Glücklicherweise ist Atmen ein Reflex, sonst hätte Pansy glatt vergessen, wie das geht.


»So langsam könnte man meinen, die Slytherins wollen uns ausspionieren«, sagt er, als er nach dem Training mit leicht verschwitzten Haaren neben Pansy und Padma auf der Zuschauertribüne Platz nimmt, und fügt zwinkernd hinzu: »Oder ihr zwei könnt einfach nicht genug von mir bekommen.«

Roger ahnt nicht, wie recht er hat. Er sieht schon verdammt gut aus in seiner Quidditch-Uniform, und es ist tatsächlich der fünfte Tag in Folge, an dem die beiden beim Training der Ravenclaws zuschauen.

»Keine Sorge«, antwortet Pansy cool, obwohl ihr das Herz vor Aufregung bis zum Hals schlägt, »ich verstehe nicht viel von Quidditch. Ich bin nur wegen Padma hier, stimmt's?«

»Ja, äh«, stammelt Padma und steht auf, »ich muss dringend mit Cho Chang sprechen, vielleicht erwische ich sie noch.«

»Mit Cho?«, wiederholt Roger.

»Jaah, ich will sie fragen, wo sie diesen schicken Rock von neulich her hat. Genau. Also dann, tschüssi!«

Padma stolpert durch die Sitzreihen davon und Pansy wird klar, dass sie nun zum ersten Mal mit Roger Davies alleine ist. Er schenkt ihr sein schelmisches Grinsen, und sie scheint plötzlich eine Art Gehirnsperre zu haben, weshalb sie heilfroh ist, als er anfängt zu reden.

»Komisch. Nach allem, was ich weiß, bist du doch hier diejenige, die sogar von den Mädels aus der Fünften um ihre Garderobe beneidet wird.«

Natürlich hört Pansy diese Art von Dingen nur zu gern. Lächelnd streicht sie ihren hellblauen, durchgeknöpften Mantel mit Stehkragen glatt und sagt: »Naja, Padmas Geschmack ist eher speziell. Obwohl diese Cho schon gut aussieht …«

»Findest du?«, fragt er, vielleicht ein wenig zu erstaunt. »Ist mir nicht aufgefallen. Aber hey, wie waren eigentlich deine Ferien?«

Pansy zwingt sich, weiter zu lächeln. Gemma hatte sämtliche Geschäftsmeetings an ihre Angestellten delegiert; sie selbst verbrachte die Tage mit zugezogenen Vorhängen im Bett und verschmerzte das endgültige Aus ihrer Ehe. Und abgesehen von dem Abend, an dem der Ball der Malfoys stattfand, klopfte sie nicht ein einziges Mal an die Zimmertür ihrer Tochter. Aber immerhin bekam Pansy dreimal täglich Tessy zu Gesicht, die die Mahlzeiten für sie zubereitete. Und während sie auf den verspäteten Weihnachtsgruß ihres Vaters wartete, verzehrte Pansy voller Genuss ihre Lieblingsspeisen, um sie anschließend noch genüsslicher zu erbrechen.

»Ach, du weißt schon«, antwortet sie mit Blick auf ihre frisch manikürten Fingernägel, »der übliche Festtagstrubel. Und deine?«

»Nervig, um ehrlich zu sein. Mein Opa lag mir damit in den Ohren, dass mein Team endlich wieder den Quidditch-Pokal gewinnen muss. Er war jahrelang Kapitän bei Eintracht Pfützensee, weißt du? Und mein großer Bruder hat vor kurzem einen Vertrag bei der Nachwuchsmannschaft unterschrieben.«

»Verstehe. Ich führe später auch das Geschäft meiner Mutter weiter.«

»Dann weißt du also, wie das ist, wenn sie einem da Druck machen.«

Tatsächlich empfindet es Pansy als Erleichterung, dass ihre zukünftige Karriere gesichert ist, unabhängig von irgendwelchen Schulnoten. »Ja, total … ich bin trotzdem auf der Seite deines Opas, Ravenclaw muss dieses Jahr einfach den Pokal gewinnen.«

Roger lacht auf. »Ist schon gut, ich mag dich auch noch, wenn du dein eigenes Team anfeuerst.«

Pansy muss grinsen. Es fühlt sich an, als wären gerade eintausend Schmetterlinge in ihrem Inneren explodiert. »Nein, ernsthaft. Es nervt, wie Flint durch die Gegend stolziert und meint, er könne die Leute herumkommandieren, als sei er Salazar persönlich.« Das stimmt sogar, allerdings gibt es in Slytherin durchaus noch mehr von Flints Sorte. »Und außerdem sieht es super aus, was ihr da macht. Deine Mannschaft scheint echt was drauf zu haben.«

Seine Miene verrät einen gewissen Stolz. »Danke. Wir haben auch hart trainiert in letzter Zeit.«

»Das muss stressig sein, wo du ja nebenbei auch noch Vertrauensschüler bist.«

»Ach, so schlimm ist das gar nicht«, meint er gut gelaunt. »Eigentlich ist es sogar ganz witzig; ich kann theoretisch jedem, der mir auf die Nerven geht, Hauspunkte abziehen. Aber dann müsste ich bei Snape anfangen, der mir allein für die vergangenen Jahre locker fünfhundert Punkte schuldig ist, und ich wäre anschließend 'nen Kopf kürzer, also lass ich es lieber gleich.«

