Bei Flourish & Blotts
Der August war bereits zu mehr als der Hälfte um. Severus saß in seiner kargen Küche und frühstückte. Die Toastscheiben nahm er direkt aus der Cellophanverpackung und stopfte sie in den uralten Toaster, den er aus dem Keller hervorgekramt hatte. Erstaunlicherweise funktionierte er so wie Severus Snape sich vorstellte, dass ein Toaster zu funktionieren hatte.
Die Toastscheiben erreichten, nach einiger Zeit, ein Stadium irgendwo zwischen lauwarm und pechschwarz und flogen mit einem vernehmlichen Verdammt!, das der Kasten von sich gab, auf seinen Teller. Wozu die Schnur mit dem Plastikteil am Ende gut war, würde er auch noch herausfinden.
Bei Gelegenheit sollte er Charity dazu befragen. Die war Expertin für Toaster — unter anderem.
Ein zartes, dann aber schnell lauter werdendes Klopfen am Küchenfenster ließ ihn innehalten beim Versuch, einen eiskalten Brocken Butter auf einer eher schwarzen Toastscheibe zu verteilen.
Eine zerzauste Schleiereule saß auf dem Fensterbrett und bearbeitete mit dem Schnabel die Glasscheibe und dann auch den morschen Holzrahmen.
Fluchend ließ Severus die Eule herein, die ihm zwar ein Bein mit einer Pergamentrolle entgegenhielt, ihm aber unwirsch in die Hand hackte, als er versuchte, des Pergaments habhaft zu werden. Entnervt stopfte Snape dem Vogel den halb gebutterten Toast in den Schnabel, was dem Tier ein entrüstetes Krächzen entlockte, das eher zu einer Nebelkrähe passte als zu einer Posteule.
Immerhin war das renitente Vieh lange genug abgelenkt, dass Severus das Pergament vom strampelnden Fuß des Vogels losbinden konnte.
Beherzt warf Severus das Tier wieder hinaus und schloss das Fenster. Sekunden später wurde er vom Kreischen einer Eule und dem Splittern von Holz aufgeschreckt.
Die Eule war offensichtlich nicht amüsiert über die Behandlung und forderte vehement so was wie Bezahlung ein. In der Zwischenzeit zerlegte sie den Fensterrahmen. Große Holzsplitter flogen durch die Gegend.
Hektisch schaute Severus sich in der Küche um. Er hatte keine Eulenkekse, er bekam ja nie Post und in seiner Verzweiflung griff er die Toastpackung, riss das Fenster abermals auf, warf den Toast raus und schmiss das Fenster wieder zu.
Er lauschte, aber es blieb still. Scheinbar war der Toast für die Eule annehmbar. Dafür war das Frühstück beendet. "Krieg ich vielleicht noch was zu tun?", mokierte sich der Toaster. Severus verdrehte die Augen und verließ mit dem Brief und einer Tasse lauwarmen Tees die Küche. Das schien nicht wirklich sein Tag zu sein.
Als er sich den Brief jedoch genauer besah, da freute er sich doch. Als Absender stand Folgendes auf dem gelblichen Umschlag:
Montague Arm-Stibitzki
Total hohes Tier im renommierten Bunsen-Verlag
Aufgeregt riss Severus den Umschlag auf und überflog die gestochen scharfe Schrift. Er sollte sich bei Flourish & Blotts einfinden, am Mittwoch den 19. August, um über die Verlegung seines Buches zu sprechen. Im Hinterzimmer! Severus hatte gar nicht gewusst, dass das Flourish & Blotts ein Hinterzimmer besaß, in dem solche Dinge besprochen wurde.
Wenn das nicht mal was Aufmunterndes war!
Etwa zur selben Zeit verließ zu Fuß eine erheblich übergewichtige Schleiereule, der ein Stückchen Cellophan aus dem Schnabel hing, ein ungepflegtes Grundstück in Spinner's End.
An besagtem Mittwoch war Severus beileibe nicht der Einzige, der in die Winkelgasse strebte. Die Schüler hatten ihre Briefe mit den Einkaufslisten von Hogwarts erhalten. Schon der Tropfende Kessel war zum Bersten gefüllt. Gespräche ließen die Kneipe summen wie einen Bienenschwarm.
