Liebe Leserinnen und Leser,

ich habe es schon wieder getan und habe mein drittes Azurshipping geschrieben XD

Es geht um mehrer Themen, die ungewöhnlich sind, es geht teilweise um das Tabuthema Liebe zwischen adoptierten Geschwistern, um den gesellschaftlichen Druck, um sexuelle Themen, es geht ein bisschen in Richtung Krimi und natürlich um die Liebe. Wer sich mit den oben genannten drei Themen nicht wohl fühlt, dem bitte ich die Fanfic nicht zu lesen. Ich werde am Anfang eines jeden Kapitels eine Triggerwarnung aussprechen und am Ende eines Kapitel jeden solchen Kapitels ein wenig erklären, was die Hintergründe sind.

Die Story "Die Saga der Familie Kaiba" besteht aus drei Teilen (Büchern). Das erste Buch ist Dysbalance und ist bereits komplett. Die Kapitel werde ich in 2 Wochen-Abständen veröffentlichen und weiter an den anderen beiden Teilen (Büchern) schreiben. Jedes Buch für sich kann als eigene Story genommen werden. Zwar bauen die Storys aufeinander auf, jedoch endet jedes Buch so, dass es zu einem logischen Ende der Geschichte kommt. Ich erhoffe mir damit, dass der Leser nicht zu lange auf ein Ende warten muss und um dem Leser die Möglichkeit zu geben auf das nächste Buch hinzufiebern.

Die Kapitel sind diesemal etwas länger, im durchschnitt ca. 3000 Wörter.

Ich erhoffe mir gute, konstruktive Kommentare, viel Spaß und eine gute Zeit miteinander.

PS: Diejenigen, die kein Deutsch können, können die Story entweder duch google translate oder deepL übersetzen. Ich hoffe die Schönheit und der Stil der Geschichte verliert sich nicht nach dem Motto "lost in tranlation" :)

Eure tatosensei

TRIGGERWARNUNG: Tod

Buch 1: Dysbalance

Kapitel 1: Der Todesfall

Es gab Momente im Leben, die einem den Atem raubten. Wortwörtlich bliebt dann die Luft weg, man vergas, wie man atmen sollte, das Herz fingt an schneller zu schlagen, die Sicht verschwamm und die Wahrnehmung konzentrierte sich auf das, wovor man sich am meisten fürchtete – bereit den Menschen auf die Flucht vorzubereiten, um der Gefahr zu entkommen.

So kam es ihr vor, als sie ihn sah. Am Tage der Totenwache von Gosaburu Kaiba. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er kommen würde. Die Verhältnisse zwischen Vater und Sohn waren über die letzten zwölf Jahre mehr als nur angespannt. In den letzten zehn Jahren konnte man von keiner richtigen Beziehung mehr ausgehen, weder als Vater-Sohn noch Mensch-zu-Mensch. Aber er war gekommen. Sie sah ihn den Eingang passieren, komplett in Schwarz gekleidet, schwarzer Rollkragenpullover, schwarzer Anzug, schwarze Schuhe und Hose. Nur seine blauen Augen funkelten, vor Trauer? Sehnsucht? Neugier?

Tea musste ihre Augen von ihm abwenden, eher er sie sah, ehe sich die beiden in den Augen schauen konnten. Ehe sie so reagierte, dass sie sich im Nachhinein dafür verachtete oder vor Panik erstarrte. Tea Kaiba, ehemals Gardner, eine sechsundzwanzigjährige hübsche Brünette mit azurblauen Augen, war die gute Seele der Familie Kaiba und stand wie die anderen Familienmitglieder an erster Reihe vor dem offenen Sarg des Stiefvaters.

Mokuba, ihr kleiner Halbbruder, erkannte ihre steife Form und schaute zu ihr hoch. Als er seinen Blick in dieselbe Richtung lenkte, in der auch die Brünette blickte, spürte Tea, wie sein Herz anfing schneller zu schlagen. Sie standen dicht voreinander, ihre Hände auf seine Brust. Der Zwölfjährige war eineinhalb Köpfe kleiner als Sie, mit wuscheligen schwarzen Haaren. Mokuba sah Ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitzt, der Mutter vor der Ära Kaiba, bevor sie sich die Haare rot färbte, sich alle möglichen Schönheitsprozeduren unterzog und anstößig kleidete. Damals, als sie noch eine richtige Mutter war.