Sie kichert, woraufhin er sie mit seinen schokoladenbraunen Augen so lange ansieht, bis sie rot wird und den Blick senkt. »Ähm«, murmelt sie, weil sie mit der eingetretenen Stille überfordert ist, »wie du eben diesen Ball über die Schulter geworfen hast -«

»Den Quaffel.«

»Ja. Also, das sah ziemlich cool aus.«

»Das war ein Rückpass«, erklärt Roger enthusiastisch. »Dabei wirft der Jäger - also ich - einem Mitspieler hinter ihm den Quaffel über die Schulter zu. Um da zu zielen, braucht es natürlich einiges an Erfahrung. Jedenfalls probieren wir den Pass bei den kommenden Spielen aus.«

»Klingt, als wärt ihr gut vorbereitet.«

»Dann warte ab, bis du das Täuschungsmanöver siehst, das wir geplant haben.«

»Mhm.«

»Und zwar steuere ich mit dem Quaffel das Tor an, bis die Gegner mich umringen. Dann lasse ich den Quaffel fallen, so dass ein anderer Jäger unter mir übernimmt und schnell zum Tor fliegen kann.«

»Wow.«

»Clever, oder? Wenn du noch mehr wissen, willst, stehe ich dir jederzeit zur Verfügung.«

Fast wäre Pansy ein »Bloß nicht!« rausgerutscht, doch dann hat sie eine Idee. Mit großen Augen schaut sie ihn an und fragt: »Was habt ihr denn noch so für Tricks auf Lager?«


Am selben Abend, im Gemeinschaftsraum, steht Pansy am großen Kamin neben dem Ledersofa, auf dem Draco mal wieder herumlümmelt und sich breit macht, als wäre es sein eigenes.

»Lasst uns kurz allein«, weist sie Crabbe und Goyle an, die ihm gegenüber sitzen.

Draco beißt in seinen Apfel, während er die drei abwechselnd anschaut.

»Öhm, okay.« Goyle will gerade aufstehen, als Crabbe ihn zurückhält. »Warum sollten wir?«, fragt der Fettsack und stiert sie mit seinen kleinen Augen an.

Pansy holt Luft, doch Draco kommt ihr zuvor: »Halt die Klappe, Crabbe, und tu, was sie sagt.«

Sichtlich genervt schlurft Crabbe zu einer Sitzgruppe mit Sesseln, wo er zwei Erstklässlerinnen verscheucht. Goyle, der sich, Merlin sei Dank, nur beinahe auf eine Katze setzt, folgt ihm.

»Schieß los«, nuschelt Draco kauend, ohne Pansy zu bedeuten, sich hinzusetzen.

»Porskoff«, antwortet sie.

»Bitte was?«

»So nennen sie ein Täuschungsmanöver im Quidditch. Irgendwas mit Quaffel fallen lassen, keine Ahnung. Ravenclaw plant es jedenfalls fürs kommende Spiel. Hier.« Sie greift in ihren Umhang und überreicht ihm den Zettel, auf dem sie noch weitere Tricks sowie die Taktik der Sucherin Cho Chang aufgeschrieben hat.

Skeptisch entfaltet Draco das Papier und betrachtet es einen Moment. Dann setzt er sich wie in Zeitlupe aufrecht. »Woher -«

»Ich habe mich mit Roger unterhalten«, erklärt sie. »Du dachtest, ich könnte keine Infos zum Spiel aus ihm rauskriegen. Hier ist der Gegenbeweis.«

So, wie er sie jetzt anglotzt, fällt ihm beinahe das Stück Apfel aus dem Mund.

»Ich hab mich natürlich gefragt, was du mir jetzt schuldest«, fährt sie fort, »aber mir ist noch nichts Gutes eingefallen. Also werde ich drauf zurückkommen, wenn es soweit ist.«

Mit einem Mal weicht sein verblüffter Ausdruck der gewohnten Arroganz. »Und was macht dich so sicher, dass ich dich dann nicht hängen lasse?«

»Tja, da muss ich dir wohl einfach vertrauen. Ebenso, wie du mir vertrauen musst, dass ich dich gerade nicht an der Nase herumführe.«

»Warum solltest du das tun?«

»Zum Beispiel Roger zuliebe. Oder weil mir heute in Binns Unterricht dein dämlicher Papiervogel an den Kopf geflogen ist.«

»Das war ein Versehen.«

»Hat mich trotzdem genervt.«

Es vergehen ein paar Sekunden, in denen sich die beiden prüfend anschauen. Schließlich huscht ein Grinsen über sein Gesicht. »Gehst du jetzt eigentlich mit Davies oder sowas?«

Tatsächlich tut sie das nicht. Noch nicht. Aber immerhin hatte Roger gefragt, ob sie sich nach dem Spiel in drei Tagen wiedersehen. Und wenn alles nach Plan läuft, kann sie ihn dann auch gleich wegen seiner Niederlage trösten.

