- PART III -
Die Heimkehr.
Charles brachte gerade das Gepäck ins Foyer, somit saß Elsie in kompletter Stille auf dem Bett und sah aus dem Fenster, gedankenverloren strich sie mit den Fingern über das kühle Laken. Sie ließ die letzten Tage noch einmal Revue passieren.
Elsie fragte sich, ob sie noch dieselbe Frau sei. Wahrscheinlich schon. Aber doch irgendwie nicht. Immerhin hat sich ihr Leben, dass für so lange Zeit konstant war, von Grund auf verändert. Elsie betrachtete die geisterhafte Erscheinung der Dame im Fenster, und musterte sie. Ob sie, so wie Fin, nichts mehr mit dem Mädchen aus ihrer Kindheit gleich hätte? Da waren jetzt mehr Falten im Gesicht, natürlich. Und sie trug auch keine geflochtenen Zöpfe mehr (räusper). In der Tat trug sie ihre Haare sogar anders als bis vor einigen Jahren noch. Auch Elsie ging mit der Zeit. Anscheinend lässt sich eine Veränderung der Person nicht vermeiden. Aber ändert man sich im Laufe seines Lebens so sehr, dass nichts mehr an die Anfänge erinnert?
Wie seltsam doch die letzten Tage, ja sogar die letzten Wochen und Monaten waren. Sie war verheiratet. Sie hatte Sex gehabt. Und würde wieder welchen haben. Gerne mit geflochtenem Zopf. Sie würde unter einem eigenen Dach, mit eigener Küche wohnen. Durch die Heirat betrat sie neue, unbekannte Wege. Sie war nicht der Meinung gewesen, jemals ihre bekannten Pfade noch zu verlassen. Wie sie Charles bereits am See erklärt hatte, bereute sie nichts in ihrem Leben. Und die Hochzeit mit ihm natürlich auch nicht. Aber die Hochzeit brachte Veränderungen mit sich, die sie zwar im Vorhinein bedacht hatte, aber völlig im Unklaren darüber war, wie sich diese anfühlen würden, wie sich mit ihnen Leben würden. Ihr neues Leben begann weder mit der Verlobung noch mit der Hochzeit oder den Flitterwochen. Nein, die Veränderung trat jetzt mit der Abreise ein. Jetzt änderte sich ihr Leben, ihr Alltag, ihre Aufgaben abseits des Dienstes für Lord- und Ladyschaft. Elsie war nervös, aufgeregt und neugierig auf das Kommende zugleich.
Charles betrat das Zimmer und ging auf seine Frau zu.
„Wir sind so weit, Elsie. Wir können uns zum Bus aufmachen."
Elsie blickte ihren Mann unter dem Hut hervor an, nahm dankend seine ausgestreckte Hand und ließ sich hochhelfen. Über ihre Augen huschte noch ein Schleier von Ungewissheit, der Charles nicht verborgen blieb.
„Was ist mit dir? Was treibt dir durch deinen hübschen Kopf?"
„Ich weiß nicht. Ich bin ein bisschen nervös. Ich habe ein bisschen Lampenfieber, wenn du es so ausdrücken möchtest."
„Wovor?"
„Nicht auf Anhieb perfekt in die Rolle der Mrs. Carson zu passen, vermute ich."
„So ein Blödsinn. Du bist die perfekte Mrs. Carson, Elsie. Seitdem ich einen Platz in deinem Herzen erobern konnte, fühle ich mich viel wohler in mir selbst. Ich denke, wenn man in die richtige Person verliebt ist, dann verliebt man sich mit der Zeit auch ein bisschen in sich selbst. Und das hast du bewirkt. Du kannst nur perfekt sein, als Mrs. Carson.", versicherte Charles mit ruhiger, angenehm tiefer Stimme.
„In meinen Anfangszeiten auf der Bühne, hatte ich oft mit Lampenfieber zu kämpfen. Abend für Abend betrat ich die Bühne mit Angst. Ich war in der Position, dass andere mich beurteilten. Das Publikum entschied über mich … ob ich unterhaltsam war, ob ich gutaussehend war, ob ich gut war, ob ich den Eintritt wert gewesen sei … Ich hatte große Bammel davor, zu versagen. Mein Unwohlsein, ging so weit, dass ich kurz davor war, Charlie zu verlassen. Ich versuchte das Lampenfieber niederzudrücken, es zu bekämpfen. Aber es half nichts … Die Angst hielt mir die gesamte Zeit auf der Bühne die Hand, wie eine Freundin, sie ließ mich nicht los.
