Kapitel 3

Das Buch, das ihm ein nie gekanntes Gefühl von Macht gab, unter den linken Arm geklemmt, den Zauberstab griffbereit in der rechten Hand, kletterte er zurück in den Gang, der zur Drachenhöhle führte. Er fragte sich, welche Magie nötig gewesen war, damit diese Kreatur jahrhundertelang ohne das geringste bisschen Sonnenschein oder frische Luft, geschweige denn Nahrung hatte überleben können. War es überhaupt ein echtes Wesen oder war es aus Magie gemacht? War es sich bewusst, dass Zeit verging, oder bestand sein einziger Zweck darin, den Dementor daran zu hindern, das Buch zu erreichen, so dass es praktisch inaktiv war, wenn der Dementor nicht anwesend war?

Ich werde versuchen, das herauszufinden, meldete sich sein älteres Ich zu Wort.

Du kommst also wieder her?

Ja. Ich muss das Buch zurückbringen, wenn ich es nicht mehr brauche. Ich werde es dem nächsten schwarzen Magier nicht leichter als nötig machen, es zu bekommen.

Severus nickte langsam. Es zurückzubringen war wahrscheinlich besser. Sei vorsichtig. Auch dein Sohn braucht seinen Vater.

Tut er das?, schnarrte sein älteres Ich.

Sicher. Er braucht jemanden, dem er die Schuld für seine Fehler geben kann.

Severus bekam ein Schnauben als Antwort und feixte.

Dann tauchte vor ihm der Eingang zur nächsten Höhle auf, der immer noch größtenteils vom Körper des Drachen versperrt war. Hast du eine Idee, wie ich zurückkommen soll?

Hast du nicht gerade gesagt, dass es ein Kinderspiel wäre, mit dem Buch hier wieder herauszukommen?

Severus schlug das Buch auf, nicht ohne die Augen zu verdrehen, aber die Seiten blieben leer. Es scheint ein wenig launisch zu sein.

Vielleicht spürt es, ob es wirklich gebraucht wird.

Oder es gibt einfach keine menschliche Magie, die stark genug ist, einen Drachen zu bewegen.

Oder diesen Drache im Besonderen.

Severus brummte. Was auch immer es war, er musste selbst einen Weg finden. Aber durch den winzigen Spalt am oberen Ende des Tunnels zurückzugehen, stand nicht zur Debatte. Er hatte bereits zwei Hände gebraucht, um sich hindurchzuziehen, als die Schwerkraft ihn unterstützt hatte, es war unmöglich, den gleichen Weg zurück zu nehmen – jedenfalls wenn er überleben wollte. Aber da es keine andere Möglichkeit gab, beschloss er, nach oben zu fliegen und sich das Ganze nochmal aus der Nähe anzuschauen.

Und das war der Moment, in dem dann doch noch die Hölle losbrach.

Als er und das Buch auf Höhe des Risses waren, hörte er ein Kreischen hinter dem Drachen, das nur vom Dementor stammen konnte.

Dieser hatte offenbar das Buch entdeckt, das jahrhundertelang unerreichbar für ihn gewesen war, und beschlossen, alle Vorsicht in den Wind zu schlagen und sich dem Drachen zu stellen.

Was dann dazu führte, dass eben jener Drache erwachte und seine Pflicht tat.

Das Gute war: Der Durchgang war plötzlich frei.

Der Nachteil: Zwei sehr große, sehr wütende und sehr rücksichtslose Kreaturen kämpften direkt vor Severus – und er musste an ihnen vorbei.

Mist …

Gerade eben hatte er noch überlegt, wie real der Drache tatsächlich war – nun, sein Gebrüll war jedenfalls real genug, um das ganze Höhlensystem zum Beben zu bringen. Severus musste sich vor einem Stalaktiten in Sicherheit bringen, der sich plötzlich über ihm löste, und dann vor dem Schwanz des Drachen, der ihn fast aus der Luft holte.

Du musst hier weg!

Was du nicht sagst!

