Ihre Füße trugen sie mechanisch hinter den beiden Professoren her. Sie bemerkte gar nicht, dass es in der Halle leiser wurde und die Schüler zu tuscheln anfingen, als sie hinter dem Schulleiter auf die Empore vor dem Lehrertisch stieg. Sie stand abwesend neben Dumbledore, als der das Wort an die Menge richtete. Sie bekam nicht mit, was er sagte, sondern war in ihren eigenen Gedanken gefangen. Dort unten saßen Harrys Eltern und deren Freunde. Sie würde mit Harrys Eltern zur Schule gehen. Sie würde sie kennenlernen. Was, wenn sich einer von ihnen in der Zukunft an sie erinnerte? In ihren Augen wäre das nicht unwahrscheinlich. Immerhin würde Remus Lupin sie sogar ein Jahr lang unterrichten. Und sie würde die Sommerferien vor ihrem fünften Jahr im Haus von Harrys Paten verbringen. Die beiden würden sie doch mit Sicherheit erkennen. Sie konnte nicht mit ihnen in einem Gemeinschaftsraum leben. Das ging nicht! Sie würde auffliegen! Oh, Merlin! Womit hatte sie das nur verdient?

Applaus brandetet auf und holte Hermine aus ihren Gedanken. Irritiert sah sie sich um und bemerkte, dass alle Schüler am Gryffindortisch applaudierten und auch teilweise aufgestanden waren, um einen besseren Blick auf ihre neue Mitschülerin zu haben. Dumbledore klatschte ebenfalls und deutete ihr nun zu ihrem Haustisch zu gehen. Hermine stieg steifbeinig von der Empore und lief auf den Tisch der Gryffindors zu. Sie hielt nicht an, als sie sich nach einem freien Sitzplatz umsah.

Plötzlich wurde sie am Arm gepackt und auf die Bank vor sich gezogen. Sie saß eingequetscht zwischen zwei großen Jungen, bevor sie überhaupt wusste, wie ihr geschah.

»Hi, ich bin James!« Der Junge links von ihr griff nach ihrer Hand und schüttelte sie enthusiastisch. Hermine drehte langsam den Kopf. 'Er sieht wirklich aus wie Harry', war ihr erster Gedanke, als sie ihren Sitznachbarn sah. Die Ähnlichkeit war verblüffend, erst jetzt verstand sie tatsächlich, was die anderen in ihrer Zeit gemeint hatten, wenn sie davon sprachen. Würden sie beide nebeneinander stehen, könnte man sie für Zwillinge halten und nicht für Vater und Sohn.

Jemand tippte ihr energisch auf die Schulter. »Krone, lass doch mal los!« Eine vermutlich zum Finger gehörende Stimme forderte James dazu auf.

»Klappe, Tatze«, erwiderte James und schüttelte weiter ihre Hand.

Aus dem Finger auf ihrer Schulter wurde nun eine Hand, die danach griff und versuchte, sie herum zu drehen.

Als Hermine den Kopf nach rechts wandte, mehr konnte sie nicht, da James ihre rechte Hand immer noch festhielt, wurde sie von einem strahlenden Lausbubenlächeln begrüßt. »Hey, ich bin Sirius. Sirius Black.« Er versuchte James' Hand von ihrer zu lösen, um sie dann in seine zu nehmen, aber der andere ließ einfach nicht locker.

»Wieso bist du nicht gestern schon hier gewesen?«

»Wieso bist du erst jetzt hier?«

Die Fragen wurden zeitgleich von links und rechts gestellt. Hermine wusste gar nicht, was hier genau passierte und fühlte sich überfordert.

»Jetzt lasst sie doch erst mal in Ruhe! Sie sieht aus, als wüsste sie gar nicht, was hier los ist!«, sagte ein braunhaariger Junge ihr gegenüber.

