Mrs. Petunia Dursley war eine ganz und gar normale Frau. Sie führte ein gepflegtes, komfortables Leben mit ihrem Ehemann, Vernon Dursley, in einem adretten Ort namens Little Morgen stand sie um 06:00 auf, stellte die Milchflaschen vor die Tür, briet Eier und Speck für ihren Mann, kümmerte sich um Einkauf, Haushalt und Garten.
Genauso wollte sie ihr Leben haben; genauso hatte sie es sich vorgestellt. Doch niemand wusste von der kleinen Lücke in ihrem Leben. Ein Herzenswunsch, der nun schon seit drei langen Jahren unerfüllt blieb. Alles wäre so viel perfekter wenn sie nur ein Kind bekommen könnte. Sie stellte sich dieses kleine Bündel in ihrem Armen vor, das sie mit all ihrer Liebe überschütten könnte. Monat um Monat jedoch blieb ihr Wunsch unerfüllt und sie wurde grausam daran erinnert, dass sie doch nicht eine ganz normale Frau war. Dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte.
Auch am Morgen des 01. Novembers wurde sie daran erinnert. Mr. Dursley hatte gerade gut gelaunt das Haus verlassen und ihr zum Abschied einen Kuss auf die Stirn gedrückt. Er verdrängte die Tatsache, dass sie nicht schwanger wurde ganz hervorragend. Eines abends hatte sie ihn im Dunklen ihres Schlafzimmers mit leiser, vorsichtiger Stimme darauf angesprochen.
"Meinst du nicht wir sollten...nun,ja...es untersuchen lassen? Von einem Arzt?" Daraufhin hatte Vernon nur laut geschnaubt: "Mach dich nicht lächerlich Petunia. Was sollen die Leute denken? Es wird auch so irgendwann klappen. Außerdem machen Kinder Dreck und du hasst Dreck mehr als alles andere." Und damit war das Thema für ihn beendet gewesen.
Sie wusste, dass das sein Versuch war sie aufzumuntern, aber sie wünschte sich insgeheim doch mehr Verständnis. Jemanden, der sie in den Arm nahm, sobald sie -mal wieder- ihre Periode bekam. Jemanden, der sanft ihre Tränen trocknete, wenn noch eine ihrer Freundinnen schwanger wurde. Einfach jemanden, der auch den Schmerz mit ihr teilte. Aber nein, Vernon schien das Ganze gar nichts auszumachen.
Seufzend räumte sie den Frühstückstisch ab und begann mechanisch die Küche zu putzen. Vielleicht ja im nächsten Monat. Im nächsten.
Als Vernon am Abend von der Arbeit heimkam, hatte Petunia schon die Kraft gesammelt sich vor ihm ganz normal zu verhalten. Beim Abendessen, Steak mit Kartoffelbrei und Erbsen, plauderte sie munter über den neuesten Klatsch in der Nachbarschaft und dass es im Supermarkt keine Lammkoteletts mehr gegeben hätte. Doch Vernon wirkte abwesend. Wahrscheinlich war er in Gedanken noch bei der Arbeit. Sein Job als Direktor einer Bohrmaschinenfirma namens Grunnings, forderte ihn sehr.
Zu den Abendnachrichten setzten sich Vernon und Petunia gemeinsam mit einer Tasse Tee ins Wohnzimmer. Meldungen über ungewöhnliches Verhalten von Eulen und Sternschnuppen-Schauer rauschten an ihr vorbei ohne, dass sie genau zuhörte. Auch Vernon wirkte abwesend, wie er starr neben ihr saß. Ein-, zweimal drehte er sich zu ihr um und wirkte als würde er etwas sagen wollen, schien es sich aber jedes mal doch anders zu überlegen und blieb stumm. Nach den Nachrichten trank Petunia ihren Tee aus und sagte dann, dass sie heute früh ins Bett wolle.
"Gute Nacht, Liebling. Ich komme gleich nach," murmelte Vernon, der immer noch gedankenversunken mit einer vollen Tasse Tee und einer gerunzelten Stirn auf der Couch saß.
Der nächste Morgen brach kalt und neblig an. Als um 06:00 der Wecker klingelte, hatte Petunia Mühe aufzustehen. Sie hatte schlecht geschlafen und außerdem die ganze Nacht das Gefühl gehabt, als würde sich jemand in ihren Vorgarten unterhalten. Das war natürlich Blödsinn. Hier, im Ligusterweg, war niemand mehr nach 22:00 in den Straßen unterwegs.
Petunia schlüpfte in ihre Pantoffeln und einen geblümten Morgenrock, stieg die Treppen hinunter und öffnete die Haustür, um die Milch hineinzuholen.