In der Ecke hatten es sich Lady Zenyatta und einige ihrer Freundinnen gemütlich gemacht. Sie umschwirrten einander wie Motten eine Gaslaterne in der Dunkelheit, denselben billigen Tabak in denselben langstieligen Pfeifen rauchend.
"WIE IMMER, SNAPE?", brüllte Tom.
"Wie immer nichts", knurrte Snape, dem der glatzköpfige Wirt erheblich auf die Nerven ging, auch wenn die immer gleiche Begrüßung doch etwas seltsam Vertrautes hatte.
"Du willst doch nicht etwa was von mir?", rief Lady Zenyatta und zwei der ältlichen Hexen zu ihrer Rechten wollten sich ausschütten vor Lachen.
Ein einziges Mal hatte Snape den legendären Unterwäscheladen betreten. Im letzten Jahr vor Weihnachten hatte Charity etwas für ihren Mann gesucht und da sie sich allein nicht so gern in der Nokturngasse sehen ließ, hatte Snape sie begleitet. Sonst gar nichts.
Wobei Snape sich noch immer nicht so genau erklären konnte, was an diesen seidenen Nichtigkeiten für viel Geld so toll sein sollte. Er hatte Charity auch nie gefragt, ob das Geschenk ein Erfolg gewesen war.
Wie dem auch sei. Er wollte jetzt auch nicht so hingestellt werden als sei er so was wie Stammkundschaft.
"Nein, ich möchte zu Flourish & Blotts", bemerkte er knapp und wunderte sich dann, warum diese einfache Aussage die Hexen kreischend lachen ließ.
Sie wollten sich überhaupt nicht mehr einkriegen.
"Na du bist mir ja ein Schlimmer!", rief eine, deren Gelächter und Gebiss, frappierende Ähnlichkeit mit einer Hyäne besaß.
Snape hatte genug von diesem unmöglichen Weibsvolk, so machte er sich umgehend auf den Weg zur Buchhandlung, obwohl er eigentlich recht früh war.
Schon an der Gabelung, an der es links in die Nokturngasse ging, erblickte er die vertraute Gestalt von Rubeus Hagrid. Der Halbriese gestikulierte wild in der Gegend herum und tatsächlich schien er sich zu freuen, Snape zu sehen.
"Hey Snape, ham sich ja rar gemacht in den Ferien! Schön, Sie zu sehen. Ich muss noch hier rein."
Hagrid deutete in den düsteren Schlund der Nokturngasse.
"Brauch'n fleischfressenden Schneckenschutz. Die Biester ruinieren mir den ganzen Kohl im Schulgarten — un? Was treibt Sie hierher?"
"Ich möchte zu Flourish & Blotts", sagte Snape und die Reaktion von Hagrid wunderte ihn gar nicht.
"Puhhh neee, da kriegen mich heut keine zehn Thestrale hin. Nee, dann mach ich mich mal auf die Socken!"
Snape duckte sich, als Hagrid ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfen wollte und es überraschte ihn nicht, dass ausgerechnet Hagrid wohl keinen Sinn für das gedruckte Wort hatte. Für den musste ein Buch vermutlich Feuer speien, um interessant zu sein.
Die Produktion von feuerspeienden Büchern war seit dem bedauerlichen Großbrand in einer niederländischen Druckerei, im Jahre 1848, streng reglementiert worden. Auch durften im Privathaushalt keine feuerspuckenden Bücher mehr aufbewahrt werden.
Nicht dass Hagrid solche Kleinigkeiten irgendwie gestört hätten. Er hatte es ja sogar fertiggebracht, einen Norwegischen Stachelbuckel aufzuziehen. In einer Holzhütte.
Nachdenklich sah Severus dem Halbriesen hinterher, der alsbald von der Düsternis der Nokturngasse verschluckt zu werden schien. Ein fleischfressender Schneckenschutz. Na, wer das glaubte.