»Gern geschehen«, sagt sie schlicht und macht auf dem Absatz kehrt.


Endlich hat sich Pansy durch die Schülerschar und bis nach unten zum Spielfeld durchgekämpft. Sie kommt an den jubelnden Slytherins vorbei, die Draco dafür feiern, dass er den Schnatz gefangen hat - und sie mit gerade einmal zwanzig Punkten Vorsprung gewonnen haben. Flint hatte nämlich angewiesen, vorrangig die Tricks der Ravenclaws zu vereiteln, wodurch die Verteidigung seiner Tore kaum Beachtung fand.

Pansy bleibt am Spielfeldrand stehen. Sie schaut hoch zur Zuschauertribüne, wo ihr Daphne, Millicent und Tracey grinsend zuwinken.

Während sich die übrigen Ravenclaw-Spieler mit ernsten Mienen unterhalten, ist Roger offenbar dabei, Cho zu trösten; er hat einen Arm um sie gelegt und flüstert ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie kichert. Doch im nächsten Moment bemerkt Roger Pansy, löst sich hastig von seiner Teamkollegin und schlendert zu ihr hinüber. Pansy und Cho tauschen einen eisigen Blick.

»Gratuliere«, sagt Roger. Er wirkt nicht allzu niedergeschlagen und lächelt sogar.

»Tut mir echt leid, es war so knapp …«

»Heute wart ihr eben besser. Der Pokal ist noch nicht verloren, vielleicht machen wir ja nächsten Monat Gryffindor platt.«

»Diesen Haufen von Luschen? Na hoffentlich.«

Roger lacht laut auf und Pansys Herz schlägt höher. Für einen Sekundenbruchteil huscht sein Blick zu ihrem Mund. Vielleicht hat er ihren neuen Lipgloss bemerkt. Sie hat sich viel Mühe mit ihrem Make-up gegeben, wie immer, wenn sie weiß, dass sie ihn trifft.

»Was machst du heute noch?«, fragt sie.

»Ich sollte anfangen, für meine ZAGs zu lernen, schätze ich. Und du?«

»Ich, äh, muss noch ein paar Bücher zur Bibliothek zurückbringen«, flunkert sie, als plötzlich Gelächter ertönt.

»Ey, Davies! Die steht voll auf dich!«

Sie schauen zur Tribüne hoch, wo Crabbe einen ekligen Kussmund in ihre Richtung macht.

Vor Scham und Wut spürt Pansy, wie sie rot anläuft, doch gerade, als sie losrennen will, um dieses Ekelpaket mit bloßen Händen zu erwürgen, umfasst Roger ihre Schultern.

Überrascht sieht sie ihn an.

Er grinst. »Ich hoffe doch, dass es stimmt, was er sagt.«

»Ähm«, ist alles, was sie rausbringt. Denn im nächsten Moment fährt er mit seinen Händen an ihren Nacken und beugt sich zu ihr hinunter - bis seine weichen Lippen auf ihre treffen.

Glücklicherweise ist Atmen ein Reflex, sonst hätte Pansy glatt vergessen, wie das geht. Sanft küsst er erst ihre Ober-, dann die Unterlippe, bevor sich schließlich ihre Zungen berühren. Es fühlt sich so ungewohnt an. Feucht eben. Und außerdem hat sie keine Ahnung, was sie eigentlich mit ihren Händen machen soll. Trotzdem lässt sie sich selig treiben, während sie weit entfernt, fast übertönt von ihrem Herzpochen, ihre Freundinnen jubeln hört.

Als sie sich langsam voneinander lösen, strahlt Pansy übers ganze Gesicht. Das war der erste Kuss, den sie sich ausgemalt hat und um den sie jedes Mädchen nur beneiden kann. Der ihr Leben für einen Augenblick perfekt macht und alle Probleme einfach wegfegt.

Lächelnd streicht Roger ihr eine Haarsträhne hinters Ohr, und sie kann nicht anders, als sich auf die Zehenspitzen zu stellen, um mit Kuss Nummer Zwei fortzufahren.

*.*.*.*

»Bist du auch sicher, dass du mit diesem Besen umgehen kannst, Potter?«, fragt Draco, in höchstem Maße bemüht, seinen Neid zu verbergen.

»Ja, ich denk schon.«

»Hat 'ne Menge Schnickschnack eingebaut, oder? Nur Pech, dass er nicht gleich mit Fallschirm geliefert wird - falls du einem Dementor zu nahe kommst.«

Crabbe und Goyle, die nur davon träumen können, einmal einen Feuerblitz in der Hand zu halten, fangen brav an, zu kichern.

»Schade, dass du keinen Ersatzarm anschrauben kannst, Malfoy«, antwortet Potter, »der könnte den Schnatz für dich fangen.«

Während die umstehenden Gryffindor-Esel lachen, kehrt Draco wortlos um. Er ist viel zu genervt, um Potters Gesicht noch eine Sekunde länger zu ertragen.

Zurück am Slytherin-Tisch winkt Marcus Flint ihn zu sich. »Und?«, zischt er. »Ist das echt ein Feuerblitz?«

»Jap.«

»Fuck

»Was machen wir jetzt?«, fragt Adrian Pucey, Flints bester Kumpel und Jäger der Mannschaft.

