24. Dezember: Hiobsbotschaft

August 2024

„Müssen wir's ihr wirklich sagen?", fragte Dudley acht Jahre später unsicher seine Frau. Er hatte sein Auto gerade vor seinem Elternhaus geparkt, konnte sich aber nicht dazu durchringen, wirklich auszusteigen. Patricia war sofort aus dem Auto gesprungen, sobald sie eine von Mrs Figgs Katzen erblickt hatte. Er seufzte. Wahrscheinlich würden sie nicht drumherum kommen, ihr für Hogwarts eine Katze zu kaufen. Bisher hatten sie sich erfolgreich davor drücken können, weil ihre Wohnung in London gerade groß genug für sie drei war, aber wenn das Tier fast das ganze Jahr über in Hogwarts sein würde, war das keine gute Ausrede mehr. Und Dudley würde den Teufel tun und seiner Tochter eine Eule kaufen, Harrys Ungetüm hatte ihm damals völlig gereicht, vielen Dank auch.

„Glaubst du nicht, deiner Mutter wird es auffallen, wenn unsere Tochter den Großteil des Jahres nicht mehr da ist?", fragte Susanna liebevoll, aber auch mit einem sehr genervten Unterton. Sie tat wirklich ihr Bestes, um ihn zu verstehen, aber ihre Familie war so völlig anders. In ihrer Familie war Magie immer etwas positives gewesen, etwas Besonderes. Sollte Susannas Mutter eifersüchtig darauf gewesen sein, dass ihre Schwester eine Hexe war und sie nicht, dann hatte sie sich das zumindest in Dudleys Gegenwart nie anmerken lassen. Und obwohl die beiden Schwestern so unterschiedliche Leben hatten, verstanden sie sich sehr gut. Als Susanna ihrer Familie damals mitgeteilt hatte, dass Patricia wahrscheinlich eine Hexe war, hatten sich alle sehr für sie gefreut und ihr so viel über Hogwarts erzählt, dass es eigentlich gar nicht nötig gewesen war, dass vor ein paar Wochen ein Zauberer in Harrys Alter bei ihnen aufgetaucht war und ihnen im Detail erklärt hatte, was es bedeutete, dass ihre Tochter eine Hexe war.

„Ich weiß, dass Harry und Katie Ihnen wahrscheinlich schon alles Wichtige erklärt haben und sich auch darum kümmern werden, dass sie in die Winkelgasse kommt und alles Nötige für die Schule besorgt und dann auch rechtzeitig beim Hogwartsexpress ist, aber es ist nun mal das Protokoll, dass ein Mitglied des Lehrkörpers kommt und alles erklärt, wenn zwei nichtmagische Eltern ein magisches Kind haben. Und manchmal hilft es, mit jemandem zu sprechen, der etwas Abstand hat und der sich nicht gekränkt fühlt, wenn man vielleicht ein paar unangenehme Fragen hat."

Zu diesem Zeitpunkt wussten sie eigentlich schon so gut wie alles über Hogwarts, was man wissen konnte, aber Dudley verbrachte trotzdem eine halbe Stunde damit, Professor Longbottom wegen des Sicherheitssystems der Schule und der Einstellung gegenüber Muggeln und der politischen Situation in der Zauberwelt auszufragen. Der Mann war wirklich geduldig in seinen Antworten und am Ende fühlte sich Dudley tatsächlich etwas ruhiger.

„Ich weiß, Sie haben in Ihrer Jugend wirklich viel Negatives im Bezug zur Zauberwelt erlebt", hatte Professor Longbottom gesagt, als sie sich zum Abschied die Hand gegeben hatten. „Aber seit Harry gewonnen hat, hat sich viel verändert und wir tun wirklich alles, dass sich so etwas nicht wiederholt. Und jeder Lehrer an der Schule würde sein Leben für die Schüler geben. Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen."

Dudley hatte ihn skeptisch angeschaut und er hatte gelacht. „Ich kann Sie ja verstehen, ich habe auch zwei Kinder in Hogwarts und als Vater wird man wohl nie damit aufhören, sich Sorgen zu machen. Aber seit unserer Schulzeit ist nichts Gravierenderes passiert als dass jemand vom Besen gefallen ist oder sich bei einem Duell verletzt hat und durch die Magie sind das wirklich nur Kleinigkeiten. Keine Dementoren oder Riesenschlangen oder Todesser."

