Mein süßes kleines Entlein!
Nachdem ihre Kinder in die Limousine eingestiegen und weggefahren sind, verlassen Fran und Maxwell ihren Beobachtungsposten am Fenster. Maxwell ist völlig außer sich über die Szene die sich ihnen eben geboten hat.
"Was ist nur in unsere Tochter gefahren? Was sollte diese aufreizende Aufmachung? Außerdem hat sie uns eiskalt hintergangen!"
Nervös rennt er im Zimmer hin und her. Fran versucht ihn zu beruhigen.
"Jetzt komm mal wieder runter, Schatz. Ich gebe ja zu, Eves' neues Outfit ist vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig. Aber es bringt doch nichts, wenn du dich derart darüber aufregst."
"Ich bitte dich, Fran! Ich mache mir ernsthafte Gedanken um Eve. Sie war doch immer ein ehrliches und aufrichtiges Mädchen. Und sie hatte immer einen stilvollen, dezenten Geschmack. Ich war immer stolz auf sie, dass sie nicht so rumrennt wie diese Modepüppchen. Und jetzt diese Verkleidung. Sie sah regelrecht verboten aus. Sie sah aus wie, wie…."
"Wie ich, möchtest du wohl sagen?" meint Fran angriffslustig. "Naja, so direkt wollte ich es jetzt auch nicht sagen, aber ich liege doch wohl richtig mit der Vermutung, dass sie diese neuen Klamotten aus deinem Kleiderschrank genommen hat, oder?"
Fran gibt ihm zwar keine Antwort, aber ihr Blick verrät ihm, dass er voll ins Schwarze getroffen hat. Ihn beschleicht ein böser Verdacht.
"Sag mal, Fran, du wusstest doch nicht etwa etwas davon? Schau mir einmal tief in die Augen! Sag mir bitte, dass du nichts von dieser unsäglichen Idee wusstest?!"
"Natürlich nicht! Ich schwöre dir, Maxwell. Ich hatte keine Ahnung was Eve vorhat.. Ich habe es erst gemerkt, als ich das zweite Etikett an ihrer Bluse gesehen habe. Eine Mutter hat nun mal ein Auge für sowas. Außerdem habe ich diesen Trick früher selbst benutzt." fügt sie kleinlaut hinzu.
"Aha, da haben wir es ja. Kann es vielleicht sein, dass du unabsichtlich Eve auf diese Idee gebracht hast? Hast du ihr bei einer von euren gemütlichen Teestunden von deinen früheren Abenteuern erzählt?"
"Ganz gewiss nicht, Maxwell. Ich gebe ja zu, dass ich unsere Kinder vielleicht manchmal auf ungewöhnliche Ideen bringe. Aber mit dieser Sache habe ich wirklich nichts zu tun."
Maxwell lächelt seiner Frau zwar zu, aber ist noch nicht so ganz von ihrer Unschuld überzeugt. Maxwell lächelt seiner Frau zwar zu, aber ist noch nicht so ganz von ihrer Unschuld überzeugt. Das Ehepaar geht zurück in die Küche und nimmt am Frühstückstisch Platz. Fran schenkt ihrem Mann eine zweite Tasse Tee ein. Maxwell sitzt immer noch mit sehr angespanntem Gesicht am Tisch.
"Nun komm schon, Maxwell. Das Ganze ist nun wirklich kein Weltuntergang. Jetzt iss erstmal was und verdau die ganze Geschichte."
"Weißt du, Fran, manchmal hätte ich wirklich gerne deine Gelassenheit. Ich kann das bei weitem nicht so locker sehen wie du. Am liebsten würde ich jetzt sofort zur Schule fahren und mir Eve persönlich vorknöpfen."
Fran sieht ihren Mann geschockt an.
"Keine Sorge, ich werde ganz brav sein. Ich habe nur gesagt, was ich am liebsten tun würde."
Eine Weile sitzen sie schweigend da. Maxwell nippt nervös an seinem Tee. Er ist viel zu aufgeregt, um irgendetwas zu essen. Bei Fran sieht das ganz anders aus. Sie hat jetzt erst richtig Hunger bekommen und beschmiert sich schon ihren zweiten Bagel mit Frischkäse. Maxwell wendet sich wieder an sie. "Aber jetzt mal im Ernst, Fran, was sollen wir tun? Ich meine, wir können diese Geschichte doch nicht so einfach ignorieren, als ob nichts gewesen wäre."