Der Hüter, Miles Bletchley, zuckt die Schultern. »Was sollen wir schon machen?«

»Ich hab eine Idee«, sagt Flint. »Morgen spielen die Deppen gegen Ravenclaw. Wir sorgen dafür, dass wieder Dementoren auftauchen, so wie beim Spiel gegen Mugglepuff.«

»Wie willst du das anstellen? Dementoren tun dir keinen Gefallen. Kommst du in ihre Nähe, saugen sie dich aus, Ende.«

»Weiß ich doch«, murmelt Flint, nicht sehr überzeugend. »Aber vielleicht tun es auch unechte Dementoren. Potter muss nur im richtigen Moment aus dem Konzept gebracht werden, um den Schnatz dieser Asia-Tussi zu überlassen.«

Draco schnaubt amüsiert. »Dazu braucht es keine Dementoren. Jede Wette, dass Potter auf ihre jämmerlichen Flirtversuche anspringt. Die hat dasselbe bei mir versucht, um mich abzulenken. War viel zu beschäftigt damit, mir am Hintern zu kleben, als sich um den Schnatz zu kümmern.«

»Egal, mir gefällt meine Idee, wir ziehen das durch«, meint Flint unbeirrt.

»Und wo willst du bitte falsche Dementoren hernehmen?«

»Wir verkleiden uns, ist doch logisch.«

Niemand sagt etwas, offenbar in der Annahme, Flint würde jeden Augenblick über seinen eigenen Vorschlag lachen. Tut er aber nicht.

»Wenn sie uns erwischen«, sagt Draco eindringlich, »dürfen wir für den Rest des Schuljahres mit Filch die Flure putzen.«

»Dann lassen wir uns eben nicht erwischen! Sag deinen Schlägerkumpels Bescheid, die machen auch mit.«

»Wer?!«

»Crabbe und Goyle. Alleine bist du nicht groß genug, also kann dich einer von denen auf die Schulter nehmen.«

»Mich?«, wiederholt Draco entsetzt. Doch er weiß auch, wenn er seine Position im Team behalten will, wird er bei diesem Unfug mitmachen müssen.

Flint ist nicht gerade für seine Geduld bekannt - und die Liste der Ersatzspieler ist lang. Zudem bekunden jedes Jahr neue Schüler ihr Interesse, nicht zuletzt, weil Slytherin so viele Nachwuchstalente für die Profiliga hervorgebracht hat, wie kein anderes Haus. Also verkneift sich Draco jeden weiteren Kommentar und flucht in sich hinein.


Am nächsten Tag - wer hätte es gedacht? - geht Flints bescheuerter Plan schief: Als Potter während des Spiels die vier vermeintlichen Dementoren entdeckt, beschwört er mit seinem Zauberstab eine leuchtend weiße Gestalt, die auf sie zuschießt. Vor Schreck stürzen sie zu Boden, verheddern sich in ihren Kapuzenumhängen, werden von der alten McGonagall in die Mangel genommen und müssen zur Strafe eine Woche nachsitzen. Außerdem werden Slytherin auch noch fünfzig Punkte abgezogen, weshalb die anderen natürlich sauer sind.

Zum Glück ist die Sache schnell vergessen, weil Sirius Black am Abend mal wieder ins Schloss einbricht, und vor allem auch, weil Longbottoms Oma ihrem Enkel am nächsten Morgen einen superpeinlichen Heuler schickt. Trotzdem hofft Draco, dass Flint nicht noch ein Jahr wiederholen muss, sondern Hogwarts im Sommer endgültig verlässt.


»Hast du Roger heute gesehen?«

»Ja, im Gemeinschaftsraum.«

»Hat er was über mich gesagt? Oder über Valentinstag? Er weiß doch, dass in zwei Tagen Valentinstag ist, oder?!«

»Ich weiß nicht, er hat mit Bryce geredet.«

»Und wie hat er dabei geguckt?«

Den ganzen Weg hinunter nach Hogsmeade beschäftigt Pansy die Frage, ob ihr Traumprinz in letzter Zeit auf den Kalender geguckt hat, während Padma Patil mit einer Engelsgeduld seine verschiedenen Gesichtsausdrücke beschreibt und Millicent und Daphne ihre fachkundigen Einschätzungen dazu abgeben.

Eigentlich fand Draco, dass Pansy im Laufe der Zeit halbwegs erträglich geworden war. Doch jetzt, wo sie immerzu blöde kichert und - wenn sie nicht gerade sowieso auf Davies' Schoß festklebt - überall kundtut, dass sie einen Freund hat, findet er sie noch nerviger, als damals im ersten Schuljahr.

Da hört er sogar lieber zu, wie sich Tracey und Blaise gegenseitig in Geschichte abfragen.

»Wann trieb eine der gefährlichsten Vampirbanden Londons ihr Unwesen?«

»1888.«

»Korrekt. Und wen beschuldigten die Muggel hierfür?«

»… Keine Ahnung.«

»Jemanden namens Jack the Ripper

»Tse, dumme Muggel.«

»Hey, wo gehst du hin?«, fragt Ted, als Draco plötzlich einer Abzweigung zu einem Hügel folgt.

