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Das Tintin A'bullum unterschied sich auf den ersten Blick nur durch besonders viele und besonders grell beleuchtete Graffities von seinen ganz ähnlich dekorierten Nachbarlokalen. Dass sich wohl auch seine Speisekarte irgendwie von der Konkurrenz abhob, erkannte man nur an dem Ansturm von offensichtlich völlig ausgehungerten Gästen, die sich in seinen engen Räumlichkeiten zusammendrängten wie die sprichwörtlichen Ölsardinen in der Büchse und mit rücksichtsloser Zielstrebigkeit Kurs in Richtung Verkaufstheke nahmen, sobald sie eine der schwindelerregend schnell rotierenden Drehtüren passiert hatten.

Aber Luke Vader musste natürlich wieder einmal die Erfahrung machen, dass sogar eine junkfoodsüchtige Meute von knallharten Ghettokids vor ihm auseinanderstob wie ein panischer Fischschwarm vor einem angreifenden Hai, sobald er mit den beiden metallenen Totenkopfgesichtern in seinem Kielwasser auftauchte. Und weil er sowieso gerade ein wenig melancholisch angehaucht war, stand er schließlich vor einer ungeduldigen Servicekraft in einem mit zerzausten dottergelben Federbüschen verzierten Vogelkostüm wie ein unschuldiger Angeklagter vor einem unversöhnlichen Staatsanwalt. Er betrachtete die flackernden Menüdisplays an der Wand lange und mit umflortem Blick und gab seine Bestellung schließlich so leise und schüchtern ab, dass der mit einem wackelnden orangeroten Plastikschnabel garnierte und reichlich schlecht gelaunte Verkäufer dreimal nachfragen musste und das mit zunehmender Schärfe.

Als endlich jedes Mitglied von Lukes Truppe ein Tablett voller dampfender Schachteln und überschäumender Milchshakebecher in den Händen hielt, sagte er matt: „Am besten setzen wir uns gleich da drüben hin."

Er wies mit dem Kinn auf einen freien Tisch in einer extrem schummerigen Ecke, ein Tisch, der eher zu erahnen als wirklich zu sehen war, weil er hinter einer Glaswand stand, die alle paar Sekunden von einem giftgrün angestrahlten Wasserfall überspült wurde. Das war ein relativ gutes Versteck vor all den unfreundlichen Augen ringsum, wie Luke fand, obwohl er sich sofort vorkam wie eine Meerjungfrau in einer Unterwassergrotte, als sie dort Platz genommen hatten. Aber es lag nicht nur an den unruhig zuckenden grünlichen Lichtreflexen auf den spiegelblanken Panzern seiner Bodyguards, dass Luke sich allmählich beinahe seekrank fühlte und eigentlich kaum noch Appetit auf sein hart erkämpftes Happy-Snack-Menü verspürte.

Trübselig stocherte er in einem Häufchen undefinierbarer goldbrauner Fleischbällchen herum, die in einer früheren Phase ihrer Existenz zu einem lebendigen und angeblich sogar glücklichen Zucht-Capuan aus ökologisch einwandfreier Bodenhaltung gehört hatten.

Luke, der zurzeit nicht besonders glücklich war, grübelte gerade darüber nach, was genau der blinkende Werbeslogan auf der Verpackung mit einem „garantiert schmerzfreien und umweltfreundlichen Nahrungsmittel-Verarbeitungsprozess unter der Aufsicht von staatlich lizenzierten Veterinären" meinte, als Mar Shelmerdee ganz unerwartet das lastende Schweigen ihrer kleinen Tafelrunde durchbrach.

„Sie ist irgendwie richtig süß, deine Schwester."

„Findest du?" sagte Luke trostlos.

„Ja!"

