Mauern
Martha kann es kaum glauben, sie steht wirklich mit Caius vor den Toren des Schlosses. Sie sind allein, keine Wache ist bei ihnen. Ihre roten Iriden strahlen förmlich während sie ihre Umgebung begutachtet. Es ist Nacht, der sicherste Zeitpunkt für ihre Unternehmung, in dem verschlafenen Städtchen ist keine Menschenseele zu sehen. Caius greift nach ihrer Hand. „Komm", flüstert er und beide laufen zum nahegelegenen Wald.
Martha nimmt einen tiefen Atemzug und kann ihr freudiges Grinsen nicht verbergen. Sie fährt fast schon vorsichtig über die Rinde der Bäume, schließt ihre Augen um den Geräuschen der Nacht zu lauschen, alles während Caius sie nur beobachtet. Er verspürt eine Zufriedenheit von der er nicht geglaubt hätte, sie jemals zu spüren. Nichts, was Corin jemals geschafft hat. Ein Lächeln liegt auf seinen Lippen während der Martha beobachtet, wie sie alles wahrzunehmen versucht. Dann treffen sich die Blicke der beiden.
Nun ist es an Martha, die die Hand ihres Gefährten nimmt. „Ich möchte dir etwas zeigen." Mit diesen Worten laufen sie zu der Anhöhe auf der Martha mit ihren Schwestern war, bevor sie nach Volterra kamen. „Es ist wunderschön." Sie lehnt sich dabei leicht an ihn an, während er weiter den Blick schweifen lässt. Er legt seinen rechten Arm um Martha und drückt sie dabei näher an sich.
Nach einiger Zeit löst sie sich von ihm und sieht ihn an, ihre nächsten Worte erstaunen den Volturi-Meister allerdings zunächst. „Lass uns jagen!" Ein vorfreudiges Grinsen ist auf ihrem Gesicht zu sehen, ihre Augen funkeln mit einer Mordlust, die ihm nur allzu bekannt ist. Er hat schon lange nicht mehr selbst gejagt, weshalb ihre Worte ihn überraschen. „Das klingt verlockend", antwortet er schließlich mit einem verheißungsvollen Grinsen auf seinen Lippen.
Martha weiß, dass sie in diesen Gefilden nicht jagen dürfen, daher laufen beide weiter. Sie genießt den Wind in ihren Haaren, das Gefühl von Freiheit. Nach einiger Zeit sind sie schließlich weit genug entfernt und beide vernehmen leise Stimmen von zwei Personen. Die Iriden der beiden Vampire sind mittlerweile komplett schwarz. Sie schleichen sich leisen Schrittes an ihre Opfer heran. Es handelt sich dabei um zwei betrunkene Männer mittleren Alters, die sich keinerlei Gefahr bewusst sind.
Die beiden Vampire sehen sich an, jeweils ein leichtes vorfreudiges Grinsen auf den Lippen, bevor sie sich auf die Menschen stürzen. Die beiden Männer haben nicht einmal die Chance zu reagieren. Martha hält dem Mann ihre Hand vor den Mund um sämtliche Schreie zu unterdrücken, mit der anderen hält sie ihn fest während sie ihre Zähne in seinen Hals bohrt. Sie kann ein zufriedenes Grollen nicht unterdrücken, als sie spürt wie das warme Blut an ihrer Haut entlangläuft. Nach kurzer Zeit lässt sie den toten Körper unzeremoniell fallen und blickt aus lustvollen roten Iriden auf ihren Gefährten.
Caius wirft noch einen Blick auf sein mittlerweile totes Opfer auf dem Boden, dann sieht er zu Martha. Er fixiert sie und erscheint direkt vor ihr und legt seine rechte Hand an ihre Wange. Fast schon in Trance fährt er mit seinem Daumen über ihre blutverschmierten Lippen. Dann fährt er der Blutspur nach über ihr Kinn, weiter zu ihrer Kehle bis zu ihrem Dekolleté. Ein tiefes Grollen entrinnt seiner Kehle. Plötzlich packt er sie am Hals und drückt sie gegen den nächsten Baum, der bedrohlich zu knirschen beginnt. Ein Fauchen entkommt ihren Lippen, während seine Hand sie fester als nötig hält.