„Schau Tea, Seto ist hier, er ist gekommen", hörte man zum ersten Mal nach der Nachricht über den Tod des Vaters den Zwölfjährigen mit hoffnungsvoller Stimme sagen. Er löste sich aus dem Griff von Tea los und rannte zu Seto Kaiba, dem ältesten Sohn der Familie Kaiba, dem Erben, dem verlorenen Sohn, der wiedergekehrt war.

Kaiba erkannte - durch die Bewegung des Jungen im sonst allzu erstarrten Raum - Mokuba auf ihn zu rennen und blieb mit seinem Blick auf Tea hängen. Wie magnetisiert sahen sich beide an, bis sich Tea erneut zusammenriss und den Blick abwendete. Erst jetzt erkannte der großgewachsene Kaiba, dass ihn Mokuba schon längst umarmt hatte und unter Tränen seinen Namen rief.

„Seto, du bist gekommen, ich bin so froh… Nein, eigentlich bin ich nicht froh, denn Papa …". Mehr konnte der Kleine nicht sagen, die Tränen und der Schmerz überragten seine restlichen Gefühle. Voller Mitleid zu seinem kleinen Halbbruder kniete Kaiba nieder und umarmte ihn. Die Trauergäste verstummten und hinterließen einen noch stilleren Gedenkraum, als sie alle zu Kaiba und Mokuba blickten.

„Was machst du hier, wer hat dich überhaupt hierher eingeladen.", hörte man empört die zweite Ehefrau und nun trauernde Witwe vom verstorbenen Gozaburu Kaiba, Lucrecia Kaiba sagen.

Kaiba erhob sich, Mokuba ganz fest an seiner Seite gedrückt.

„Wenn du glaubst, dass ich eine Einladung zu der Trauerfeier meines eigenen Vaters brauche, dann hast du dich geirrt, Lucrecia."

„Was erlaubst du dir …", wollte die vor Wut zitternde Rothaarige fortsetzen, wurde jedoch unterbrochen.

„Ich bitte doch, meine Herrschaften, wir sind hier bei einer Trauerfeier, bitte haben sie etwas Respekt."

„Der Pfarrer hat recht," sprach der Familiennotar und stellte sich zwischen den Streitenden. Die Gemüter waren erhitzt, wie bei jedem Treffen insbesondere dieser beiden Personen. Doch wenn Mr. Iso als langjähriger Notar dieser Familie in den letzten zwölf-fünfzehn Jahren überhaupt etwas gelernt hatte, so war es solchen brenzligen Situationen aus dem Weg zu gehen oder zu schlichten, sei es bei den jährlichen obligatorischen Hauptversammlungen der Firmen oder unverzüglichen Geschäften, die die Anwesenheit der beiden Familienangehörigen erforderten (was jedoch Gott sei Dank nicht so oft vorkam, aber dennoch zu oft war, nach seinem Geschmack).

„Ich habe Seto über den Tod von Gozaburu berichtet und ihn gebeten hier anwesend zu sein.", setzte der Notar nach. Iso war ein in die Jahre gekommener, intelligenter und treuer Gefährte der Familie Kaiba gewesen. Es gab zwei Personen, außer den persönlichen Bodyguards, die praktisch als Familienmitglieder der Kaibas zählten, der Hausarzt und der Notar Iso gehörte.

Statt eine Reaktion abzuwarten oder selbst darauf reagieren zu müssen, bewegte sich Kaiba zum offenen Sarg seines Vaters, alle Blicke auf ihn gerichtet, als ob jeder Teilnehmende selbst erahnen wollte, wie der wiedergekehrte Sohn auf den Tod des eigenen Vaters reagieren würde: reumütig, vorwurfsvoll oder doch feindlich?

Kaiba blickte auf das blasse Gesicht des Vaters. Wie unschuldig und harmlos er nur wirken mochte, er kannte das Monster, das sein Leben zu einem Alptraum gestaltet hatte, bis zu dem Zeitpunkt, als er endlich aus dem Haus gehen konnte, kurz vor seiner Volljährigkeit, um das Erbe seiner Mutter zu verwalten und nur noch in den seltensten Angelegenheiten dazu verpflichtet zu sein ihn zu sehen und zu sprechen.

Trotz der Verachtung – er hatte nun auch das letzte Mitglied seiner Familie verloren. Ihm blieb nur noch Mokuba, sein Halbbruder, der ihn noch ein kleines bisschen Hoffnung auf Geborgenheit und Familie brachte.

