Jahr 6
Kapitel 13 - Angriff und Angebot
In der Woche vor den Weihnachtsferien erfuhr Amina dann von Hagrid, warum seine Rückreise länger gedauert hatte, als ursprünglich geplant war. Sie hatte bereits aus ihrem Schriftverkehr mit Madame Maxime gewusst, dass diese bereits vor einigen Wochen wieder in Frankreich angekommen war und hatte sich über Hagrids spätes Auftauchen gewundert. Nach der Erklärung Hagrids konnte sie über die Gutmütigkeit des Halbriesen nur den Kopf schütteln. Egal, ob der Riese im Wald mit ihm verwandt war oder nicht, es war nicht gut, ein so gefährliches Geschöpf in der Nähe der Schule zu verstecken und auch nicht ihm Manieren beibringen zu wollen. Hagrid war lediglich wegen seines Riesenbluts noch am Leben. Andernfalls wäre er nicht nur mit Verletzungen davongekommen.
Amina saß am späten Abend mit einem Buch auf ihrem Sofa. Ein Zischen kündigte an, dass jemand den Kamin benutzte. Severus trat aus diesem. Er war an diesem Abend wieder bei den Malfoys zum Essen eingeladen worden. „Du bist spät.", stellte Amina mit einem kurzen Blick auf ihre Taschenuhr fest. Severus nickte. „Der Dunkle Lord ist wütend wegen der Mysteriumsabteilung. Anscheinend macht der Orden seine Arbeit gut.", erklärte er und setzte sich neben sie. Sie lehnte sich an ihn. „Das sollte er auch. Auch wenn ich zugegebenermaßen nicht ganz verstehe, warum der Orden etwas schützt, an das der Dunkle Lord sowieso nicht rankommen kann ohne Potter. Zumindest nicht, wenn er an seinem Plan festhält, sich bedeckt zu halten." „Zum Schein. Die Wachen wären zwar nicht nötig. Doch wenn es sie nicht gäbe, würde der Dunkle Lord schnell merken, wen er dazu bräuchte, dann wäre Potter in noch größerer Gefahr als sowieso schon oder er könnte beschließen, dass es das Risiko wert ist, gesehen zu werden.", antwortete Severus ihr und strich mit seiner Hand durch ihr Haar.
„Die Malfoys haben uns an Weihnachten zu sich eingeladen.", sagte er dann nach einigen Sekunden des Schweigens. „Uns?", fragte Amina. Er nickte. „Der Dunkle Lord will dich sehen und sich selbst von meiner Kontrolle über dich überzeugen. Außerdem scheint dich Lucius auf eine gewisse Art tatsächlich zu mögen." „Er mag mich? Trotz dessen, dass ich mich jederzeit gegen die Todesser entscheiden würde, wenn ich nicht gerade unter einem Trank stehen würde?" „Das ist wohl eher eine Charakter- statt einer Glaubensfrage. Zudem stehst du ja nicht unter einem Trank." „Das weiß doch Lucius nicht. Wann an Weihnachten haben Sie uns denn eingeladen? Wir wollten doch zu den Flamels, wegen der Experimente." Sie sah ihn fragend an. „Am Vierundzwanzigsten. Wir können also direkt am nächsten Tag zu den Flamels. Die Malfoys stellen uns ein Zimmer zur Verfügung.", sagte Severus und fing wieder an, ihr durchs Haar zu streichen. „Bei den Malfoys übernachten? Es wird ja immer besser.", schnaubte sie.
Bevor Severus etwas erwidern konnte, erschien mit einer stechenden Flamme Fawkes im Zimmer und ließ eine brennende Feder vor Amina fallen, bevor er auch schon wieder verschwand. Severus und Amina sprangen auf. Der Schulleiter schickte einer Warnung. „Wir sollten gehen.", sagte sie und warf sich ihren Umhang über. Sie hatte sich noch nicht für die Nacht umgezogen. Severus nickte und gab ihr einen kurzen Kuss. Bevor sie gemeinsam aus ihren Räumen stürmten.