Ohne ein weiteres Wort presst er seine Lippen auf die ihre, die darauf nur zu gerne eingeht. Seine andere Hand hält ihre Taille. Caius löst schließlich den Kuss und fährt mit seiner Zunge die Blutspur auf ihrer Haut nach, während seine beiden Hände nun über ihren Körper wandern. An ihrem Hals angekommen, kann sie ein leichtes keuchen nicht mehr unterdrücken, woraufhin sie sein Grinsen auf ihrer Haut spüren kann. „Du bist mein Untergang", presst sie schließlich hervor. „Und du der meine", raunt er, ehe sich beide vollends hingeben.
Martha weiß nicht mehr wie lange sie dort vereint waren, aber mittlerweile sind sie wieder am Schloss angekommen. Die Leichen hatten sie begraben, bevor sie sich auf den Weg gemacht haben.
Die Gänge sind weitestgehend leergefegt. Gelegentlich sehen sie eine Wache, die jedoch beim Anblick des Meisters den Kopf ehrfürchtig senken. Es dauert nicht lange, bis sie in seinen Gemächern ankommen.
„Du weißt, dass dies eine einmalige Sache war?", fragend sieht Caius sie an. Martha seufzt auf und geht weiter zu dem Fenster. Milde lächelnd beobachtet sie wie die Sonne langsam aufgeht. Erste Strahlen erhellen die Erde und reichen auch bis in den Raum. Sie hält ihre Hand in die Sonne und spielt mit der Reflektion, die ihre Haut verursacht. „Ich weiß", haucht sie nach einiger Zeit während ihr Blick weiterhin auf ihrer glänzenden Hand ruht. Caius erscheint neben ihr und nimmt zärtlich ihre Hand in die seine und sieht sie an.
Die Sonne ist in der Zwischenzeit so weit gestiegen, dass beide Vampire vollends getroffen werden. Martha blickt zu ihrem Gefährten und sie muss bei ihrem Gedanken beinahe über sich selbst lachen. Wie kann etwas so Grausames so unnatürlich anmutig sein?
Wenn sie ehrlich ist, kann sie dies auch durchaus nachvollziehen. Vampire wirken auf Menschen äußerst anziehend, was ihnen die Jagd erleichtert. Auch im Tierreich gibt es solche Vorgehensweisen. Sie fragt sich wie es wohl früher war, als nicht die Volturi sondern die Rumänen, wie man sie heute nennt, regiert haben. Zu einer Zeit als man als Vampir frei wandeln durfte und sich an keinerlei Regeln halten musste. Es muss eine sorgenfreie Zeit gewesen sein, aber sie kann auch verstehen das ihr heutiges Leben durchaus seine Vorteile hat. Solange die Menschen nichts von ihrer Existenz wissen, können sie auch nicht an Waffen arbeiten, die Vampire vernichten könnten. Obwohl es heutzutage bereits Waffen gibt die ihnen gefährlich werden könnten.
Ihre Gedanken gleiten wieder zurück an frühere Zeiten. Über den Vampir der sie verwandelt hatte, weiß sie nichts. Er könnte noch leben oder in dem damals herrschenden Krieg vernichtet worden sein. Sie weiß, anhand seiner Worte, das er Rumäne war, schwarzes Haar hatte und gut gekleidet war.
