„Das ist sehr schön geschrieben, respektvoll und klar, aber auch ein bisschen förmlich. Ob er auch leidenschaftlich sein kann?", fragte sich Hermine, während sie das dicke Pergament zwischen den Fingern drehte und abwesend ihre Unterlippe mit den Zähnen malträtierte. Krummbein sah abwartend von seinem kuscheligen Platz am Kamin zu ihr herüber und schnurrte leise in der Wärme des Feuers. Ein Geräusch, das Hermine schon immer beruhigt hatte und ganz unmerklich entspannte sie sich etwas und lehnte sich in ihrem Ohrensessel zurück. Was hatte sie schon zu verlieren? Im Zweifelsfall einen verlorenen Abend und vielleicht…ihr Gesicht? Seit dem Tod Voldemorts war sie bekannt wie ein bunter Hund, genau wie Harry, und konnte nun endlich nachvollziehen wieso er von den ständigen Paparazzi so genervt war, dass er sein Haus am Grimmauld Place kaum noch verließ, außer um zur Arbeit einWohnung mit einem Fidelius belegt, um nervige Journalisten fernzuhalten, die für ein einzelnes Foto über Leichen zu gehen schienen. Sie müsste sich für das Treffen mit L., wer auch immer hinter diesem Buchstaben stecken mochte, auf jeden Fall unkenntlich machen. Ob sie ihre Identität entschleiern würde, könnte sie dann spontan entscheiden, je nach Sympathie und wie der Abend verlief. Aber treffen, treffen wollte sie ihn. Zumindest, wenn sie auf ihr Bauchgefühl hörte und ihren stets sehr aktiven Verstand einen Moment ausschaltete.
Krummbein sprang ihr unvermittelt auf den Schoß und stieß dabei wie zufällig mit der Schwanzspitze an ihr selbstschreibendes Schreibfederset, das sie zum Start an der Universität von Ron und Harry geschenkt bekommen hatte. Damit stand ihre Entscheidung endgültig und sie griff nach einem frischen Bogen Pergament und legte die Schreibfeder darauf, bevor sie sich Krummbein schnappte und wieder zurück in den Sessel sinken ließ und anfing, zu diktieren:
„Hallo L.,
dein Schreiben hat mich überzeugt und ich möchte dich gerne kennenlernen. Hierfür würde ich gerne eins meiner Lieblingslokale vorschlagen, in dem wir gegebenenfalls auch die Möglichkeit haben, uns nach dem Abendessen näher miteinander vertraut zu machen.
Du findest dich bitte am Freitagabend um 19:00 Uhr im Barraum des Patronus ein, wo ich dich abholen werde. Damit ich dich erkenne, trage bitte einen silbernen Ring am kleinen Finger der rechten Hand.
Möchtest du deine wahre Identität noch für eine Weile geheimhalten, ist es dir freigestellt, die beiliegende Maske zu tragen. Du kannst sie mit einem einfachen Klebezauber an dein Gesicht anpassen, sie wird sich dann nur durch ein Finite Incantatem durch deinen Zauberstab wieder lösen lassen.
Ich freue mich auf dich.
H."
„Krummbein, kannst du mir bitte mein Siegelwachs holen?", murmelte Hermine und las sich ihre Nachricht noch ein letztes Mal durch bevor sie den Bogen zusammenfaltete und sich kurz gedankenverloren an die Lippen tippte. Ja, es war eine gute Entscheidung gewesen die Anzeige zu schalten und sie hielt die Zügel fest in der Hand. Ein bisschen Aufregung blieb trotzdem, aber es war ein wohliges Kribbeln im Bauch, kein Sturm von aufgeregten Hippogreifen.
Als sie das Siegelwachs auf den Brief tropfen ließ und ihn so verschloss, erlaubte sie sich ein Lächeln und genoss das Gefühl der Vorfreude, das sich in ihr breitmachte.
