Kapitel 20 – Lord Voldemorts Gesuch
Als ich am Montagfrüh in den Gemeinschaftsraum kam, hörte ich Dean laut lachen. „Und dann hat er voll einen in die Fresse bekommen."
Ginny stand vor ihm mit verschränkten Armen. „Das ist überhaupt nicht witzig!"
„Ach komm schon, ist doch alles gut gegangen. Harry hat's überlebt."
„Das heißt nicht, dass man sich darüber lustig machen kann!", rief sie und stapfte davon.
Dean schien kurz zu überlegen, ob er ihr nachlaufen sollte, doch dann machte er eine wegwerfende Handbewegung und ging zu Seamus.
Ich schüttelte den Kopf – das würde bald richtig krachen zwischen den beiden. Was vielleicht aber besser war, wenn Ginny doch eigentlich Harry wollte.
Ich ging zum Krankenflügel, wo Harry und Ron entlassen wurden, und gemeinsam gingen wir zum Frühstück in die Große Halle. Auf dem Weg erzählte ich ihnen von Ginnys und Deans Streit, was Harry sehr zu interessieren schien. Ich grinste leicht – das musste ich unbedingt Ginny erzählen. Bevor ich ihn jedoch weiter ausquetschen konnte (was, da Ron dabei war, vielleicht ein wenig schwierig geworden wäre), kam Luna angelaufen und überreichte Harry eine Schriftrolle von Dumbledore.
Harry las sie und sagte nur: „Heute Abend." Eine weitere Stunde Voldemortunterricht… Hoffentlich brachte es uns etwas im bevorstehenden Kampf.
Wir gingen weiter, als uns Lavender entgegenkam.
Harry und ich ließen Rom mit ihr schnell allein, als Lavender anfing, Ron anzumeckern. Ich musste den ganzen Tag grinsen und hatte beste Laune, denn Ron schien nicht mehr glücklich mit seiner Lav-Lav zu sein. Jetzt würde er vielleicht endlich sehen, was für eine dumme Pute sie war.
Meine gute Laune dauerte so sehr an, dass ich abends Harrys Kräuterkundeaufsatz korrigierte und sogar den letzten Absatz selbst schrieb, denn das ging schneller als es Harry zu erklären.
„Vielen Dank, Hermine", grinste er hinterher und ging dann zu Dumbledore.
Ich saß für einen Moment da und wusste nicht, was ich tun könnte. Ron war bei Lavender, Ginny doch wieder bei Dean, und Harry bei Dumbledore. Ich sehnte mich nach Severus, aber war mir nicht sicher, ob er mich zu so später Stunde noch empfangen würde. Aber wir waren doch jetzt Freunde, oder? Also stand ich auf und machte mich auf den Weg in die Kerker.
Ich klopfte an seine Bürotür, doch keine Antwort. Ich klopfte an seine Privattür, doch ebenfalls keine Antwort. Vielleicht war er im Lehrerzimmer, überlegte ich, oder bei Dumbledore, oder draußen. Es gab so viele Möglichkeiten und da ich ihn nicht wie eine Verrückte im ganzen Schloss suchen wollte, ging ich enttäuscht wieder zurück. In der Eingangshalle war es menschenleer, da das Abendessen schon vor einer Stunde beendet war, doch ich sah, dass die große Tür, die nach draußen führte, einen Spalt geöffnet war.
Plötzlich hörte ich, dass mir jemand entgegenkam, mit unregelmäßigen, lauten Schritten. Ich drehte mich um, doch da war niemand, nicht einmal ein Geist.
„Hallo?", sagte ich vorsichtig, doch niemand meldete sich.
Die Schritte waren nun zusammen mit einem Keuchen zu hören und ein paar Meter vor mir sah ich Bluttropfen auf den Boden fallen.