Sie liefen schnell die Gänge entlang und Amina weitete dabei ihre Legilimentik. Im Albus' Büro befanden sich er selbst, Potter und die Weasleys. Minerva war gerade am Wasserspeier unten angekommen und lief eilig den Gang entlang. Im selben Stockwerk befand sich auch Dolores, welche anscheinend zielstrebig auf das Schulleiterbüro zulief. Amina zog ihren Zauberstab. Sie würde die ministeriumstreue Großinquisitorin aufhalten. Sie bogen gerade in den Gang ein, als Minerva und Dolores aufeinandertrafen. Bevor eine ihrer Kolleginnen auch nur ein Wort sagen konnte, hob Amina den Zauberstab und dachte: „Legilimens"
Innerhalb von Sekunden hatte sie die Erinnerung der Lehrerin verändert und ließ sie sehen, dass sie sich auf dem Weg zu Toilette im Erdgeschoss befand. Dann löste sie den Zauber wieder von der Lehrerin und sah dabei zu, wie sie abdrehte und in Richtung Treppen lief. Die Veränderung würde nicht lange anhalten, doch es würde ihnen Zeit verschaffen. Zudem würde Dolores nicht wissen, was passiert ist, denn Sie hatte Amina weder gesehen noch gehört. Sie hatte also keinerlei Erinnerungen daran.
„Was ist passiert?", fragte sie Minerva flüsternd. Als Severus und sie vor der Stellvertretenden Schulleiterin zum Stehen kamen. „Mr. Potter hatte eine Art Albtraum. Arthur Weasley wurde von einer Schlange angegriffen. Albus kümmert sich bereits darum.", erklärte Minerva ihnen. „Was haben Sie mit Dolores gemacht? Das war doch hoffentlich kein Imperius." Minerva sah Amina streng an. Diese schüttelte den Kopf. „Ich habe ihre Erinnerungen temporär verändert. Sie ist gerade auf dem Weg zu den Toiletten im Erdgeschoss. Wahrscheinlich wird sie, sobald sie angekommen ist, merken, dass sie eigentlich zum Schulleiter wollte.", erklärte Amina. „Dann werde ich sie abfangen, wenn sie auf dem Rückweg ist.", sagte Minerva bestimmt und folgte der Großinquisitorin mit eiligen Schritten. Amina und Severus liefen zu Albus Büro.
Oben angekommen sparte sie sich das Klopfen und riss die Tür auf. Sie sah gerade noch, wie die Lernenden verschwanden. Albus richtete seinen Blick auf sie. „Amina, Severus. Ihr habt die Warnung erhalten.", stellte er mit ruhiger Stimme fest. Amina bemerkte, wie aufgewühlt er war. Sie nickte knapp. „Und Dolores?" „Befindet sich auf dem Weg zu den Toiletten im Erdgeschoss. Minerva wird sie abfangen.", antwortete Severus.
„Sehr gut." Albus nickte zufrieden. „Was ist genau passiert? Minerva sagte, Arthur Weasley wurde angegriffen.", fragte Amina. „Harry hatte eine Vision in der Arthur von Nagini angegriffen wurde.", erklärte Albus ihr und lief dabei unruhig auf und ab. „Ich denke es wird Zeit Harrys Okklumentik aktiv zu unterrichten. Eigentlich hatte ich gehofft, es würde reichten. Doch das hat es nicht. Severus, du wirst am Ende der Weihnachtsferien damit anfangen. Amina, du wirst den Unterrichtsstunden so oft wie nötig beiwohnen.", bestimmte er. Severus und Amina nickten zustimmend.
Die restlichen Schultage waren für Hogwarts-Verhältnisse sehr ruhig. Wie Amina von ihrem Urgroßonkel gehört hatte, war Arthur zwar noch nicht wieder genesen, doch er war ansprechbar und fürs erste außer Lebensgefahr.
Am ersten Ferientag machte sie sich auf den Weg, um ihn im Krankenhaus zu besuchen. Sie klopfte an die Tür seines Zimmers. „Ja?", fragte eine Stimme aus dem Inneren. Amina öffnete die Tür und betrat das Zimmer. Es waren nur wenige Betten belegt. Arthur lag in einem ganz hinten am Fenster. Sie lief zielstrebig auf ihn zu. „Professorin Tahnea, was machen Sie denn hier?", fragte Mr. Weasley überrascht und legte das Buch weg, in dem er gerade noch gelesen hatte. „Ich besuche Sie.", antwortete Amina ihm knapp. „Wie geht es Ihnen?", fragte sie ihn und ließ ihren Blick über seinen Körper wandern. Anscheinend waren die Wunden immer noch offen. Ihre Großmutter hatte den Mann übel erwischt.
„Soweit ganz gut. Aber die Heilenden bekommen die Wunden nicht geschlossen. Die Schlange hat irgendein Gift, dass es verhindert.", erklärte er und setzte sich ein wenig aufrechter hin. Amina nickte verstehend. „Könnten Sie mir einen Gefallen tun und die Heilenden überreden mir einige Phiolen ihres Blutes zu überlassen? Vielleicht kann ich etwas für sie tun.", fragte sie ihn. Sein Blut war der Hauptgrund ihres Besuchs. „Ich werde Sie fragen.", bestätigte der Rothaarige ihn.
