Liebe Leser! Ich weiß, es hat mal wieder EWIG gedauert, doch es geht auf jeden Fall weiter – langsam, aber sicher. ;-)

Leias Fingerspitzen streiften zärtlich das leicht verwelkte, aber unendlich liebenswerte Gesicht, das vom Bildschirm ihres Datapads zu ihr hinauf lächelte. Die Frau, die über Jahre hinweg ihre Lehrerin und ihre einzige Verbündete in einer durch und durch feindseligen Umwelt gewesen war und ihr inzwischen mehr bedeutete als ihre eigene Mutter, hatte sich überhaupt nicht verändert. Siri Te'Relkin war und blieb immer sie selbst, von der selbstgestrickten Lieblingsweste über ihre grünlichen von Lachfältchen umkränzten Augen bis hin zu dem schon von Silberfäden durchzogenen hellbraunen Dutt, der wie ein unordentliches Vogelnest auf ihrem Kopf thronte und immer in Gefahr schien, sich bei der nächsten unbedachten Bewegung in ein Durcheinander aus fallenden Haarnadeln und zerzausten Strähnen aufzulösen. Es lag eine ganz eigene Schönheit in diesem keineswegs bemerkenswerten Durchschnittsgesicht, wie Leia fand, eine Schönheit, die von innen kam und sich auch in der klaren, sorgfältig modulierten Stimme widerspiegelte.

„... und Lord Gaarn ist der Innenminister von Alderaan. Er und seine Frau gehören zum engsten Kreis um die Organas. Lady Una verbringt oft den ganzen Tag im Palast und begleitet die Vize-Königin auch auf ihren Reisen. Sie ist also ständig unterwegs und braucht deshalb unbedingt jemanden, der ihr den Rücken frei hält. Lady Una hat mir bei meinem Vorstellungsgespräch gleich gesagt, dass ich nicht nur für die Kinder zuständig bin, sondern praktisch für die Führung des kompletten Haushaltes. Und das völlig eigenverantwortlich!

Am Anfang hatte ich natürlich große Bedenken ... Mit so etwas hatte ich ja überhaupt keine Erfahrung. Ich hatte schreckliche Angst, dass mir alles über den Kopf wächst und dass ich ein furchtbares Chaos anrichte. Aber es läuft wie am Schnürchen. Das Personal unterstützt mich wirklich, wo es nur kann, und die Severins sind unglaublich nett zu mir. Ich fühle mich manchmal eher wie ein Gast als wie eine Angestellte.

Sie haben mir ein ganz reizendes Appartement im Südflügel ihrer Villa zur Verfügung gestellt. Von meinem Balkon aus habe ich einen wunderbaren Blick auf den See. Und du solltest erst den Garten sehen, Liebes – er ist riesig und traumhaft schön. Ich habe dir übrigens ein paar Holos mitgeschickt, damit du dir wenigstens eine ungefähre Vorstellung davon machen kannst ..."

Leia, neugierig wie immer, verkleinerte sofort das Videofenster um die Hälfte und öffnete in dem Verzeichnis des Datenkristalls einen ziemlich üppig geratenen Unterordner, der Dutzende von Bilddateien enthielt. Ein paar Holos! Leia schmunzelte vor sich hin, während sie in der Miniaturansicht flüchtig die 2D-Versionen der vielen Hologramme durchging. Die meisten Bilder enthielten übrigens nicht nur beeindruckende Aufnahmen von dem feudalen Anwesen der Severins vor der malerischen Kulisse von Alderaans Hauptstadt, sondern auch drei blondgelockte kleine Mädchen, deren stupsnasige Engelsgesichter so aussahen, als könnten ihre Besitzerinnen kein Wässerchen trüben – ein Eindruck, der täuschte, wie Leia zu ihrer Belustigung feststellte, als sie einige der Holos näher in Augenschein nahm.

