Als Hermine am Büro des Schulleiters ankam, ließ der Wasserspeier sie ohne Passwort vorbei. Sie stellte sich auf die Treppe und ließ sich nach oben tragen. Nervös klopfte sie an die Tür und wurde direkt hereingebeten. Professor Croaker und Professor Dumbledore saßen am Schreibtisch und sahen sie freundlich an.
»Bitte setzen Sie sich, Miss Granger.«
»Wie geht es Ihnen?«, fragte Croaker.
»Gut, denke ich«, sagte sie. Körperlich schien immer noch alles in Ordnung mit ihr, aber ihr Innerstes war völlig durcheinander geraten.
»Haben Sie irgendwelche Veränderungen an sich bemerkt?«, fragte er weiter.
»Nein, Sir. Ich fühle mich ganz normal.«
»Das freut mich zu hören«, sagte Dumbledore. »Nun sollten wir jedoch besprechen, wie viel in der Vergangenheit verändert wurde. Haben Sie noch mehr Ungereimtheiten bemerkt?«
»Ja, Sir. Was ist mit meinen Eltern? Harry und Ron erwähnten, dass der Orden nach ihnen suchen würde.«
»Das ist unterschiedlich zu Ihrer Erinnerung?« Nachdem Hermine genickt hatte, begann Dumbledore zu erklären. »Sie selbst haben im letzten Jahr, nach Ihrem sechsten Schuljahr, einen Erinnerungszauber auf sie angewandt. Infolgedessen vergaßen Ihre Eltern, dass sie eine Tochter haben und sind nach Australien ausgewandert.«
»Daran erinnere ich mich. Ich wollte sie schützen«, unterbrach Hermine.
»Als der Orden sich um den Schutz Ihrer Eltern kümmern wollte, hatten Sie es schon getan, ohne jemanden in Ihre Pläne einzuweihen. Wir hielten es für das Beste, es vorerst so zu belassen und suchen seit dem Sommer nach ihnen, um sie zurück zu holen und ihre Erinnerung wieder herzustellen.«
»Sie wollen sie zurückholen?«, fragte Hermine mit Tränen in den Augen. Sie hatte nie gedacht, dass sie ihre Eltern je wieder sehen könnte. Wenn sie sie wiedersehen würde… das wäre das größte für sie.
»Ja, wir haben aber nach wie vor keine Spur von ihnen. Sie waren sehr gründlich, Miss Granger.«
»Danke, dass Sie versuchen sie zu finden«, sagte Hermine gerührt.
»Nun, was ist Ihnen noch aufgefallen?«
»Sie leben. In meiner Erinnerung sind Sie am Ende meines sechsten Schuljahres gestorben.«
»Das bin ich hier auch. Gewissermaßen. Am Ende Ihres sechsten Schuljahres kamen Todesser ins Schloss. Professor Snape sprach den Todesfluch auf mich. Wir hatten es so geplant, damit ich für einige Zeit von der Bildfläche verschwinden konnte. Der Fluch tötete mich nicht, weil der Wille zu morden nicht dahinter stand. Ich hielt mich dann im Hauptquartier des Ordens bedeckt.«
»Oh.«
»Woran erinnern Sie sich stattdessen?«, wollte Dumbledore wissen.
»Quasi genau dasselbe. Nur dass Sie sich ein Jahr vorher unbeabsichtigt selbst vergiftet hatten und Ihren Tod mit Professor Snape zusammen geplant haben.«
»Bedauerlich«, sagte Dumbledore. »Seien wir froh, dass es nicht so gekommen ist.«
»Warum war ich im letzten Schuljahr nicht hier?«
»Nach meinem vermeintlichen Tod wurde Voldemort aktiver. Er besetzte das Ministerium und riss sich auch die Schule unter den Nagel. Wir hielten es für besser, Mister Potter aus der Schusslinie zu ziehen und Sie als Muggelgeborene hatten keinen Platz mehr auf Hogwarts unter dem Regime Voldemorts. Mister und Miss Weasley wollten sich Ihnen beiden unbedingt anschließen. Sie haben das letzte Jahr im Hauptquartier des Ordens verbracht.«
Hermine runzelte die Stirn. Das war definitiv anders.
