Ja, ich weiß, ich bin viel zu spät. Viele Jahre zu spät tatsächlich. Aber diese Geschichte (ein klein wenig abgewandelt) lagert seit vielen Jahren auf meiner Festplatte und niemals hätte ich gedacht, dass sie jemals das Licht der Öffentlichkeit erblickt, aber mal sehen, was daraus wird. Genießt meine wilden Hirngespinste. Post Madea.

P.S: Es ist meine erste veröffentliche FF, also habt Gnade mit mir. Über Nachrichten bin ich immer dankbar. Vielleicht entwickle ich irgendwann den Mut dazu sie auch in Englisch zu veröffentlichen, mal sehen.

P.P.S: Ich schreibe alle meine FF für mich selbst im Präsens, für euch werde ich aber in die Vergangenheitsform wechseln, weil man das beim Lesen so gewöhnt ist. Falls mir aber aus Gewohnheit eine andere Zeitform rausrutscht, verzeiht mir.


Die Zeit stand still. Es schien, als hätte die Welt sich aufgehört zu drehen, als hätten alle Menschen im gleichen Moment aufgehört zu atmen. Dr. Jacob Hood versuchte dagegen anzukämpfen, aber sein Körper gehorchte ihm einfach nicht. Immer weiter fiel er in einen Sog aus Dunkelheit und Verzweiflung, kein Geräusch drang an sein Ohr und ein grauer Schleier legte sich über seine Sicht als sich schwere Tränen einen Weg über seine Wangen bahnten. Ein leises Wimmern traf auf sein Ohr, es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass es seine eigene Stimme war. Vor nicht einmal fünf Minuten war er mit der blutenden Gestalt in die Notaufnahme gestolpert. Herbei hechtende Mitarbeiter hatten ihm die bewusstlose Frau aus den Armen genommen und waren mit ihr direkt losgesprintet ohne auch nur einen Gedanken an den zitternden, blutüberströmten Mann zu verlieren, der allein im Gang stehend zurückblieb.

Plötzlich aufkommender Schwindel zwang Hood in die Knie, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, doch das letzte bisschen Verstand hielt ihn davon ab, den Kopf in die blutigen Hände zu legen. Der nächste Adrenalinstoß kam, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte und er sprang auf die Beine noch bevor ihm klar war, was er tat. Vor ihm stand eine ältere Krankenschwester, ganz in weiß gekleidet mit einem dicken dunkelbraunen Zopf und besorgtem Blick.

„Sind Sie auch verletzt, Sir?", fragte sie vorsichtig und deutete auf ihn. Hoods Blick folgte ihrem und er erschrak, als er seine über und über mit Blut bedeckte Jacke sah. Rachels Blut, viel zu viel davon. Den in seinem Hals sich bildenden Klos herunterschluckend, schüttelte er den Kopf. Die Krankenschwester entspannte sich sichtlich.

„Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo sie sich waschen können und dann müssten Sie mir ein paar Fragen beantworten." Dieses Mal nickte er, unfähig einen Ton herauszubringen. Ein paar Minuten später hatte er die Jacke ausgezogen, sich die Unterarme und die Hände gewaschen und fühlte sich nach ein paar Spritzern kaltem Wasser im Gesicht schon etwas besser. Draußen auf dem Flur wartete die Krankenschwester auf ihn. Sie schien zu erkennen, dass er etwas zugänglicher war und deutete ihm sich in einer Sitzgruppe niederzulassen.

„Ich bin Schwester Eve, wie heißen Sie?" „Hood. Dr. Jacob Hood", entkam es ihm heiser. „Wunderbar, Dr. Hood. Wir haben die Notfallkarte von Agent Young bei ihren persönlichen Gegenständen gefunden, Sie brauchen uns also keine medizinischen Fragen zu beantworten. Da Sie als der Notfallkontakt von Miss Young eingetragen sind, hätten wir aber noch einige andere Fragen an Sie, wenn das in Ordnung ist." Überrascht riss er die Augen auf.

„Notfallkontakt?", fragte er kaum hörbar.

„Wie bitte?" Eve schaute von einem Klemmbrett auf, auf dem einige Seiten Papiere hefteten.

„Ich bin ihr Notfallkontakt?"

„Ja, Sir. Wussten Sie das nicht? Wenn Sie sich damit unwohl fühlen, es ist auch noch ein Herr Fuller hinterlegt, den kann ich auch anrufen…" Heftiges Kopfschütteln unterbrach sie.

„Nein, alles in Ordnung. Was wollen Sie wissen?" Während die Krankenschwester einige der Seiten umblätterte, schweiften Hoods Gedanken ab. Notfallkontakt. Niemals hätte er das erwartet. Die Beziehung zu Rachel war stets professionell gewesen, zumindest war es das, was er sich immer einredete. Natürlich kannten sie einander nach all der Zeit, die sie miteinander verbrachten, sehr gut. Das brachte der Job mit sich. Das viele Reisen, lange Tage, wenig Schlaf und selbst den verbrachten Rachel und er in benachbarten Zimmern mit einer halb offenen Verbindungstür dazwischen. Darauf bestand sie vehement, seitdem er sich bei einem Fall unbeabsichtigt Drogen ausgesetzt und daraufhin einen Zusammenbruch hatte. Privatsphäre gab es eigentlich kaum noch, aber irgendwie störte es Hood nicht und auch Rachel schien damit ihren Frieden gemacht zu haben. Eves Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

„Nimmt Miss Young regelmäßig Medikamente, auch rezeptfreie?"