Als ich das nach geraumer Zeit bemerkte, endete ich damit, sie bekämpfen zu wollen. Ich freundete mich mit ihr an, so, wie sie es verlangte und reichte ihr vor meinen Auftritten stets voller Aufrichtigkeit meine Hand. Ich schaffte es, meine Schweißausbrüche, meinen Schwindel, meine Ängste in Vorfreude umzuwandeln. Von Mal zu Mal konnte ich mich besser auf die Aufregung einlassen. Ich wusste, wie sie versucht mich einzunehmen und konnte dementsprechend gegenwirken. Ich konnte dem Publikum eine grandiose Vorstellung bieten. Diese Freundschaft half mit auch in meinen jungen Jahren als Unterdiener Fuß zu fassen. Und nicht zuletzt verdanken wir dieser Freundschaf, dass du Mrs. Carson wurdest. Es war nicht einfach für mich, dir damals zu gestehen, unser begutachtetes Cottage auf unserer beider Namen gekauft zu haben. Von meinem Antrag ganz abgesehen."
Charles schaffte es nicht, Elsies Unsicherheiten zu vertreiben - das wollte er dieses mal aber auch nicht – er wollte vielmehr, dass sie sie als etwas Gutes wahrnahm, so wie er es tat und tut.
Elsie nahm seine Hände in die ihren, betrachtete sie kurz und hob ihren Blick. Dankend nickte sie Charles zu und schenkte ihm eines ihrer atemberaubenden, ehrlichen Lächeln. Als sich seine Lippen auf ihre legten, fühlte sich Elsie bereit dazu, als Mrs. Carson in die Welt zu treten.
_C&E_
Der Abschied von Mr. und Mrs. Dewshine war freundlich, herzlich schon gar, hatte aber auch etwas Trauriges an sich. Vor allem Charles viel es schwer, dieser Beziehung den Rücken zu kehren. Die Familie war ihm in den Tagen seiner Hilflosigkeit ein großer Halt gewesen. Dennoch schien er erleichtert, diesen Ort verlassen zu können. Sie versprachen sich gegenseitig über Briefe und Telefonate in Verbindung zu bleiben. Er gab es nicht zu, aber Elsie merkte, dass dies Charles den Abschied leichter nehmen ließ und verließ mit einem beherzten Schmunzeln die Pension und machte sich gemeinsam mit dem bepackten Charles zur Busstation auf.
_C&E_
Als die Carsons in ihrem Zugabteil ankamen, sich hinsetzen konnten, atmeten beide durch und genossen die Ruhe, die sie hier finden konnten. Der Bus war zwar dieses mal nicht so voll wie bei ihrem Ausflug ins Dorf, aber dennoch war er gut gefüllt und ließ mit seinen ständigen Stop und Go's keine Entspannung aufkommen. Im Zugabteil ließ sich weniger Umtriebigkeit finden. In der Tat befand sich nur eine weitere Person mit ihnen im Abteil. Es war eine junge Dame, die sich die Zugfahrt mit einem Buch die Zeit vertrieb.
Charles schlief nach ungefähr einer halben Stunde ein und Elsie genoss die vorbeiziehende Landschaft mit interessiertem Blick.
Nach etlichen Tagträumereien machten sich in Elsies Augenwinkeln Bewegungen bemerkbar. Sie blickte zur Dame, sie war im Inbegriff, das Abteil zu verlassen und stand auf. Elsie drehte den Kopf wieder zum Fenster. Die Dame öffnete die Zugabteiltür, schloss sie hinter sich wieder und war verschwunden. Charles wachte von der Unruhe langsam auf. Er blickte sich um und betrachtete seine Frau einige Minuten unbemerkt.
"Elsie, Mädchen, wohin haben dich deine Gedanken nun schon wieder hingetragen?" Charles hatte Mühe, die Aufmerksamkeit seiner Frau zu bekommen.
Abwesend nuschelte sie: "Ich denke über Mrs. Carson nach."
Schon wieder? Charles verstand nicht.
"Ich frage mich, wie es sein wird, wenn mich alle nun mit Mrs. Carson anreden."
Es war etwas anderes, wenn Mr. und Mrs. Dewshine, oder Finley mit ihrem neuen Namen ansprachen. Aber es erschien ihr doch seltsam, wenn nach all den Jahren Lord und Lady Grantham, oder Mrs. Patmore, Mr. Molesley, Daisy, und alle anderen Menschen aus ihrem Leben sie nun als Mrs. Carson ansprechen würden.
