Mit ihrer Hoffnung, dass es besser werden würde, hatte Hermine weit gefehlt. Es waren die kleinen Dinge, über die sie immer wieder gestolpert war. Als sie mit Ginny zu ihrer ersten Arithmantikstunde gegangen war, wollte sie in den siebten Stock hinauf. Ginny hatte sie komisch angesehen und sie gefragt, was sie da oben wolle, denn das Klassenzimmer wäre schließlich im fünften Stock. Im Unterricht steuerte sie immer die erste Reihe an, bis die anderen sie zurück riefen. Sie hatte einfach vergessen, dass sie in ihrer eigenen Zeit niemals ganz vorne gesessen hatten. In Astronomie hatte sie sich einfach an den Tisch gesetzt, an dem sie immer mit Sirius gesessen hatte, bis drei Ravenclaws sie gefragt hatten, ob sie bei ihnen sitzen wolle. Auf der anderen Seite des Turmes hatte Dean, der jetzt auch seinen Abschluss nachholte, gewunken, weil sie in den anderen Jahren immer an einem Tisch gesessen hatten. »Ich habe mich wohl vertan«, murmelnd war sie zu ihm gegangen.

Als sie am ersten Morgen in der Großen Halle ankam, hatte sie sich auf ihren Platz setzen wollen, nur dass sie sonst immer woanders gesessen hatte. Ginny hatte sie zu ihrem Platz gezogen und nervös hatte Hermine begonnen zu frühstücken. Sie und Ginny waren schon fast fertig, als Harry und Ron ankamen. Das erste, was Ron tat, noch bevor er sich setzte, war sich zu Hermine zu beugen, um sie zu küssen. Sie wich etwas vor ihm zurück und er sah sie irritiert an.

»Ich habe noch was zu Essen im Mund«, sagte sie und tat so, als würde sie kauen.

Ron küsste sie dann auf die Wange und setzte sich neben sie. »Hast du gut geschlafen?«

»Äh, ja. Habe ich«, sagte sie misstrauisch. Was war hier los? Warum war Ron so fürsorglich? Das kannte sie gar nicht von ihm.

Die anderen bekamen nicht mit, dass Hermine sich unwohl fühlte. Sie alberten ausgelassen herum und unterhielten sich über Quidditch. Das Gespräch wurde nur kurz unterbrochen, als Professor McGonagall die Stundenpläne austeilte, danach drehte sich wieder alles um die neuesten Rennbesen. Wenigstens das hatte sich nicht geändert, die Jungs waren immer noch Feuer und Flamme, wenn es um des Zauberers liebsten Sport ging.

Die gesamte erste Woche hatte Hermine wie auf rohen Eiern verbracht. Ständig hatte sie aufpassen müssen, was sie sagte – es gab unglaublich viele Dinge, von denen sie nichts wusste. Und ständig erinnerte sie etwas an ihre Zeit in den Siebzigern und ihr stiegen die Tränen in die Augen, weil sie sich bewusst wurde, dass sie ihre anderen Freunde niemals wiedersehen würde.

Ende der Woche hatte sie angefangen, den anderen aus dem Weg zu gehen. Einerseits, weil Ron ständig an ihrem Rockzipfel hing – sie hatte es noch nicht über sich bringen können, mit ihm Schuss zu machen. Andererseits hatte sie Angst davor, dass ihr Verhalten viel zu auffällig war und die anderen misstrauisch werden würden. So zog sie sich in die Bibliothek zurück und verbrachte dort viel ihrer freien Zeit. Mal las sie, mal schwelgte sie in Erinnerungen, oder weinte still vor sich hin. Sie vermisste die anderen so sehr, dass es kaum auszuhalten war, vor allem wenn sie Harry ansah und James oder Lily in ihm erkannte.

Als sie am Samstag nach dem Frühstück wieder in der Bibliothek verschwinden wollte, hielten die anderen sie zurück.

»Mine! Es ist Samstag, wir haben erst seit einer Woche wieder Schule! Willst du vor den Prüfungen dort einziehen?«, jammerte Ron.

»Nein, aber ich wollte noch was nachschlagen«, versuchte sie sich zu rechtfertigen.

»Das hat doch Zeit bis Montag! Außerdem haben wir doch was vor!«

»Ich –«

»Komm schon, Mine. Du warst doch schon die ganze Woche in der Bibliothek. Gönn dir auch mal freie Zeit. Wir haben noch fast ein ganzes Jahr bis zu den Prüfungen«, bettelte auch Ginny.

»Es ist nur etwas mehr als ein halbes Jahr«, verteidigte Hermine sich.

