Am Abend saßen sie alle im Gemeinschaftsraum und Hermine hatte den Eindruck, dass Lily James gegenüber weniger Abneigung empfand als noch am Vormittag. Zumindest wies sie ihn nicht mehr ganz so häufig zurecht und lachte sogar ab und zu. Hermine schmunzelte. Würde sie tatsächlich miterleben können, wie die Rothaarige sich in den Schulsprecher verliebte?
Wehmütig dachte sie an Harry, er würde mit Sicherheit alles dafür geben, an ihrer Statt hier zu sein. Es würde ihm alles bedeuten, sie kennenzulernen. Aber sie war hier und sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie sich wohlfühlte. Sie war so herzlich aufgenommen worden, als hätte sie schon immer dazu gehört. Sie würde ihnen so gerne sagen, was in der Zukunft auf sie zukäme, aber sie durfte nicht. Sie durfte sie nicht retten. Es war einfach nicht fair. Wie sollte das erst werden, wenn sie länger hier war? Wenn sie ihr so sehr ans Herz gewachsen waren wie ihre eigenen Freunde? Wenn sie wüsste, dass einer von ihnen sterben würde, würde sie alles dafür tun, um es zu verhindern. Warum durfte sie es hier nicht?
Sie würde für Harry, Ron und Ginny alles tun. Harry wünschte sich so sehr, dass er seine Eltern hätte kennenlernen dürfen. Sie war hier und hatte die Chance, ihm diesen Wunsch zu erfüllen und durfte es doch nicht. Sie durfte die Vergangenheit nicht ändern. Aber war die Vergangenheit nicht zu ihrer Gegenwart und ihre Gegenwart zu ihrer Zukunft geworden, nur weil sie jetzt hier war? Es war eine so lange Zeit und ihre eigentliche Gegenwart lag heute in ferner Zukunft. Wenn sie wieder in ihrer Zeit wäre, dann wäre sie selbst ein anderer Mensch. Zwanzig Jahre veränderten, nicht nur äußerlich. Warum durfte sie nicht sagen, was sie wusste? Es war zum verrückt werden. Und es war verwirrend. Schon alleine der Umstand, dass sie hier von so vielen Menschen gesehen wurde, würde doch bestimmt eine Menge verändern. Ihre Gegenwart könnte doch jetzt schon nicht mehr die sein, die sie kannte. Oder doch? Sie traf hier auf so viele Menschen, die sie eigentlich erst viel später hatten treffen sollen. Das musste doch etwas verändern. Was würde da ein kleines bisschen mehr schon ausmachen?
»Hey, was ist denn los?« Sie spürte Sirius' Hand über ihre Wange streichen und wurde aus ihren Gedanken gerissen. »Warum weinst du, Jean?«
Erst da spürte sie es selbst. Sie wischte sich schnell mit dem Ärmel ihres Shirts über die Augen. »Ich… ich… ich habe an zu Hause gedacht.«
»Du vermisst es schrecklich, oder?«, fragte Lily einfühlsam und nahm sie in den Arm. Die anderen sahen sie betreten schweigend an.
Sie antwortete nicht darauf. Sie glaubte zusammen zu brechen, wenn sie es tat. Der Umstand, dass die Mutter ihres besten Freundes versuchte sie zu trösten, machte sie völlig fertig. Es war so unwirklich, dass Hermine bitter auflachen wollte.
Lily strich ihr beruhigend über den Rücken. »Mir würde es genauso gehen.«
Hermine löste sich von ihr. »Danke, aber es geht schon.« Die anderen sahen sie immer noch mitleidig an. Und als Remus etwas sagen wollte, unterbrach sie ihn. »Können wir über etwas anderes sprechen?«
»Was meint ihr, welchen Unterricht wir Montag als erstes haben?«, fragte Sirius und zwinkerte ihr lächelnd zu. Hermine sah ihn dankbar an.
»Hoffentlich etwas, was nicht so anstrengend ist«, piepste Peter.
»Ich hoffe auf Geschichte bei Binns, dann kann ich noch ein bisschen schlafen«, sagte James.
