16. Dezember: Getröstet
„Und du möchtest wirklich nicht zu Madam Puddifoot?", fragte Michael das fünfte Mal. Er schien immer noch verwirrt, dass Molly seinen Vorschlag so entschieden abgelehnt hatte. Als ob alle Mädchen scharf darauf wären, Kaffee aus winzigen Tassen zu trinken und irgendwelches Konfetti in die Haare zu bekommen. Sie hätte wahrscheinlich gar nichts dagegen gehabt, wenn sie nicht gewusst hätte, dass Nancy und Justin dort sein würden. Bei dem Gedanken, die beiden zusammen sehen zu müssen, drehte sich ihr der Magen um.
Eigentlich hatte sie nach dem Gespräch mit Justin vorgehabt, Hogsmeade ganz sausen zu lassen und sich stattdessen deprimiert im Bett zu verkriechen, aber dann hatte Michael Davies sie beim Frühstück gefragt, ob sie nicht mit ihm gehen wollte und weil Molly aus den Augenwinkeln gesehen hatte, wie Justin und Nancy sich zusammen auf den Weg zum Schlosseingang gemacht hatten, hatte sie spontan zugestimmt. Vielleicht würde Michael sie ja auf andere Gedanken bringen können.
Er war im gleichen Jahr wie Justin, aber gehörte nicht zu seinem Freundeskreis, deshalb hatte Molly nie viel mit Michael zu tun gehabt. Außerdem wurde er immer ein bisschen von seinem großen Bruder Steven überschattet, der besser aussah und ein wirklich hervorragender Sucher für die Ravenclawmannschaft war. Gut, am meisten kannten Steven in Hogwarts alle, weil er und Dominique sich dauernd in die Haare kriegten und fast schon jeder mal in einen Streit von den beiden geraten war. In dieser Hinsicht war Molly froh, dass Steven dieses Jahr seinen Abschluss machte, aber das bedeutete auch, dass Ravenclaw einen seiner wichtigsten Spieler verlor und sie konnten alle nur hoffen, dass sich nächstes Jahr ein ebenso fähiger Sucher fand, sonst würden sie sich jede Möglichkeit für den Pokal in die Haare schmieren können.
Aber wenn man Steven außer Acht ließ, dann war Michael auch ein sehr attraktiver Junge. Er hatte sehr viel Charme und war ein bisschen als Spieler unter den Mädchen verschrien, aber da er immer sehr nett war und keiner irgendetwas vormachte, konnte man ihm nicht wirklich böse sein. Und er hatte wirklich schöne Augen. Und Molly musste zugeben, dass sie sich schon sehr geschmeichelt fühlte, dass er anscheinend Interesse an ihr hatte. Auch wenn es vor allem um ihre Fähigkeiten in Zaubertränke und Verwandlung ging. Aber wenigstens wusste er ihre Intelligenz zu schätzen. Und mit Michael Davies in Hogsmeade gewesen zu sein, egal was sonst passierte oder nicht passierte, war schon etwas. Vor allem, weil das kaum jemand Molly Weasley zutrauen würde.
Aber sie würde den Teufel tun und mit ihm zu Madam Puddifoot zu gehen. Stattdessen besuchte sie mit ihm den Scherzartikelladen ihres Onkels und Michael war ganz begeistert, dass der Familienrabatt auch für ihn galt, weil er mit Molly hier war. Er ließ sie bei Onkel George an der Kasse zurück und ging mit großen Augen die Regale ab.
„Alles in Ordnung, Molly?", fragte Onkel George und musterte sie besorgt. „Du siehst so blass aus. Und deine Augen sind ganz rot. Bist du krank?" Molly wandte den Blick ab und zuckte mit den Schultern. „Dann solltest du wirklich dringend in den Krankenflügel. Mit sowas ist nicht zu spaßen. Ich weiß, die Tränke schmecken scheiße, aber sie wirken wirklich gut."
„Ich bin nicht krank", sagte Molly, um ihn ruhig zu stellen. Das fehlte noch, dass er ihren Eltern von ihrer vermeintlichen Krankheit erzählen würde. Die würden dann überhaupt keine Ruhe geben. „Es ist nur …" Sie schluckte.
„Ah, ich verstehe", sagte er wissend. „Liebeskummer, oder?" Molly schaute ihn überrascht an. „Ich hab mich schon gewundert, warum du dieses Mal nicht Justin mitgebracht hast."
„Er trifft sich mit jemand anderem", sagte sie mit brechender Stimme. Schon wieder waren Tränen in ihren Augen, die Molly genervt wegwischte. Mittlerweile hatte sie die Nase voll davon, dass sie ständig heulen musste, aber die Tränen kamen trotzdem immer wieder. Dabei hatte Justin es gar nicht verdient, dass sie sich so wegen ihm die Augen aus dem Kopf heulte.
„Ach Molly", sagte Onkel George mitfühlend und legte einen Arm um sie. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. „Justin ist ein Idiot, wenn er nicht merkt, was er an dir hat. Aber du hast dir doch eine ganz nette Alternative besorgt." Er nickte in Richtung Michael, der die Arme mittlerweile voller Nach- und Schwänzleckereien hatte.
Molly verdrehte die Augen. „Ach der. Ich gebe ihm Nachhilfe und er hat heute Morgen gefragt, ob ich mit ihm herkommen möchte. Ich glaube nicht, dass er wirklich ernsthaftes Interesse hat."