„Nur Vitamine, meistens täglich, wenn es unsere Arbeit zulässt."

„Auch kein Kontrazeptivum?" Verhütungsmittel. Natürlich musste sie danach fragen, das wusste Hood, aber das war wirklich keine Frage, die er hätte beantworten sollen.

„Ähmm, nein. Das FBI verlangt von den weiblichen Agenten… ähh…. Hormonimplantate zu tragen." Das hatte Frank mal beiläufig in einer seiner großen Pokerrunde erzählt, als Antwort auf den Witz eines Mitspielers, eine Frau als Bodyguard zu einem Mann zu schicken könne ja nur in einer Schwangerschaft enden. Damals schon hatte Hood nur missbilligend den Kopf geschüttelt. Wieder war es Eves Stimme, die ihn zurück aus dem Tagtraum holte.

„Also auch keine Chance auf Schwangerschaft?", fragte die Krankenschwester mit einem Seitenblick auf ihn. Hood schüttelte nur den Kopf, unfähig darauf etwas zu antworten.

„Okay. Haben Sie Kontakt zu den Familienangehörigen von Miss Young?"

„Es gibt nur noch ihren Vater und die beiden haben kaum Kontakt. Ich würde ihn nicht anrufen, ohne ihr Einverständnis…" Seine Stimme versagte. Ihr Einverständnis. Was sie nur geben könnte, wenn sie wach würde, falls sie wach würde. Wieder schossen Tränen in seine Augen. Eve, die nach all den Jahren in der Notaufnahme Menschen zu lesen schien wie ein Buch, legte wieder die Hand auf seinen Arm.

Nach ein paar weiteren Standartfragen richtete sie sich auf. „Danke für Ihre Hilfe. Ich rufe gleich mal im OP an und frage nach, wie es ihr geht. Okay?" Ein schwaches Nicken entkam ihm. Als sie Krankenschwester außer Sicht war, stürzte eine bekannte Gestalt die Tür zum Wartebereich herein.

„Doc, wie geht es ihr?", fragte Felix völlig außer Atem. Noch bevor er den Raum halb gequert hatte, fiel dem jungen Agenten auf, wie schlecht der Physiker aussah. Seine Augen waren aufgequollen, seine Haut bleich und er saß zusammengesunken auf einem Stuhl in der Ecke. Mit zwei großen Schritten hatte er ihn erreicht und ließ sich neben ihm fallen.

„Gibt es etwas Neues?", fragte Felix nochmal. Wieder nur Kopfschütteln. Einen Moment war er verleitet die Hand auf Hoods Arm zu legen, aber er konnte sich nicht dazu durchringen, also blieb er schweigend sitzen. Im nächsten Moment betrat Eve den Raum und Hood sprang von seinem Stuhl auf.

„Sie wird noch operiert, die Ärzte versuchen die Blutung zu stoppen und müssen sich dann um die Wunde kümmern. Das wird sicher einige Stunden dauern. Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr sagen kann." Hood nickte und versuchte sich an einem schmalen Lächeln für sie, aber es gelang ihm nicht. „Wir werden warten, danke Ihnen", sagte Felix an seiner Stelle und schenkte ihr ein breites Lächeln.

Die Zeit verlief schleichend. Die erste Stunde hatte Felix noch versucht Hood zum Sprechen zu bewegen, aber er gab es schnell auf. Nach weiteren drei Stunden war der junge Agent auf dem Stuhl eingeschlafen, während Hoods Blick weiterhin nur auf die Tür gerichtet war. Nach etwas mehr als fünf Stunden wurde die Tür endlich aufgedrückt und ein großgewachsener Mann in blauer OP Kleidung betrat den Raum. Sein suchender Blick blieb an Hood hängen.

„Mr. Hood?", fragte der Arzt. Der Physiker nickte stumm und stand auf.

„Die Verletzungen von Miss Young sind schwerwiegend. Der Pfeil…"

„Bolzen", verbesserte Hood. „Es war kein Bogen, sondern eine Armbrust"

Der Mediziner hob eine Augenbraue, sprach aber weiter: „Der Bolzen steckte im rechten Oberschenkel, hat beim Eintreten sowohl Adduktoren wie auch Abduktoren, also Muskulatur innen und außen am Oberschenkel, stark verletzt, außerdem einige wichtige Blutgefäße und andere Strukturen. Durch das Herausziehen des Bolzens wurden die Schäden noch deutlich schlimmer und haben auf der Außenseite des Oberschenkels einen großen Gewebedefekt hinterlassen. Sie hat Glück, dass der Bolzen an der Spitze herausgezogen wurde, wäre die noch einmal durch das Bein gegangen, hätte sie das nicht überlebt. Wir konnten die Blutung in den Griff bekommen, das Gewebe ist notfallversorgt, da werden noch mindestens zwei Operationen auf Miss Young zukommen. Ich kann Ihnen aber noch keine vollständige Entwarnung geben. Sie hat sehr viel Blut verloren und sie ist noch nicht über den Berg. Die nächsten Stunden sind entscheidend. Sie liegt auf der Intensivstation. Es tut mir leid, aber ich kann Sie erstmal nicht zu ihr lassen, sie braucht Ruhe. Haben Sie noch Fragen?"