Egal, Hagrid war ja schon groß, und so machte sich Severus nun endgültig auf den Weg zu Flourish & Blotts. Er war keineswegs der Einzige, der in den Buchladen wollte. Als er um die Ecke bog, sah er überrascht, dass vor der Tür eine Menge Leute standen, die alle versuchten, hineinzukommen. Den Grund dafür verkündete ein großes Banner, das über die Fenster im Ersten Stock gespannt war:
GILDEROY LOCKHART
signiert seine Autobiographie
ZAUBERISCHES ICH
heute von 12Uhr30 bis 16Uhr30
Die Schar der Wartenden schien fast nur aus Hexen in Lady Zenyattas Alter zu bestehen. Ein genervt aussehender Zauberer stand an der Tür und sagte:
"Nur die Ruhe, bitte, meine Damen ... nicht drängeln ... achten Sie auf die Bücher ..."
Diesen Hohlkopf von Lockhart hatte Snape ja schon komplett verdrängt. In Sekundenschnelle sah er sich mit der Realität eines ganzen Schuljahrs an der Seite dieses gelockten Haarshampoomodels mit einem preisgekrönten Lächeln konfrontiert. Es war zum Heulen. Das durfte einfach nicht Albus' Ernst sein und die schwache Hoffnung, dass alles nur ein Scherz gewesen wäre und Albus den wirklichen Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste am ersten Schultag präsentierte, wirkte hier nichtig und klein. Nein, wenn man Albus auch nur ein klein wenig kannte, dann wusste man, dass er nicht scherzte, mit solchen Dingen.
"Ich habe einen Termin mit Montague Arm-Stibitzki", sprach Severus den Zauberer an der Tür an.
"Aha", antwortete der emotionslos. "Hier rein und dann gleich links, die Tür direkt neben der Herrentoilette."
Snape nickte steif und quetschte sich in den Laden, durch den sich schon eine lange Schlange von Menschen hindurch wand, bis ganz ans andere Ende, dort, wo es Severus' Tischchen mit den Exotica nicht mehr gab und wo jetzt ein Zauberer im lila Umhang Autogramme gab.
Severus bog links ab, dort hatte sich auch schon eine kleinere Schlange gebildet. Herren, die offensichtlich die Aktivitäten ihrer Frauen nutzten um etwas Sinnvolles zu verrichten.
"Ey, hinten anstellen", rief ihm einer hinterher als er sich an den wartenden Zauberern vorbeischob und ohne anzuklopfen in den Raum neben dem Klo rauschte.
Es handelte sich um ein stickiges Kabuff, in das kein Tageslicht fiel. Ein Schreibtisch, der beinahe den gesamten Raum ausfüllte, bog sich unter Bücherstapeln und Pergament. Ein glatzköpfiger, untersetzter Mann mit einer Brille, die aus zwei Glasbausteinen zu bestehen schien. Der schaute irritiert hoch.
"Snape ... Severus Snape ist mein Name. Ich sollte mich hier einfinden ..."
Eine unangenehme Pause entstand, bis der andere Mann ihm mit einem Nicken gebot, sich zu setzen. Der ungepolsterte Stuhl war sehr niedrig und Snape kam sich augenblicklich vor wie ein Schüler, der etwas ausgefressen hatte.
"Jaja", sagte der Glatzköpfige gedehnt und kramte auf dem Tisch herum. Aus dem oberen Drittel eines hohen Stapels von Papieren zog er Snapes Brief mit der Leseprobe hervor. Er blätterte sich nochmals kurz durch, unterbrochen von merkwürdigen Geräuschen, die man nur als Missfallen deuten konnte.
"Junger Mann", sagte er plötzlich unvermittelt. Snape schrak zusammen. "Wissen Sie überhaupt wie es so zugeht in der Welt der Bücher?"
"Äh nein", sagte Snape.
Der Andere seufzte tief. "Das dachte ich mir."