Luke versuchte sich auszumalen, welches von Leias Attributen seinen Freund zu dieser Fehleinschätzung veranlasst hatte, doch das überstieg seine Vorstellungskraft. Leia verfügte zwar zweifellos über gewisse Qualitäten, aber „süß" war mit Abstand der allerletzte Begriff, der Luke bei einer Beschreibung seiner Schwester eingefallen wäre – vor allem in seiner gegenwärtigen Gemütsverfassung.

„Das kommt dir nur so vor", murmelte er.

Mar lachte. „Ach, komm schon! Du bist nur ein bisschen sauer auf sie, aber das geht vorbei. Du wirst sehen: Spätestens morgen seid ihr wieder ein Herz und eine Seele."

„Woher willst du das wissen?"

„Weil Geschwister am Ende immer zusammen halten. Immer und unter allen Umständen", erklärte Mar. „Sei froh, dass du Leia hast. Ich wünschte, ich hätte eine Schwester."

„Du kannst ja meine haben, wenn du willst. Ich schenke sie dir", erwiderte Luke missmutig.

Er griff nach der Chersysoße, die er eben erst unter einer Portion frittierter Daari-Wurzeln entdeckt hatte, und riss das Kunststofftütchen so heftig auf, dass sein gesamter Inhalt quer über den Tisch spritzte, ein kurzer, aber kräftiger dunkelroter Strahl, der intensiv nach einer aromatischen Gewürzmischung duftete.

„AAARRRGH!" sagte Nummer Zwei, der ihm gegenüber saß und die volle Ladung abbekommen hatte.

Die dünnflüssige Soße überzog sein ganzes Visier und tropfte und sickerte langsam in kleinen, aber alarmierend nach Blut aussehenden Rinnsalen von seinem Helm auf seinen Panzer herunter. Er sah aus, als wäre er angeschossen worden.

Mar, der einen hoch entwickelten Sinn für Situationskomik hatte, kippte in einem Anfall von jauchzender Schadenfreude fast von seinem Stuhl. Doch Lukes Gesicht nahm schnell denselben Farbton an wie die Chersysoße, zumal ihm erst jetzt auffiel, dass seine Leibwächter immer noch vor unberührten Tabletts saßen, worauf er vor seinem kleinen Malheur gar nicht geachtet hatte. Ohnehin schon in einer morosen Stimmung, empfand er es als offene Beleidigung, dass seine Einladung so demonstrativ ausgeschlagen wurde.

Nummer Zwei begann damit, hektisch und ein wenig hilflos an den fettigen Spritzern auf seinem Visier herumzuwischen, was das Problem aber eher verschlimmerte als verbesserte.

„Verdammt, ich kann gar nichts mehr sehen!"

„Das kommt davon, wenn gewisse Leute sich zu gut sind, um mit mir zu essen", sagte Luke spitz.

Nummer Eins hatte inzwischen wieder einmal seine Fähigkeit als Krisenmanager unter Beweis gestellt, indem er kurz entschlossen sämtliche Papierservietten vom Nachbartisch beschlagnahmte – natürlich ohne die überraschten Leute vorher um Erlaubnis zu fragen. Das gedämpfte Murren, das sich wegen der konfiszierten Servietten neben ihm erhob, einfach ignorierend, begann er jetzt seinerseits damit, seinen verschmierten Kollegen halb fürsorglich, halb energisch abzutupfen wie eine Mutter ihren Säugling nach einem missglückten Bäuerchen. Mar, der gerade im Begriff gewesen war, sich wieder ein wenig zu beruhigen, prustete erneut los. Doch nicht einmal diese Ablenkung hinderte Nummer Eins daran, Luke endlich Paroli zu bieten.

„Um zu essen, müssten wir den Helm absetzen. Aber es ist gegen die Vorschriften, während der Dienstzeit den Helm abzunehmen", sagte er schroff. Sein Tonfall ließ klar erkennen, dass gerade eine Grenze überschritten worden war, die er persönlich bis zu seinem letzten Atemzug verteidigen würde, wenn es sein musste.