Dann blickte er wieder nach vorne, seine Augen blieben an dem erstarrten und panischen Blick von Tea hängen. Und der letzte Hoffnungsschimmer verblasste.

Sie hatte mit nur größter Mühe den zwölfjährigen ins Bett bringen können. Mokuba war nach dem Wiedersehen mit seinem älteren Bruder so aufgewühlt und aufgedreht gewesen, dass er trotz unbeschreiblicher Müdigkeit, die zwei emotional sehr anstrengende Tage mit sich brachten, nicht ans Schlafen denken wollte.

Die Bindung zwischen den beiden Brüdern war so stark und außergewöhnlich, wie unbegreiflich. Als Kaiba aus der Villa für immer auszog, um in den Top-Universitäten zu studieren und dann die Firma seiner Mutter, Montgomery Inc. In New York zu übernehmen, war Mokuba noch ein kleines Baby. Nur in den letzten 3-4 Jahren konnten sich die Brüder bei Gelegenheiten sehen, immer in New York und immer dann, wenn irgendwelche Familienveranstaltungen, sei es die Benefiz-Gala der Kaiba Stiftung oder geschäftliche Treffen, welche die Anwesenheit aller Familienangehörigen bedurfte (Gozaburu Kaiba war Aktionär bei Montgomery Inc.). Danach wollte Mokuba alle seine Ferien auf einmal in New York verbringen, freute sich auf die Zeit mit dem großen Bruder genauso wie auf Weihnachten und Geburtstag. Diese waren die kurzen, aber sehr intensiven Zeiten, die die beiden aneinander nähergebracht hatten. Als ein sensibles Kind, das sehr viel und sehr gerne Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hatte, konnte Mokuba nicht genug haben und fand in Seto Kaiba eine Art Vorbild, was ihm sein Vater nicht bieten konnte.

Tea überzeugte den fast-Teenager – sein Bruder würde ihm nicht weglaufen, aber jetzt müsse er schlafen, morgen sei ein anstrengender Tag. Mokuba wurde bei dieser Aussage ganz still. Sie wollte ihn nicht an den morgigen Tag erinnern, insbesondere vor dem Schlafengehen sollte der Junge nicht an die Beerdigung denken müssen, jedoch brauchte er all seine Kräfte zum Überstehen des nächsten Tages.

Mokuba drehte sich trotzig mit dem Gesicht auf die andere Seite um. Tea seufzte und ging aus dem Zimmer. Ihr kleiner Bruder wurde langsam zum Teenager und war nicht mehr das gehorsame Kind, dass Blind auf sie hörte, wann immer sie ihn aufrief Schlafen zu gehen oder die Zähne zu putzen oder die Hausaufgaben zu machen. Sie würde diese Zeit vermissen, als Mokuba ihre Bezugsperson war und als sie seine einzige Bezugsperson war. Denn – da war sie ehrlich zu sich selbst- sie war für Mokuba eher eine Mutter gewesen als Lucrecia es jemals sein könnte.

Als sie am Gelände im zweiten Stock entlanglief, hörte sie dem Notar und Kaiba aus der Bibliothek herauskommen, sie diskutierten leise was Geschäftliches, allerdings konnte sie seine Stimme nicht so leicht ignorieren. Sie sah ihn von oben, er konnte ihre Anwesenheit auf dem zweiten Stock diesmal nicht erahnen, dennoch fing ihr Herz wieder schnell zu schlagen an, der Atem kam nur noch panisch in Aufsetzern und sie hatte das Gefühl, dass ihr gleich schwarz vor Augen werden würde. Hektisch stürzte sie sich in ihr Zimmer, gerade rechtzeitig, um nicht kurz vor dem Eingang aufgrund ihrer wabbeligen Beine auf dem Boden zu fallen. Doch als die Tür zu war, ließen ihre Kräfte nach und sie konnte nur noch am Boden vor der Tür sitzend die Hände vor dem Gesicht halten, um nicht in Panik zu geraten, um nicht vor Panik zu schreien.

Alles erinnerte sie an ihn, dieses Zimmer, diese Menschen, alles schrie nach ihm, dabei hatte sie so viel daran gesetzt alles, was mit ihm zusammenhing, zu vergessen. Dabei war ihr das bis jetzt so gut gelungen.