»Deckt sich das nicht mit Ihrer Erinnerung?«, wollte der Schulleiter wissen.
»Nein.«
»Was genau deckt sich nicht?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich es erzählen sollte«, sagte sie zögerlich.
»Wir müssen erfahren, was sich verändert hat«, mischte Croaker sich ein. »Sie sind die Einzige, die davon berichten kann. Wir werden es im Ministerium eh erforschen müssen, Sie würden uns die Arbeit erleichtern.«
»Okay… ich… ich war in dem Jahr mit Harry und Ron auf der Flucht. Wir haben die Horkruxe gesucht.« Hermine versuchte ihre Stimme so neutral wie möglich zu halten und achtete genau auf die Reaktion des Schulleiters, aber er behielt seine neutrale Miene bei. Sie konnte nicht abschätzen, was er dachte.
»Wie kam es dazu?«
»Sie hatten während unseres sechsten Schuljahres mit Harry gemeinsam nach ihnen gesucht. Nach Ihrem Tod sah Harry es als seine Aufgabe an, es zu Ende zu führen. Er war der Einzige, dem Sie von den Horkruxen erzählt hatten.«
»Das ist nicht so passiert.«
»Voldemort hat Professor Snape zum Schulleiter gemacht. Später erfuhren wir, dass er die ganze Zeit über Ihr Spion war und die Schüler, so gut er konnte, versucht hat zu schützen. Er starb bei der Schlacht.« Sie wusste nicht genau, warum sie gerade das wissen wollte. Sie hatte in der Vergangenheit ja noch nicht einmal wirklich etwas mit ihm zu tun gehabt. Aber sein Schicksal ging ihr trotzdem irgendwie nahe. In ihrer Erinnerung war er der Held im Hintergrund, ohne den sie niemals so weit gekommen wären. Auch wenn er als Lehrer ein schrecklicher Mensch gewesen war. Sie waren sich bis zum Schluss nicht sicher gewesen, auf welcher Seite er gestanden hatte. Aber das machte wohl einen guten Spion aus.
»Er war mein Spion. Wir hatten gehofft, dass Voldemort ihm nach meinem vermeintlichen Tod die Leitung der Schule anvertraute, was er auch tat. So hatten wir wenigsten noch ein klein wenig Kontrolle in Hogwarts. Professor Snape überlebte den letzten Kampf leider nicht.«
»Wann und wie ist Voldemort gestorben?«, wollte sie dann wissen.
»Am zweiten Mai dieses Jahres kam es zu einer Schlacht auf den Ländereien des Schlosses. Der Orden hatte alle Horkruxe gefunden und zerstört. Mister Potter stellte sich Voldemort.«
»War Harry ein Horkrux?«
»Ja.«
»Das deckt sich so ziemlich mit meinen Erinnerungen«, sagte Hermine erleichtert. Sie war so froh, dass sich das nicht geändert hatte. Davor hatte sie am meisten Angst gehabt. Aber ihre Schuljahre schienen etwas anders abgelaufen zu sein. »Gab es den Stein der Weisen in meinem ersten Schuljahr?«, fragte sie daher.
»Ja. Er lag hier im Schloss.«
»Haben wir danach gesucht?«
»Sie haben danach gesucht?«, fragte Dumbledore überrascht.
»Nicht direkt. Voldemort hatte einen Weg in das Schloss gefunden und wollte ihn stehlen. Harry wollte den Stein schützen, deswegen haben wir danach gesucht.«
»Mister Potter hat den Stein gefunden. Professor Quirrell, in diesem Jahr der Professor für Verteidigung gegen die Dunklen Künste, war bedauerlicherweise von Voldemort besessen.«
»Das deckt sich. Wurde in meinem zweiten Jahr die Kammer des Schreckens geöffnet?«
»Ginny Weasley kam in den Besitz des Tagebuches von Voldemort. Seine Erinnerung benutzte das Mädchen, um die Kammer zu öffnen. Sie selbst wurden versteinert. Niemand ist gestorben«, erklärte Dumbledore diesmal direkt etwas ausführlicher.