»Oh ja, das wäre gut.« Sirius klatschte mit seinem Kumpel ab.
»Du sollst doch nicht im Unterricht schlafen«, fühlte Hermine sich verpflichtet zu sagen.
Sirius lachte. »Du kennst Binns noch nicht. Er ist ein Geist. Und sein Unterricht ist so einschläfernd, dass es eine riesengroße Herausforderung ist, eben nicht einzuschlafen.«
»Er hält nur monotone Vorträge, die kein bisschen spannend sind«, setzte James hinzu.
Insgeheim stimmte Hermine den beiden zu, Binns war sehr monoton. Selbst sie hatte Schwierigkeiten, aufmerksam zu bleiben. 'Bis auf ein Mal', kam ihr in den Sinn. Warum sie gerade jetzt daran denken musste, war ihr schleierhaft. Es war in ihrem zweiten Jahr gewesen, als die Sache mit der Kammer des Schreckens passiert war. Sie selbst hatte sich gemeldet und Professor Binns gebeten, zu erzählen, was er darüber wusste. Erst hatte er es als Mythen und Legenden abgetan, aber dann hatte er sich breitschlagen lassen.
Sie setzte sich gerade auf. Spielte ihr Verstand ihr einen Streich? Es musste so sein! Sie musste es sich einbilden! Sie glaubte sich zu erinnern, dass der Professor sie an diesem Tag 'Miss Grant' genannt hatte, nachdem er ihren Namen vergessen hatte. War das Zufall? Sie würde hier auch bei ihm Unterricht haben. Hier war sie Jean Grant. Oder hatte sie diesen Namen unbewusst gewählt, weil sie ihn schon einmal gehört hatte? Aber was, wenn nicht? Was, wenn er sich an sie erinnerte und es verwechselt hatte? Aber das musste ja bedeuten… 'Oh mein Gott!' Das würde bedeuten, dass sie diese Reise machen musste, dass kein Weg dran vorbei führte! Aber warum, welchen Sinn hatte es?
»Jean?«
»Ja?« Sie schreckte wieder einmal auf.
»Wo bist du schon wieder mit deinen Gedanken, du siehst ganz entsetzt aus?«
»Ich… unwichtig.« Ihr fiel keine Ausrede ein.
Remus und James sahen sie skeptisch an.
»Wirklich?«, fragte Lily zweifelnd. »Du siehst aus, als hättest du den Grimm gesehen. Du bist ganz blass.«
»Es ist nichts, wirklich.« Hermine versuchte ein strahlendes Lächeln aufzusetzen. Es gelang ihr nur leidlich.
»Wir können nach oben gehen und reden, wenn du möchtest.« Lily schien immer noch nicht überzeugt.
»Danke, aber es ist alles in Ordnung«, antwortete Hermine.
»Wenn sie nicht drüber reden möchte, sollten wir das akzeptieren«, sagte Remus und lächelte Hermine aufmunternd an.
Sie beschloss, genauer darüber nachzudenken, wenn sie im Bett war. Sie wusste aber auch nicht, was sie jetzt sagen sollte, weil sie nicht wusste, worüber sich die anderen unterhalten hatten.
Sirius half ihr auf die Sprünge. »James hat dich gefragt, was dein Lieblingsfach ist.«
»Oh, ich… mag eigentlich alle Fächer. Aber wenn ich mich festlegen müsste, wären es, glaube ich, Arithmantik und Verwandlung.«
»Arithmantik?«, fragte James entgeistert. »Ernsthaft?«
»Ja, ich mag die Klarheit von Zahlen«, erklärte Hermine.
»Du bist mir unheimlich.« Der Schulsprecher schüttelte sich, als wolle er ein gruseliges Gefühl loswerden.
Hermine zuckte mit den Schultern. »Zahlen sind überall gleich.«
»Wo wart ihr denn den ganzen Tag?«, fragte plötzlich jemand hinter Lily.
