XXIII.
In der Halle wimmelte es nur so von Uniformen, viele graue und olivgrüne, die hin und her wanderten oder Schulter an Schulter zusammen standen – und eine einsame schwarze, die vor der Wohnzimmertür Aufstellung genommen hatte wie ein Wachtposten und mit einer ähnlich professionellen Regungslosigkeit dort ausharrte.
Wie blass Luke aussieht, dachte Leia, als sie die letzten Stufen der Treppe hinunter schritt und auf ihn zuging. Und so ernst…
Aber er sah nicht nur ernst aus, sondern geradezu melancholisch. Und als sie das bemerkte, wurde ihr zum ersten Mal bewusst, dass ihr Bruder in letzter Zeit ziemlich oft so aussah, wenn er nicht gerade Witze riss oder sich über irgendetwas aufregte: Melancholisch. Wehmütig. Fast schon trübsinnig.
Sie fragte sich, was ihn so sehr bedrückte. War es der Kampfeinsatz, zu dem er heute aufbrechen sollte? Leia wusste nicht genau, worum es bei dieser Kampagne ging – Luke durfte eigentlich gar nicht über solche Dinge mit ihr sprechen (und Vader hätte natürlich eher seine eigene Zunge verschluckt, als ausgerechnet sie in so etwas einzuweihen!). Aber er hatte immerhin eine Andeutung fallen lassen, aus der Leia die Schlussfolgerung gezogen hatte, dass es um eine groß angelegte Attacke auf irgendeinen M-Klasse-Planeten ging – irgendeine friedliche kleine Welt in der Nähe der Perlemianischen Handelsstraße, die bisher in aller Ruhe um ihre Sonne herum rotiert war, ohne dass das Imperium von ihr Notiz genommen hatte. Aber nun war diese Welt in den Brennpunkt der rücksichtslosen imperialen Expansionspolitik gerückt, was für ihre bedauernswerten Bewohner unweigerlich bedeutete, dass es mit Ruhe und Frieden aus und vorbei war.
Und Leia wusste auch, das ihr Bruder schon aus Prinzip nicht gerade glücklich war über Palpatines Eroberungssucht, diesen niemals nachlassenden Hunger, der durch nichts gestillt werden konnte und der jedes noch übrig gebliebene unabhängige Sternen-System der Galaxis zu verschlingen drohte. (Das war übrigens einer der wenigen Punkte, über die sich die Zwillinge ausnahmsweise völlig einig waren!) Aber es mochte trotzdem auch noch einen anderen Grund für Lukes Niedergeschlagenheit geben.
Sie dachte daran, wie verbissen sein Gesichtsausdruck gewirkt hatte, als er vorgestern zusammen mit Vader von einer Stippvisite im Palast zurückgekehrt war. Und später hatte Zonia (die übrigens viel netter und vor allem auch viel redseliger war als die hochnäsige Maalin!) ihr beim gemeinsamen Entwirren einer besonders aufwändigen Hochsteckfrisur erzählt, dass es zwischen Vater und Sohn keine zehn Minuten nach ihrer Heimkehr einen hitzigen Streit gegeben haben sollte. Und anschließend war Luke angeblich aus Vaders Büro gestürmt „wie von Furien gehetzt", um sich gleich darauf in seinem Zimmer einzuigeln, wo er den Rest des Tages vor sich hin gebrütet haben sollte, „ohne auch nur den allerkleinsten Mucks von sich zu geben". Er hatte nicht einmal den Hausservice angerufen, um sich dort ein Abendessen zu bestellen, was an sich schon ein alarmierendes Zeichen war. (Dem Personal entging so gut wie nichts und Zonia war sozusagen die emsigste Köchin in der ewig brodelnden Gerüchteküche!)
Auch Leia hatte ihren Bruder an diesem Tag nicht mehr zu Gesicht bekommen. Und als er am nächsten Morgen in einer ziemlich mürrischen Stimmung am Frühstückstisch erschienen war, hatte sie zu ihrer Überraschung (und zu ihrem hellen Entzücken!) gesehen, dass er sich den Bart abrasiert hatte, den er monatelang so liebevoll gehegt und gepflegt hatte. Jetzt sah er wieder aus wie ihr Luke und nicht mehr wie das Abziehbild seines Vaters – eine Entwicklung, die Leia durchaus begrüßte.
