Frohe Ostern!
Kapitel 7 Bescherung
Sein Anwalt teilte ihm mit, dass sein Erbe von Lucrecia Kaiba beim Amtsgericht Domino-Mitte angefochten wurde. Die erste Verhandlung wurde auf Mitte Januar des kommenden Jahres gelegt.
Diese Neuigkeit war keine Überraschung für Kaiba, er hatte fest mit einer Anfechtung gerechnet, dazu hatte Lucrecia sechs Wochen Zeit, die Anfang dieser Woche abgelaufen wären, kurz vor dem Fristende hatte sie die Anfechtung eingereicht. Bis dahin war es ruhig um sie. Er vermutete, dass sie sich mit ihren Top-Anwälten einen Strategieplan überlegte, um ihm das Erbe strittig zu machen oder ihn als unwürdigen Erben aus dem Spiel zu nehmen.
Ihm machte der Gedanke sein Erbe zu verlieren grundsätzlich einmal keine Sorgen, denn er hatte eine andere, nicht weniger erfolgreiche Firma zu leiten, zudem war er Multimillionär, sodass ihm der Verlust monetär keinen großen Schaden bereiten würde. Einzig der Gedanke, dass er das Erbe an die verhasste Stiefmutter verlieren könnte, regte ihn dazu an alles Erdenkliche zu tun, um nicht als Verlierer aus diesem Rechtsstreit hervorzukommen. Diese Frau hatte seit ihrem Eindringen in die Familie Kaiba alles Mögliche getan, um ihn gegen seinen Vater aufzuhetzen. Sie hatte keine große Schwierigkeit damit, denn die Verhältnisse zwischen ihm und seinem Vater waren seit er denken konnte angespannt. Wenn er der Sache hinterherging, dann vermutete er, dass die ersten Probleme mit Gosaburu seit dem Tod seiner Mutter anfingen, als er noch zehn Jahre alt war. Sein Vater hatte den Verlust seiner ersten Ehefrau nie richtig überwinden können und wurde zu einem kalten, skrupellosen und bitteren Mann. Kaiba vermutete, weil Annabell Rose Montgomery die Liebe seines Lebens war. So wie er, war sein Vater ein Mann, der nur eine Frau wahrlich lieben konnte.
Lucrecia Gardner war nur eine gewiefte Frau, die zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war und seinen Vater um die Finger wickeln konnte. Wenn überhaupt, war es etwas Sexuelles zwischen den beiden, niemals etwas tiefes, mit wahren Gefühlen verbundenes, was mit der Zeit und dem Alter zusätzlich an Bedeutung verlor.
Diese Überlegenheit der verstorbenen Frau konnte Lucrecia niemals übertreffen. Es war schweres Erbe gegen eine tote Frau anzutreten. Es war eines Tausends leichter gegen eine lebende geschiedene Frau zu konkurrieren als gegen eine Tote. Denn eine Tote war makellos, sie war perfekt in der Erinnerung eines Liebenden, insbesondere wenn die Geliebte so jung, mitten im Leben gegangen war. Ihr überdimensionales Ölgemälde hing noch Jahre nach ihrem Tod im Wohnzimmer der Kaibas, bis sie bereits in den ersten Monaten der Ehe Lucrecia diese für immer in den Keller verbannte.
Unter diesen Umständen war der Sohn dieser großen Liebe auch etwas Besonderes für Gosaburu, das wusste Lucrecia von Anfang an, als er Seto Kaiba kennenlerne. Gosaburu war streng zu seinem Sohn, öfters erbarmungslos, wenn er Fehler machte oder seine Aufgabe nicht in Perfektion ausübte, nicht weil er den Sohn nicht liebte, nein, ganz im Gegenteil. Er wollte aus ehrlicher und bedingungsloser Vaterliebe seinen einzigen Erben auf die bestmögliche Art und Weise auf die brutale Welt voller Kämpfe und Verluste vorbereiten, auch wenn seine Methoden mehr als umstritten waren.