Eine Sekunde lang überlegte er, ob er sich in die letzte Höhle zurückziehen sollte, aber die Zeit wurde knapp und niemand wusste, wie lange der Kampf vor ihm dauern würde. Der Dementor war nur zum Teil körperlich – und unsterblich! – und wich den Angriffen des Drachens erstaunlich geschickt aus, obwohl nur der spärliche Schimmer des Patronus-Lichts die Szene beleuchtete.

Dann schoss eine Feuersäule aus dem Maul des Drachen und tauchte sie alle in flackerndes Licht.

Verdammte Scheiße …

Severus ließ sich auf eine niedrigere Höhe herab und suchte nach einem Weg, um die Riesen vor sich zu umgehen, als -

Aus dem Nichts die stachelige Spitze des Drachenschwanzes auftauchte, durch die Höhle peitschte und gegen den Rand des Ganges prallte, in dem Severus immer noch Deckung suchte. Er sprengte genug Trümmer ab, um ihn auf der Stelle zu töten, wenn er am Boden gestanden hätte.

Ein weiterer Schrei des Dementors, gefolgt von einem weiteren Feuerstoß, rissen ihn aus seiner Schockstarre und Severus schwebte vorsichtig in die Höhle, als sich die beiden Kreaturen ein Stück vom Eingang entfernt hatten.

In dem Moment, als der Dementor seine Bewegung bemerkte, konzentrierte er sich jedoch wieder auf Severus und das Buch und schoss direkt auf ihn zu.

Hoch!

Doch Severus ging tiefer, versteckte sich hinter einem riesigen Stalagnaten und hielt sich den Kopf, als der Dementor mit ihm zusammenzustoßen drohte.

Ein Aufprall, der jedoch nicht stattfand, denn der Drache griff nach dem schwarzen Umhang, riss den Dementor zurück und schleuderte ihn mit einem mörderischen Brüllen gegen die Höhlenwand.

Los!

Ich könnte gut auf deine Kommentare verzichten!, zischte er, presste das Buch an seine Brust und sprintete los.

Nur um vom verdammten Drachenschwanz von den Füßen geholt zu werden.

„Uff!"

Er stürzte zu Boden, Trümmerteile bohrten sich in seinen Rücken und er schlug mit dem Kopf auf einen Felsbrocken. Sein Zauberstab glitt ihm aus der Hand.

„Nein!"

Severus drehte sich herum und versuchte ihn zu greifen, aber die Hartnäckigkeit des Dementors, der es auf das Buch abgesehen hatte, hatte den Drachen zurück in die Mitte der Höhle gelockt und Severus musste zurückweichen, um nicht mehr als seinen Zauberstab zu verlieren. Er krabbelte davon, bis er mit dem Rücken an einen Stalagmiten stieß, und streckte die Hand nach seinem Zauberstab aus in der verzweifelten Hoffnung, er würde hineinspringen, wie er es schon ein paar Mal zuvor getan hatte, als er ihn dringend gebraucht hatte.

Aber bevor das Werkzeug überhaupt die Chance dazu hatte, wurde es unter dem Fuß des Drachen zermalmt, als der sich umdrehte und erneut Feuer auf den Dementor schleuderte.

Fuck!

Vergiss ihn und geh!, mahnte ihn sein älteres Ich.

Und da er keine andere Chance mehr hatte, tat Severus genau das.

Er nutzte einen Moment, in dem der Dementor völlig in seinen Kampf mit dem Drachen vertieft war, kam auf die Füße und duckte sich weg, schlängelte sich durch die Trümmer, die die Höhle übersäten, und warf nervöse Blicke über die Schulter, bis der Ausgang der Höhle näher kam.

„EEEEEH!"

Mit dem eiskalten Prickeln eines Schocks im Nacken wirbelte er herum und sah sich dem Dementor gegenüber, der natürlich bemerkt hatte, dass sein eigentliches Ziel versucht hatte abzuhauen. Severus stolperte gerade in den Gang, als der Dementor vor seinem Patronus-Glühen zurückschreckte.

