Kapitel 11 – Eine nie zerbrochene Bindung
Hermione setzte die Kiste auf einem Beistelltisch ab und ging in die Küche, um sich etwas zu essen zu richten. Ihre Gedanken wanderten zu diesen traurigen Tagen davon. Nie hätte sie sich träumen lassen, dass Severus 16 Monate Trennung brauchen sollte, um wieder zur Besinnung zu kommen. Während dieser Zeit sah sie Silas und Varina unter Aufsicht jeden Monat an zwei Wochenenden; während der Besuche sagten die Kinder kein Wort gegen ihren Vater. Hermione wusste, dass einer der Hauselfen sich um die Kinder kümmerte, wenn Severus dies nicht tun konnte, und dass sich Severus immer dann selbst um sie kümmerte, wenn die Apotheke geschlossen war.
Mit tiefer Bestürzung entdeckte Hermione, dass Severus abends stark trank. Minerva war eines Abends vorbeigekommen, und obgleich er normal zu funktionieren schien, roch er nach Alkohol, und seine Wangen waren gerötet. Als Minerva die Hauselfen nach seiner Trinkerei fragte, gaben sie weiter, dass er nur abends trank, nachdem die Kinder im Bett waren. Für den Fall, dass die Kiner etwas brauchten, blieb grundsätzlich ein Hauself über Nacht. Minerva schrieb an Hermione und machte sie auf die Situation aufmerksam, stellte aber auch klar, dass er keineswegs die Kinder gefährdete. Hermione war verzweifelt, dass die Dinge sich im Zuhause von Severus und ihren Kindern so schlimm entwickelt hatten und konnte sich nur mit der Tatsache trösten, dass er mit dem Trinken wartete, bis die Kinder schliefen.
Sie legte das Sandwich, das sie zubereitet hatte, auf einen Teller und holte sich ein kaltes Getränk aus dem Kühlschrank. Zurück im Wohnzimmer stellte sie ihre Mahlzeit auf den Couchtisch und zog die Briefekiste auf ihren Schoß. Sie blätterte durch die Pergamente, bis sie dasjenige fand, das Severus schließlich im Dezember 2014 geschrieben hatte. Dies war der Brief, auf den sie während der 16 Monate gewartet hatte, die sie getrennt von ihrem Ehemann verbracht hatte; der Brief, auf dessen Ankunft sie jeden Morgen seit diesem schicksalhaften Tag gehofft hatte.
6. Dezember 2014
Hermione,
es erniedrigt mich, Dir zu gestehen, dass all die Briefe, die Du mir in den letzten 16 Monaten geschickt hast, bis vor ein paar Wochen ungeöffnet da gelegen haben. Ich weiß nicht genau, was mich dazu gebracht hat, den ersten zu öffnen, aber er führte zu den anderen und zur lähmenden Erkenntnis, dass ich nicht nur meinen Sohn, sondern möglicherweise auch meine Frau verloren habe.
Ich weiß nicht, was ich uns antue, uns allen. Was zum Teufel habe ich mir dabei gedacht, Dich aus dem Leben der Kinder und auch aus meinem auszuschließen? Götter, Hermione, es tut weh; ich weiß, dass es Dir auch weh tut, und ich weiß nicht einmal, wie ich das wieder in Ordnung bringen kann oder ob es überhaupt wieder in Ordnung gebracht werden kann? Kann es das?
Ich habe mit mir gerungen und ein gewisses weises, sich gerne einmischendes Portrait um Rat gefragt, und mir ist klar geworden, dass Du nicht alleine an dem schuld bist, was mit Struan passiert ist. Jedoch ist das, was mit uns geschehen ist, mit Silas und Varina, mein Fehler, und ich will ihn in Ordnung bringen. Bitte Hermione – lass mich dies in Ordnung bringen.
Ich habe mit meinem Anwalt gesprochen, und sowohl Du als auch Deine Eltern habt jetzt wieder uneingeschränkten Zugang zu den Kindern, wann immer Ihr einander sehen wollt. Du bist nicht dumm; Du warst nie dumm. Ich bin der Dummkopf; dumm, weil ich den einen Menschen, der mich heilen konnte, von mir gestoßen habe, und weil ich meine Pflicht als Dein Ehemann vernachlässigt habe, Dir zu genesen zu helfen. Ich habe nie aufgehört, Dich zu lieben, selbst wenn ich Dich gehasst habe. Ich könnte nie wirklich aufhören, Dich zu lieben.
