg und Susanna gesprochen hatten.

„Und ich hab viel darüber nachgedacht, wie das war, als wir noch Kinder waren", fuhr Dudley fort. „Ich war so ein Arsch zu dir. Mum und Dad waren nicht unschuldig, aber trotzdem. Ich hätte es irgendwann besser wissen müssen."

Harry zuckte mit den Schultern. Bei Eltern wie Petunia und Vernon Dursley hatte Dudley nie wirklich eine Chance gehabt. Sie hatten Dudley ihre Philosophie eingeimpft, seit er laufen konnte. „Tante Petunia war immer eifersüchtig, weil meine Mum zaubern konnte und sie nicht. Deshalb hat sie alles abgelehnt, was damit zu tun hat. Vor Hogwarts haben sie sich eigentlich ziemlich gut verstanden." Als er damals Snapes Erinnerungen gesehen hatte, hatte die Erkenntnis, dass er ein Horkrux gewesen war, alles andere überschattet. Aber in den Jahren danach hatte er viel darüber nachgedacht, wie seine Mutter und ihre Schwester als kleine Mädchen gewesen waren und sich gefragt, wie ihre Beziehung wohl ausgesehen hätte, wenn die Magie nicht irgendwann zwischen ihnen gestanden hätte.

„Schade, dass ich sie nie kennen gelernt habe", erwiderte Dudley mit ehrlichem Bedauern in der Stimme.

Harry musste grinsen. „Ich glaube nicht, dass sich mein Dad gut mit deinen Eltern verstanden hätte. Aber er wäre wahrscheinlich ein ziemlich cooler Onkel gewesen." Es war schon eine witzige Vorstellung, wie der kleine Dudley Zeit mit Harrys Eltern verbrachte. Am besten auch noch mit Sirius. Er und sein Dad waren ja nie zu bremsen gewesen.

„Dädalus hat erzählt, dass er sich in einen Hirschen verwandeln konnte. Kannst du das auch?"

Harry lachte. „Merlin, nein! Das ist wahnsinnig schwierig und dauert Jahre. Dafür hätte ich nie die Zeit." Und er war sich ehrlich gesagt auch nicht sicher, ob er genug Talent dafür hatte. Es war immer noch beeindruckend, dass die Rumtreiber das damals schon in der Schule fertiggebracht hatten.

„Und warum konnte dein Dad das?"

„Oh, er und seine Freunde wollten den Vollmond zusammen mit ihrem anderen Freund verbringen. Und weil der ein Werwolf war, war das als Mensch nicht möglich, aber als Tier schon."

Dudley schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an. „Ein Werwolf?", fragte er entsetzt. „Es gibt Werwölfe? Gibt's etwa auch Vampire?"

„Ja, aber die leben sehr zurückgezogen und wollen am liebsten nicht gestört werden. Und keiner von denen glitzert in der Sonne, oder was da im Moment die beliebteste Variante ist." Es war schon Wahnsinn, was sich die Muggel immer noch für neue Geschichten ausdachten, die dann auch immer noch großen Anklang fanden. Dabei wollten Vampire eigentlich nur ihre Ruhe haben.

Dudley schüttelte ungläubig den Kopf. „Was gibt es denn sonst noch alles? Riesen wahrscheinlich, so groß wie der Mann damals war, der mir das Schwänzchen gezaubert hat. Einhörner? Feen? Kobolde? Drachen?"

Harry nickte. „Gibt es alle. Aber Männer mögen die Einhörner nicht besonders. Und die Kobolde sind ziemlich eigen, da muss man sehr aufpassen, wenn man mit ihnen zu tun hat. Und Drachen bin ich viel zu häufig begegnet, das würde ich nicht empfehlen." Hagrids Norberta hatte ihnen viel zu viel Ärger gemacht. Und der ungarische Hornschwanz erst … „Ginnys Bruder arbeitet in Rumänien mit Drachen."

„Wirklich?", fragte Dudley fasziniert. „Cool. Was macht er denn da so?"

Harry, Ginny und die Kinder hatten Charlie erst diesen Sommer besucht, also wusste er ziemlich gut Bescheid und erzählte Dudley die nächsten zehn Minuten im Detail, was Charlies Arbeit alles beinhaltete. Er konnte sich nicht erinnern, jemals solange mit seinem Cousin gesprochen zu haben. Unwillkürlich fragte er sich, wie anders seine Kindheit wohl gewesen wäre, wenn Dudley und er Freunde gewesen wären anstatt die Feinde, zu denen sie seine Eltern gemacht hatten.