Nachdem sie den Brief mit Cupido auf seinen Weg geschickt hatte, beschloss sie noch etwas anderes zu tun, das selten vorkam: Es war Zeit, mit Ginny und Luna shoppen zu gehen. Ein neues Outfit für ihren Abend im Patronus musste her, in dem sie sich wohl fühlte und eine Aura lässiger Dominanz ausstrahlen konnte. Gerade, weil ihr Gegenüber ein wenig älter war als sie, fand sie es wichtig, sich wohl in ihrer Haut zu fühlen.
Ein schneller Anruf über den Kamin und sie war für den Feierabend verabredet mit ihren Freundinnen, die sie viel zu selten sah.
Der Rest des Tages zog sich in die Länge, Hermine konnte sich ganz entgegen ihrer Gewohnheiten kaum auf ihre Tränkezeitschriften konzentrieren, die sie sich für heute vorgenommen hatte. Immer wieder glitten ihre Gedanken zu L. und dem Brief, den er ihr geschickt hatte. Mittlerweile war sie schon fast überzeugt, dass sie am Freitagabend im Patronus mit L. nicht nur zu Abend essen würde sondern auch endlich einmal wieder ihre Erfüllung finden würde. Mit Ron war das leider nur sehr selten bis nie möglich gewesen, sie hatten einfach nie richtig zusammengepasst. Er war mittlerweile mit Luna zusammen, die mit ihrer eigenen Verträumtheit viel nachsichtiger war mit seiner Schusseligkeit.
Der Freundschaft mit Harry und Ron hatte ihre Trennung nicht geschadet, Merlin sei Dank, aber während ihre beiden besten Freunde mit Ginny und Luna ihr Glück gefunden hatten, saß Hermine viel zu oft alleine mit Krummbein daheim und wälzte Tränkebücher oder Muggelfachbücher zu psychischen Erkrankungen. Das war einfach kein Leben für eine junge Hexe Mitte zwanzig.
Nach dem schnellen Abendessen – Sandwiches im Stehen in der Küche – flohte Hermine in den Tropfenden Kessel und sah auch sofort Ginny und Luna am Torbogen zur magischen Einkaufsstraße Londons stehen.
„Hermine!", riefen beide jungen Hexen gleichzeitig und kamen auf sie zu um sie in eine innige Umarmung zu ziehen. „Wie schön, wir haben uns so lange nicht mehr gesehen, wie geht es dir? Und erzähl bitte, wieso wir uns mitten in der Woche zum Shoppen treffen, wie heißt der Glückliche?" Ginny sprudelte nur so über vor Neugierde und Hermine lachte „Woher willst du wissen, dass es einen Glücklichen gibt?" „Ich bitte dich, mitten in der Woche und du willst Kleider einkaufen gehen, das ist überhaupt nicht dein Stil, da muss einfach ein Mann dahinter stecken. Kennt ihr euch schon länger?"
Hermine lief feuerrot an und überlegte hektisch, ob und wie sie Ginny von ihrem Vorhaben erzählen sollte, während Luna im Hintergrund leise murmelte „Kleider einkaufen ist auch am Wochenende gar nicht Mines Stil…" und mit den Händen die Nargel von ihren Ohren wegscheuchte.
„Na gut, ihr werdet es ja sowieso aus mir herauskitzeln wenn ihr seht, was ich zum Anziehen suche. Ich habe am Freitagabend ein Date. Mit wem werde ich euch heute noch nicht verraten, versucht es gar nicht erst. Aber ich möchte aufregend aussehen, selbstbewusst und sexy. Aber auf keinen Fall billig. Meint ihr, wir finden da etwas? Ich brauche definitiv Hilfe bei der Auswahl." Ginny klappte die Kinnlade herunter und mit großen Augen starrte sie Hermine an. „Ein Date? Ich dachte, vielleicht willst du mal deinen Kleiderschrank erneuern und wollte dich eigentlich nur ein bisschen aufziehen. Du hast wirklich ein Date?"
Ein bisschen gekränkt nickte Hermine und fragte sich, ob das wirklich so unglaubwürdig war. Immerhin war sie erst Mitte 20 und noch keine alte Sabberhexe.