»Und da ist sie wieder, unser kleiner Streber«, feixte Harry.

Hermine sah ihn strafend an und verengte die Augen zu schlitzen. »Hör auf dich lustig zu machen, Ja- Harry!« Ihre Augen wurden groß, als sie ihren Fehler bemerkte. Sie hoffte, dass die anderen es nicht gehört hatten.

»Du warst letztes Jahr viel lockerer, was das Lernen anging«, sagte Ron und legte den Arm um sie.

»Da ging es auch nicht um unseren Schulabschluss«, sagte Hermine bockig.

»Nach den Weihnachtsferien, dann darfst du uns mit der Lernerei verrückt machen, nicht eher. Das hast du uns versprochen.«

Hatte sie das? »Ja, euch. Aber das heißt nicht, dass ich nicht schon eher anfangen darf zu lernen.«

»Wenn sie unbedingt will, dann lasst sie«, sagte Ginny und sah Hermine mit schief gelegtem Kopf an.

Hermine wusste nicht, was sie davon halten sollte. Es wirkte, als wolle Ginny ihr ein schlechtes Gewissen machen. Ihre drei Freunde sahen sie abwartend an. »Was machen wir?«

»Wir gehen zu Hagrid.« Ron nahm ihre Hand und die Gruppe machte sich auf den Weg, das Schloss zu verlassen. »Wir machen das doch jedes Jahr am ersten Samstag, hast du das etwa vergessen?«

»Nein, natürlich nicht. In der Bibliothek hätte es auch nicht lange gedauert, danach hätten wir ja auch immer noch zu Hagrid gehen können«, sagte Hermine ausweichend. »Oder ich wäre nachgekommen.«

»Klar, weil du in der Bibliothek ja auch nie die Zeit vergisst.« Harry verdrehte scherzhaft die Augen.

»Schon gut.« Hermine seufzte resignierend und versuchte unauffällig ihre Hand aus Rons zu lösen. Es klappte auch und dann steckte sie ihre Hände schnell in die Hosentaschen.

Sie verbrachten den ganzen Vormittag bei Hagrid und gingen zum Mittagessen wieder ins Schloss.

»Geht es dir gut, Mine?«, fragte Ginny leise, als sie über die Ländereien liefen. Ron und Harry liefen etwas vor ihnen, zusammen mit dem Halbriesen.

»Klar geht es mir gut, warum?«, fragte Hermine und versuchte ganz locker zu sein.

»Ich habe das Gefühl, dass du dich zurückziehst und du bist irgendwie anders«, sagte Ginny schulterzuckend.

»Nein, tu ich nicht«, verteidigte Hermine sich. »Aber es ist unser Abschlussjahr.«

»Ja, deswegen ja. In den Ferien hast du noch davon geredet, dass du dieses Jahr entspannter siehst, weil Remus uns schon so viel beigebracht hat und jetzt wirkst du, als wenn wir morgen die Prüfungen schreiben würden.«

»Oh… äh…« Beschämt grinsend überlegte sie fieberhaft, was sie sagen konnte. »Ich habe es wohl doch nicht geschafft meine Nervosität abzulegen.« Schief grinsend sah sie ihre Freundin an.

»Na, das kann ja heiter werden.« Ginny grinste und verdrehte die Augen. »Aber vergiss nicht, uns darfst du erst triezen, wenn Weihnachten vorbei ist.«

»Ich habe euch wirklich so ein dusseliges Versprechen gegeben?«, fragte Hermine scherzhaft.

»Mine!«

»Da kann ich mich gar nicht dran erinnern«, setzte sie noch einen drauf.

Ginny sah die Brünette empört an, grinste dann aber und schüttelte den Kopf. Den Rest des Tages verbrachten sie im Gemeinschaftsraum und Hermine versuchte einen geeigneten Moment zu finden, um endlich mit Ron zu sprechen. Aber sie waren nie alleine. Je mehr sie versuchte, Ron auf Abstand zu halten, desto näher kam er ihr.

Am Sonntag zog er sie nach dem Mittagessen dann in ein leeres Klassenzimmer. »Was hast du, Mine?«, fragte er und wollte sie in den Arm nehmen.

»Was meinst du?« Sie wich unbewusst vor ihm zurück.

»Das hier. Genau das. Du weichst mir aus.«

»Ich… Ron, ich glaube, wir müssen reden.« Sie seufzte einmal und nickte dann entschlossen mit dem Kopf.

»Was hast du denn?«, fragte er.