Lucrecia durfte keine Zeit verlieren. Sie musste Gosaburu einen Sohn gebären, damit Seto nicht als einziger auf dem Tron blieb. Aber selbst als Mokuba auf der Welt war, wusste sie um den enormen Vorsprung von Seto aufgrund seines Alters, seiner Bildung und seinem Talent fürs Unternehmerische. Es blieb ihr nichts anderes üblich, als gegen den Stiefsohn vorzugehen, ihn zu deskreditieren, seine Projekte zu sabotieren; Mitspieler konnte sie im Unternehmen genug finden.
So unerträglich und verhasst er seine Stiefmutter fand, sie war der Grund dafür, dass er seinen Halbbruder Mokuba hatte, denn dieses Kind war gar nicht nach der manipulativen Mutter gegangen, sondern war ein ehrliches, einfaches und glückliches Kind. Und natürlich Tea, die nicht unterschiedlicher sein könnte als ihre Mutter. Er hatte den Vater von Tea nie kennengelernt, aber vermutete, dass sie ganz ihr Vater war.
Kaiba dachte an die Beiden. Er hatte eine selbstauferlegte Verantwortung gegenüber den Beiden, die ebenfalls Aktionäre der Kaiba Corp. waren. Wer weiß, was Lucrecia mit dem Unternehmen machen würde, wenn sie Herrscherin über die absolute Mehrheit der Anteile werden würde. Ihn erfolgreich weiterzuführen, wäre mehr als unwahrscheinlich, da war er sich sicher. Nicht zu vernachlässigen wäre auch die Verantwortung gegenüber seinem Vater und dessen Testament. Er hatte nie hoch auf seinen Vater zu sprechen gewusst, aber die Tatsache, dass er kurz vor seinem Ableben das Testament geändert hatte, brachte ein Mysterium in die Sache, und den Drang diesem nachzugehen. Dass das Testament vor zwei Monaten vor dem Tod seines Vaters noch einen völlig anderen Wortlaut hatte, wusste er von Iso, der ihn gleich am Tage der Totenwache seines Vaters zu einem Vieraugengespräch gebeten hatte. Auch Iso hatte das Gefühl, dass etwas faul war. Daher war er gespannt auf die Konfrontation mit Lucrecia, er erhoffte sich so Erfolg in seiner eigenen Investigation gegen die Stiefmutter.
Dafür musste er erstmal die Feiertage überstehen.
Er hatte in letzter Zeit einen eher anstrengenden Mokuba erlebt. Das Kind war nicht dumm und bekam sehr wohl mit, dass zwischen ihm und Tea etwas nicht stimmte. Jegliche Versuche miteinander was zu unternehmen, scheiterten an der definitiven Verneinung mal Seitens Kaiba mal Tea. Die Ablehnung gemeinsam was zu unternehmen, wog besonders schwer, umso mehr die Weihnachtstage vor der Tür standen.
Auch jetzt, statt in besinnlicher, fröhlicher Stimmung den Tannenbaum zu schmücken, stritt sich Tea gefühlt eine Ewigkeit mit dem fast-Teenager darüber, ob sie Kaiba einladen sollten.
„Aber warum nicht Tea, Weihnachten ist doch ein Fest der Familie und diese sollte man gemeinsam feiern. Wir sind doch eine Familie."
„Mokuba, zum hundertsten Mal. Wir haben Weihnachten nie mit Seto gefeiert, er wird auch dieses Jahr bestimmt andere Pläne haben. Außerdem wird Mutter dagegen sein, sie und Seto verstehen sich nicht."
„Ich habe ihn gefragt, er hat keine anderen Pläne am Heiligabend."
„Trotzdem, du weißt, wie die Stimmung zwischen ihm und Mutter in letzter Zeit ist. Mutter würde gar nicht gefallen ihn hier zu sehen, vor allem, nachdem wir sie so lange nicht gesehen haben.", versuchte sich Tea herauszureden.