Er kann dich nicht berühren!

Das sollte er auch besser nicht, dachte Severus zurück, denn jetzt hatte er nichts mehr, um den Dementor abzuwehren. Wie viel Zeit noch?

Zweiundvierzig Minuten.

Fuck. Mit klopfendem Herzen drehte er sich um und stürmte vorwärts, wobei er versuchte, den Dementor zu ignorieren, der hinter ihm durchdrehte und kreischte wie eine verdammte Todesfee.

Stalaktiten und Stalagmiten tauchten aus dem Nichts auf, er stolperte, schwankte, stürzte zu Boden, neue Wunden übersäten bald seine Haut, entblößt oder nicht. Sein Hemd war jetzt nicht nur am Rücken, sondern auch an mehreren Stellen an den Ärmeln zerrissen, an den Rändern blutig und überall sonst von Schweiß durchtränkt. Das anhaltende Kreischen des Dementors verstärkte das Pochen in seinem Kopf und von den sich bewegenden Schatten an den Wänden wurde ihm schlecht.

Beruhige dich!, mahnte ihn die Stimme in seinem Kopf, als er erneut stürzte. Du hast noch fast vierzig Minuten und tot bringst du niemanden etwas!

Ich dachte, ich werde definitiv nicht sterben, weil du schließlich immer noch lebst, erwiderte Severus bissig und keuchte sogar in Gedanken.

Vielleicht stirbst du nicht, weil ich dir sage, dass du dich verdammt noch mal beruhigen sollst!

Severus kräuselte die Lippe, blieb aber auf dem Boden liegen und zwang sich, den Atem anzuhalten und das Kreischen so gut wie möglich zu ignorieren. Als er wieder Luft holen musste und blinzelte, schwebte der Dementor etwa einen Meter über ihm und versuchte, sich auf ihn zu stürzen – vergeblich.

„Okay", murmelte er und stand auf. Ruhig genug.

Das Buch an die Brust gepresst, ging er weiter, den Blick auf die Schatten gerichtet, aus denen wie geisterhafte Schemen immer neue Hindernisse auftauchten. Und dann war da noch mehr Dunkelheit. Die nächste Höhle.

Das ist das Labyrinth, erinnerte ihn sein älteres Ich.

Also erhob sich Severus in die Luft und plante, diese Höhle genauso zu durchqueren wie beim ersten Mal.

Nur um dann fast in eine plötzlich aus dem Boden schießende Wand zu fliegen.

„Was zum …", murmelte er und wich zurück. Was hat das zu bedeuten?

Aber auch sein älteres Ich schien ratlos zu sein, denn seine einzige Antwort war Schweigen.

„Verdammte Scheiße!" Severus schwebte zurück auf den Boden und sah sich hektisch um – bis er den Eingang zum Labyrinth fand. „Oh, komm schon …" Er schloss die Augen und hätte am liebsten geschrien, als er zwischen einem durchgedrehten Dementor und einem Labyrinth gefangen war, dessen Weg er sich nicht gemerkt hatte.

Geh, murmelte sein älteres Ich und klang dabei selbst verdächtig geschlagen.

Und Severus ging. Was hätte er auch anderes tun sollen?

In den engen Gängen des Labyrinths war das Kreischen des Dementors regelrecht ohrenbetäubend. Severus presste seine freie Hand gegen ein Ohr und versuchte, das andere mit seiner hochgezogenen Schulter zu blockieren, aber ohne Erfolg. Er bog wahllos ab und wurde wieder schneller, auf der Flucht vor dem Biest, das ihn verfolgte, und bald war er kurz davor, sich die Spitze eines abgebrochenen Stalaktiten oder Stalagmiten oder einfach irgendeinen Stein ins Ohr zu rammen.

Dein Hemd, griff sein älteres Ich jedoch ein, bevor er in Versuchung geraten konnte, das wirklich zu tun.

Was ist damit?

Schneide kleine Stücke ab und steck sie dir in die Ohren.