Luke verdrehte die Augen und gab ein Stöhnen von sich – ein derart fanatischer Gehorsam gegenüber völlig sinnfreien Anweisungen war seiner Meinung nach nur noch mit einer Mischung aus Masochismus und Dummheit zu erklären.

„Ihr beiden macht mich wirklich fertig, wisst ihr das?" Und als Nummer Eins sichtlich ungerührt weiter an Nummer Zwei herumrubbelte: „Kommt schon, Leute! Drückt mal auf die Pausetaste, okay? Das Imperium wird nicht gleich untergehen, nur weil ihr euch zwischendurch mal einen Happy Snack in die Futterluke schiebt."

„Vorschriften sind nun mal Vorschriften!" sagte Nummer Eins eigensinnig und schleuderte die zu einem fleckigen Ball zusammengeknüllten Servietten auf den Tisch ihrer ehemaligen Besitzer. Es war eindeutig eine Kampfansage, aber es war noch nicht ganz klar, an wen. Das Gemurre nebenan wurde auf jeden Fall sofort viel lauter.

Und Lukes Teint wurde noch um zwei oder drei Schattierungen dunkler. „Ach ja? Dann mache heute ICH mal die Vorschriften. Und ICH sage: Runter mit den Helmen und ran an die Fleischbällchen!" schnappte er.

Nummer Zwei nahm tatsächlich seinen Helm ab, aber nur, um traurig die mit einem Fettfilm überzogenen Videosensoren zu inspizieren.

„Jetzt sieh dir diese Schweinerei an!" beschwerte er sich bei seinem Kameraden, ohne Luke auch nur zu beachten. „Ich bin praktisch blind, Mann. So kann ich doch nicht auf die Straße gehen."

„Und ohne Helm kannst du schon gar nicht auf die Straße gehen, denn das ist GEGEN DIE VORSCHRIFTEN!" donnerte Nummer Eins. (Er schien zu diesem Fundament imperialer Disziplin ein ähnliches Verhältnis zu haben wie eine Tigerin zu ihren Jungen.)

„Äh ... hallo?" sagte Luke, der sich ziemlich ignoriert fühlte.

Nummer Zwei klappte seinen Mund auf. Aber was auch immer er seinem Kollegen zum Thema Vorschriften oder vielleicht auch zu den unabsehbaren Gefahren von sehbehinderten Fußgängern im Straßenverkehr mitzuteilen hatte, sollte ungeklärt bleiben, denn genau in diesem Augenblick wurde Nummer Eins von einem wütenden zottelköpfigen Riesen in einer speckigen Ledermontur an der Schulter gepackt und herumgewirbelt wie eine Strohpuppe.

„Ihr Imps bildet euch wirklich ein, ihr könnt euch alles erlauben, was?" grölte der erzürnte Riese. „Schnappt euch einfach, was ihr wollt, ohne auch nur ‚Guten Tag' oder ‚Bitteschön' zu sagen und zum Dank schmeißt ihr uns dann auch noch euren Dreck hin! Aber nicht mit mir, Freundchen! NICHT MIT MIR!"

Und er schüttelte seinen gefangenen „Imp" wie ein entfesselter Rauhaardackel einen widerspenstigen Kauknochen.

Nummer Eins machte seinem Training und seinem Berufsstolz alle Ehre und wehrte sich mit einem energischen Fausthieb, der seinen Gegner an einem besonders empfindlichen Punkt der männlichen Anatomie traf und ihn daher sofort mit glasigen Augen in sich zusammensacken ließ.

Doch leider war der gefällte Riese nicht alleine unterwegs und seine Mitstreiter fanden, dass diese Demonstration imperialer Schlagkraft buchstäblich unter die Gürtellinie ging. Und weil sie durchaus dazu bereit waren, ihre Meinung ebenso schlagkräftig an den Mann zu bringen und dabei nicht wirklich darauf achteten, wer sonst noch von ihrem spontanen antiimperialen Gefühlsausbruch in Mitleidenschaft gezogen wurde, brach im Handumdrehen eine allgemeine Schlägerei aus.