»Ich glaube, wir sollten uns vielleicht trennen«, sagte sie langsam und versuchte behutsam zu sein.

»Was? Wie kommst du denn darauf?!« Rons Augen wurden groß. Ungläubig schüttelte er den Kopf.

»Ich glaube, es funktioniert mit uns beiden nicht«, sagte Hermine langsam.

»Aber wir sind doch glücklich!«

»Ja, waren wir ja auch, aber –«

»Ich liebe dich, Mine!«, unterbrach Ron sie.

»Ich dich aber nicht. Das habe ich jetzt festgestellt. Es tut mir leid, Ron. Aber ich will dir auch nichts vorspielen. Ich will ehrlich zu dir sein. Du bist ein Bruder für mich, wie Harry.« Hermine schlug die Augen nieder. Sie konnte ihn einfach nicht ansehen.

»Was?! Aber du hast mir gesagt, dass du mich liebst!« Ron fuhr sich mit den Händen durch die Haare. »Wünschst du dir mehr Aufmerksamkeit? Es stimmt schon, seit wir wieder hier sind, habe ich dir nicht mehr die Aufmerksamkeit geschenkt, die du verdient hast. Lass es mich besser machen!« Er ging ein paar Schritte auf sie zu und streckte die Hand nach ihr aus.

Hermine hob den Kopf. »Nein, Ron. Das ist es nicht. Du bist aufmerksam genug. Ich habe nur einfach festgestellt, dass ich dich nicht so liebe, wie du es verdient hast.«

»Das ist doch Blödsinn, Mine. Das glaubst du bestimmt nur, weil du jetzt schon zu sehr von den Abschlussprüfungen abgelenkt bist. Wir sind doch bald ein Jahr zusammen. Du kannst doch nicht erst nach so langer Zeit feststellen, dass du mich angeblich nicht liebst. Das glaube ich dir nicht.«

Ein Jahr? Sie war schon fast ein Jahr mit Ron zusammen? Unfassbar! »Ron, ich… Es tut mir leid, aber es ist so.«

»Oder gibt es einen anderen?«

»Nein. Es gibt keinen anderen«, sagte sie und musste die Tränen zurückhalten. '…nicht mehr', fügte sie in Gedanken an.

»Aber dann ist doch alles gut«, sagte Ron und sah sie erleichtert an. »Wir bekommen das schon wieder hin.«

»Ron, ich kann nicht mehr so tun, ich liebe dich einfach nicht.«

»Aber…« Seine Augen huschten unstet über ihr Gesicht, als warte er darauf, dass sie aufspringen würde und ihm sagte, dass alles nur ein Scherz war.

»Es tut mir leid. Ich will dir nichts vormachen«, flüsterte Hermine.

»Du bist bestimmt nur durcheinander, weil die Schule wieder losgegangen ist. Wenn du das unbedingt willst, dann legen wir eine Pause ein und dann, wenn deine Unruhe sich gelegt hat, wird alles wieder besser.«

»Ron, ich will nicht nur eine Pause. Es liegt nicht daran, dass die Schule wieder losgegangen ist. Ich bin mir einfach über meine Gefühle klar geworden.«

Traurig sah Ron sie an. »Bis vor einer Woche war doch noch alles gut. Auf der Fahrt hier her hast du mir noch gesagt, dass du mich liebst.«

»Es tut mir so leid, ich weiß, ich hätte das nicht sagen sollen«, flüsterte sie. Sie drehte sich um und wollte den Raum verlassen. An der Tür sah sie ihn noch einmal an. »Ich gehe jetzt in die Bibliothek. Das kannst du Harry und Ginny sagen, wenn sie fragen. Es tut mir leid, Ron. Aber du verdienst jemanden, der dich aufrichtig liebt. Ich bin das nicht.« Sie verließ den Raum, als die erste Träne über ihre Wange lief. Sie hatte nicht gedacht, dass es so schwer werden würde mit Ron zu sprechen. Und jetzt hatte sie Angst davor, ihre Freundschaft mit Harry und Ginny ebenfalls aufs Spiel zu setzen. Sie war sich sicher, dass die beiden zu Ron halten würden, immerhin war Harry sein bester Freund und Ginny seine Schwester. Für ihn war es völlig unvorbereitet gekommen und das würde es für die anderen ebenfalls sein. Sie hoffte nur, dass Harry, Ron und Ginny sie irgendwann verstehen könnten.