Und für sie bestand auch nicht der geringste Zweifel daran, wieso Luke sich ausgerechnet jetzt von seiner etwas strubbeligen Manneszier getrennt hatte – es war zu eindeutig, dass er in einer Art Rundumschlag nicht nur die versuchte Imitation von Vaders elegantem Kinnbart vernichtet hatte, sondern auch die Schablone, durch die jeder ihn zwängen wollte.
Der bedeutungsschwere psychologische Aspekt dieses Aktes entging übrigens niemandem: Leia schenkte ihrem Zwilling ein anerkennendes Strahlen. Padmé schlug erschrocken ihre Hand vor den Mund (sie war von dem Ergebnis von Lukes resoluter Rasierklinge ähnlich geschockt wie von Leias unvergesslich rigoroser Nagelschere!). Und Vader bedachte das trotzige Gesicht und die sichtlich ziemlich rabiat abgeschabten und entsprechend geröteten nackten Wangen seines Sohnes mit einem langen grimmigen Blick, ohne sich zu einem Kommentar hinreißen zu lassen.
Das gemeinsame Frühstück war danach in einem geradezu gespenstischen Schweigen verlaufen, weil kein Familienmitglied „auch nur den allerkleinsten Mucks" von sich gegeben hatte.
So standen die Dinge also momentan im Hause Vader und deshalb wunderte Leia sich auch nicht weiter darüber, dass ihr Bruder jetzt vor dem Wohnzimmer herum stand wie eine Statue, statt mit seinen Eltern und einer kleinen Auswahl von hochrangigen Lamettaträgern im Wohnzimmer zu sitzen und mit ihnen Tee zu trinken, wie er es bei solchen Gelegenheiten normalerweise immer tat. Jedenfalls wunderte sie sich nicht sehr…
Aber als sie ihn endlich erreicht hatte und vor ihm stehenblieb, sagte sie trotzdem: „Hallo! Was machst du denn hier draußen?"
Sie bekam zuerst nur ein gereiztes Achselzucken zurück, aber dann ließ Luke sich gnädigerweise doch noch zu einer Antwort herab, wenn auch nicht gerade in seinem liebenswürdigsten Tonfall.
„Was soll ich schon machen? Ich warte darauf, dass der große Boss endlich auftaucht und zum Abmarsch pfeift – so wie all die anderen auch."
„Deshalb musst du mir gegenüber aber nicht gleich so schnippisch werden, Bruderherz! Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen? Ich habe extra deinetwegen alle meine Termine heute morgen abgesagt, damit ich mich noch richtig von dir verabschieden kann."
„Oooh! Lady Vader die Zweite hat alle ihre Termine abgesagt – was für ein Drama!", erwiderte Luke sarkastisch. „Ich wette, jetzt sitzen ganze Völkerscharen herum und weinen sich deinetwegen die Augen aus. Deine Schneidermamsell und deine Kosmetiksalon-Tussi, dein Haarspliss-Spezialist und dieser komische Akupunktur-Massage-Wundermax, zu dem du dauernd rennst, oder wer auch immer..."
In jeder anderen Situation hätte seine offen gezeigte (und sehr unfaire!) Aggression Leia verletzt, aber nicht jetzt, denn sie verstand nur zu gut, dass dieser Ausbruch gar nicht ihr galt. Nicht wirklich...
„Du bist nicht auf mich wütend. Also lass deinen Frust auch nicht ausgerechnet an mir aus, Luke", sagte sie ruhig.
Widerstrebende Emotionen stritten sich in Luke (sein Gesicht spiegelte seinen inneren Kampf deutlich wider!), aber schließlich siegte seine Ehrlichkeit zusammen mit seinem Gewissen.
„Du hast Recht. Ich bin heute einfach mies drauf. Und das eben war schon ein bisschen unter der Gürtellinie... Entschuldigung."
„Entschuldigung angenommen. Aber du bist nicht nur heute so drauf. Was ist eigentlich mit dir los, Luke? Ist es, weil du bei dieser… Sache mitmachen musst? Oder ist da noch etwas anderes im Busch?"
„Es ist diese Sache. Aber da ist noch mehr – sehr viel mehr. Und mit dir hat es auch zu tun. Nur..."