„Da wäre er auch an der falschen Adresse, wenn dein Herz einem anderen gehört", nickte Onkel George. „Pass nur auf, dass du nicht zufällig in eine Beziehung mit ihm stolperst."
Molly runzelte verständnislos die Stirn. „Was meinst du? Sowas passiert doch nicht einfach so zufällig." Für sowas musste man sich doch bewusst entscheiden, in sowas stolperte man nicht einfach so hinein.
Onkel George lachte. „Oh, das geht viel schneller, als du denkst. Dein Onkel Ron hat zum Beispiel mal so einen Mist gemacht."
„Onkel Ron?", fragte Molly überrascht. Onkel Ron und Tante Hermine waren immer so verliebt, es war unvorstellbar, dass er mal mit jemand anderem zusammen gewesen war.
„Oh ja. War tierisch eifersüchtig, weil Hermine vor Jahren jemand anderen geküsst hat und hat sich auf die Nächste gestürzt, die Interesse gehabt hatte. Die ist er dann monatelang nicht mehr losgeworden und er war dann auch noch zu feige, selbst mit ihr Schluss zu machen und hat gewartet, bis sie es gemacht hat." Er verdrehte die Augen. „Hermine hat ewig nicht mit ihm gesprochen, der Idiot. Er hat Hermine wehgetan und sich selbst und seiner Freundin auch, nur weil er zu blöd war, einmal den Mund aufzumachen." Er lachte amüsiert. „Teenager, ich sag's dir."
„Ich weiß", murmelte Molly. Sie war schließlich selbst einer und umgeben von ihnen. Onkel George machte sich zwar lustig über Onkel Ron, und im Nachhinein betrachtet klang das wirklich alles idiotisch, was er da gemacht hatte, aber sie konnte auch verstehen, dass er zu viel Angst gehabt hatte, mit Tante Hermine über seine Gefühle zu sprechen. Was, wenn sie nicht wie er empfunden hätte? Dann wäre die Freundschaft ruiniert.
Es stand so viel auf dem Spiel, wenn einer von ihnen nicht gewollt hätte. Da war es wirklich einfacher, sich jemandem zuzuwenden, der einem nicht so viel bedeutete. Der konnte einem dann auch nicht so wehtun. Deshalb war sie schließlich auch mit Michael hier und brachte es nicht über sich, mit Justin zu reden. Michael war egal, Michael konnte ihr nicht wehtun.
„Weiß Justin denn, dass du eine Option bist? Fünfzehnjährige Jungs sind nicht besonders helle, die muss man oft mit der Nase draufstoßen. Dein Onkel Ron ist auch dafür das beste Beispiel."
Molly schüttelte den Kopf. Sie war kaum überrascht darüber, dass Onkel George wusste, dass es um Justin ging. Onkel George hatte ein unheimliches Talent dafür, fast alles zu wissen. Und so musste sie es wenigstens nicht laut aussprechen. „Nein. Aber ist auch egal, wenn er sich mit einer anderen trifft, oder? Außerdem sind wir Freunde, das will ich nicht aufs Spiel setzen."
„Freundschaften sind eine wirklich gute Grundlage für Beziehungen, glaub mir", versicherte ihr Onkel George und lächelte ihr aufmunternd zu. „Auch dafür sind Ron und Hermine ein gutes Beispiel. Harry und Ginny auch. Angelina und ich waren in Hogwarts auch befreundet. Muss nicht immer Liebe auf den ersten Blick sein, wie bei deinen Eltern."
„Das weiß ich alles, Onkel George. Aber bei dir klingt das so einfach. Wenn's schief geht, hab ich meinen besten Freund verloren. Und das will ich nicht." Justin war derjenige gewesen, durch den sie sich in Hogwarts Zuhause gefühlt hatte. Seitdem fühlte sie sich immer bei ihm Zuhause und das wollte sie nicht verlieren.
„Ach Süße", seufzte Onkel George und rieb ihr tröstend den Arm. „Das fühlt sich jetzt wie der Weltuntergang an, aber ich kann dir aus Erfahrung sagen, es gibt wirklich sehr viel schlimmeres." Molly schaute auf die Stelle, wo früher sein Ohr gewesen war und dachte daran, dass er seinen Zwillingsbruder verloren hatte und damit konnte man ihre Probleme wirklich nicht vergleichen. Auch wenn sie ihr auch ganz schön schrecklich vorkamen im Moment.
Onkel George ließ sie los, ging in die Knie und öffnete den Schrank unter der Kasse. Er holte eine Schachtel voll mit Schokolade heraus, die er ihr in die Hand drückte. „Hier. Geht aufs Haus."
„Danke", sagte Molly überrascht. „Aber ich wollte sowieso noch in den Honigtopf und-"
Er schnaubte abfällig. „Ach die. Die können mit ihrer Schokolade einpacken. Die hier ist extra stark, damit fühlt man sich auf jeden Fall besser. Und viel kalorienarmer, ich weiß doch, wie sehr ihr jungen Damen auf eure Figur achtet. Teddys Vater hatte früher immer Schokolade für uns, wenn er eine besonders schwierige Unterrichtsstunde geplant hatte, ich wette, der hätte uns dieses Zeug aus den Händen gerissen."
Molly drückte die Schachtel an sich und lächelte ihn dankbar an. „Vielen Dank, Onkel George", sagte sie. „Das kann ich bestimmt gut gebrauchen."
„Wer auch nicht?", sagte er zufrieden. „Und jetzt geh und such dir noch was aus, bevor deine Begleitung den ganzen Laden leerräumt."
TBC…