Die Rothaarige drehte sich um und sah ihre Mitschülerin dort stehen. »Am See.«
»Ihr wart am See? Alle?«, fragte Alice überrascht und setzte sich neben die Rothaarige.
»Ja.«
»Du warst mit James und Sirius am See? Dass ich das noch erleben darf!«, sagte Alice theatralisch.
»Black war mit Jean im Schloss unterwegs«, erwiderte Lily, als wäre es völlig abwegig, dass sie irgendwo mit Sirius war.
»Also nur mit James?«, fragte Alice. Sie wackelte mit den Augenbrauen.
»Mit uns allen«, sagte Peter.
»Was ist daran so ungewöhnlich?«, fragte Hermine und fiel dabei in ihre Rolle als die Neue. Sie konnte ahnen, was daran so überraschend war.
»Ich erkläre es dir. Lily macht nie etwas mit den beiden. Niemals. Weil sie sie nicht mag. Deswegen bin ich überrascht, dass ihr hier alle zusammen sitzt.«
»Nur, weil Black Jean unbedingt das Schloss zeigen wollte. Ansonsten hätten wir was anderes gemacht.« Bockig verschränkte Lily die Arme vor der Brust.
»Schon klar. Und wie war es?«, wandte sich die Dunkelhaarige an Hermine.
»Interessant. Gibt ja super viele Räume hier im Schloss«, antwortete sie pflichtbewusst.
»Ja, selbst ich entdecke immer noch Neues«, sagte Alice lächelnd. »Und morgen lasst ihr mich nicht mit Mary und Marlene alleine. Ich habe absolut kein Bock mehr auf Diskussionen über Make-up.« Alice verdrehte die Augen und lehnte den Kopf zurück. »Davon habe ich für die nächsten hundert Jahre genug.«
»Jean und ich wissen noch nicht, was wir morgen machen wollen«, antwortete Lily. »Aber ich verspreche dir, wir wecken dich.«
»Und was ist mit uns?«, fragte James.
»Ich weiß doch nicht, was ihr morgen machen wollt«, sagte Lily. Ihr Tonfall machte klar, dass sie keine Lust hatte, den nächsten Tag wieder mit den Rumtreibern zu verbringen.
»Muss ich mich erst wieder mit Jean verkrümeln, damit du was mit James machst?«, fragte Sirius. »Das mache ich sehr gerne.« Er zwinkerte Hermine grinsend zu und meinte dann noch, dass er ihr ja diesmal die Ländereien und den Wald zeigen könnte.
»Bloß nicht!«
»Ich mit Jean alleine, oder du mit James?«, fragte der Schwarzhaarige provokant und wackelte mit den Augenbrauen.
»Ich glaube, das kann Jean für sich selbst entscheiden.« Lily warf Hermine einen kurzen, hilfesuchenden Blick zu.
»Na, wir zwei morgen?«, fragte Sirius.
»Wir können doch alle was zusammen machen«, sagte Hermine diplomatisch und sah, dass Lily etwas in sich zusammen sackte.
»Wenn ihr meint.« Die Schulsprecherin seufzte und Alice klatschte in die Hände.
»Das finde ich gut. Ich gehe jetzt schlafen, bis morgen«, sagte sie und verschwand nach oben. Die anderen verabschiedeten sich dann auch bald und alle gingen in ihre Schlafräume.
Als Hermine endlich im Bett lag, drehten sich ihre Gedanken wieder um Professor Binns. Warum hatte er sie 'Grant' genannt? War es nur Zufall? Eigentlich glaubte sie das nicht. Das wäre ein sehr eigenartiger Zufall. Bedeutete das also, dass ihre Reise in die Vergangenheit geschehen musste? Aber dann musste es doch einen Grund haben. Aber welchen? Oder war ihre Reise nötig, damit alles so geschehen konnte, wie es geschehen war? Sie hatte so viele Fragen, auf die ihr niemand eine Antwort geben können würde. Ein anderer Gedanke kam ihr in den Sinn. Wenn ihre Reise tatsächlich nötig war, bedeutete das, dass sie indirekt schuld am Tod Sirius Blacks war? Er kannte sie jetzt, und wenn er sie wiedererkannte, wäre es möglich, dass er nicht nur wegen Harry, sondern auch wegen ihr ins Ministerium käme, weil sie in seiner Schulzeit befreundet gewesen waren? Trug sie also vielleicht Schuld daran, dass Harry seinen Paten verloren hatte? Ihr wurde schlecht bei dem Gedanken und sie begann, trocken zu würgen.