Ihr Bruder schielte zu den Flotten-Offizieren hinüber, die sich inzwischen zu einer größeren Gruppe zusammengerottet hatten, und Leia begriff, dass dies kaum die geeignete Umgebung für eine private Unterhaltung war – und schon gar nicht für eine vertrauliche Unterhaltung.
"Nicht hier. Und nicht jetzt", fuhr Luke sehr viel gedämpfter fort. „Später. Wenn ich wieder nach Hause komme… Dann müssen wir zwei uns wirklich mal zusammensetzen und miteinander reden. Ernsthaft reden!"
Ein eisiger Luftzug schien Leia ganz unversehens anzuwehen – es war wie das Echo einer unaussprechlichen Warnung.
„Worüber reden?", fragte sie misstrauisch.
„Keine Sorge, es ist nicht so schlimm, wie du denkst. Noch nicht. Noch wissen sie nichts davon. Keiner von ihnen. Sie müssen es auch gar nicht erfahren, wenn du nur ein bisschen vorsichtiger bist."
Er weiß es!, dachte sie bestürzt. Er WEIß ES! Wie ist das möglich?!
„Keine Angst, Süße", raunte Luke ihr zu. „Ich werde alles tun, um dich zu beschützen. Ich werde dir alles beibringen, was du wissen musst. Und gleich als erstes werde ich dir zeigen, wie du dich besser abschirmen kannst. Das musst du unbedingt lernen."
„WAS?!"
„Ich schwöre dir, wenn ich dir erst mal ein paar Tricks gezeigt habe, werden sie es nie merken. Schließlich hast du sogar mich an der Nase herumgeführt – und das praktisch seit einer Ewigkeit, obwohl wir dauernd miteinander abhängen! Aber sie kriegen dich ja kaum zu Gesicht und deshalb werden sie dich auch nicht in die Finger bekommen, Leia. Ich lasse nicht zu, dass sie dich genauso an die Kette legen wie mich."
Leia, die inzwischen völlig den Faden verloren hatte, sah ihren Bruder nur an. Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach, spürte aber nach dem ersten verstörenden Augenblick immerhin ganz deutlich, dass Luke seinerseits keine Ahnung hatte, was ihre Absichten anging. Was auch immer er von ihr wollte, es betraf offenkundig weder Bail Organa noch ihre Spionagemission...
Das Gefühl der Erlösung, das sie angesichts dieser Erkenntnis empfand, war so abrupt und so stark, dass es sie beinahe überwältigte. Ihr Nervenkostüm war ohnehin schon ziemlich stark beansprucht. Der Stress, unter dem sie stand, seit sie zwei Wochen zuvor Organas Auftrag oder eher Hilfsgesuch erhalten hatte, machte sich allmählich bemerkbar, zumal sie seither in einer Endlos-Warteschleife hing. Sie konnte nichts unternehmen, wenn Vader zu Hause war – so lange ER hier in seiner Residenz herumspukte wie der legendäre blutrünstige Minotaurus von Rionn durch sein unterirdisches Labyrinth, würde sie keinen Finger rühren, Eile hin oder her!
Also wartete sie und zermarterte sich in der Zwischenzeit ihren Kopf über Strategien, wie sie sich möglichst unauffällig in sein Arbeitszimmer hinein schleichen sollte, sobald er endlich aus dem Weg war. Aber bis jetzt war sie damit noch nicht einen Schritt weiter gekommen. Es war nicht so leicht, in die Drachenhöhle einzubrechen, wie Bail Organa sich einzubilden schien...
Doch ihr Bruder sah sie bedeutungsvoll aus weit geöffneten, intensiven blauen Augen an und erwartete offensichtlich eine halbwegs sinnvolle Antwort von ihr.
Also sagte sie nach einem winzigen Zögern vorsichtig: „Das ... ist wirklich lieb von dir, Luke. Sehr, sehr lieb."
Jetzt bloß keinen Fehler machen!, ermahnte sie sich selbst. Nicht übertreiben. Und schon gar nicht einfach so drauflos plappern.
„Danke, dass du dich so um mich kümmerst. Du bist der Allerbeste!", sagte sie sanft.
