Buch 1 Dysbalance

Kapitel 4: Geständnisse

Wie versprochen überreichte Tea Mokuba zwei exklusive Eintritte für die After Show Party zu einer ihrer Balletteaufführungen. In diesem Moment wünschte sie sich, ihn niemals diese Großzügigkeit versprochen zu haben, denn ihre Aufregung war vor dem Auftritt an diesem Abend mehr als ungewöhnlich. Aber versprochen war versprochen.

Mokuba und Seto Kaiba saßen in einem der exklusivsten Balkone im Großen National Theater of Domino. Einer war aufgeregter als der andere. Im Traum konnte er sich nicht vorstellen, dass er die letzten Tage Gelegenheit bekommen könnte, sie so oft zu sehen. Von Mokubas wöchentlichen Treffen mal abgesehen, hatte er sie einmal zu ihrem Auto gefahren, nachdem dieser repariert wurde. Roland fuhr in seinem Fahrzeug hinterher, während er den Vorwand erfand, sie bei der ersten Fahrt begleiten zu wollen, falls etwas mit dem frisch reparierten Auto nicht stimmen sollte. Sie gab nach.

Nun saß er in der Aufführung, wo sie die Hauptrolle tanzte. Das war an sich keine Sonderbehandlung, denn er könnte immer Balletttickets erwerben und bei jeder ihrer Aufführungen dabei sein. Auch könnte er unproblematisch in die Gästeliste der After-Show-Party aufgenommen werden. Allerdings waren diese Sachen nichts im Vergleich zu der Idee, dass die Karten von ihr kamen. Dass sie ihn eingeladen hatte, wenn auch nur unter Druck von Mokubas Kuller-Augen.

Die Balletteaufführung – „Die Maskerade" von Khachaturian - war hinreißend. Sie war ganz in Ihrer Rolle der Nina, die durch ein Missverständnis in eine Affäre hineingezogen und später der Grund ihres Unglücks wurde. Sie erinnerte ihn in diesem besonderen Stück an damals. Er schauderte von dem Gedanken, dass das Ende des Stückes ihr Leben widerspiegeln könnte und schob die schlechten Gedanken beiseite.

Es war nicht zum ersten Mal, dass er das Ballette zu sehen bekam, kurz vor Weihnachten war es mehr als üblich sich am sozialen Leben durch Theaterbesuche, Opern und Ballette in der Öffentlichkeit zu zeigen, aber es war das erste Mal, dass er sie tanzen sah. Er bereute nichts. Er bereute nicht, dass ihn seine Träume von nun an mit diesen Bildern plagen würden, dass er sich tagsüber an ihrem Antlitz erinnern und sich in Tagträumereien verlieren würde, dass er die Sehnsucht sie wieder zu sehen, sie zu sprechen oder wenigstens sie zu bestaunen noch unerträglicher finden würde. Einzig und allein hatte er Angst sich nicht unter Kontrolle zu haben, wenn er sie vor sich sah, die Grenze zu überschreiten, sollten sie mal allein bleiben.

Der Aufführung wurde mit der fünften und letzten Schließung des Vorhangs ein Ende bereitet. Er war noch völlig vertieft in den Bildern vor seinem inneren Auge, als er Mokubas Hand vor seinem Gesicht auf und ab wedeln sah.

„Erde an Seto, bist du noch da?"

„Mokuba, was ist? Wollen wir in den Saal?", riss er sich zusammen.

„Ich habe mindestens drei Mal nach dir gerufen? Warst du in Gedanken? Wie fandest du Tea? War sie nicht wunderschön?"

„Das ist sie, sie ist die schönste Frau auf der Welt, Mokuba." Seine Worte hingen in der Luft, als sein Blick zu dem verschlossenen Vorhang glitt. Erst nach einigen Sekunden, als er die Worte ausgesprochen hatte, fasste er die Reichweite dieser Aussage und bemühte sich den Fokus nicht zu verlieren. Er sah zu Mokuba hinunter und bevor der Kleine das Gesagte verarbeiten konnte, nahm er seine Hand und sagte: „Lass uns gehen."

Während sich die Tänzer und Tänzerinnen umziehen und zu den feiernden Gästen dazustoßen könnten, fand sich Tea vor einem wunderschönen, aus Lilien und pinken Gerbera gebundenen Bouquet. Auf dem Zettel stand: „Viel Glück heute Abend. MK und SK."