Reiß dich zusammen, Tea! strauchelte sie und half sich selbst auf die Beine. Das kalte Wasser an ihrem blassen Gesicht war eine willkommene Ablenkung, um wieder zu sich zu finden, du musst dich zusammenreißen, wenigstens für die paar Tage, danach ist er wieder weg. Du schaffst es.

Es klopfte an der Tür.

„Miss Tea, der Notar möchte sich verabschieden und noch ein paar Worte für morgen sagen."

„Ich komme gleich."

Sie blickte in den Spiegel. Ein halbes, verzerrtes Lächeln zeigte sich in ihrem Gesicht. Ein Lächeln, was wie eine Resignation aussah. Sie zupfte an den Haaren, trocknete ihr Gesicht und ging aus dem Zimmer.

Die meisten Trauergäste waren schon gegangen. Es waren nur noch die Familienmitglieder geblieben, Lucrecia, Kaiba mit seinem treuen Bodyguard Roland, der Notar und der Hausarzt. Gosaburu hatte keine große Familie. Die wenigen Familienangehörigen, die ihm geblieben waren, eine ältere Schwester und ein oder zwei Cousins, waren seit Jahrzehnten mit ihm zerstritten.

Der Notar erklärte, dass er am morgigen Abend, nach der Beerdigung das Testament des Verstorbenen verlesen werde und bat allen Familienangehörigen dabei zu sein.

Lucrecia konnte bei dem Wort Testament das Funkeln ihrer Augen nicht verbergen. Dennoch sagte sie nichts. Der Tag, der alles in ihrem Leben ändern würde, war zu nah, um sich jetzt einen Fauxpas zu erlauben. Die sekundenschnelle Freudeschimmer in den Augen der Stiefmutter konnten Kaiba nicht entgehen. Er wurde wieder einmal in dem Glauben bestärkt, dass es nichts Niederträchtigeres auf der Welt gab als den Menschen, inklusive ihm selbst.

Und obwohl er alles Erdenkliche unternahm, um nicht in ihre Richtung zu schauen, so brachte ihn die pure Anwesenheit von Tea ein Unbehagen, eine Anspannung, den er nicht lange verbergen konnte. Er war aus mehreren Gründen froh, dass die Nacht endlich vorbei war.

Die Beerdigung war für Tea einer der schlimmsten Tage ihres Lebens. Als ihr eigener Vater verstarb, war sie erst sieben Jahre alt und konnte sich an nichts erinnern. Sie wusste nicht einmal, ob sie bei der Gedenkfeier oder bei der Beerdigung überhaupt dabei gewesen war. Alles woran sie sich erinnern konnte, war der letzte Anglerausflug, den sie gemeinsam unternommen hatten. Das Lächeln ihres Vaters beim Auspacken der Ausrüstung, die Freudenschreie von der kleinen Tea, als sie den Fisch fangen konnten, für den sie so lange in der Feuchte frieren mussten. Das anschließende Kochen des Fisches am Abend und das Abendessen zu dritt. Sie sehnte sich an diesen Tag zurück, an die unschuldigen einfachen Tage mit ihrem Vater

Obwohl sie Gosaburu Kaiba nie wie ein Vater wahrgenommen hatte - vielmehr war er der typische abwesende Stiefvater, dem es nie interessiert hatte, wie es dem Kind aus der ersten Ehe seiner Frau ging - so schmerzte der Tod dieses desinteressierten, kalten, abwesenden Mannes sie doch mehr als sie erwartet hatte. Zumal sie seit ihrem zwölften Lebensjahr bei Gosaburu wohnte. Es schmerzte ihr wegen Mokuba, der nun auch so jung einen Elternteil verloren hatte wie sie, es schmerzte ihr wegen ihrer Mutter, die zum zweiten Mal ohne Ehemann das Leben bestreiten musste, und ja es schmerzte ihr auch wegen Seto Kaiba, der nun nach seiner Mutter auch seinen Vater zum Grabe tragen musste.

Sie hatten sich gemieden, sind in separaten Fahrzeugen zum Friedhof gefahren, saßen an der jeweils anderen Seite von Lucrecia. Von rechts nach links Seto Kaiba, dann Lucrecia, dann Tea und dicht an sie angelehnt Mokuba.

Trotz dunkler Sonnenbrille konnte sie ihren Schmerz und ihre Tränen nicht verbergen. Gerade dann, als sich Mokuba an den in der Erde liegenden Sarg niederkniete und eine faustvolle Erde warf, konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Gosaburu war zumindest ein guter Vater für Mokuba, dachte sie sich im Inneren. Kleiner Trost an diesem bitteren, wolkenreichen Novembertag.