Sie hatte jedoch Glück nach ihrer Verwandlung eine Gruppe von Vampiren getroffen zu haben, die die neuen Regeln kannten. Sie brachten ihr simple Dinge bei wie rennen und Spuren lesen, aber auch das Jagen, Kämpfen und Täuschen bei. Acht Jahre war sie mit ihnen umhergereist, bis sich ihre Wege trennten und sie als einzelner Nomade frei von jeglichen Pflichten und unter Beachtung simpler Regeln diverse Kontinente besuchte. Frei von jeglichen Zwängen und nach freiem Willen.
Martha blinzelt ein paar Mal als sie realisiert, wie sehr sie in ihren sehnsüchtigen Tagträumen gefangen war. Für den Bruchteil einer Sekunde lässt ihre Mine einen schmerzerfüllten Ausdruck zu.
„Caius?" Sie blickt ihn ein wenig unsicher an und zieht ihre Hand wieder zurück. Sie geht einige Schritte zurück in die Dunkelheit als befürchte sie ihre nächsten Worte würden ihn verärgern. „Darf ich ehrlich sein?" Zwischenzeitlich ist Martha an einer anderen Ecke des Raumes angekommen. Caius legt seine Stirn in Falten und bedeutet ihr fortzufahren. Sie nimmt einen tiefen Atemzug und wendet den Blick ab. „Ich weiß nicht, ob ich das hier durchstehe", beginnt sie schließlich. „diese Mauern, ich fühle mich eingeengt. Ich …", wenn sie noch könnte, würden ihr Tränen über die Wangen laufen. Doch ihre Stimmt bebt bei jedem Wort das über ihre Lippen kommt. Schnell schüttelt sie den Kopf. „Es tut mir leid. Das war egoistisch von mir."
Im nächsten Moment spürt sie Caius Hand an ihrem Kinn. Er zwingt sie schließlich ihn anzusehen. „Entschuldige dich nicht, cara mia!", beginnt er schließlich. „Deine Sicherheit steht an oberster Stadt. Ich werde es nicht zulassen, dass dir etwas geschieht, wenngleich dies auch an einige Bürden für dich gebunden ist." Sie schließt kurz ihre Lider. „Ich gehöre hier nicht her, ich brauche meine Freiheit."
Er kann erahnen wie schwierig es für sie sein muss, aber weitaus schlimmer ist es, dass er weiß wie er ihr in der Beziehung helfen kann, wenn die negativen Aspekte, die sich daraus ergäben nicht so gravierend wären. Caius leugnet gar nicht erst, dass auch ihm ihr kleiner nächtlicher Ausflug ins Umland gefallen hat. Doch er ist an diesen Ort gebunden, an seine Brüder und den Clan, auch wenn die Prioritäten sich allmählich verschieben.
Nach einiger Zeit machen sich beide auf in die Bibliothek. Nachdem Martha wieder an die Zeit ihrer Verwandlung zurückdenken musste, hat sie den Entschluss gefasst, die Worte ihres Schöpfers zu übersetzen. Caius unterdessen versucht Informationen, die seine Brüder und er von ihren Spionen erfahren haben, mithilfe älterer Aufzeichnungen einzuordnen.
Martha macht sich auf den Weg zu den hinteren Regalen der unteren Etage, während Caius im oberen Stockwerk verschwindet. Er braucht nicht lange um die gesuchten Schriften zu finden, doch augenscheinlich hat sein Bruder die gleiche Idee.
„Ich nehme an du bist auch wegen den Australiern hier, Caius?" Marcus händigt ihm einige der Schriftstücke und geht zu einem großen Tisch in der Mitte der Halbetage. Caius folgt ihm kommentarlos und breitet die Bücher vor ihnen aus. „Sie dachten wohl, dass sie weit genug von unseren Augen entfernt sind." Mit einem Grinsen schlägt er das erste Buch auf. Marcus hat unterdessen ein weiteres Buch aufgeschlagen und blättert sorgfältig durch die ersten Seiten. „Sie sind jung, Caius", beginnt Marcus schließlich, „sie wollen rebellieren und sich beweisen. Das ist nicht der erste Clan der das versucht." – „Und doch ist jeder bis jetzt gescheitert." Marcus blickt kurz zu Caius. „Bis jetzt." Mit diesen Worten durchforsten beide die Aufzeichnungen über die bisherigen Informationen und Aktivitäten des australischen Clans.