Charles schluckte schwer. Der seltsame Zweifel in ihrem Satz machte ihn nervös.
"Freust du dich nicht, Mrs. Carson zu sein?"
"Wohl, doch! Natürlich! Keine Sorge, Charlie!", beruhigte sie ihn, indem sie seine Hand tätschelte und selbst über ihre Worte im Nachhinein lachte. Wie albern ihr ihre Gedanken nun vorkamen.
"Aber denkst du nicht, dass es zunächst eigenartig wird?" Elsie verspürte etwas Scham bei dem Gedanken. Und Trauer, gestand sie sich im Stillen ein. Es war doch auch schön, eine Hughes gewesen zu sein. Außerdem fühlte sie sich Becky gegenüber leicht schuldig. Ihr Kopf sagte ihr permanent es sei lächerlich, aber ihr Herz empfand es als eine Art von „Zurücklassen".
Charles gab keine Antwort, richtete seinen Blick aus dem Fenster. Es war schön, Elsie nur für sich gehabt zu haben. Charles wusste, sobald sie Downton Abbey wieder betritt, wäre sie sofort wieder Ankerpunkt und Anlaufstelle der Bediensteten, er würde sie wieder teilen müssen. Charles schnaufte aus.
"Ich denke, du hast Recht.", gespannt wartete Elsie auf weitere Worte, als seine Augen wieder die ihre trafen. "Ich denke ... mir gefällt der Gedanke, untertags mit Mrs. Hughes zu arbeiten und abends mit Mrs. Carson nachhause zu gehen."
Unsicher musterte Elsie Charles Gesicht, sie wartete auf eine Regung, die ihr verriet, wie er das gemeint habe. Denn allein aus seinen Worten konnte sie es nichtheraushören.
Einer seiner Mundwinkel zog sich hoch, seine Augenbrauen tanzten frech auf und ab.
Kindskopf. Wie soll sie den Butler von Downton je wieder ernst nehmen können. Sie ließ sich Charles Vorschlag durch den Kopf gehen. Begeisterung stieg keine in ihr auf.
„Wir hätten etwas, das nur uns beiden gehört. Es wäre deins. Und meins. Ein Stück Normalität in unserem gebundenen Leben. Zweisamkeit. Du würdest Mrs. Carson nicht mit Arbeit und Mühe in Verbindung bringen."
Der Ansatz gefiel Elsie schon viel mehr. Sie ließ sich seinen Vorschlag erneut durch den Kopf gehen und war nun etwas offener dafür.
"Aber wie erklären wir es den anderen?"
Das kecke Funkeln von eben, das mit Sicherheit gespielt war, wich aus Charles Augen, zurück blieb ein aufrichtiges, treues Lächeln, das Elsies Herz erreichte.
"Wir sagen einfach, es wäre zu verwirrend für Mitarbeiter und würden es daher wie Mr. Bates und Anna halten."
Er bemerkte Elsies erneutes Zögern. „Das würden sie uns glauben?"
Da war sich auch Charles nicht sicher, es erschien doch recht plump und simpel.
Alle Gegenstände, die Elsie besaß, passten mehr oder weniger in einen Koffer. Ein, zwei Bücher, eine Brosche und Bürste ihrer Mutter, wenige Kleider und seit Kurzem ein Mantel und ein Bilderrahmen ... In ihrem Herzen trug sie um einiges mehr, schier unbegrenzt schien der Platz darin: Erinnerungen an die Kindheit, Freundschaften, ihre Güte, ihren Sinn für Gerechtigkeit, ihre Stärke ... und ihren Nachname - das letzte, das sie mit ihrer Familie verband. So viele Jahre war sie eine Hughes. Und für so viele Jahre dachte sie, sie würde für immer eine Hughes bleiben. Letztendlich wäre sie in ihrem Leben länger eine Hughes als eine Carson gewesen.
Ihr gefiel der Gedanke, das Private vom Beruflichen weitgehendst zu trennen sehr. Und sie wusste, dass auch Charles das bevorzugen würde. Sie erinnerte sich an ihren Vorschlag kurz nach ihrer Verlobung, sie nun Elsie zu nennen und er pikiert ablehnte. Zudem bedeutete dies, sie müsse sich nicht vom letzten noch lebenden Familienmitglied namentlich scheiden.
„Da fällt mir ein, ich habe noch etwas für dich!" Charles erhob sich und griff nach seinem Koffer. Anscheinend schien das Thema für ihn beendet.
Er hielt Elsie ein etwas größeres, mit Zeitungspapier umwickeltes Päckchen hin.