»Muss noch was erledigen.«

Mit einem Kopfnicken deutet Ted zu der Holzhütte oben auf dem Hügel, ein baufälliges und berühmt-berüchtigtes Spukhaus. »In der Heulenden Hütte? Hast du 'ne Wette verloren, von der ich nichts weiß?«

»Ich warte auf Post, erzähl ich dir später. Geh schon mal vor.«

»Alles klar, ich schau erstmal bei Zonko vorbei. Oder irgendwo, wo ich nichts über Geschichtshausaufgaben oder Roger Davies hören muss.«

»Dauert nicht lang«, sagt Draco und macht sich auf den Weg, wie immer gefolgt von Crabbe und Goyle.

»Was ist das für Post?«, fragt Goyle.

»Gestern hat das Ministerium das Verfahren gegen diesen blöden Vogel eröffnet«, erklärt Draco, über das angestrengte Schnaufen von Crabbe hinweg.

»Vogel?«, wiederholt Goyle.

»Hippogreif.«

»Hippo … greif?«

Draco bleibt stehen. »Ja, Gregory. Der Hippogreif, der mich in Hagrids Unterricht angegriffen hat.«

»Ooh, ja, richtig!«

Augenrollend steigt Draco die letzten Meter hinauf. »Jedenfalls stört hier oben niemand, denn ich erwarte jede Minute eine Eule von meinem Vater. Er musste zum Prozess, um ihnen von meinem Arm zu berichten … dass ich ihn drei Monate lang nicht gebrauchen konnte …«

Crabbe und Goyle lachen höhnisch.

»Ich wünschte, ich könnte dabei sein, wenn sich dieser zottige Volltrottel zu verteidigen versucht … ›Der tut nichts Böses, ehrlich -‹ … dieser Hippogreif ist so gut wie tot -«

Draco hält inne, als sie oben ankommen. Dort steht jemand. Es ist Ronald Weasley - und er ist allein. Ein ebenso seltenes Phänomen,wie ein Sieg der Hufflepuffs über den Hauspokal.

»Was machst du denn hier, Weasley?« Draco schaut spöttisch zwischen ihm und der alten Bretterbude hin und her. »Vermute mal, du würdest am liebsten hier wohnen, nicht wahr, Weasley? Träumst davon, ein eigenes Schlafzimmer zu haben? Hab gehört, bei dir Zuhause schlafen sie alle in einem Zimmer - stimmt das?«

Der Rotschopf macht eine Bewegung auf ihn zu, besinnt sich dann aber eines Besseren. Herrlich, wie leicht es ist, ihn zu provozieren.

»Wir reden gerade über deinen Freund Hagrid«, fährt Draco munter fort. »Was er wohl dem Ausschuss für die Beseitigung gefährlicher Geschöpfe erzählt? Glaubst du, er fängt an zu heulen, wenn sie seinem Hippogreif -«

Klatsch!

Irgendetwas kaltes und nasses trifft ihn am Hinterkopf. Er betastet die Stelle und schaut seine Hand an, von der dunkler Schlamm tropft. Sofort fühlt er sich an den Abend bei den Parkinsons erinnert, als Pansy ihm ein cremiges Schokotörtchen an den Kopf warf. Mit dem kleinen Unterschied, dass er sie damals klar und deutlich vor sich sehen konnte.

»Was zum -«

Weasley kann sich vor Lachen kaum auf den Beinen halten. Gut für ihn, dass Draco gerade mit seinen Haaren beschäftigt, und Crabbe und Goyle einfach maßlos verwirrt sind.

»Was war das? Wer war das?«

»Spukt ganz schön hier oben«, schmunzelt Weasley.

Angestrengt schaut Draco umher, als plötzlich eine Handvoll Schlamm aus einer Pfütze emporsteigt und wie von selbst in ihre Richtung schleudert.

Flatsch!

Der Schmodder landet mitten in Goyles Gesicht, blind und jaulend torkelt er herum. Wäre er nicht so wütend, hätte Draco gelacht. »Es kommt von da drüben!«, ruft er dem anderen Erbsenhirn zu.

Crabbe stapft los, die Arme ausgestreckt, als er plötzlich von hinten von einem Ast angegriffen wird. Erschrocken wirbelt er herum und stolpert über seine eigenen Füße.

In genau dieser Sekunde passiert etwas so Merkwürdiges, dass Draco zunächst an eine Einbildung glaubt. Denn eigentlich kann es ja nicht sein kann, dass plötzlich der Kopf eines Mitschülers in der Luft schwebt. Es sei denn, es handelt sich nicht um einen normalen Mitschüler, für den normale Regeln gelten, sondern um …

»AAAARH!«, ruft er wutentbrannt mit Blick auf Potters hässlichen Schädel, bevor er den Hügel hinunter und zurück Richtung Schloss rast.