Den gesamten Tag ging sie ihren Freunden aus dem Weg. Ron hatte ihnen mit Sicherheit schon erzählt, dass sie mit ihm Schluss gemacht hatte. Er sollte sich jetzt von ihnen trösten lassen. Deswegen ging sie erst spät zum Abendessen und schlich erst mit Beginn der Sperrstunde in den Gemeinschaftsraum und dort direkt in ihren Schlafsaal. Zum Glück war sie weder Ron noch Harry oder Ginny begegnet. Ihre Mitschülerinnen lagen schon in ihren Betten, Ginnys war noch leer, aber sie hörte Geräusche aus dem Badezimmer.

Sie zog sich schnell um und legte sich ins Bett. Ginny würde bestimmt mit ihr sprechen wollen, aber das wollte sie vermeiden. Sie hatte keine Lust darauf, erklären zu müssen, warum sie Ron verlassen hatte. Sie schloss die Augen und achtete auf die Geräusche aus dem Badezimmer. Als sie hörte, dass die Tür geöffnet wurde, drückte sie sich in ihr Kissen und versuchte ganz ruhig zu atmen.

»Mine?«, flüsterte Ginny. »Bist du wach?«

Hermine versuchte sich nicht zu bewegen und ganz ruhig zu liegen. Dann hörte sie Bettzeug rascheln und danach wurde es still im Raum. Sie wagte es immer noch nicht sich zu bewegen und harrte aus, bis sie selbst eingeschlafen war.


Am nächsten Morgen wurde sie von Ginny geweckt. Verschlafen sah Hermine sich um.

»Wo warst du gestern?«

»In der Bibliothek«, murmelte die Brünette und setzte sich auf. Sie rieb sich über das Gesicht und sah Ginny dann abwartend an.

»Hast du wirklich mit Ron Schluss gemacht?«, fragte die Freundin auch sofort.

»Ja. Ich habe einfach festgestellt, dass es nicht passt. Und mehr möchte ich da auch nicht zu sagen.«

Ginny sah Hermine irritiert an. »Okay. Es kommt nur so plötzlich…«

»Ich habe lange darüber nachgedacht und es wäre deinem Bruder gegenüber nicht fair etwas vorzuspielen«, sagte Hermine kühl. Sie wollte jetzt keine Predigt oder Überzeugungsversuche, es doch noch mal mit Ron zu versuchen, von Ginny hören.

»Hey! Beruhig dich. Ich sage doch nur, dass es plötzlich kam. Du bist meine Freundin, ich will genauso sehr, dass du glücklich bist, wie ich es Ron wünsche. Und wenn du es mit ihm nicht sein kannst, dann ist das so. Er wird darüber hinweg kommen.«

Hermine sah Ginny überrascht an.

»Was, hast du gedacht, wir wären jetzt keine Freundinnen mehr?«, fragte Ginny und zog eine Augenbraue hoch.

»Nein. Aber ich habe gedacht, dass du zu deinem Bruder hältst«, antwortete Hermine zögerlich.

»Ich halte mich da raus. Ich möchte einfach nur, dass ihr beide glücklich seid.«

»Danke, Ginny«, sagte Hermine erleichtert und kletterte aus ihrem Bett. Gemeinsam machten sich die Mädchen im Badezimmer fertig und gingen dann zum Frühstück hinunter.

In der Großen Halle trafen sie auf Harry und Ron. Beide sahen Hermine an, als Ginny sich neben ihren Freund setzte. Harry sah sie fragend an, während Rons Blick traurig war.

»Ähm, ich kann mich auch woanders hinsetzen, wenn euch das lieber ist«, bot Hermine leise an.

»Quatsch. Oder kündigst du mir auch die Freundschaft?«, murmelte Ron und wandte sich seinem Frühstück zu.

»Nein, natürlich nicht«, antwortete Hermine leise und setzte sich dann auf die Bank neben Ron.

»Möchtest du Tee?«, fragte der Rothaarige und hielt die Kanne hoch.

»Klar, danke. Das kann ich aber auch machen«, antwortete Hermine und wollte ihm den Tee abnehmen.

»Ich hab sie schon in der Hand.« Ron goss davon etwas in ihre Tasse. Das alles tat er, ohne sie anzusehen.

Dieses Gespräch war ihr so unangenehm, dass sie sich wünschte, sie hätte das Frühstück ausfallen lassen. Beschämt griff sie nach einem Toast und knabberte darauf herum, den Blick auf ihren Teller gesenkt. Zwischendurch hörte sie Harry oder Ginny seufzen, ansonsten war es ein von peinlichem Schweigen erfülltes Frühstück. Sie war froh, als es Zeit wurde zur ersten Unterrichtsstunde zu gehen.

