18. Dezember: Ein Idiot

Justin lag missmutig auf seinem Bett und versuchte, sich auf das Kapitel über die Koboldaufstände zu konzentrieren, aber stattdessen musste er ständig an Molly denken. Molly und Michael, die in Hogsmeade sonst was zusammen trieben. Wenn er nicht so blöd gewesen wäre, dann hätte er an Michaels Stelle sein können, stattdessen mühte er sich mit Geschichte der Zauberei ab.

Nachdem Nancy abgerauscht war, war Justin die Lust auf Hogsmeade vergangen. Er hatte den völlig überteuerten Kaffee bezahlt und Dan und Kiell zum Abschied zugenickt, bevor er durch das beschissene Novemberwetter zurück zum Schloss gestapft war. Die meisten seiner Mitschüler waren noch im Dorf, weshalb der Gemeinschaftsraum voll von aufgedrehten Erst- und Zweitklässlern war. In einer Ecke konnte er Mollys kleine Schwester Lucy sehen, die mit ein paar anderen Zweitklässlern Zauberschnippschnapp spielte. Auf so viel Lärm hatte Justin keine Lust, deshalb war er in sein Zimmer hochgegangen und hatte versucht, etwas Produktives zu machen, aber das klappte nicht gerade gut.

Und er konnte es völlig vergessen, als die Tür zum Schlafsaal aufging und Michael höchstpersönlich hereinkam, mit mehreren vollgestopften Tüten von Weasleys Zauberhafte Zauberscherze. Überrascht schaute er zu Justin, der ihm einen finsteren Blick zuwarf.

„Du bist schon da?", sagte er überrascht und kippte die Tüten auf seinem Bett aus. „Hast du dich nicht mit Nancy Mitchell getroffen?"

Justin zuckte mit den Schultern. „Hat nicht funktioniert."

„Was hat nicht funktioniert?", fragte Michael verständnislos. „Nancy ist doch eins der beliebtesten Mädchen der ganzen Schule. Weißt du, wie viele dich darum beneiden, dass du mit ihr nach Hogsmeade gehst?"

Justin verdrehte die Augen. „Das heißt noch lange nicht, dass man zusammenpasst. Mir ist egal, was die anderen denken. Wieso bist du überhaupt schon da?"

Michael seufzte. „Molly wollte zurück zum Schloss. Sie war von Anfang an nicht wirklich begeistert von Hogsmeade. Bei der Nachhilfe hatte sie so schlechte Laune, ich dachte, das heitert sie auf, wenn wir zusammen gehen, weil sie überhaupt nicht gehen wollte. Als wir bei ihrem Onkel waren, dachte ich, das hat sogar geklappt, aber als wir danach in die drei Besen gegangen sind … Naja, sie wollte wieder zurück, also sind wir gegangen."

„Ach ja?", fragte Justin hoffnungsvoll.

Michael nickte. „Jep." Er sortierte die Nasch- und Schwänzleckereien und die Kanariencremeschnitten. „Ich glaube nicht, dass da was laufen wird. Sie hat mich kaum beachtet. Aber ihr Onkel hat mir den Familienrabatt gegeben, das hab ich natürlich ausgenutzt. Den bekomme ich wahrscheinlich nie wieder. Außer ich mach mich später mal an Lucy ran." Er schüttelte sich angewidert. „Aber die ist eine Zweitklässlerin, das klingt absolut krank."

„Dann gibt sie dir keine Nachhilfe mehr?" Das wäre wunderbar.

„Machst du Witze? Natürlich! Sie ist eine der Besten in Zaubertränke, schon allein die paar Stunden, die sie mir bisher gegeben hat, haben Wunder gewirkt. Vielleicht krieg ich den ZAG ja doch hin. Nur mehr wird das nicht." Er zuckte unbekümmert mit den Schultern. Als ob ihm das gar nicht wichtig wäre, während Justin ihn deshalb in den letzten Wochen am liebsten andauernd erwürgt hätte. „Meinst du, Nancy geht mal mit mir aus, wenn das mit euch nichts wird? Jetzt, wo ich weiß, dass sie Fünftklässlern nicht abgeneigt ist …"

Justin verdrehte die Augen. Typisch Michael. Wanderte von Einer zur Nächsten. Aber solange er Molly in Ruhe ließ, beschwerte er sich lieber nicht. „Keine Ahnung. Kann sein, dass ich das für alle Fünftklässler versaut habe."

Michael lachte. „So schlimm kann's doch nicht gewesen sein. Fünftklässler sind ja nicht alle gleich." Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Da hast du die Möglichkeit, mit Nancy Mitchell auszugehen und versaust es."