„Wirklich schade, dass ich dich früher nie nach dem ganzen Zeug gefragt habe", sagte Dudley schließlich bedauernd, nachdem Harry nichts mehr zu Charlies Arbeit einfiel. „Aber Mum hat Magie immer als so abnormal und langweilig dargestellt und … für mich war sie nicht so toll."

„Ja, das mit dem Schwänzchen und Tante Magda und der angeschwollenen Zunge war wirklich nicht gut." Wenn Dudley mit Magie in Berührung gekommen war, dann meistens nur unter sehr negativen Umständen. Kein Wunder, dass er nicht viel davon hatte wissen wollen.

„Vergiss nicht die Scheibe, die du damals im Zoo hast verschwinden lassen, damit die Schlange rauskommt. Das warst du doch, oder?"

Harry kratzte sich verlegen am Kopf. „Ja, das war ich."

Dudley nickte. „Hab ich mir gedacht. Aber im Vergleich zu den Dementoren war das alles nichts."

„Ja, die hätten niemals in eine Muggelgegend kommen dürfen. Aber mittlerweile gibt es die kaum noch. Sie sind viel zu schwer zu kontrollieren und viel zu gefährlich." Darüber wurde lange diskutiert, aber letzten Endes war man zu dem Schluss gekommen, dass diese Wesen zu gefährlich für die Zauberwelt waren. Voldemort hatte sie damals spielend leicht auf seine Seite holen können und sie hatten mehr als einen Zauberer angegriffen.

„Und wer bewacht dann euer Gefängnis?", fragte Dudley besorgt.

„Da gibt es genug andere Möglichkeiten. Zauber und Flüche und Banne und Kreaturen, die man besser unter Kontrolle hat. Dementoren treiben einen langsam in den Wahnsinn, das hast du ja selbst mitbekommen. Vielleicht ist es nicht die beste Idee, lauter Verbrecher in den Wahnsinn zu treiben."

Dudley nickte. „Ja, das klingt wirklich nicht gut durchdacht."

„Das ist nicht immer die größte Stärke von uns", stimmte Harry zu. Die Drachen tief unten in Gringotts zum Beispiel.

„Klingt aber trotzdem sehr faszinierend. Dädalus und Hestia haben damals viel erzählt, weil wir ja nicht viel zu tun hatten. Und Mrs Figg später auch, aber ich glaube nicht, dass sie so gut Bescheid weiß."

„Ja, es ist ziemlich schwierig als Squib unter lauter Magiern."

„Und Susanna weiß auch einiges durch Katie. Aber sie regt sich meistens darüber auf, dass euer Schulsystem besser sein könnte, als es ist."

„Da hat sie nicht ganz Unrecht. Ein Lehrer war von Voldemort besessen, einer war ein heimlicher Todesser, einer hatte absolut keine Ahnung von dem Fach, was er unterrichtet hat … vielleicht sogar mehr als einer." Trelawney war zwar eine echte Seherin, aber sie hatte das nie und nimmer jemand anderem beibringen können.

Dudley lachte. „Klingt aber auch nicht anders, als manche von meinen Lehrern."

„Die wollten dich wahrscheinlich aber nicht umbringen." Es sprach eigentlich nicht für Hogwarts, dass das auf mehr als einen seiner Lehrer zugetroffen hatte.

„Die meisten nicht, nein", erwiderte Dudley grinsend. „Aber auf 'ne andere Schule wärst du nicht lieber gegangen, oder?"

Harry schüttelte vehement den Kopf. „Machst du Witze? Das ist die beste Schule der Welt!"

„Trotz Riesenschlangen, die sich Jahrhunderte lang verstecken, ohne dass es jemand mitkriegt?"

„Das war nur eine Riesenschlange und die ist mittlerweile tot. Außerdem ist es sehr viel weniger gefährlich geworden, seit Voldemort tot ist." Teddy war sehr zufrieden in Hogwarts. Und ein sehr viel braverer Schüler als Harry es gewesen war, denn er hatte bisher noch kein einziges Mal nachsitzen müssen.