„Du gute Güte, Charles! Wie hast du das nur in deinen Koffer verstaut?", amüsiert nahm Elsie ihm das Päckchen aus der Hand. Charles setzte sich wieder, lehnte sich entspannt zurück, schloss die Augen und tat so, als wäre er nicht interessiert an der Neugier seiner Frau.
Elsie bemerkte, dass das Päckchen beim Überreichen etwas klapperte und hielt es an ihr Ohr, um es kräftiger zu schütteln. In der Schachtel schienen mehrere kleine Teile umherzusausen.
Elsie begann das Zeitungspapier zu lösen und musste laut lachen. Alter Dummkopf. Charles Haut reagierte mit Gänsehaut. Er hatte gehofft, dass er diesen Ausdruck der Freude bei seiner Frau erzeugen konnte. Charles liebte Elsies ungehemmtes Lachen.
„Oh wie nett. Für Ihre Enkelkinder, nehme ich an?", fragte die Frau mit höflichem Interesse. Unbemerkt war die Dame wieder ins Abteil zurückgekehrt.
Aus der Situation gerissen, blickte Elsie die Dame verwirrt an. Charles war etwas verärgert, dass genau jetzt die Zweisamkeit endete. Er wollte Elsie noch erzählen, wieso er dieses Geschenk wählte.
_C&E_
Wenige Minuten trennten die Carsons nun noch von Downton Abbey. Charles und Elsie freuten sich, als die Abbey unter dem Geknirsche der Kieselsteine näher kam. Eilig marschierten sie zum Dienstboteneingang. Zu ihrer Überraschung wartete eine aufgeregte Mrs. Patmore im Flur auf sie. Sie war merklich voller Freude.
"Oh Mrs. ...", Mrs. Patmore hielt kurz inne, "... Carson", fügte sie rasch hinzu und fiel ihr um den Hals ehe sie fortfuhr: "Ich bin ... wir alle sind erleichtert, Sie wohlauf zu sehen. Wir haben uns große Sorgen um Sie gemacht." Noch einmal wurde Mrs. Carson umarmt.
"Ich danke Ihnen, Mrs. Patmore. Mr. Carson hat gut für mich gesorgt.", mit roten Bäckchen grinste sie verstohlen zu Charles hinauf.
"Aber auch um Sie habe ich mich gesorgt, Mr. Carson. Rufen einfach an und fragen mich nach einem Rezept für Holundersirup, was fällt Ihnen ein! Nur der Herr und ich allein wissen, wie bang mir da um Sie war!"
Elsie merkte, wie unwohl sich Charles bei dem aufkommenden Thema fühlte, und versuchte das Thema abzuwürgen. Es war auch für sie selbst ein emotionsgebundenes Thema und würde die Besonderheit gerne zwischen Charles und ihr aufrechterhalten. Zu kostspielig war ihr seine Geste, um sie nun in einem unvorsichtigen Moment beschädigen zu lassen.
"Der Sirup war tatsächlich ausgezeichnet. Aber ich denke, die Profiköchin bleiben Sie. Ihre Küche ist so ausgezeichnet, Sie könnten König und Königin bekochen." Elsie merkte, wie Mrs. Patmore versuchte durch Handgewedele sie zum Verstummen zu bringen, jedoch ohne Erfolg: "Oh doch, meine Liebe! Es würde mich nicht wundern, wenn es eines Tages dazu käme."
Elsies Worte taten, was sie sollten: Mrs. Patmore schmeicheln und den Wind aus ihren Segeln nehmen.
"Lassen Sie sich ja nicht mehr einfallen, so untypisch aufzutreten! Irgendwo habe ich mal gelesen, das wäre OOC - Out Of Character - irgend so eine neumodische Sprache. Man mag die Leute so, wie sie zu sein haben.", richtete sie sich mit erhobenem Zeigefinger belehrend an Mr. Carson und machte auf ihren kleinen Fußsohlen kehrt. Sie marschierte den beiden voran ins Dienstbotenzimmer und warf noch einen Satz voller Sarkasmus nach: „Als nächstes wollen Sie mir noch erzählen, Sie seien ein Professor für Geschichte oder gar ein axtschwingender B&B-Besitzer. Hat man dafür Worte!" **
Charles und Elsie blickten sich stumm an. Charles rollte mit seinen Augen und ließ ein leises „Hat man dafür Worte!" seinem Mund entweichen.
"Lass mich dir später dazu etwas sagen, Charlie! Aber jetzt muss dir das fürs Erste genügen."