„Ich bin's", flüsterte Severus heiser und dann hörte ich, wie er auf den Boden fiel. Einen Moment später verflog sein Unsichtbarkeitszauber und ich konnte ihn endlich sehen: Sein Umhang war unten angerissen und seine Haare klebten ihm an der Stirn mit Blut. Immer wieder zuckte er leicht zusammen und sein Gesicht verzerrte sich im Schmerz.
Ich kniete mich neben ihn. „Was ist passiert?" Ich holte meinen Zauberstab raus, aber wusste nicht, was ich tun sollte – ich hatte keine Ahnung vom Heilen!
„Treffen", keuchte Severus. „Dunkler Lord."
„Wir müssen dich zu Madame Pomfrey bringen."
Er sagte nichts, was ich als Zustimmung vernahm. Mit Hilfe eines Stabilisatorzaubers half ich Severus wieder auf die Beine und er stützte sich auf mich.
„Niemand... darf uns... sehen", sagte er und mit einem Schwung meines Zauberstabes waren wir für andere so uninteressant, dass uns niemand anblicken konnte. Einen echten Unsichtbarkeitszauber hatte ich bisher nicht gelernt, da wir immer Harrys Tarnumhang nutzten.
Es war ein langer, schwerer Weg zum Krankenflügel und zum Schluss keuchten wir beide. Als ich mich vergewissert hatte, dass gerade keine Patienten im Flügel waren, nahm ich den Zauber von uns und rief nach Madame Pomfrey.
Diese eilte aus ihrem Büro und flüsterte entsetzt: „Nicht schon wieder." Dann nahm ihre Professionalität über und sie half mir, Severus auf eines der Betten zu legen. Während sie ihre Diagnosezauber sprach, schob ich die Vorhänge um uns, falls doch noch jemand kam.
„Severus, erzähl mir, was du heute ertragen musstest", forderte Madame Pomfrey streng.
„Das Übliche", murmelte er. „Ein paar Schläge und viel Cruciatus."
Mir kamen die Tränen, als ich ihn so daliegen sah mit geschwollenem Auge, aufgeplatzter Lippe und Blutkrusten an seiner Schläfe. Dazu kamen immer wieder die typischen Nachwirkungen eines Cruciatus-Fluchs: das Zucken der Muskeln.
„Hermine", sagte Madame Pomfrey. „Bring mir bitte eine Flasche Mohnsmilch aus dem Schrank dort drüben." Sie zeigte, ohne hinzusehen, auf einen großen Eichenschrank mit einer Glasvitrine.
Ich eilte dorthin und suchte die Flaschen ab. Schnell verstand ich, dass sie alphabetisch geordnet waren, und so fand ich die richtige Flasche sofort.
Als ich wiederkam, war Madame Pomfrey damit beschäftigt, Severus' Wunden zu heilen. „Gib ihm bitte zehn Tropfen", sagte sie und ich trat näher heran.
Er sah mich an und lächelte kurz müde.
Ich fasste seinen Hinterkopf, um ihm ein wenig aufzuhelfen, damit er sich nicht verschluckte und als er seinen Mund geöffnet hatte, tropfte ich vorsichtig auf seine Zunge. Ich zählte leise mit und versuchte, nicht aus dem Konzept zu kommen, weil er mir so nahe war. Danach legte ich seinen Kopf wieder sanft aufs Kissen und strich ihm noch schnell über die Stirn.
„Danke", flüsterte er.
Madame Pomfrey war nun auch mit dem Heilen fertig und Severus sah wieder aus wie er selbst, nur noch bleicher als gewöhnlich. Langsam schlossen sich seine Augen und er schlief ein.
Madame Pomfrey winkte mir zu und wir schlichen weg von seinem Bett.
„Wird es ihm gutgehen?", flüsterte ich.
„Ja", sagte sie leise zurück. „Er wird noch ein paar Tage die Krämpfe spüren, aber danach geht es ihm wieder gut."
Ich nickte erleichtert.
„Hermine", sagte sie da und sah mich streng an. „Was hier geschehen ist, muss unbedingt unter uns bleiben."