Nachdem auch diese Zeremonie sich zu ihrem Ende geneigt hatte, begaben sich alle zu den Fahrzeugen. Noch ein offizieller Termin, und sie konnte sich wieder zurückziehen.

Tea wollte weder an der Verlesung des Testaments teilnehmen, noch interessierte es sie, was der Verstorbene wen hinterlassen hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass der stets desinteressierte Stiefvater auch nur einen Hauch an Gedanken an sie gewidmet und sie in seinem Testament erwähnt hatte. Und selbst wenn, war sie daran nicht interessiert. Sie verdiente ihr eigenes Geld als Balletttänzerin, und auch wenn es nicht viel war und sie sich eine solche Villa, einen Koch, eine Haushälterin, mehrere Dienstmädchen und vieles mehr, was ihr Leben bei den Kaibas zu bieten hatte, nicht leisten konnte, so war ihr das nicht besonders wichtig. Ihre glücklichste Zeit war, als sie noch eine richtige Familie waren, als ihr Vater noch lebte und sie damals nur eine mittelständische Kleinfamilie waren, die in den Vororten von Domino lebten, in einer 80 Quadratmeter kleinen Wohnung.

Sie wusste, dass ihre Mutter diesen Termin um nichts in der Welt verpassen konnte. Sie freute sich regelrecht darauf, endlich zu erfahren, was sie geerbt hatte. Denn als Ehefrau eines multimillionenschweren Unternehmers, war sie neben den leiblichen Kindern die Einzige, die mit einem fetten Anteil belohnt würde.

Ich habe hart gearbeitet, um in dieser Position zu sein und werde irgendwann mal die Herrin all dessen, was du hier um dich siehst, Tea, hatte sie mal ihrer Tochter gesagt. Leider erlebte Tea nach und nach wie geldgieriger ihre Mutter wurde, es reichte ihr auf einmal nicht mehr schicke Kleidung zu tragen, bei den High Society Events dabei zu sein, Luxusreisen zu unternehmen und dafür keinen Finger zu krümmen, sie wollte Herrin und Eigentümerin von all dem werden, was Gosaburu Kaiba besaß, und zwar ausnahmslos. Was sie mit all den Unternehmen, den Aktien, Wertpapieren und dem vielen Geld noch machen wollte, war Tea schleierhaft. Dennoch hatte ihre Mutter die besten Chancen als Haupterbin der Kaiba Dynastie hervorzugehen. Seto war mit Gosaburu dermaßen zerstritten, dass er höchstwahrscheinlich nur Peanuts erben würde, wenn überhaupt. Angewiesen war er auf das Geld nicht, denn er hatte seit seiner Volljährigkeit über das beträchtliche Vermögen seiner Mutter verfügen können, welches er bei ihrem Tod ausschließlich geerbt und in nur zwölf Jahren verzehnfacht hatte. Mokuba war minderjährig und auch wenn er am Ende dieses Tages Haupterbe des Vermögens des Multimillionärs werden sollte, so würde seine Mutter, Lucrecia all das Vermögen verwalten, bis zur Mokubas Volljährigkeit in sechs Jahren.

Die Stimmung in der Bibliothek wurde nach und nach gereizter. Die angespannte Erwartung der Verteilung eines so großen Erbes fühlte sich an wie eine Krimifolge. Obwohl es bereits später Abend war, und alle zur Verlesung versammelt waren, war von dem Notar nicht in Sicht. Just in dem Moment, als Lucrecias letzter Geduldstropfen zum Auslaufen drohte, wurde die Tür geöffnet. Es marschierten mit dem Notar zwei Rechtsanwälte hinein, drei Polizeibeamte und die Bodyguards der Familienmitglieder, die am Türeingang stehen blieben. Das versiegelte schriftliche Testament wurde feierlich aus der Aktentasche hervorgehoben, die Rechtsanwälte bestätigten die Unversehrtheit des Umschlages und des Notarsiegels, auch die Familienangehörigen konnten dies erkennen und bestätigen. Dann öffnete Notar Iso den Umschlag, zeigte das Testament ebenfalls zur Bestätigung der Echtheit den beiden Rechtsanwälten. Es wurde bestätigt, dass die Schrift des Testaments mit der Schrift des Verstorbenen identisch war. Lucrecia sprang auf, um dies mit eigenen Augen zu sehen. Sie nickte zu, die Bestätigung der Echtheit des Testaments wurde ins Protokoll aufgenommen.