„Ich habe nichts dagegen, soll er doch kommen, wenn er möchte", hörten die beiden Lucrecias Stimme, die sich just in diesem Moment in das geräumige Wohnzimmer begab. Mokuba sprang auf und rannte seine Mutter als Dank für diese Worte entgegen. Er hatte sie in den letzten Wochen seit dem Tod des Vaters vermisst. Als sei an diesem Novembertag nicht nur sein Vater verstorben, sondern auch seine Mutter. Lucrecia streichelte halbherzig Mokubas Haar. Tea verdrehte die Augen; dass sie ausgerechnet jetzt die Nachgiebige spielte, nervte sie besonders.
„Wirklich Mama, dürfen wir alle zusammen Weihnachten feiern?"
Lucrecia nickte und lächelte schelmisch zu sich selbst. Im Kopf hatte sie bereits einen Plan geschmiedet, wie der Abend verlaufen könnte.
„Mutter", wandte sich nun Tea an Lucrecia, „bitte sage nichts zu, wovon du selbst nicht überzeugt bist. Wir haben bisher Weihnachten ohne ihn verbracht. Ihr versteht euch nicht gut und streitet bei jeder Gelegenheit, sollte so unser Fest am Ende aussehen? Voller Stress und Streitigkeiten?"
„Das Stimmt nicht Tea, wir haben auch Weihnachten gemeinsam verbracht, wann war das, vor zwölf-dreizehn Jahren?"
Tea schwieg bei der Erinnerung von vor zwölf Jahren. Warum zum Teufel erinnerte sie ihre Umgebung ständig an diesen verdammten Zeitraum? Na schön, wenn sie eine heile Familie spielen wollen, dann soll dem so sein, sollen sie machen, was sie wollen. Resigniert widersprach sie weder Lucrecia noch Mokuba.
Kaiba konnte es kaum glauben, als er die Einladung per Telefonanruf von Mokuba am selben Abend erhielt. Erst hielt er es zunächst für einen Schwindel von Mokuba, um ihn in die Villa zu locken. Erst recht, als er meinte, dass seine Mutter dem zugestimmt hätte. Dann wurde ihm bewusst, dass sein kleiner Bruder kaum so manipulativ und intrigant sein und so viele Erwachsene gleichzeitig austricksen würde. War das eine Falle von Lucrecia? Wieso in aller Welt sollte Lucrecia ihn an Weihnachten um den Familientisch haben wollen? Es müsste eine Falle sein, oder eine Demonstration der Ruhe vor dem Sturm. Auf beides konnte er sich gut einstellen.
Und so fand er sich am Abend des vierundzwanzigsten Dezembers vor dem Eingang der Villa wieder und klingelte an der Tür.
Die Tür wurde statt vom Butler Albert von Mokuba mit einem jubelnden „Frohe Weihnachten, Seto" geöffnet. Kaiba umarmte seinen mehr als enthusiastischen Halbbruder und übergab ihm seine mitgebrachten Geschenke und den roten Weihnachtsstern, den der Letztere unter dem Weihnachtsbaum platzierte.
Im Esszimmer trafen zwei Dienstmädchen und Tea die letzten Vorbereitungen. Als sich ihre Blicke trafen, begrüßten sie sich stumm, waren sich jedoch verhaltener als noch am Abend des ersten Treffens. Kaiba war formell gekleidet, mit einem dunklen Anzug und einem weißen Hemd. Während Tea in weihnachtlichen Farben getaucht war. Ein dunkelrotes bis zur Taille engsitzendes samtenes Kleid mit ausladendem Rock bis zu den Knien. Mit einem schwarzen Gürtel an der Taille, kleinen weihnachtlichen Accessoires wie eine Weihnachtskugel als Ohrring, sah sie aus wie eine Elfe vom Weihnachtsmann auf die Erde geschickt. Dagegen hatte Mokuba einen Pulli an, der nicht noch mehr nach Weihnachten schreien konnte als er es schon tat. Der Weihnachtsmann, die Renntiere, alle möglichen Wichtel unzählige Geschenke und ein Tannenbaum befanden sich auf einer einzigen Oberfläche in bunten Farben gemixt.