Bitte, Hermione; lass uns das in Ordnung bringen.
Mit meiner ganzen Liebe
Severus
Das Zimmer fühlte sich kühl an, als Hermione den Brief von Severus zu Ende gelesen hatte. Sie schaute zum Feuer und sah, dass es heruntergebrannt war. Mit ihrem Geschirr in der Hand stand sie vom Sofa auf und ging in die Küche. Sie stellte Teller und Tasse in die Spüle und beschloss, sie am Morgen zu spülen.
Sie ging zurück ins Wohnzimmer, um die Kiste zu holen, machte die Tischlampe aus und ging in ihr Schlafzimmer. Die Kiste stellte sie auf ihrer Kommode ab und machte sich bettfertig. Ehe sie sich ins Bett legte, öffnete sie das Fenster einen Spalt, um etwas frische Luft einzulassen. Obwohl der März in Sachen Wetter ein unberechenbarer Monat war, wollte sie dennoch etwas Luft. Der Geruch von Severus' winterlichem Kräutergarten strömte herein und weckte andere Erinnerungen. Als sie sich niederlegte, ging sie noch einmal den Tag durch, den sie mit Glennis verbracht hatte, und dann den Abend mit der Lektüre der herzzerreißenden Briefe. Selbst Jahre später betrauerten sie und Severus noch den Verlust der 16 Monate ihrer Ehe, die sie mit Hass und Leid durchlebt hatten. Obwohl sie im Dezember 2014 endlich zu kommunizieren begannen, trafen sie sich erst Mitte Januar 2015 zum ersten Mal seit Struans Begräbnis; und wenngleich es wackelig begann und mittendrin ziemlich schlecht lief, konnte Hermione im Rückblick nicht bestreiten, dass es wundervoll geendet hatte.
Rückblick
Die Große Halle war still für einen Samstagmorgen. Nur wenige Schüler saßen an den Haustischen verstreut; obwohl es ein Hogsmeade-Wochenende war, lagen die meisten Schüler noch im Bett. Minerva ging zum Lehrertisch zum Frühstücken und fand Hermione dort bereits vor. Die ältere Frau wusste, dass Hermione und Severus ihren Schmerz endlich durchbrochen hatten und per Brief wieder miteinander kommunizierten, aber ihr war von keiner Versöhnung etwas bekannt. Bei dem Gedanken lächelte sie vor sich hin. Sie wusste, dass die beiden Liebenden einander ständig schrieben, wenn Gedanken und Gefühle sie überwältigten. Severus, weil er in Folge seiner Erziehung und seiner steten Angst vor Zurückweisung emotional verkümmert war, und Hermione, weil sie – obwohl sie aus ihrem Herzen keine Mördergrube machte – ihre Gedanken streng unter Kontrolle hielt, während sie aufwuchs; eine einzigartige Eigenschaft für eine Gryffindor.
„Guten Morgen, meine Liebe!" Minerva begrüßte Hermione fröhlich, und da die Große Halle fast leer war, mit einem Kuss auf den Scheitel. Sie liebte diese Gryffindorlöwin wie eine Tochter. „Ich sehe, du hast einen neuen Brief." Minerva deutete mit dem Kopf auf das Pergament in Hermiones Hand.
Hermione antwortete aufgeregt: „Severus möchte mich heute gern treffen! Da ich den Ausflug nach Hogsmeade begleite, dachte ich, ich flohe ihn an, bevor ich gehe, und bitte ihn, mich zum Mittagessen in den Drei Besen zu treffen." Sie biss sich auf die Lippe und sah zu ihrer zweiten Mutter. „Das sollte sicher sein, nicht wahr?"
„Hermione, hab keine Angst. Sicher habt ihr beide die Dinge in euren Briefen geklärt?"
„Wir haben damit begonnen. Es ist einfacher, Emotionen zu verbergen, wenn man in einem Brief alles streichen kann, das beleidigend oder verletzend sein könnte. Ihn jedoch nach so langer Zeit von Angesicht zu Angesicht zu sehen … Ich bin extrem angespannt."