Die beiden Jungen links und rechts neben ihr warfen dem Dritten einen Blick zu, der wohl 'Halt dich da raus' bedeuten sollte, während sie weiter an Hermine zogen, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen.

»Potter! Black! Jetzt nehmt eure Griffel von ihr!« Eine resolute Stimme schaltete sich ein, die zu einem rothaarigen Mädchen ihr schräg gegenüber gehörte. 'Lily Evans', kombinierte Hermines Verstand. Der Junge ihr gegenüber musste Remus Lupin sein. Links daneben saß ein kleiner, dicklicher Junge, der schüchtern zu ihr sah. 'Pettigrew', meldete ihr Gehirn und sie musste sich stark zusammenreißen, keine Reaktion zu zeigen. James und Sirius ließen sie daraufhin zögernd los.

»Ich bin Lily Evans. Beachte die beiden Idioten gar nicht.« Das Mädchen lächelte Hermine herzlich an.

»Hey! Wir sind keine Idioten!« James warf der Rothaarigen einen geknickten Blick zu.

Sirius pflichtete ihm bei: »Genau, lass sie doch ihre eigene Meinung bilden, Evans!«

»Als ob sie das nicht schon längst gemerkt hätte«, sagte Lily schnippisch.

»Hältst du mich schon für einen Idioten?« Sirius hatte sich zu ihr gelehnt und flüsterte in ihr Ohr. Als Hermine zusammenzuckte, sagte er noch leise hinterher: »Das könnte ich mir nicht verzeihen!«

»Hör auf sie anzubaggern!«, sagte James und boxte seinem Freund hinter Hermines Rücken gegen den Arm.

Sirius schlug zurück und lehnte sich dabei an Hermines Rücken, weil er James' Kopf hatte treffen wollen.

»Jetzt hört doch mal auf!« Lupin hielt Hermine dann seine Hand hin. »Ich bin übrigens Remus. Und das hier ist Peter«, sagte er und deutete dabei auf seinen Sitznachbarn.

»Ich bin Jean Grant«, erwiderte Hermine dann auch endlich, als sie Remus' Hand schüttelte.

»Jean.« Sirius hauchte ihr ins Ohr, als wäre ihr Name etwas Anrüchiges. »Ein schöner Name für eine schöne Frau.«

Hermine zuckte wieder zusammen und hörte, dass Sirius daraufhin leise anfing zu lachen. Er lehnte sich noch ein Stück weiter zu ihr und wiederholte leise ihren Namen. Hermine spürte eine Gänsehaut ihren Rücken hinunter laufen. Sie versuchte sich etwas von Sirius weg zu lehnen, kam dadurch aber wieder näher zu James.

»Lass sie in Ruhe, Tatze.« Er legte schützend seinen Arm um Hermine.

Sie wusste immer noch nicht so recht, was hier überhaupt passierte. Sirius klebte wie eine Klette an ihr und James zog sie langsam näher zu sich.

»Jetzt lasst sie doch mal. Merkt ihr nicht, dass sie sich unwohl fühlt?«, mischte Lily sich wieder ein. James und Sirius sahen sie an, als wollten sie überprüfen, ob es stimmte, was die Rothaarige gesagt hatte, und rückten dann zum Glück ein wenig von ihr ab. Hermine saß immer noch eingepfercht zwischen ihnen, weil einfach der Platz fehlte, aber zumindest zogen sie nicht mehr an ihr herum.

»Wenn du möchtest, zeige ich dir nach dem Essen gerne den Gemeinschaftsraum. Damit du dich hier ab Montag, wenn der Unterricht losgeht, ein bisschen zurechtfindest. Es kann am Anfang ganz schön verwirrend sein.« Lily lächelte freundlich, als sie der Neuen das Angebot machte.

Hermine sah sie verwirrt an, es war doch Freitag, der Unterricht würde heute schon beginnen. Sie stellte diese Frage auch direkt.