Es klang wirklich gut und letzten Endes war Dudley sowieso klar gewesen, dass er auf verlorenem Posten kämpfte. Susanna und Patricia waren begeistert von Hogwarts und er wusste, dass er nichts sagen könnte, was seine Tochter davon abhalten würde, dorthin zu wollen. Er hatte ihr das Versprechen abgerungen, dass sie nach Hause kommen würde, sollte es wirklich gefährlich werden, aber er wusste, dass sie das nur ihm zu Liebe versprochen hatte und keine Sekunde daran dachte, dass es wirklich passieren würde.

Aber Patricia hatte auch nicht Harrys ständige Albträume im Ohr, in denen er nach Cedric und Sirius und Dumbledore gerufen hatte und die klangen, als wäre er durch die Hölle gegangen. Patricia hatte sich nicht ein Jahr verstecken müssen vor brutalen bösen Zauberern, die vor nichts zurückschrecken würden, um Harry zu schaden. Für sie war Magie nur etwas Schönes und Dudley wollte ihr das auch nicht kaputt machen mit all den schrecklichen Dingen, die er wusste und erlebt hatte. Sie war noch ein Kind. Im Laufe der Zeit würde sie schon merken, dass nicht alles Gold war, was glänzte. Er hoffte nur, dass dazu keine Riesenschlange oder diese furchtbaren Dementoren nötig sein würden.

Aber das war nicht das größte Problem im Moment. Patricia würde in einer Woche nach Hogwarts kommen und er hatte seiner Mutter bisher noch nichts davon erzählt, dass ihre heißgeliebte Enkelin eine Hexe war. Sie hatten Patricia zwar nie explizit verboten, es seinen Eltern gegenüber zu erwähnen, aber die Kleine hatte immer instinktiv gespürt, dass es besser war, nichts zu sagen. So makaber es klang, Dudley war richtig froh, dass sein Vater vor ein paar Jahren gestorben war und er es wenigstens ihm nicht mehr sagen musste. Der wäre an die Decke gegangen.

„Jetzt stell dich nicht so an. Sie ist deine Mutter, sie liebt dich, sie liebt Patricia, das wird schon alles", sagte Susanna schließlich entschlossen, als Dudley auch fünf Minuten nach der Ankunft keine Anstalten machte, das Auto zu verlassen.

„Harry hat behauptet, dass sie ihre Schwester auch mal geliebt hat und das hat sie auch nicht daran gehindert, die Magie zu hassen", murmelte Dudley. Er war immer noch überzeugt, dass sein Cousin das irgendwann halluziniert hatte.

Aber es half alles nichts, Susanna zwang ihn aus dem Wagen und holte Patricia von der Katze weg und dann gab es ein großes Hallo mit seiner Mutter, die die ganze Zeit am Fenster gestanden und sich schon gewundert hatte, warum sie nicht ausgestiegen waren. Sie bugsierte alle an den reichlich gedeckten Esstisch, gab jedem ein riesiges Stück Torte und beschwerte sich dann die nächste halbe Stunde über alles, was die Nachbarn in den letzten Wochen getan hatten.

„Und freust du dich schon auf die neue Schule, Patty?", fragte sie schließlich, nachdem sie alle Themen erschöpft und kein anderer zu Wort gekommen war. Sie schaute zu Dudley und Susanna. „Auf welche Schule kommt sie noch mal? Auf deine, Susanna?"

Sie war unglaublich stolz darauf, dass ihre Schwiegertochter an einer der teuersten und angesehensten Privatschulen Londons unterrichtete. Dudley war überzeugt, dass das einer der Hauptgründe dafür war, dass seine Mutter von Anfang an so zufrieden mit Susanna als seiner Freundin gewesen war. Man konnte wunderbar mit ihr angeben.

Patricia schüttelte aufgeregt und breit grinsend den Kopf. Seine Mutter schaute unzufrieden zu Susanna. „Warum denn nicht? Du arbeitest doch schon ewig für die, das sollte doch wohl selbstverständlich sein, dass dein Kind-"

„Ich komm nach Hogwarts, Grandma", unterbrach Patricia sie begeistert und strahlte.

Seine Mutter schnappte schockiert nach Luft und schüttelte dann vehement den Kopf. „Das musst du missverstanden haben, Liebes, nur weil du ein oder zwei Leuten begegnet bist, die dorthin kommen, heißt das noch lange nicht, dass da jeder-"

„Aber ich bin eine Hexe, Grandma!", erwiderte Patricia stolz. „Vor ein paar Wochen war ein Zauberer da, der hat mir extra den Brief gebracht und alles erklärt, der war super nett. Wir waren schon in der Winkelgasse und haben alles gekauft, Onkel Harry und Tante Katie haben uns geholfen, das wird alles so super …", plapperte sie aufgeregt vor sich hin. Sie bemerkte nicht, wie seine Mutter sich mit zusammengebissenen Zähnen so fest an die Tischplatte klammerte, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Sie schüttelte immer vehementer den Kopf und stand schließlich so abrupt auf, dass ihr Stuhl umkippte. Sie eilte ohne ein Wort aus dem Zimmer.