„Wir wissen beide, dass Severus, bei all seinen wallenden Umhängen, seinem Spott und seinen finsteren Blicken, genauso nervös sein wird. Lunch in der Öffentlichkeit ist eine ‚sichere' Option für euch beide. Ich ermutige dich dazu."
Hermione schien jetzt ein wenig zuversichtlicher zu sein. „Ja, das stimmt. Ich muss los und ihn sofort anflohen und mich dann zum Gehen fertigmachen." Sie erhob sich und verließ schnell die Halle. Bevor sie zur Tür hinaus war, kam sie zurück und warf sich impulsiv an Minervas Schulter für eine Umarmung. „Geh los, du", lachte Minerva. Hermione ging in ihre Wohnung zurück, nahm etwas Flohpulver und warf es in die Flammen. „Snape Residenz!"
„Mummy!" Silas hatte im Kamin das Geräusch eines ankommenden Flohanrufs gehört. Als er sah, dass es seine Mutter war, reagierte er fröhlich. „Mummy, kommst du heute her? Bitte, Mummy, bitte?"
„Ich muss heute Hogsmeade beaufsichtigen, Silas, daher kann ich nicht. Ist Daddy daheim? Holst du ihn mir?"
„Ich bin hier, Hermione. Ich habe Silas' ziemlich laute Begrüßung gehört." Er lächelte seinen Sohn sanft an und sprach bedächtig mit ihm. „Jetzt fort mit dir, während ich mit Mummy spreche. Ehe sie geht, rufe ich dich und Varina zurück, damit ihr auch ein bisschen mit ihr sprechen könnt, versprochen." Silas flitzte davon. „Stimmt etwas nicht, Hermione? So früh hatte ich keinen Flohanruf erwartet."
„Nein, es ist alles in Ordnung, Severus. Heute Morgen habe ich deine Eule bekommen, und ich würde dich liebend gern treffen." Sie konnte das winzige Lächeln auf Severus' Gesicht daraufhin erkennen. „Ich muss jedoch den Hogsmeade-Ausflug beaufsichtigen. Könnten wir uns zu Mittag in den Drei Besen zum Essen treffen?"
Severus dachte darüber nach. Obwohl er sie für ihr Gespräch alleine und privat hatte treffen wollen, war ein Zusammenkommen auf neutralerem Boden vielleicht gut für sie beide. „Ja, das ist gut. Bist du in Ordnung, Hermione?"
„Mir geht es gut, Severus. Ich habe dich schrecklich vermisst, aber jetzt geht es mir gut."
„Ich wusste nichts mit mir anzufangen, ohne dass Du hier herumzwitscherst. Mir war nie klar, wie schwierig es mit den Kindern ist, selbst mit Hilfe der Elfen."
Hermione lachte. „Da kann ich dir nicht widersprechen. Oh, Severus, ich kann es nicht erwarten, dich zu sehen. Versprichst du mir, dass du da bist?"
„Ja, Schätzchen, das bin ich", Severus lächelte jetzt ein echtes Lächeln. „Hier, lass mich die Kinder rufen, damit sie ein bisschen mit dir reden können."
Die Kinder stürzten sich begeistert, ihre Mutter zu sehen, wie ein Rudel wilder Wölfe an den Kamin. Sie waren enttäuscht, sie an diesem Tag nicht zu treffen, aber sie versprach ihnen dies für sehr, sehr bald. Nachdem sie sich vom Kamin zurückgezogen hatte, ging Hermione ins Bad duschen und sich für Hogsmeade umziehen. Das Wetter an diesem Tag war kalt und schneereich, daher brauchte sie Zeit, um etwas auszusuchen, das warm war, aber auch für Severus hübsch aussehen würde.
Die Schüler gingen in den Geschäften ein und aus. Viele hatten Galleonen von Weihnachten, um sie im Honigtopf, bei Zonko und in einigen anderen beliebten Geschäften auszugeben. Hermione schlenderte langsam durch das Dorf, machte für ein paar neue Federn Halt bei Scrivenshaft und für ein neues Buch bei Tomes and Scrolls. Sie unterbrach einige Streitereien und half einem Drittklässler aus Ravenclaw, der auf Glatteis hingefallen war. Langsam bewegte sich die Uhr gen Mittag, und sie ging in Richtung der Drei Besen.