Lucrecia betrat das Zimmer, gekleidet in einem schwarzem engen Paillettenkleid mit tiefem Ausschnitt. Sie war einer der Frauen, die es niemals zugeben würden zu altern. So warf sie ihrem Alter und dem Alterungsprozess immer wieder ein Handschuh zu, als würde sie mit noch mehr Ausschnitt, noch mehr Botox und Make-up dem Gegenüber beweisen wollen, dass sie noch eine attraktive und vor allem noch junge Frau war. Genau das Gegenteil war der Fall. Kaiba fand ihr Outfit nicht nur unangemessen, sondern auch erbärmlich.
„Oh, wie ich sehe, ist mein Lieblingsgast angetroffen, dann lasst uns an den Tisch setzen", kündigte sie ironisch an und grinste bewusst Kaiba lange genug an, um ihn einzuschüchtern. Kaiba ließ sich von einer Frau mittleren Alters mit einem Tick zum Jugendwahn nicht einschüchtern, wusste jedoch genau, was er anfangs vermutet, hatte: sie hatte ihn eingeladen, um vor der Gerichtsverhandlung ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Zwei konnten das gleiche Spiel spielen.
Sie setzten sich und fingen mit dem vorzüglichen Mahl an. Es war alles da, was auf einer feierlichen Tafel nicht fehlen durfte: von Weihnachtsgans und Rinderbraten bis hin zu Rosenkohl und Kartoffelstampf. Die festliche Dekoration und die Stimmung unter gedämmtem Licht der Kerzen und der Weihnachtsdekoration suggerierten ein friedliches Fest, bis Lucrecia zu sprechen anfing.
„Tea, ich habe auf den Weg zu dem Weihnachtsmarkt deinen Verehrer getroffen, diesen einen jungen Mann, wie hieß er nochmal?", sprach Lucrecia und erreichte, dass mindestens zwei von drei Anwesenden am Tisch plötzlich in der Bewegung des Essens stehen blieben und sie anschauten. Die eine war Tea, die nicht nur nicht wusste, von wem ihre Mutter gerade sprach, sondern weshalb sie auf einmal überhaupt von so etwas sprach. Automatisch ging ihr Blick Richtung Kaiba, der sie ebenfalls anschaute.
„Wen meinst du Mutter?"
„Na den, der seit Jahren hinter dir her ist, Yugi, hieß er doch gleich. Seid ihr nicht endlich ein Paar geworden, der arme Kerl wartet seit Jahren auf dich. Und du solltest auch mal ans Heiraten denken, in deinem Alter war ich verheiratet und hatte ein Kind."
Tea konnte sich nicht erklären, wie ihre Mutter auf einmal auf die Idee kam über Heiraten oder ihren Kindheitsfreund Yugi zu sprechen. Ihr Privatleben hatte die Mutter noch nie interessiert, sie wusste weder, wer Teas Freunde sind, noch in wen sie interessiert war.
„Mutter, Yugi ist nur ein Freund, mehr nicht, das weißt du doch.", versuchte sie sich zu rechtfertigen und weil ihr das gesagte nicht überzeugend genug erschien, sprach sie weiter, „Wir sehen uns ab und zu mal und sprechen über die alten Tage, mehr ist es nicht."
Während sie das sagte, konnte sie sich den Impuls nicht verkneifen, nach Kaiba zu sehen. Er schaute sie nicht mehr an, sondern aß weiter, dennoch merkte Tea, dass er angespannt zuhörte. Warum sie sich überhaupt vor ihm rechtfertigte, und ihn anschaute, konnte sie sich nicht erklären.
