Flugstunden — September 1971

Severus war auf Hogwarts im siebten Himmel. Der Sprechende Hut hatte ihn nach Slytherin geschickt und da war er mächtig stolz drauf. Lily, das Mädchen vom Spielplatz war zwar nun eine Gryffindor, aber sie verbrachten trotzdem viel Zeit miteinander.
Herrlich! Kein einziger Muggel weit und breit! Auf den Gängen war das Zaubern zwar untersagt, aber sobald es das erste Mal regnete, führte Severus vor größerem Publikum seinen Trockenzauber vor.
Das war ein Hallo. Viele Kinder, sogar aus richtigen Zaubererfamilien, hatten noch so gut wie gar nicht zaubern dürfen. Andere, über die rümpfte Severus natürlich die Nase, hatten bis vor ein paar Wochen noch nichts von Magie geahnt.
Tatsächlich wurde er sogar um seinen Besen beneidet. Er war mit einem Jungen aus Ravenclaw, der einzige Erstklässler, der einen besaß.

Hogwarts war für Severus eine völlig neue Welt und er war sich sicher, dass er diese Welt niemals wieder verlassen würde. Er würde irgendetwas ganz tolles machen, später und auf gar keinen Fall in der Nähe von Manchester in einem winzigen Reihenhaus leben. Und er würde auch auf gar keinen Fall so werden wie seine Mutter. So eingeengt.
Nein, er würde einmal sein eigener Herr sein.

Ungeduldig fieberte er der ersten Flugstunde entgegen, die leider erst in der zweiten Woche nach Schulbeginn stattfand. Aber die Zeit verging rasend schnell und schon war der langersehnte Nachmittag da. Es war ein sonniger, windstiller Tag. Der Unterricht fand auf einem flachen Stück Rasen, auf der gegenüberliegenden Seite des verbotenen Waldes statt.
Zusammen mit den Gryffindors.

Das war gut, weil er Lily immer wieder beruhigen musste, sie hatte Angst vorm Fliegen. Sie war erst einmal mit ihren Eltern zusammen geflogen und das in so einem Muggelgerät, das sich Flugzeug nannte. Kein Wunder, dass ihr etwas unwohl war beim Blick auf die ausgefransten Schulbesen, deren Reisig teilweise kreuz und quer in der Gegend herumstand.

Mit ein paar anderen Gryffindors jedoch war Severus so gar nicht glücklich. Potter und Black, die ihm im Zug schon unangenehm aufgefallen waren, prahlten in einer Tour, wie toll sie schon geflogen waren. Black gab immer wieder diese Geschichte zum Besten, wie er um ein Haar mit einem Düsenflugzeug zusammengestoßen war. Natürlich war er dem Flugzeug problemlos davongeflogen. Einen eigenen Besen hatte er aber nicht mitgebracht, wie Severus feixend feststellte.
Auch Potter hatte schon waghalsige Flugmanöver vollbracht und auch er hatte keinen eigenen Besen dabei.
„Das ist ein richtiger Sportbesen! Ein Nimbus 1000, der ist viel zu wertvoll um ihn mit herzubringen."
„Echt? Ein Nimbus?", Lupin und ein kleiner, fetter Junge namens Pettigrew schauten bewundernd zu ihm hoch.
„Natürlich", näselte Potter. „Meine Eltern kaufen mir nur das Beste!"

Severus verdrehte die Augen und Lily kicherte. Aber da kam zum Glück Miss Hibernia, ihre Fluglehrerin. Eine kleine, stämmige, rothaarige Hexe mit starkem irischen Akzent. Mit den Iren kannte Severus sich aus.
Lautstark lobte sie Severus' gepflegten Besen und er durfte die ersten Handgriffe demonstrieren und eine Runde vor fliegen. Der Ikarus benahm sich mustergültig und Miss Hibernia klopfte Severus enthusiastisch auf die Schultern, als er wieder gelandet war. Unwillkürlich wartete Severus darauf, dass sie sich im nächsten Moment eine Zigarette der Marke Double Happiness anzünden würde.
Das tat sie natürlich nicht, aber nach Ende der Stunde sprach sie Severus erneut an und ermutigte ihn, sich am nächsten Tag bei der Auswahl für das Quidditchteam einzufinden.
„Es hat noch nie ein Erstklässler die Aufnahme in ein Quidditchteam geschafft", protestierte Black leise, aber nicht leise genug.
„Das liegt daran, dass sich die meisten Erstklässler so ungeschickt anstellen wie Sie, Mister Black!", rief Miss Hibernia und die ganze Klasse lachte.