Als sie die Tür öffnete, schlug ihr Wärme entgegen, und der Lärmpegel war unglaublich. Junge Stimmen lachten aus vollem Halse, die Mädchenstimmen heller als die der Jungen. Hermione sah sich nach Severus um, konnte ihn aber nicht finden. Es gab auch keine leeren Tische, und ihr Mut sank. Sie sah Madam Rosmerta sie zur Bar hinüberwinken und ging in diese Richtung.
„Durch die Tür da hinten finden Sie, was Sie wollen; es ist der private Versammlungsraum." Rosmerta zwinkerte Hermione zu.
„Oh, danke!" Hermione lächelte und bewegte sich durch die Menge.
Die Tür knarzte leise, als sie sie öffnete. Ihr erster Blick in den Raum zeigte ein knisterndes Feuer, daneben bequeme Sessel. Ein kleinerer Tisch und Stühle standen ein wenig nach links zurückgesetzt, aber immer noch innerhalb der Wärme des Feuers. Sie trat in den Raum und schloss die Tür. Als sie ihren Umhang öffnete, unterbrach ein Husten sie. Angstvoll quietschte sie.
„Ich wollte dich nicht erschrecken", hörte sie eine sehr vertraute Stimme.
„Es ist in Ordnung. Auf den ersten Blick habe ich dich nicht gesehen."
„Macht nichts." Die beiden Erwachsenen sahen einander an, ihre Augen verschlangen, was sie so lange nicht gesehen hatten. Hermione bemerkte, dass Severus' Haar länger denn je zuvor war. Er hatte es zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, von dem er wusste, dass sie ihn vorzog. Sie bemerkte außerdem, dass er sich einige Tage nicht rasiert hatte. Über die Jahre hatte sie ihn gebeten, einen Bart oder einen Kinnbart auszuprobieren, und fragte sich, ob er es jetzt versuchte.
„Lässt du dir einen Bart wachsen?", fragte sie.
„Ich dachte, ich schaue, was passiert", grinste er.
Severus seinerseits bemerkte, dass sie dünner als seit Jahren war. Die Mutterschaft hatte ihre Figur fülliger werden lassen, und er war verrückt nach ihrem üppigen Körper. Ihre einst volleren Brüste schienen zu ihrer Größe vor den Schwangerschaften zurückgekehrt zu sein. Ihre weiblichen Kurven waren noch da, nur schmaler. Ihr Haar war geflochten, wie er es bevorzugte. „Du isst wieder nicht, oder?"
„Severus, bitte nörgele nicht, sobald wir uns sehen", schalt sie sanft.
„Du hast recht." Zögernd versuchten sie, sich einander zu nähern, aber als Severus sich zurücknahm, tat Hermione dies auch. „Komm, setz dich und wärme dich auf", sagte Severusund deutete mit der Hand die Richtung an. „Möchtest du etwas zu trinken? Rosmerta hat Verschiedenes zur Auswahl: Wein, Feuerwhisky und Dein Lieblingsgetränk heiße Schokolade."
„Woher wusste sie, dass ich heiße Schokolade mag?"
„Sie wusste es nicht, aber ich kenne dich und deine kaltes-Wetter-Getränke."
„Danke." Er reichte ihr den Becher mit dem heißen Getränk, schenkte sich einen Feuerwhisky ein, und sie gingen zu ihren Plätzen. Ein unangenehmes Schweigen hing in der Luft. Mehrere Male öffnete Hermione den Mund, um zu sprechen, klappte ihn aber jedes Mal wieder zu. Schließlich sprach sie: „Ich fühle mich wie bei unserer ersten Verabredung, erinnerst du dich? Bei all unserem Wortreichtum in den Briefen bekamen wir anfangs kaum die Zähne auseinander!" Sie nahm einen Schluck.
Severus atmete laut durch die Nase aus. „Ja, aber sobald das Eis gebrochen war, war ein Gespräch nie mehr wieder ein Problem. Tatsächlich war es manchmal ein Problem, dich zu stoppen", neckte er.