„Du hast es mit Molly doch auch versaut", erwiderte Justin genervt.

„Man kann nicht viel versauen, wenn das Mädchen offensichtlich auf jemand anderen steht", erwiderte Michael schulterzuckend, stand auf und begann damit, die Süßigkeiten in seinen Kleiderschrank zu stopfen.

„Was?" Justin setzte sich kerzengerade hin. „Molly steht auf jemand anderen?" Auf wen denn? Hatte er jemanden übersehen? Er verbrachte so viel Zeit mit Molly, es hätte ihm doch auffallen müssen, wenn sie jemanden mochte. Wenn es nicht Michael war, wer blieb dann noch …

Michael schaute Justin mitleidig an. „Du bist wirklich ein Idiot, Cooper. Mir war schon klar, dass meine Chancen nicht besonders gut stehen, aber ich dachte, ich versuch's wenigstens. Molly ist ein tolles Mädchen, auch wenn sie manchmal etwas untergeht, wenn man sie mit Mädchen wie Nancy vergleicht. Aber trotzdem. Wenn sie mich gewollt hätte … es hätte mich schlechter treffen können. Schon allein wegen der ganzen Scherzartikel."

„Das musst du mir nicht sagen, wie toll Molly ist", sagte Justin beleidigt. Wenn das einer wusste, dann er. Er hätte nur nicht gedacht, dass Michael sich dessen bewusst gewesen war. „Ich weiß das schon seit Jahren."

Michael zog fragend eine Augenbraue hoch. „Ach ja? Bist du sicher? So, wie sie klang, war das in der letzten Zeit nicht so."

„Was?" Molly hatte mit Michael über ihn geredet?

„Jep. Sie war ganz geknickt, weil du so unfreundlich zu ihr warst und sie nicht wusste, warum. Das solltest du dringend klären, wenn du nicht noch mehr Schaden anrichten willst. Besonders, wenn du jemanden wie Nancy für Molly in den Wind schießt."

Justin verschluckte sich an seiner Spucke und fing an zu husten. „Woher … was … wie kommst du denn darauf?"

„Ist doch offensichtlich, Mann. Das sieht doch ein Blinder. Du hättest mich am liebsten umgebracht, seit ich von der Nachhilfe erzählt hab. Was mich ehrlich gesagt gewundert hat, ich dachte, ihr seid schon längst zusammen."

„WAS?", rief Justin schockiert. „Wie kommst du denn darauf?" Wie kam Michael auf sowas absurdes? Justin und Molly waren befreundet, seit sie in Hogwarts war, das hieß doch noch lange nichts.

„Naja, ihr verbringt eure ganze Zeit zusammen und ihr schaut euch immer an, als ob es keinen anderen auf der Welt gibt."

„Und wieso hast du sie dann um Nachhilfe gebeten?"

„Weil ich Nachhilfe brauche?", erwiderte Michael verständnislos. „Und Molly wirklich gut ist? Ich war wirklich überrascht, als sie gesagt hat, dass sie Single ist, deshalb hab ich gedacht, ich versuche mein Glück. Aber das sieht wirklich ein Blinder, dass ihr aufeinander steht. Warum du nichts machst …" Er schüttelte den Kopf.

„Ich wusste es nicht", verteidigte sich Justin schwach. Das war wirklich eine blöde Ausrede, wenn er so über die letzten Wochen nachdachte und wie eifersüchtig er gewesen war. Jetzt erst war ihm bewusst geworden, dass auch Dan versucht hatte, ihn darauf anzusprechen, aber Justin hatte es nicht sehen wollen. Molly war ihm so wichtig, er wollte sie nicht verlieren. Aber wenn die Möglichkeit bestand, dass sie für ihn empfand, was er für sie empfand, dann …

Michael lachte. „Und ich bin derjenige, der Nachhilfe braucht! Schwer zu glauben, so blöd, wie du dich aufführst." Er grinste Justin an. „Also lass es dir von jemandem gesagt sein, der sich heute zwei Stunden anhören musste, wie sauer und verletzt Molly ist, weil du so ein Idiot bist: von ihr wirst du dir sicher keine Abfuhr abholen. Und es wäre vielleicht ganz gut, dass du bald mit ihr sprichst, dann ist sie bei der Nachhilfe nicht mehr so abgelenkt."

Justin verdrehte die Augen. Michael dachte auch immer nur an sich selbst. Aber Unrecht hatte er nicht. Es war wirklich höchste Zeit, dass er mit Molly sprach. Er hatte ihr genug wehgetan. Dabei wollte er sie doch eigentlich nur glücklich machen.

TBC…