„Das Bein?", fragte Hood leise.

„Der Schaden ist immens. Es kann sein, dass wir ihr Bein nicht erhalten können. Falls eine Infektion dazukommt oder der Körper die Blutzufuhr abbricht, ist die Chance sehr groß, dass amputiert werden muss. Und selbst WENN wir es retten können, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Funktion nicht mehr oder nur teilweise zurückkommt. Auch darauf müssen Sie sich einstellen, aber erstmal sorgen wir uns um ihr Leben, dann erst um das Bein." Der Mediziner legte eine Hand auf Hoods Schulter. „Wir tun alles, was in unserer Macht steht, damit es Miss Young bald wieder besser geht. Gehen Sie nach Hause, schlafen Sie und tanken Sie Kraft. Damit helfen Sie ihr jetzt am besten." Damit verließ der Arzt den Wartebereich und Hood starrte auf Felix, der lautlos aufgestanden und neben ihn getreten war, während der Arzt gesprochen hatte. Den Ausdruck der Verzweiflung teilten die beiden Männer.

„Ich bringe Sie nach Hause, Doc", Felix´ Hand lag wie ein Bleichgewicht auf Hoods Schulter.

„Ich kann hier nicht weg."

„Sie braucht Schlaf und für Rachel sind Sie eine größere Hilfe, wenn Sie auch etwas schlafen." Er wusste, dass der junge Agent recht hatte. Trotzdem war es, als hielte ihn eine unsichtbare Macht im Krankenhaus. Er konnte sie nicht greifen oder dem Gefühl einen Namen geben, aber es war stark. Felix zog ihn wenig später mit sich hinaus und zwang ihn nach einer kurzen Autofahrt im mitternächtlichen Verkehr von DC, in den Fahrstuhl hoch zu seinem Apartment. Noch vor der Tür trat Felix an Hood heran.

„Hören Sie, Doc. Es ist jetzt meine Aufgabe Sie zu beschützen, so lange bis Agent Young wieder im Dienst ist. Wir werden also eine Zeit lang zusammenarbeiten und ich möchte ein paar Dinge klar stellen, bevor es losgeht", Felix holte tief Luft, „Ich kann Agent Young nicht ersetzen, das will ich auch gar nicht. An ihre Fähigkeiten und Erfahrung komme ich nicht heran, aber ich verspreche, ich beschütze Sie mit allem was ich kann, meinem Leben wenn es darauf ankommt. Sie können sich auf mich verlassen." Sein Blick ruhte auf dem Physiker, der mit ausdrucksloser Miene den Worten seines Kollegen zu gehört hatte.

„Das wird nicht nötig sein, Felix." Der junge Agent schluckte hart.

„Okay. Wenn Sie einen anderen Beschützer wünschen, werde ich morgen früh einen Ersatz anfordern." Traurigkeit zierte Felix´ Miene. Erst da schien Hood zu verstehen, was er gesagt hatte.

„Nein, so meine ich das nicht. Sie machen einen großartigen Job, aber ich brauche zur Zeit keinen Beschützer." Darauf folgte eine lange Pause, bis Hood weitersprach.

„Ich kläre das morgen selbst mit Frank." Seine Hand wanderte bereits an den Türknauf, als die Stimme des Agenten nochmal an ihn herantrat.

„Doc, so sehr ich Ihre Wünsche auch respektiere, aber Agent Young bringt mich um, wenn ich Sie allein lasse, solange sie nicht kann. Lassen Sie mich meinen Job machen. Zumindest so lange, bis entweder Agent Young oder Direktor Fuller mir andere Anweisungen geben. Können Sie das für mich tun?" Hood schloss die Augen. Seine Entscheidung stand fest, aber Felix hatte recht. Rachel würde ihn in große Schwierigkeiten bringen, wenn der Agent Hoods Seite verließ. Stumm nickte er.


Hood hatte seinen Körper in dieser Nacht zu ein paar Stunden unruhigem Schlaf zwingen können, bevor er kurz nach Sonnenaufgang schon wieder auf den Beinen war und ruhelos durch sein Apartment tigerte. Seine Gedanken rasten durch seinen Kopf, keiner davon wirklich greifbar, aber trotzdem laut und unangenehm. Sobald er die Augen schloss, sah er das viele Blut auf seinen Armen, seiner Jacke, seinen Händen. Es war überall und es war so viel. Viel mehr als ein Mensch verlieren sollte. Rachel war stark und jung, das sagte er sich immer wieder, aber selbst ein gesunder Körper kapitulierte, wenn der Blutverlust zu groß wird. Die Uhr zeigte kurz nach sieben am Morgen, als er zum Telefon griff und eine Nummer wählte, nicht sicher, ob das das Ende seiner Karriere sein würde.