„Dad, wurde schon die Torte angeschnitten? Susanna hat gesagt, das ist ein ganz toller Schokoladenkuchen und Mum hat gesagt, dass wir nur ein einziges Stück haben dürfen, weil wir Lilys Kleid heute Morgen kaputt gemacht haben und ich hab Hunger!", unterbrach James Harry und Dudley. Albus rannte hinter ihm her und kam schlitternd vor Harry zum Stehen. Lily folgte etwas langsamer und richtete sich gleichzeitig den Blumenschmuck, den sie immer noch in den Haaren trug. Es war ein Wunder, dass ihr der nicht beim Spielen abhandengekommen war.

Dudley schüttelte den Kopf. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Nein, noch nicht, aber du hast völlig Recht, es wird langsam Zeit. Ich freu mich schon seit Wochen auf die Torte." Er wuschelte James durch die Haare, woraufhin der genervt die Augen verdrehte. „Ich schau mal, wo meine Frau steckt." Harry musste lächeln, weil er sich wieder an Ron erinnert fühlte. „Und dann schneiden wir sie an. Du kannst auch das erste Stück haben."

„Echt?", rief James begeistert. „Cool!" Er packte Albus am Handgelenk und zog ihn hinter sich her, um die Torte so schnell wie möglich zu bekommen.

Lily schaute ihren Brüdern hinterher, machte aber keine Anstalten, ihnen zu folgen, und kletterte stattdessen auf Harrys Schoß. Sie lehnte sich an ihn und Harry legte die Arme um sie.

„Willst du keine Hochzeitstorte?", fragte Harry und küsste sie auf die Stirn.

Lily zuckte mit den Schultern. „Vielleicht später. Außerdem hast du doch schon ein Stück." Sie steckte sich einen Bissen von Harrys halb aufgegessenen Stück Kuchen in den Mund und lehnte sich dann müde an ihn. Harry lächelte.

„Na, hast du dich gut mit deinem Cousin unterhalten?", wollte Ginny wissen, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war und sich neben ihn setzte. Sie strich Lily über die Wange und aß dann den Rest von Harrys Kuchen auf. „Ihr habt ja ziemlich lange miteinander geredet."

Harry nickte. „Ja, stell dir vor. Hätte ich nie gedacht."

„Wundert mich nicht", erwiderte Ginny.

„Ach ja?", fragte Harry verwundert. „Nach allem, was ich dir über ihn erzählt habe?"

Sie schüttelte den Kopf. „Nicht deswegen. Wenn's nur nach dem ginge, hätte ich niemals kommen wollen, Blumenmädchen hin oder her."

„Und weshalb dann?"

„Wegen Susanna." Sie deutete mit dem Kopf zu dem frisch gebackenen Ehepaar, das sich mittlerweile bei der Hochzeitstorte aufgestellt hatte. Sie hatten das Messer schon in der Hand, aber anstatt die Torte anzuschneiden, küssten sie sich lieber. James verdrehte dramatisch die Augen, während er ungeduldig neben den beiden stand. „Sie ist so eine tolle Frau und sie liebt deinen Cousin wirklich und ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass so jemand deinen Cousin heiraten würde, wenn er immer noch so ein großes Arschloch ist wie du immer erzählt hast."

„Das sagt man nicht, Mummy", murmelte Lily mit geschlossenen Augen.

Ginny lachte und strich ihr sanft über die Wange. „Völlig richtig, mein Schatz." Sie beugte sich vor und küsste Harry zärtlich auf den Mund. Er konnte den Kuchen schmecken und lächelte sie an. „So schlimm, wie du gedacht hast, war's doch gar nicht, oder?"

Er schüttelte den Kopf. „Nein, gar nicht. Du hattest recht. Ich bin froh, dass wir gekommen sind."

Ginny schaute vielsagend zu Tante Petunia und Onkel Vernon, die mittlerweile wieder auf ihren Plätzen saßen und Harry und Ginny finstere Blicke zuwarfen. „Und du kannst die beiden mit unserer Anwesenheit auch noch in den Wahnsinn treiben."

Harry nickte. „Das ist immer ein Vorteil." Schon allein dafür hatte sich der Tag heute gelohnt.


A/N: Das war es jetzt erstmal mit Dudley, ab morgen ist Dominique dran.