Elsie hing sich an Charles Arm und platzierte einen unbeobachteten Kuss auf seiner Wange. Dieser und die Neugier auf Elsies Worte schafften es, Charles zu beflügeln und zum Weitergehen zu animieren. Er nahm die Koffer wieder hoch und brachte sie derweilen in seinem Dienstzimmer unter.
„Herzlich Willkommen!", sagte Mrs. Patmore erneut, als die Carsons das Zimmer betraten und ließ den Raum auf die beiden wirken. Überall hingen Girlanden an den Wänden. Elsie war über die Dekoration sichtlich gerührt.
„Wir sind endlich wieder zuhause.", entfuhr es Charles aus tiefstem Herzen. "Es ist, als sei ich monatelang fort gewesen."
„Oh, das ist ja sehr schmeichelhaft. Ich finde das nicht!", konterte Elsie selbstbewusst und echauffiert zugleich und blickte sich weiterhin den liebevoll geschmückten Raum an. Aber natürlich wusste sie, wie Charles das meinte und weshalb er so empfand. Endgültig vorbei waren die Strapazen der Flitterwochen für ihn. Sie waren daheim. Er war beruhigt, seine Elsie wieder sicher zuhause zu wissen.
Miss Baxter trat an das junge Ehepaar heran und überreichte jedem ein gefülltes Glas mit Punsch, bedankten sich und nahmen sogleich einen Schluck.
So viele vertraute und gemochte Gesichter freuten sich, über das Ankommen des Ehepaares. Alle waren sie erfreut, die beiden so wohlauf wieder zu sehen.
Mrs. Carson gesellte sich zu den Bates und erkundigte sich bei Anna, wie die Zeit ohne sie war, dabei entging ihr dieser besondere Glanz in den Annas Augen nicht. Elsie hatte schon genug Erfahrung mit jungen Frauen in ihrem Leben gesammelt, um diese Art von Geheimnis zu erkennen, bevor es erzählt wurde.
Nach einigen Augenblicken kamen Lord und Lady mit der ganzen Familie herab und gesellten sich in die Runde dazu, um die Rückkehr des Butlers und der Hausdame zu feiern.
Elsie bemerkte, wie stolz Charles war, dass die gesamte Familie Grantham ihm und seiner Frau die Ehre erwiesen, die Ankunft der beiden zu feiern.
Nachdem auch Charles sich bei Mr. Barrow über die Zeit der Abwesenheit informierte, durchzog ihn ein Gefühl von Respekt für seinen Stellvertreter. Mit einem anerkennenden Kopfnicken beendete er das Gespräch mit Thomas. Es schien, als hätte er alles gut gemeistert. Charles widmete sich nun dem Gespräch zwischen seiner Frau und Lord und Lady.
„Ihr Cottage ist bereit. Und Ihre Sachen sind hingebracht worden."
„Das ist sehr rücksichtsvoll, Milady. Danke sehr!"
„Sie müssen uns Bescheid geben, wenn noch etwas fehlt … Mrs. … Mrs. Carson.", stellte Lord Grantham hilfsbereit fest.
Oh, was für ein perfekter Stolperer, dachte sich Elsie. Hoffentlich nahm Charles das auch wahr und ergreift die Möglichkeit. Angespannt spitzte Elsie die Ohren und wartete auf die Worte ihres Mannes.
„Nun sehen Sie, Mylord. Das ist es ja nun.", begann Charles vorsichtig, "Wird es nicht recht verwirrend, wenn man uns Carson und Mrs. Carson nennt?"
Oh, ja, er tut es. Hihihih. Er tut es. Wo sehe ich jetzt bloß hin? Wohin? Wohin? Wohin? Ah, ich habs! - Ich sehe einfach gerade aus ins Leere, und tu unbefangen. Hihihi, ja genau! Sie wagte einen kurzen Blick zu ihren Dienstgebern. Ah nein, das geht nicht. Ich sehe doch lieber zu Charles, und tu so, als würde ich ihm zuhören.
„Daher haben wir uns ja auch gewehrt, dass aus Anna Mrs. Bates wird."
Gleich ist es so weit. Gleich fragt er. Entspannt bleiben, Elsie. Tu so, als würde das das normalste Anliegen der Welt sein.
„Wäre es sehr gegen die Regularien, wenn wir Carson [Ok, Ok, Ok, jetzt kommts. Jetzt ist es soweit.] und Mrs. Hughes blieben?"
Whoohoo. Er hats getan. Er hats getan. So, jetzt nur nichts anmerken lassen, Elsie Mädchen. Er hat wirklich gefragt. Bleib ruhig, sieh unbefangen drein und warte ab.