Den ganzen Tag lang herrschte entweder Stille zwischen ihnen, oder sie tauschten nichts-sagende, unangenehme Floskeln aus. Am Ende des Tages betete sie, dass es bald besser werden würde und sie und Ron wieder eine ähnliche Basis wie vor ihrer Beziehung fanden.


Die Wochen zogen ins Land und Hermine ging es immer noch nicht besser. Sie verhaspelte sich häufig, weil sie Dinge, die in den Siebzigern passiert waren, auf die heutige Zeit übertrug. Zum Beispiel verplapperte sie sich, als es um das erste Quidditchspiel der Saison ging. Sie verwechselte, dass Harry der Sucher war und kein Jäger, so wie James. Oder als Ginny jammerte, nach Zaubertränke vom Kerker in den fünften Stock zu müssen. Sie hatte unbedacht vorgeschlagen, einfach den Geheimgang aus dem Porträtraum zu nehmen.

Die anderen mussten sie inzwischen wohl für verrückt halten, denn ihre Ausreden würden auch keiner genaueren Überprüfung standhalten. Vermutlich war es nur eine Frage der Zeit, bis einer der drei sie darauf ansprechen würde. Bislang hatte sie einfach nur Glück, dass die anderen ihr glaubten, wenn sie diese Verwirrtheit auf die bevorstehenden Abschlussprüfungen schob. Dazu kam, dass sie ständig sentimental wurde, wenn Harry etwas sagte, oder tat, das so sehr James ähnelte. Dann wollte sie am liebsten schreiend davon rennen und das alles einfach nur vergessen. Aber sie tat es nicht, sie riss sich zusammen.

Inzwischen war es November und sie sie hatte das Gefühl, dass es allmählich besser wurde. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass sie sich aus den meisten Gesprächen raushielt und bloß noch etwas sagte, wenn sie direkt angesprochen wurde. Ansonsten hörte sie nur zu.

Als sie mit Ginny am Freitagabend auf dem Weg von Arithmantik in den Gemeinschaftsraum war, wurde sie von der Rothaarigen zurückgehalten. »Was ist los mit dir, Mine?«

»Ich… was soll sein? Es ist nichts los. Es ist alles gut.«

»Lüg mich bitte nicht an. Irgendwas stimmt mit dir nicht.«

»Mir geht es gut. Ich weiß gar nicht, was du hast«, sagte Hermine und fragte sich, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde, denn schließlich fand sie, dass es inzwischen recht gut lief. Aber Ginny war auch sehr aufmerksam, was also, wenn das Maß der Merkwürdigkeiten jetzt voll war?

»Du kapselst dich von uns ab. Erst bist du total verwirrt. Dann machst du aus heiterem Himmel mit Ron Schluss. Du bringst alles durcheinander und redest von komischen Sachen, die überhaupt nicht passiert sind! Man könnte das Gefühl haben, jemand anderes gibt sich mit Vielsafttrank als du aus.«

»Ginny… du reimst dir da irgendwas zusammen, mit mir ist alles in Ordnung!«, krächzte Hermine schrill. Jetzt hatte sie den Salat. Wenn Ginny erst einmal skeptisch war, dann ließ sie sich nur schwer davon abbringen. Und sie würde den anderen davon erzählen, wenn sie nicht schon längst mit ihnen darüber gesprochen hatte. Hermine wurde blass.

»Wann hat Ron dich das erste Mal geküsst?«, wollte die Rothaarige plötzlich wissen.

»Was soll das, Ginny? Ich bin deine Freundin!«, brauste Hermine auf. Glaubte Ginny ernsthaft, dass sie nicht sie selbst war? Das konnte doch nicht wirklich sein! War ihr eigenes Verhalten so anders?

»Das kann ich momentan nicht so genau sagen. Wann hat Ron dich zum ersten Mal geküsst?«, misstrauisch sah sie Hermine an.

Was sollte sie jetzt bloß sagen? Der Orden hatte sich um die Horkruxe gekümmert. Sie war schon früher mit Ron zusammen gekommen. Sie waren vermutlich niemals in der Kammer des Schreckens gewesen. Sie wusste nicht, wann sie Ron das erste Mal geküsst hatte. Hermine begann zu zittern und trotzdem konnte sie sich keinen Millimeter rühren.

Ginny wich vor ihr zurück. Ihre Augen waren groß und ihr Mund stand ein kleines Stückchen offen. »Du weißt es nicht«, murmelte sie tonlos. »Wer bist du?«, fragte sie und ging dabei immer weiter zurück.

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Nächstes Kapitel:

Sie sind nicht alle tot