Mit dieser Schuld würde sie nicht leben können. Sie dachte darüber nach, ob es irgendwelche Anzeichen gegeben hatte, dass er sie möglicherweise wiedererkannt hatte. Sie hatte ihn am Ende ihres dritten Schuljahres kennengelernt. Aber das war alles zu hektisch und aufregend gewesen, als dass sie jetzt noch wusste, wie er reagiert hatte, als er sie sah.
Remus war in dem Jahr als Professor in Hogwarts gewesen. Sie hatte ihn schon im Zug zur Schule getroffen. Er hatte geschlafen und sie sich zu ihm ins Abteil gesetzt. Er war aufgewacht, als Hermine das Abteil verlassen wollte, kurz bevor der Dementor kam. Als er sie angesehen hatte… war da ein Flackern in seinem Blick gewesen? Das Licht war schummrig gewesen, weil er nur eine kleine Flamme herbei gezaubert hatte, um das ansonsten dunkle Abteil etwas zu erhellen. Waren seine Augen eine Spur größer geworden, als er sie erkannt hatte? Oder interpretierte sie jetzt viel zu viel hinein, weil sie unbedingt den Beweis dafür finden wollte, dass ihre Reise in die Vergangenheit eigentlich schon geschehen war?
Das nächste Mal war sie im Sommer vor ihrem fünften Jahr persönlich auf Sirius getroffen. Sie hatte zusammen mit den Weasleys und Harry einen Teil der Ferien im Grimmauldplatz verbracht. Er hatte sie zwischendurch einfach so angelächelt, aber das hatte er auch bei jedem anderen getan. Und Remus hatte sie nicht anders behandelt als eine ehemalige Schülerin. Und dann an Weihnachten, da hatte sie den Schwarzhaarigen zum letzten Mal gesehen. Aber auch da, sie konnte sich nicht wirklich an Details erinnern.
Und im Ministerium war sie schon lange nicht mehr bei Bewusstsein gewesen, als der Orden eingetroffen war. Nachdem sie wieder aufgewacht war, war Remus im Krankenflügel gewesen und sie hatten sich kurz unterhalten und er hatte ihr gesagt, dass es ihm besonders leidtäte, dass Sirius gestorben war. Sie war immer davon ausgegangen, dass es ihm für Harry leidtat. Und für sich selbst. Aber was, wenn er sie damit eingeschlossen hatte? Oder wollte sie es nur so interpretieren, damit es einen Grund hatte, dass sie hier war? Es war paradox. Einerseits wollte sie, dass es einen Grund dafür gab, dass sie hier war, und andererseits fühlte sie sich schuldig, wenn es einen Grund gab.
Ihre Gedanken drehten sich im Kreis.
Sie war erst sehr spät eingeschlafen und als sie am Sonntag aufgewacht war, hatte sie das Frühstück schon verpasst. Es war schon beinahe Mittag, als sie in den Gemeinschaftsraum kam.
Direkt nach dem Aufwachen war ihr Gedankenkarusell wieder angesprungen und sie hatte sich erneut gefragt, ob es einen Grund hatte, dass sie hier war. Sie war alleine im Schlafsaal und saß minutenlang auf ihrem Bett, die Gedanken von links nach rechts drehend. Aber sie kam, wie schon in der Nacht, zu keinem Ergebnis. Das Einzige, das sie damit erreichte, war, dass sie sich absolut mies fühlte und sich verzweifelt wünschte, wieder in ihrer Zeit zu sein. Sie baute auf die Hoffnung, dass Professor Dumbledore einen Weg finden würde, sie zurück in ihre eigene Gegenwart zu bringen.