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Stirn. Und das war offenbar genau die richtige Reaktion, denn nun atmete Luke sichtlich auf, wenn auch nicht ganz und gar. Leia fragte sich, was ihm so sehr auf der Seele lastete. Sie ließ in Gedanken noch einmal Revue passieren, was er gerade zu ihr gesagt hatte.
Sie sollen mich nicht so an die Kette legen wie ihn? Was meint er damit?
Nun, Luke lag garantiert an der Kette, wenn es um militärische Belange ging. Und dass Vader und der Imperator nur zu gerne an dieser Kette zerrten, lag klar auf der Hand. Aber das war nicht Leias Problem.
Doch dann fiel ihr wieder ein, was ihr Zwilling ihr noch zugeflüstert hatte...
Was will er mir zeigen, mir beibringen? Was für Tricks? Und was meint er mit besser abschirmen?
Und plötzlich kam ihr in den Sinn, dass Luke möglicherweise nicht nur wegen seiner eher widerwilligen Teilnahme an irgendwelchen Feldzügen zunehmend unter Druck geriet. Setzten Vader und der Imperator ihm vielleicht auch aus anderen Gründen zu? Ging es hier um bestimmte Erwartungen, die sie hatten, stellten sie ganz konkrete Ansprüche an ihn? Ging es hier etwa um diesen fanatischen Sith-Kult, dem sie huldigten, ging es um die Macht?
Aber falls ja, was hatte das mit ihr, Leia, zu tun? Gar nichts – oder vielleicht doch?
Sie setzte gerade zu einer Frage an, als die Wohnzimmertür aufging. Sämtliche Offiziere in der Halle standen mit einem Schlag stramm, knallten die Hacken zusammen und salutierten zackig, so dass schon klar war, wer da kam, noch bevor er überhaupt in Sicht war. Und schon stolzierte Vader heraus, Padmé im Schlepptau und gleich zwei Admirale in seinem Kielwasser.
Leia erkannte die drahtige kleine Figur von Piett, der seit kurzem die Todesschwadron kommandierte, zu der auch die Executor, Vaders Flaggschiff, gehörte. Den anderen älteren Offizier, der ihre Mutter gerade mit einem kriecherisch-schmeichelnden Wortschwall eindeckte, hatte sie noch nie zuvor gesehen, aber die kritisch hochgezogene Augenbraue ihres Bruders legte die Vermutung nahe, dass es sich bei dem Mann um Lukes aufgeblasenen Möchtegern-Vorgesetzten handelte – Admiral Ozzel.
Leia überlegte gerade, dass Ozzel genauso unsympathisch wirkte, wie Luke ihn geschildert hatte (ein wichtigtuerischer Stiefellecker, der nach oben hin buckelte und dafür nach unten hin austrat und auch sonst in jeder Lebenslage einfach unausstehlich war!), als der Admiral unerwartet Padmés Hand ergriff, sie hoch hob und seine Lippen direkt auf ihre Finger drückte, obwohl die Höflichkeit geboten hätte, ein paar luftige Zentimeter Abstand einzuhalten.
Seine Aktion erregte allgemeines Missfallen: Padmé entzog ihm ihre entführte Hand abrupt wieder, Luke runzelte die Stirn, Piett rollte unübersehbar mit den Augen und Vader fixierte den feisten Hals über dem Stehkragen von Ozzels Jackett mit dem konzentrierten Interesse eines schon sprungbereit zusammengekauerten Löwen, der gerade zu einem tödlichen Blitzangriff auf die Schlagader eines ahnungslosen Wasserbüffels ansetzte. (Was übrigens alle anderen Anwesenden prompt dazu veranlasste, in kollektivem Schrecken nach Luft zu schnappen – einige von ihnen umklammerten sogar reflexartig ihre eigenen Hälse beziehungsweise Luftröhren!)
Aber die befürchtete Sith-Revanche blieb aus – zumindest vorläufig.
Ozzel war borniert genug, die unmittelbare Bedrohung seiner körperlichen Unversehrtheit trotz der Nervosität seiner Untergebenen weiterhin völlig zu ignorieren. Er verneigte sich vor Padmé und trompetete pompös: „Es war mir eine Ehre, Mylady!"
„Ach ja? Wie schön für Sie!", sagte Padmé eisig.
Leia dachte, dass man ihrer Mutter eines lassen musste: Sie bewahrte immer Haltung, ganz egal, was man ihr zumutete.