„Ja, der Garten ... Ich verbringe mit den Kindern inzwischen mehr Zeit dort als im Schulzimmer. Ich finde, das macht den Unterricht irgendwie viel lebendiger. Außerdem soll Thallia – das ist die Älteste – möglichst viel an die frische Luft. Sie hat Probleme mit den Bronchien. Letzten Winter hatte sie sogar eine Lungenentzündung und die Ärzte sagen ..." flötete Siris angenehme Altstimme im Hintergrund weiter.

Doch Leias Aufmerksamkeit, die eben noch von einer wilden und tränenreichen Schlammschlacht der extrem verdreckten Severin-Engel in einem teilweise unter Wasser stehenden Sandkasten beansprucht worden war, galt jetzt ausschließlich dem leeren dunklen Viereck, das sich plötzlich so deutlich von ihrem Monitor abzeichnete wie ein Schwarzes Loch von einer Sternenkarte. Das letzte Bild musste bei seiner Speicherung auf dem Datenkristall irgendwie beschädigt worden sein. Doch als Leia die Datei zu öffnen versuchte, tauchte zu ihrer Überraschung statt einer Fehlermeldung ein blinkendes Textfeld auf, das die Eingabe eines Passwortes verlangte.

Siri muss diese Datei verschlüsselt haben, damit niemand außer mir sie ansehen kann, dachte Leia. Aber warum? Und wie um Himmels willen soll ich auf ihr Passwort kommen?

„... und es geht mir gut, rundherum gut. Was soll ich sagen? Ich verdiene fast doppelt so viel wie auf Coruscant und habe jedes zweite Wochenende frei. Das einzige, was mir noch Sorgen macht, bist du, Liebes. Ich denke jeden Tag an dich. Die Königin hat mir durch Lady Una ausrichten lassen, dass du jetzt auf eine richtige Schule gehst ..."

Leia war zutiefst bewegt von der scheinbar grenzenlosen Großzügigkeit der Organas. Sie hatten Siri nicht nur den absoluten Traumjob verschafft, nein, sie machten sich auch noch die Mühe, ihr neuestes Protegé über das Wohl und Wehe ihres ehemaligen Schützlings auf dem Laufenden zu halten. Und sie halfen ihr sogar dabei, heimlich Kontakt mit Leia aufzunehmen, was unter anderen Umständen so gut wie unmöglich gewesen wäre. Ja, es ließ sich nicht leugnen: Siri und Leia hatten den Organas viel zu verdanken.

„Das war eine große Erleichterung für mich, Liebes – ich hatte nämlich schon befürchtet, man würde dir eine andere Gouvernante aufzwingen, die dich gar nicht mehr aus den Augen lässt. Und ich weiß doch, wie sehr du es hasst, wenn du so bewacht wirst."

Leia nickte zustimmend. Eine neue Hauslehrerin, deren ganzes Pflichtgefühl an Vaders Gehaltsschecks hing wie eine blutsaugende Dantooine-Zecke an ihrem Wirt, wäre definitiv eine Zumutung gewesen, vor der sogar die alltäglichen Schrecken der Wilhulf-Tarkin-Highschool deutlich verblassten.

Siri zögerte einen langen, langen Augenblick, dann sagte sie abrupt: „Tja, und das war's für heute. Ich hoffe, ich höre bald von dir, Liebes."

Und damit endete das Video – einfach so. Leia starrte ungläubig auf das flimmernde Standbild, bis es mit einem leisen Summen von einem unnachgiebigen Pausensymbol abgelöst wurde. Siris Abschiedswort war so unerwartet gekommen und schien dabei so völlig aus dem Zusammenhang gerissen zu sein, dass Leia sofort den Eindruck hatte, dass der Aufzeichnung etwas fehlte, vielleicht nur ein oder zwei Sätze ihrer alten Lehrerin, vielleicht aber auch mehr. Aufgeregt spulte sie das Video ein wenig zurück, um sich die Stelle noch einmal anzusehen.

„ ... wie sehr du es hasst, wenn du so bewacht wirst", wiederholte Siris Stimme.

Und jetzt, da sie darauf achtete, entdeckte Leia, dass das Bild tatsächlich für ein paar Sekunden erstarrte. Dann lief ein winziges Flackern über den Monitor und Siri sprach ihr Schlusswort.