„Wow, das ist ein schöner Blumenstrauß", hörte sie ihre Mitstreiterinnen sagen. Sie ließ das Glücksgefühl auf sich einwirken.

Als der Tumult um die Blumen abebbte, stand nur noch Mai an ihrer Seite.

„Er wird heute Abend da sein, nicht wahr? Wie fühlst du dich dabei?"

Tea zuckte mit den Achseln.

„Ich habe mich an seine Präsenz gewöhnt. Die Panikattacken sind zwar nicht ganz weg, aber ich komme besser damit klar, Mai. Am Ende des Tages sind wir Familie, um Mokubas Willen werde ich die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen."

„Bist du dir sicher, dass ihr heile Geschwister spielen könnt?". Das Nicken überzeugte die Blonde nicht, jedoch ließ sie sie in dem Glauben, schließlich hatten sie nur eine Viertelstunde Zeit, um sich für die After-Show-Party vorzubereiten. Tiefreichende Themen wie diese sollten sie ohnehin an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit besprechen.

Als Tea als letzte die Runde der feiernden anstieß, waren bereits die Gemüter der Gäste durch den reich fließenden Alkohol ziemlich erhitzt. Dennoch erfolgte ein langer Applaus, als sie den Saal betrat. Sie hatte einen Cremefarbenes Kleid an mit korallenfarbigem Akzent, welches hauchdünn über ihre Brüste zu ihrer schmalen Taille, danach auf den Boden fiel. Unter den Gästen konnte sie unschwer eine kleine Menschenmenge entdecken, wo sie ihre zwei Mittänzerinnen erkannte, die einen kleinen Halbkreis um Seto und Mokuba bildeten. Sie näherte sich an die Gruppe. Unerklärlicherweise bereitete der Anblick der beiden Tänzerinnen so ganz in der Nähe von Kaiba ein komisches Unbehagen in ihr. Sie konnte sich dieses Gefühl nicht erklären. Er lächelte, als er sie sah, seine Aufmerksamkeit komplett Tea gewidmet. Auf ihre Begrüßung nickte er, trank aus seinem Glas ein Schluck Whiskey, um sich abzulenken.

Mokuba derweilen, war einige Schritte zu Tea vorgegangen. Unter dem Aufwand sie umarmen zu wollen, flüsterte er ihr einige Worte zu:

„Tea, du musst was machen, diese Beiden da drüben lassen sich von Seto nicht loslösen, egal was ich angestellt habe, die sind wie die Pest." Tea lächelte ihrem Bruder zu und streichelte seine Mähne.

Die Musik erklang in einem langsamen Walzer. Es bildeten sich Tanzpaare auf dem Parkett, als die mutigste von den beiden Damen im Halbkreis, eine schwarzhaarige, Anfang zwanzigjährige, Kaiba einen Vorschlag unterbreitete, mit ihm zu tanzen. Er sah diese Einladung kommen, dennoch wusste er nicht wie er dem Vorschlag zum zweiten Mal, diesmal von der Schwarzhaarigen an diesem Abend ablehnen konnte. Plötzlich hörte er Mokuba intervenieren:

„Der erste Tanz gilt eigentlich meiner Schwester. Sie ist die prima Ballerina, nicht war Seto?"

Kaiba sah zu Tea. Sie sah überrascht aus, jedoch zeichnete sich weder Unbehagen noch eine Abneigung gegen diese Idee in ihrem Gesicht. Er nahm Mokubas Vorschlag an.

„Mokuba hat Recht. Tea, würdest du mir die Ehre erweisen?"

Tea konnte nicht lange auf eine Antwort warten lassen, weder ihn, der seine ausgestreckte Hand ihr gegenüber hielt, noch den anderen Teilnehmern, die unmittelbar die Einladung gehört hatten und auf eine Antwort warteten. Nur das besorgte Gesicht von Mai brachte für einige Sekunden Zweifel in ihr, dann legte sie ihre Hand in seine und sie begannen auf dem Tanzparkett zu schwingen. Sie wusste nicht, dass er ein so guter Tänzer war. Er übernahm gekonnt die Führung, legte seine Hand auf ihren Rücken, die offene Haut reagierte prompt mit Gänsehaut auf diese Berührung. Für sie war das wie ein Test, wie nah sie sich sein könnten, ohne dass sie panisch wurde. So nah aneinander waren sie bisher noch nie seit seiner Wiederkehr. Sie schauten sich beim Tanzen in die Augen, bis sie den Blick nicht standhalten konnte und die Blickrichtung in die Menge lenkte. Ihr Herz raste, die Atmung wurde zwar schneller, jedoch vermochte sie ihren Kopf nicht mit genug Sauerstoff zu füllen. Ihr wurde schwindelig.