Hermine nickte, während sie zuhörte. Das war auch ihre Erinnerung an das Jahr. »Hatte ich in meinem dritten Jahr einen Zeitumkehrer?«, fragte sie.
»Ja, den hatten Sie.«
Hermine schloss kurz die Augen. Es war also so passiert, wie es passieren musste. 'Das ist gut', versuchte sie sich einzureden. Sie atmete durch. Es schien ganz so, als wäre das meiste so passiert, wie sie es kannte. »Das Trimagische Turnier in meinem vierten Jahr. War Harry ein Teilnehmer? Hat Voldemort am Ende einen Körper bekommen? Was war mit Professor Moody?«
»Ihr viertes Jahr war ein sehr turbulentes. Das Trimagische Turnier fand statt. Der Feuerkelch spuckte Mister Potters Namen aus. Offiziell war er ein Teilnehmer, aber wir haben ihn keine der Aufgaben antreten lassen.«
»Er musste antreten«, unterbrach Hermine. »Der Pokal in der letzten Aufgabe war ein Portschlüssel zu einem Friedhof, wo das Ritual zu Voldemorts Auferstehung stattfand. Sie brauchten sein Blut. Barty Crouch junior hatte sich als Professor Moody ausgegeben und dafür gesorgt, dass Harry das Turnier gewann.«
»Barty Crouch junior hatte sich tatsächlich mithilfe des Vielsafttrankes in Hogwarts eingeschlichen und war dafür verantwortlich, dass Mister Potters Name im Feuerkelch gelandet war. Mister Potter wurde kurz vor Ende des Schuljahres in Hogsmeade überfallen. Man hat ihm gewaltsam Blut abgenommen. Es wurde eine dunkle Gestalt dabei beobachtet, die direkt disappariert ist. Mister Potter hatte eine große Wunde am Arm. Wochen später wurden die ersten Gerüchte laut, dass Voldemort zurückgekehrt war.«
»Warum hat sich grade das verändert?«, fragte Hermine.
»Das kann man nie so genau sagen. Es erscheint uns manchmal nicht logisch, warum sich gewisse Dinge ändern und andere wieder nicht. Über so einen langen Zeitraum ist es nicht möglich, gezielt Dinge zu ändern, weil sehr viele Faktoren, die man gar nicht alle bedenken kann, dabei eine Rolle spielen. Seien wir froh, dass es anscheinend nicht so schlimm war wie in Ihrer Erinnerung«, erklärte Croaker.
»Ich versuche es«, sagte sie. Jetzt kam das Schuljahr, vor dem sie sich fürchtete. Sie wollte nicht danach fragen, aber sie musste es wissen. »Am Ende meines fünften Jahres war ich in der Mysteriumsabteilung im Ministerium. Harry hatte falsche Erinnerungen zugespielt bekommen, dass dort jemand gefoltert wurde. Der Orden kam uns zur Hilfe und jemand ist durch einen Torbogen gefallen und gestorben.« Sie formulierte es bewusst nicht als Frage. Wenn es genauso war, wollte sie nicht, dass Dumbledore zu viel erzählte, sie wollte es nicht noch einmal hören.
»Das ist passiert. Der Orden konnte viele Todesser festnehmen. Ein Ordensmitglied ist dabei gestorben. Voldemort selbst tauchte dann in der Eingangshalle auf und versuchte Mister Potter zu töten.«
Hermine nickte. Es war genauso passiert. Sie schloss die Augen und versuchte die Tränen zurück zu halten. Zitternd atmete sie ein und aus. Sie würde damit klar kommen. Sie hatte es ja gewusst. Es war keine Überraschung. Und doch war da dieser kleine Funke Hoffnung gewesen. »Zwei Dinge noch«, sagte sie bemüht ruhig. »Sind die Potters an Halloween 1981 angegriffen worden?«
»Ja. Er machte aus Harry unbeabsichtigt einen Horkrux, als Lily Potter sich für ihren Sohn opferte. Daraufhin verschwand er.«
Hermine nickte erneut. »Die Longbottoms?«
»Wurden ebenfalls an Halloween angegriffen, aber ihnen ist nichts geschehen. Allerdings wurden sie nach dem ersten Fall Voldemorts mit dem Cruciatusfluch gefoltert, weil seine Anhänger herausfinden wollten, wo er sich aufhielt. Sie haben sich nicht davon erholt und liegen auf der Janus-Thickery-Station im Sankt Mungos.«
»So, wie es sein soll…«, murmelte Hermine mit Tränen in den Augen.
