Es war schon fast wie ein kleiner Ausflug. Ein verlängertes Wochenende. Die Deluxe Suite mit Balkonzimmer. Und natürlich durfte die schöne bergige Aussicht nicht fehlen. Das einzige Problem: Er hatte diesen Trip nicht freiwillig angetreten.
Shizuo richtete sich gerade vom Bett auf und rieb sich gähnend seine Augen. Er befand sich in einem der „Gästezimmer", so wie Oshiro es erklärt hatte. Ein viel zu geräumiges Zimmer, mit angrenzendem Luxusbadezimmer, Fußbodenheizung, all inclusive.
Shizuo schnaubte als er daran zurückdachte, wie Oshiro ihm gestern Abend von diesem Zimmer vorgeschwärmt hatte. Es sei eines der exklusiv beheizten Zimmer im gesamten Anwesen. Er klang dabei so stolz, als wäre es etwas erstaunliches ein Zimmer zu beheizen.
Shizuo schnaubte.
Und der Floh hatte sich gestern nach ihrer hitzigen Auseinandersetzung aus dem Staub gemacht, mit der Aussage, dass er sich um seine Geschäfte zu kümmern habe. Natürlich.
„Muroko Akaguchi werden wir morgen einen Besuch abstatten. Sei gegen elf Uhr bereit.", hatte er gesagt, und bevor Shizuo überhaupt antworten konnte, war der Vampir bereits verschwunden gewesen.
Zuerst hatte Shizuo noch gefühlte zehn Minuten dort gestanden und über Izayas seltsamen Ausbruch gegrübelt. Er hatte gedacht, dass der andere ihn beißen wollte. Doch stattdessen hatte er ihn nur mit seinen eiskalten Fingern berührt, was fast noch schlimmer gewesen war, als das eigentliche Mahl. Denn Izayas Berührung hatte wieder dieses seltsame Kribbeln in ihm ausgelöst.
Bereits als Shizuo wieder darüber nachdachte, kam die gesamte Wut auf diesen Bastard wieder hoch. Wieso zum Teufel war es bloß angenehm gewesen?
Es war genau dasselbe wie auch zuvor, als Izaya ihn im Hauptquartier der Bruderschaft gebissen hatte. Da hatte er selbst das Mahl des Vampires als angenehm empfunden. Was zur Hölle stimmte nicht mit ihm? Auch jetzt, nachdem er eine Nacht drüber geschlafen hatte, konnte er sich nicht erklären, was dort gestern passiert war.
Irgendwann – er hatte sich lange genug darüber Gedanken gemacht – hatte sich der ehemalige Bartender wieder in Bewegung gesetzt. Doch es hatte keine drei Minuten gedauert, bis Oshiro seine Wanderschaft in der Residenz unterbrochen hatte. Shizuo hatte direkt um ein Handy gebeten und sich mit Kasuka und Tom in Verbindung gesetzt. Denn wenn der Floh seinen Alltag regelte, sollte Shizuo die Chance nutzen solange er konnte. Denn wer wusste schon, wann Izaya wieder auf die Idee kam, von ihm zu trinken.
„Nii-san? Wo bist du? Wir können dich seit Tagen nicht erreichen."
Kasukas Stimme hatte wie immer monoton geklungen, er den Schauspieler mittels seines Managers endlich erreicht hatte, aber Shizuo hatte den besorgten Unterton heraus hören können. Scham hatte Shizuo überfallen, weil er seinen Bruder rein gar nichts erzählt hatte. Und selbst als er mit ihm gesprochen hatte, konnte er ihm nichts über seine Situation erzählen. Was hätte er auch sagen sollen? Hi Kasuka! Ich wurde neulich von einem Vampir gebissen, dadurch bin ich zu einer Zielscheibe von Orihara Izaya, der Bruderschaft und der Regierung geworden. Spannend, oder?
Shizuo schüttelte wild den Kopf, als er sich zurück erinnerte.
Nein.
Er hatte ihm nur gesagt, dass er momentan in Yūbari war und bald zurückkommen würde. Alles Weitere würde er seinem Bruder irgendwann persönlich erzählen müssen. Bei seinem Chef hingegen, war es etwas ganz anderes. Er reagierte noch heftiger, als er gedacht hatte.
„Was?", hatte Tom überrascht gerufen. „Ihr seid in Yūbari? Und werdet von der Regierung gesucht?!"
Tom war der einzige, der die Gesamtsituation einigermaßen nachvollziehen konnte. Auch wenn er ihm von seiner seltsam verdrehten Beziehung zu Izaya noch nichts erzählen konnte. Schließlich wusste er selbst nicht, was da nun los war zwischen ihm und dem verdammten Floh. Also versprach er Tom lediglich, bald wieder in Tokyo zu sein.
Danach hatte Rosi ihn überreden können, zu Abend zu essen und Shizuo hatte dabei festgestellt, dass sie es liebte ihn beim Essen zu beobachten. Meistens lachte sie über seine Art zu essen oder stellte dabei die merkwürdigsten Fragen. Dieser Abend war ziemlich chaotisch verlaufen und er war völlig kaputt auf seiner „Deluxe Matratze" eingeschlafen.
Auf Shizuos Gesicht legte sich ein mattes Lächeln, als er aus seinen Erinnerungen zurück kam und gerade das Badezimmer betrat.
Auch wenn Rosi ein Vampir war, so hatte er das kleine Mädchen irgendwie akzeptiert und gar in sein Herz geschlossen. Als Shizuo noch völlig in Gedanken den Blick hob und die Person entdeckte, die ihm im Spiegel entgegen blickte, erschrak er sich fast vor sich selbst. Er sah noch mitgenommener aus als er sich vorgestellt hatte.
Seine Haut war blass, sein Bart war wieder um einige Millimeter gewachsen. Seine blonde Haarfarbe wuchs langsam heraus, als sich am Ansatz seine originale Haarfarbe wieder durchsetzte. Hinzu kamen die ungewöhnlich dunklen Augenringe. Schlafmangel war eine der Ursachen dafür. Denn selbst wenn das Bett die beste Matratze der Welt hatte, hatte Shizuo kaum ein Auge zu tun können. Immer wieder hatte er das Gefühl gehabt, Izaya würde ihn beobachten und den passenden Moment abwarten, um unbemerkt von ihm zu trinken. Der Floh raubte ihm sogar den Schlaf, obwohl er nicht einmal anwesend war.
Shizuo runzelte verzweifelt die Stirn. Wie sollte es bloß erst in Zukunft aussehen, wenn dieser Parasit tatsächlich mehrmals von ihm trinken müsste? Nein, nein, nein! Niemals! Das würde Shizuo nicht zulassen! Er würde dieses Seelenverwandtschaftsding rückgängig machen, egal wie!