»Professor Dumbledore hat eben, nachdem er dich vorgestellt hat, gesagt, dass der Unterricht erst am Montag beginnen wird«, erklärte Lily.

»Das ist aber ungewöhnlich«, sagte Hermine.

»Das ist manchmal so, wenn der erste Schultag auf einen Freitag fällt«, sagte Remus.

»Wir haben also Zeit, damit ich dir das Schloss zeigen kann.« Lily lächelte und biss von ihrem Toast ab.

»Das können wir auch machen«, meldete James.

Sirius nickte enthusiastisch. »Wir kennen das Schloss eh besser als Evans.« Beide sahen Hermine erwartungsvoll an.

»Ach, und ich kenne das Schloss also nicht, oder was, Black?« Lily verengte die Augen zu Schlitzen und sah ihn giftig an.

Sirius und James warfen sich über Hermines Kopf einen wissenden Blick zu, grinsen sich an und sagten dann gleichzeitig: »Nicht so gut wie wir!«

Lily stieß ein empörtes Seufzen aus. »Mir ist der Appetit vergangen. Jean, soll ich dir den Schlafsaal zeigen?« Sie stand von ihrer Bank auf und schaute Hermine abwartend an.

Hermine, die noch gar keine Chance gehabt hatte, etwas zu essen und eigentlich tierischen Hunger hatte, weil sie seit beinahe vierundzwanzig Stunden nichts mehr gegessen hatte, sah sehnsüchtig auf die gefüllten Teller. Sie wollte gerne etwas essen, aber sie wollte dieser Situation auch entkommen. Lily bot ihr einen Weg zur Flucht.

»Sie hat doch noch gar nichts gegessen, Evans«, beschwerte James sich.

»Ihr habt ihr ja auch gar keine Chance dazu gegeben«, merkte Remus an.

Hermine griff sich wenigstens einen Apfel und stand dann von der Bank auf. »Ich komme mit. Danke, Lily.« Sie folgte der Rothaarigen aus der Großen Halle.

Auf dem Flur drehte Lily sich zu Hermine. »Tut mir leid, aber Potter und Black sind einfach zwei arrogante Vollpfosten.«

»Schon okay…«, murmelte Hermine und lächelte Lily zaghaft an.

»Nein, es ist nicht okay. Du hast nicht einmal etwas gegessen. Sie sind solche Kindsköpfe. Ich rate dir, lass dich bloß nicht auf die ein. Black mag ja zwischendurch mal ganz charmant wirken, aber er hat vermutlich für jeden Wochentag eine andere Freundin. Und Potter meint, er könnte die Mädchen beeindrucken, indem er andere fertigmacht. Wie der Schulsprecher werden konnte, ist mir echt schleierhaft.«

Hermine sah Lily erstaunt an. Sie schien James absolut nicht zu mögen. Aber es hieß doch, dass die beiden schon während der Schulzeit ein Paar waren. Würde Lily ihre Meinung über James erst noch ändern? Wenn Hermine es heute beschwören müsste, würde sie sagen, dass es niemals klappen würde. »Du magst sie nicht, oder?«

Lily schnaubte genervt und verdrehte die Augen. »Sie sind Idioten.«

Hermine schwieg und ging neben der Rothaarigen her. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Schulsprecherin ihre Meinung noch so stark ändern würde. Sie fragte sich wieder einmal, was hier passierte. Hatte sie vielleicht doch eine parallele Zeitlinie erschaffen? Sie machte sich ernsthafte Sorgen.

Lily stieß sie leicht an der Schulter an. »Hey, was hast du?«

Hermine schreckte auf. »Oh… Nichts. Es ist nur alles so neu«, redete sie sich heraus.