„Ja, natürlich", sagte ich schnell. „Ich werde nichts verraten, nicht einmal Harry und Ron."
„Gut", nickte sie. „Geht es dir denn gut?"
„Ich denke schon." Es war natürlich ein Schock, wenn man seinen Freund so übel zugerichtet sah, aber nun wusste ich ja, dass es ihm wieder besser gehen würde.
Sie nickte. „Dann solltest du jetzt in deinen Gemeinschaftsraum gehen und bald ins Bett."
„Ja. Danke, Madame Pomfrey."
„Ich mache nur meinen Job."
„Trotzdem", lächelte ich und ging zurück zum Gryffindorturm. Es war schwer, in dieser Nacht einzuschlafen, denn wann immer ich die Augen schloss, konnte ich Severus voll Schmerz und Blut vor mir sehen. Als ich dann eingeschlafen war, war es auch nicht erholsamer, denn ich träumte, wie Severus vor Voldemort stand und gefoltert wurde. Warum gab es nur so viel Grausamkeit in der Welt?
Am nächsten Morgen war ich früh wach und so ging ich noch vor dem Frühstück in die Bibliothek und lieh mir zwei interessante Bücher aus, von denen ich hoffte, dass sie Severus gefielen. Dann ging ich zum Krankenflügel, wo Madame Pomfrey so nett war, mich zu ihm zu lassen. Vielleicht als Dankeschön für meine Hilfe gestern Abend.
Severus war wach uns saß ein wenig aufrechter im Bett. Madame Pomfrey hatte ihm anscheinend ein Nachthemd gezaubert, denn er saß da in einem langen weißen Gewand, die Decke bis zum Bauch gezogen.
„Hey", sagte ich, als ich bei ihm war. Madame Pomfrey saß an ihrem Schreibtisch, zu weit weg, um uns hören zu können.
„Hallo." Er sah aus, als wüsste er nicht, wie ich reagieren würde.
„Ich hab dir die hier mitgebracht", meinte ich, als die Stille unangenehm wurde, und zeigte ihm die Bücher. Ich wusste noch, als ich im Krankenflügel war, dass ich mich so nach Büchern gesehnt hatte, um dem Schmerz und der Eintönigkeit zu entkommen.
Langsam nahm er mir die Bücher ab und betrachtete sie. „Danke. Das ist sehr lieb von dir."
„Na klar." Ich setzte mich vorsichtig auf seinen Bettrand, da es keinen Besucherstuhl gab und ich mir blöd vorkam, die ganze Zeit zu stehen. „Geht es dir heute schon besser?"
„Ja", hauchte er, dann sah er mich an. „Es tut mir leid, dass du das sehen musstest."
Ich schüttelte meinen Kopf und nahm seine Hand. „Es ist vollkommen in Ordnung, auch seinen Schmerz mit Freunden zu teilen." Ich strich ihm über die Hand. „Und ich bin froh, wenn ich dir helfen kann mit deiner Last. Ich kann nicht glauben, dass du so etwas öfter ertragen musst." Mir kamen die Tränen und ich versuchte, sie schnell wegzublinzeln, aber natürlich hatte er sie gesehen.
„Hermine", sagte er und lenkte sanft mein Kinn, damit ich ihn ansehen musste. „Es ist schon in Ordnung. Das ist mein Teil für diesen Kampf und wenn wir gewonnen haben, wird es vorbei sein. Daran musst du fest glauben, ja?"
Ich nickte und dann umarmte ich ihn.
Er drückte mich einmal fest an sich und ließ mich dann wieder los. „Du solltest zum Frühstück gehen", murmelte er, „sonst machen sich deine Freunde noch Sorgen."
„Okay", nickte ich. „Wirst du bald entlassen?"
„Im Laufe des Tages."
„Das ist gut. Dann... bis bald."
„Bis bald", sagte er und das letzte, was ich sah, war sein Lächeln.