Kurz bevor sie dabei war den Tanz zu beenden, stoppte er und flüsterte ihr zu, dass sie aufhören könnten, wenn sie nicht mehr tanzen wollte. Sein heißer Atem an ihrem Ohr gab ihr den Rest. Erinnerungen aus der Vergangenheit belagerten ihr Bewusstsein. Ohne ihn anzusehen, nickte sie und riss sich von ihm los. Kurz danach ging der Walzer zu Ende. Tea verschwand, ohne sich umzusehen hinter den Wänden zur Damentoilette. Kaiba durfte sich keine Enttäuschung oder Bedrücktheit ansehen lassen, sein erster Gedanke war deshalb noch ein Glas Whiskey zu exen, bevor er sich der Menschenmenge widmen konnte.

Der kühle Raum der Damentoilette war eine willkommene Ablenkung für Teas erhitztes Gemüt. Sie machte das Wasser am Waschbecken an und drehte den Wasserhahn in die Richtung des kalten Wassers, bis zum Anschlag. Die nasse Kälte tat ihrem Gesicht gut. Gut, dass sie wasserfestes Make-up trug.

Die Panik hatte wieder Oberhand gewonnen, es war kein schlechtes Ergebnis fast einen ganzen Walzer mit ihm tanzen zu können und ihm so nah zu sein wie niemals zuvor seit zwölf Jahren, jedoch erhoffte sie sich schon die letzten Sekunden des Tanzes aushalten zu können. Was würde die Menschenmenge denken? Würden die wildesten Spekulationen die Runde drehen, oder sind sie diesmal erspart geblieben?

Gedankenverloren merkte sie zunächst nicht, dass Mai sie in die Damentoilette gefolgt war.

„Er ist in dich verliebt.", hörte sie auf einmal Mai sagen, die geschafft hatte zuvor alle Türen zu kontrollieren, ob sonst niemand mit den Beiden zusammen in dem Raum war. Als sie sich zum zweiten Mal vergewissert hatte, dass sie allein waren, fuhr sie fort: „Sein Blick hat Bände gesprochen, Tea, du musst vorsichtig sein!"

„Wie? Wen meinst du, Mai", fragte Tea wahrlich nicht begreifend, wen ihre Freundin gemeint haben könnte.

„Du weißt, wen ich meine. Seto Kaiba."

„Du spinnst wohl, Mai. Hör auf solche Scherze zu machen, diese sind gar nicht lustig. Gerade du solltest es wissen."

„Tea mach bitte die Augen auf. Du willst wohl nicht das sehen, was ich sehe, fein, aber du musst ein für alle Mal diese Situation begreifen und klarstellen. Rede mit ihm und finde es selbst heraus. Es braucht nur ein einziges geschultes Auge und jemand kriegt es raus. Ein Skandal ist vorprogrammiert, geschweige denn von deiner fragilen mentalen Gesundheit, was dieses Thema angeht."

Tea konnte die Worte der Freundin nicht fassen. Gerade jetzt wo sie angefangen hatte sich selbst zu therapieren und sich mit einer Normalität Kaiba anzunähern, machte ihre beste Freundin alte Wunden auf.

Mit einem stummen Ich-kann-nicht-fassen-was-ich-da-höre bewegte sie sich aus dem WC-Vorraum und hörte nur noch, wie Mai ihr erneut zu Vorsicht mahnte.

Am Abend wurden sie von Kaibas Limousine nach Hause gefahren. Mokuba hatte heimlich ein Champagnerglas weggetrunken und war halb beschwipst in der Limousine eingeschlafen. Kaiba bat Roland kurz zu warten, damit er Mokuba Huckepack in sein Schlafzimmer bringen konnte. Tea wartete im Foyer, um sich – wie es sich gehörte – bei Kaiba zu bedanken und dann in ihr Zimmer zu verschwinden. Doch dauerte das Schlafenlegen von Mokuba länger, sodass sie sich entschloss nicht mehr auf Kaiba zu warten. Auf halben Weg nach oben, sah sie ihn herunterkommen. Sie blieb stehen. Auf Augenhöhe bedankte sie sich bei ihm für den Abend und entschuldigte sich dabei vor dem Ende des Tanzes verschwunden zu sein. Sie war sich nicht sicher, weshalb sie den letzten Satz hinzugefügt hatte.