Sein Spiegelbild blickte ihn grimmig an. Eines ließ sich nicht leugnen. Shizuo sah heute wirklich aus wie eine Leiche… Tch. Nicht, dass er diesen Blutsaugern noch Konkurrenz machte…
Er nahm eine schnelle Dusche, bediente sich an dem seltsam duftenden Shampoo und rubbelte sich fix trocken. Mit einem wütenden Blick besah er sich seine dreckigen Klamotten. Dabei fiel sein Augenmerk besonders auf die Blutflecken am Kragen seines Bartender Outfits. Diese verdammten Vampire…!
Oshiro hatte ihm ein paar frische Sachen angeboten, dennoch war ihm unwohl dabei, seine eigenen Klamotten zurückzulassen. Das einzige was er annahm, war die frische Boxershorts. Den Rest ignorierte er und zog sich wieder seine eigenen, dreckigen Klamotten an. Kasuka hatte ihm schließlich diese Kleidung geschenkt.
Als Shizuo aus seiner „Deluxe Suite" trat, begegnete er dem grinsenden Gesicht von Rosi. Erstaunt blickte Shizuo auf sie hinab.
„Da bist du ja endlich!", sagte sie und plusterte empört ihre Wangen auf, „Ich habe hier seit einer Stunde auf dich gewartet!"
Shizuo blinzelte ein paar Mal.
Was? Wieso zum Teufel machte dieses Mädchen sowas?
„Seit einer ganzen Stunde? Warum?"
Zwei Sekunden lang konnte sie ihre gespielt beleidigte Maske noch aufrechterhalten, doch bereits in der dritten Sekunde begann das blonde Mädchen breit zu grinsen.
„Hppff- haha, du glaubst mir auch echt alles!", rief Rosi vergnügt. Ihr Engelslachen hallte durch den langen Flur, während Shizuo genervt das Gesicht verzog. Na klasse, eine gut gelaunte Rosi am frühen Morgen. Das konnte heiter werden.
„Warum hast du immer noch diese dreckigen Klamotten an?", fragte sie schließlich und rümpfte die Nase, als würde er tatsächlich nach einer Müllhalde riechen. „Du weißt schon, dass wir eine Waschmaschine besitzen, oder?"
Shizuo atmete tief ein und versuchte seine Wut zu unterdrücken.
Es klappte nicht ganz.
„Weil mir diese Klamotten wichtig sind!", schnauzte er sie an.
„Warum?"
Ihre simple Frage war die pure Neugierde. Wie fast bei jeder Frage, die sie ihm stellte. Und es war der Moment, in dem Shizuos Wut sich erst in Verzweiflung und dann in Resignation umwandelte.
„Mein Bruder hat sie mir geschenkt…", erzählte er.
„Du hast auch einen Bruder?"
Ihre Augen begannen zu leuchten.
„Ja. Einen jüngeren Bruder."
Rosi schien begeistert.
„Ist er nett? Ärgert er dich auch nicht?"
Für einen Moment realisierte Shizuo, dass Rosi wahrhaftig noch ein Kind war. Auch wenn ihre rot leuchtenden Augen etwas anderes sagten.
„Er ist sehr nett. Vielleicht stelle ich ihn dir irgendwann mal vor."
„Wirklich?", rief sie, beinahe euphorisch und es zauberte für einen Moment ein Lächeln auf Shizuos Gesicht.
„Ja, wirklich."
Sie freute sich für einen Moment, doch dann riss sie die Augen auf.
„Ach ja!"
Sie schien sich an etwas zu erinnern.
„Komm mit, du musst Hunger haben! Mein Bruder hat mich geschickt, um dich zum Frühstück zu begleiten."
Oh ja, und wie er Hunger hatte. Sein grummelnder Magen unterstützte seinen Gedanken und brachte gleichzeitig Rosi zum Kichern.
„Es ist wirklich so, als ob dein Bauch eine eigene Sprache hat.", lachte sie.
Ein weiteres Grummeln folgte, wie zur Bestätigung.
„Siehst du! Er stimmt mir zu!", rief Rosi begeistert und klatschte in ihre Hände. Derweil stapfte Shizuo weiter vorwärts, als hätte er sie gar nicht gehört und musste sich das Schnauben verkneifen. Was sollte er bloß mit diesem Mädchen anfangen?
Rosi führte ihn zurück in denselben Raum, in dem er gestern sein Abendessen verspeist hatte. Den Festsaal, wie Shizuo ihn nannte. Zu seinem Erstaunen, war ein Großteil des Tisches bereits mit Gerichten gedeckt. Überall standen Teller und Schüsseln. Es war so riesig, dass es einem Buffet glich.
„Manabi-chan hat für dich gekocht. Gefällt es dir?", erklärte Rosi und hüpfte um ihn herum, wie ein wild gewordenes Huhn.
„Uh…das ist alles für mich?"
Shizuo sah erstaunt von einer Schüssel zur anderen. Es reichte von Miso-Suppe und gegrilltem Fisch bis hin zu eingelegtem Gemüse und selbstverständlicher Weise Reis. Dieses…Frühstück war um einiges üppiger, als Shizuo jemals zu sich genommen hatte.
„Natürlich ist das für dich!", erwiderte Rosi amüsiert und schüttelte belustigt den Kopf. „Unsere Angestellten haben schon gefrühstückt. Und du bist der einzige Mensch bei uns, der noch nicht gegessen hat."
Und für einen einzigen Menschen kochte man gleich ein ganzes Buffet?
„Das kann ich doch niemals alles alleine essen.", sagte Shizuo und bekam beinahe ein schlechtes Gewissen. Er fragte sich, ob die Köche oder generell alle Menschen hier überhaupt freiwillig arbeiteten…
Vielleicht wurden sie auch dazu gezwungen? Oder noch schlimmer: wurden als Blutspender einbehalten? Bei diesem Gedanken verfinsterte sich sein Gesicht. Bei Gelegenheit sollte er Oshiro dazu ausfragen.
„Was ist los, Heiwa-chan?", fragte Rosi nun besorgt, als sie seine Grimasse erblickte, „Magst du die Gerichte nicht?"
Shizuo seufzte.
„Nein, es ist nur, dass-"
„Shizu-chan würde viel lieber einen Milchshake trinken, nicht wahr?"
Shizuos genervter Blick fuhr ans andere Ende des Tisches.
Dort stand er plötzlich, seelenruhig, die Hände in den Jackentaschen vergraben, während er ihn dämlich angrinste. Sein Seelenverwandter… tch!
„Halt die Klappe, du Pest…", knurrte Shizuo.
„Ach sei doch nicht so. Wir haben heute Großes vor, und dafür musst du gestärkt sein.", säuselte Izaya und bewegte sich auf sie zu. Der ehemalige Bartender spannte sich an, Rosi jedoch sprang dem anderen entgegen und warf sich übermütig in Izayas offene Arme.
„Iza-chan!"
„Nicht so schnell, du Wirbelwind.", sagte Izaya belustigt und wirbelte mit dem Mädchen ein paar Mal im Kreis. Shizuo blieb an seinem Platz stehen und beobachtete die beiden. Heute schien Rosi keine Angst vor Izaya zu haben. Nicht so wie gestern… wie sie Izaya angesehen hatte… so voller Angst und Unterwürfigkeit.