Innerhalb von Sekunden verwandelte sich das Tintin A'bullum in einen explosiven Hexenkessel, aber Luke und Mar gingen erst unter ihrem Tisch in Deckung, als die ersten Stühle durch die Gegend flogen, was immerhin halbwegs vernünftig von ihnen war. Ein paar Minuten und mehrere berstende Glasscheiben später wurden sie von einem leicht verschrammten, aber ansonsten unversehrten Nummer Zwei wieder einmal ins Freie und in relative Sicherheit gezerrt.

Nummer Eins folgte ihnen auf dem Fuße, humpelnd und auch sonst ziemlich ramponiert. Sein eigener Helm wies jetzt eine unschöne Delle auf, weil ein kreischendes Wesen von undefinierbarer Spezies und Geschlechtszugehörigkeit erfolglos versucht hatte, ihn mit einer riesigen dampfenden Cofecea-Maschine k.o. zu schlagen. Und auch der Rest seiner Uniform befand sich in einem Zustand, der eindeutig gegen jeden einzelnen Absatz der heiligen Vorschriften verstieß.

Als Luke ihn scheu fragte, ob er verletzt sei, riss er sich mühsam seinen verbeulten Helm herunter, wischte sich seine verschwitzte Stirn unter einem rigorosen Crewcut ab und bedachte seine jugendliche Nemesis mit einem langen harten stahlblauen Blick.

„Nach Hause! Sofort!" sagte er heiser.

Und Luke war weise genug, ihm dieses Mal nicht zu widersprechen.

Als sie die Straße entlang trotteten wie eine geschlagene Armee auf dem Rückzug, flüsterte Mar seinem Freund mit mildem Spott zu: „Eines muss man dir lassen: Du weißt wirklich, wie man Spaß hat."

Luke quittierte das nur mit einem müden Nicken. Er hatte einen anstrengenden Tag hinter sich und höchstwahrscheinlich einen noch anstrengenderen Abend vor sich. Er wollte nicht mehr Energie auf Kabbeleien und ähnlich stressreiche Wortwechsel verschwenden als unbedingt nötig.

Leider galt das nicht für Lieutenant Dhorany, der ebenfalls einen anstrengenden Tag hinter sich hatte und jetzt voller Sehnsucht auf einen vollkommen relaxten Feierabend wartete – ein segensreicher Zustand, von dem ihn nur noch ein einziges Hindernis trennte, was er ausgesprochen übel nahm. Er hatte schon innerlich zu kochen begonnen, als er an dem Rendezvouspunkt eingetroffen war und festgestellt hatte, dass sein Schützling wie erwartet durch Abwesenheit glänzte. Aber inzwischen brodelte er stumm vor sich hin wie Magma in einem aktiven Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Und als er seine saumselige Truppe endlich im Schongang gemütlich auf sich zu spazieren sah, explodierte er.

„Achtundzwanzig Minuten!" schrie er ihnen schon von weitem entgegen. „ACHTUNDZWANZIG! MINUTEN!" Er war außer sich, erstens aus Prinzip und zweitens wegen der Live-Übertragung des Halbfinales der Kentaki-Triaden-Kämpfe, die er sich unbedingt zu Gemüte führen wollte, vorzugsweise nach einem soliden Abendessen und bis zum Kinn in ein beruhigend blubberndes Whirlpool-Schaumbad eingeweicht.

Nummer Eins und Nummer Zwei setzten sich sofort in Galopp – sie hatten trotz ihrer relativ kurzen Laufbahn schon reichlich Erfahrung im Umgang mit müden, hungrigen oder ganz allgemein entnervten Vorgesetzten. Luke, der es weniger eilig hatte, in die Eruptionszone zu kommen, folgte mit Mar in einem halbherzigen Zockeltrab.

Dhorany entdeckte zu seinem Missvergnügen, dass seine Untergebenen nicht mehr ganz so aussahen, wie sie auszusehen hatten.