Er schluchzte fast vor Erleichterung und ging in die Hocke, um nach einem der spitzen Steine zu greifen, die auf dem Boden lagen.

Die behelfsmäßigen Ohrstöpsel blendeten den Dementor zwar nicht ganz aus, aber sie dämpften das Kreischen. Merlin sei Dank …

Gern geschehen.

Und so ging er weiter, weniger gehetzt, aber immer noch verloren. Gab es überhaupt einen Ausgang aus diesem Labyrinth? Hatte er überhaupt eine Chance, hier wieder herauszukommen?

Hast du, ich bin noch hier.

Severus lehnte sich mit der Stirn gegen eine Wand, schloss die Augen und lauschte den verstärkten Geräuschen seines eigenen Herzschlags und seiner Atmung. Soweit es mich betrifft, könntest du genauso gut ein Symptom von Schizophrenie sein …

Wenn ich das wäre, dann hättest du Glück, denn bisher habe ich alles getan, um unseren jämmerlichen Arsch zu retten. Hast du im Buch nachgesehen?

Warum sollte ich? Ich habe keinen Zauberstab.

Öffne einfach das verdammte Buch, okay?

Er blinzelte, trat gerade weit genug von der Wand weg, um zu tun, was ihm gesagt wurde – und holte scharf Luft, als der Grundriss des Labyrinths auf den Seiten erblühte. „Heilige Scheiße …"

Siehst du?

Niemand mag Besserwisser, grollte Severus und musterte den Plan in der Hoffnung, einen Hinweis darauf zu finden, wo er war. Aber das zeigte ihm das Buch nicht.

Also drehte er sich um und wandelte die Gänge in seiner direkten Umgebung mental in eine 2D-Version um, bevor er wieder auf die Karte blickte und nach dem entsprechenden Teil suchte.

Es dauerte einige Minuten und einige Abstecher in die ihn umgebenden Gänge, bevor er fündig wurde. Da! Er stach mit dem Finger auf die Karte, dann suchte er hektisch nach dem richtigen Weg aus diesem Albtraum.

„Okay, los", murmelte er schließlich, beflügelt von einem winzigen Funken Hoffnung, der in seiner Brust flatterte.

Er brauchte trotzdem viel länger, als ihm lieb war, um aus diesem verdammten Labyrinth herauszukommen, und als er es geschafft hatte, hielt er nicht an, um zurückzublicken. Er eilte direkt weiter in den nächsten Tunnel, zog sich die provisorischen Stöpsel aus den Ohren und bereitete sich darauf vor, mit nur einer freien Hand durch das vibrierende Chaos zu kommen, das die nächste Höhle war.

Er hätte das Buch schrumpfen sollen, als er noch den nötigen Zauberstab dafür gehabt hatte …

Aber es war, wie es war, und er hatte auch keine Möglichkeit, das Buch an seinem Körper zu befestigen. Sein Hosenbund war zu eng, er trug keinen Gürtel und sein Hemd war bereits zu zerrissen, um es dort hinein zu stecken. Er musste es ohne Hilfe schaffen.

Und dann … wurde ihm auch noch die winzigste Chance unter den Füßen weggerissen.

Wortwörtlich.

Severus blieb am Eingang der Höhle stehen, plante seine Route auf die andere Seite und überlegte, wo er Halt finden würde.

In Anbetracht dessen, was die letzte Höhle getan hat, solltest du dich wohl darauf vorbereiten, dass es hier genauso kommen könnte …

Ach wirklich?, brummte er. Stell dir vor, das ist genau das, was ich tue, also hör auf mit deinen nutzlosen Tipps und sag mir, wie viel Zeit ich noch habe!

Sein älteres Ich brauchte zu lange, als dass die Antwort eine positive sein könnte, und so war Severus halbwegs vorbereitet, als sie kam: Zwanzig Minuten.

Er holte tief Luft. Zwanzig Minuten und noch zwei Höhlen und zwei Tunnel. Dann machen wir uns besser auf den Weg, murmelte er.

