Die Blüte in der Dämmerung
Trotz der Dämmerung erkannte Aramis Primms flammenrotes Haar bereits aus der Ferne, als der die Stadttore hinter sich ließ und auf dem staubigen Pfad den Heimweg zurück ins Lager antrat. Wie immer, wenn er Primm begegnete, überkam ihn eine freudige Erregung, die ihm bis dato eigentlich vollkommen fremd war und mit der er noch nicht so recht umzugehen wusste. Er beschleunigte seine Schritte, um sie zu erreichen. Etwas an ihrem Gang war verändert. Sie schwankte leicht.
„Primm", rief er, als er in ihrer Hörweite war.
Ungewöhnlich schwungvoll drehte sie sich zu ihm um. Sie wirkte überrascht, fast schon überrumpelt von seiner Anwesenheit.
Aramis beäugte sie kritisch. „Bist du verletzt?", fragte er besorgt.
„Nein", erwiderte Primm knapp und wich seinem Blick aus. Aramis erkannte, dass sie sich sichtlich unwohl fühlte.
„Du schwankst", stellte er fest.
Primm wich einen Schritt zurück. „Aramis, bitte. Das ist unhöflich", sagte sie in merkwürdig dehnten Tonfall. Sie drehte ihm den Rücken zu, um seinen Augen zu entkommen. In diesem Moment wusste er auch, dass ihr Zustand wirklich nichts mit einer Verletzung zu tun hatte.
„Bist du betrunken?"
„Ich hatte nur ein paar Gläschen. Das wird ja noch erlaubt sein!"
„Ich wollte dich nicht maßregeln. Es hat mich nur gerade überrascht", versuchte Aramis sie wieder zu beschwichtigen. „Wir gehen gemeinsam zurück zum Lager."
„Das schaffe ich alleine", erwiderte Primm ungewöhnlich barsch.
Diese Ablehnung von der Frau zu erleben, die ihm vor ein paar Tagen noch gesagt hatte, dass sie ihn besser kennen lernen wollte, war irritierend – sogar etwas verletzend. Aramis war bisher der Meinung gewesen, dass eine besondere Spannung zwischen ihnen in der Luft lag, aber Primm schien ihn gerade überhaupt nicht in ihrer Nähe haben zu wollen.
„Aber das ist auch mein Weg", wandte er fast schon kleinlaut ein. Es ärgerte ihn, dass ihn diese Situation so aus dem Konzept brachte.
Primm seufzte schwer. Aramis interpretierte es als stilles Einverständnis und begann stumm neben ihr herzulaufen, während die schlechte Stimmung zwischen ihnen unangenehm in der Luft lag. Aus dem Augenwinkel ließ er sie nicht außer Acht, bereit, jederzeit einzugreifen, sofern sie aufgrund ihres Zustandes stolpern sollte.
Nach einigen Gehminuten hielt Aramis die Stille zwischen ihnen jedoch nicht mehr aus. „Ich nehme an, dass du einen harten Tag hattest?", fragte er vorsichtig.
„Es ging."
Zu gerne hätte er sie auf den Alkohol ansprechen wollen, doch er traute sich nicht. Primms Freizeitaktivitäten in der Taverne bestanden bisher immer unschuldig aus viel zu viel Essen und es war deswegen ein Wunder, dass sie ihre Figur halten konnte, doch er hatte sie noch nie betrunken erlebt.
„Die Sonne geht jetzt immer früher unter. Es wäre sicher vernünftig darauf zu achten das Lager immer vor Sonnenuntergang zu erreichen."
Aramis biss sich auf die Unterlippe. Er rechnete fest damit, dass er Primm mit seinen Worten wieder verärgern würde, aber stattdessen wirkte sie abwesend, fast schon traurig. Inzwischen waren in der Ferne die ersten Fackeln des Lagers zu erkennen, aber in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass sie etwas quälte, von dem er nicht mehr herausfinden konnte, was es war, wenn sie erst mal angekommen waren. Entschlossen griff er nach ihrer Hand und zwang Primm zum Stehenbleiben.
„Was ist los mit dir?", wollte er wissen und fixierte sie regelrecht mit seinem Blick. „Ist etwas passiert?"
Primm wich seinen Augen wieder aus. Sie atmete tief durch und presste die Lippen aufeinander, eher sie ihn erneut ansah. „Es gibt Gerüchte um dich", sagte sie leise. „Du sollst der verschollene Thronfolger sein."