»Es tut mir leid, Miss Granger«, sagte Dumbledore mitfühlend.
»Nein. Ich wusste es doch von Anfang an. Es ist gut, dass ich die Vergangenheit nicht zu stark verändert habe«, sagte Hermine flach.
»Aber trotzdem haben Sie sie kennengelernt. Sie haben sich einige Monate einen Schlafsaal mit Lily und Alice geteilt. Sie dürfen darum trauern, dass Sie zwei Freundinnen verloren haben. Für Sie war es schließlich erst gestern, dass Sie sie noch gesehen haben«, sagte Dumbledore einfühlsam.
»Dass… ich wusste, dass das passieren würde. Ich war darauf vorbereitet«, sagte Hermine. Sie wollte jetzt nicht anfangen zu weinen. Das konnte sie vielleicht tun, wenn sie alleine war. »Ich denke, das waren alle wichtigen Ereignisse«, meinte sie.
»Dann können wir froh sein, dass Sie nicht allzu viel verändert haben«, sagte Croaker. »Aber natürlich werden wir es noch im Detail erforschen.«
»Gut, wir sind froh, dass Sie es jetzt überstanden haben. Wenn Sie doch noch mehr Veränderungen feststellen, zögern Sie nicht und kommen Sie zu mir. Ich werde Ihnen dabei helfen, so gut ich kann. Sie sollten dann jetzt in Ihren Gemeinschaftsraum gehen.«
Hermine verabschiedete sich von Professor Dumbledore, dankte Professor Croaker und sagte: »Darf ich Sie darum bitten, dass Sie mir Ihre Ergebnisse zukommen lassen, wenn Sie Ihre Erkenntnisse mit dem Zeitumkehrer ausgewertet haben?«
»Das werde ich, Miss Granger. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie den Zeitdreher getestet haben.«
Hermine nickte den beiden Männern zu und dann fiel ihr noch etwas Wichtiges ein. »Sir! Der Grund für meine Nutzung des Zeitumkehrers war das Jahr auf der Flucht.« Sie sah ihn erschrocken und mit großen Augen an. »Wenn ich in dieser Zeitlinie diesen Grund nicht mehr habe… was passiert dann?«
»Seien Sie unbesorgt, die Vergangenheit hat sich mit Ihrer Rückkehr verändert. Vor Ihrer Reise, war sie das, das Sie erinnern. Deswegen haben Sie als einzige auch keine Erinnerung an die aktuelle Vergangenheit, weil Sie die Jahre quasi übersprungen haben. Da die Zeit immer gradlinig verläuft, gibt es nicht mehrere Versionen von Ihnen, die alle diese Zeitreise machen müssen«, erklärte Croaker. »Wenn Sie keinen Grund für Ihre Zeitreise haben, verschwindet Ihr jüngeres Ich einfach.«
Hermine sah ihn unverständlich an.
»Es ist schwierig, es zu erklären. Die Zeit ist ein sehr paradoxes Konstrukt. Deswegen ist es auch so schwer, sie zu erforschen. Die Zeit wird für Sie einfach weiter vorwärts laufen. Sie brauchen keine Angst haben, in einer Zeitschleife festzuhängen.«
»Aber um Sie zu beruhigen, wir konnten um kurz vor sechs heute Abend beobachten, wie Sie im alten Artihmantikklassenzimmer verschwunden sind und nicht wieder herauskamen. Sie hatten also trotzdem einen Grund«, sagte Dumbledore. »Zeitreisen sind gerade für unbeteiligte schwer zu verstehen, Miss Granger.« Dumbledore sah sie über die Gläser seiner halbmondförmigen Brille hinweg ernst an.