„Woher weißt du eigentlich, dass Heiwa-chan Milchshake trinkt?", fragte das Mädchen neugierig und blickte dabei Shizuo an, dessen Blick sich auf den Ausruf seines neuen Spitznamens deutlich verdunkelte.
„Nenn mich nicht so, du kleine Blutsaugerin!", knurrte Shizuo, der es absolut nicht leiden konnte, dass Rosi seinen neuen Spitznamen vor dem elendigen Parasiten laut verkündete.
„He, ich heiße Roselia Oshiro!", beschwerte sich die blonde Vampirin und befreite sich aus Izayas Armen, „Du solltest dich eigentlich freuen, dass du mich Rosi nennen darfst!"
Shizuo verzog das Gesicht.
„Außerdem ist es eine Ehre, von mir einen Spitznamen zu erhalten!", fuhr Rosi fort und schloss dramatisch die Augen, hob den Zeigefinger und nickte dann bedächtig, so als ob niemand ihre Aussage verurteilen durfte.
„Eine Ehre wohl kaum, wenn du selbst dem Bastard dort Spitznamen gibst!", sagte Shizuo und deutete mit seinem Finger auf Izayas grinsendes Gesicht. Rosis Augen funkelten verärgert.
„Iza-chan ist kein Bastard!"
Für einen Moment musste Shizuo mit sich kämpfen, um nicht den Kopf in die nächstbeste Wand zu hämmern. Dieses Mädchen kostete ihn noch seine letzten Nerven! Da war ja selbst der Floh weniger nervtötend! Ach was dachte er, sie beide waren nervtötend!
Als ob Izaya seine Gedanken lesen konnte, grinste dieser noch breiter.
„Also ich finde, Heiwa-chan ist genauso gut wie Shizu-chan."
„Untersteh dich, du Ratte…", knurrte Shizuo, als Izaya auch noch seinen eigenen ausgedachten Spitznamen für Shizuo verkündete.
„Nein! Heiwa-chan ist süßer als Shizu-chan!", rief Rosi und plusterte ihre Wangen auf, als wäre es ein Wettbewerb. Izaya begann zu lachen und packte der Vampirin an beiden Wangen und zog daran.
„Willst du dich etwa mit mir messen?"
Shizuo hingegen pochte die Wut bis zu seinem Kopf und er versuchte nicht an die Decke zu gehen. Stattdessen hörte er lieber auf seinen grummelnden Magen und setzte sich auf einen der Stühle. Dann begann er sich Reis und eingelegtes Gemüse auf seinen Teller zu schaufeln, während er versuchte, die beiden diskutierenden Vampire zu ignorieren. Mit etwas mehr Schwung als nötig landete der Reisklumpen auf seinem Teller. Es dauerte nur ein paar Sekunden, da hatte er wieder Rosis Aufmerksamkeit erregt.
„Ah! Heiwa-chan isst! Das darf ich nicht verpassen!", rief Rosi euphorisch, kaum, dass er sich den Reis in den Mund gestopft hatte – und hüpfte plötzlich vor Shizuos Nase auf den Tisch. Dabei schaffte sie es erstaunlicherweise in keinen der Teller zu treten. Sie legte sich wie an dem Tag zuvor auf den Bauch und blickte von einem Punkt zum anderen. Erst seine Ess-Stäbchen, dann seinen Mund und schließlich wanderte ihr Blick zu seinem Bauch.
„Kannst du dich nicht einfach hinsetzen?", knurrte Shizuo sie an, als er seine Portion Reis hinunterschluckte.
„Nein!", verkündete sie freudestrahlend und langsam gab Shizuo es auf. Sein Ausdruck wurde zunehmend genervter. Izaya hingegen lachte darüber.
„Ich glaube, ab heute nenne ich dich auch Heiwa-chan."
„Unterstehe dich…!", knurrte er.
Shizuo funkelte den anderen wütend an und musste dabei zusehen, wie Izaya sich anscheinend zu ihm gesellen wollte.
„Verpiss dich, du Parasit!", fuhr Shizuo den anderen an, als der Informant immer näher kam. Schlimm genug, dass ihn Rosi beim Essen beobachtete. Das brauchte er keinen zweiten Beobachter. Vor allem nicht, wenn es dieser Bastard höchstpersönlich war.
„Eh? Sie darf sich zu dir setzen und ich nicht? Ich bin wahrlich betrübt.", heuchelte Izaya gekränkt und legte theatralisch die Hand auf seine Brust. Shizuos genervte Augen huschten zu Izayas Gesicht. Er war nun deutlich näher als zuvor und ehe er es ahnen konnte, saß er auch schon neben ihm.
„Ich sagte, verpi-hmpf!"
Shizuos Worte verschwanden ins Nichts, als Izaya ihm eine geröstete Paprika in den Mund schob.
„Du musst essen, Shizu-chan! Sonst verhungerst du noch."
Aus Reflex konnte Shizuo nicht anders, als die Paprika herunterzuschlucken und hustete im nächsten Moment, als hätte er einen Asthma-Anfall. Als er sich beruhigt hatte, starrte er mit funkelnden Augen wütend in Izayas dämlich grinsendes Gesicht.
„I-za-ya!"
Ungehemmter Zorn fuhr durch seinen Körper wie eine Ladung Volt. Ohne zu zögern zielte er auf Izayas Fuchsgesicht. Doch wie das letzte Mal auch, verschwand die Visage des Flohs, bevor er ihn treffen konnte. Der Stuhl auf dem der Parasit gesessen hatte, zerschellte in seine Einzelteile und Izaya stand unbeschadet direkt daneben.
„Du solltest dich lieber vorsehen, das Eigentum von Oshiro-san zu beschädigen, Shizu-chan~"
„Lass mich endlich in Ruhe!", polterte Shizuo und wollte erneut auf den anderen losgehen, doch da schlangen sich zwei zierliche Arme um seine Mitte.
„Nicht! Heiwa-chan!", kam es gemuffelt aus Rosis Munde, die ihn versuchte daran zu hindern, auf Izaya loszugehen. Der Informant stand weiterhin seelenruhig da und beobachtete belustigt das Spektakel.
Shizuo wusste nicht, wohin mit seiner Wut, doch an Rosi wollte er sie auch nicht auslassen. Also zwang er sich zur Ruhe und versuchte seine Wut zu unterdrücken. Erst nach einigen Sekunden spürte er, dass Rosis Griff sehr fest war und sie ihn mit ihren zierlichen Armen zurückhalten konnte. Er hatte erneut vergessen, dass sie ein Vampir war.
Es dauerte ein paar Momente, bis sich Rosi traute, ihn langsam loszulassen. Sie stellte sich zwischen die beiden Männer; jeweils eine Hand in eine Richtung gestreckt.