Dudley schaute hilflos zu Susanna, die genauso ratlos schien wie er. Schließlich zuckte sie mit den Schultern und schnitt ein neues Stück Kuchen für Patricia ab, während sie Dudley mit einer Kopfbewegung bedeutete, dass er seiner Mutter folgen sollte.

Seufzend stand er auf und ging zögernd in die Küche, wo sie verschwunden war. Sie war gerade dabei, eine halbe Flasche Wodka in sich hineinzuschütten, als er ins Zimmer kam. Mit gehetztem Blick schaute sie ihn an und umklammerte seinen Unterarm so fest, dass es wehtat.

„Diddy, du kannst sie nicht an diesen Ort schicken! Das darfst du nicht!"

Er seufzte. „Mum, ich kann da gar nichts machen. Sie ist eine Hexe und sie gehört-"

„Den Teufel tut sie!", kreischte seine Mutter. Er zuckte erschrocken zusammen. Es war schon lange her, dass er diesen Tonfall gehört hatte. Wahrscheinlich nicht mehr, seit Harry ausgezogen war. „Den Teufel tut sie!", wiederholte sie vehement. „Patty gehört zu uns! Zu dir und mir und Susanna! Lass nicht zu, dass die Magie sie dir wegnimmt! Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Sie wird an diesem Ort verschwinden und sie wird nie wieder dieselbe sein! Sie wird ein Leben haben, das du nicht kennst und das du nicht verstehst. Aber diese Welt ist nicht so toll, wie alle einem weißmachen wollen! Sie ist gefährlich und gemein und brutal und ehe du dich umgedreht hast, hat irgendein Verrückter sie umgebracht und du kannst sie nicht beschützen und dann stehst du da. Ohne sie, aber mit all den Probleme, die sie hinterlassen hat und mit einer Zielscheibe auf der Stirn, die du nie wieder loswerden wirst! Das ist es nicht wert, Diddy! Das ist es nicht wert! Lass nicht zu, dass du sie an lauter irre Spinner verlierst!" Tränen standen ihr in den Augen und sie zitterte am ganzen Körper.

Dudley starrte seine Mutter ungläubig an. „Mum", sagte er hilflos.

Sie schniefte. „Ich hätte sie beschützen sollen, aber ihre Welt wollte mich nicht und am Ende hat sie sie umgebracht, weil sie sie auch nicht gewollt hat. Willst du das wirklich für deine Tochter?"

Er schluckte. „Aber sie ist eine Hexe und sie gehört nun mal-"

„Scheiß doch drauf, was die euch erzählt haben, als ob die euer Kind so viel besser kennen würden! Als ob die wissen würden, was für sie das Beste ist oder was sie wirklich braucht! Glaub mir, die paar Zaubertricks sind es nicht wert, damit sie in zehn Jahren von irgendeinem größenwahnsinnigen Spinner abgeschlachtet wird! Hast du alles vergessen, was du wegen diesen Leuten durchmachen musstest? Das Schwänzchen? Tante Magda? Die Zunge? Die Dementoren?"

Dudley erschauderte. Wie hätte er die Dementoren vergessen können? Das war die schrecklichste Erfahrung, die er je gemacht hatte. Schlimmer als das Jahr auf der Flucht, wo sie sich vor einer abstrakten Gefahr versteckt hatten, sie aber nie direkt bedroht worden waren. Die Dementoren waren das Furchtbarste, was er je erlebt hatte. Aber er würde das nie ungeschehen machen wollen, denn ohne sie, da war er sich sicher, wäre er nie zu dem Menschen geworden, der er jetzt war. Ohne sie wäre er ein rücksichtsloses Arschloch geblieben und jetzt wahrscheinlich im Gefängnis oder tot.

Übertreibst du da nicht ein bisschen?", hatte Harry gefragt, als er das einmal erwähnt hatte.