Hermione quiekte empört. „Ich rede nicht zu viel!" Sie lächelte aber, als sie dies sagte, und Severus wusste, dass sie ihn nicht ausschelten würde. „Severus, ich habe dich so vermisst. Wie konnten wir das so lange machen?"
„Hermione, ich kann nur sagen, dass Zorn ein schlechter Lehrmeister ist, und du weißt, dass ich den größten Teil meines Lebens sein Diener war. An diesem Tag am See …" Severus sah Hermione an, deren Augen im Feuerschein glänzten. Er nahm einen Schluck von seinem Whisky und räusperte sich. „An diesem Tag am See übermannte mich der Zorn, der so lange mein Leben bestimmt hatte. Ich habe auf die einzige Art um mich geschlagen, die ich kenne, nämlich um zu verletzen, um diejenigen tief zu verletzen, die ich für die Ursache meines Zorns hielt. Ich war des Schmerzes und des Zorns so müde, dass ich wollte, dass alle und jeder sich genauso fühlten wie ich. All die Jahre des Hasses waren in mir aufgestiegen. Ich muss zugeben, ich war sehr nahe daran, dich physisch zu verletzen. Ich dachte für mich, dass mein Vater sich genau so gefühlt haben musste, wenn der Alkohol ihn übermannte, und er mich und meine Mutter schlug. Zu verletzen und zu kränken war, was ich wirklich tun wollte. Es brauchte meine ganze Selbstbeherrschung, dich nicht zu verletzen."
„Oh, mein Lieber, es tut mir so leid." Hermione wischte die Tränen weg, die ihr in die Nase rannen. Eine Weile saßen die beiden schweigend da, dann erhob sich Hermione von ihrem Stuhl, um sich vor Severus zu knien. Sie nahm seine Hände in ihre eigenen, zitternden Hände. „Ich wusste, dass du verletzt warst, und ich wollte nichts mehr, als dich zu trösten und mich von dir trösten zu lassen, als ich so benommen war. An diese ersten paar Tage habe ich keinerlei Erinnerung. Dieser erste Monat ist ein wenig verschwommen."
Severus hob seine Hände, um Hermiones zu umfassen. „Deine Hände sind kalt, Liebes." Er rieb sie fest. Als er zum Sprechen ansetzte, tauchte ein Hauself mit ihrem Essen auf. „Hier, lass uns essen und dann reden wir weiter." Er erhob sich, dann bot er Hermione seine Hand und zog sie hoch. Sie standen sehr nah beieinander, und er konnte nicht widerstehen. Er zog sie näher heran und legte eine Hand unter ihr Kinn, um ihren Mund an seinen zu ziehen. Zunächst war der Kuss zögerlich, und er zog sich zurück, um ihre Reaktion abzuschätzen. Sie sah ihm tief in die Augen und er ihr. Ihre Lippen trafen sich wieder. Seine Zunge leckte an ihrer Lippe, und sie öffnete den Mund. Als ihre Zungen sich trafen, breite sich Wärme in ihren Körpern aus. Hermione genoss seinen Geschmack; der frische Whisky vermischte sich mit seinem natürlichen Duft und übermannte ihre Sinne. Mit seiner eigenen schob Severus ihre Zunge zurück in ihren Mund und strich darin umher, um jeden Bereich ihres Mundes zu kosten. Nach einigen Augenblicken knurrte Hermiones Magen. Mit geröteten Wangen, die nicht der Hitze des Feuers geschuldet waren, lösten sie sich voneinander. Severus strich mit den Händen über Hermiones Schultern und Arme hinab und zog sie in eine Umarmung. „Lass uns essen", brummte er ihr ins Ohr und knabberte ganz vorsichtig daran.
Während der Mahlzeit mit Rindfleisch, Rosenkohl und Kartoffelpüree sprachen sie über Silas und Varina. Obwohl Hermione sie jetzt unbeschränkt sehen konnte, hinderte ihr Job in Hogwarts sie daran, sie täglich zu sehen, und nach diesen Informationen fragte sie Severus – den alltäglichen langweiligen Details. Er lieferte sie ihr gerne.
„Hermione, die Kinder wollen wissen, wann du nach Hause kommst." Severus hatte seinen Nachtisch aufgegessen und trank eine Tasse Tee.
