10. Kapitel

Zu viel Nachdenken bereitet Kopfschmerzen.

(Trip On Love - Abra Moore)

Seit meinem überstürzten Abgang bei Edward sind einige Tage vergangen. Er hat versucht, mich anzurufen und sogar ein paar Nachrichten geschrieben. Er erklärte, dass er sich Sorgen macht und gerne wissen würde, was mit mir los sei. Außerdem könnte ich zu ihm kommen, wenn ich Probleme hätte.
Bei seinen verständnisvollen Worten fühle ich mich selber nur noch schlechter. Ich kann irgendwie nicht mit ihm sprechen. Ich übe mich gerade ein wenig im Verdrängen. Im Gegenzug muss man sich da doch die Frage stellen, seit wann ich eigentlich ein dermaßen kindisches Verhalten an den Tag lege, von meinen Verrücktheiten mal abgesehen. Ich sollte einfach mit ihm reden, vielleicht übertreibe ich viel zu sehr. Ich habe im Prinzip nichts gegen Romantik. Außerdem würde er ja nicht gleich einen Kniefall vor mir hinlegen. Das ist doch alles albern. Er weiß im Prinzip, wer ich war und wenn hatte er immer noch Tanya, die wäre sicherlich nicht abgeneigt, ihm Honig ums Maul zu schmieren.
Solche dämlichen Gedanken schwirrten mir die letzten Tage durch den Kopf oder ich versuchte damit vom Wesentlichen abzulenken. Keine Ahnung. Ratlosigkeit traf es wohl eher.

Aber jetzt treffe ich mich erstmal mit Rose. Sie hat heute frei und muss mir unbedingt die neuesten Ereignisse bezüglich ihr und Emmett mitteilen. Ich zog mir also eine blaue, eng anliegende Jeans an, dazu ein trägerloses Oberteil und ein paar hohe Schuhe. Meine Haare ließ ich offen, die waren heute mal wieder nicht zu bändigen.

Ich begab mich in das kleine Café an der Strandpromenade, in dem wir verabredet waren. Lächelnd kam mir Rose auch schon, sich von ihrem Stuhl erhebend, entgegen. "Hallo Bella, wie geht es dir?" Sie umarmte mich und als sie mich genauer betrachtete, runzelte sie argwöhnisch ihre Stirn. "Was ist los? Du bist doch sonst immer dermaßen gut gelaunt." fragte sie mit einem eindringlichen Blick. "Komm wir setzen uns erstmal und bestellen einen Kaffee, dann können wir reden." erwiderte ich ein wenig geknickt.
Verflucht, warum bin ich so mies drauf. Rose hatte Recht: Das war untypisch für mich. Liegt es daran, dass ich mich wegen meines dummen Verhaltens gegenüber Edward schuldig fühle? Ich meine, er hatte ja nichts falsch gemacht. Ich bin scheinbar einfach irre.

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Endlich hielt ich meinen Riesenkaffee in Händen. Ich brauchte das Koffein jetzt dringend, um wieder in die Gänge zu kommen. Die Tatsache, dass ich nicht arbeiten kann, hilft mir nämlich auch nicht gerade, nicht an Edward zu denken oder nicht über diese ganze Geschichte nachzugrübeln. Einerseits wäre es doch nicht schlimm, wenn ich ihn mag. Ich denke, ich konnte ihn bereits gut leiden. Was für ein lächerlicher Ausdruck, jedenfalls für mich: gut leiden. Ich schüttelte innerlich meinen Kopf. Halten wir fest: Er ist nett, davon abgesehen, dass er echt heiß ist. Aber was bedeutet das? Emmett mag ich ja auch, also hat das keine speziellere Bedeutung. Allerdings will ich Emmett auch nicht flachlegen. Er ist mehr der große Bruder, den ich nie hatte und mit dem man herrlich Blödsinn machen kann.
Ach verflucht, ich war in diesem Scheiß, vonwegen über Gefühle zu reden, eindeutig eine Niete. Ich sollte Rose fragen, die schien sich mehr damit auszukennen.
Sie trank gerade einen Schluck Kaffee und musterte mich verwirrt.