„Fuller", bellte die verschlafenen Stimme seines Freundes aus dem Telefon.

„Hey Frank, hier ist Jacob. Entschuldige, dass ich dich geweckt habe, aber es ist wichtig." Gerade als Hood wieder anfing ziellos durch die Wohnung zu laufen, räusperte sich der Direktor des FBI am anderen Ende der Leitung und wirkte wacher als er weitersprach.

„Ich bin gut informiert über das, was passiert ist. Die Verantwortlichen sind in Gewahrsam und einige Teams sind dabei Beweise zu sammeln."

„Darum geht es nicht", unterbrach Hood ihn.

„Das dachte ich mir. Du willst über Agent Young reden?"

„Indirekt. Ich habe entschieden, dass ich keinen anderen Beschützer haben möchte."

„Jacob, darüber haben wir schon so oft gesprochen. Du bist zu wichtig für das Department, als dass ich dich ohne Schutz da draußen herumlaufen lassen kann. Wir werden gemeinsam einen Ersatz für Agent Young finden und bis dahin ist Agent Lee an deiner Seite."

„Ich habe kein Problem mit Felix, er ist ein wirklich guter Agent. Ich wollte damit sagen, ich möchte keinen anderen Beschützer als Rachel. Sie kennt mich und meine… Eigenheiten. Wir arbeiten gut zusammen und ich kann mich auf sie verlassen."

„Das freut mich, aber sie wird auf unbestimmte Zeit nicht zur Verfügung stehen."

„Glaub mir Frank, das weiß ich. Aber meine Entscheidung steht fest. Mit ihr oder nicht. Und bis sie wieder diensttauglich ist, setze ich aus." Hood atmete aus. Der Gedanken schwirrte ihm seit dem gestrigen Abend im Kopf herum und es tat gut ihn endlich verbalisiert zu haben. Fuller hingegen zog die Luft überrascht ein.

„Jacob, du bist ein sehr wichtiger Mitarbeiter des FBI. Du löst Fälle, an die ich sonst niemanden setzten kann, du rettest das Land vor Katastrophen. Wie stellst du dir das vor?"

„Du weißt ich kann von meinen Veröffentlichungen und den Ersparnissen gut leben und was die Fälle angeht, habe ich ein paar sehr fähige Kollegen auf dem Gebiet, die sich alle ein Bein ausreißen würden, um das zu tun, was ich tue. Wenn auch nur übergangsweise."

„Ich will aber niemanden anderen, Jacob. Dir vertraue ich, das weißt du. Wir kennen uns schon ewig." Hood legte den Kopf in die freie Hand bei den Worten seines Freundes. Warum musste das alles nur so schwer sein. Er wollte doch einfach nur das Richtige tun.

„Gut, Frank. Ein neuer Vorschlag. Ich sehe mir die neuen Fälle an, die reinkommen. Viele davon sind sicher auch übers Telefon zu lösen. Oder mit einem Labortechniker von uns vor Ort, der die Proben sammelt und hier in mein Labor schickt. Und wenn das Land oder die Welt in Gefahr sind, fahre ich selbst hin. Mit Felix. Du kannst mich auf einen Beraterposten zurückstufen und mit dem gesparten Geld den Techniker bezahlen." Sehr lange Minuten war es still in der Leitung.

„Frank? Bist du noch drain?"

„Warte noch, ich denke nach." Noch mehr Minuten verstrichen.

„Okay, Jacob. Ich denke das können wir versuchen. Aber du wirst nur nach Fallpauschale bezahlt und ich kann dir Agent Lee nur zuteilen, wenn du für uns unterwegs bist."

„Passt für mich." Ein Lächeln stahl sich über Hoods Lippen.

„Aber eine Frage würde ich gerne noch stellen. Warum? Warum setzt du deine Karriere aufs Spiel für sie? Geht da etwas vor? Ist da etwas…. Zwischen euch?" Der Direktor suchte die richtigen Worte. War da etwas zwischen ihnen? Das hatte sich Hood immer wieder gefragt. Sie waren niemals körperlich geworden, aber sie hatten sich sehr gut kennen gelernt in den letzten Jahren und vor allem hatte er gemerkt, wie leicht er sich fühlte in ihrer Gegenwart. Sie nahm ihm einige Lasten ab, die er auf den Schultern trug und sie erlaubte ihm, sich komplett in seinen Gedanken zu verlieren, ein Privileg, was vielen Menschen verwehrt blieb. Und er merkte, wie wohl er sich fühlte, wenn sie in der Nähe war. Sie bot ihm ein Gefühl von Heimat, obwohl sie meistens irgendwo im Land unterwegs waren.

„Sie hat die letzten Jahre damit verbracht mir den Rücken freizuhalten und mich von allem abzuschirmen, was mir hätte Schaden können. Und ich bin mir sicher, dass sie mir niemals von der Seite weichen würde, wenn ich in diesem Bett läge. Also kann ich doch das gleiche für sie tun."

„Das ist ihr Job, Jacob." War es nur das für sie?