Nichts hätte sie auf das was sie dort erwartete vorbereiten können. Vor Schreck entwich ihr ein schriller Schrei. Dort, neben den 2 Milchflaschen, lag in einem dicken Deckenbündel, ein Baby. Es musste friedlich geschlafen haben, wurde aber durch ihren Schrei geweckt und schrie nun ebenfalls lauthals. Rasch nahm Petunia es hoch, drückte es an sich und schloss die Haustür gegen die kalte Novemberluft. Das Baby beruhigte sich rasch und seine kleinen Händchen ruhten nun an ihrem Hals. Mit zitternden Beinen ließ Petunia sich samt Baby in einem Sessel im Salon nieder. Es war wie ein Wunder, ein Baby vor ihrer Haustür. Das Baby auf das sie so lange hatte warten müssen. Es war ganz zart und roch himmlisch.
Der Moment, in dem sie einfach nur dankbar und glücklich und überwältigt war, wurde rasch zerstört. Sie hörte Vernon die Treppe herunterkommen. Ihr Schrei musste auch ihn aufgeweckt haben. Noch bevor er sie erreicht hatte, hörte sie ihn: "Petunia, was ist los? Du weckst noch die ganze Nachbar..." Er brach mitten im Satz ab, als er sie mit dem Baby im Arm dort sitzen sah. Sein Körper wurde starr, das Gesicht weiß wie Kreide. "Was? Woher hast du das Kind?"
"Es lag auf der Türschwelle." sagte Petunia mit leicht zitternder Stimme.
"Auf der Türschwelle," wiederholte Vernon dumpf. "Einfach so? Ohne Erklärung? Ohne Brief?"
"Ich- ich weiß nicht. Ich habe nicht nach einem Brief geschaut," erwiderte Petunia.
Schnaubend drehte Vernon sich um. Petunia konnte die Haustür auf- und dann wieder zugehen hören. Als er zurückkam, hielt Vernon bereits einen Briefumschlag in der Hand. Er riss ihn auf und während er las, wechselte seine Gesichtsfarbe von weiß über grau zu rot. "Potter," presste er hervor. "Das ist das Balg deiner Schwester."
"Lily," hauchte Petunia und etwas schweres legte sich auf ihre Brust. "Was ist mit ihr? Warum schickt sie uns ihren Sohn?"
"Anscheinend haben sie und ihr Taugenichts von einem Mann es endgültig geschafft sich in die Luft zu jagen," spottete Vernon und las dann aus dem Brief vor: "...muss ich ihnen, zu meinem größten Bedauern, mitteilen, dass Lily und James Potter verstorben sind. Ihr Sohn Harry hatte jedoch das große Glück zu überleben und ich hoffe sehr, dass sie ihm Schutz unter ihren Dach gewähren und ihn großziehen, als wäre er ihr eigener Sohn."
"Sie ist tot. Lily ist tot." Eine kalte Hand klammerte sich um Petunias Herz und drückte fest zu. Nicht, dass die beiden sich in den letzten Jahren nahe gestanden hatten, nein, sie hatte alles getan um ihre Schwester so fern wie möglich von sich zu halten. Aber die Erkenntnis, dass sie nicht mehr da war, fort, gegangen, hinterließ eine Leere in Petunia mit der sie nicht gerechnet hätte.
"Der Junge muss fort," donnerte Vernon und riss Petunia damit aus ihrer Trauer. "Er kann hier nicht bleiben. Er wird genauso werden wie sie. Ein Freak, abnormal. Ich will ihn nicht in diesem Haus haben."
Während Vernon vor sich hinschimpfte, entstand in Petunia eine wilde Entschlossenheit. Eine Stärke, die sie so nicht von sich kannte. "Er bleibt hier," sagte sie mit klarer, fester Stimme und unterbrach damit die Schimpftiraden ihres Mannes."Wie bitte?" fragte Vernon völlig perplex.
"Wir behalten ihn. Er bleibt hier."
Irgendetwas in ihrem Blick hatte ihn wohl überzeugt, denn er verstummte. Er schien es nicht mehr zu wagen ihr zu widersprechen. Ihre Entscheidung war gefallen.
Sehnsüchtig betrachetet sie den friedlich schlafenden Harry in ihren Armen. Sanft fuhr sie über seine weichen Wangen, stupste die kleine Nase. Ihr Blick fiel auf die große, blitzförmige Narbe auf seiner Stirn, frisch und leuchtend rot. Ein Überbleibsel von dem Unfall. Vorsichtig strich sie darüber. "Alles wird gut," flüsterte sie."Nun wird alles gut, mein kleiner Harry. Mein Sohn."