"Also wie läuft es mit Emmett?" fragte ich sie, lieber erstmal mit etwas Leichterem anfangen. "Ich glaube, dass du etwas viel Interessanteres zu erzählen hast und versuchst mir auszuweichen." erklärte Rose mit einem Lächeln, aber gleichzeitig hatte sie diesen Jedi-Blick drauf, mit dem sie versuchte, mich klein zu kriegen. "Okay, ich erzähle es dir, aber du fängst an. Ich brauche dazu einen zweiten Kaffee oder vielleicht sollte ich ihn das nächste Mal mit Schuss bestellen." Rose musste lachen, begann aber, mir von Emmett und ihr zu erzählen.
Sie hatten sich schon oft getroffen und konnten nicht die Finger voneinander lassen. An Roses verlegenen Kichern konnte man nur zu überdeutlich erkennen, dass Emmett scheinbar ein sehr guter Liebhaber ist. Ein Glück, dass sie nicht weiter ins Detail ging. Dafür ist Emmett doch zu sehr wie ein Bruder für mich. Ich will irgendwie nicht wissen, in welcher Stellung er es Rose besonders gut besorgen kann. Nein, auf keinen Fall.
Aber sie strahlte richtig und gestand mir sogar, dass es eine gute Idee war, mal aus ihrem klassischen Beuteschema auszubrechen. Mit roten Wangen gestand sie mir sogar, dass sie ihn wirklich gern hatte. Sie hatte sich eindeutig verknallt, aber mal sowas von.
Warum funktionierte es bei ihr so einfach. Sie hat auch keine Panik bekommen, als Emmett sie in ein romantisches Restaurant ausgeführt hat. Ich komme mir gerade ein bisschen erbärmlich vor.

"Also jetzt bist du dran, erzähl schon!" forderte mich Rose auf und bestellte mir bereits meinen dritten Kaffee. Wenn das so weiterging, würde ich heute kein Auge zubekommen, aber egal, nur her mit dem Zeug.
"Na ja, also... Es geht um Edward." setzte ich langsam an. "Das war mir auch schon vorher klar. Um wen sollte es sonst gehen?" warf Rose blitzschnell ein und bedeutete mir dann, eilig weiter zu sprechen. Ich beschrieb ihr auf ihre Anweisung möglichst genau, was vorgefallen war.
Dass wir uns leicht in die Haare bekommen, aber er mich dann zum Essen eingeladen, der Kuss im Laden und dann, dass ich bei ihm zu Hause plötzlich Panik bekommen hatte und geflüchtet bin und bis jetzt nicht auf seine Anrufe reagiert hatte.
Nun schien Rose angestrengt nachzudenken und fragte dann in ihrer besten Psychaterstimme: "Und du bist jetzt verwirrt? Aber sei ehrlich! Du hast dich über seine Einladung gefreut und nun musst du oft an ihn denken, oder?" Ich gab ihr ein verstehendes und zustimmendes Nicken, denn ja, er beschäftigt mich. Ich wollte wissen, was er denkt, ihn sehen, aber ich hatte keine Ahnung oder verdrängte, was dies bedeutete.
"Du vermisst ihn." stellte sie kurz fest und ich schüttelte, als ich aufblickte, den Kopf. Sie grinste und sagte: "Du kannst mich nicht täuschen, ich sehe es dir an der Nasenspitze an." War ich so leicht zu durchschauen oder was? Sah ich etwa so aus wie Rose, wenn sie an Emmett dachte? Irgendwie erschreckend.

"Ach, verdammt, dann vermisse ich ihn eben ein kleines Bisschen. Es ist eben interessant, mit ihm zusammen zu sein. Er ist irgendwie anders, davon abgesehen, dass Edward einen echt geilen Körper hat." Rose sah mich liebevoll und mit einem wissenden Blick an. Was war denn jetzt wieder? Ich hatte doch nur gesagt, wie es ist.

"Also ich würde sagen, dass du ihn sehr gern hast, du gern mit ihm zusammen bist, dich vielleicht sogar ein bisschen in ihn verknallt hast, aber das kannst du nur herausfinden, wenn du dich ihm stellst. Und was Edward betrifft, geht es ihm bestimmt genauso: Er mag dich, will Zeit mit dir verbringen, dich näher kennenlernen, und er macht das scheinbar über die romantische Schiene, sehr klassisch. Und wo ist jetzt noch mal das Problem?" fragte sie anschließend nach ihrer eigenen Einschätzung meiner selbst verursachten verfahrenen Situation.
Ja, wo war eigentlich das Problem? Keine Ahnung. Ich wollte es eigentlich nicht wissen. Könnte ich nicht wirklich einfach Zeit mit ihm verbringen? Ich denke, das würde ich wollen.