„Ist mir egal, Frank. Sie hat es nicht verdient, dass ich jetzt mir einem anderen Beschützer weitermache, als wäre nichts gewesen."

„Wenn es das ist, was du möchtest, dann leite ich alles in die Wege. Aber bitte, und das sage ich als dein Freund und nicht als dein Chef, denke nochmal darüber nach und frage dich selbst, ob du diese Entscheidung mit klarem Verstand triffst, oder aufgrund der Ereignisse der letzten Tage und deiner Schuldgefühle." Damit beendete Fuller das Gespräch. Hood atmete ein paar Mal durch, bis sich sein Puls langsam wieder normalisierte. Diese Entscheidung war ihm schon gestern im Krankenhaus leichtgefallen, nur kurz hatte er über die Konsequenzen nachgedacht und das war jetzt nicht anders. Rachel brauchte ihn jetzt und er würde da sein für sie, genau wie sie für ihn dagewesen war. Ob das nun eine Entscheidung von seinem Verstand oder aus seinem Herzen war, war eine Frage für einen anderen Tag.


Zusammen mit Felix, der sich einfach nicht abschütteln ließ, betrat Hood um Punkt acht und das Krankenhaus. Es wirkte deutlich geschäftiger als am späten Vorabend. Fast alle Sitzplätze des Wartebereichs der Notaufnahme waren besetzt und zwischen ständig klingelnden Telefonen huschten noch viele Mitarbeiter in unterschiedlich gefärbten Kasaks durch die Gänge. Noch bevor er sich orientieren konnte, trat Eve an ihn heran.

„Dr. Hood. Sie sehen etwas besser aus als gestern." Ihr Lächeln war breit, aber müde.

„Doppelschicht für Sie?", fragte Hood.

„Ja, mal wieder. Zu wenig Personal, zu viel Arbeit. Es ist kräftezehrend." Der Hauch von einem Lächeln des Physikers traf sie.

„Sie wollen sicher zu Miss Young. Kommen Sie, ich zeige Ihnen den Weg zur Intensivstation. Leider sind die Besuchszeiten dort sehr eingeschränkt. Maximal 45 Minuten und auch nur Sie als Notfallkontakt. Ihr Freund muss leider draußen warten", sie deutete auf Felix.

„Das macht mir nichts, Ma´am." Felix setzte sich in eine kleine Sitzgruppe im Flur vor den gläsernen Milchglastüren, die die Aufschrift Intensivstation trugen. Eve betätigte eine Klingel und sprach kurz mit der Krankenschwester, die den Kopf aus der Tür hinausstreckte. Dann verabschiedete sie sich von Hood.

„Dr. Hood, mein Name ist Emily. Ich bin zuständig für Agent Young. Folgen Sie mir." Sie führte ihn in ein Zimmer mit zwei Betten, getrennt durch einen dunkelgrauen Vorhang. In dem einen Bett erkannte er Rachel. Ihre Haut war so blass, dass sie fast mit den weißen Laken zu verschmelzen schien. Ihre Augen waren geschlossen, aber das stetige Piepen der Überwachungsmaschinen war gleichmäßig.

„Ist sie wach?", fragte er die Krankenschwester.

„Immer wieder kurz. Aber sie bekommt starke Schmerzmittel und ist sicher etwas verwirrt. Aber reden Sie mit ihr, das tut ihr sicher gut." Damit zog sie Emily zurück und vorsichtig trat Hood an Rachels Bett heran. Erinnerungsfetzen an Maggie stahlen sich in sein Bewusstsein. Sie sah in ihren letzten Tagen ähnlich aus, nur ein Hauch ihrer selbst, der Krebs hatte alles genommen, was sie ausgemacht hatte und nur die schwache Hülle zurückgelassen. Er schüttelte kurz den Kopf, als würde das die Gedanken aufhalten. An Rachels Bett angekommen, legte er seine Hand auf ihre.

„Rachel?", fragte er leise. Keine Reaktion. Kurz ließ er von ihrer Hand ab, zog sich einen Stuhl an ihr Bett heran und nahm ihre Hand wieder in seine.

„Es tut mir so unendlich leid, Rachel. Ohne mich würdest du jetzt nicht hier liegen und würdest um dein Leben kämpfen. Dieser ganze Wahnsinn, Sophia, das hätte alles nicht sein müssen." Seine Stimme brach und er schluckte trocken.

„Ich habe vorhin mit Frank telefoniert. Wir haben uns geeinigt auf ein neues Arrangement. Wird dir wahrscheinlich nicht gefallen, aber es ist die beste Lösung, die mir eingefallen ist. Sonst hätte ich dir nicht mehr in die Augen sehen können." Einen Moment war er verleitet ihre Hand an seinen Mund zu führen und sanft auf ihren Handrücken zu küssen, aber er besann sich und streichelte stattdessen mit seinem Daumen über ihren Handrücken.

„Felix ist draußen und macht sich auch große Sorgen. Frank auch da bin ich sicher. Er kann es nur nicht so ausdrücken. Und Alex hat nach dir gefragt." Am Morgen, kurz nach seinem Gespräch mit dem FBI-Direktor hatte er mit seiner Schwester telefoniert, die seine Entscheidung etwas kürzer zu treten begrüßte. So richtig glücklich war sie mit seinem Job und den damit verbundenen Gefahren nie gewesen, aber auch sie schien einen anderen Grund für den plötzlichen Sinneswandel ihres Bruders zu vermuten, war aber schlau genug ihn nicht darauf anzusprechen.