Ihr Blick wurde hoffnungsvoll. Aramis wusste, dass sie jetzt darauf baute er würde die Gerüchte als lächerliche Behauptungen und viel zu blühende Fantasien abtun, aber er konnte ihre Erwartung nicht erfüllen und schwieg stattdessen betrübt. Als Primm realisierte, dass er nichts sagen würde, perlte eine Träne über ihre Wange. Er widerstand dem Drang sie ihr aus dem Gesicht zu wischen. Nie hatte er ein Grund für ihre Tränen sein wollen. Er war nicht darauf vorbereitet gewesen, dass sie diese Tatsache ernsthaft treffen würde und wusste nicht mit der Situation umzugehen.
„Alle wussten es, nur ich nicht", wisperte sie. „Ich habe dir gesagt, dass ich dich kennen lernen will und mich damit total lächerlich gemacht."
„Das hast du nicht. Ich habe mich darüber gefreut", erwiderte er. „Ich verstehe, dass dich das getroffen hat und du dich hinters Licht geführt fühlst, aber es hat sich nichts zwischen uns verändert."
Primm entzog ihm ihre Hand wieder und brachte erneut einen Schritt Abstand zwischen sie. „Es hat alles verändert."
„Den Prinzen gibt es seit Jahren nicht mehr. Er ist tot. Ich bin Söldner. Nicht mehr und nicht weniger."
Argwöhnisch legte sie ihre Stirn in Falten. „Warum solltest du auf den Thron verzichten und ein einfaches Leben führen wollen?"
„Ich wäre kein guter König. Die Freiheit tun und lassen zu können, was ich möchte und die Last der Verantwortung nicht mehr tragen zu müssen, ist unbezahlbar. Ich liebe dieses Leben."
Es wurde wieder still zwischen ihnen. Die Sonne war schon lange am Horizon verschwunden und trotz der Dunkelheit konnten sie genau den Blick des jeweils anderen wahrnehmen. Aramis überwand sich zu der Geste, vor der er sich noch vor wenigen Minuten gescheut hatte. Mit klopfendem Herzen berührte er sachte ihr Gesicht. Primm ließ zu, dass seine Finger über ihre weiche Haut glitten und schließlich zu ihren Lippen wanderten.
„Ich hätte es dir auch sagen sollen, als du es mir gesagt hast", flüsterte Aramis. „Seitdem ich dich aus dieser Zelle befreit hatte, wollte ich dich kennen lernen."
Aramis spürte, wie Primm kurz die Luft anhielt. „Ich möchte eine Belohnung für diesen harten Tag", wisperte sie schließlich. „Alkohol ist nichts für mich. Ich möchte etwas anderes."
Er verstand sie sofort. Ohne zu zögern legte er die Hand auf ihre Hüfte und zog sie dicht an sich heran. Hungrig trafen sich ihre Lippen und Aramis öffnete ihren Mund mit seiner Zunge. Primm schlang die Arme um seinen Nacken. So süß und unschuldig sie auch immer wirken mochte, so viel weniger süß und unschuldig war sie plötzlich dann, wenn es darum ging sich an seinem Körper zu reiben.
„Was zur Hölle", rief plötzlich eine verärgerte Stimme wenige Meter von ihnen entfernt durch die Nacht.
Erschrocken zuckten beide auseinander und erkannten vor sich eine wütende Hilda, die die Arme vor der Brust verschränkt hatte. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, weil du noch nicht zurück warst", blaffte sie Primm an. Ihr Blick flog zur Aramis. „Scheinbar zu Recht."
Das Verlangen nach Primm ließ sich nur schwer abschütteln. Aramis versuchte wieder zurück zu seiner gewohnten Lässigkeit zu finden, wogegen Primm sichtlich genervt von der Störung durch ihre ältere Schwester wirkte.
„Hast du schon mal etwas von Privatsphäre gehört?", sagte sie zu Hilda, während sie an ihr vorbeiging. Aramis folgte ihr. In seinem Kopf schwirrte es. Er konnte nur an ihre Lippen und ihren weichen und warmen Körper denken.
„Du hast keine Privatsphäre zu haben!", rief Hilda aufgebracht. Auch sie trottete ihnen hinterher zu den Lichtern des Lagers. „Nur damit das klar ist: Jeder schläft in seinem eigenen Zelt."
„Vielleicht bist du viel zu spät, Hilda. Schon mal daran gedacht?"
Hilda schnappte erschrocken nach Luft. „Das hast du nicht wirklich gesagt? Bleib sofort stehen!"
Aramis beschloss sich so gut es ging aus der geschwisterlichen Zankerei herauszuhalten. Im fiel ein Stein vom Herzen, als sie nach wenigen Metern endlich das Lager erreichten und er Primm und Hilda sich selbst überlassen konnte, nicht aber ohne noch einmal zum Abschied in Primms blaue Augen zu blicken. Aramis hoffte, dass sie bald anknüpften konnten wo sie aufgehört hatten.
Ende