„Mach das noch einmal, und ich schwöre dir, ich bring dich um!", drohte Shizuo mit dunkler Stimme und sah einfach über Rosi hinweg, als wäre sie gar nicht da.
„Ich wage zu bezweifeln, dass du überhaupt weißt, wie man einen Vampir umbringt, Shizu-chan…", höhnte der Informant grinsend.
Shizuo stutzte und blinzelte. Jetzt wo er es sagte…
Er wusste, wie man Vampire verletzen konnte. Silber würde das Fleisch verrotten lassen. Aber was, wenn man kein Silber zur Hand hatte? Gab es noch andere Wege um einen Vampir wahrhaftig umzubringen? Wie tötete man einen Vampir? Musste man den Kopf abschlagen? Den Körper verbrennen? Hatte ein Vampir überhaupt ein Herz? Oder war alles im Körper tot? Kalt? Das würde passen, da Izaya auch kalte Hände hatte. Kalte Hände die sein Gesicht berührt hatten. Die seinen Kopf festhielten und- Oh nein, bloß nicht daran denken! Schlimm genug, dass die Pest ihn sogar geküsst-
Nein!
Vor Scham brannten seine Wangen und Shizuo sah nicht, wie Izaya ihn amüsiert mit seinen dunkelroten Augen betrachtete. Shizuo musste zugeben, dass er tatsächlich nicht wusste, wie man Vampire umbrachte. Und dass obwohl er sogar bei den „Vampirjägern" offiziell unter Vertrag war. Vielleicht hätte er doch besser aufpassen sollen, als Muroko ihm und den anderen Rekruten über Vampire erzählt hatte…
„Versucht Shizu-chan etwa zu denken? Überanstrenge dich nicht. Deine Gehirnzelle könnte sonst explodieren.", lachte Izaya.
Doch ehe Shizuo etwas zu dieser absoluten Dreistigkeit sagen konnte, grätschte Rosi dazwischen.
„Heiwa-chan würde dich nicht umbringen, Iza-chan.", sagte das blonde Mädchen und Izaya konnte sein Lachen nicht unterdrücken.
„Stimmt doch, oder?", fragte sie nun an ihn gewandt und Shizuo war über ihre ernste Mimik überrascht. Sie blickte ihn verwirrt aber auch trotzig mit ihren großen roten Augen an.
„Oh doch, dass würde ich.", antwortete er gereizt.
„Du Lügner!", rief Rosi plötzlich aufgebracht und boxte ihm völlig unerwartet in den Magen. Überrumpelt von Rosis Stärke, durchfuhr ihn ein starker Schmerz in seiner Magengegend. Sie war stark! Und immer noch ein Vampir…
„Wieso lügst du? Du würdest ihn nicht umbringen! Ich weiß es!", rief sie und wurde immer lauter und boxte immer weiter, während Shizuo ihre Angriffe zu parieren versuchte.
„So jemand wie du würde niemanden etwas zur Leide tun. Du bist nur immer so wütend, weil du oft provoziert wirst!"
Überrascht starrte Shizuo in ihre trotzig funkelnden Augen.
„Deswegen wirst du Iza-chan nicht wehtun und schon gar nicht umbringen! Ihr seid schließlich Seelenverwandte!"
Ab dem Moment wo das Wort Seelenverwandte fiel, kam Shizuos Wut zurück wie ein Boomerang. Mit neuer Kraft fing Shizuo den nächsten Boxversuch der Vampirin ab, bevor sie ihn schon wieder treffen konnte. Izaya hob beeindruckt die Augenbraue, doch das sah Shizuo nicht, denn er blickte Rosi scharf an.
„Ich bin nicht sein Seelenverwandter!", brüllte er sie an und dieses Mal weiteten sich Rosis Augen. Danach hörte sie auf sich zu bewegen und stand plötzlich starr wie eine Steinsäule.
„Wieso denkst du dasselbe wie Iza-chan?", fragte das Mädchen irritiert.
„Weil der Muskelprotz ausnahmsweise Recht hat, Rosi-chan.", grätschte Izaya dazwischen, ohne jegliches Grinsen im Gesicht. Dabei nutzte der Informant den Moment der Ruhe indem er auf Shizuo zutrat und sich das blonde Mädchen mit nur einem Arm schnappte. Er hielt sie mühelos bei der Hüfte neben sich fest, als würde er eine Jacke transportieren. Shizuo beobachtete den Floh dabei und wusste nicht, was er von ihm halten sollte. Der Floh gab ihm Recht? Das konnte nur ein Streich seiner Ohren sein.
„He! Lass mich runter, Iza-chan!"
Rosi protestierte natürlich sofort lautstark und versuchte sich aus Izayas Griff zu befreien – erfolglos.
„Versteht ihr das denn nicht? Ihr seid Seelenverwandte! Und ich werde es euch noch beweisen!", rief die Vampirin, wütend darüber, dass ihr niemand glaubte.
Shizuo schnaubte. Er und der Floh…Seelenverwandte. Da würde ja der Gott besser mit dem Teufel zusammen passen…
Als Shizuo jedoch von Rosis zu Izayas Gesicht hochblickte, passierte etwas Seltsames. Dunkelrot traf auf Rehbraun und es blitzte. Izaya starrte ihn regelrecht an. In seinem Blick lag etwas Undefinierbares. Kein Grinsen.
„Ich bin deiner Meinung, Shizu-chan.", begann Izaya schließlich zu sprechen, seine Stimme ernster, als Shizuo sie jemals gehört hatte. Selbst Rosi hörte plötzlich auf zu zappeln und wandte ihre großen Augen auf den schwarzhaarigen Mann. Der ganze Raum vibrierte in einer seltsamen Atmosphäre, die ihn und Izaya umhüllte.
„Wir sind keine Seelenverwandten. Egal was Rosi-chan, Oshiro-san oder sonderbare Legenden darüber erzählen mögen."
Der Blick fesselte Shizuo so sehr, dass er kaum mehr als ein Nicken zustande brachte. Waren Izayas Augen schon immer so…glitzernd?
„Und damit wir erstmal wieder unbeschadet zurück nach Tokyo können, werden wir Muroko Akaguchi auseinander nehmen. Sobald wir wieder in meinem Revier sind, kann ich Nachforschungen anstellen. Dann können wir unsere Suche starten, um aus unserer…misslichen Lage zu entkommen."
Als er endete, schien Izaya schien für ein paar lange Sekunden genauso gefesselt zu sein wie Shizuo. Bis Izaya ein paar Mal blinzelte, ruckartig das Gesicht abwandte und in Richtung Tür ging.
Shizuo verstand es nicht. Wieso fand er Izayas Augen…irgendwie…schön? Nein, nein, nein! Was dachte er sich denn? Es war der Floh, zum Teufel nochmal!
„Iss dein Frühstück auf, Shizu-chan. In fünfzehn Minuten komme ich wieder.", sagte der Informant im Befehlston, „Dann werden wir dem alten Mann auf den Zahn fühlen."