Lily lächelte sie an und nickte. »Ja, das glaube ich. Das Schloss ist ganz schön groß und es muss sehr verwirrend für dich sein. So war es zumindest bei mir, als ich damals zum ersten Mal her kam. Es hat schon ein bisschen gedauert, bis ich mich zurechtgefunden habe. Aber das wird schon. Wir sind in einem Schlafsaal, ich helfe dir, dich zurechtzufinden.«

»Das ist lieb, danke.«

»Okay, was weißt du über Hogwarts? Damit ich dir nichts erzähle, das dich langweilt.« Lily zwinkerte ihr zu.

»Oh, also…« Hermine war sich bewusst, dass sie jetzt vorsichtig sein musste. Sie durfte nicht zu viel wissen. »Ich weiß, dass es vier Häuser gibt. Gryffindor, Ravenclaw, Hufflepuff und Slytherin. Die Häuser sind nach den Gründern der Schule benannt.«

»Genau, jedem der vier Häuser sind auch gewisse Eigenschaften zugeordnet. In Ravenclaw werden Intelligenz und Fleiß geschätzt. Die Tugenden in Hufflepuff sind Loyalität und Freundlichkeit. Slytherin steht für List und Ehrgeiz. Und Gryffindor vereint –«

»Tapferkeit und Mut«, rutschte es Hermine raus.

»Genau. Die Räume der Gryffindors und der Ravenclaws befinden sich jeweils in einem der Türme. Die Hufflepuffs und Slytherins haben ihre Gemeinschaftsräume in den Kerkern. Um 993 herum wurde das Schloss erbaut. Es gibt super viele Gänge, aber die Klassenzimmer sind alle relativ einfach zu finden. Welche Fächer hast du belegt?«

Hermine nannte ihre Wahlfächer und fragte Lily dann nach ihren.

»Dieselben außer Astronomie. Ich habe keine Lust auf Unterricht, wenn ich auch schlafen könnte.« Lily lachte kurz. »Ich habe zusätzlich noch Muggelkunde. Aber es freut mich, dass wir ansonsten die gleichen Fächer belegen. Dann haben wir zusammen Unterricht.«

»Oh schön, dann kenne ich jetzt wenigstens schon jemanden, mit dem ich Unterricht haben werde.« Hermine freute sich irgendwie darüber. Aber insgeheim hatte sie Angst davor. Sie würde Lily besser kennenlernen. Und sie mochte sie jetzt schon. Lily war nett und freundlich und schien das Herz am rechten Fleck zu haben. Wenn sie daran dachte, dass das Mädchen nur noch etwa vier Jahre leben würde… ihr wurde ganz schwer ums Herz.

»Wir sind gleich am Gemeinschaftsraum. Er wird von einem Porträt bewacht.«

»Wie ist denn das Passwort?«, fragte Hermine gedankenlos. Sie fühlte sich so wohl in Lilys Gesellschaft, dass sie vergaß, darüber nachzudenken, was sie sagte.

Lily sah Hermine irritiert an.

»Oh, ähm… Meine Eltern sind hier zur Schule gegangen. Sie haben mir ein bisschen von Hogwarts erzählt.«

Lily lächelte. »Oh, dann habe ich dir ja vielleicht doch Dinge erzählt, die du schon wusstest. Ich hätte dich ausreden lassen sollen.«

»Nein, nein. Wann das Schloss gebaut wurde, wusste ich zum Beispiel noch nicht«, log Hermine. Das war eines der Dinge, die sie schon gewusst hatte, bevor sie das Schloss überhaupt zum ersten Mal betreten hatte. Eine Geschichte Hogwarts' hatte sie ja quasi auswendig gelernt.

»Das aktuelle Passwort lautet Goldmarie«, informierte Lily sie. »Okay, wo waren wir? Ach ja. Die Unterrichtsfächer. Die meisten werden im ersten oder zweiten Stock unterrichtet. Die Klassenzimmer für Runen und Arithmantik sind im siebten Stock. Zaubertränke wird in den Kerkern unterrichtet. Kräuterkunde in den Gewächshäusern auf dem Schlossgelände. Der Astronomieunterricht findet im höchsten Turm des Schlosses statt.«

Sie waren inzwischen vor dem Porträt der Fetten Dame angekommen und Lily nannte das Passwort. Nachdem sie den Gemeinschaftsraum betreten hatten, musste Hermine sich bemühen, sich staunend umzusehen. Der Raum war in ihrer Zeit nicht wirklich unverändert. Das Einzige, was ihr auffiel, war, dass die Möbel noch nicht ganz so abgenutzt waren.