Doch bei all ihren Bemühungen entwich ihr ein Grinsen, dass sie gleich mit einem Biss in ihre Unterliebe zu unterdrücken versuchte. Sie blickte zu Lady Grantham und war über ihr wissendes Lächeln, dass sie ihr schenkte, überrascht.
„Ah, Halleluja!", begann Lord Grantham.
Ehm. Was kommt jetzt?
„Sie machen mich zu einem glücklichen Mann!", preiste Lord Grantham Charles Anliegen.
Elsie war erleichtert, aber auch überrascht, dass diese banale Erläuterung tatsächlich ausreichte, um weiterhin bei ihrem Mädchennamen genannt zu werden.
Lord Grantham drehte sich beschwingt um, nahm die gesamte Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich, erhob sein Punschglas und verkündete: „Lassen Sie uns nun das Glas erheben und auf die Gesundheit der Neuvermählten trinken. Immer noch bekannt - zumindest in diesem Hause - als Carson und Mrs. Hughes."
Gut gemacht, Charlie!, lobte sie ihn gedanklich und schenkte ihm einen verstohlenen Seitenblick.
Freudig erhoben alle ihr Glas und stimmten mit ein.
_C&E_
Die Carsons kleideten sich nach ihrem Empfang um. Sie wollten mit dem heutigen Abendessen den Dienst wieder antreten. Anna war so nett und hatte Charles eine frische Livree an die Innenseite seiner Dienstzimmertür bereit gehängt. Und auch in Mrs. Hughes Zimmer hing ein frisches Dienstkleid. Als Elsie sich umgezogen hatte, fiel ihr ein, dass sie zu Charles in sein Zimmer musste, denn in ihrem Koffer, der ja dort stand, war ihre Chatelaine.
Seine Tür war geschlossen. Elsie klopfte und öffnete langsam die Tür. Sie lugte hinein.
„Ah, Mrs. Hughes. Ich dachte mir schon, dass ich demnächst mit einem Besuch Ihrerseits rechnen würde können." Charles stand hinter seinem Schreibtisch. Seine Haare ordentlich zurückgekämmt und mit Pomade bestrichen. Elsie schloss die Tür hinter sich und genoss den Anblick, der sie ins Stotter geraten ließ.
„Ich … ich …"
„Ich denke, ich habe da etwas, das Ihnen gehört." Mit diesen Worten trat er von dem Schreibtisch hervor und ließ Elsies Chatelaine von seiner Hand baumeln. Er ging auf sie zu.
„Dann wollen wir sie wieder dahin bringen, wo sie hingehört."
In Griffweite zog Charles Elsie an ihrem Rock einen Schritt zu sich heran und kam ihr mit seinem Gesicht gefährlich nahe. Elsie schloss die Augen und sog begierig seinen Duft ein. Spielerisch behielt er den geringen Abstand zu ihr bei. Elsies Puls beschleunigte sich und Charles bemerkte ihre schwere Atmung, als seine Hände an ihrer Hüfte herumfummelten.
Charles Mund wanderte zu Elsies Ohr hinter.
Kitzelnd flüsterte er: „Na, na, Mrs. Hughes. Sie wirken so gesprächsarm. Liegt Ihnen denn nichts auf den Lippen?"
Er hinterließ eine brennende Hitze in ihrer Ohrmuschel. Sie biss sich auf die Unterlippe.
Der Butler wich von ihr zurück und betrachtete sein Werk. Als sich Elsie weitestgehend gefangen hatte, öffnete sie ihre Augen und sah in die selbstherrlichen Augen ihres Mannes. Sie benötigte noch einige Atemzüge, bis sich ihr Puls normalisieren konnte.
„Schuft!"
Mehr sagte Elsie zu dieser Situation nicht und verließ bestimmt das Zimmer. Ungewollt schenkte sie ihrem Charles mit dem Rasseln ihrer Schlüssel ein entzückendes Lächeln, als sie sich immer mehr zu entfernen schien. Die Vorfreude über das Ankommen im Cottage heute Abend wuchs in Charles ins Unermessliche.
Was Charles aber niemals erfuhr, auch Elsies Mund kräuselte sich zu einem verschmitzten Lächeln, als sie ihre Hüften mehr als nötig gewesen, beim Davongehen wippen ließ.