Izayas Worte ließen Shizuo aus dieser seltsamen Atmosphäre hinaus brechen. Er ging zum Angriff über: „Nur damit das klar ist, du Bastard: Ich esse wann, und wie ich will. Kapiert?"
Izaya hielt plötzlich inne und wandte das Gesicht zu ihm um. Dieses Mal grinste er hämisch und Shizuo ahnte nichts Gutes…
„Na schön, Muskelprotz. Aber dann gilt diese Abmachung auch für mich…"
Damit wandte er sich um und verschwand mit Rosi unterm Arm, die Shizuo schon fast vergessen hatte. Und erst ein paar Sekunden später realisierte er, was Izaya gerade gesagt hatte.
Fuck!
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Wie versprochen, tauchte Izaya auf, als Shizuo gerade seinen letzten Schluck Früchtetee hinunter geschluckt hatte. Der Floh hatte Oshiro im Schlepptau, der dieses Mal dunkelbraune Augen hatte. Schien so, als hätte er von jemanden getrunken…
Unter seinem Atem grummelnd trat Shizuo auf die beiden Vampire zu.
„Guten Morgen Heiwa-chan!", rief Oshiro ihm beinahe genauso freudig entgegen wie Rosi. Shizuo verzog genervt das Gesicht. Das bewies eindeutig, dass die beiden verwandt waren…
Izaya wandte amüsiert das Gesicht dem anderen Vampir zu.
„Oh, ich wusste gar nicht, dass du ihn auch so nennst."
„Rosis Erfindung. Und auf jeden Fall kürzer als Heiwajima-san."
„Wohl wahr…", kicherte Izaya und Shizuo versuchte nicht darauf zu reagieren, sondern starrte die beiden Vampire nur genervt an. Doch Izayas süffisantes Lächeln brachte ihn schließlich zur Weißglut.
„Wie ich schon sagte…nenn mich nicht Heiwa-chan!"
„Also lieber Shizu-chan?", fragte Oshiro frei heraus.
Izaya lachte laut auf. Shizuo hingegen knurrte.
„Nein verdammt! Ich heiße Shizuo, nicht Shizu-chan, kapiert?"
„Und wieso darf Ori-chan dich dann so nennen?"
Shizuo platzte gleich der Kopf.
„Dieser Bastard tut es einfach immer wieder! Obwohl ich ihm schon tausend Mal gesagt habe, dass-"
„Shizu-chan versteht einfach die Bedeutung von Spitznamen nicht.", unterbrach Izaya, „Schließlich ist es eine Abkürzung des vollen Namens und damit einfacher auszusprechen."
Oshiro nickte bedeutsam, so als hätte Izaya ihm gerade einen wichtigen Aspekt des Lebens erklärt. Hatte der sie noch alle?!
„Verdammte Scheiße, halt endlich deinen Mund!", bellte der blonde Mann und ging auf den anderen los. Mit seiner Faust hätte er es beinahe geschafft Izayas Plüschmantel zu ergreifen, doch ehe sich seine Faust um das Polyester hätte schließen können, verschwand das Material unter seinen Finger und mit ihm der Parasit. Stattdessen spürte er plötzlich Schmerzen in seinen Kniekehlen und landete wie eine Marionette ungelenk auf dem Marmorboden.
„Du solltest es dir besser überlegen, Ori-chan zu erwischen. Denn das ist so gut wie unmöglich, wenn er es nicht freiwillig zulässt.", erwähnte Oshiro unnötigerweise und zwinkerte dem ehemaligen Bartender keck zu. Dann wandte er sich mit einer fragenden Augenbraue an Izaya:
„Er ist gar nicht mal so langsam für einen Menschen, oder?"
Doch der Blick des Informanten war eisig geworden und war nur auf Shizuo gerichtet. Dem Floh schien missfallen zu haben, was Oshiro gesagt hatte, denn dieser wurde eiskalt ignoriert. Shizuo erwiderte den dunklen Blick feurig und richtete sich wieder auf. Dabei musste er sich zusammen reißen, nicht noch einmal auf den anderen loszugehen, denn das würde ihn vor Oshiro nur noch mehr demütigen. Izayas nächste Worte kappten die plötzlich seltsame Atmosphäre:
„Bring uns zu ihm."
Oshiro spürte den Wandel, der hauptsächlich von Izaya ausging. Oshiros Grinsen verschwand aus seinem Gesicht. Vorbei war die Neckerei. Stattdessen lag eine Eiseskälte in der Luft. Für einen Moment beobachtete er, wie sich die beiden Männer anstarrten, als würden sie sich mit ihren Blicken gegenseitig töten wollen. Um Schlimmeres zu vermeiden, brach er schließlich dazwischen.
„Kommt mit, hier entlang.", sagte Herr des Hauses, ging zwischen die beiden und legte ihnen jeweils eine Hand an die Schulter und führte sie den Flur entlang. Da Oshiro wohl spürte, dass weder sein Kindheitsfreund noch der Mensch es leiden konnten, einfach so berührt zu werden, ließ er die Hand schnell fallen und ging den beiden Männern voraus.
Shizuo hingegen ließ den Parasiten nicht aus den Augen. Izayas Maske wandelte sich von jetzt auf gleich wieder in ein hämisches Grinsen, bevor er Oshiro leicht hüpfend folgte. Keine Ahnung, was in den anderen gefahren war, jedoch konnte musste der Informant ihm scheinbar immer wieder unter die Nase reiben, dass Shizuo den anderen nie erwischen würde.
Shizuo schnaubte genervt, ehe er den beiden Vampiren durch das halbe Anwesen folgte. Nachdem sie durch drei imposante Säle und zwei Treppengebäude nach unten marschiert waren, standen sie nun vor einer altertümlichen Flügeltür, die allein vom Aussehen her, aus dem 17. Jahrhundert stammen musste: Massives Eichenholz, vermutlich dreimal so dick wie eine herkömmliche Tür, und einen Metallhebel, um die Tür freizugeben. Davor stand ein stämmiger Mann mit dunkelbraunen wirren Haaren, einem Kinnbart und rot glimmenden Augen. Augenscheinlich ein Vampir. Er blickte finster drein und bewegte sich nicht, als wäre er an Ort und Stelle festgefroren. Erst als Oshiro ihm ein Zeichen mit der Hand gab, verbeugte er sich und verschwand in der nächsten Sekunde ins Nichts.
Shizuo blinzelte. Wo war er hin? Shizuo sah sich misstrauisch um. Dämmriges Licht kam aus einigen Glühbirnen, die verstreut von der Decke hangen. Der Boden war mit dicken Steinen gepflastert worden, genauso wie die Wände. Wo zum Teufel waren sie hier gelandet? Im Kerker?
„Wann hat er zuletzt etwas bekommen?", fragte Izaya gerade, als Oshiro einen großen Schlüssel in das inzwischen ziemlich heruntergekommene Schloss steckte.