»Guten Morgen, Langschläfer«, wurde sie von Alice begrüßt, die mit den anderen im Gemeinschaftsraum saß.
»Hi«, nuschelte Hermine. »So lange zu schlafen ist eigentlich nicht meine Art. Ihr hättet mich ruhig wecken können.«
»Du scheinst den Schlaf aber gebraucht zu haben. Du bist von unserem Lärm jedenfalls nicht wach geworden«, sagte Lily.
»Hast du denn gut geschlafen?«, erkundigte sich Sirius.
»Ähm, ja. Habe ich«, sagte sie erschrocken davon, dass er sie angesprochen hatte.
»Wir wollen noch mal an den See und das Wetter genießen, bevor morgen der Unterricht wieder losgeht«, informierte Alice ihre neue Mitschülerin.
»Ja, klar. Warum nicht.«
»Aber erst nach dem Mittagessen«, sagte Remus.
»Das dürfen wir nicht noch mal verpassen.« Sirius grinste Hermine schelmisch an. »Und du hast doch bestimmt auch Hunger.«
»Nicht wirklich«, sagte Hermine. Ihre Sorgen lagen ihr schwer im Magen. Sie war sich sicher, dass es eher schlimmer als besser werden würde, wenn sie in dieser Zeit bleiben musste. Der Gedanke hier festzusitzen und nichts tun zu können, fraß sie von innen auf.
»Du kannst aber nicht noch das Mittagessen ausfallen lassen.« Lily musterte sie besorgt. »Ein bisschen was solltest du schon essen.«
»Genau, lasst uns mal runter gehen«, schlug Alice vor.
»Wie war es, in Amerika aufzuwachsen?«, fragte James und sah sie neugierig, als sie an ihrem Haustisch saßen und sich die Teller voll luden.
Fragend sah Hermine ihn an. »Ich schätze, genauso wie in jedem andern Land auch…«
»Nein, ich meine: Gibt es da auch eine Schule, wo alle hingehen oder hattest du Hausunterricht? Oder wie lief das?«
»Ach so, das meinst du.« Hermine dankte Merlin im Stillen, dass sie nur selten vergaß, was sie einmal gelesen hatte. Während des Trimagischen Turniers hatte sie sich etwas mit internationalen Zaubereischulen beschäftigt und wusste daher ein bisschen was über die Schulen in Amerika. »Ich bin in Ilvermorny zur Schule gegangen. Ist ein bisschen wie Hogwarts. Das Gebäude ist zwar viel kleiner, aber es ist ebenfalls ein Internat und man wird auch in eines von vier Häusern eingeteilt.«
»Das haben die sich bestimmt von uns abgeguckt.«
»Kann sein, die Gründerin war Irin.« Sie hatte tatsächlich gelesen, dass die Schule dem Schloss Hogwarts nachempfunden war. »Es gibt auch noch ein paar kleinere Schulen, aber wie die so sind, weiß ich nicht. Meine Eltern wollten von Anfang an, dass ich nach Ilvermorny gehe.«
»Sind deine Eltern auch auf der Schule gewesen?«
»Sie stammen aus England. Als ich vier war, sind sie nach Amerika gegangen. Ich bin also eigentlich Britin«, antwortete Hermine lächelnd.
»Na, dann sage ich doch: Willkommen zurück!« James strahlte sie an. »Warum sind deine Eltern nach Amerika gegangen?«
»Das war wegen der Arbeit.«
James nickte. »Und jetzt seid ihr wieder hier.«
»Schön, dass ihr wieder hier seid. So konnte ich dich kennenlernen. Sag ihnen danke von mir.« Sirius grinste sie verschmitzt an.