Mokuba war bereits im Halbschlaf, den Kopf auf dem Schoß von Tea, weshalb Letztere sich nicht an den großen Mahagonischreibtisch begeben musste, Hauptsache ihre Mutter war überzeugt. Der andere, den das Ganze noch interessieren könnte, Seto Kaiba, war weit hinten im Raum, als ob er demonstrieren wollte, dass ihm das ganze Theater um das Erbe des Vaters auf die Nerven ging und er sich keine schlimmere Zeitverschwendung vorstellen konnte als diese. Das war nur die halbe Wahrheit. Eigentlich wollte er so weit wie möglich weg von ihr sein, um nicht in Versuchung zu geraten sie anzuschauen. Er - angelehnt an dem alten Bücherregal - konnte sie von hinten ungestört beobachten. Das massive Sofa aus dunkelgrünem und abgenutztem Leder, worauf sie saß, konnte nicht mehr von ihr preisgeben, als ihren Kopf, aber die Vorstellung wie sie dort saß, Mokubas Kopf auf ihrem Schoß, ihre zärtlichen Hände seine schwarze Lockenmähne berührend, entführte ihn in eine surreale Welt. In die Realität wurde er nur durch das laute Vorlesen des Notars zurückgebracht.

„Ich, Gosaburu Kaiba, unter völliger Beherrschung meines Verstandes und meiner psychischen und physischen Fertigkeiten, erstelle heute, den 13.09.2022 folgendes Testament…"

Interessant, dachte sich Kaiba, erst vor zwei Monaten errichtete Vater sein Testament. Das war unüblich für seinen Vater, der gerade 65 Jahre alt war und der keine großen gesundheitlichen Probleme hatte und schon gar nicht an das Sterben dachte. Vielleicht hatte ihm sein großes Vermögen doch nachdenklich gemacht und er hatte zur Sicherheit ein neues Testament errichten wollen?

„Ich vermache", las der Notar weiter, „meiner Adoptivtochter, Tea Kaiba, das lebenslange Wohnrecht an der Villa in Domino sowie eine monatliche Lebenssicherung in Höhe von 5000 Dollar. Zudem erhält sie 200 Aktien an der Kaiba Corporation, das sind 10% der gesamten Aktienanteile."

Tea war überrascht. So großzügig hat sie ihn nicht eingeschätzt. Doch der Notar ließ keine Zeit, um nachzudenken, er ging an die nächste Person über.

„Meinem Sohn, Mokuba Kaiba," der kleine erhob kurz den Kopf und sah zu dem Notar hinüber, „vermache ich ebenfalls das lebenslange Wohnrecht an der Villa in Domino, zudem meine Ferienvillen in Côte d´Azur sowie die beiden Villen in der Toskana und in Cancún, sowie 600 Aktien an der Kaiba Corporation, das sind 30 % der Aktienanteile am Unternehmen."

Lucrecia grinste. Dass war zwar nur Kleinkram verglichen zu dem, was ihr noch zustand, diesen durfte sie nun als Vormund auch noch verwalten, aber wenn so wenig des gesamten Vermögens an Tea und Mokuba ging, dann waren ja die restlichen 49% der Firmenanteile in ihrer Hand, denn die übrigen 11% waren traditionell an Minderheitsaktionäre verteilt.

„Meiner Frau Lucrecia", setzte der Notar fort, „vermache ich das lebenslange Wohnrecht an der Villa in Domino, sowie das Penthouse-Apartment in Tokio, ebenso wie das Strandhaus in Miami. Zudem erhält sie eine Pension in Höhe von 5000 Dollar im Monat aus der familieneigenen Rentenversicherung zugesprochen."

Der Notar pausierte kurz und schaute auf die besagte Person. Lucrecias verwirrter Gesichtsausdruck verriet ihn, dass die zuvor vorgelesenen Vermögensgegenstände keinen einzigen Eindruck auf sie hinterlassen hatten. Sie bemerkte das Zögern des Notars und rief ihn zu:

„Was? Was soll das, nur ein paar Groschen und zwei Immobilien?"

„Ich bitte um Ruhe, das Verlesen des Testaments ist noch nicht vorbei", erwiderte Iso.