"Also dir ist sicherlich klar, dass er bestimmt auf die Monogamieschiene hinarbeitet. Das würde ich jedenfalls vermuten, aber du kannst es doch versuchen. Ich hatte eigentlich nie das Gefühl, dass du dazu nicht in der Lage wärst." sagte Rose, weil ich weiterhin angestrengt nachdachte.
Ja, das könnte ich. Ich hatte bis dato auch mit keinem anderen Kerl geschlafen, seit ich Edward kannte. Außerdem war ich vielleicht spontan, aber ich sprang nun nicht durch die Betten von ganz Amerika. "Ich denke, das wäre nicht das Problem, aber ich würde sagen, ich versuche vorauszudenken. Was ist, wenn das Ganze ernster wird? Er ist ja nicht der lockerste Typ." fragte ich skeptisch und Rose musste kurz auflachen. "Seit wann denkst du im Voraus? Du handelst doch sonst immer einfach drauf los und entscheidest, ohne groß nachzudenken. Also Bella, dieser Edward muss dir ganz schön den Kopf verdreht haben. So ein vorsichtiges Verhalten kenne ich gar nicht von dir." erklärte sie und ich warf ihr einen bösen Blick zu. So unorganisiert und freimütig war ich doch gar nicht, oder?

Okay, ich gebe es zu. Sie hat Recht, aber das hilft mir jetzt auch nicht weiter. "Und was nun?" fragte ich Rose skeptisch, weil ich das Gefühl hatte, keinen Schritt weitergekommen zu sein. Sie holte tief Luft und setzte ruhig an, mit ihrer Rede fortzufahren.
"Also halten wir fest: Ihr beide mögt euch, welche Überraschung. Du solltest eindeutig mit ihm reden und wenn es dir lieber ist, es langsam anzugehen, obwohl man bei eurem bisherigen Sex nicht von „langsam" sprechen kann, dann wird er es entweder verstehen oder nicht. Aber vorherrschend macht er sich Sorgen. Du solltest dich melden. Außerdem, falls du dich in einer Situation nicht wohl fühlst, dann sagst du es ihm. Sonst sprichst du auch immer frei von der Leber weg alles aus, was dir einfällt. Und wenn du unglücklich bist, beendest du es eben."

Sie hat Recht, verdammt, ich sollte mir nicht so viele Gedanken machen. Was ist denn nur los mit mir? Sonst bin ich doch auch nicht so verkrampft. Jetzt mal zurück zu den Wurzeln, Bella! Obwohl so weit dann lieber doch nicht.

Ich werde mich bei ihm melden, denn was konnte Edward schon tun? Einsperren würde er mich nicht, und wenn er etwas verlangte, was ich nicht wollte, könnte er mich einfach mal am Arsch lecken. Also Schluss mit diesem Rumgegrübel, das ist ja furchtbar. Ich mag ihn, na und. Das ist ja kein Verbrechen. Er sieht schließlich verflucht heiß aus. Ich sollte das machen, was ich will und weniger darüber nachdenken.

Ich stand abrupt auf, sodass fast mein Stuhl umgefallen wäre. Rose schenkte mir einen verwirrten Blick. "Ich gehe jetzt zu ihm und wenn er mich für verrückt hält, mir doch egal, da wäre er schließlich nicht der Erste." Rose grinste breit. "Und wie sehe ich aus?" fragte ich sie, denn das wäre durchaus von Vorteil. "Sexy, wie immer." sagte Rose und zeigte mir ihren Daumen nach oben. "Dann werde ich Mr. Cullen mal einen unverhofften Besuch abstatten, vielleicht kann ich ihn ein bisschen von seiner langweiligen Arbeit ablenken." erklärte ich mit einem diabolischen Lächeln auf den Lippen. "Ja, zeig es ihm, Schwester." sagte Rose begeistert.
Ich zwinkerte ihr zu und machte mich auf den Weg zu gehen, während ich ihr noch ein "Wir sehen uns, grüß Emmett von mir." entgegenbrachte. Als ich ging, rief sie mir noch hinterher, dass ich das Miteinanderreden aber nicht vergessen sollte. Und ich winkte ihr zu, dass ich sie verstanden hatte. Ja, ja, Reden, das mache ich schon. Worte formen, Lippen bewegen, das ist ja wohl nicht so schwer.
Gott, nachdem ich mich dazu entschieden hatte, zu ihm zu gehen, brannte ich richtig darauf. Es kribbelt förmlich in meinem Körper. Ich wollte wissen, was er denkt und seine Lippen wieder auf meinen spüren.