Und sogar der Admiral merkte jetzt, dass er eine Grenze überschritten hatte. Er starrte Lady Vader die Erste (und Einzige!) an und wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
Doch Padmé drehte sich einfach auf dem Absatz um, ohne ihm oder den anderen auch nur einen Blick zu gönnen, und verschwand wieder in dem Raum hinter ihr, in dem ein Hausmädchen gerade ein Teeservice abräumte, das vor kostbarem Silber blitzte und vor edelstem Porzellan nur so strotzte. Die Tür wurde von derselben unsichtbaren Hand lautlos geschlossen, die sie auch geöffnet hatte (vermutlich der Butler, der dort lauerte und gleichzeitig das Hausmädchen bewachte!).
Allem Anschein nach hatte Padmé keineswegs die Absicht, vor dem uniformierten Publikum eine rührende Abschiedsszene zu veranstalten oder sonst eine herzergreifende Darbietung zu liefern – und es war nicht zu übersehen, dass einige der Herren von dem ausbleibenden Schauspiel etwas enttäuscht waren! Sie hatten etwas Melodramatisches erwartet, ein wahres Epos aus dem Hochadel. Sie wollten eine besorgte, aber immer noch sehr gefasste kaiserliche Hoheit in spe sehen, die sich diskret eine perlengleiche Träne aus dem Augenwinkel tupfte, während sie mit damenhafter und sehr nobler Zurückhaltung ihren Sohn und ihren Gemahl ein letztes Mal umarmte, bevor sie in den Krieg zogen. Aber die Ex-Hoheit von Naboo ließ sie sozusagen im Regen stehen, was durchaus für eine gewisse Ernüchterung sorgte.
Und für dieses eine Mal verstand Leia ihre Mutter vollkommen: Denn Luke hatte seine Umarmung und jedes damit verknüpfte Lebwohl mit Sicherheit schon Stunden zuvor in einem wesentlich persönlicheren Rahmen erhalten (und deshalb stand er jetzt auch da wie angewurzelt und machte keine Anstalten, Padmé nachzugehen!). Und Vader hatte längst keinen Anspruch mehr auf zärtliche Gesten – falls ihm solche Gesten überhaupt noch etwas bedeuteten.
Aber den Eindruck machte er auch gar nicht, denn als er nun vorwärts trat, sichtlich in Aufbruchsstimmung und gefolgt von seinen Admiralen, marschierte er sogar an seinem Sohn einfach vorbei, ohne ihn zu beachten.
Luke presste die Lippen zusammen und rührte sich nicht vom Fleck, während die Offiziere sich hastig in zwei ordentlichen Reihen formierten und ihren verschiedenen Anführern im Gleichschritt (oder vielmehr im Gänsemarsch) hinterher stiefelten.
Alle gingen hinaus, doch er blieb zurück. Sekunden vertickten, dehnten sich zu Minuten aus, ohne dass er Miene machte, sich in Bewegung zu setzen. Er zupfte nur mit einer Ungeduld, die fast schon offene Feindseligkeit ausstrahlte, an dem brandneuen Rangabzeichen auf seiner schwarzen Tunika, das ihn als Commander auszeichnete. Leia musterte den Doppelstreifen, der aus drei roten und drei blauen Quadraten bestand und fragte sich, ob er nun eine Auszeichnung oder eine Demütigung darstellte. (Beides war möglich!) Sie sah forschend zu ihrem Bruder auf, stellte aber keine Fragen. Sie konnte ohnehin alles auf seinem beweglichen Gesicht lesen, seinen Zorn, seinen Zwiespalt und eine neue, ungewohnte Zerrissenheit…
Doch da draußen auf dem Landedeck, wo vorhin noch mehrere Lambda-Fähren geparkt gewesen waren, wurde er natürlich bereits vermisst und es dauerte nicht mehr lange, bis Dhorany hereinfegte, um nach dem Ausreißer Ausschau zu halten.