»Okay«, sagte sie nachdenklich. Dann verabschiedete sie sich von den beiden Professoren und ging in den Gryffindorturm.
Sie hatte also nichts Gravierendes verändert. Alles, was wichtig gewesen war, war entweder so gekommen oder auf andere Art und Weise eingetreten. Und mit allem anderen, was vielleicht anders war, würde sie schon irgendwie klar kommen. Sie fragte sich, ob es trotzdem so gekommen wäre, wenn sie doch mehr verändert hätte? Wenn sie Harrys Eltern gewarnt hätte. Aber dann hätte Harry niemals den Schutz seiner Mutter bekommen können. Und das hätte vermutlich alles geändert. Harrys Eltern hatten wirklich sterben müssen.
Aber hätte sie nicht wenigstens versuchen können, seinen Paten zu retten? Hat es Sirius' Tod wirklich gebraucht? Hätte Harry seine Stärke und Entschlossenheit nicht auch anders entwickeln können? Ihr Jahr auf der Flucht hat es schließlich auch nicht gebraucht. Vielleicht hätte sie versuchen sollen, wenigstens ihn zu retten. Dann hätte Harry immerhin noch ihn als Familie.
Aber wem versuchte sie hier eigentlich etwas vorzumachen? Sie vermisste ihn. Sie sehnte sich schrecklich nach ihm. Sie wusste, sie würde ihn nie mehr wiedersehen. Sie hatte sich verliebt und nun musste sie die Konsequenzen tragen.
Sie versuchte sich einzureden, dass sie eh keine Chance gehabt hätten. Wie es aussah, würde sie nicht altern und das machte sie einerseits überglücklich, sorgte aber auch dafür, dass Sirius, selbst wenn er noch leben würde, zwanzig Jahre älter als sie war. So hatte sie wenigstens noch ihre Freunde und stand nicht vollkommen alleine da. Es erleichterte sie ungemein. Auch wenn sie nicht mit ihren Freunden über das Erlebte würde sprechen können. Dumbledore hatte ihr zwar nicht direkt verboten, aber eindringlich nahegelegt, mit niemandem über ihre Zeitreise zu reden. So zumindest interpretierte sie einen letzten Satz.
Sie verstand es auch irgendwie. Sie konnte nicht abschätzen, wie Harry reagieren würde, wenn sie ihm erzählte, dass sie seine Eltern kennengelernt hatte. Zu Beginn ihrer Zeitreise wollte sie ihm noch alles erzählen, aber inzwischen war sie sich nicht mehr so sicher, ob es das richtige wäre. Im besten Fall wäre er nur eifersüchtig, im schlimmsten Fall… sie wollte nicht darüber nachdenken, was er tun würde, wenn er erführe, dass es Zeitumkehrer gab, mit denen man Jahre in die Vergangenheit reisen konnte. Harry konnte unglaublich impulsiv sein.
Völlig in ihre Gedanken versunken war sie am Gemeinschaftsraum angekommen. Harry, Ron und Ginny hatten tatsächlich auf sie gewartet und sahen sie nun erwartungsvoll an.
»Was wollte Dumbledore?«, fragte Ron.
»Es ging um meine Eltern. Sie haben immer noch keine Spur von ihnen und er wollte wissen, ob mir noch irgendwas eingefallen ist, das ihnen bei der Suche helfen könnte.« Sie setzte sich ans andere Ende neben Ron auf die Couch. Eigentlich hatte sie gehofft, dass das Lügen nun ein Ende haben würde. Aber da hatte sie sich wohl getäuscht.
Ron rutschte zu ihr und nahm sie in den Arm. »Sie werden bestimmt bald eine Spur von deinen Eltern finden«, sagte er und strich ihr über den Rücken.
Sie fühlte sich in dieser Umarmung unwohl. Für ihn war sie seine Freundin, aber sie hatte diese Beziehung für sich selbst schon längst beendet. Als sie geglaubt hatte, diese Beziehung wegen ihres Alters nicht weiter führen zu können, war ihr irgendwann auch klar geworden, dass sie ihn nur wie den Bruder liebte, den sie nicht hatte. Und doch scheute sie sich davor, ihm wehzutun. Sie beschloss am nächsten Tag in einer ruhigen Minute mit ihm zu reden.
