An einem Freitag Ende November saßen Hermine und Sirius noch spät im Gemeinschaftsraum auf dem Sofa vor dem Kamin. Die anderen waren alle schon zu Bett gegangen und die letzten Fünftklässler räumten gerade ihr Schachbrett weg und verschwanden die Treppe nach oben. Jetzt waren sie alleine und Hermine kuschelte sich mit dem Rücken an Sirius. Er hatte die Arme um sie gelegt und sein Kopf ruhte an ihrem. Hermine sah aus dem Fenster. Der Vollmond schien hell am Himmel. »Du musst gleich zu Remus«, sagte sie unbedacht.
»Was?«, fragte Sirius und richtete sich erschrocken etwas auf.
'Scheiße!' Hermine zuckte zusammen. »Nichts!« Sie hoffte, dass er sie nicht richtig verstanden hatte.
Sirius sah sie mit einem stechenden Blick an. »Was hast du gesagt?«
»Nichts. Ich habe nichts gesagt!« Hermine betete im Stillen. Jetzt hatte sie sich wirklich verplappert.
»Doch, du hast gesagt, dass ich zu Remus muss.«
»Was? Nein. Das hast du falsch verstanden!« Hermine schrie innerlich auf. Das durfte nicht wahr sein! Wie hatte ihr das nur passieren können? Jetzt war alles vorbei.
»Was hast du dann gesagt?«, fragte er lauernd und rückte ein Stück von ihr ab, damit er sie vernünftig ansehen konnte.
Hermine blieb stumm. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Das Herz war ihr in die Hose gerutscht und alle Farbe war ihr aus dem Gesicht gewichen. Sirius sah sie abwartend an. Sie merkte, dass er angespannt war. Wie ein Löwe, der seine Beute witterte. Bereit zum Sprung.
»Was hast du gesagt, Jean?«, fragte er noch einmal.
Hermine schüttelte den Kopf. »Bitte vergiss das einfach wieder«, flüsterte sie flehend.
Seine Augen weiteten sich überrascht. »Woher weißt du es?« Er lehnte sich ein Stück vor.
»Was?«, versuchte sie unschuldig nachzufragen.
»Tu nicht so! Das mit Remus!«
Sie merkte, dass er bald seine Geduld verlor. »Ich… ich… es war eine Vermutung. Ich… er fehlt alle vier Wochen für einen Tag.«
»Mag sein, dass ein schlauer Kopf das kombinieren kann. Du bist aber erst drei Monate hier, selbst Lily hat ewig gebraucht. Und das erklärt immer noch nicht, warum du sagst, dass ich zu ihm muss.« Sirius war aufgebracht.
»Ich… ich habe euch gesehen?«, sagte sie vorsichtig.
»War das eine Frage?« Er sah sie an, als hätte sie ihn verraten. Er schnaubte freudlos. »Du kannst uns nicht gesehen haben.«
»Ich… bitte, frag nicht weiter«, bettelte Hermine. Sie streckte die Hand nach ihm aus, aber er wich vor ihr zurück.
»Woher weißt du es?«, forderte er zu wissen.
»Ich… bitte… ich kann nicht!« Ihr stiegen die Tränen in die Augen. »Bitte frag nicht weiter.«
Sirius sah sie irritiert an. Er wusste nicht, was er damit anfangen sollte. Warum fing sie jetzt an zu weinen? »Nein, ich will eine Antwort.«
»Ich kann nicht…« Sie stand vom Sofa auf und wollte nach oben verschwinden, aber Sirius hielt sie zurück. Sie setzte sich seufzend wieder hin. »Lass mich gehen. Ich darf nichts sagen.«
»Was heißt 'du darfst nicht'?«, wollte er wissen. Er sah sie unnachgiebig an. Er verstand nicht, was hier los war. Sie hätte es nicht wissen dürfen. Er fühlte, dass hier etwas nicht stimmte.