„Wo zum Teufel habt ihr alle die ganze Zeit gesteckt? Und warum seht ihr zwei Mutanten aus wie der Bodensatz der Menschheit?" donnerte er.

„Wir sind aufgehalten worden", sagte Luke ausweichend. Er hatte nicht die geringste Lust, sich über die Details dieses Nachmittags auszulassen.

„Es gab Komplikationen, Sir", sagte Nummer Eins vorsichtig, denn er verspürte genauso wenig Lust, den reizbaren Lieutenant über die Einzelheiten aufzuklären.

Dhorany witterte mit dem unfehlbaren Instinkt des unfreiwilligen Schreibtischoffiziers eine verzwickte und konfuse Geschichte, die nur mit übermenschlicher Geduld entwirrt, geklärt und zu den Akten gelegt werden konnte. Mit anderen Worten: Eine unzumutbare Belästigung, die noch dazu seine Freizeitpläne in ernsthafte Gefahr brachte – aber nur, wenn er es zuließ. Er sah mit blitzenden Augen von einem zum anderen.

„Die Art von Komplikationen, über die ich heute Abend noch vor einem wohlverdienten Drink einen langen, langweiligen Bericht schreiben muss?" fragte er drohend.

„NEEEIIIN!" beteuerten sofort alle im Chor.

„SIR!" fügten Nummer Eins und Nummer Zwei hastig hinzu.

Dhoranys angespannte Züge entkrampften sich wieder. Tatsächlich erschien um seine Mundwinkel sogar der Schatten eines Lächelns.

„Na, dann ist es ja gut", sagte er sehr viel milder.

Wenn ihm das allgemeine Aufatmen auffiel, ließ er es sich nicht anmerken. Stattdessen winkte er energisch zu seinem Gleiter hinüber. „Los, rein mit euch!" kommandierte er.

„Moment mal ... Können wir Mar mitnehmen und ihn nach Hause bringen? Es liegt auf unserem Weg, wir müssen ihn einfach nur absetzen", ergänzte Luke schnell, als sich die Miene des Lieutenants angesichts dieser unerwarteten Verzögerung erneut umwölkte.

Dhorany rang mit sich und der Versuchung, einfach nein zu sagen. „Also wenn es keinen Umweg bedeutet ... Na schön, von mir aus", sagte er schließlich gnädig. „Jetzt aber Tempo!"

Das ließ sich niemand zweimal sagen. Selten hatten sich fünf Personen so schnell in einen Gleiter der Marke Smart Galaxy hineingezwängt. Und nur selten hatte man auf Coruscant einen Gleiter der besagten Marke so tollkühne Flugmanöver durchführen sehen. Als Dhorany sein Gefährt nach einem halsbrecherischen Senkrechtstart und einem ziemlich gewagten Looping in die winzige Lücke zwischen einem Frachter und einem Schwebebus gequetscht hatte, erhob sich ringsum ein misstönendes Hupkonzert, was der Lieutenant nonchalant ignorierte. Und als der erschrockene Fahrer des Schwebebusses seinen Kopf aus dem Fenster streckte und eine Flut aus rüden Schimpfworten in ihre Richtung schickte, antwortete Dhorany nur mit einer universellen Geste der Verachtung, indem er demonstrativ seinen Mittelfinger zeigte.

„Cool!" rief Luke, dessen Gefühle für den Adjutanten seines Vaters gerade eine erstaunliche 180-Grad-Kehrtwende durchmachten.

Dhorany sah ihn von der Seite an und sagte beschwörend: „Das ist überhaupt nicht cool, das ist einfach nur ein Fall von ... Notwehr. Und du hast das eigentlich gar nicht gesehen, Kleiner, also vergiss das ganz schnell wieder, verstanden?"

Luke grinste. „Hab's schon wieder vergessen."