Severus schwebte und da brauchte er keinen Besen für. Er würde Quidditchspieler werden! Und wirklich zu den Ballycastle Bats gehen!
Er konnte lange nicht einschlafen. Versonnen betrachtete er sich das Bild seiner zukünftigen Mannschaft und Barny der Flederhund winkte ihm zu.

Der nächste Morgen war windig und kühl. Es sah nach Regen aus. Beim Frühstück kam Lucius Malfoy, der Schulsprecher zu Severus. Er machte zwar kein Hehl daraus, dass er es überraschend fand, dass ein Halbblut aus niederen Verhältnissen, wie er es auszudrücken pflegte, überhaupt irgendwelche Talente besäße, aber er war offensichtlich bemüht, sich gemeinsam mit Snape zu zeigen.
Er begleitete ihn sogar hinaus aufs Quidditchfeld, wo die Auswahl stattfinden sollte.

Dort herrschte schon ein reges Treiben. In ihren smaragdgrünen Umhängen sausten die Mitglieder des Slytherin-Quidditchteams durch den sturmgrauen Morgenhimmel. Es wurde ein neuer Jäger gebraucht, da Justin Ross seinen Abschluss gemacht hatte und nicht mehr zur Verfügung stand.
Außer Snape warteten noch vier ältere Jungs auf Robert Nilvah, den Kapitän des Teams. Der kam auch alsbald vom Schloss hergestapft. Severus argwöhnte, dass der Typ Trollblut in den Adern hatte. Er war der Hüter des Teams und Severus dachte spontan, dass sogar der Quaffel Angst vor diesem Typen haben musste. Selbst der Ikarus schnaubte leise.
„Bißchen schmächtig für'n Jäger", raunte Nilvah. „Aber die Hibernia hält große Stücke drauf ... was hast'n da für'n Besen?"
„Ein Ikarus C42", sagte Severus voller Stolz aber Nilvah spuckte nur aus und zuckte mit den Schultern.
„Wir machen hier Sport und bummeln nicht in der Gegend rum", blaffte er.
Der Ikarus schüttelte sich leicht, was Severus zu verbergen suchte.
„Dann fang gleich mal an, dann ham wir's hinter uns."

Enthusiastisch wollte Snape auf seinen Besen springen, aber das Fluggerät machte einen ungestümen Bocksprung, dass es ihn beinahe von den Füßen gerissen hätte.
Beim zweiten Versuch aber hielt der Besen still. Einzig ein summendes Vibrieren zeugte vom Unmut des Ikarusaber vermeintlich brav stieg er in die Luft. Ein wenig eckig zwar, aber es würde schon gehen. Wenn er erst bei den Ballycastle Bats wäre, dann hätte er natürlich auch einen Nimbus 1000. DerIkarus schlug einen jähen Haken, den Snape aber gut aussitzen konnte.
Philip Kiranim, der Sucher, zischte nur Millimeter an ihm vorbei, der Ikarus machte einen weiteren erschrockenen Hopser. Etwas blass um die Nase lenkte Snape ihn tiefer und in die Nähe von Nilvah, der nicht sehr begeistert aus der Wäsche guckte.

„Vielleicht klappts ja mit dem Quaffel", keifte er und mit einem Pfiff zitierte er Norman Retchir, einen der anderen Jäger des Teams, herbei und gab ein paar knappe Anweisungen.
Als sie wieder hoch in die Lüfte stiegen, flog Philip Kiranim nochmals dicht an Snape vorbei.
„Das ist kein Rennbesen, das ist 'ne Krankheit", zischte er boshaft, bevor er sich schnell entfernte.
Snape versuchte sich zu konzentrieren. So viel hing für ihn davon ab. Aber dann ging alles furchtbar schnell.

Norman Retchir warf den Quaffel eigentlich recht sanft, aber vehement duckte sich Snapes Besen unter der Flugbahn hinweg, sodass Severus keine Chance hatte, den Quaffel zu erreichen. Damit aber nicht genug. Der Ikarus schüttelte sich unwirsch und bog scharf nach links ab. In wildem Zickzack-Kurs und immer schneller werdend, fegte er hoch und immer höher.
Krampfhaft klammerte Severus sich am Griffholz fest um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dabei schrie er auf seinen Besen ein, aber der hörte nicht mehr auf ihn. Scheinbar ziellos brauste er durch die Gegend. Dann stockte er plötzlich und Severus hatte schon die Hoffnung, dass er zur Vernunft kommen würde, aber das Gegenteil war der Fall.
Ein gutes Stück entfernt schwebte Philip Kiranim, offensichtlich besorgt über das wilde Verhalten von Snapes Besen. Eben sah es so aus als wollte er sich nähern, da bäumte der Ikarus sich wild auf und mit einem wütenden Schnauben nahm er die Verfolgung auf. Kiranim sah die Gefahr und gab umgehend Fersengeld. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, wie schnell und wendig der Ikarus C42 war.
Allen Ausweichmanövern folgte Snapes Besen ohne Probleme. Severus blieb nichts weiter übrig als sich am Griffholz festzuklammern und die Augen gegen den immensen Fahrtwind zusammenzukneifen und das Beste zu hoffen.