„Als wir mit euch zurückgekommen sind.", antwortete der Vampir, zog den Schlüssel zurück und hob nun den schweren Metallhebel an und stellte ihn so mühelos zur Seite, als würde er nicht mehr wiegen, als ein Koffer.
Izaya nickte dem anderen zu. Shizuo wusste nicht, was er davon halten sollte. Hatten sie den alten Sack wirklich seit vier Tagen nichts mehr zu essen und zu trinken gegeben? Waren sie wirklich so skrupellos? Obwohl…Muroko hatte ihn auch hungern lassen. Warum sollte es ihn jetzt kümmern?
Shizuos Überlegungen wurden unterbrochen, als die Tür sich öffnete und die beiden Vampire voran traten. Es dauerte zwei weitere solcher Türen, bis sie schlussendlich vor einer herkömmlichen Metalltür standen, die sich durch ihre moderne Bauweise von all ihren Vorgängern abhob. Wo zum Henker hatten sie den alten Sack eingesperrt? Wozu all diese Mühe?
„Wenn ihr Schwierigkeiten bekommt, ruft nach uns.", sagte Oshiro, „Ich lasse Manju-kun und Hana-chan her kommen."
„Das wird nicht nötig sein.", erwiderte Izaya. „Nicht wahr, Shizu-chan?"
Izayas Stimme wurde wieder neckisch und er klang wie immer. Vergessen war scheinbar der Vorfall vor zehn Minuten.
„Tch. Lass uns endlich den alten Sack auseinander nehmen."
Oshiro nickte den beiden Männern zu, dann verschwand er durch die dicken Eichentüren.
„Ich warne dich nur vor, Shizu-chan…"
Izayas Stimme wurde dunkel und seine Augen begannen seltsam zu leuchten im Schein des dämmrigen Lichts. „Überlass mir das Reden."
„Von wegen, du Floh! Ich werde ihn in Stücke reißen…", knurrte Shizuo wütend und wollte sich von Izaya erst gar nicht abspeisen lassen. Seine Rache gegen diesen Mann ging nur ihn und Muroko etwas an.
„Wenn du mir keine Wahl lässt, werde ich dich ruhig stellen müssen. Und glaube mir…das willst du nicht.", drohte Izaya mit einem kalten Grinsen und Shizuo schluckte, als er eine merkwürdige Aura wahrnehmen konnte.
Auch wenn Izaya sich keinen Millimeter bewegte, spürte er von dem anderen eine Kraft, die er nicht beschreiben konnte. Wieder musste er daran denken, was Tom gesagt hat. Dass Shizuo ihn nur als einen Menschen kennen würde, und nicht als Vampir. Und dass er gefährlich war. Und in jenem Moment fühlte Shizuo diese seltsame Macht zum ersten Mal. Sie strahlte von Izaya aus, wie ein Parfum. Shizuo schüttelte den Kopf, als sein Körper sich anfühlte, als wäre er paralysiert.
Dieser verdammte Parasit! Er durfte sich nicht von ihm unterkriegen lassen! Izayas kalte Mimik verwandelte sich in das höhnische Grinsen, das Shizuo so gut kannte. Er fand das also witzig, die dreckige Ratte? Meinte Izaya, nur weil er ein mächtiger Vampir war, konnte er über ihn verwalten wie er wollte? Ganz sicher nicht.
„Du wirst gar nichts, Floh. Ich werde ihm sagen, was ich sagen will, kapiert?", raunte Shizuo mit dunklen Augen und ballte die Fäuste.
Aus irgendeinem Grund schien Izayas Grinsen nur noch breiter zu werden. Doch er sagte nichts, sondern öffnete stattdessen die Tür. Eilig huschte der blonde Mann hinter Izaya her, bevor der kleine Bastard noch auf die Idee kam, ihn vor die Tür zu sperren. Aber bereits zwei Meter später, hielt er abrupt an und konnte nicht glauben, was er da sah.
„Hahaha! Ihnen scheint es ja noch schlechter zu gehen, als ich geahnt hatte!", rief Izaya euphorisch, warf die Hände in die Luft und lachte schallend. Shizuo hingegen wusste gar nicht wie er reagieren sollte.
Vor ihm hockte laut Izaya der Mann namens Muroko Akaguchi. Aber augenscheinlich war es gar nicht so einfach zu begreifen, dass dieses seltsame Wesen vor ihm dieser Mann sein sollte. Murokos zusammengesunkene Gestalt wurde mit dicken Eisenketten an einen Stuhl gebunden, sein Kopf hing schlaff hinunter, während sein sonst so aufgetakeltes Erscheinen kaum wiederzuerkennen war. Sein bordeaux farbener Anzug war voller Flecken, teils eingerissen und sogar durchlöchert. Von seiner Fedora keine Spur. Als Muroko die beiden Männer bemerkte, ruckte sein Kopf blitzartig in die Höhe und er durchlöcherte sie mit einem dunklen Blick. Shizuo stockte.
Murokos Gesicht war noch viel schlimmer. Es war grau verfärbt, eingefallen und wirkte völlig krank, während die blutrot leuchtenden Augen daraus heraus stachen, wie Leuchtreklame in der Nacht.
Das konnte nicht wahr sein.
Das…
Wie…
Wie konnte er sowas nur übersehen haben? Die ganze Zeit über?
„Shizu-chan?", hörte Shizuo irgendwann Izayas Stimme zu seiner linken Seite, doch er konnte das Gesicht nicht von dieser seltsamen Kreatur vor ihm abwenden. Egal wie man es auch drehte und wandte. Das da vor ihm, war Muroko Akaguchi. Und offensichtlich ein Vampir!
„S-Sie…er…", begann Shizuo undeutlich zu sprechen und Izaya wandte den Kopf zu ihm.
„In ganzen Sätzen bitte, Shizu-chan. Das sollte deine kleine Gehirnzelle doch wohl hinkriegen, oder?", neckte der Informant. Die höhnenden Worte des anderen lenkten ihn ab und er sah wütend zu Izaya herüber.
„Er ist ein Vampir!", rief er dann laut aus, so als ob Izaya es nicht selbst sehen konnte. Izaya hob überrascht die Augenbrauen.
„Das wusstest du etwa nicht?"
Shizuos Konzentration lag voll und ganz auf Muroko.
„Nein verdammt! Woher denn auch?"
„Hm, ich dachte es sei bei unserem Kampf in der Bruderschaft offensichtlich genug gewesen."
Von wegen offensichtlich! Er war froh gewesen, dass er es überhaupt geschafft hatte, bei Bewusstsein zu bleiben. Da hatte er doch nicht darauf geachtet, ob dieser alte Sack ein Blutsauger war!
„Keine Angst, Shizu-chan! Deswegen brauchst du dir nicht in die Hosen zu machen.", kicherte Izaya gerade.
„Halt die Klappe!", antwortete Shizuo wütend.