Zwei Tage später hat Draco von Snape noch keine Rückmeldung zu der Sache mit Potters Kopf in Hogsmeade bekommen, oder dazu, dass er offenbar einen Tarnumhang besitzt (was im Zweifel nichtmal legal ist!), aber immerhin haben sie im Prozess gegen Hagrid und seinen Hippogreif gewonnen. Besser als nichts. Sein Vater hatte den Ausschuss von der Gefährlichkeit des Tieres überzeugt, also wird es bald geköpft. Um das zu verhindern, müsste schon jemand die Zeit zurückdrehen können. Eher unwahrscheinlich.

Nach der Stunde Pflege magischer Geschöpfe beobachten Draco, Crabbe und Goyle hämisch, wie Hagrid schluchzend zu seiner Hütte zurückkehrt, nachdem er seine drei besten Gryffindor-Kumpels zum Schloss eskortiert hat.

»Guckt mal, wie der flennt!«, sagt Draco laut. »Habt ihr jemals so was Erbärmliches erlebt? Und der soll unser Lehrer sein!«

Doch weiter kommt er nicht - Hermine Granger läuft mit wutverzerrter Fratze auf ihn zu, holt aus und verpasst ihm eine kräftige Ohrfeige.

Es scheint, als wären selbst die Vögel und der Wind verstummt, so dass das Klatschen in der Luft nachhallt. Ungläubig starrt Draco das schlammblütige Miststück an. Die anderen Jungs stehen daneben, nicht weniger geschockt.

»Wag es nicht noch einmal, Hagrid erbärmlich zu nennen, du Mistkerl - du Schuft!«

Weasley versucht, sie zurückzuhalten, als sie erneut die Hand erhebt, wird jedoch bloß von ihr angefaucht. Dann zückt sie ihren Zauberstab und zielt auf Dracos Kehle.

Er weicht zurück. Was soll er auch sonst tun? Selbst unbewaffnet wäre sie immer noch ein Mädchen, wenn auch ein wertloses und niederträchtiges. Wie konnte sie es wagen?

»Kommt«, befehligt er Crabbe und Goyle, die vollkommen verdattert dastehen.

Auf dem Weg in den Kerker lässt Draco Dampf ab, indem er Schimpfwörter benutzt, über die seine Mutter entsetzt wäre. Im Gemeinschaftsraum steuert er geradewegs den Schlafsaal an; er hat das dringende Bedürfnis, sein Gesicht, das von dem Schlammblut berührt wurde, zu waschen.

Zum Glück sind Ted und Blaise nirgends zu sehen, dafür sitzen die Mädchen im Pulk zusammen. Pansy hält noch immer ihre kitschige, herzförmige Pralinenschachtel umklammert, ein Geschenk von Davies zum Valentinstag. Sie ging sicher, dass das jeder erfuhr, der heute ihren Weg kreuzte - womöglich weiß selbst Dumbledore inzwischen Bescheid.

»Draco?«, ruft Millicent. »Ist was passiert?«

Offenbar war sein Ausdruck eine Spur zu finster.

»Nichts«, erwidert er und schaut Crabbe und Goyle warnend an.

Goyle sieht noch verwirrter aus als sonst. »Aber es ist doch was passiert, Granger hat dich ins Gesicht geschlagen!«

»WAS?«, kreischt Pansy.

Draco muss sich beherrschen, um nicht auf den Trottel loszugehen.

Tracey schlägt sich die Hand vor den Mund und kichert. »Entschuldigung.«

»Das ist gemein, Tracey«, sagt Daphne und mustert Draco mit besorgter Miene. »Tut es sehr weh?«

Jetzt prustet Tracey los vor Lachen.

»Ihr könnt mich alle mal!«, ruft Draco aufgebracht und stürmt davon.


Nach dem Vorfall in Hogsmeade und der Ohrfeige des Schlammbluts kommt der nächste Quidditch-Sieg Dracos Ego sehr gelegen. Im März machen sie Hufflepuff mit 180 Punkten Vorsprung platt, ein wahres Kinderspiel. Der Pokal ist zum greifen nahe.

Auch im April finden sie sich auf dem Quidditch-Feld wieder, für das Spiel, auf das die Schule seit Wochen hinfiebert: Slytherin gegen Gryffindor.

Nicht nur die Feindschaft zwischen Draco und Potter hat ihren Höhepunkt erreicht, beide Häuser liefern sich in den Korridoren und auf dem Schulgelände einen regelrechten Kleinkrieg, der für zwei Schüler sogar im Krankenflügel endet.

Noch nie war es Draco so wichtig gewesen, ein Spiel zu gewinnen. Er will die Revanche für letztes Jahr, als Potter ihm den Schnatz vor der Nase wegschnappte, obwohl sein Vater den Slytherins nagelneue Rennbesen spendiert hatte (diesmal hat Lucius es leider abgelehnt, sie mit Feuerblitzen auszustatten … oder für Draco einen Tarnumhang zu kaufen).