Minuten später sah man schon einiges an Schaulustigen und Miss Hibernia auf dem Spielfeld. Die pfiff schrill durch ihre Trillerpfeife, aber das schien Snapes Besen nur weiter anzufeuern. Der war nun auf Höhe des gegnerischen Besens angekommen und mit einem weit ausholenden eleganten Schwung, kehrte er den verdutzt guckenden Philip vom Fluggerät.
Philip trudelte nach unten wie ein Blatt im Wind. Snapes Besen beschrieb noch einen großen Bogen um das ganze Stadion und ließ sich dann endlich wieder lenken, obwohl Severus gar keinen Drang verspürte sich der Menschenmenge zu nähern, die sich mittlerweile angesammelt hatte.

Mit hochrotem Kopf landete er neben Miss Hibernia und sah gerade noch, wie Philip Kiranim auf die Krankenstation transportiert wurde.
„Gut, ein Jäger, ein neuer Sucher, wer will?", fragte Robert Nilvah lakonisch. Von Lucius Malfoy war keine Spur auszumachen.
Miss Hibernia schnappte sich zuerst Severus' Besen.
„Das Teufelsding bleibt unter Verschluss! Und du ...", sie schenkte Severus einen langen Blick, „... ein bisschen Hof kehren wird dir guttun. Du hättest ihn umbringen können!"

Severus war viel zu betäubt um irgendetwas zu sagen. Mit hängenden Schultern schlich er zurück zum Schloss. Die Geschichte verbreitete sich in Windeseile und Severus war das Gespött der Schule.

An einem der nächsten Tage, Severus kehrte tapfer den Hof, liefen ihm Potter und Black über den Weg. Sie hatten zuvor mit purer Absicht den Dreck von ihren Schuhen auf dem bereits gekehrten Sandsteinplatten abgeklopft, da unterhielten sie sich über Quidditch.
Snape ignorierten sie geflissentlich.
„Die Tutshill Tornados sind toll!", sagte Potter.
„Was ist denn toll an dieser Gurkentruppe?", ereiferte Black sich. „Wenn ich nur dieses Hellblau sehe, wird mir schon übel."
„Immerhin hält Roderick Plumpton den britischen Rekord für den schnellsten Fang eines Schnatzes innerhalb eines Spiels."
Anscheinend kannte auch Potter Quidditch im Wandel der Zeiten.
„Bei Merlins Bart, das ist fünfzig Jahre her", lachte Black. „Die Ballycastle Bats, die sind wirklich cool! Die haben die Quidditch-Meisterschaft mittlerweile siebenundzwanzigmal gewonnen, außerdem haben sie die besten Umhänge und sie haben Barny, den Flederhund!"
„Jaja, du und dein Flederhund — lass uns gehen, hier stinkt's."
Beide warfen Snape einen gemeinen Blick zu und rannten hinein ins Schloss.

Dort am Schwarzen Brett in der Eingangshalle hing eine neue Bekanntmachung.

ENORM WICHTIGE BEKANNTMACHUNG

Ab sofort ist es Erstklässlern nicht mehr gestattet, einen eigenen Besen zu haben.
Noch vorhandene Fluggeräte sind umgehend Miss Hibernia oder dem Schulleiter auszuhändigen.
Die Eltern sind bereits informiert.
Dieser Erlass gilt bis auf Weiteres.

Die Schulleitung.

Ein Mitschüler aus Ravenclaw warf Snape einen besonders giftigen Blick zu, aber das konnte Snape auch nicht noch trauriger machen als er sowieso schon war.
Einzig Lily hielt zu ihm.
„Weißt du, ich finde Quidditch eh ganz schön bescheuert", sagte sie und Snape mochte sie immer mehr.
Die Postkarte mit den Ballycastle Bats hatte Snape weggeworfen. Wenn Black die gut fand, dann konnten sie nun wirklich nichts taugen. Ein Flederhund namens Barny — hatte man denn jemals schon einen solchen Blödsinn gehört?