_C&E_
Die Bediensteten saßen nun wieder wie gewohnt am Esstisch, Mr. Carson nahm am Kopfende des Tisches Platz, Mrs. Hughes zu seiner Rechten. Alle warteten mit Hunger auf das Kochpersonal mit dessen dampfenden Speisen. Mrs. Patmore kam mit einem Suppentopf in den Raum und begann bei Mr. Carson mit dem Auftischen.
Daisy ging wenige Schritte hinter der Köchen, sie brachte eine Kalte Platte mit, auf der eine große Menge der Speisen vom Mittagessen der Granthams zu finden waren. Mrs. Patmore hatte in der Vorfreunde, die Carsons wieder zu sehen, zu viel gekocht. Und so kamen die Bediensteten zu dem Genuss.
Daisy, der unglückliche Tollpatsch, stolperte über ihre eigenen Füße, kaum hatte sie den Speisesaal betreten, und verlor die Servierplatte aus ihrem Griff. Die Platte knallte mit einem Lauten Getöse auf dem Steinboden auf. Auf Mr. Carsons Kopf landete ein Hummer und sein rechtes Auge wurde von einer Tomatenscheibe von der Garnierung verdeckt. Zu allem Übermaß blieb ein kleines Stückchen Salatblatt unter Charles Nase hängen.
Elsie runzelte in Windeseile die Stirn und fragte sich, ob Mrs. Patmore solche Situationen bei ihrer Ankunft gemeint hätte. Elsie war bemüht, ein aufkommendes Lachen zu unterdrücken, was man von den anderen nicht behaupten konnte. Im Raum ging ein schallendes Gelächter um. Freilich verstarb es rasch, als sich jeder darüber im Klaren war, dass Käptn Nemo … äh Mr. Carson eine der Hauptrollen in diesem Schauspiel übernommen hatte.
„Du lässt das Zeug am Boden liegen und nimmst mir jetzt sofort das Ding vom Kopf!", zischte Mr. Carson an Daisy gerichtet, die beherzt das Essen vom Boden sammelte. Mit zittrigen Knien hastete sie zu Mr. Carson und entfernte den Hummer von seinem Haupt.
„Bitte verzeihen Sie, Mr. Carson!"
Daisy und Mr. Carson (und der Hummer wohlgemerkt) teilten sich denselben tiefen Rotton. Mr. Carson vor Wut und Daisy vor Unbehagen.
„Man sollte meinen, du habest in all den Jahren schon genug Erfahrung gesammelt. Nun sieh zu, dass … … …"
Charles Worte wanderten immer mehr in den Hintergrund, Elsie nahm nur noch sein Äußeres wahr. Ihr Blick blieb an seinen Lippen hängen. Sie beobachtete sie dabei, wie sie Buchstaben zu Worten, und Worte zu Sätzen bildeten. Wie gerne würde sie seine tanzende Unterlippe kosten. Und dann hochwandern zur oberen. Elsie schluckte einen harten Knödel der Begierde hinunter.
Sie leckte sich über die Lippen, stoppte damit aber abrupt. Elsie hoffte, dass ihre Träumerei von niemandem bemerkt wurde. Charles nach den Flitterwochen so autoritär und in seiner Livree gekleidet zu sehen, raubte ihr ihren professionellen Verstand. Als ihr bewusst wurde, wie sehr sie ihn anstarrte und was sie dabei getan hatte, biss sie sich nervös auf ihre Unterlippe und hoffte, sie könnte das Lecken somit kaschieren. Hoffentlich hatte keiner der am Tisch sitzenden ihre Gedanken erraten. Sie zwang ihren Blick auf ihren Teller zu huschen, ohne ihn über den Mittagstisch gleiten zu lassen. Hätte es jemand bemerkt, würde sie es nicht wissen wollen. Und würde sie jetzt nach Beobachtern Ausschau halten, dann wären doch deren anstößigen Vermutungen bestätigt geworden.
_C&E_
"Junge Dame! Stehen geblieben! Was war das?"
"Was war was?"
"TunSie nicht so, als wüssten Sie nicht, was ich meine."
"Tut mir leid, aber ich habe keinen Schimmer, was Sie meinen." Oh Herr, ich weiß es doch!
"Ich habe es mitbekommen. Und ich habe auch mitbekommen, dass Sie sehr wohl bemerkt haben, dass Ihre Gedanken mit Ihnen durchgegangen sind. Warum sonst, sollten Sie so hastig damit begonnen haben an Ihrer Unterlippe zu kauen, meine Liebe."
"Mrs. Patmore, ich weiß wirklich nicht ... "
"Ach kommen Sie mir nicht mit Mrs. Patmore.", unterbrach sie ungeduldig.