Dudley schüttelte vehement den Kopf. „Bestimmt nicht", sagte er überzeugt. „Du kannst dich doch bestimmt erinnern, wie ich damals war. Ich hab gedacht, mir gehört die Welt, weil meine Eltern nie was anderes behauptet haben. Sie haben mir alles durchgehen lassen und die Schuld immer bei anderen gesucht. Ich seh das so häufig bei Susannas Schülern. Alles reiche Schnösel, die glauben, sie können sich alles erlauben, ohne jemals irgendwelche Konsequenzen zu tragen, weil ihre Eltern genug Kohle haben, um alle Probleme verschwinden zu lassen." Susanna mochte diese Kinder überhaupt nicht, weil sie letzten Endes nicht gegen die Eltern ankam, die sie ohne zu zögern feuern lassen würden, wenn ihnen etwas nicht passte. Auch wenn sie nicht den Kindern selbst die Schuld gab, sondern den Eltern. Doch irgendwann waren die Kinder erwachsen und was war dann? Man konnte sich nicht ewig mit seinen Eltern herausreden.

Ich war doch genauso. Es ist ein Wunder, das keiner von den Knirpsen, die ich damals vermöbelt habe, keinen bleibenden Schaden davongetragen hat. Irgendwann hätte ich wahrscheinlich jemanden umgebracht und dann hätten mich meine Eltern auch nicht mehr retten können. Und im Knast hätte ich genauso weitergemacht, bis mich irgendwann jemand Stärkeres umgebracht hätte." Harry schien nicht überzeugt, aber Dudley hatte die Worte nie vergessen, die er durch die Dementoren gehört hatte und er wusste ganz genau, dass es so gekommen wäre. Er hatte wirklich Glück gehabt.

„Mum, die Entscheidung steht fest", sagte er schließlich entschlossen. Sie gefiel ihm auch nicht sonderlich gut, aber was sollte er machen? „Die Welt ist eine andere. Harry ist sehr glücklich dort. Susannas Cousine Katie auch. Und Harrys Kinder sind schon lange in Hogwarts und es ist nichts passiert. Dafür hat Harry doch gesorgt. Dafür ist seine Mutter gestorben."

Die Unterlippe seiner Mutter zitterte. „Aber sie hätte nicht sterben müssen", flüsterte sie.

„Wenigstens ist sie nicht umsonst gestorben", erwiderte Dudley mit belegter Stimme. „Sie hat Harry gerettet und Harry hat die Welt gerettet, damit Leute wie Patty dort jetzt sicher sind. Soll ihr Opfer umsonst gewesen sein?"

Seine Mutter schluckte schwer und schüttelte dann zögerlich den Kopf. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Ich halte das trotzdem für eine miserable Idee. Ich hoffe nur, ihr werdet das nie so bereuen wie ich."

„Sie hat genug Leute, die auf sie aufpassen werden." Da war Dudley sich sicher. Dieser Longbottom hatte einen sehr guten Eindruck gemacht. Und Harrys Tochter Lily war auch noch in der Schule, die hatte sich schon immer gut mit Patricia verstanden und würde bestimmt ein Auge auf sie haben.

Seine Mutter nickte. „Wenn ihr meint", sagte sie zweifelnd und ging zurück ins Esszimmer, wo sie Patricia so fest an sich drückte, dass die fast keine Luft mehr bekam.

„Ist doch ganz gut gelaufen, oder?", fragte Susanna amüsiert. Dudley zuckte halbherzig mit den Schultern. Wer konnte das bei seiner Familie schon so genau sagen?

Frohe Weihnachten!


A/N: Ich wünsche euch allen frohe Feiertage und ein gutes neues Jahr. Schön, dass ihr dieses Jahr wieder dabei wart und vielen Dank für die Kommentare. Ob es nächstes Jahr wieder einen Adventskalender gibt, kann ich wirklich nicht sagen, denn mit dem diesjährigen Kalender habe ich so ziemlich alle Ideen, die ich noch übrig hatte, aufgeschrieben. Ein oder zwei Sachen hab ich noch über die Kinder der Kinder im Kopf, aber das sind dann praktisch nur noch OCs und ob daran jemand Interesse hat, kann ich wirklich nicht einschätzen. Außerdem, wer weiß, wie sich das nächste Jahr entwickelt. Dieses Jahr ist ja schon überhaupt nicht gelaufen, wie ich erwartet habe. Also wie immer, ich kann absolut nichts versprechen, möchte es aber auch nicht hundertprozentig ausschließen. Ich hoffe, dass ich in den nächsten Tagen noch dazu kommen werde, die Kommentare zu beantworten, aber zumindest kann ich sagen, dass ich sie alle gelesen und mich über jeden gefreut habe!