Izaya wusste sehr wohl, was ihn hier drin erwartet hatte. Im Gegensatz zu Shizuo. Denn er konnte immer noch nicht glauben, dass Muroko Akaguchi ein Vampir war.
„Keine Sorge, er wird deiner kleinen Gehirnzelle nicht zu nahe kommen.", sagte Izaya belustigt und wedelte mit der Hand, während Shizuo damit beschäftigt war, zu begreifen, dass der andere ihm alles nur vorgegaukelt hatte. Leitete dieser Mistkerl nicht die gesamte Bruderschaft? Ein Vampir?
„…Ori…hara…!", kam eine entsetzliche klingende Stimme aus Murokos Richtung, sodass Shizuo beinahe einen Schritt nach hinten ging.
„Was ist mit ihm?", fragte Shizuo, dessen Rachegedanken sich so schnell verflüchtigt hatten, wie Rauch in der Luft.
„Oh, rein gar nichts, Shizu-chan.", säuselte Izaya und grinste amüsiert, während er auf Muroko hinab blickte. „Nicht wahr, Muroko-san…?"
Der alte Mann blickte ihn finster an. „Bald…werden Sie…sterben…", erwiderte dieser, immer noch mit dieser dunklen Stimme, die Shizuo nicht geheuer war.
„Sie scheinen bald selbst das Zeitliche zu segnen, so wie Sie aussehen.", lachte der Floh, „Ich bin Izaya Orihara, schon vergessen? Ich werde nicht sterben."
Euphorisch gestikulierte Izaya in der Luft umher und Shizuo knirschte mit den Zähnen. Was war bloß mit Muroko geschehen?
„Aber irgendwas ist doch mit ihm!", rief Shizuo an den Floh gewandt, während seine Beine ihm nicht gehorchen wollten, als er auf Muroko zugehen wollte, um mehr in Erfahrung zu bringen. Izaya begann zu lachen.
„Haha, oh man. Herrlich. Haben Sie das gehört, Muroko-san? Er fragt, was mit Ihnen los ist!"
Der Informant lachte wieder und schüttelte den Kopf.
„Hör auf zu lachen, verdammt nochmal.", knurrte Shizuo, hob bereits eine Hand, um den anderen am Kragen zu packen, doch die ließ er ganz schnell wieder sinken. Erstens würde er ihn nicht treffen. Zweitens wollte er lieber seine Energie für Muroko aufsparen, den er aber bis auf Weiteres nicht angreifen wollte. Und der letzte Grund…er wollte dieses komische Kribbeln nicht auch noch provozieren. Schlimm genug, dass er nicht einmal wusste, wie er es abstellen konnte! Wütend ballte er die Fäuste. Nun war es sogar schon so weit gekommen, dass er nicht einmal mehr den Floh anfassen konnte, ohne dieses komische…Gefühl auszulösen.
Shizuo stand unschlüssig im Raum, da er seine Wut weder an Izaya, noch an Muroko auslassen konnte.
„Ich verrate dir, was mit ihm ist, Shizu-chan.", sagte Izaya schließlich, während er ein paar Lachtränen aus seinem Gesicht wischte, „Er hat Hunger."
Mit geweiteten Augen realisierte Shizuo.
„Es ist die einfachste und effektivste Methode, um Vampire zum Sprechen zu animieren.", erklärte Izaya gehässig, während er auf den alten Vampir hinab blickte, „Man muss nur den richtigen Zeitpunkt erwischen."
„Ihr lasst ihn hungern?", rief Shizuo und war irgendwie entsetzt, obwohl er für Muroko nicht wirklich viel Mitleid empfand. Sah Muroko deshalb so schrecklich aus? Weil er Hunger hatte? Deswegen hatte er grau verfärbte Haut? Blutrote Augen? Außer dem letzten Detail wüsste er nicht, was eigentlich genau für den Hunger von Vampiren sprach. Erneut verfluchte Shizuo sich selbst, weil er in dem verdammten Unterricht kaum ein Wort behalten hatte.
„Hast du etwa Mitleid mit ihm?"
Izaya blickte ihn fragend an.
„Nein verdammt, bloß…"
„Natürlich…hat er…Mitleid. Er ist schließlich…ein Mensch…", kam es von Muroko, der kraftlos den Kopf nach oben reckte. Seine Worte kamen stockend, so als fehlte ihm die Luft zum Atmen.
„…Er kann…seine Gefühle kaum kontrollieren. Im Gegensatz zu uns Vampiren…herrscht in seinem Inneren…das purste Gefühlschaos…"
Izaya zischte zornig, bevor Shizuo etwas erwidern konnte.
„Ich habe nicht um Ihre Meinung gebeten."
Shizuos verwirrter Blick fuhr von Muroko zu Izaya. Der blonde Mann blinzelte verdutzt. Hatte Izaya ihn gerade…verteidigt? Oder was zum Teufel war das?
Der Informant trat ein paar Schritte in Murokos Richtung, dann beugte er sich leicht nach vorne. Der alte Mann lehnte sich mit seinem Körper so weit es ging zur Seite. Doch die Stahlseile hielten ihn an Ort und Stelle.
„Shizu-chan ist ein Monster. Ganz sicher kein Mensch.", zischte der Informant.
Das letzte Wort spuckte er aus, als würde ihm allein der Begriff zuwider sein.
Okay, nein.
Izaya hatte ihn nicht verteidigt. Wieso zum Teufel dachte Shizuo auch, der Bastard wäre auf seiner Seite? In Wahrheit standen sie Muroko jeweils allein gegenüber. Murokos krächzendes Lachen, brachte Shizuo dazu, wieder auf den ausgehungerten Vampir zu achten.
„Nun ja…ich gebe zu… dass er… ziemlich ungewöhnlich ist…", sagte der alte Mann gerade und versuchte seine Arme zu bewegen, was bei ihm nicht mehr als ein Kettenrasseln auslöste.
„Aber…er ist definitiv ein Mensch, Orihara-san…"
Für eine einzelne angespannte Sekunde spürte Shizuo, dass Izaya direkt neben ihm am ganzen Körper erbebte. Muroko schien das nicht zu merken. Stattdessen blickte er Izaya direkt in die Augen.
„Und das wissen Sie…am allerbesten…", beendete Muroko unheilvoll und weil seine Stimme noch rauer und erschöpfter klang als sonst, bescherte es dem blonden Mann eine unangenehme Gänsehaut. Izaya hingegen hatte die Augen verengt, während sein Grinsen verschwunden war. Muroko sprach weiter, ehe Izaya etwas sagen konnte.
„Zu schade…er wäre wirklich…ein guter Rekrut geworden, wenn er nicht… so starrköpfig wäre…"
Auf diesen Satz hin, platze Shizuo der Kragen.
„Ich reiß Ihnen gleich die Arme aus, Sie Bastard! Sie wollten mich umbringen!", brüllte Shizuo und trat nun doch zwei Schritte näher.