„Ich bin froh, dass du überhaupt mein Angebot angenommen hast.", sagte Kaiba und schaute ihr in die Augen, „wenn überhaupt, dann sollte ich mich bei dir bedanken."

Er ist in dich verliebt.

„Warum sagst du das?", konnte sie nur mit Mühe nachfragen. Die Worte von Mai klangen lauter in Ihrem Kopf als ihre eigene Stimme.

„Weil du noch vor einem Monat bei meinem Anblick ohnmächtig geworden wärst." Als sie nach ein paar Sekunden immer noch darauf nicht reagierte, sprach er weiter: „Tea, wenn du mir wirklich Dankbarkeit erweisen möchtest, dann bitte ich dich mir zuzuhören."

„Ich glaube es ist nicht der richtige Zeitpunkt…"

„Doch, es ist der richtige Zeitpunkt, einen besseren würden wir nicht finden. Ich bitte dich, nur dieses eine Mal."

Sie nickte, fast abwesend. Sie wollte möglicherweise Mai beweisen, dass sie unrecht hatte, möglicherweise wollte sie sich selbst beweisen, dass sie sich in seiner Nähe nicht mehr unruhig, panisch und unbehaglich fühlen musste. „Gut," kam ihr halblaut raus, „dann sprich."

„Nicht hier, wir sollten wenigstens in die Bibliothek gehen." Bevor sie protestieren konnte, nahm er sie an die Hand und führte Richtung große Bibliothek am Ende des rechten Flügels. Obwohl zu dieser Nachtzeit keiner mehr wach sein würde, schloss er die Tür der Bibliothek vorsichtshalber ab.

Teas Herz fing bei dieser Geste an schneller zu schlagen, ihre Augen schauten panisch um sich. War es doch keine gute Entscheidung mit ihm allein um diese Uhrzeit zu sprechen. Er bemerkte ihre Angespanntheit und wusste sofort zu reagieren.

„Ich habe die Tür nur deshalb geschlossen, damit uns keiner stört. Du kannst jederzeit gehen, ich werde dich nicht aufhalten."

Indem er dies sagte, bewegte er sich von der Tür weg, um ihr den Raum zu lassen, sich der Fluchttür zu nähern. Als Beweis für seine Worte. Sie ging einige Schritte auf die Tür zu.

Nun war er im Zugzwang das zu sagen, was er so viele Jahre vorhatte. Nur wie anfangen?

„Tea, bitte glaube mir, dass das, was ich dir sagen möchte, ich bereits seit zwölf Jahren vorhatte, aber nie habe ich den Mut und das Selbstbewusstsein gefunden, dir endlich zu gestehen, was mich all die Jahre fast innerlich zerreißt.", er hielt inne. Sie schaute auf den Boden, spielte nervös mit ihrem Ring. Er setzte fort: „Das, was damals in dieser Nacht passiert, ist… ich kann es nicht in Worte fassen, wie sehr ich es bereue. Ich habe nie um Verzeihung bitten können für das, was ich dir angetan habe, aber es ist kein Tag, keine Minute vergangen, an dem ich mich für meine Taten nicht gehasst habe, an dem ich mich vor dir in die Knie fallen lassen und dich um Verzeihung bitten wollte."

Sie sah auf ihn zu, er erkannte in ihren Augen Tränen, der Beweis, dass sie auch an diese Ereignisse dachte. Sie wischte diese gedankenlos weg.

„Ich habe die Vergangenheit verdrängt und sie der Vergessenheit zuteilwerden lassen. Deshalb würde ich dich bitten, sie nie mehr zu erwähnen.", sprach Tea gefasster, als sie sich zutrauen würde, „Was deine Entschuldigung angeht… Ich habe dir längst verziehen. Ich weiß nicht warum, um meinen inneren Frieden zu finden, oder um besser vergessen zu können, aber ich habe dir vor Jahren verziehen. Ich wusste nur nicht, wie ich auf dich reagieren würde, wenn du vor mir stehen würdest. Ich hatte Panik zu Anfang, aber auch da werde ich mich zusammenreißen, für Mokuba."