Er schob seine Brille zurecht blätterte in Snapes Papieren herum. "Lassen Sie es mich so erklären", er lispelte leicht. "Der ganze Buchmarkt ist ein Hippogreifengehege, heutzutage. Die Meisten glauben ja, es genügt, ein paar Seiten zu schreiben, dann haben sie mal was in der Hexenwoche stehen gehabt ...", er schnaubte unwillig, "... und schon sieht sich das gemeine Volk zu Höherem berufen und glaubt, ein Buch schreiben zu müssen."
Severus wurde sehr unbehaglich zumute.
"Ja, und ich armer Mensch muss mich dann damit rumschlagen. Ich meine, seien wir doch mal ehrlich."
Er kicherte jovial.
"Es liest doch gar keiner mehr!"
"Nicht?", fragte Snape.
"Nein", sagte der Glatzköpfige und fingerte wieder an seiner Glasbausteinbrille herum. "Jetzt fragen Sie sich sicher wie die Buchverlage überleben können!"
Severus wurde aufmerksam fixiert.
"Äh ja", sagte Snape.
"Sehen Sie, junger Mann, das ist das Kunststück!" Er warf sich in die Brust. "Verkaufszahlen ist das Zauberwort!"
Eine drückende Pause entstand, in der Severus das Rascheln des Papiers wahrnahm, von draußen, weit entfernt Stimmengewirr.
"Nun hier, mein junger Freund, ich nehme mal diesen Satz her, den Sie da schreiben: Sobald das Gebräu kocht, werden fünf Glubberfischaugen fein zerkleinert und hinzugefügt.— können Sie sich denken, was ich meine?"
Severus dachte angestrengt nach, aber er hatte keine Ahnung worauf der Andere hinauswollte. Die Frage schien auch eher rhetorischer Art gewesen zu sein.
"Oder hier", ging es munter weiter. "Man nehme eine Unze Thestralbutter und sieben Tropfen Drachenblut — na? Klingelt's da?"
Bei Severus klingelte nichts. Ein gewisser Unmut machte sich breit, aber sonst?
"Das kann doch nicht so schwer sein — hier!" Er blätterte weiter und hielt Severus eine Seite komplizierter Formeln zur Einbeziehung der Kochtemperatur zur Errechnung der Kochzeit unter besonderer Berücksichtigung des Kesselmaterials, vor und nach ...
"Das liest doch keine Sau!", donnerte der Glatzkopf.
Severus war verwirrt. "Haben Sie nicht soeben gesagt, es würde eh niemand mehr lesen?", entgegnete er schwach.
"HA!", frohlockte sein Gegenüber. "Dacht ich's mir doch! Sie machen es sich zu einfach, junger Mann. Viel zu einfach. Sie glauben wohl, Sie schreiben hier mal eben so ein bisschen was zusammen und ich kann dann sehen wie ich den Kram loswerde. Aber so läuft das nicht. Sie müssen sich schon selber ein bisschen Mühe geben. Ich meine — bei Merlin — Sie sind doch ein Mann mit Vergangenheit."
Das Wort Vergangenheit betonte er wie etwas ziemlich Verabscheuungswürdiges und damit lag er gar nicht mal verkehrt.
"Es sollte Ihnen doch nicht schwerfallen, das Ganze mit einem Mindestmaß an Spannung zu versehen."
Der unmögliche Kerl sah ihn erwartungsvoll an. Severus nickte betäubt, obwohl ihm nicht eingehen wollte, wozu ein Lehrbuch spannend sein sollte.
"Na also! Lucius hat mir gleich gesagt, dass Sie ein verständiger Mann sind ..."
— Lucius?
"Sie überarbeiten das nochmal. Von Grund auf! Ein bisschen Drama, ein bisschen Spannung, gerne ein bisschen Herzschmerz und dann versuchen Sie es nochmal ... Ahem ... bevorzugt, nicht bei uns ... Danke ... auf Wiedersehen ... äh nein, lieber nicht."
Eine scheuchende Handbewegung deutete an, das Severus nun entlassen war. Wie vor den Kopf geschlagen verließ er das Kabuff und trat wieder zurück in den Laden. Mehrere Bücherstapel waren umgestoßen worden und die Mitarbeiter von Flourish & Blotts waren dabei, aufzuräumen.
Was war denn hier passiert?