Ihre Mutter legte nach: „Da wäre ich mir nicht sicher, er ist seit Jahren in dich verliebt, das muss dir doch auch aufgefallen sein. Wetten, dass er dich bis zum Ende des kommenden Jahres zum Altar führt?" Jetzt schaute Lucrecia bewusst und eindringlich zu Kaiba, der seinen Blick wieder Richtung Konversierende erhob. Wenn er nicht besser wüsste, dann würde er denken, dass der Seitenhieb ihm galt, aber das konnte nicht sein. Lucrecia konnte nichts über seine Gefühle gegenüber Tea wissen. Außer Roland wusste keiner von seiner Seite über diese Sache Bescheid. Tea ihrerseits würde ihrer Mutter niemals erzählt haben, was vorgefallen war. Wenigstens erhoffte er sich das. Aber den genauso überraschten Gesichtsausdruck von Tea nach zu beurteilen, war diese Aussage auch für sie unverständlich. Ihm ließ diese kleine Show von Lucrecia aber nicht kalt. Sofort wurde er von einer noch nie zuvor verspürten Eifersucht heimgesucht, so besitzergreifend hatte er sich noch nie zu etwas hinzugezogen gefühlt, schon gar nicht zu jemanden, den er nicht als seines in Anspruch nehmen dürfte.
Das Tea viel zu jung und hübsch war, um überhaupt keinen Verehrer in ihrem Leben zu haben, da war ihm klar, allerdings hatte er bewusst diese Tatsache verdrängt. In seiner Vorstellung lebte Tea nur für ihn und keinen anderen Mann. Dennoch kam ihm die Frage gerade jetzt auf: Weshalb war sie bis zu diesem Tag mit niemanden liiert? Umso mehr stach der Gedanke eines Mannes in ihrem Leben und das auch noch mit Namen und anscheinend tieferen Gefühlen gegenüber sie, mitten in sein Herz. War etwa dieser Yugi ihr Ex-Freund oder weshalb sprach die Stiefmutter auf einmal so selbstbewusst von Heirat?
Lucrecia war eine Schlange, aber wie gefährlich und giftig, dass hatte er sich nicht mal annähernd richtig zusammengereimt.
„Ich wette, Seto hätte nichts dagegen, dich zum Altar zu führen, als ältestes männliches Familienmitglied, ist es sogar seine Pflicht. Das müssen wir aber so schnell wie möglich machen, er wird ja bald nicht mehr in Domino sein, nach der verlorenen Gerichtsverhandlung, nicht wahr Seto?", nun richtete sich die Frage von Lucrecia direkt an ihn. Teas Mund blieb von dieser Behauptung halboffen. Was machte ihre Mutter da, warum beharrte sie auf dieses absurde Thema?
Was spielst du nur für ein Spiel, Lucrecia, was hast du vor? fragte sich Kaiba in Gedanken und sprach laut weiter: „Wir sollten den Tag nicht vor dem Abend loben, Lucrecia. Das nächste Jahr wird turbulent, da bin ich mir sicher, aber nicht wegen einer Hochzeit, oder eines verlorenen Gerichtsverfahrens, sondern wegen viel tiefreichenden Themen, die endlich ans Licht kommen werden. Darauf solltest du dich konzentrieren, denn es ist wahrscheinlicher, dass sich jemand hinter schwedische Gardinen wiederfindet, als Tea heiratet."
Kaiba grinste, als er sah, dass Lucrecia einen solchen Themenwechsel nicht erwartet hatte.
„Wir werden sehen, wer verliert und wer hinter Gittern landet. Ich habe mehrere Beweise, dass das Testament nicht nur gefälscht ist, sondern der Haupterbe eines solchen Erbes unwürdig.", setzte Lucrecia sichtlich nervös nach, während Kaiba ruhig blieb. Mokuba sah zum ersten Mal von seinem Teller ab, als er die veränderte Stimmung und den gestiegenen Geräuschpegel wahrnahm.