„Ich möchte nicht, dass du deine Gefühle vor mir versteckst. Wenn du Panik vor meinem alten „Ich" hast, dann lass mich dir beweisen, dass ich eine ganz andere Person bin, als du mich in Erinnerung hast."

„Ich weiß nicht, wie das gehen soll, Seto und ich weiß nicht, ob das Sinn macht."

„Das macht Sinn," unterbrach er sie und ging einige Schritte auf sie zu, „ich kann meine Gefühle dir gegenüber nicht mehr lange verbergen, Tea."

Sie sah zu ihm hoch und erstarrte vor seinem Blick. Seine Augen hatten denselben gefährlichen Funken wie in jener Nacht. Der Anblick paralysierte sie.

„Was…?"

„Ich liebe dich.", ließ er seine Worte auf sie einwirken und setzte dann fort, „Seit ich denken kann, hast du mir gefallen. Ich habe es am Anfang verdrängt, weil ich die Gegenwart von euch in meinem Zuhause nicht akzeptieren wollte. Dann, als ich dich mehr und mehr kennen lernte, habe ich mir deine Unbedeutsamkeit beweisen wollen, dass du immer noch das unwichtige Mädchen bist, die ich ignorieren sollte. Als ich mir endlich zugestanden habe, dass ich Gefühle für dich hatte, war es zu spät, ich hatte den schlimmsten Fehler meines Lebens begangen.", er hielt inne und ließ seine Worte wirken, „Wenn du mir nur eine kleine Chance gibst, dir zu beweisen, dass ich ein völlig anderer Mensch bin, nicht der, den du kanntest, oder den man aus mir macht, wie man mich in der Öffentlichkeit darstellt oder wie ich vor zwölf Jahren war, dann würdest du mein wahres Ich sehen. Bitte gib mir diese eine Chance dir zu beweisen, wer ich wirklich bin."

Sie erkannte erst jetzt, wie nah er an sie herangetreten war. Seine Nähe rief wieder die Panik in ihr hervor, ihre Kurzatmigkeit, das Herzrasen verschlimmerten sich mit jedem Atemzug, mit jedem noch so geringem Millimeter, mit dem er sich ihr annäherte.

„Tea, schaue mir in die Augen, dann siehst du, dass ich ehrlich zu dir bin, dass ich dich diesmal nicht enttäuschen werde."

Sie gehorchte, ohne zu wollen. Sie sah ihn an, seine Augen magnetisierten sie, zogen sie in seinen Bann. Ihr Kopf drehte sich. Die einzige Stelle sich festzuhalten, war ihre Hand an seine Brust zu legen. Er verstand diese Geste als eine Art Zustimmung für die Grenzüberschreitung, als Zeichen der Einwilligung für die Nähe. Er legte seine Hand auf ihr Gesicht. Sie sah wieder zu ihm hoch. Kaum ein Atemzug später küsste er sie, erst langsam, behutsam, dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten und vertiefte den Kuss, der immer leidenschaftlicher wurde. Sie realisierte erst Sekunden danach, was gerade geschah. Die innere, neu gefundene Energie und der Schrei der Vernunft brachten sie dazu, endlich begreifen zu können, was sie tat, und zu reagieren. Sie schob ihn mit ihrer Hand weg und löste sich los. Darauf folgte eine Ohrfeige, der Eindruck stärker als der Knall, dann drehte sie sich um und rannte atemlos zur verschlossenen Tür, die sich Gott sei Dank mühelos öffnen ließ.

Kaiba blieb unter dem Eindruck der Situation erst versteinert auf der Stelle stehen. Danach realisierte er, was er gerade getan hatte, und konnte seine eigene Fassungslosigkeit nicht verbergen. Hatte er jetzt allen Ernstes sie um Verzeihung gebeten und gleichzeitig geküsst? Er war wieder mal in die eigene Falle getreten, den er sich selbst wegen mangelnder Selbstbeherrschung gelegt hatte. Er hatte ihre Gesten falsch interpretiert, dabei war er voller Hoffnung, dass er an dem Abend wenigstens für die Gegenwart ein wenig Licht ans Ende des Tunnels bringen würde. Dabei hatte er wegen seines idiotischen Impulses einen Stein auf die aussichtsreiche Zukunft gelegt.

R&R