Severus griff nach einem Stalagmiten, bevor er seinen ersten Fuß in die Höhle setzte, und versuchte, sich gegen das bebende Chaos zu wappnen. Was auf dem Hinweg ein Erdbeben der Stärke vier oder fünf gewesen war, würde jetzt, da er versuchte, das Buch zu stehlen, vermutlich zu einem Beben der Stärke neun oder zehn werden.

Und das Gekreische des Dementors war auch nicht gerade hilfreich.

Trotzdem musste er es versuchen, und er musste sich verdammt noch mal beeilen!

Also betrat er die Höhle, bereit, durchgeschüttelt zu werden …

… nur um ein grauenhaftes Knacken zu hören, bevor die gesamte Höhle zu kippen begann.

„Oh, Sch…"

Er ließ das Buch los, er konnte es nicht verhindern. Seine Instinkte spielten ihm einen Streich und er brauchte einfach beide Hände, um sich an dem Stalagmiten festzuhalten, der sich gerade in einen Stalaktiten verwandelte, als seine Füße auf dem schrägen Boden wegrutschten.

„Was zum Teufel soll das?", schrie er und machte sich nicht mehr die Mühe, in Gedanken zu sprechen. Die verdammte Höhle stand jetzt fast senkrecht, verdeckte halb den Ein- und Ausgang, Felsbrocken und Geröll polterten umher und folgten der Schwerkraft – und der Dementor folgte dem Buch, das über den Boden glitt, gegen Felsen stieß, sich auf den Kopf stellte, auf und wieder zu klappte. „Scheiße!"

Dann tat er etwas, das fast so dumm war wie sich überhaupt erst in diesen Schlamassel locken zu lassen: Er ließ los.

Glücklicherweise hatte sich die Höhle inzwischen so weit gedreht, dass er nicht gegen ein halbes Dutzend Stalagmiten oder Stalaktiten oder was auch immer sie jetzt waren, prallte, sondern durch eine ganze Menge Nichts stürzte, bevor …

… er auf dem Dementor landete.

„Fuck, fuck, fuck …", keuchte er und versuchte, den Umhang fester zu packen und an diesem gewaltigen Bastard hochzuklettern, um ihn daran zu hindern, das Buch zu kriegen!

Der Dementor hingegen kreischte lauter und versuchte ihn abzuwerfen, rollte sich zusammen und drehte sich um sich selbst, offensichtlich gequält vom Patronus-Licht, das Severus immer noch ausstrahlte. Die Skeletthände griffen nach ihm, aber es gelang ihm, ihnen zu entkommen, und er duckte sich, als der Dementor anfing, an die Decke der Höhle zu trudeln, die jetzt der Boden war. Staub und Sand brannten in seinen Augen, ließen ihn husten und gerade, als das ohrenbetäubende Grollen der sich drehenden Höhle verklang, schlug der Dementor auf dem Boden auf – oder vielmehr auf dem Stalagmiten, der sich mittig durch seine Brust bohrte.

Oder war es immer noch ein Stalaktit?

Was auch immer es war, es schleuderte Severus vom Rücken des Monsters. Er prallte gegen einen Felsbrocken, etwas in seinem Rücken knackte ekelerregend und presste ihm die Luft aus den Lungen, und als er zu Boden glitt, wurde es still um ihn.

Das … war das absolut Dümmste, was ich jemals jemanden habe tun sehen.

Halt … die Klappe.

Er lag keuchend da für … nun, definitiv zu lange, bevor er vorsichtig versuchte, sich zu bewegen, unsicher, ob das Knacken in seinem Rücken etwas Schlimmes oder etwas wirklich Schlimmes gewesen war.

Aber er konnte seine Füße und Beine, seine Hände und Arme bewegen, also wahrscheinlich nicht allzu schlimm.

Was auch immer das in einer Situation wie dieser bedeutete …

Ist der Dementor tot?