„Danke. Hier." Amina reichte ihm ein kleines Stück Pergament. „Zerreisen Sie es einfach, wenn Sie Erfolg hatten. Ich werde dann benachrichtigt. Haben Sie Schmerzen?", fragte Amina höflich. Sie kannte die Antwort bereits, auch wenn sie ihre Legilimentik sehr beschränkte, um nicht alles Leid der Patienten in dem Hospital mitbekommen zu müssen. „Sie wissen es doch schon. Aber danke, dass Sie fragen, die Schmerzen halten sich in Grenzen." Er lächelte sie an.
Die Tür des Krankenzimmers ging erneut auf und Bill Weasley betrat den Krankenflügel. Er lief lächelnd auf das Bett seines Vaters zu. „Hallo, Dad. Professorin.", begrüßte er beide. Amina begrüßte ihn mit einem knappen Nicken, während Arthur seinen Sohn fragte, wie es ihm gehe. „Ich verabschiede mich dann wieder. Messrs. Weasley." Sie nickte den beiden zu und ging dann mit schnellen Schritten aus dem Zimmer. Sie wollte bei einem Vater-Sohn-Treffen nicht anwesend sein. Zudem hatte sie noch ein anderes Ziel, um das Albus sie gebeten hatte.
Sie sollte Mr. und Mrs. Longbottom einen Besuch abstatten und sehen, ob sie vielleicht in der Lage war, ihnen zu helfen. Natürlich nur, wenn der Sohn der beiden damit einverstanden wäre. Dieser hatte noch eine Großmutter, soweit sie informiert war. Auch diese müsste damit einverstanden sein, dass Amina in die Köpfe der beiden eindrang. Sie war sich nicht sicher, ob es überhaupt etwas bringen würde, denn beide waren schon sehr lange in ihrem momentanen Zustand. Doch Amina würde es versuchen.
Auf der Station der beiden angekommen, war Amina ein wenig überrascht, dass beide Longbottoms besuch hatten. Sie hatte eigentlich gehofft, sich erst einmal allein ein Bild von den beiden machen zu können. Amina trat dennoch hinter den Vorhang, hinter dem auch der Junge Longbottom und seine Großmutter standen. Die beiden drehten sich überrascht zu ihr um. Der schwarzhaarige Schüler wurde klein, als er sie erkannte. Amina bedachte den Hut seiner Großmutter mit missbilligendem Blick. Ein ausgestopfter Geier saß darauf.
„Was machen Sie hier? Wer sind Sie?", fragte die alte Frau sie direkt. „Mein Name ist Frau Professor Amina Tahnea. Professor Dumbledore schickt mich. Er bat mich zu sehen, ob ich etwas für Mr. und Mrs. Longbottom tun könnte.", erklärte Amina ihr mit ihrer ruhigen, leicht monotonen Stimme. Dann blickte sie auf die beiden Personen in den Betten, die vor sich hinlächelten. „Und wie kommt Professor Dumbledore darauf, dass Sie helfen könnten, wo es doch noch keiner der Heilenden zustande gebracht hat?", fragte die Frau weiter. „Weil ich etwas kann, dass die Heilenden nicht können.", fing Amina an zu erklären. „Ich bin Legilimentorin, falls Ihnen das etwas sagt." Die Frau schüttelte energisch den Kopf. Der Schüler richtete neugierig seinen Blick auf sie. Sie konnte ein wenig Hoffnung in ihm spüren, doch auch Unverständnis.
„Legilimentik ist die Fähigkeit, in den Geist eines anderen Menschen einzudringen und dessen Gefühle, Gedanken und Erinnerungen zu sehen, zu verändern oder anderweitig zu beeinflussen. Der Schulleiter meinte, ich sollte mir, mit Ihrem und Mr. Longbottoms Einverständnis natürlich, die Geister der beiden ansehen." „Sie könnten meinen Eltern vielleicht helfen, Professor?", fragte der Junge Longbottom schüchtern. Amina sah ihm in die Augen. „Ich kann es lediglich versuchen. Ihre Eltern sind Helden, Mr. Longbottom. Sie waren sehr stark und sind es immer noch, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag.", antwortete sie ihm ehrlich.