Hermine versuchte nicht darauf zu reagieren und aß stoisch etwas von ihrem Kartoffelbrei. Wenn noch mehr Fragen zu ihrer 'alten Schule' kämen, wäre sie aufgeschmissen. Sie wusste nicht, wie die vier Häuser hießen. Wenn sie gefragt wurde, in welchem Haus sie war, hätte sie keine Antwort darauf. Und sich etwas ausdenken, kam nicht infrage. Sie hätte vielleicht besser sagen sollen, dass sie auf einer kleinen, unbedeutenden Schule war. Sie verstrickte sich immer mehr in ein Lügengeflecht. Bald würde sie sich Notizen dazu machen müssen, was sie alles erzählte, damit sie nicht durcheinander kam, dachte sie zynisch und stopfte sich missmutig Brokkoli in den Mund.
»Wenn die Schule ähnlich wie Hogwarts ist, gibt es da dann auch Geister?«, fragte Lily.
»Ich bin zumindest keinen begegnet«, sagte Hermine diplomatisch. Sie hoffte, dass es dort tatsächlich keine gab.
»Treppen, die sich bewegen?«, fragte Sirius.
»Nein.«
»Und du hast da auch während des Schuljahres gewohnt?«, wollte Remus wissen.
»Ja. Nur in den Ferien bin ich nach Hause.«
»Und wie heißen die Häuser?«, stellte James dann die Frage, die sie befürchtet hatte.
Was sollte sie jetzt antworten? Das ließ sich bestimmt leicht herausfinden, wenn jemand sich dafür interessierte und etwas dazu nachlesen wollte. Sie konnte sich nichts ausdenken. Wenn sie jetzt log, gäbe es ein höheres Risiko, dabei ertappt zu werden. Sie musste die Frage irgendwie umgehen. »Ich…« Sie zögerte. »Können wir von was anderem reden?«, fragte sie und hoffte, dass sie dabei traurig genug klang. Für sie hörte es sich eher aufgesetzt und schrill an.
»Oh, klar. Ähm, tut mir leid«, sagte James und danach wurde es kurz still am Tisch.
»Echt mal, Krone. Wie würdest du dich fühlen, wenn du dein letztes Schuljahr woanders verbringen müsstest und man dich dann über Hogwarts ausfragt?« Sirius lächelte Hermine entschuldigend an und gab seinem besten Freund eine Kopfnuss.
»Ihr habt doch auch gefragt!« James sah seinen Kumpel vorwurfsvoll an.
»Schon gut… das ist nur alles so frisch… irgendwann mal, ja?«, bot Hermine an und schaffte es, wehmütig zu klingen, indem sie an Harry und Ron dachte.
»Okay, keine Fragen mehr zu deiner Vergangenheit«, stimmte James zu.
»Genau, wir schaffen dir neue Erinnerungen. Bessere!«, bekräftigte Sirius.
Und das war etwas, vor dem Hermine noch mehr Angst hatte als vor den Fragen zu ihrer Vergangenheit. Sie beteiligte sich nicht mehr sonderlich an dem Gespräch und hing ihren eigenen Gedanken nach. Sie wollte zurück in ihre Zeit. Könnte sie den Fehler mit dem Zeitumkehrer doch bloß ungeschehen machen. Je mehr sie diese tollen Menschen hier kennenlernte, desto stärker vermisste sie ihre eigenen Freunde. Sie hatte Spaß hier und fühlte sich genau deswegen schuldig. Sie vermisste Ron. Wenn er mit ihr hier wäre, dann hätte sie wenigstens einen Verbündeten. Jemanden, mit dem sie über alles reden könnte. Jemand, an den sie sich kuscheln konnte, wenn sie Trost brauchte, weil ihr alles so ausweglos erschien. Aber Ron hätte in seiner Trotteligkeit vermutlich auch schon viel zu viel verraten. Er konnte sich bei so was nur schwer zurückhalten. Er hätte bestimmt längst eine andere Zeitlinie erschaffen. Sie schmunzelte, als sie daran dachte, dass er es bestimmt als nächstes großes Abenteuer gesehen hätte. Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als die anderen aufstanden.
»Kommst du, Jean? Oder bist du noch nicht fertig?«, fragte Lily.
»Bin fertig«, sagte sie und schloss sich den anderen an.
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Nächstes Kapitel:
Du willst wieder bei uns sitzen?