»Ich darf nicht«, flüsterte Hermine und wusste, dass sie verloren hatte. Sie hatte alles versaut.
Sirius sprang auf und tigerte vor dem Sofa auf und ab. Warum reagierte sie so? Was war mit ihr los? Was stimmte hier nicht? Woher wusste sie es? »Wer bist du?«, flüsterte er.
»Was?«, fragte Hermine entgeistert. Sie wurde noch blasser und ihre Augen wurden groß.
»Lily hast du erzählt, dass deine Eltern hier zur Schule gegangen sind. Dann erzählst du, dass sie Muggel sind. Du kanntest einen Raum, den wir jahrelang gesucht und nicht gefunden haben. Du hast letztens so komische Andeutungen über meine Familie gemacht, obwohl ich nie darüber spreche. Und jetzt das. Du weißt, was Remus ist. Und du weißt, dass wir immer bei ihm sind. Warum darfst du nichts sagen? Warum weißt du so viel? Wer bist du? Woher kommst du? Was machst du hier?«
Da waren sie. All die Fragen, die sie die ganze Zeit gefürchtet hatte. Von denen sie gehofft hatte, dass sie niemand stellen würde. Und nun stellte Sirius ihr diese Fragen. Ausgerechnet Sirius. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, wie sie es ihm erklären sollte. Er hatte ja recht! Aber sie konnte es ihm nicht erklären. Sie würde viel zu viel preisgeben müssen. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Die Tränen liefen ihr unaufhaltsam über die Wangen.
»Erklär es mir«, bat Sirius.
Hermine reagierte nicht darauf. Ihr ging so viel durch den Kopf, aber sie konnte keinen der Gedanken richtig fassen. Sie dachte an alles und gleichzeitig an nichts. Sie hatte es versaut. Mit einer unbedachten Aussage war ihr ganzes Kartenhaus zusammengestürzt.
»Jean, rede mit mir«, bat Sirius sanft.
Hermine schüttelte den Kopf. Er sollte gehen. Er sollte einfach nur gehen. »Geh einfach.«
Aber Sirius dachte nicht daran, das zu tun. Er ging vor ihr in die Hocke und zog ihre Arme auseinander. Er versuchte in ihre Augen zu sehen, aber sie hielt den Kopf gesenkt. Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht, umfasste es und zwang sie dann sanft, den Kopf zu heben. Sie hatte die Augen geschlossen. Es tat ihm weh, sie so zu sehen. Und doch war er wütend, weil sie so viel zu wissen schien, das sie nicht hätte wissen dürfen. Ihm ging viel durch den Kopf. Sie verheimlichte etwas. Aber so wie sie hier saß, so verzweifelt und weinend, glaubte er nicht, dass sie etwas Böses wollte. Er beugte sich zu ihr und legte sanft seine Lippen auf ihre.
Hermine schluchzte auf, griff nach seinen Armen und hielt sich fest. Es war nicht fair. Warum war das Leben so ungerecht zu ihr? Verzweifelt erwiderte sie seinen Kuss.
Sirius löste sich von ihr und legte seine Stirn an ihre. »Sieh mich bitte an«, flüsterte er. Als sie es tat, sah er ihr in die rot geweinten Augen. »Ich habe inzwischen begriffen, dass es etwas ist, das du nicht wolltest. Was auch immer es ist. Aber ich möchte dich verstehen. Ich will dir helfen. Ich… sag mir doch bitte, was los ist. Was verheimlichst du?«
»Ich kann nicht«, flüsterte sie. Schniefend zog sie die Nase hoch. »Ich gehöre nicht hierher«, fügte sie voller Verzweiflung hinzu. »Das alles hier ist ein Fehler. Ich wusste es doch, ich war so dumm. Aber ich habe mich so wohl gefühlt und einfach nicht genauer nachgedacht«, murmelte sie mehr zu sich selbst.