„Alex mag dich wirklich, Rachel. Es beruhigt sie sehr, dass du auf mich aufpasst, wenn wir zusammen unterwegs sind. Und Owen lässt auch schön grüßen. Er sagte etwas mit Baseball… oder Softball… ich glaube ich habe nicht ganz zugehört. Auf jeden Fall freut er sich auf die nächste Trainingseinheit mit dir, wenn du wieder auf den Beinen bist." Mit den letzten Worten legte sich sein Blick auf ihr Bein, dass zwar unter der dünnen Decke verborgen, aber dessen Kontur trotzdem deutlich breiter war, als das andere. Die Worte des Arztes schwirrten durch seinen Kopf. Vielleicht ist das Bein nicht zu retten und selbst WENN, kommt die Funktion vielleicht nie zurück. Das würde Rachel nicht überleben, da war er sich sicher.

„Hood?", hauchte sie mit geschlossenen Augen und brüchiger Stimme. Sofort war er wieder mit den Gedanken ganz bei ihr und drückte ihre Hand.

„Ich bin hier, Rachel."

„Was ist passiert?"

„Erinnerst du dich an Sophia? Du bist verwundet, dein Bein…", er wusste nicht, wie er es erklären sollte, also schwieg er. Die Erinnerung schien einzuschießen, denn Rachel verzog das Gesicht und legte ihre freie Hand auf ihren Oberschenkel. Schmerz zierte ihr Gesicht.

„Hast du Schmerzen?"

„Es fühlt sich an, als stünde das Bein in Flammen." Sie biss die Zähne zusammen. Hood drückte den Knopf für die Krankenschwester und dann nochmal Rachels Hand.

Emily steckte den Kopf zur Tür hinein. „Sie hat Schmerzen", erklärte Hood. Die Krankenschwester schaute auf die Wanduhr.

„Die nächste Dosis Schmerzmittel gibt es in etwa einer Stunde, wir sind am Limit mit der verschriebenen Dosis. Es tut mir leid." Damit verließ sie das Zimmer. Hood legte seinen Blick zurück auf Rachel und trotz ihrer geschlossenen Augen konnte er sehen, wie schlecht es ihr ging. Schnell ging er im Kopf seine Optionen durch. Schmerzen lassen sich gut überlagern, dachte er als erstes. Am besten mit anderen Reizen. Wärme, Kälte, Druck, Reibung... Nichts davon konnte er gerade für sich nutzen. Dann blieb nur Ablenkung.

„Ich habe vor ein paar Stunden mehr oder weniger meinen Job gekündigt", platze er heraus.

„Du hast was?" Rachel riss ihre Augen auf und hatte sich sogar fast etwas im Bett aufgesetzt.

„Ich habe mit Frank gesprochen und ihm gesagt, dass ich keine neuen Fälle vor Ort bearbeite, bis du wieder diensttauglich bist." Ihre verwässerten Augen trafen ihn fragend.

„Warum? Es gibt viele gute Leute beim FBI, es hätte sich sicher einer gefunden, bis ich wieder fit bin."

„Darum geht es nicht. Ich… Ich mache das nicht ohne dich", flüsterte er beinahe. Jetzt war es raus, eine Wahrheit, die sie beide schon eine geraume Zeit spürten, aber die sie nicht wahrhaben wollten. Ihr Blick wurde weicher und sie löste ihre Hand aus seinem Griff und legte sie stattdessen auf seine Wange.

„Das war eine sehr dumme Entscheidung."

„Ich weiß." Hood lächelte sie an und damit waren sie still. Rachels Hand streichelte zart über seine Wange und er schloss die Augen. Beinahe hätte er sie verloren, ein Gedanke, der ihm noch immer einen Schauer über den Rücken jagte. Einen Moment des Genießens später spürte er, wie ihre Bewegungen langsamer wurden und er öffnete die Augen wieder. Unvermittelt blickte er in ihre müden Augen. Sanft nahm er ihre Hand wieder in seine.

„Schlaf, Rachel. Dein Körper braucht die Ruhe." Schwach nickend schloss sie die Augen.

„Über die Sache mit der Kündigung reden wir nochmal, das vergesse ich nicht", nuschelte sie im Halbschlaf. Hood lächelte. Selbst in ihrem Zustand sorgte sie sich um ihn. Stumm drückte er ihre Hand. Erst als sie fest zu schlafen schien, gönnte er sich den Luxus und betrachtete sie eingehend. Entspannte Züge in ihrem Gesicht bekam er sonst selten zu sehen. Meistens war es gezeichnet von Müdigkeit, weil sie versuchte mit seiner Schlaflosigkeit mitzuhalten, Sorge, weil er wieder irgendetwas Dummes tat, Stress, weil sie bewaffnet einem Verdächtigen nachjagte oder einem gequälten Lächeln, weil sie versuchte einen aufdringlichen Mann davon abzuhalten ihr Avancen zu machen. Ein schmerzhafter Stich jagte durch seinen Körper beim letzten Gedanken. Eifersucht stand ihm nicht zu, das wusste er. Immerhin war sie nicht sein, aber er konnte sich nicht helfen. Den Blick fest auf sie geheftet, entspannte ihn ihre rhythmische Atmung und seine Augen wurden schwer.