Dhorany fixierte die Passagiere auf den hinteren Sitzen mit einem strengen Blick im Rückspiegel. „Eigentlich hat NIEMAND das gesehen. Und deshalb wird JEDER das ganz schnell wieder vergessen, verstanden?"

„Verstanden!" wiederholten Nummer Eins und Nummer Zwei wie ein Echo mit eingebautem Dopplereffekt. (Auch sie wussten ganz genau, wann ein kurzes Gedächtnis angebracht war und wann nicht.)

Mar dagegen hüllte sich in Schweigen, was allerdings nur daran lag, dass das Haus seiner Verwandten gerade in Sicht gekommen war, ein Anblick, der bei ihm für gewöhnlich nicht gerade Freudentränen auslöste. Eher das Gegenteil.

„Okay, da vorne ist es schon", murmelte er niedergeschlagen. „Gebäude 134B. Sie können einfach auf dem Dach landen, Lieutenant."

Dhorany kurvte mit einem Schwung in die Tiefe, der die Mägen seiner Beifahrer fast in ihre Kehlen springen ließ, und bremste so abrupt ab, dass Lukes Sicherheitsgurt sich um seinen Brustkorb klammerte wie die Tentakel einer Riesenkrake.

Mar krabbelte über die Knie von Nummer Eins hinweg und kletterte hinaus. Er war noch damit beschäftigt, sich höflich bei Dhorany zu bedanken, als eine entschieden rundliche Dame in einem viel zu engen Kleid quer über das Landedeck auf ihn zugeschossen kam wie ein wütender Kugelblitz.

„Du böser, böser Junge! Wie kannst du es wagen, dich einfach aus dem Haus zu schleichen, ohne um Erlaubnis zu fragen? Wo hast du dich den ganzen Tag herumgetrieben? Und was hast du wieder angestellt, dass du von Soldaten nach Hause gebracht wirst? Nichts als Ärger hat man mit dir ungezogenem Bengel! Wenn ich das deinem Onkel erzähle, zieht er dir das Fell über die Ohren!" schrillte sie, ohne zwischendurch auch nur einmal Luft zu holen.

„Mach's gut, Luke. Wir sehen uns morgen", sagte Mar, der seine leicht entflammbare Tante grundsätzlich so lange wie nur möglich mit kompletter Missachtung strafte.

„Oh nein! Du hast morgen Hausarrest!" keifte die Dame. Ihr Doppelkinn zitterte vor Zorn.

„Vielleicht auch erst übermorgen", sagte Mar mit einem resignierten Augenaufschlag.

„HAUSARREST MORGEN UND ÜBERMORGEN UND für den ganzen Rest der Ferien!" kreischte die erboste Tante. „Und jetzt komm endlich!" Sie packte ihren Neffen am Arm und schleifte ihn unzeremoniell mit sich.

„Weißt du was? Sogar ein richtiger Knast wäre besser als das hier!" rief Mar seinem Freund zu.

„Unverschämtes nichtsnutziges Balg! Ist das vielleicht der Dank dafür, dass wir dich aufgenommen haben und dich auf unsere Kosten kleiden und ernähren und für deine Ausbildung sorgen, wo wir dich ebenso gut in irgendein Waisenhaus hätten abschieben können? Warte nur, bis ich DAS deinem Onkel erzähle!"

Die Fortsetzung dieser Tirade war dank ihrer durchdringenden Stimme noch zu hören, als sie mit ihrem Neffen längst durch eine Seitentür ins Innere des Hauses entschwunden war.

Luke war ernsthaft erschüttert. „Wow!" flüsterte er vor sich hin. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass es sooo schlimm ist!"

„Ja, das macht einen doch irgendwie nachdenklich, nicht wahr?" sagte Dhorany sonnig, während er einen neuen Senkrechtstart hinlegte. „Nicht alle haben es so gut wie du, Kleiner."