»Was redest du da? Das ist doch kein Fehler! Natürlich gehörst du hier hin! Ich bin für dich da, ich liebe dich!« Er knirschte mit den Zähnen, eigentlich hatte er geplant, es ihr in einem viel romantischeren Moment zu sagen.
»Nein. Nein! Sag das nicht. Das darf nicht sein. Du darfst das nicht!« Sie klang regelrecht panisch und versuchte etwas Abstand zwischen sich und ihn zu bringen, aber Sirius ließ sie weder los noch rührte er sich. Und sie war einfach zu schwach, ihm ernsthaft etwas entgegensetzen zu können. Etwas in ihr zerbrach. Was hatte sie bloß angerichtet?
»Was redest du da, Jean? Ich verstehe das nicht«, sagte er verwirrt. Er verstand nicht, was hier ablief. Warum reagierte sie so? Er nahm den Kopf ein Stück zurück, um ihr besser ins Gesicht sehen zu können.
»Ich gehöre nicht hier hin.«
Er sah, wie verzweifelt sie war. Er wollte ihr so gerne helfen. Er wollte verstehen. Aber sie musste mit ihm reden, damit er etwas tun konnte. Er nahm sie in den Arm und drückte sie sie fest. Er wusste nicht, was er anderes tun sollte.
Hermine klammerte sich an ihn. Dabei flüsterte sie diesen letzten Satz immer wieder vor sich hin. Sie konnte einfach nicht mehr. Sie hielt es nicht mehr aus. Sie wollte so gerne mit ihm reden. Sie wollte ihm alles sagen. Und beinahe war es ihr egal, was sie damit anrichten könnte. Sirius strich ihr unentwegt über den Rücken. Er hielt sie, bis sie sich beruhigt hatte. Keiner von beiden wusste, wie lange sie so dasaßen, als Hermine sich von ihm löste. Sie wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht und wich seinem Blick aus.
»Geht es dir wieder etwas besser?«, fragte Sirius vorsichtig.
»Eigentlich nicht«, antwortete sie schulterzuckend und sah ihn kurz an.
»Darfst du mir sagen, wieso du nichts sagen darfst?«, fragte er vorsichtig. Er hatte Angst, dass sie wieder zusammenbrechen würde.
Seufzend sah sie ihn an. »Weil ich nicht hier hingehöre«, sagte sie dann und in diesem Moment hatte sie sich entschieden.
»Warum sagst du, dass du nicht hier hingehörst?« Er glaubte nicht, dass sie damit lediglich meinte, nicht nach England zu gehören. Er spürte, es steckte mehr dahinter.
»Nicht hier. Hier kann jederzeit jemand reinkommen.« Sie würde es ihm sagen. Er wusste doch schon, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Was, wenn er den anderen davon erzählte und sie sich dann die schlimmsten Dinge ausmalten? Sie für jemanden hielten, die ihnen schaden wollte? Das durfte nicht passieren. Sie musste es ihm erklären.
»Heißt das, du sagst mir jetzt, was los ist?«, fragte er. Als sie nickte, setzte er hinzu: »James und Peter warten darauf, dass wir los können. Ich sage ihnen, dass ich heute nicht mitkomme und dann gehen wir in den Schlafsaal hoch.«
»Aber was ist mit Remus?« Sie wollte nicht, dass Sirius seinen Freund alleine ließ.
»Das schafft James auch mal alleine. Du bist jetzt wichtiger.« Er lächelte sie aufmunternd an und ging dann schnell nach oben, um James Bescheid zu sagen.
Hermine senkte betrübt den Kopf, er hielt sie für wichtiger, als seinem besten Freund beizustehen. Das hätte so nicht passieren dürfen, sie brachte die ganze Vergangenheit durcheinander.
»Du verdirbst ihn, Jean. Jetzt will er schon nicht mehr mit uns durchs Schloss ziehen«, sagte James, der zusammen mit Sirius und Peter nach unten gekommen war.
Hermine hob den Kopf und grinste schief. »Es ist nach der Sperrstunde, James«, fühlte sie sich verpflichtet zu sagen.