Erst zwei Tage später wurde sie von der Intensivstation auf die Normalstation verlegt und Hood staunte nicht schlecht, wie fit sie wirkte, als er sie an diesem späten Vormittag besuchte.

„Du sitzt", stellte er überrascht fest. Stolz nickte sie.

„Meine Sporteinheit des Tages. Fühlt sich aber an, als wäre ich ein paar Meilen gelaufen." Sie legte ihre Hand auf den verletzten Oberschenkel und strich vorsichtig darüber. Noch immer war dieser dick mit Bandagen eingewickelt, vom Knöchel bis zur Mitte des Oberschenkels und Drainageschläuche traten zwischen dem gewickelten Stoff heraus.

„Hat der Arzt schon mit dir über das Bein gesprochen?", fragte Hood.

„Nein, aber heute wollte einer vorbeikommen. Haben sie mit dir geredet?" Ihr Blick ruhte wartend auf ihm, aber er hatte wenig Lust der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein.

„Direkt nach der OP kam Jemand zu mir. Ich bin dein Notfallkontakt. Wie ist das eigentlich passiert?", fragte er und wechselte geschickt das Thema. Sie lief rot an.

„Ähm. Wir sind meistens unterwegs… du kennst mich gut… ich weiß auch nicht. Es schien mir das Richtige zu sein." Sie unterbrach sich selbst.

„Alles gut, ich bin dir sehr dankbar dafür. Es hätte mich umgebracht hier zu sitzen und nicht zu wissen, wie es dir geht. Die Idee ist so gut, dass ich dich auch als meinen Notfallkontakt eingetragen habe, noch am Abend, als ich nach Hause kam." Er lehnte sich nach vorn, erhob sich halb von Stuhl neben ihrem Bett, auf dem er gesessen hat, beugte sich zu ihr und küsste sie sanft auf die Stirn.

„Danke für das Vertrauen", hauchte er zart gegen ihre Haut. Ein warmer Schauer lief ihren Rücken herunter. Hood hatte eine unbeschreibliche Wirkung auf sie, selbst wenn er sie kaum berührte. Genießend schloss sie ihre Augen.

Beide schreckten gleichzeitig zusammen, als die Zimmertür aufgerissen wurde. Etwas überrascht betrachtete der Arzt das Bild, das sich ihm bot und setzte ein wissendes Lächeln auf.

„Wie geht es Ihnen heute?", fragte er einfach.

„Die Schmerzen werden weniger", antwortete sie. Hood wusste, dass sie log. Ein schneller Blick zwischen ihm und dem Arzt und es war klar, dass dieser es auch wusste. Der Mediziner trat ans Bett heran, schlug die Decke soweit zurück, dass ihr Bein frei lag und ließ seine geübten Finger über den Verband wandern. Rachel presste die Zähne aufeinander. Ohne ein Wort zu verlieren, hob der Arzt ihr Bein an und begann den Verband abzuwickeln. Bei jeder kleinen Bewegung ihres Beins, stöhnte sie schmerzverzerrt so leise wie möglich gegen den verkrampften Kiefer. Hood stand auf und hielt ihren Knöchel mit beiden Händen um das Bein zu stabilisieren.

Rachel betrachtete sich ihr Bein, das erste Mal abgewickelt seit der Operation und erschrak sichtlich. Die Haut war dunkelorange von der Leiste bis zu den Zehen, außerdem dick geschwollen und an der Stelle, an der der Bolzen gesteckt hatte, waren dicker Verbandsmull und Drainageschläuche, in denen hellrosa Flüssigkeit stand. Schnell wand sie ihren Blick ab und schloss die Augen. Hood ergriff wieder ihre Hand.

„Das Bein sieht gut aus", verkündete der Arzt und wagte einen kurzen Blick unter den Wundverband. „Die Wunde sieht auch gut aus. Kein Anzeichen einer Entzündung und das Gewebe ist gut durchblutet." Damit verschloss er die Wunde wieder und warf die Decke über Rachels Bein.

„Wir müssen trotzdem über alle Eventualitäten sprechen", begann er und sie legte ihren Blick auf ihn. Hood, der wusste, was kommen würde, drückte ihre Hand.

„Die Verletzungen an Ihrem Oberschenkel sind schwerwiegend. Nervenschäden und große Gewebsschäden, außerdem mussten wir Blutgefäße vernähen. Der Gewebedefekt braucht noch mindestens eine Operation, eher zwei." Rachels Augen waren glasig geworden und mit leicht geöffnetem Mund starrte sie den Arzt an.

„Wie ist die Prognose?", fragte Hood, wissend, dass das ihre nächste Frage gewesen wäre, wäre sie nicht zu geschockt zum Sprechen gewesen.