»Ich finde es hier ziemlich gemütlich. grade, wenn man es abends im Winter schafft, die Plätze am Kamin zu ergattern.«

»Oh, das kann ich mir vorstellen«, sagte Hermine. Träumerisch sah sie dort hin. Am Kamin war auch immer ihr Lieblingsplatz gewesen.

»Die Schlafsäle sind oben. Links die der Jungen und rechts die der Mädchen. Komm, ich zeige dir unseren, bevor Potter und Black hier auftauchen.« Sie zog Hermine mit sich nach oben. »Bei uns im Raum sind noch drei andere Mädchen, Alice Fortescue, Marlene McKinnon und Mary MacDonald. Marlene und Mary sind ganz in Ordnung, aber hängen meist nur zu zweit rum. Alice ist ganz nett, mit ihr könntest du dich gut verstehen.« Das klang für Hermine ganz so, als wäre Lily nicht wirklich mit ihnen befreundet, vielleicht aber mit Alice.

Es erinnerte sie ein wenig an sich selbst. Sie kam auch nicht wirklich mit ihren eigenen Zimmergenossinnen klar. Aber sie hatte Harry und Ron. Lily hingegen verstand sich aber nicht sonderlich gut mit James und Sirius. Vielleicht verstand sie sich mit Remus besser und hatte noch Freunde in anderen Häusern. Lily wirkte nicht wie eine Einzelgängerin auf sie.

»Oh, schau. Dein Koffer ist schon hier. Du kannst dieses Bett nehmen, das ist noch frei.« Lily zeigte auf ein Bett links neben der Tür. »Meins ist das daneben.«

Hermine sah den Koffer erstaunt an. Dumbledore dachte wirklich an alles. Wie hatte er das so schnell organisiert? »Ja, das ist mein Koffer«, sagte sie platt. Um sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen, ging Sie darauf zu und hievte ihn auf das Bett, um ihn dann zu öffnen.

»Du kannst deine Sachen in diesen Schrank räumen.« Lily klopfte im Vorbeigehen an eine Tür und setzte sich dann auf ihr Bett.

»Wo sind denn die anderen?«, fragte Hermine, um davon abzulenken, dass sie von ihrem Kofferinhalt überrascht war. Es war schon ungewöhnlich, dass die Mädchen nicht beim Frühstück gewesen waren, wenn Dumbledore doch eben erst bekannt gegeben hatte, dass der Unterricht noch nicht heute beginnen würde. Sie fing damit an, die Sachen in den Schrank zu räumen. Es waren mehrere Garnituren Schuluniform und auch einige Teile Freizeitkleidung. Einfache Unterwäsche und Socken waren ebenfalls vorhanden. Darunter fand sie ihre Schulbücher, Pergamente, Tinte und Federn. Und alles, was sie sonst noch so brauchte.

»Mary und Marlene sind wahrscheinlich noch beim Frühstück und Alice wollte vor dem Frühstück schnell in die Eulerei um ihrem Liebsten einen Brief zu schicken…« Lily klang zum Ende hin ein bisschen sarkastisch und verdrehte die Augen. Hermine sah sie irritiert an. »Frank hat seinen Abschluss im Sommer gemacht. Er war ein Jahr über uns. Die beiden sind seit letztem Jahr zusammen und hingen dann nur noch aufeinander. Ich finde es etwas übertrieben, dass sie ihm heute schon schreiben muss«, erklärte Lily.