Als sich die Kapitäne Flint und Wood bei der Begrüßung gegenseitig fast die Hände brechen, schaut Draco zu Potter hinüber. Ob der Typ weiß, wie leicht er es hat? Abgesehen von lebenden Eltern hat er alles, die Welt liegt ihm zu Füßen, nur weil er ein- und ausatmet. Er wird schon als Erstklässler ins Quidditch-Team aufgenommen, bekommt die schnellsten Besen geschenkt, wird nie wirklich für seine Fehltritte bestraft, kann einfach so mit einem Tarnumhang herumlaufen, die Liste ist endlos. Zudem wird ihm von allen Seiten Mut zugesprochen, er bekommt High Fives und Applaus von beinahe der ganzen Schule.

Draco steht alleine da. Ohne Prominentenstatus, ohne Fanclub, ohne irgendjemanden, der ihm aufmunternd auf die Schulter geklopft hätte. Da ist nur Flint, der ihn anmault, Gryffindor bloß nicht gewinnen zu lassen, als ob das allein von ihm abhängen würde.

Draco umklammert seinen Nimbus Zweitausendeins. Er kann es sich nicht leisten, zu verlieren.

*.*.*.*

»Und es macht sehr wohl einen Unterschied, ob ihr die Schlafbohnen aufschneidet oder nur zerdrückt. Zumindest, wenn ihr euch nicht die Augenbrauen wegbrennen wollt«, sagt Snape und lächelt heimtückisch. »Nicht wahr, Mr Finnigan?«

Es folgt Gelächter, und Seamus Finnigan, der in Zaubertränke mit seinem Hang zu Explosionen schon öfter für Tumult gesorgt hat, errötet.

Leider hat Gryffindor vor wenigen Tagen nicht nur das Spiel gewonnen, sondern auch den Quidditch-Pokal, doch ganz abgeebbt ist die geladene Stimmung zwischen den beiden Häusern noch nicht. Und während Snape seitdem keinen Unterricht verstreichen lässt, ohne zumindest einen der Gryffindors vorzuführen, machen sich Pansy und Millicent einen Spaß daraus, Hermine zu schikanieren, wann immer sich die Gelegenheit bietet. Ohne dabei den Verdacht auf sich zu lenken, natürlich.

Schon mehrfach hatten sie sie »versehentlich« angerempelt, so dass ihr Pulk an Büchern überall um sie herum verteilt lag. Dann hatten sie ihr im Vorbeigehen eine tote Maus in die Kapuze gelegt, ihr Fischaugen in die Tasche gesteckt und sie zuletzt für eine halbe Stunde per Verriegelungszauber in eine Toilettenkabine eingesperrt. Denn auch, wenn jemand wie Tracey kein Ehrgefühl hat und darüber lacht, hat Hermine es mit ihrer Ohrfeige gegen Draco zu weit getrieben. Pansy würde ihn nichtmal als Freund bezeichnen, aber trotzdem. Man stärkt sich eben den Rücken, das ist ein Slytherin-Ding.

»Funktioniert es?«, flüstert Millicent, die hinter Pansy sitzt.

Hochkonzentriert nickt Pansy, während sie ihren Zauberstab unter dem Tisch so bewegt, dass sich drei Reihen vor ihr Hermines Schnürsenkel miteinander verknoten. Sie wird gerade rechtzeitig fertig, bevor die Stunde endet, alle ihre Sachen zusammenpacken und aufstehen. So auch Hermine, die jedoch mit einem spitzen Schrei der Länge nach auf den Boden knallt. Die Klasse lacht schallend los, selbst ein paar Gryffindors. Mit hochrotem Kopf (und sichtlich verwirrt über die verknoteten Schnürsenkel) lässt sich Hermine von Weasley aufhelfen.

Snape beobachtet, wie Pansy ihren Zauberstab zurücksteckt. Er sieht erst sie, dann Hermines Schuhe an, und für eine Sekunde kräuseln sich seine Mundwinkel, bevor er mit ungerührter Miene sagt: »Schluss mit dem Radau, alle Mann raus, und zwar zügig.«

Beim Rausgehen grinst Pansy übers ganze Gesicht. Sie verspürt diesen Rausch, der einen erfasst, wenn man etwas Verbotenes tut, aber damit durchkommt.


Der Juni ist angebrochen, und mit ihm eine plötzliche Hitze. Das Wetter hat den Frühling übersprungen und ist gleich zum Sommer übergegangen.

Am letzten Schultag steht Pansy mit Padma, Lisa und natürlich ihrem Liebsten auf dem Schulhof. Lässig legt Roger einen Arm um sie. Sie liebt es, wenn er das tut. Es ist einfach toll, einen Freund zu haben, und noch viel toller, wenn man die Einzige ist, die einen hat. Nie wird sie vergessen, wie Parvati und Lavender mit aufgerissenen Mündern dastanden, als sie die beiden zum ersten Mal miteinander sahen.

Außerdem wird sie den Großteil des Sommers mit Roger verbringen, denn er hat sie gefragt, ob sie ihn zur Quidditch-Weltmeisterschaft in Devon begleiten will. Natürlich hat sie zugestimmt, zumal ihr Vater in seinem letzten Brief erwähnte, dass er in den Ferien auf Geschäftsreise sei und sie ihn deshalb nicht besuchen könne.

»Sieht ganz gut aus«, sagt Roger mit Blick auf ihr Zeugnis.