Sirius zwinkerte ihr verschwörerisch zu und scheuchte James und Peter aus dem Gemeinschaftsraum. »Komm, gehen wir hoch«, sagte er, nachdem das Porträt sich wieder geschlossen hatte und zog sie vom Sofa. Er führte sie in seinen Schlafsaal und deutete ihr, sich auf sein Bett zu setzen. Sie setzte sich im Schneidersitz an das Fußende. Er nahm ihr gegenüber am Kopfende Platz und schwieg, um ihr die Zeit zu geben, die sie brauchte.
»Ich meine es wörtlich, wenn ich sage, dass ich nicht hier hingehöre«, begann sie nach ein paar Minuten. Sie atmete tief ein, hielt die Luft einen Moment und atmete dann laut aus. Und schließlich fiel sie mit der Tür ins Haus. »Ich bin am neunzehnten September 1979 geboren. Oder vielmehr, werde ich geboren.«
Sirius stand der Mund offen und er sah sie völlig entgeistert an. »Aber wie… was?!«
»Ich bin neunzehn Jahre alt. Meine Eltern sind Muggel. 1991 wurde ich in Hogwarts eingeschult.« Sirius sah sie immer noch mit offen stehendem Mund an und bat sie stumm, weiter zu reden. »Im September 1998 sollte ich mein Abschlussjahr beginnen. Ich habe zu viele Fächer gewählt. Deswegen beantragte die Schulleitung einen Zeitumkehrer für mich. Ich hatte in meinem dritten Jahr schon mal einen, weil ich auch da zu viele Fächer hatte. Der Zeitumkehrer wurde mir ein paar Tage vor Schulbeginn ausgehändigt. Und im Jahr vorher war so viel passiert, dass ich eine Auszeit wollte. Ich beschloss, vor der Willkommensfeier in den Raum der Wünsche zu gehen und mir einundzwanzig Stunden zu nehmen. Das Schloss würde ruhig sein, weil dann noch keine Schüler da wären und ich hätte Zeit. Aber anstatt nur einundzwanzig Stunden bin ich die Zeit in Jahren zurückgereist. So bin ich hier gelandet.« Sie ratterte es förmlich herunter, ohne nennenswert Luft zu holen.
Sirius sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Er hörte, was sie sagte. Aber er begriff es nicht richtig. Eine Zeitreise? War das wahr? Konnte das sein? »Wieso?«, war das einzige Wort, das er zustande brachte.
»Professor Dumbledore hat gesagt, der Zeitumkehrer, den ich habe, ist für Jahre, nicht für Stunden. Mir wurde ein falscher gegeben.«
»Dumbledore weiß das?«, fragte er überrascht.
»Ja, er war bislang der Einzige. Ich hatte gehofft, er könnte mir helfen.«
»Das… ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Sirius saß völlig verdattert auf seinem Bett. Mit so etwas hatte er nicht gerechnet. Es war kaum zu glauben. Er konnte es gar nicht wirklich begreifen. »Woher weißt du das mit Remus?«, fragte er dann.
»Ich… kenne Remus«, antwortete sie leise.
»Woher?«
»Sirius, ich kann es dir nicht sagen. Es ist gefährlich. Alles, was ich sage, alles, was ich tue… Ich verändere damit meine Vergangenheit. Deine Zukunft. Ich weiß, was in den nächsten zwanzig Jahren passieren wird. Das Risiko ist so groß… alleine, dass ich es dir erzählt habe, kann so viel verändern… es ist viel zu gefährlich«, sagte sie und wieder machte sich die Verzweiflung in ihr bemerkbar. »Schon allein, dass ich hier von so vielen gesehen werde… es kann so weitreichende Folgen haben. Zauberern, die mit der Zeit spielen, passieren schlimme Dinge. Ich versuche auf Messers Schneide zu balancieren. Dumbledore hat mir angeboten, wenigstens meinen Abschluss zu machen. Er sucht nach einem Weg, mich in meine Zeit zurück zu schicken. Aber wenn er keinen findet, muss ich mich die nächsten zwanzig Jahre verstecken.«
»Wieso kannst du nicht einfach normal weiter leben?« Sirius sah sie fragend an.