„Die Prognose für Sie ist sehr gut, Miss Young. Ihre Blutwerte sind hervorragend, die Wunde heilt. Was das Bein betrifft…", begann er und wieder drückte Hood Rachels Hand, ahnte er, dass der nächste Schock nahte. „Die Zeit wird zeigen, wie viel Funktion zurückkehrt, aber so wie es heute aussieht, bin ich optimistisch, dass Ihnen das Bein erhalten bleibt." Er lächelte, während Rachel alles aus dem Gesicht gefallen war und Tränen in ihren Augen standen. Hood stand von seinem Stuhl auf, während der Arzt den Raum verließ, um den Beiden etwas Zeit zu geben.

„Es tut mir so leid, Rachel", entkam es Hood. Er stand neben ihrem Bett und lehnte sich zu ihr nach vorn, die immer noch sitzend den Kopf in die Hände gelegt hatte. Als leises Schluchzen aus ihrer Richtung kam, setzte er sich ihr gegenüber auf die Matratze und öffnete die Arme. Selbst wenn sie sonst von Zweifeln geplagt wurde und sie für sich selbst eine Nicht-Anfassen-Regel im Bezug auf Hood aufgestellt hatte, war es das, was sie jetzt brauchte. Sie brauchte ihn. Und sie lehnte sich nach vorn, legte die Stirn gegen seine Brust und ließ sich von ihm umschließen. Tränen rannen über ihre Wangen herunter in sein Shirt, aber für einen kurzen Moment war es ihr egal. Da waren nur sie beide. Sie roch sein Aftershave, sein Shampoo und diesen Geruch nach Hood, den sie in den letzten Jahren gut kennen gelernt hatte.

Noch immer in seinen Armen liegend, begann sie zu sprechen: „Du wusstest das mit dem Bein, oder?" Einen Augenblick hing die Frage zwischen den Beiden, dann nickte Hood und begann ihr in langsamen Kreisen über den Rücken zu streicheln.

„Wie gesagt kam direkt nach Operation ein Arzt zu mir. Er sagte mir wie schlecht es um dich steht, dass sie nicht wissen, ob du durchkommen würdest. Du hattest zu viel Blut verloren. Dein Überleben hatte definitiv Priorität, aber er sagte direkt, dass es noch schlechter um dein Bein stand. Die Option der Amputation stand im Raum. Ich habe befürchtet mitten in der Nacht einen Anruf zu kriegen und darüber entscheiden zu müssen. Zum Glück kam er nicht." Er hatte die Bewegungen an ihrem Rücken auch beim Sprechen nicht gestoppt, doch in diesem Moment verspannte sie sich und er löste seine Umarmung. Vorsichtig setzte sie sich wieder auf und blickte in sein Gesicht. Zitternd hob sie eine Hand, führte sie in Richtung seines Gesichts, hielt aber auf halbem Wege inne. Hood sah, wie sie kämpfte, griff nach ihrer Hand und umschloss sie wieder.

„Der Arzt sagte weiter, dass die Funktion des Beins vielleicht nicht zurückkehrt. Oder nicht komplett."

Rachel senkte ihren Blick. Einen Moment herrschte absolute Ruhe, während er sie wieder über die Finger streichelte. Plötzlich ging ein Ruck durch ihren Körper. Sie straffte die Schultern, hob den Kopf und schaffte sogar ein schwaches Lächeln.

„Noch mehr schlechte Nachrichten?", fragte sie lächelnd. Hood lächelte mit ihr. Sie war wieder da, die Rachel, die er kannte. Noch nie hatte er eine so starke Frau kennen gelernt, auch nach all der Zeit, allen gemeinsamen Fällen, die sie gemeinsam bestritten hatten, überraschte sie ihn immer noch.

„Nein, das war es", antwortete er und drückte ihre Hand nochmal. Ihre Blicke trafen sich und der Raum wurde still.

Bevor einer der Beiden blinzeln konnte, flog die Tür erneut auf und der Arzt stickte bei dem Anblick, der sich ihm bot. Die Spannung zwischen den Beiden war bis zur Tür spürbar.

„Ähm… ich wollte das weitere Vorgehen besprechen", stammelte er verlegen. Hood nickte, machte aber keine Anstalten den Platz an ihrem Bett aufzugeben.

„Wir werden in ein paar Tagen nochmal operieren und uns um den Gewebsdefekt kümmern. Auch eine sogenannte Meshgraft wird gemacht. Ich erkläre Ihnen das Vorgehen vor der Operation genauer. Zusätzlich starten wir ab morgen mit Physiotherapie und physikalischer Therapie gegen die Schwellung. Sie dürfen das Bein nicht belasten bis die Operation gemacht ist, die Wunde ist zurzeit nur notfallmäßig versorgt. Haben Sie noch Fragen?"

„Wie lange muss ich hier bleiben?" Der Arzt schaute einen Moment verdutzt auf die junge FBI-Agentin.

„Wenn alles läuft wie geplant vielleicht noch zwei Wochen. Aber das kann ich wirklich nicht versprechen." Wieder drückte Hood ihre Hand, hoffentlich war das die letzte schlechte Nachricht des Tages.