Lucrecia war zwar noch immer nicht zufrieden, aber sie beruhigte sich ein wenig. Klar, das, was der Notar bis jetzt vorgelesen hatte, war das Mindeste, was alle erhalten mussten, irgendwas hatte sein Rechtsanwalt damals in diese Richtung gesagt. Selbst wenn man enterbt wird, bekommt man als engster Familienangehöriger wenigstens ein Pflichtanteil, und das setzt sich bei der Ehefrau und drei Kindern aus dem ein Viertel des gesetzlichen Anteils zusammen, in diesem Fall also ein Achtel aus dem Vermögen des Erblassers. Der dreiste Notar wollte zunächst die Pflichtanteile vorlesen. Das bedeutete, dass noch Seto drankam, bevor der Rest des Vermögens ihr zugesprochen werden konnte. Grinsend setzte sie sich wieder hin und wartete auf die Wiederaufnahme der Verlesung.

„Meinem ältesten Sohn, Seto Kaiba, vermache ich somit den Rest meines Vermögens."

Staunen und Raunen gingen durch die Bibliothek. Der Betroffene selbst konnte seinen Ohren nicht trauen. Den Rest des Vermögens, also 49 % der Aktien an Kaiba Corp, mindestens drei Luxusapartments in Domino, Beteiligungen an dreißig anderen Firmen, sämtliche Konten in Luxemburg, der Schweiz, in den USA und Japan. Unzählige Vermögensgegenstände, Luxusautos, Privat-Jets und Hubschrauber, all das und vieles Mehr gingen an ihn?

„Willst du mich verarschen, Iso?", brüllte die furiose Witwe, als sie aus ihrer Schockstarre erwachte, „das kann nicht wahr sein, was liest du hier vor? Das kann nicht echt sein."

„Ich bedauere, Madame, aber zu Anfang wurde die Echtheit des Dokumentes verifiziert. Ich lese nur das vor, was der Erblasser mit seinen eigenen Händen verfasst hat. All sein Vermögen wird an seinen ältesten Sohn als Haupterben vererbt."

Nun drehten sich alle Gesichter in der Bibliothek zu Seto Kaiba um, der immer noch das gesagte verarbeitete.

„Das ist eine Lüge, eine miese Lüge!", schrie Lucrecia weiter. Diesmal richtete sie sich zu Kaiba und zeigte bedrohlich auf den großgewachsenen Brünetten. „Du hast deine Finger im Spiel, du hast das Testament verfälscht. Ich fechte das Testament an. Es ist manipuliert und du, verdammter Mistkerl, hast das zu verantworten."

Kaiba verstand so langsam, was gerade an diesem Abend passiert war. Seine Augen funkelten vor Rachsucht gegenüber seiner Stiefmutter und ein Grinsen zeichnete sich bei ihm ab.

„Also hat mein skrupelloser Vater am Ende seiner Tage doch noch Skrupel gehabt und hat seine Golddigger-Ehefrau geradezu enterbt. Er hat Vernunft bewiesen, das muss man ihm lassen."

„Was? Was sagst du da, du verdammter Mistkerl, du hast das Testament gefälscht…"

Noch bevor Lucrecia mit ganzer Wucht auf Kaiba stürzen konnte, um ihn ihre ganze Frust spüren zu lassen, stürzte Roland auf die hysterisch schreiende Witwe und hielt sie fest. Kaiba genoss die Show. Im Leben hätte er sich so eine Aktion seitens seines Vaters nicht vorgestellt. Obwohl ihn die Motive seiner Tat unklar waren, so konnte er in diesem Augenblick einen gewissen Stolz spüren, eine Art Genugtuung, die ihn zumindest für den Rest des Abends vergessen ließ, was dieser Mensch ihn angetan hatte. Doch als sein Blick in Richtung Mokuba und Tea ging und er den verwirrten und verstörten Gesichtsausdruck seines Bruders sah, der aus seinem Halbschlaf durch Lucrecias Schreie gerissen wurde, so entschied er sich, nicht länger in dem Raum zu bleiben, um nicht mehr Öl ins Feuer zu gießen, was in diesem Augenblick wahrlich nicht mehr nötig war.

Er ging aus der Villa mit einem solchen Mix an Gefühlen, die er eine sehr lange Zeit in seinem Leben nicht erlebt hatte.

A/N: Lasst mich gerne eure Meinung zum ersten Kapitel wissen.