»Hörst du mir nicht zu? Ich weiß, was in den nächsten Jahren passieren wird, weil es meine Vergangenheit ist. Die Gefahr, dass ich noch mehr verändern werde, ist einfach zu groß. Ich darf nichts verändern!« Sie wurde lauter. Er musste begreifen, wie gefährlich es war. Er durfte es nicht als Spaß sehen, nicht auf die leichte Schulter nehmen.
»Kennst du mich auch? Hast du deswegen diese Andeutungen zu meiner Familie gemacht?«
»Ich… Sirius… ich kann… ja, ich kenne dich«, sagte sie kraftlos. 'Und ich weiß, dass du tot bist, wenn ich zurückkehre.' Eine Träne lief ihre Wange hinab.
»Hey, nicht weinen«, sagte er überrascht und krabbelte auf dem Bett zu ihr. Er wischte ihr die Träne weg und blieb vor ihr sitzen. »Warum weinst du?«
»In meiner Zeit bist du zwanzig Jahre älter als ich«, sagte sie ausweichend.
»Das kann ich mir gar nicht vorstellen«, sagte er und versuchte sie anzugrinsen. »Und jetzt grade bist du älter als ich.«
Hermine sah ihn kläglich an. »Das hilft nicht, Sirius. Und es ist nicht witzig.«
»Deswegen hast du dich also so lange geweigert, mit mir auszugehen. Wieso hast du es doch getan?«, fragte er ernst.
Jetzt lächelte Hermine traurig. »Du hast es mir schwer gemacht. Vom ersten Tag an.«
»Hab ich das, ja?« Ein Grinsen huschte über sein Gesicht.
»Ja, hast du. Und das, obwohl ich deinen Ruf zu Schulzeiten kannte…«
»So, so.« Er grinste sie verschmitzt an. »Was erzählt man denn in der Zukunft so über mich?«
»Du sollst ein ziemlicher Frauenheld gewesen sein, gut aussehend, charmant…«, sagte sie schief grinsend. »Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass du so bist, wie du bist. Und dann wurde mir gesagt, dass ich mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr neunzehn Jahre alt sein werde, wenn ich wieder in meiner Zeit bin, wenn sie es schaffen sollten mich vorzeitig entweder zurück zu schicken, oder zurück zu holen. Ich werde also zwanzig Jahre älter sein als meine Freunde.«
»Deine Freunde… klar. Dort ist auch dein fester Freund, den du erwähnt hast? Du kommst also gar nicht aus Amerika.«
»Ja. Und das wird nicht mehr funktionieren, wenn ich zwanzig Jahre älter bin als er.«
»Das tut mir leid.«
»Ich werde damit leben müssen«, sagte sie resigniert und hob die Schultern an.
»Jean…« Sirius sah sie mitleidig an. Er wollte ihr so gerne helfen, aber er wusste nicht wie. »Was ist, wenn sie es nicht schaffen, dich zurück zu bringen, wieso kannst du nicht normal leben? Das verstehe ich nicht.«
»Weil es nicht vorgesehen war, dass ich in dieser Zeit lebe. Ich darf nicht hier sein. Wenn ich einfach weiter lebe, schaffe ich damit eine komplett neue Vergangenheit – oder Zukunft, je nachdem, wie man es sehen will – und das darf nicht passieren. Also muss ich mich verstecken.«
»Dann verstecke ich mich mit dir!«, sagte Sirius voller Inbrunst.
»Das geht nicht. Überleg doch mal.« Deprimiert lächelte sie ihn an. »Es war nicht vorgesehen, dass wir uns so früh über den Weg laufen. Du musst dein Leben so leben, als hättest du mich nicht getroffen. Sonst gerät die ganze Vergangenheit durcheinander.«
»Aber ich liebe dich, Jean. Ich habe das ernst gemeint!«, sagte Sirius aufgewühlt.