„Ist das so?", fragte Kaiba seelenruhig nach und schaute die Stiefmutter an, „Dann würde ich sagen, derjenige der die stichhaltigsten Beweise über die Erbunwürdigkeit hat, sollte gewinnen."
Die Aussage traf Lucrecia wie ein Schlag. Hatte er etwa nur Gegenbeweise oder sprach er gerade von Beweisen über ihre eigene Erbunwürdigkeit? Bluffte er nur?
Sie stand abrupt auf und schmiss das Stofftuch auf den Tisch: „Ich lasse mich in meinem eigenen Haus an einem Festtag von einem unwillkommenen Gast nicht beleidigen."
„Soweit ich weiß, gehört dir die Villa nicht. Lebenslanges Wohnrecht, das hattest du geerbt, das Eigentum liegt beim Haupterben. Wer hier Gast ist, erübrigt sich wohl."
Tea schaute entsetzt zu Kaiba. Ihm wurde gerade erst klar, dass er mit der Aussage zu weit ging, denn auch Tea und Mokuba hatten nur ein Wohnrecht. Er hatte nicht zu Ende gedacht, bevor er seinen Mund geöffnet hatte. Das Gesagte gab Lucrecia den Rest, sie kündigte an, dass sie unter diesen Umständen nicht gedenke, weiter an diesem Tisch zu verbleiben. Sie hätte besseres zu tun als sich Beleidigungen von ihrem undankbaren Stiefsohn anzuhören. Mit diesen Worten ging sie aus dem Esszimmer, wurde kurz danach von einem der Autos am Hofe von der Villa weggefahren.
Tea seufzte, sie wusste, dass so etwas passieren würde und sie hatte Mokuba vorgewarnt.
„Tut mir leid, dass ich euren Abend verdorben habe, ich meinte meine Worte nicht in Bezug auf euch", sagte Kaiba zu den beiden Anwesenden.
„Das betrifft aber auch uns gleichermaßen", sprach Tea, „weder Mokuba noch ich müssen in der Villa bleiben, wir können uns ein kleineres gemütlicheres Apartment suchen. Wir können ausziehen, wann du möchtest."
„Tea, so war das nicht gemeint. Die Villa gehört euch, ich will nicht, dass ihr auszieht.", er strich sich nervös über das Haar, er wollte dieses absurde Thema nicht ausarten lassen. „Vielleicht sollte ich auch gehen."
Er stand auf, um ebenfalls zu verschwinden, als Mokuba ihn an seinen Arm festhielt und anflehte zu bleiben. Er schaute zu Tea. Diese seufzte resigniert. Sie wollte nicht noch mehr streiten, als sie es schon taten.
„Nein, geh bitte nicht. Wir haben noch die Geschenke, die wir öffnen wollen."
Sie bat ihn ebenfalls zu bleiben und schlug vor sich ins Wohnzimmer zu begeben, da sie vermutete, dass keiner von ihnen noch richtig Appetit hatte.
Das Wohnzimmertisch war mit vielen kleinen Süßigkeiten, Lebkuchen, Schokokugeln und Weihnachtsplätzchen gedeckt. Der Butler kam mit Rotwein und Orangensaft in den Raum und überreichte die Getränke den Anwesenden. Kaiba nahm das Glas mit dem Rotwein, besann sich jedoch eines Besseren. Er hatte beim Essen bereits ein Glas Rotwein getrunken. Obwohl er von einem zweiten Glas sicherlich nicht betrunken sein würde, so hielt er sich an sein eigenes Versprechen kein Alkohol in Anwesenheit von Tea zu trinken. Er legte das Glas subtil zur Seite.
Mokuba machte sich an die Geschenke. Sie setzten sich auf den Boden zwischen vielen bequemen Kissen, um nach und nach die Bescherung zu bewundern und auszupacken.