Hermine sah sie verwundert an. Konnte das sein? Nevilles Eltern hießen doch Alice und Frank. Sie mussten etwa im Alter von Harrys Eltern sein. Konnte es sein, dass diese Alice Nevilles Mutter war? Ein komisches, unangenehmes Gefühl machte sich in ihr breit. Sie war hier und lernte diese Menschen kennen, wo Harry und Neville diese Chance verwehrt war. Sie fühlte tatsächlich ein schlechtes Gewissen in sich aufsteigen.

Plötzlich kam eine Katze miauend ins Zimmer geflitzt und sprang zu Lily aufs Bett. Diese vergrub sofort ihre Hände im Fell des Tieres und die Katze begann genüsslich zu schnurren. »Hallo, meine Kleine, hast du draußen wieder gejagt?«, fragte Lily die Katze. Das Tier ließ ein besonders tiefes Maunzen hören. »Das ist Ika, meine Katze.« Es war ein schönes Tier. Sie war hellgrau und weiß getigert. Drei der vier Pfoten waren ebenfalls weiß, die andere grau, als hätte sie vergessen, sich den vierten Strumpf anzuziehen. Die Schwanzspitze war auch weiß, wie der Pinsel eines Künstlers. Die Augen waren groß und gelb-grün gemustert. Es war ein zierliches Tier.

Die Katze beobachtete Hermine und ließ ihren Schwanz von rechts nach links zucken. »Das ist Jean, Sie wohnt jetzt auch hier«, sagte Lily zu der Katze, die daraufhin vom Bett sprang und auf Hermine zuging.

Diese hockte sich hin und bot dem Tier ihre Hand zum schnuppern an. »Hallo Ika.« Die Katze strich schnurrend an ihr entlang und sprang dann wieder zu Lily aufs Bett.

»Sie scheint dich zu mögen.« Die Schulsprecherin freute sich und lächelte Hermine herzlich an.

»Ich hatte auch eine Katze«, sagte Hermine und dachte dabei wehmütig an Krummbein, den sie jetzt schon schrecklich vermisste.

»Was ist mit ihr passiert?«

»Es war ein Kater, genauer gesagt ein Halbkniesel. Ich musste ihn leider zu Hause lassen.«

»Aber wieso hast du ihn denn nicht mitgebracht?«, fragte Lily überrascht.

»Äh… Wegen seines Kniesel-Anteils durften wir ihn nicht mit nach England nehmen. Irgendeine komische Klausel im Gesetz zur Einfuhr magischer Tierwesen. Er ist bei meiner Freundin untergekommen.« Sie hoffte, dass es vielleicht eine ähnliche Klausel gab, sodass ihre Lüge nicht auffiel. Sie musste wirklich besser aufpassen, was sie sagte!

»Stimmt, Professor Dumbledore sagte, dass du aus Amerika kommst, ich hatte das schon fast vergessen. Tut mir leid, dass du dein Haustier nicht mitnehmen durftest. Wie kommt es, dass du keinen amerikanischen Akzent hast?«, wollte Lily wissen.

'Oh, scheiße!' Amerikaner sprachen ganz anders als Briten. Und sie selbst sprach gehobenes britisches Englisch. »Ähm… meine Eltern stammen aus England. Sie haben auch keinen amerikanischen Akzent entwickelt. Ich schätze, ich habe es von ihnen übernommen.« Hoffentlich war das Erklärung genug für Lily und sie würde nicht weiter nachbohren.

»Oh, ja klar. Das klingt logisch.«

Hermine wurde bewusst, dass sie sich viel mehr Gedanken um ihre Biografie hätte machen müssen. Es würden vermutlich die Kleinigkeiten sein, wegen denen sie irgendwann auffliegen würde. Sie machte sich gedankenverloren daran, ihren Koffer weiter auszupacken, während Lily wieder mit ihrer Katze schmuste.

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Nächstes Kapitel:

Jean hat schon was vor