Fran denkt einen Moment nach.
"Das Beste wird sein, wenn ich in Ruhe mit ihr rede.. Ich bekomme vermutlich noch am ehesten raus, was mit ihr los ist. Ich werde einen ruhigen Moment abpassen und ganz vernünftig und sachlich mit ihr reden. Vielleicht gibt es ja auch eine ganz harmlose Erklärung für all das."
"Dein Wort in Gottes Ohr."
Während Maxwell seinen Tee trinkt, klopft er nervös mit den Fingern auf dem Tisch herum, was Fran allmählich wahnsinnig macht. Schließlich erträgt sie es nicht länger.
"Kannst du bitte damit aufhören, Schatz? Du machst mich noch ganz verrückt. Man sollte wirklich meinen, nach den ganzen Erfahrungen, die wir bereits mit Maggie und Gracie hinter uns haben, wärst du bei deiner jüngsten Tochter ein wenig gelassener."
"Das ist es ja gerade!" gibt Maxwell traurig von sich und macht ein ganz betrübtes Gesicht.
"Wie bitte? Ich verstehe nicht, was du meinst."
"Na, das ist ja genau mein Problem. Eve ist mein letztes kleines Mädchen. Als Maggie damals so jung geheiratet hat und Brighton zeitgleich für einige Monate ins Ausland wollte, war das für mich damals sehr schwer zu akzeptieren, meine beiden großen Kinder ziehen zu lassen. Ich habe mich damals mit den Gedanken getröstet, dass wir ja immerhin noch Gracie haben. Und dann kamen ja auch sehr schnell Eve und Jonah noch dazu. Und als Gracie dann immer erwachsener wurde und schließlich ausgezogen ist, waren Jonah und Eve immer noch so klein. Aber jetzt sind auch die beiden fast erwachsen. Und ich werde mein letztes kleines Mädchen verlieren."
Fran wirft ihm einen liebevollen, mitfühlenden Blick zu und streicht ihm über das Gesicht.
"Na ja, verlieren ist ein bisschen hart ausgedrückt."
"Du weißt, was ich meine. Erinnerst du dich noch, wie ich sie früher als kleines Mädchen immer genannt habe? Mein kleines, süßes Entlein."
Frans Gesicht bekommt auf einmal einen ganz sentimentalen Ausdruck.
"Ja, ich erinnere mich. Aber dein süßes, kleines Entlein ist gerade dabei, sich in einen Schwan zu verwandeln. Und das ist völlig normal. Das nennt man Leben. Maxwell. Erinnerst du dich noch an unser Gespräch vor einigen Tagen? Da hast du mir selbst noch hochdramatisch erklärt, dass Eve gerade dabei ist, sich von einem kleinen Mädchen in eine junge Frau zu verwandeln. Vermutlich ist diese Geschichte von heute einfach nur ein Teil dieses Prozess."
"Du hast wie immer recht Fran."
Maxwell trinkt seinen Tee aus und schaut auf die Uhr.
"Ich muss los, Darling! Wir haben heute dieses Meeting mit dem neuen Regisseur, von dem ich dir erzählt habe. C.C. schlägt mir den Kopf ab, wenn ich zu spät komme."
Fran umarmt ihren Mann zum Abschied. Er schaut sie liebevoll an und streicht ihr über die Wangen.
"Weißt du Fran, ich bin wirklich froh, dass unsere Kinder eine so vernünftige und verständnisvolle Mutter haben wie dich!" Fran spürt, wie sie rot anläuft. Für einen Moment versinken die beiden in einem innigen Kuss. Nachdem Maxwell das Haus verlassen hat, schaut Fran aus dem Fenster. Sie gibt einen lauten und tiefen Seufzer von sich. Fran geht mit der ganzen Situation bei weitem nicht so gelassen und entspannt um, wie sie eben noch versucht hat, ihrem Mann vorzumachen. In Wirklichkeit macht sie sich ebenfalls große Sorgen um ihre Tochter. Der heutige Vorfall hat ihr einmal mehr als deutlich gezeigt, dass mit ihrem Mädchen etwas nicht stimmt.