Er sah verärgert aus, aber zugleich auch besorgt, was für die Zuneigung sprach, die er im Lauf der Jahre für alle seine Schützlinge entwickelt hatte, insbesondere für die jüngere Generation. (Übrigens gegen seinen Willen und im Widerspruch zu der distanzierten Niemals-Einmischen-Attitüde, die er ganz am Anfang an den Tag gelegt hatte. Doch diese entschlossene Ich-bleibe-auf-Abstand!-Haltung lag inzwischen weit hinter ihm – was ihn allerdings noch energischer auftreten ließ, wenn er es für notwendig hielt. Tatsächlich war Dhorany heutzutage das einzige Mitglied von Vaders Haushalt, das Luke immer noch wie einen 15jährigen behandelte, wenn es sein musste, obwohl er ihn jetzt immerhin siezte, um die Form zu wahren.)
„Was soll denn das, Luke?! Warum trödeln Sie hier herum? Lord Vader ist schon längst weg. Aber Admiral Ozzel wartet in seinem Shuttle immer noch auf Sie. Alle warten auf Sie. Wenn Sie jetzt nicht endlich an Bord gehen, kann die Warbride nachher nicht mehr rechtzeitig am Rendezvous-Punkt sein und alle kriegen nur wegen Ihrer Bummelei einen mächtigen Rüffel!"
Dass Dhorany es für unverzeihlich hielt, die Executor (oder eher ihren Chef!) auf saumselige Nachzügler warten zu lassen und gleichzeitig in Kauf zu nehmen, dass den mutmaßlichen Verantwortlichen wegen dieser Verspätung beinahe der Kopf abgerissen wurde (ein mächtiger Rüffel aus der Chef-Etage beinhaltete weit mehr als nur einen Tadel!), war nicht zu überhören, auch wenn er es nicht direkt aussprach.
Und Luke war sich natürlich darüber im Klaren, dass Dhorany Recht hatte, was ihn allerdings nicht daran hinderte, zuerst ein gequältes Aufstöhnen und dann ein lustloses: „Ja, ja, ich komme ja schon!", von sich zu geben.
Aber es war in der Tat Zeit, endlich auf Wiedersehen zu sagen.
Einem plötzlichen Impuls folgend, umhalste Leia ihren Bruder viel stürmischer als sonst. Und einen Moment lang hatte sie den wilden Wunsch ihn einfach festzuhalten, ihn bei sich zu behalten, ihn nie wieder loszulassen, denn…
Was ist, wenn wir uns nie wieder sehen?
… auf einmal hatte sie Angst, dass etwas geschehen würde, etwas Schlimmes, etwas Furchtbares, das sie vielleicht für immer voneinander trennen würde. Da war ihre Mission auf der einen Seite, ein Damoklesschwert, das nur von Seidenfäden gehalten über ihrem Kopf schwebte, ein Pulverfass, das jederzeit durch einen einzigen unvorhersehbaren Funken zur Explosion gebracht werden konnte. Und da waren die Unwägbarkeiten des Krieges auf der anderen Seite, die unvorstellbar verschlungenen Pfade des Schicksals, die Luke ebenso leicht zum Verhängnis werden konnten wie ihr.
Und Luke teilte ihre Ängste, ihre Befürchtungen, denn er umklammerte sie genau so heftig wie sie ihn, als ob auch er am liebsten mit ihr zu einer Einheit verschmolzen wäre, die durch nichts und niemanden mehr auseinander zu reißen war. Als wären sie zwei Quecksilbertropfen, die zusammenflossen, eine Dyade, die sich zu einem vereinigte, als wären sie die Teile eines Moleküls, das sich wieder verdichten wollte, das sich in ein einzelnes unspaltbares Atom zurückverwandeln wollte.
„Pass gut auf dich auf, ja?", wisperte Leia, ihre Stirn gegen das alberne Rangabzeichen auf seiner Brust gepresst.
„Ich werde es wenigstens versuchen. Und du auch, ja?", flüsterte Luke zurück. „Mach nichts, was ich nicht auch tun würde!"
Und wieder streifte ein winziges Erschrecken Leias Gedankenwelt wie die Schwinge eines Vogels den Wipfel eines Baumes.
Was geht nur in seinem Kopf vor sich? Hat er einen Verdacht? Eine Vorahnung?
„Was soll ich schon tun? Ich bin doch immer ein braves Mädchen", sagte sie leichthin.
„Nein, bist du nicht!", gab Luke mit unerwarteter Schärfe zurück. „Das warst du nie."