Bücher wurden ausgepackt, Pralinen und Schokolade, bis Mokuba ein schönes, blau-grau verpacktes Geschenk in die Hände nahm und es an Kaiba überreichte.
„Hier Seto, ein Geschenk für dich. Tea und ich haben es zusammen ausgesucht."
Kaiba nahm das Päckchen und schaute zu der besagten Person. Diese konnte ihre Neugier nicht verstecken und beobachtete ihn, wie er zuerst das Geschenkpapier entfernte, dann das Päckchen öffnete.
Darin kramte der Braunhaarige ein blaues Weihnachtspulli mit weißen Schneeflockenmuster aus.
„Tea und ich dachten schon, dass du in Anzug kommen würdest und kein einziges Weihnachtspulli haben wirst, also haben wir dir einen gekauft."
Kaibas Augenbraue ging überrascht von dieser Idee nach oben, er schaute zu Tea, die mit ihren Augen das besagte bestätigte und ergänzte: „Hoffentlich passt er dir."
Kaiba zögerte keine Minute und zog zuerst sein Anzug aus, danach sein weißes Hemd. Er blieb zwar nur wenige Minuten mit nur einem engen weißen Unterhemd, danach zog er hastig den Pulli an, dennoch blieb Teas Blick auf seinen bemerkenswerten Oberkörper mit den gut definierten und herausstechenden Muskeln gerichtet. Hoffentlich wurde sie bei diesem Anblick nicht rot. Der Pulli saß wie angegossen. Wenn der Pulli von Tea und Mokuba ausgesucht war, dann hatte Tea wohl die Größe gewählt. Dass sie ihn so korrekt eingeschätzt hatte, bereitet ihn doppelt Freude, einmal für das Geschenk und einmal für die Aufmerksamkeit gegenüber seiner Person.
„Wow, das sieht toll aus, Seto, nicht wahr?", sagte Mokuba voller Begeisterung und schaute zu Tea. Tea nickte zur Bestätigung. Kaiba bedankte sich für den festlichen Pulli und fühlte sich auf einmal in der informellen und außergewöhnlichen Bekleidung richtig bequem.
Unter dem Weihnachtsbaum war nur noch ein einziges kleines Geschenk verblieben. Mokuba nahm das golden verpackte Geschenk, las Teas Namen und überreichte es an sie mit dem Hinweis, dass es von Seto war. Tea nahm die kleine Schachtel und öffnete behutsam die Bänder, dann das Geschenkpapier und öffnete sie. In ihr fand sie ein zierliches Armband aus hellem geflochtenem Leder mit einem Anker aus Weißgold, das die beiden Enden des Armbandes zusammenhalten sollte. Das Armband war wunderschön und gefiel ihr auf Anhieb. Sie wusste, dass dies einer der Armbänder war, den man immer an seinem Handgelenk trug. Wollte er damit immer bei ihr sein? Oder wichtiger noch, wollte sie ihn immer bei sich tragen?
„Leg ihn an Tea!", forderte Mokuba seine Schwester auf.
Tea nahm das Armband und bedankte sich sehr für das schöne Geschenk, konnte es jedoch allein nicht anlegen. Seto bat seine Unterstützung an und umschloss Teas linken Handgelenk mit dem edlen Material. Er berührte für einen kurzen Augenblich ihr linkes Handgelenk bewusst so, dass er ihren Puls spüren konnte. Zehn Schläge in zehn Sekunden. Er sah ihr in die Augen. Der Moment war Goldwert für ihn, denn das Armband besiegelte zumindest für ihn symbolisch seine Zuneigung und der erhöhte Herzschlag konnte ihm vergewissern: er war ihr nicht gleichgültig.
Das Tragen oder Nichttragen des Armbandes würde ihn zeigen, ob er recht damit hatte, dass er die Hoffnung auf eine Zukunft nach so viel Gegenwind nicht für immer vergraben müsste.
R&R :)) und bis zum nächsten Kapitel :)