„Das habe ich in der Tat gewollt…", gab der andere mit einem krächzenden Lachen zu, „Und ich würde es wieder tun…wenn es…dazu führt, Izaya Orihara…in unsere Gewalt zu bringen…"
Der alte Sack schien sich nicht einmal schuldig zu fühlen. Am liebsten wollte er dem anderen eine reinhauen, doch sein Instinkt ließ nicht zu, dass er noch näher an den anderen Vampir trat. Auch wenn der Bastard angekettet war, wollte er nicht wissen, was ausgehungerte Vampire auf die Reihe stellen konnten…
„Denken Sie…an meine Worte…Heiwajima-san. Sie sind… der einzige, der es…beenden kann."
Für einen Moment war Shizuo tatsächlich sprachlos über Murokos ernste Worte. Glaubte er tatsächlich immer noch, dass er den Floh umbringen würde? Er war wahrlich nicht mehr bei Sinnen, dieser alte Sack!
„Ich glaube kaum, dass er noch auf Sie hören wird, nachdem Sie versucht haben, ihm eine Kugel durch den Kopf zu jagen.", erwiderte Izaya hämisch und ausnahmsweise musste Shizuo dem Floh Recht geben. Er traute keinem Wort, das aus dem Mund des alten Mannes kam. Nicht, dass Izaya da besser abschneiden würde…
„Sie sind der einzige…", ignorierte Muroko Izaya, als wäre der Informant gar nicht im Raum.
„Sie werden es bald verstehen…Heiwajima-san."
Er starrte Shizuo bedeutungsvoll an und ihm war dieser unheimliche Blick nicht geheuer.
„Ich glaube, so langsam kommt der Wahnsinn bei Ihnen im Gehirn an, Muroko-san. Bedauerlich.", sagte Izaya schließlich und sein letztes Wort war schärfer als eine Klinge. Murokos Mundwinkel hoben sich in ein karges Lächeln, ehe sein Kopf wieder hinab sank.
„Wozu sperrt ihr ihn hier ein?", fragte Shizuo schließlich schnaubend, „Übergibt diesen Verrückten der Polizei. Die sollen ihn in die Klapse bringen!"
Izaya lachte auf.
„So einfach ist das leider nicht, Shizu-chan."
Selbst Muroko gab ein seltsames dunkles, leises Lachen von sich und Shizuo erschauderte bei diesem Geräusch.
„Wieso nicht? Das sieht doch jeder Vollidiot, dass dieser Bastard wahnsinnig ist!", rief Shizuo knurrend und blickte den gefesselten Vampir herausfordernd an. Dieser blickte ihn genauso starr zurück.
„Wir haben noch ein paar Dinge zu erledigen, die ihn involvieren werden. Und ob er mit uns kooperiert oder nicht, wird seine Strafe beeinflussen.", sagte Izaya nun wieder grinsend, schob sich seine Hände in die Jackentaschen, während er wieder neben Shizuo zum Stehen kam.
Muroko schien für diese Worte nur ein karges Lachen übrig zu haben. Shizuo hingegen wusste nicht, was der Floh vorhatte. Doch was er nun wusste, war die Tatsache, dass Muroko Akaguchi definitiv mit der Regierung in Kontakt stand. Und dass Izaya irgendetwas vorhatte, um die Regierung umzustimmen, zu bestechen oder wer weiß was noch alles. Shizuo wusste nicht mehr, was nun richtig war oder nicht.
„Aber er tickt nicht mehr richtig!", knurrte Shizuo schließlich, „Das kannst du nicht leugnen, Floh!"
Izaya zuckte mit den Schultern.
„Ich bin noch vollends bei mir, Heiwajima-san…"
Murokos dunkelroten Augen leuchteten geradezu unheimlich im gedämmten Licht.
„Sie haben ganz sicher nicht mehr alle Latten am Zaun, kapiert?", sagte Shizuo wütend.
Muroko lachte krächzend.
„Was haben Sie nun vor…Heiwajima-san?", fragte der alte Mann, „Sind Sie ihm…nun treu ergeben? Lassen Sie…ihn einfach so…von sich trinken…?"
Muroko deutete mit seinem Kinn auf Izaya.
„Ihn…der für dutzende Tode verantwortlich ist…? Der…dafür verantwortlich ist, dass Sie nun hier festsitzen…und von der Regierung gesucht werden…?"
„Ich bin dieser dreckigen Ratte ganz sicher nicht treu ergeben!", rief Shizuo wütend und wollte sich nicht einmal vorstellen, wie es sein musste jemandem wie Izaya treu ergeben zu sein. Shizuo kräuselte wütend seine Stirn.
„Sie scheinen mir nicht ganz ehrlich…Heiwajima-san. Sie haben unterschrieben…dass Sie der Bruderschaft… dienen werden…und dennoch machen Sie… genau das Gegenteil, indem Sie ihn ernähren…"
„Ich ernähre ihn nicht!", rief Shizuo grimmig.
„Oh doch…das tun Sie. Falls Sie überhaupt noch…Erinnerungen an dem Tag in ihrer Zelle haben…dann wissen Sie…dass Izaya Orihara sich nur von seinen Verletzungen erholen konnte…weil Sie ihn trinken lassen haben…"
Auch wenn Shizuo ihm am liebsten etwas in den Mund gestopft hätte, damit er seine verdammte Klappe hielt – hatte Muroko doch irgendwo Recht. Wieso ließ er es einfach zu? Warum wehrte er sich nicht gegen den Floh? Wieso ließ er Orihara Izaya von ihm trinken? Freiwillig?
Weil es angenehm ist.
Erneut traf ihn diese Erkenntnis und am liebsten wollte er frustriert schreien, stattdessen ballte er die Fäuste, bis die Knöchel weiß hervor traten.
„Ich kann nicht anders!", rief Shizuo schließlich, ohne den tödlichen Blick von Izaya zu bemerken.
Muroko blickte plötzlich interessiert auf.
„Wieso das…? Bedroht er Sie? Ihre Familie?", hinterfragte Muroko und sein Blick schien sich zu schärfen. Auch wenn so etwas zu dem Floh gepasst hätte – war dies nicht der Fall. Nein. Wenn er den Floh nicht gewähren ließ, würde er trotzdem irgendwann zu ihm kommen. Weil sie Seelenverwandte waren und dieser elendige Blutsauger nur sein Blut trinken konnte. Verdammte Scheiße!
„Nein! Er trinkt nur von mir, weil-"
Shizuos Stimme endete abrupt, als ob man ihm die Luft zum Atmen genommen hatte. Entsetzt packte sich Shizuo an die Kehle und versuchte immer wieder zu sprechen. Doch es kam kein einziger Ton daraus hervor. Mit einem verwirrten Ausdruck sah Shizuo zu Izaya herüber. Dessen Gesicht war eine Maske voller Hohn.
„Ich sagte ja bereits, dass du lieber mir das Reden überlassen solltest…Shizu-chan."