Ginny merkte schnell, dass sie ein wenig übers Ziel hinausgeschossen war und entschuldigte sich mit einer kurzen Umarmung wortlos bei ihrer besten Freundin. „Wir finden etwas Atemberaubendes für dich, Mine, keine Angst. Du wirst die heißeste Hexe des Abends sein. Ich kann gerne auch vorher noch vorbeikommen und dir mit den Haaren und dem Make-Up helfen?"
Erleichtert nickte Hermine und erwiderte die Umarmung, bevor sich die drei Hexen auf den Weg nach Muggellondon machten. In der Winkelgasse fielen sie einfach zu sehr auf, der schlaue Kopf des Goldenen Trios und Ginny, die Verlobte von Harry „dem Auserwählten" Potter. Luna, mit ihren eigenwilligen Verhaltensweisen machte das Ganze nicht besser – wenn sie darauf bestand, einen Anti-Schnorkel-Tanz aufzuführen, weil die kleinen („imaginären", dachte Hermine belustigt) Tierchen sonst ein Nest in ihrer Tasche bauen würden, zog sie immer viel Aufmerksamkeit auf sich.
Zwei Stunden später, mit schmerzenden Füßen und schwer beladen mit verschiedenen Taschen von exklusiven und weniger exklusiven Läden fanden sich die drei Freundinnen wieder im Tropfenden Kessel ein und beschlossen, den erfolgreichen Beutezug mit einem Butterbier und etwas zu essen zu beenden. Hermine war überaus zufrieden mit ihrer Auswahl, sie hatte ein eng anliegendes, dunkelgrünes Kleid gefunden, das ihre Haut warm schimmern ließ und ihre goldbraunen Augen betonte. Dazu passende High Heels und ein wirklich sündiges Set Unterwäsche, bei dem Luna zufrieden genickt hatte und sogar Ginny rot geworden war. Freitagabend konnte kommen!
Nur einige Meilen entfernt, in einem modernen Wolkenkratzer aus Glas und Stahl, öffneten elegante Hände mit einem silbernen Siegelring am kleinen Finger den Pergamentbogen, den eine kleine, freche Eule soeben gebracht hatte. Augen wie Quecksilber überflogen den Brief schnell, dann schluckte der Mann und las ganz langsam noch einmal.
„Julius, bitte sage alle meine Termine diesen Freitag nach 12:00 Uhr ab. Wichtiges kann vorher geklärt werden, alles andere muss auf nächste Woche verschoben werden. Ich bin ab mittags nicht mehr zu erreichen" – die kühle Anweisung war schnell gesprochen und noch schneller kam aus der Gegensprechanlage auf dem Schreibtisch die Antwort: „Ja, Sir."
Die Gegensprechanlage war eine sehr sinnvolle Erfindung der Muggel, fand er. Viel schneller und zuverlässiger, außerdem weniger dreckig als die Memos oder gar Eulen, die das Ministerium immer noch benutzte.
Sie hatte ihm also tatsächlich geantwortet und wollte ihn kennenlernen. Seit dem Tod seiner Frau hatte er kein Date mehr gehabt, nicht weil es ihm an Anwärterinnen mangelte, aber es konnte einfach niemand wirklich sein Interesse wecken. Freitag also. Von dieser Bar, Patronus, hatte er schon gehört und er meinte, sich daran zu erinnern, dass es dort auch Spielräume gab, zumindest, wenn man das entsprechende Passwort kannte und zu den Eingeweihten gehörte. Der Außenfassade folgend qualifizierte die Lokalität durchaus als Vanilla-Location, er war sich jedoch sicher, dass H. wusste, wieviel mehr dahinter steckte.
Überrascht stellte er fest, dass er ein wenig freudige Nervosität verspürte und tatsächlich gespannt war, wie sich der Abend entwickeln würde. Offen war er, je nach tatsächlicher Sympathie mit der mysteriösen Hexe, für einiges.