„Wahrscheinlich habe ich mir nur etwas Essen von den Lippen geleckt."
„Humbug! Sie hatten noch nicht einen Bissen auf ihrem Teller. Ich komme Sie am Abend nach der Arbeit mit einem Tee besuchen. Und bis dahin haben Sie besser eine spannendere Ausrede parat, Mrs. Hughes!"
Mrs. Hughes prustete unter den strengen Blicken der Köchin los. Es war herrlich, wieder ihre Freundin um sich zu haben. Elsie stellte erleichtert fest, dass sich ihr Leben nach der Hochzeit doch nicht so sehr änderte. Aber an den richtigen Stellen, Gott hab Dank, eben schon.
_C&E_
Nach einem langen, anstrengenden Tag marschieren Charles und Elsie in ihr Cottage. Es war der erste Gang nachhause als verheiratetes Paar. Aber der Heimweg gestaltete sich anders als gewünscht: Es schüttete, es war kalt, es war stürmisch.
Da Charles es sich nicht nehmen ließ, Elsies Koffer zu tragen, hatte er keine Hand frei, um sich mit einem Regenschirm vor dem Regen zu schützen. Charles war noch immer verstimmt von den Geschehnissen beim Abendessen. Er war zudem nicht nur verstimmt, sondern auch durcheinander, aber das war nur Elsie klar, ihm selber nicht. Er zog heute aus seinem Dachgeschosszimmer von Downton Abbey aus, um mit seiner Frau in das Cottage einzuziehen. Er spürte einen kleinen Kampf in sich toben. Und da Elsie schon einige Zeit mit ihm zusammenlebte, ohne mit ihm wirklich zusammenzuleben, bemerkte sie dies natürlich.
Charles stapfte in eine unbemerkte Pfütze. Nicht nur, dass sein ganzer Fuß bis zum Knöchel in Wasser stand, nein, er trat so energisch in die Pfütze, dass er sein anderes Bein voller Matsch spritzte. Er brummte so laut, dass für kurze Zeit der tosende Wind zu verstummen schien.
Elsie versuchte ein Gespräch mit ihm zu beginnen, aber sie merkte, dass jetzt kein richtiger Zeitpunkt dafür war. So ging sie stumm neben Charles und hielt im so gut es ging ihren Schirm über seinen Kopf, was zur Folge hatte, dass beide pitschnass wurden.
Als sie in ihr Cottage traten, Elsie den Lichtschalter betätigte und die Tür hinter sich schloss und so das grausige Wetter hinter sich ließ, ließ Charles die Koffer auf den Boden fallen, wobei einer durch den Aufprall aufsprang. Es war Elsies Koffer, der sich öffnete.
Über den gesamten Boden des Eingangsbereichs lagen ihre Sachen verteilt. Viele ihrer Kleidungsstücke bedeckten chaotisch den Fußboden und auch Elsies Ludo Spiel, das Charles ihr im Zug schenkte, lag im ganzen Eingangsbereich verstreut. Elsie war in Sorge, nicht mehr alle Spielfiguren finden zu würden.
Was Charles aber durch all das Chaos förmlich ins Auge stach, war dieses Buch. Wie ferngesteuert bückte er sich und griff danach. Er las den Titel. Eine Schreckliche Versuchung – Charles Reade. Wie in Zeitlupe richtete er sich auf und warf einen stechend fragenden Blick hinüber zu Elsie. Charles Stimmung hatte den absoluten Tiefpunkt erreicht.
** [ [ Selbstredend lieben wir unseren Charlie in seinen facettenreichen Rollen :-D Er weiß ja gar nicht, was er alles kann, stimmts? Mit Anlehnung an die wundervollen Geschichten von Mrs. Dickens713 'A Fine Romance' und 'B&B of love and fun' von Chelsieobsessed1980 ] ]
Oje, das ist kein guter Start ins gemeinsame Leben im Cottage für die beiden. Oder ist es genau deswegen ein guter Beginn? Mir scheint, als müsse Elsie da ein wenig für Entspannung sorgen ;-)
Ein kleines, unaufregendes Kapitel zur Heimkehr. Über eure Meinungen, bin ich wie immer gespannt. Habt ihr Wünsche, Beschwerden, Anregungen?
Habt vielen Dank für eure überwältigenden Reviews. Ihr schmeichelt mir sehr! DANKE AN EUCH!
Ich hoffe, ihr freut euch auf Part III. Mögen die Spiele beginnen ...
In Kürze folgt wie immer die Übersetzung ins Englische.
Bis Bald :-)