Und als Leia ihn nur wortlos anstarrte, fuhr er etwas milder fort: „Du bist schon immer am liebsten mit dem Kopf durch die Wand – obwohl du genau weißt, dass das für deinen Kopf gar nicht gut ausgehen kann."
Dhorany im Hintergrund räusperte sich diskret, aber mit einem Nachdruck, der verriet, dass er bereits über etwas drastischere Maßnahmen nachdachte.
„Wenn ich jetzt nicht gehe, wird er mich wahrscheinlich gleich über seine Schulter werfen und mich raus tragen", seufzte Luke mit einem Anflug von Ironie.
Und nach einer kleinen Pause, jetzt wieder todernst: „Ich wünschte, ich könnte dich einfach mitnehmen, Leia. Ich habe ein wirklich schlechtes Gefühl dabei, dich hier zurück zu lassen."
Also doch eine Vorahnung? Ob er wirklich … Ach, Unsinn!
Leia war beunruhigt, zwang sich aber trotzdem zu einem etwas angestrengten Lächeln. Sie wollte sich auf keinen Fall anmerken lassen, wie sehr Lukes sechster Sinn ihr zu schaffen machte. Falls es überhaupt so etwas wie einen echten sechsten Sinn gab...
Ach was! Niemand kann die Zukunft voraussehen. Niemand! Das sind alles nur… Hirngespinste. Alles wird gut!
Sie wiederholte es laut, halb um ihren Bruder zu beschwichtigen, halb um sich selbst zu beschwichtigen.
„Alles wird gut! Du wirst schon sehen", erklärte sie betont munter. (Die Schwierigkeit dabei war, dass sie selbst nicht daran glauben konnte. Nicht eine Sekunde!)
„Luuuke!"
Dhoranys Stimme hatte jetzt einen unmissverständlich drohenden Beiklang. (Womöglich war er tatsächlich kurz davor, Vader junior abzuschleppen wie ein ungezogenes Kind!)
Leia reckte sich erneut und küsste ihren Bruder noch einmal, aber dieses Mal auf seine seidig glatte Wange. (Was sie vermieden hatte, als besagte Wange noch unter stacheligen Stoppeln begraben gewesen war!) Dann gab sie ihm einen auffordernden kleinen Schubs.
„Geh schon. Geh!"
Luke Zeigefinger streifte zart über ihre eigene Wange und dann lächelte er auch, ein erstaunlich süßes und zugleich schmerzliches Lächeln. Es war ein herzzerreißender Anblick.
Und danach wandte er sich ab und ging auf und davon. Dhorany eskortierte ihn nach draußen, als müsste er sich vergewissern, dass Luke auch wirklich in Ozzels Shuttle stieg und nicht unterwegs noch einmal verloren ging.
Leia sah ihnen nach. Sie blieb in der Halle stehen, bis sie das Brausen der Triebwerke hörte, das den Start von Admiral Ozzels Fähre mit einem effektvollen Donnergrollen untermalte. Es klang wie das weit entfernte Dröhnen von abgefeuerten Kanonen. Es klang wie der Nachhall von Schlachtengetümmel und Tod…
Sie schauderte ein wenig, weigerte sich aber, den Schatten von Unheil zu akzeptieren, der plötzlich über diesen Tag kroch und sich darüber ausbreitete wie die schweren schwarzen Wolken einer nahenden Gewitterfront, beklemmend und ihren Atem abschnürend, während sich ihre Nase mit dem scharfen, beißenden Geruch von Ozon zu füllen schien.
Alles. Wird. GUT!, dachte sie eigensinnig.
Doch sie zauderte, bevor sie ihrerseits kehrtmachte, um sich wieder in die eher fragwürdige Sicherheit ihres Zimmers zurückzuziehen, wo sie weiter über der wichtigsten (oder sogar unerfüllbaren?) Voraussetzung ihrer Mission brüten würde.
Und nur deshalb bekam sie mit, wie Dhorany erneut hereinkam. Aber dieses Mal war er in Gesellschaft. Vortega klebte an seinen Fersen.
Leia war etwas erstaunt über die Anwesenheit des Fähnrichs. Sie war davon ausgegangen, dass Vortega Vader auf die Executor begleitet hatte – so wie alle seine Adjutanten. Aber nun trottete er hinter Dhorany her wie ein fügsames Hündchen und schien dazu entschlossen zu sein, den Captain nicht mehr aus den Augen zu verlieren.