Luke musste unwillkürlich an die wenigen Situationen in seinem Leben denken, in denen er vor Selbstmitleid fast zerfloss, weil er einmal auch mit den Nachteilen eines ansonsten durch und durch privilegierten Daseins konfrontiert wurde. Aber hatte er angesichts von Mars Schicksal überhaupt das Recht, sich über die kleinen Einschränkungen seiner eigenen Freiheit zu beklagen? Verglichen mit seinem Freund lebte er wie ein junger Prinz, der von jedermann nur mit Samthandschuhen angefasst wurde. Und nicht einmal in seinen diktatorischsten Augenblicken hätte sein Vater ihn in aller Öffentlichkeit so gedemütigt wie diese grässliche Frau ihren bedauernswerten Neffen. Und wenn schon Mars Tante so schlimm war, wie war dann erst sein Onkel? Ob Mar tatsächlich das Fell über die Ohren gezogen wurde? Wurde er nicht nur emotional, sondern auch körperlich misshandelt? Die bloße Vorstellung brachte Lukes hitziges Temperament in Wallung.

Ich muss unbedingt etwas für ihn tun ... und das so schnell wie möglich! dachte er.

Für den Rest der Heimfahrt grübelte er über das grausame Los von Waisenkindern im allgemeinen und über die Befreiung von Mar Shelmerdee im besonderen nach. Und wie immer, wenn Luke Vader sich zu einer Rettungsmission berufen fühlte, was gelegentlich vorkam, wenn streunende Hunde, drangsalierte Obdachlose oder andere vom Unglück verfolgte Lebewesen seinen Weg kreuzten, galt sein erster Gedanke seinem Vater, der todsicher genau der richtige Mann war, wenn es darum ging, mit Gift spritzenden Tanten, gewalttätigen Onkeln und ähnlich bösartigen Zeitgenossen fertig zu werden.

Und als Dhorany schließlich vor seiner Haustür hielt und mit sichtlicher Erleichterung verkündete: „Endstation für den Teenager-Taxi-Express! Alles aussteigen!", war Luke im Geiste schon dabei, seinen Erzeuger mit einer flammenden Rede voller hieb- und stichfester Argumente davon zu überzeugen, dass nur das Eingreifen von Darth Vader in höchsteigener Person dieses weltbewegende Problem lösen konnte. Sein leidenschaftlicher mentaler Appell an die humanitären Tugenden seines Vaters nahm ihn so in Anspruch, dass er verträumt sitzen blieb, bis Dhorany sich zu ihm hinüberbeugte und sehr laut direkt in sein Ohr sagte: „Hallooo! Coruscant an Raumschiff Luke!"

„WAS IST?" fragte er gereizt.

„Wir sind da. Würdest du freundlicherweise endlich deinen kleinen Hintern hier raushieven, damit ich auch mal irgendwann nach Hause komme?"

„Ach so ..." Luke stolperte hinaus und nahm dabei leicht abwesend zur Kenntnis, dass Nummer Eins und Nummer Zwei sich bemerkenswert schnell aus dem Staub gemacht hatten. Er war schon im Begriff, es ihnen gleich zu tun, als ihm noch etwas einfiel.

„Hey!" rief er.

„WAS IST?" blaffte Dhorany in einer ziemlich gelungenen Imitation von Lukes Stimme zurück.

„Beim nächsten Mal werde ich ganz, ganz pünktlich sein. Ganz bestimmt."

„Oh! Na ja, wir werden sehen ... oder auch nicht. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt", sagte Dhorany grinsend. „Und jetzt schieb endlich ab, Kleiner, bevor sie dich als vermisst melden und mich wegen Kidnapping einlochen."

Er brauste davon, bevor Luke eine passende Antwort abfeuern konnte. Aber dann erschien Padmé in der Haustür und lächelte wie nur sie lächeln konnte. Und Luke sprang seiner Mutter entgegen, stürzte sich in ihre geöffneten Arme und dankte seinem Glücksstern dafür, dass er kein unerwünschtes Waisenkind war ...

Fortsetzung folgt ...

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