Severus schüttelte den Kopf. Das war ihm so was von egal! Nichts wie raus hier.
Draußen auf der Straße stand Severus unschlüssig, wo er sich nun hinwenden sollte. Vielleicht zurück nach Spinner's End. Er fühlte sich erschöpft und müde. Er drehte sich um und stand genau vor Lucius Malfoy, der gar nicht so distinguiert aussah wie sonst.
Sein weißblondes Haar war zerzaust, an der sündhaft teuren Robe fehlten zwei Knöpfe, sein linkes Auge war dabei, zuzuschwellen.
"Oh, guten Tag Lucius", beeilte Severus, sich zu sagen. Lucius knurrte etwas Unverständliches. Draco war ebenfalls mit dabei. Auch er sah ein wenig zerzaust aus.
"Er hat die Enzyklopädie der Giftpilze ins Auge bekommen", krähte der Bengel. "Krieg ich jetzt die Hand des Ruhms?"
"Schweig still, Sohn", bellte Lucius und an anderer Stelle hätte Severus die Szene eventuell amüsant gefunden. So aber spürte er, dass seine Nerven gefährlich dünn waren. Und das, noch lange bevor das neue Schuljahr begonnen hatte.
"Die Hand des Ruhms?", fragte Severus ölig und Draco sah nun fast ängstlich zu seinem Vater auf. "Ist das nicht der beste Freund der Diebe und Plünderer? Wenn Deine schulischen Leistungen auch im folgenden Jahr weiter so zu wünschen übrig lassen, dann wird auch nicht mehr aus dir werden."
Wenn es um das Motivieren seiner Schüler ging, war Severus ganz auf gewohntem Terrain. Er lächelte süffisant.
"Das ist nicht meine Schuld, dass diese Granger der Liebling aller Lehrer ist!", maulte Draco.
Severus zog eine Augenbraue hoch. "Vielleicht schaut sie auch hin und wieder mal in ein Buch."
Snapes Stimme war gefährlich leise und Lucius sagte sofort: "Da hörst du's Draco. Du bekommst den neuen Besen erst, wenn du fleißiger wirst!"
Draco zog einen Flunsch.
"Sei mir nicht böse, Severus. Ich bin etwas in Eile, muss noch wichtige Geschäfte erledigen —"
Severus nickte steif und setzte allein seinen Weg durch die Winkelgasse fort. Wie viele Menschen hier unterwegs waren. Viele Muggel sogar. Alle mit ihren Kindern unterwegs, um die Schulsachen einzukaufen. Bald ging es also los und wie Severus so nachdachte, wunderte er sich, dass er die Idee nicht schon viel früher gehabt hatte. Er würde ganz einfach schon mal nach Hogwarts apparieren. Warum er da nicht schon viel früher drauf gekommen war ...
Wie schon oft, erschien Severus wie aus dem Nichts, ganz in der Nähe von Hogwarts, aber doch weit genug entfernt, um den Blick auf das Schloss, hoch oben auf einer Klippe, über einem See, genießen zu können. Vor dem mittlerweile dunklem Horizont ragten die Türme und Zinnen von Hogwarts empor und Severus ging das Herz auf.
Er konnte sich noch so gut an seine erste Ankunft mit dem Hogwarts-Express erinnern. Wie groß war seine Hoffnung doch gewesen. Seine Hoffnung auf ein Leben ... wie kindisch!
Entschlossen lief er den Weg entlang, Hogsmeade ließ er rechts liegen. Wenn man sich bewegte, dann war es doch noch sehr warm. Die untergehende Sonne ließ die gotischen Fenster des alten Gemäuers blutrot aufleuchten. Bedrohlich, aber auch so vertraut, so heimelig, es bereitete ihm beinahe körperliche Schmerzen. Bald kam er am eigentlichen Apparierplatz vorbei, an der Zugstation. Die Schlossgründe, aus dem Schornstein von Hagrids Hütte kringelte sich Rauch in den Abendhimmel.