Kann ein totes Ding sterben?, keuchte Severus zurück und rappelte sich langsam auf. Er schwankte, überkommen von einem plötzlichen Schwindelgefühl, und griff nach etwas, an dem er sich festhalten konnte. Hoffentlich würde das vorübergehen. Sein Rücken tat höllisch weh, aber das konnte er ertragen. Er musste … Wo ist das Buch?

Du solltest besser den Dementor fesseln, bevor du das Buch suchst. Du hast nur noch etwa vierzehn Minuten. Wenn er dir folgt, bevor du das Höhlensystem verlässt …

Ich weiß, hör auf mit deinen Vorträgen.

Severus blinzelte und ja, ihm war immer noch etwas schwindlig, aber er konnte den Stalagmit loslassen und näherte sich vorsichtig dem ausgeknockten Dementor. Es war leicht zu glauben, dass er tot war, aber Severus wusste es besser. Die gewaltige Dosis Patronus-Licht hatte ihn zwar außer Gefecht gesetzt, aber er war immer noch sehr lebendig und würde kein Problem haben, sich von dem Stalagmiten zu befreien, auf den er sich aufgespießt hatte, sobald er wieder zu sich kam.

Severus sah sich um, dann griff er nach dem schwarzen, zerfetzten Umhang des Dementors, riss lange Streifen davon ab und ging um das Wesen herum, bis er die Skeletthände erreichte, die unbeweglich auf dem Boden lagen. Er kreuzte eine über die andere, wickelte die Stoffstreifen herum und knotete sie so fest zusammen, wie er konnte. Dann nahm er die losen Enden und schlang sie um einen anderen Stalagmiten in der Nähe.

Mehr kann ich nicht tun. Also, das Buch …

Es muss irgendwo zu deiner Rechten sein.

Severus machte sich langsam auf den Weg zur rechten Seite der Höhle und hielt Ausschau nach dem roten Lederbezug.

Als er ihn endlich fand, war das Patronus-Licht bereits am Verblassen.

Verdammt …

Er holte das Buch, stöhnend und ächzend, weil bei jeder einzelnen Bewegung ein scharfer Schmerz durch seinen Rücken schoss. Aber er musste hier raus und so nah wie möglich an die nächste Höhle kommen, bevor es endgültig dunkel wurde. Die Feenlichter würden ihm genug Licht spenden, um nicht dasselbe Schicksal wie der Dementor zu erleiden, aber hier würde er in völliger Dunkelheit enden – und wahrscheinlich ohne Seele, bevor er den Weg nach draußen fand.

Warte!, rief sein älteres Ich, als Severus das Buch hatte und Anstalten machte zu gehen.

Was?!

Nimm noch ein Stück vom Umhang mit! Die Feenlichter werden wahrscheinlich durchdrehen, vielleicht bietet dir der Umhang des Dementors etwas Schutz.

Pure Verzweiflung, aber er musste nehmen, was er kriegen konnte. Also kehrte er zu dem Dementor zurück, der glücklicherweise noch immer nicht wieder bei sich war, und riss ein weiteres, viel größeres Stück des Umhangs ab. Es roch nach Verwesung und Depression.

Dann machte er sich endgültig auf den Weg und beeilte sich, die Höhle zu durchqueren, die Merlin sei Dank nicht beschlossen hatte, sich noch einmal auf den Kopf zu stellen und jetzt nicht einmal mehr bebte. Wer auch immer dieses Ding verzaubert hatte, hatte offenbar geglaubt, dass niemand einen Sturz aus solcher Höhe auf diesen Boden überleben konnte. Und ohne den Dementor hätte er es sicherlich auch nicht geschafft.

Sich mit den kläglichen Überresten seines Patronus-Lichts durch den nächsten Tunnel zu schlagen, war allerdings ebenfalls ein Himmelfahrtskommando. Und dass er nur eine Hand hatte, um sich zu orientieren, machte es noch schlimmer. Es gab eine Strecke von etwa zehn oder fünfzehn Metern, die er in völliger Dunkelheit zurücklegen musste, als der Trank endgültig seine Wirkung verlor und der sanfte Schein der Feenlichter noch nicht zu sehen war. Er schlurfte mit den Füßen über den Boden, tastete nach dem nächsten Stalagmiten und hoffte inständig, dass der Dementor noch nicht wieder zur Besinnung kommen würde.