„Sobald wir denken, dass ich das tun sollte." Hermione stand auf und setzte sich wieder ans Feuer, Severus folgte ihrem Beispiel. „Ich meine, nur weil wir uns heute getroffen haben, bedeutet das nicht, dass alles, was in den letzten 16 Monaten passiert ist, wieder in Ordnung ist." Hermione betrachtete intensiv den Fußboden, während sie sprach, dann kaute sie auf ihrer Unterlippe.
„Ich verstehe nicht." Severus sank der Mut, während er überlegte, was sie eventuell meinen mochte, und sah sie nachdenklich an.
„Du hast einige sehr verletzende Dinge zu mir gesagt, meinst du nicht? Ich meine, ich möchte nicht, dass du denkst, wenn du dich nur entschuldigst, dass dann alles erledigt und unter den Teppich gekehrt ist. Ich glaube nicht, dass du diese Dinge gesagt hättest, ohne sie im Grunde zu empfinden."
Severus sah Hermione lange an. Es sah ihr ähnlich, weiter nachzubohren, wenn alles, was er wollte, genau das war, was sie gesagt hatte: Entschuldigung zu sagen und weiterzumachen, ohne auf die dahinterliegenden Probleme einzugehen. Darüber war er nicht glücklich, und seine Wut begann aufzubrausen.
„Wohingegen du dies ausdehnen und bis zum Erbrechen untersuchen möchtest, stimmt's?"
„Schlechte Wortwahl, mein Lieber", erwiderte sie kalt.
„Das ist so typisch für dich." Severus sprang praktisch von seinem Stuhl auf und begann auf- und abzugehen. „Kannst du nicht einfach einmal akzeptieren, dass Dinge passiert sind, wir daran gewachsen sind und daraus gelernt haben und weitermachen? Warum musst du nachbohren und nachbohren?" Severus wurde immer lauter.
„Du hast einige schreckliche Dinge zu mir gesagt! Offensichtlich hat dich etwas an meinen Angewohnheiten für eine ziemlich lange Zeit gestört, um zu sagen, was du gesagt hast!" Hermione seufzte und sah auf ihre Uhr. „Es ist spät, und ich muss die Schüler zurück in die Schule bringen. Ich möchte wirklich nicht gehen, wenn wir beide so zornig sind. Ich fürchte, dass wir dann wieder dazu zurückkehren, dass wir nicht mehr miteinander sprechen oder schreiben."
„Was schlägst du dann vor zu tun?"
„Würdest du später ins Schloss kommen? Geh zurück nach Hause und schau, ob meine Eltern die Kinder über Nacht nehmen können. Dann können wir vertraulicher reden."
„Das passt. Nach dem Abendessen dann?"
„Ja. Danke, Severus", Hermione seufzte erleichtert.
Severus sagte nichts als Antwort und disapparierte einfach. Hermione verließ das Zimmer, und während sie durch den Pub rauschte, rief sie den Schülern zu, dass es Zeit war zurückzugehen.
Kurz nach 20 Uhr klopfte Severus an Hermiones Wohnungstür. Sie öffnete die Tür, um ihn einzulassen.
„Severus. Lass mich deinen Umhang nehmen." Nachdem sie seinen Umhang aufgehängt hatte, sah sie zu, wie er zu einem Sessel beim Kamin ging, blieb aber stehen. „Möchtest du etwas trinken?"
„Nein, danke." Niemals zurückhaltend, kam Severus direkt zum Punkt. „Bitte sag mir, was du meinst, was das hintergründige Problem ist."
„Gleich zur Sache, hm?", stellte Hermione eisig fest. Sie sah zu Severus und hoffte, er würde das Gespräch weiterhin leiten. Als sie keine Antwort bekam, zog sie ihren Zauberstab hervor und wirkte einen Ruhezauber. Sie dachte, der Rest der Schule müsse nicht das hören, was sie mit Sicherheit erwartete. „In deinen Briefen hast du mich beschuldigt, dumm zu sein und während meiner Schulzeit, unserer Brautwerbung und unserer Ehe dumme Sachen gemacht zu haben. Augenscheinlich hast du mir gnädigerweise verziehen, dass ich dich als tot zurückgelassen habe. Und wenn es um mein Leben ginge, kann ich mich weder erinnern, dich je die Worte ‚ich verzeihe dir' sagen gehört zu haben, noch kann ich mich erinnern, dich je sagen gehört zu haben, welche dummen Dinge ich getan habe. Bitte kläre mich auf." Ihre Stimme hatte sich gen Ende ihres kleinen Wortschwalls gehoben. Trotz der überwältigenden Verzweiflung, die sie empfand, die Dinge zwischen ihnen in Ordnung zu bringen und sich vorwärts zu bewegen, konnte sie nicht anders, als ihren Schmerz und ihren Ärger deutlich hervorbrechen zu lassen; ohne vorher reinen Tisch zu machen, konnten sie nie weiterkommen. Sie setzte sich hin und winkte ihm zu, sie aufzuklären.