»Und das darfst du nicht! Das war nie vorgesehen! Wir sollten uns erst kennenlernen, wenn du Mitte dreißig bist!« Hermine fing wieder an zu weinen. Es war so unfair!
»Mitte drei-«, Sirius brach ab. Erst jetzt schien er wirklich zu verstehen. Er ließ sich entkräftet nach hinten auf sein Bett fallen. »Wie alt bist du dann?«
»Vierzehn«, flüsterte sie.
»Vierzehn…«, wiederholte er ermattet. Dann setzte er sich wieder auf. »Aber du sagtest doch, du wirst nicht mehr so jung sein, wenn du wieder in deiner Zeit bist.« Er sah sie verwirrt an.
»Ja.«
»Ich verstehe das nicht.«
»Ich habe dich kennengelernt, als ich vierzehn war. Und das muss genauso passieren. Wenn das nicht so passiert, verändert das den Lauf der Ereignisse. Und das würde es, wenn du dich mit mir versteckst«, versuchte sie zu erklären. »Und du darfst mich nicht lieben, weil ich vierzehn sein werde. Verstehst du?«
»Ja… Nein… Ich weiß es nicht. Ich… das ist verdammt kompliziert, Jean.«
»Ja…«
»Okay, warte. Ich darf mich nicht mit dir verstecken, weil das die Zukunft ändern würde. Verstanden. Ich darf dir nicht zeigen, dass ich dich kenne, wenn ich dich wieder treffe, richtig?«
Hermine nickte.
»Aber ich kann auf dich warten. Wenn du wieder da bist, zurück in deiner Zeit, dann können wir –«
»Nein, Sirius. Können wir nicht«, unterbrach sie ihn leise. Sie konnte ihn nicht ansehen.
»Aber wieso nicht?«, brauste er auf. »Dann ist da doch keine Vergangenheit mehr, die wir ändern könnten!«
»Du darfst nicht auf mich warten«, flüsterte sie.
»Wieso? Ich verstehe das nicht! Du wirst doch sogar genauso alt sein wie ich. Das hast du gesagt! Wieso kann ich nicht auf dich warten, wieso…« Er war verwirrt, verzweifelt und verstand es nicht. »Wieso?«, fragte er leise immer wieder.
Hermine schwieg und sah ihn bedrückt an.
»Ich darf nicht warten. Wieso darf ich es nicht?«, murmelte er. »Jean, sag mir, wieso ich nicht warten kann!«
Hermine schüttelte stumm den Kopf.
Sirius' Augen weiteten sich geschockt. »Ich kann nicht. Ich werde es nicht können, oder? Das muss es sein!« Er sah sie düster an. »Ich kann es nicht! Das hat nichts mit Dürfen oder Wollen zu tun, richtig?«, fragte er aufgeregt. Er fasste sie an den Schultern und beugte sich zu ihr.
Hermine schloss niedergeschlagen die Augen und schüttelte den Kopf. »Ich darf es dir nicht sagen.«
»Doch, so muss es sein. Das ist der einzige Grund, warum… Ich bin tot, wenn du wieder da bist«, sagte er tonlos. »Und ich darf die nächsten zwanzig Jahre nicht bei dir sein, weil… Merlin!« Sirius schüttelte den Kopf. »Wenn ich bei dir bleibe… Ich… muss…« Sirius schloss die Augen, in seinem Kopf drehte sich alles. »Und das ist der wahre Grund… warum du…«, nuschelte er und brach dann ab. Er ließ kraftlos seine Arme auf das Bett fallen.