Erst als er sich den Kopf an einem Stalaktiten stieß, erinnerte er sich daran, etwas Okklumentik zu benutzen, um einen klaren Kopf zu behalten.

Und schließlich stand er am Eingang der letzten Höhle, die er durchqueren musste, das Meer von grünlich schimmernden Kreaturen vor sich.

Irgendwelche letzten weisen Worte?, fragte er mit dem schlechtesten aller Gefühle im Magen.

Nein.

Severus schnaufte. Dann warf er den Umhang um sich, achtete darauf, das Buch damit vollständig zu verdecken, und ging auf die Knie, um unter den Feenlichtern hindurch zu kriechen.

Eine unbequeme Angelegenheit mit nur einer Hand. Er musste sich bücken und konnte nur hin und wieder nervöse Blicke auf das wogende Meer von Feenlichtern über sich zu werfen. Bis jetzt schienen sie nicht zu bemerken, dass er das Buch unter dem Umhang trug, der nicht seiner war. Schweiß prickelte an seinen Schläfen, ein Tropfen lief ihm langsam das Gesicht hinunter, ein anderer blieb an seiner Augenbraue hängen. Er zog die Schulter hoch, um ihn wegzuwischen, keuchte leise.

Abgesehen davon war das Scharren seiner Schienbeine und Knie auf dem Boden das einzige Geräusch, das die Stille störte – und nachdem er seit einer gefühlten Ewigkeit von einem kreischenden Dementor verfolgt worden war, war das irgendwie beunruhigend.

Bis – als hätte jemand seine Gedanken gehört und beschlossen, ihm einen perfiden Streich zu spielen – das Kreischen zurückkehrte.

Severus zuckte zusammen und warf instinktiv einen Blick über seine Schulter, als ihm das Herz fast aus der Brust sprang und Adrenalin seinen Körper flutete.

Fuck, murmelte sein älteres Ich.

Severus kroch schneller.

Was sowohl notwendig als auch eine dumme Entscheidung war, denn es blieb nicht unbemerkt. Die Feenlichter über ihm begannen sich zu regen und lauter zu summen, bevor sie in seine Richtung wogten.

Beeil dich!

Ich versuche es ja!

Aber er war noch etwa fünf Meter vom Höhlenausgang entfernt und das Summen wurde lauter, ein weiteres Kreischen hallte durch das System.

Scheiß drauf! Severus stand auf, tauchte seinen Kopf direkt in die Feenlichter und eilte zum Ausgang der Höhle. Ihm blieben vielleicht noch drei oder vier Minuten, bis der Dementor sich befreien würde, und von da an würde er noch eine weitere haben, bis er auf die gleiche Weise sterben würde wie Sirius Black, nur dass er die Welt außerdem zur Rückkehr des Ur-Dementors verdammen würde.

Das – durfte – nicht – passieren!

Der erste Stich fühlte sich an wie von einer Biene.

Der zweite auch.

Dann schwoll das Brennen an, bis sich seine Haut anfühlte, als stünde sie in Flammen. Er konnte nicht sagen, wie oft er danach noch gestochen wurde.

Severus stöhnte und zog die Schultern hoch, während er auf den Tunnel direkt vor ihm zusteuerte, die Zähne zusammengebissen gegen den pulsierenden Schmerz, der seinen Hals und seine Wangen versengte. Wie lange habe ich noch, bis ich anfange zu halluzinieren?

Ungefähr zwei Minuten.

Scheiße.

Er stolperte aus der Höhle und konzentrierte sich auf den letzten Teil dieser Katastrophe. Wie weit war es noch, bis er den Schleier erreichte? Würden zwei Minuten reichen? Er konnte den Verstand verlieren, wenn er wieder in der Kammer des Todes war, aber nicht hier.