Das Hauptportal stand einen Spalt breit offen als wäre er erwartet worden und mit wehendem Umhang schritt er hindurch. Die Eingangshalle und hinab in die Kerker. In seinen Räumen war es angenehm kühl. Sein Büro und das angrenzende Labor aufgeräumt mit dem herben Geruch der oft gebrauchten Kräuter, Eisenhut, Aconitum, Wermut.
Hinter der nächsten Tür lagen seine privaten Räume. Karg, aber eben seine Räume. Das schmale Bett war frisch gemacht und mit einem Schmunzeln räumte Severus die Gummibärchen vom Kopfkissen. Eine lächerliche Idee, aber das mit den Betthupferln würde er den Hauselfen wohl nicht mehr abgewöhnen können. Dankbar nahm er aber zur Kenntnis, dass alles für eine heiße Dusche vorbereitet war. Bei den Roben, die er hier hatte, kümmerten sich die Hauselfen auch um die Löcher in den Ärmeln.
Es war schon lange Nacht, da saß Severus auf dem Astronomieturm und blickte in die Sterne und als wäre es das Normalste auf der Welt, vernahm er zuerst Schritte, dann gedämpfte Stimmen und sein Herz machte nach seiner Ankunft auf Hogwarts den zweiten Riesenhüpfer.
Minerva McGonagall und Charity Burbage, letztere mit einem großen Weidenkorb bepackt, standen in der Tür.
"Ich bekomme einen Silbersickel", sagte Charity zu der älteren Frau. Die schnaubte ungnädig. Severus zog eine Augenbraue hoch.
In Windeseile hatte Charity die Gläser verteilt und den Wein entkorkt.
"Ihr seid ganz schön spät", sagte Snape, nur um irgendwas zu sagen.
"Minerva wollte mir ja nicht glauben, ich hab gleich gesagt, dass du hier rumhängst ..."
"Ich hänge nicht rum!", fauchte Snape, aber er konnte seine Belustigung nur mit Mühe verbergen.
"Prost", sagte Charity und die Gläser klangen.
Es war als hätte es die elend langen Ferien gar nicht gegeben. Als hätten sie auch gestern und vorgestern dort auf dem kühlen Stein gesessen und Wein getrunken und Brot und Käse gegessen. Diesmal hatten die Hauselfen auch darauf bestanden, dass Charity noch Kesselkuchen und Kürbispasteten eingepackt hatte. Severus hatte ewig nicht mehr so gut gegessen.
Sie lachten und scherzten und irgendwann sah man am östlichen Horizont einen schmalen, rötlichen Streifen, der den Morgen ankündigte.
"Und was diesen Gilderoy angeht, der ist ja ehrlich die allerletzte Flitzpiepe!"
Severus verschluckte sich an seinem Wein und auch Charity wollte sich vor Lachen ausschütten: "Minerva, der ist bitte was?"
Minerva verzog ihren Mund zu einem schmalen Strich. Severus rang mühsam nach Luft.
"Flitzpiepe, ist so ein Ausdruck aus den zwanziger Jahren und beschreibt einen ... äh ... Vollidioten", erklärte er im Lehrermodus.
"Macht euch ruhig lustig über mich", maulte Minerva. "Wir werden uns alle noch den guten alten Quirrell zurückwünschen!"
"Naja, mit dem Dunklen Lord als ständigem Begleiter und Ratgeber, ich weiß nicht. Bleibt aber abzuwarten, was Locke so antreibt ..."
Die beiden Frauen lagen fast auf dem Boden vor Lachen.
"... Locke ... Haarpflegelinie ...", japste Charity. "Trotzdem finde ich, wir sollten ihm eine Chance geben!"
"Wozu?", riefen Severus und Minerva wie aus einem Munde.
"Weil jeder Mensch eine faire Chance verdient hat!", erklärte Charity plötzlich todernst.
Severus und Minerva sahen sich an.
"Hufflepuff", sagte Minerva.
"Ekelhaft", nickte Severus.
Es war bereits hell als die Drei in ihre Räume gingen. Severus lag noch lange wach. Was hatte er die beiden vermisst und ein paarmal noch musste er lachen als er an Minerva dachte — Flitzpiepe — wirklich zu schön ...