„Der letzte Neuzugang war 2012," bricht Caius die Stille. „Eine Neugeborene, vermutlich ein Tracker. Damit sind es elf bekannte Mitglieder." Nachdenklich blickt Marcus auf. „Wenn die neuesten Informationen stimmen müssten sie mittlerweile bei 20 Mitgliedern sein und noch immer rekrutieren." – „Wir müssen schnellstmöglich handeln und diese ganze Aktion im Keim ersticken." Die Brüder sehen sich entschlossen an, sie müssen Aro über die neuesten Entwicklungen in Kenntnis setzen und ihre nächsten Schritte sorgfältig aber zügig planen. „Aro wird vermutlich an diesem Andrew interessiert sein. Wenn die Behauptungen über seine Gabe stimmen," Marcus schmunzelt amüsiert über die Leidenschaft seines Bruders, während Caius nur ein verächtliches Schnauben dafür übrighat. „Aros Gier nach neuen Gaben hat uns schon so manche Scherereien gebracht." – „Und dennoch kann man nicht bestreiten, dass einige uns bereichert haben." Caius erwidert darauf nichts, natürlich weiß er, dass sie ohne einige Mitglieder und deren Gaben nicht dort wären, wo sie heute sind.
Nach einiger Zeit räumen die beiden die Bücher wieder zurück in die Regale. Als beide an der Brüstung der Halbetage ankommen halten sie kurz inne und beobachten Martha, die an einem kleinen Tisch sitzt, verschiedene Bücher vor sich ausgebreitet und eines davon ausgiebig studiert.
„Du weißt, dass du etwas unternehmen musst?", fragend sieht Marcus seinen Bruder an, doch dieser erwidert nichts. „Es gibt nur zwei Optionen und du kennst sie." Caius lässt seinen Blick schweifen, er weiß das Marcus auf die Situation mit Marthas Schwestern anspielt. Ein fast lautloses Knurren verlässt seine Kehle. „Ich kann sie nicht gehen lassen, das weißt du." Ihre Unterhaltung ist kaum mehr als ein Flüstern, sodass niemand sonst etwas davon mitbekommt. „Dann solltest du Chelsea konsultieren. Du wusstest von vornherein, dass ihr beide Opfer bringen müsst. Sie nicht!", beginnt Marcus erneut. Er seufzt lautlos, doch er bemerkt, dass die Bindungen von Caius zu den Volturi weiter bröckeln. Wenn er nicht selbst handelt, wird Aro es tun, dass weiß er. Einen weiteren Fall wie bei Eleazar hält er für nahezu ausgeschlossen.
Caius flucht innerlich, er liebt Marcus wie einen Bruder, aber er versteht nicht, warum er sich nun auch noch einmischen muss. Als ob es ihm nicht selbst in den Sinn gekommen wäre, Chelsea einzubeziehen.
„Es ist nicht nur das. Sie will nicht länger in diesen Gemäuern bleiben. Sie war zu lange eine Nomadin, als dass sie dies einfach vergessen könnte." Die Brüder sehen sich beide an und Marcus' Gesicht zeigt ehrliches Verständnis. „So sehr ich es verabscheue, ihr das antun zu müssen, bleibt mir dennoch keine Wahl." Caius Kehle verlässt ein weiteres Schnauben, auch wenn es ihm bei Athenodora verhältnismäßig leichtgefallen ist, so ist doch vieles bei Martha anders. Vermutlich liegt es an ihrem Bund. „Das verstehe ich nur zu gut, alter Freund." Damit blicken beide wieder auf die Vampirin, die diesen Umbruch erst in Gang gebracht hat.