Severus stand hinter seinem Sessel; seine Hand rieb über dessen Oberseite. Mit einem Hohnlächeln auf dem Gesicht begann er. „Soll ich sie dir aufzählen? Hmmm, lass sehen … in deinem ersten Schuljahr Kampf gegen einen Troll; der Vielsafttrank in deinem zweiten Schuljahr … Miau übrigens; der Zeitumkehrer in deinem dritten Schuljahr – wusstest du, dass ich eine Narbe am Hinterkopf habe, weil du mich gegen diese Mauer geschmettert hast? Viktor Krum in deinem vierten Schuljahr; die Mysterienabteilung in deinem fünften Schuljahr – ich erkenne eine Dolohovnarbe, wenn ich sie sehe; die DA in deinem sechsten Schuljahr, und ich weiß, dass ich die Dummheit erwähnt habe, durch Großbritannien zu bummeln in dem, was dein siebtes Schuljahr hätte sein sollen!"
Er holte Luft und fuhr fort: „Die reichlich öffentliche Bekanntmachung unserer Beziehung bei den Weasleys beim Abendessen anlässlich deines Schulabschlusses; oh, und dieser kleine Vorfall, als du in der Schule warst und dieser Junge nur zufällig in deinem Zimmer ‚auftauchte', als wir verabredet waren, um meinen Geburtstag zu feiern; deine Panik wegen dummer kleiner Dinge für unsere Hochzeit, und lass uns natürlich nicht das pièce de résistance vergessen …"
Hermione schrie ihn an: „STOPP! Wage es nicht, das zu erwähnen, wage es nicht! Ich bin nicht schuld an Struans Tod. Es war ein Unfall!"
„ES WAR DAS ENDE MEINES LEBENS!", brüllte Severus sie an.
„UND WAS IST MIT MEINEM!", schrie sie ihn zurück an. Stehend sah sie ihn an und keuchte vor Zorn. „Es zerriss mir das Herz, als Struan starb, und als ich dich wollte, den einzigen Menschen, der mich besser kennt als sonst jemand, derjenige, der mein Seelengefährte ist, um mich zu verstehen und mir zu helfen …, hast du mich im Stich gelassen. Warum, Severus, warum?" Sie sah ihm ins Gesicht und suchte nach irgendeiner Form von Anwort, ihr eigenes Gesicht wegen der Tränen verzogen, die hervorzubrechen drohten.
„Weil es wehtat, und ich nicht mehr leben wollte, wenn das Leben wehtat. Ich war es satt, Hermione. 20 Jahre davon, und ich dachte, es sei vorbei. Der Schmerz, Lily zu verlieren, hat mich beinahe zerstört. Dann starb Voldemort zum ersten Mal, und ich dachte, das Leben wäre wieder leicht außer der Tatsache, dass ich über Potter wachen musste. Es war eine Phantasterei zu denken, dass der Dunkle Lord verschwunden war. Als er in deinem vierten Jahr zurückkam, musste ich wieder zu ihm zurückgehen." Severus schlug mit der Hand gegen den Kaminsims. „Weißt du, was pasierte, als ich endlich wieder bei ihm war? Die anderen Todesser fanden großes Vernügen daran, einander daran zu erinnern, dass ich einer Gefängnisstrafe in Azkaban entronnen war, und daher erlaubte ihnen der Dunkle Lord, der von seiner Wiedergeburt und dem anschließenden Kampf gegen Potter noch schwach war, mich zu foltern. Die nächsten drei Jahre lang war mein Leben die Hölle, und ich wollte einfach nur, dass es vorbei ist." Er drehte sich herum, um Hermione anzusehen. „Jeden Tag erwachte ich, ohne zu wissen, ob ich den Tag überleben würde. Ich kann dir nicht sagen, wie viele Male ich unter so viel Schmerzen unterrichtete, dass ich kaum sprechen konnte."