Sie hatte von den beiden gehört und natürlich auch, was mit ihnen passiert war. Ihre Eltern hatten viele Menschen in einen ähnlichen Zustand versetzt. Von diesen hatte allerdings keiner länger als einige Jahre mit den Folgen leben können. Demnach waren die beiden Personen vor ihr tatsächlich sehr stark. „Hören Sie auf dem Jungen Hoffnung zu machen!", fauchte die alte Hexe sie an und zog ihren Enkel näher zu sich ran. „Ich bin nicht in der Lage, jemandem Hoffnung zu machen, Ma'am. Dafür weiß ich noch zu wenig.", antwortete Amina ihr höflich. Großmutter, kann es Frau Professor Tahnea wenigstens versuchen?", fragte der Schüler seine Großmutter. Anscheinend hatte ihn diese Frage einiges an Überwindung gekostet. Die alte Frau sah sie streng an. „In Ordnung. Sie dürfen sich meinen Sohn und seine Frau ansehen, doch wir bleiben hier.", bestimmte sie.
Amina nickte und lief an das Bett der Frau heran. Die Frau lächelte sie an, ohne sie wirklich anzusehen. Amina sah ihr in die Augen, zog ihren Zauberstab, dachte den Zauber und drang vorsichtig in ihren Geist ein. Bei jemandem mit einem solchen wirren Geist musste sie besonders sanft sein. Denn wenn sie nicht aufpassen würde, könnte sie in ihm verloren gehen. Sie sah sich die Erinnerungen an und stellte fest, dass diese von einem Gefühl der übertriebenen Zufriedenheit verbunden waren. Sie ging weiter in den Erinnerungen zurück. Umso weiter sie kam, desto stärker wurde der Schmerz, den die Zufriedenheit offensichtlich versuchte, zu überschatten. Sie mied die Erinnerung an die Folter, diese würde der Frau vor ihr vielleicht mehr schaden als helfen. Nach einigen Minuten zog sie sich aus dem Geist der Frau zurück und wandte sich dem Mann zu. Bei ihm kam sie zu demselben Schluss wie bei seiner Frau.
Sie richtete sich wieder auf und wandte sich an die Großmutter und den Schüler. „Beide versuchen die Schmerzen, die sie erlitten haben, mit einem positiven Gefühl zu überlagern. Anscheinend hat der langanhaltende Fluch ihre schönen Erinnerungen unwirklich erscheinen lassen.", erklärte Amina ihnen. „Und können Sie da jetzt helfen?", fragte die alte Hexe ungeduldig. „Ich könnte versuchen, die positiven Erinnerungen wieder zu… nennen wir es aktivieren. Doch es wird einige Zeit dauern.", erklärte sie. „Was bedeutet einige Zeit?", fragte der Schüler. „Mehrere Monate, vielleicht auch Jahre bei regelmäßiger Behandlung. Das hängt von den beiden ab. Ich überlasse die Entscheidung Ihnen beiden. Von mir aus stände dem Ganzen nichts im Weg, solange die Heiler keinen triftigen Grund haben, es nicht zu tun."
„Sie würden sich jahrelang um zwei Personen kümmern, die sie nicht mal kennen?", fragte die Großmutter misstrauisch. „Ich bin mit den beiden zur Schule gegangen. Doch ich gebe zu, dass ich weder in selben Jahrgang war noch je ein Wort mit ihnen gewechselt habe. Der Schulleiter hält große Stücke auf beide und würde sich freuen, wenn er den beiden durch mich zumindest ein annehmbares Leben zurückgeben könnte. Sie werden nie wieder sein wie vorher, doch das kann auch keiner erwarten, bei dem, was sie durchmachen mussten.", antwortete Amina ihr.
„Woher wollen Sie wissen, was mein Junge und seine Frau durchmachen mussten?", fauchte die Hexe sie an. Amina sah kurz nachdenklich zu dem Schüler, entschied sich dann doch für die Wahrheit. „Meine Eltern waren Todesser. Sie folterten und töteten aus demselben Grund, aus dem auch ihr Sohn und seine Frau gefoltert wurden. Ich habe es damals herausgefunden, indem ich diese Erinnerungen meiner Eltern gesehen und gespürt habe." „Und sitzen Ihre Eltern jetzt auch dafür in Askaban?", fragte die Hexe bissig. Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe sie noch am selben Tag getötet."
Der Schüler machte große Augen, während seine Großmutter zufrieden nickte. „Überlegen Sie es sich und sprechen Sie auf jeden Fall mit den Heilenden.", sagte Amina nochmals und lief in Richtung Vorhänge. „Ich verabschiede mich. Mr. Longbottom, seien Sie so freundlich und behalten Sie den Inhalt dieses Gespräches für sich." Der Schüler nickte immernoch sprachlos. Mit einem knappen Nicken verschwand Amina hinter dem Vorhang.