»Ganz gut?«, fragt Pansy entrüstet. »Ich hab mich sogar verbessert! Außer in Verwandlung und Kräuterkunde, aber das liegt mir einfach nicht.«

Dass Snape den Slytherins jedes Jahr den Inhalt seiner Prüfung vorab verrät, oder dass sie bei Hagrid die zweifelhafte Aufgabe hatten, einen Eimer voller Würmer zu ignorieren und eine Stunde lang nichts zu tun, muss sie ihm ja nicht auf die Nase binden.

Padma stöhnt. »Erinner mich nicht an Verwandlung, ich hab Punkte verloren, nur weil meine Schildkröte noch ein winziges bisschen Porzellanmalerei auf dem Panzer hatte. Ansonsten war von der Teekanne überhaupt nichts mehr übrig!«

»Ach, komm«, sagt Lisa. »McGonagall wäre nichtmal beeindruckt, wenn ihr ein Troll die Märchen von Beedle dem Barden vorlesen würde.«

Pansy kichert. »Und zwar auf Koboldisch.«

»Es heißt Koboldogack«, sagt Roger.

»Oh. Achso.«

Sie ist wirklich stolz, dass ihr Freund seine ZAGs mit Bestnoten bestanden hat, trotzdem schiebt sie den Gedanken, dass er intelligenter ist als sie, gern beiseite.

»Nur schade, dass Lupin gehen musste«, meint Lisa.

»Definitiv«, sagt Padma.

Roger nickt. »Ja, er war der beste Verteidigungslehrer, den ich bisher hatte.«

Dass ein Werwolf in Hogwarts Kinder unterrichtet, hatte in allen Zeitungen für Schlagzeilen gesorgt, die Öffentlichkeit war außer sich. Auch Pansy ist froh, dass Lupin gezwungen war, zu kündigen. Dass er ein Werwolf ist, ist ihr jedoch völlig egal - die Hauptsache ist, dass sie nie wieder einem Irrwicht gegenübertreten muss. In Lupins Abschlussprüfung erschien ihr dieser wider Erwarten nicht als ihr toter Bruder Andrew, sondern als ihr Vater, der davon redete, sie niemals wiedersehen zu wollen.

In Pansys Magen fängt es plötzlich an, zu rumoren. Sanft befreit sie sich aus Rogers Umarmung. »Ich glaube, ich hab noch nicht alle Bücher eingepackt. Wir sehen uns später«, sagt sie und gibt ihm ein Küsschen auf die Wange.

Erschöpft lehnt sie sich gegen die Tür der Toilettenkabine und schließt die Augen. Alles ist in Ordnung. Sie hat ein Geheimnis. Etwas, woran sie sich festhalten kann, wenn irgendetwas ihre Welt ins Wanken bringt. Es ist für sie da, beruhigt sie und schenkt ihr eine wohltuende Leichtigkeit.

Sie rappelt sich auf, öffnet die Tür und zuckt zusammen; neben dem Waschbecken steht Tracey und starrt sie an.

Pansy räuspert sich und versucht, beiläufig zu klingen: »Wie lange bist du schon hier? Du warst doch draußen mit Daph -«

»Hab den hier vergessen«, antwortet Tracey und hält ihren Mascara in die Höhe. Dann huscht ihr Blick in Richtung Kabine. »Was hast du da gemacht?«

»Nichts! Ähm, mir sind die Cornflakes wohl nicht bekommen«, sagt Pansy und verzieht demonstrativ das Gesicht.

»Bist du deshalb vor zwei Tagen so früh vom Abendessen aufgestanden? Und am Samstag? Und die Woche davor?«

Für einen Augenblick weiß Pansy nicht, was sie sagen soll, obwohl es ihr normalerweise nicht schwerfällt, zu lügen. Dann zuckt sie die Schultern. »Ich war echt gestresst in letzter Zeit, wegen den Prüfungen und so. Und Stress schlägt mir eben auf den Magen.«

»Verstehe.«

Natürlich weiß sie es.

»Ich mache das nicht ständig oder so.«

»Okay.«

Irgendwie ist Pansy verärgert. Was bildet sich Tracey eigentlich ein, wegen ihrer billigen Wimperntusche hier reinzuplatzen und sie zu verhören, als würde sie das alles etwas angehen?

»Tja, also, ich werd dann mal -«

»Tracey.«

Sie bleibt stehen.

»Wenn du es jemandem erzählst«, sagt Pansy und schluckt, »dann mach ich dich fertig.«

Tracey erwidert ihren Blick, das Schweigen ist ohrenbetäubend. Doch schließlich nickt sie, zu Pansys Überraschung. Dann dreht sie sich wortlos um, verlässt das Bad und den Schlafsaal, und Pansy ist wieder allein.

Sie schaut in den Spiegel; heute gefällt sie sich nicht besonders. Also konzentriert sie sich wieder auf den Schmerz in ihrer Magengrube, der ihr ein seltsames Gefühl von Macht gibt. Ein Gefühl, das ihr Herzklopfen verursacht - und das sie nie wieder verlieren will.

In Zukunft wird sie noch vorsichtiger sein müssen.

~ Ende Jahr 3 ~