»Ich darf die Vergangenheit nicht ändern«, sagte Hermine todunglücklich. »Wie oft habe ich mir in den letzten Wochen gewünscht, etwas daran ändern zu dürfen… wie oft habe ich darüber nachgedacht, es einfach zu tun. Aber das Risiko, dass es schlimmer anstatt besser wird… du weiß jetzt viel zu viel, Sirius. Du musst das wegschieben. Du darfst da nicht dran denken. Du musst es am besten vergessen.«
»Wie könnte ich das vergessen? Wie könnte ich da nicht nicht dran denken?«, fragte er hoffnungslos.
»Du musst. Irgendwie! Verstehst du jetzt, warum es so gefährlich ist? Niemand sollte wissen, wann er stirbt.«
»Also ist es tatsächlich so.«
»Es tut mir so leid, Sirius«, sagte sie bedrückt.
»Dir tut es leid?« Er lachte freudlos auf. »Du kannst da doch nichts für.«
Sie lächelte trübsinnig. »Aber ich wusste von Anfang an, dass wir keine Chance haben. Mir tut leid, dass du dich in mich verliebt hast.« Sie rutschte ein Stück zu ihm und legte ihre Hand an sein Gesicht.
»Mir tut das nicht leid! Ich werde dich lieben, solange ich kann!«, versprach er ihr.
»Ich wollte das nicht… Ich wusste, was für einen Ruf du in der Schule hattest. Ich dachte – aber darauf war ich nicht vorbereitet. Ich muss in meine Zeit zurück… und dann bist du nicht mehr da.« Sie weinte, während sie das sagte.
Sirius zog sie in seine Arme. Er wollte sie trösten. Aber er wusste, dass er es gleichzeitig nicht konnte. Er liebte dieses Mädchen und jetzt wusste er, dass sie keine Zukunft haben würden.
Jetzt, da er wusste, dass er sterben würde, wollte er alles daran setzen, damit es nicht passierte. Er würde aufpassen, damit sie vielleicht doch eine Chance bekamen. Er ließ sich mit ihr rücklings auf das Bett fallen.
»Ich wollte mich nicht in dich verlieben, Sirius«, flüsterte sie tränenerstickt.
Er drückte sie fest an sich. Sie war in ihn verliebt! Er wollte sich darüber freuen, aber es klappte nicht so richtig. Er würde dafür sorgen, dass sie eine Chance bekamen! Sie sollte nicht unglücklich sein, wenn sie in ihre Zeit zurückkehrte! Er musste seine eigene Zukunft ändern. Schließlich war es für ihn noch keine Vergangenheit, auch wenn sie sagte, dass er es nicht durfte. Diese Sache war so paradox, aber er würde auf sie warten und sie dann damit überraschen, dass er nicht gestorben war! Und am Ende könnten sie zusammen sein! Das schwor er sich.
Sie lagen lange Arm in Arm in Sirius' Bett. Hermine hatte sich an ihn geklammert und weigerte sich, ihn loszulassen.
Sirius spielte abwesend mit ihren Haaren. »Werden die anderen glücklich?«, fragte er irgendwann leise.
»Ja«, antwortete Hermine schlicht. Was sollte sie auch anders sagen? Erstens durfte sie nicht und zweitens wollte sie ihm nicht auch noch sagen, dass sein bester Freund nicht mehr lange leben würde. Sie wollte sich nicht vorstellen, was er mit dem Wissen anstellte. Er wusste sowieso schon viel zu viel. Und sie würden die Zeit, die sie hatten, bestimmt glücklich sein. Sie hatte keine Vorstellung davon, wie es sich auf die Zukunft auswirken würde, wenn es anders käme; wenn Voldemort nicht für mehrere Jahre von der Bildfläche verschwand.
Sirius stellte noch einige Fragen zu sich, zu seiner Familie, zu dem Verrat, den sie erwähnt hatte, als es um Snape ging. Selbst zu Snape stellte er ihr Fragen, aber sie blieb eisern und beantwortete ihm keine einzige mehr.
Hermine schlief irgendwann erschöpft ein.
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Nächstes Kapitel:
Und was willst du tun?