Sie versuchte sich von ihm zu lösen und rückte etwas von ihm ab. »Ich bin müde. Ich gehe nach oben.«
»Okay, Gute Nacht, Mine«, sagte Ron und küsste sie zum Abschied. Hermine fühlte sich schlecht. Wieso küsste Ron sie ständig? Das hatte er doch sonst nie vor anderen getan.
»Ich komme mit hoch«, sagte Ginny und wünschte den beiden Jungs eine gute Nacht. Als die Mädchen in ihrem Schlafsaal waren, fragte sie: »Ist irgendwas los?«
»Was soll los sein?«, fragte Hermine.
»Du wirkst ein bisschen verwirrt.«
»Hm… ist bestimmt nur, weil wir wieder hier sind. Das Schloss sieht aus, als hätten wir hier nicht vor einem halben Jahr gekämpft«, sagte Hermine.
»Wieso sollte das Schloss anders aussehen?«
»Ich dachte einfach, man sieht, was wieder aufgebaut worden ist und nicht, dass man gar nichts davon merkt.«
»Wieder aufgebaut? Im Schloss ist doch fast gar nichts passiert«, sagte Ginny.
War es nicht? Was war denn dann passiert? Wo hatten die Kämpfe stattgefunden? War das Schloss diesmal gar nicht so sehr zerstört worden? Sie ärgerte sich, dass sie nicht genauer mit Dumbledore über die Schlacht und die letzten Monate gesprochen hatte. »Ich habe einfach gedacht, man würde es irgendwie sehen, dass hier etwas Entscheidendes passiert ist«, sagte sie.
»Was meinst du damit?«
»Ich weiß es nicht, ich habe einfach das Gefühl, dass etwas anders sein müsste.« Hermine hoffte, irgendwie aus diesem Gespräch heraus zu kommen.
»Die Jungs haben recht. Irgendwie bist du durcheinander, seit wir wieder hier sind. Gleich fragst du mich noch, warum wir uns einen Schlafsaal teilen«, sagte Ginny lachend.
Hermine musste zugeben, dass das eine gute Frage wäre. Hatte Dumbledore nicht gesagt, dass Ginny das letzte Schuljahr auch nicht auf Hogwarts gewesen war? Müsste sie dann nicht eigentlich die sechste Klasse wiederholen? So wie sie, Harry und Ron die Siebte?
Es war viel schwieriger, wieder zurück in ihrer Zeit zu sein, als sie angenommen hatte. Sie hatte nicht gedacht, dass es so schwierig war, mit diesen veränderten Kleinigkeiten umzugehen. Darüber hätte sie vielleicht auch mit Dumbledore sprechen sollen. »Warum bist du mit mir in einer Klasse?«, fragte sie in der Hoffnung, dass Ginny es als Scherz abtun und ihr genau aus dem Grund doch antworten würde.
»Mine!«, entrüstete die Freundin sich.
»War ein Spaß! Morgen ist das bestimmt wieder weg«, sagte Hermine und machte sich dann im Bad für die Nacht fertig. Sie hatte Angst vor dem nächsten Tag. Anscheinend gab es Dinge, die passiert waren, die sie nicht miterlebt hatte. Sie wollte nicht von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpern. Sie hoffe, dass sich das schnell wieder legen würde und sie sich zurechtfand.
Als sie im Bad fertig war, zog sie ihr Nachthemd an, dabei fielen das Buch und das Geschenk von Sirius aus ihrer Tasche. Sie nahm beides hoch und sah die Sachen einfach nur an. Sirius hatte gesagt, sie solle das Geschenk erst öffnen, wenn sie wieder in ihrer Zeit war. Das war sie jetzt, aber sie wollte es nicht im Badezimmer öffnen. Sie wickelte die Sachen in ihren Umhang und ging dann zu ihrem Bett. Heimlich verstaute sie beides in ihrem Nachtschränkchen und legte sich dann schlafen.
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Nächstes Kapitel:
Da kann ich mich gar nicht dran erinnern