Dhorany grinste ein wenig und zwinkerte ihr zu – und Leia hatte sofort den Verdacht, dass das nicht nur der erfolgreichen Verladung und Verschiffung ihres Bruders galt. Scheinbar musste heute nicht nur Luke in den sauren Apfel beißen und sich der Autorität des Captains beugen.
Vortega bestätigte ihren Verdacht, indem er ihr einen langen leidenden Blick zuwarf, der Bände sprach. Auch er war gerade eingefangen, sozusagen am Kragen gepackt und abtransportiert worden. Leia lächelte ihm verständnisvoll zu, was nicht ohne Wirkung blieb.
„Sie können jetzt gehen, Fähnrich. Wir sehen uns später", sagte Dhorany lässig, aber da war ein ironisches Funkeln in seinen Augen, das ebenfalls Bände sprach. (Ihm entging nämlich auch nichts – oder jedenfalls nicht sehr viel!)
„Ja, Sir!", schmetterte Vortega, doch er verharrte gerade noch lange genug, um Leia mit offener Anbetung (oder sogar schmachtend!) anzusehen, bevor er hastig davon trabte.
Dhorany wartete, bis er um eine Ecke verschwunden war, dann sagte er trocken: „Der Kleine ist schon so gut wie stubenrein. Aber er rennt mir immer noch gerne weg, wenn wir Gassi gehen, und es ist schrecklich mühsam, ständig hinter ihm her zu jagen. Was bei Fuß wirklich heißt, muss ich ihm erst noch beibringen. Ich hoffe, ich kriege das bald hin, sonst muss ich ihm noch eine Leine verpassen und ihn irgendwo anbinden."
Leia musste trotz allem lachen – sie konnte nicht anders. Dhoranys scharfgeschnittene Züge wurden weicher. Er hatte es geschafft sie aufzuheitern und genau das hatte er auch beabsichtigt.
„Luke wird ganz in Ordnung sein, wenn er erst mal wieder an Bord ist", sagte er. „Er ist dort nicht alleine, er hat Leute, die sich um ihn kümmern. Und Admiral Ozzel ist vielleicht nicht gerade der netteste Zeitgenosse, aber er wird ihn hüten wie seinen eigenen Augapfel. Luke wird nichts zustoßen. Er ist auf der Warbride vollkommen sicher.
Und was den Rest angeht… Krieg ist immer hart, Leia. Es ist schwer für junge Menschen, die noch so dünnhäutig sind wie Sie und Luke. Aber er wird sich daran gewöhnen. Er ist jetzt selber ein Offizier und irgendwann wird alles zur Routine. Ja, sogar das."
Oh nein! Nur das nicht!, dachte Leia entsetzt.
Denn es wäre unerträglich, dabei zuzusehen, wie ihr Bruder innerlich so verhärtete (so verrohte!), dass er eine so himmelschreiende Ungerechtigkeit wie einen brutalen, nicht provozierten Angriff auf eine friedliche Welt als Routine betrachtete.
Dhorany nickte ihr freundlich zu. „Alles wird gut! Sie werden schon sehen", sagte er aufmunternd.
Das kann kein Zufall sein! Das muss ein Zeichen sein...
Leia war wirklich ergriffen von diesem unverhofften Wink des Himmels. Und als Dhorany nach einem Gruß ebenfalls in Vortegas Richtung entschwunden war, schwebte sie wie auf Wolken die Treppe hoch, ohne es wirklich zu wahrzunehmen, denn sie war tief in Gedanken.
Fähnrich Vortega!, dachte sie träumerisch, als sie schließlich den Korridor entlang wanderte, der zu ihrem Zimmer führte.
Einer von Vaders Adjutanten... Einer, der möglicherweise sogar Zugang zu Vaders Refugium hatte... Und er himmelte Leia an...
Das ist es! Das IST es!
Leia hatte endlich einen Schlüssel gefunden.
Jetzt musste sie nur noch herausfinden, ob dieser Schlüssel auch wirklich in das Schloss passte, das sie damit zu knacken gedachte...
Und herausfinden würde sie es.
So bald wie möglich!
Fortsetzung folgt ...
© 2024 by Nangijala