Nicht – hier!

Er stolperte, schwankte, fiel, sein Kopf schwamm, Wände, Stalagmiten und Stalaktiten verwischten vor seinen Augen, formten sich zu unheimlichen Kreaturen und Angreifern, die unmöglich hier sein konnten, schrien ihn an, hoben Zauberstäbe.

Verdammt …

Und dann war da ein Flüstern in der Dunkelheit, ein leises Locken wie das Lied einer Meerjungfrau, er …

Konzentrier dich! Hör nicht darauf! Geh weiter! Du musst hier raus!

Richtig, raus … Er musste raus … raus …

„Komm her und sieh, was -"

Nein! Hör mir zu! Du darfst auf nichts anderes hören als auf meine Stimme, hörst du? Geh weiter! Du bist in Gefahr! Du musst dich beeilen! Da, direkt vor dir ist der Schleier! Du musst ihn durchqueren!

Der Schleier … genau …

Severus blinzelte, versuchte, klar zu sehen – und zuckte zusammen, als er einen Dementor direkt vor sich auftauchen sah, der sich hinter der schwachen Silhouette eines … War das ein Drache? Nein, kein Drache. Es war kalt und hart und -

Ein Felsbrocken, genau! Hier gab es überall Felsbrocken und … Scheiße, er fühlte sich so, so schwer und müde und …

Bleib wach! Und beeil dich!

Er blinzelte. Richtig. Schlafen war im Moment eine schlechte Idee. Irgendetwas an dieser Sache war … merkwürdig. Aber er konnte nur verschwommene Umrisse erkennen, und das Kreischen schmerzte in seinen Ohren, klang wie ein verdammter Hammer auf einer Kirchenglocke und die Glocke war sein pochender Schädel. Was zum Teufel musste er tun, damit das aufhörte?

Mir die Ohren zuhalten … Ja, das würde sicher helfen.

Doch als er die Hände hob, rutschte etwas aus seinem Griff und fiel auf seinen Fuß. „Au …"

Und dann hämmerte etwas auf seinen Kopf. Oder … in ihn hinein. Eine Stimme, die …

Das Buch! Du musst das Buch nehmen! NIMM ES!

Er stand da und presste die Augen zu.

„Severus … Komm her, ich habe schon so lange auf dich gewartet …"

Er sah sich um, blinzelte gegen die Dunkelheit an. War da … ein roter Fleck? „Lily?"

NEIN! Das ist sie nicht! Hört auf mich! Nimm das Buch!

Die Stimme schoss wie ein Peitschenhieb durch seinen Kopf und ließ ihn stöhnend die Augen wieder schließen. Was wollte er noch gleich …

DAS BUCH!

Genau …

Severus blinzelte und blickte nach unten, aber er konnte nichts sehen. Trotzdem schien es wichtig zu sein, also bückte er sich und … Ja, das fühlte sich an wie ein Buch.

„Ich hab's …", murmelte er kichernd.

Perfekt! Und jetzt los! Zum Schleier!

„Welcher Schleier?"

Der Schleier, der direkt vor dir liegt, du Vollidiot!

„Hey …" Das war unhöflich gewesen …

Aber er hatte das Gefühl, dass er trotzdem auf diesen unhöflichen Kerl in seinem Kopf hören sollte und nicht auf … nicht auf …

„Komm her zu mir, Severus, hier kannst du dich ausruhen und -"

Ein hoher Schrei ließ sie verstummen.

GEH! GEH! GEH!

Und das tat er. Stolperte erschrocken nach vorne, presste das Buch an seine Brust, als wäre es ein Schatz, und sein unsteter Blick war auf ein verschwommenes graues Ding vor ihm gerichtet, während das ohrenbetäubende Kreischen hinter ihm lauter und lauter wurde und -

Dann hörte es abrupt auf.

Mit einem Mal war es still.

Dann stürzte er einige Stufen hinunter und alles wurde schwarz.