Jetzt konnte Severus seine Gefühle nicht im Zaum halten. Seine Stimme bebte, während er sprach, und seine Augen waren von unvergossenen Tränen rot umrändert. „Ich war froh, als Nagini mich gebissen hat." Ungläubig lachte er. „Froh, dass es endlich vorbei war, dass mein Schmerz und mein Leiden vorüber waren. Nun, wir wissen beide, dass ich nicht gestorben bin, dass Schmerz und Leiden noch immer um die Ecke lauern, immer eine bange Möglichkeit und für mich eine Wahrscheinlichkeit.
„Und dann kamst du. Ich wagte wieder zu hoffen, und du belohntest mich mit Glück und Zufriedenheit." Severus war zu Hermiones Füßen zusammengesunken. Sie kniete nieder, um ihn in die Arme zu nehmen, ihre Tränen fielen in sein Haar. „Hermione, ich wollte nur glücklich sein und keinen Schmerz mehr haben. Ich habe auf dich gezählt, dass du dafür sorgst. Du warst in Körper und Geist rein und unschuldig, das komplette Gegenteil von mir, und ich hatte gehofft, dass an dich gebunden zu sein, das Böse aus mir vertreiben würde."
„Ich liebe dich, Severus, und es tut mir leid, dass ich dir deine Hoffnung genommen habe; das wollte ich nie. Ich weiß, dass du solch ein schweres Leben hattest, und ich wollte nichts lieber, als dich für immer glücklich zu machen. Es tut mir leid, dass ich nicht all das bin, was du dir von mir wünschst."
Schließlich sah er ihr in die Augen. „Oh, Hermione, du bist all das, was ich mir von dir wünsche, aber alles schmerzte so sehr, und ich wollte nicht leben und wollte nicht, dass mein Leben als mein Fehler andauerte, daher beschuldigte ich dich. Ich weiß, dass nichts davon dein Fehler war. Silas achtete gut auf Struan; ich weiß, dass er das gemacht hat, weil er es vorher auch schon getan hatte. Du bist nicht dumm. Du hast dumme Dinge gemacht, ja, aber du bist nicht dumm. Es tut mir so leid."
Seine Worte wurden unverständlich, als er ihre Arme ergriff und sein Gesicht an ihrem Hals barg. Sie beruhigte ihn und flüsterte ihm tröstende Worte zu. Nach einer Weile zog sie sein Gesicht von ihrem Hals, um ihn anzusehen. Ihre Hände umfassten seine Wangen, die so nass wie ihre waren. Er beugte sich zu ihr und legte seine Lippen auf ihre. Was als Küsse begann, die um Vergebung baten, wurden Küsse des Trostes und dann der Leidenschaft, und kurze Zeit später wurde vor dem Feuer Vergebung gewährt und entgegengenommen.
Zwei Tage später begann Hermione, jeden Abend zum Snape'schen Haus zu apparieren; Minerva hatte es ihr erlaubt. Sie sagte Hermione außerdem, wenn sie wolle, könne sie ihre Stelle zum Ende des Semesters aufgeben. Hermione stimmte dankbar zu.
Ende März schaute Hermione im Bad in ihren Kalender. Als im Februar ihre monatliche Regel ausgeblieben war, hatte sie keinen Gedanken daran verschwendet; das war früher schon passiert, und angesichts des Stresses, unter dem sie gelitten hatte, war das Ausbleiben keine Überraschung. Als sie im März jedoch wieder fehlte und sie anfing, auf gewisse Gerüche empfindlich zu reagieren, schöpfte sie Verdacht. Stirnrunzelnd zog sie ihren Zauberstab und führte den Zauber aus, den Poppy sie Jahre zuvor gelehrt hatte. Gold für negativ, weiß für positiv. Mit einem Schnicken des Handgelenks murmelte sie den Zauber. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, während sie mit der Hand über ihren Bauch strich.
