Kapitel 5
Grillenzirpen und der Duft von gemähten Gras, das den Tag über in der Sonne getrocknet war begleitete Petunia, während sie leise vor sich hin summend eine Schokoladentorte mit Schokoladenguss einstrich. Für Harrys Geburtstag am nächsten Tag musste alles perfekt sein. Die Vorbereitungen heute, die vielen Geschenke, die sie liebevoll eingepackt hatte, das mechanische Putzen jeden Winkels des Hauses, das alles hatte sie wunderbar davon abgelenkt, dass heute sage und schreibe 20 Briefe über verschiedene Wege ihren Weg ins Haus gefunden hatten. Besonders ärgerlich war derjenige gewesen, der ihr beim aufschlagen der Eier entgegengekommen war.
"Wir müssen dieses Lumpenpack ignorieren Petunia." hatte Vernon gepoltert, sobald Harry außer Hörweite war. "Wenn du Harry nicht verlieren möchtest, dann musst du es ignorieren. . . .gehen."
Petunia war sich nie sicher gewesen ob Vernon Harry genauso liebte, wie sie ihn aber er schien wild entschlossen ihn zu beschützen.
Das Deckenlicht in der Küche war hell, andernfalls hätte Petunia sofort bemerkt, dass draußen in der Nachbarschaft sämtliche Straßenlaternen ausgegangen waren. Aber so summte sie weiter melodielos vor sich hin und strich den Schokoladenguss glatt.
"Guten Abend Petunia," sagte eine sanfte Stimme und Petunia schrak auf und ließ das Messer klappernd auf den blanken Boden fallen.
In ihrer Küche stand jemand, jemand der hier absolut nichts zu suchen hatte, angefangen bei seinem mitternachtsblauen Spitzhut bis zu seinem hüftlangem Bart und den Schnallenstiefeln.
Petunias Herz hämmerte als sie die Erscheinung des Mannes einnahm. "Mein Name ist Albus Dumbledore," fuhr der Mann gelassen fort. "Und wir beide haben schon das ein oder andere mal miteinander korrespondiert wie mir scheint."
Petunias Wangen färbten sich rot vor Scham, als sie daran dachte wie sie als 12-jähriges Mädchen auf ihrem mit Blüten verzierten Briefpapier den Brief an Professor Dumbledore verfasst hatte, mit der nachdrücklichen Bitte auch in Hogwarts aufgenommen zu werden. Und wie sie ihm versichert hatte, dass sie fleißiger lernen und härter arbeiten würde als jeder Schüler zuvor.
"Ich kann mich kaum daran erinnern," gab Petunia gefasst zurück. Sie versuchte zwanghaft Oberhand in dieser Unterhaltung zu gewinnen.
"Oh, aber ich kann mich noch sehr gut erinnern," sagte Dumbledore beflissen. Seine hellblauen Augen sahen sie durchdringend an. "Und ich muss sagen, ich war damals schon beeindruckt von dir. Deinem Mut, deiner Stärke und Beharrlichkeit. Es hätte mich nicht gewundert, wenn du einfach in den Zug am Gleis 9 3/4 gesprungen wärst und unangekündigt in Hogwarts gestanden hättest, um darauf zu bestehen zusammen mit deiner Schwester in Zauberei unterrichtet zu werden."
Petunia richtete den Blick zurück auf die unfertige Torte. Sie wollte Dumbledore nicht zuhören. Die Erinnerungen und die verpasste Zeit schmerzten zu sehr. Und obwohl sie beharrlich nach unten schaute, spürte sie den durchdringenden Blick des alten Mannes, bohrend, prüfend.
"Petunia, ich muss mich bei ihnen bedanken. Sie haben Harry als einen Sohn in ihrem Haus aufgenommen. Das war bestimmt nicht leicht ihn als lebende Erinnerung an ihre Schwester täglich vor Augen zu haben. Sie haben ihn nun 11 Jahre lang beschützt, ihn ein Heim und eine Familie gegeben. Aber nun wird es Zeit, Petunia, sie wissen es ganz genau. Harry muss in unsere, in seine Welt, zurückkehren. Er muss nach Hogwarts gehen."
Ruckartig fuhr Petunias Kopf hoch.
"Und warum muss er gehen? Ich sehe keinen Grund dafür. Er hat einen Platz an einer sehr renommierten Privatschule bekommen. Ich bin mir sicher dort wird er alles lernen, was er für ein normales Leben braucht."
Fast unmerklich schüttelte Dumbledore den Kopf während er Petunia zuhörte.
"Ich wünschte es wäre so einfach. Aber glauben sie mir wenn ich sage, dass Harry tatsächlich gehen muss. Wenn man mit Magie geboren wird, kann man davor nicht weglaufen. Sie zu unterdrücken, zu verstecken und nicht zu nutzen hat fürchterliche Auswirkungen. Ich möchte es nicht näher erläutern, aber ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Und daher möchte ich ihnen nochmal ausdrücklich sagen: Wenn sie Harry nicht nach Hogwarts schicken, werden sie ihn verlieren, soviel ist sicher."
Angesichts der Ernsthaftigkeit in Dumbledores Stimme, fing Petunia am ganzen Körper an zu zittern. Harry zu verlieren war ihre größte Angst. Sie dachte wenn er nach Hogwarts ginge, würde sie ihn verlieren. Und nun erzählte dieser Mann hier, dass es die einzige Möglichkeit wäre, dass Harry ihr Sohn bleiben könne. Dass es Harry schützen würde in die magische Welt zurückzukehren.
"Ich nehme an, sie wissen noch wie man an die Winkelgasse kommt?" unterbrach Dumbledore Petunias Gedanken. "Oder sind sie damals nicht mitgegangen? Mit Lily?"
"Nur das eine Mal," flüsterte Petunia leise. "Das erste Mal. Danach nicht mehr. Aber ich weiß es noch. Der- der Pub, Harry wird ihn sehen können und dieser Wirt, er macht uns das Tor auf mit seinem, seinem..." ihre Stimme brach ab als wäre es für sie unmöglich das nächste Wort zu sagen.
"Genau, Tom der Wirt hilft den Neuanfängern von Hogwarts immer gern das Portal in die Winkelgasse zu öffnen. Er wird sich um sie kümmern. Wenn sie allerdings wünschen, dass noch jemand aus meinem Kollegium begleitet, dann-"
"Nein," unterbrach Petunia rasch. "Ich mache das mit Harry schon. Keine Sorge."
Auf Dumbledores Gesicht erschien ein zufriedenes Lächeln.
"Sehr schön, sehr schön. Hier ist der Schlüssel zu seinem Verlies in Gringotts, er wird ihn brauchen. Und sein Brief natürlich. Ich nehme an die anderen, die wir geschickt haben wurden vernichtet."
Petunia nickte stumm und sah zu wie Dumbledore den schweren Umschlag auf die Küchentheke legte.
"Petunia," sagte er und richtete seinen Spitzhut. "Ich empfehle mich."
Und so lautlos, wie er gekommen war, war er auch wieder verschwunden.
Fast war es, als wäre er nicht da gewesen. Nur der Brief zeugte als Beweis des nächtlichen Besuchs.