Leia kniff nachdenklich die Augen zusammen. Dieses Video war eindeutig nachträglich bearbeitet worden und das nicht von einem Profi, so viel stand fest. Irgendjemand hatte irgendetwas gelöscht – und es möglicherweise vorher in eine Extradatei hineinkopiert, die nur Leia höchstpersönlich öffnen sollte. Natürlich immer vorausgesetzt, dass es ihr gelang, das Passwort zu knacken ...

Aber bevor Leia dazu kam, ihren Intellekt an diesem faszinierenden Rätsel zu wetzen, sagte eine bemerkenswert schüchterne Stimme hinter ihr: „Darf ich reinkommen?"

Ein Timing hat dieser Junge! Als ob er es mit Absicht macht, dachte Leia.

„Du bist doch schon längst drinnen, Bruderherz, also was soll die Fragerei? Übrigens könntest du es dir wirklich mal angewöhnen zu klopfen, bevor du einfach so hier reinplatzt!" fügte sie schroff hinzu.

Doch Luke erfasste sofort, dass es seiner Schwester nur darum ging, einen moralischen Vorteil zu ergattern. Sie verstärkte sozusagen ihre Verteidigungslinien, um für das bevorstehende Gefecht besser gerüstet zu sein.

„Ha! Darauf falle ich nicht rein!" rief er triumphierend.

Leia seufzte. „Es war den Versuch wert", sagte sie.

„Und übrigens hast du absolut keinen Grund so zickig zu sein. Eigentlich solltest du jetzt vor mir auf die Knie fallen und mich unter Tränen anflehen, dir zu verzeihen", erklärte Luke hoheitsvoll.

Doch Leia hatte offenbar nicht die Absicht, in nächster Zeit in Tränen auszubrechen. Stattdessen schenkte sie ihrem Bruder ein Lächeln, das so strahlend und so künstlich war wie eine Neonleuchtreklame.

„Eher friert die Hölle zu", sagte sie zuckersüß. (Soviel zu dem Punkt Anflehen!)

Das war kein guter Anfang, aber Luke begriff immerhin, dass er den Bogen überspannt hatte.

„Tut mir Leid. Ich hab's nicht so gemeint, also reg dich bloß wieder ab", murmelte er.

Im Stillen wunderte er sich darüber, wieso er sich entschuldigte, obwohl er eigentlich gekommen war, um sich eine Entschuldigung anzuhören, eine Entschuldigung UND eine Erklärung.

Aber es konnte trotzdem nicht schaden, die Situation ein wenig zu entspannen, indem er sich ein wenig entspannte. Er machte Miene, sich der Länge nach auf Leias Bett fallen zu lassen, was seine bevorzugte Ruhestellung war, wenn er sich im Zimmer seiner Schwester aufhielt. Die funkensprühenden braunen Augen, die sofort bedeutungsvoll seine nicht allzu sauberen Straßenschuhe fixierten, hielten ihn gerade noch davon ab.

„Okay, dann eben nicht! Aber hinsetzen darf ich mich doch wohl irgendwo, oder?" fragte er ärgerlich.

Leia deutete stumm auf den nicht sehr bequem aussehenden Lehnstuhl vor ihrem Schreibtisch und setzte sich selbst auf ihr Bett, sehr aufrecht und die Hände im Schoß gefaltet, ganz die wohlerzogene junge Dame. Es war offensichtlich, dass sie es ihm so schwer machen wollte wie nur möglich.

Luke suchte nach dem richtigen Auftakt und der Zufall kam ihm zu Hilfe. Er starrte auf Leias Schreibtisch oder vielmehr auf das dort lauernde Datapad, das Erstaunliches preisgab.

„Hey! Ist das etwa Siri?"

Leia verdrehte die Augen. Noch nie war ihr Lukes Neigung zu überflüssigen Fragen so sehr aufgefallen wie heute.

„Aber nein. Das ist nur ihre Doppelgängerin", erwiderte sie spitz.

Glücklicherweise war Luke so tief in die Betrachtung von Siris Holos versunken, dass die geballte Ladung Sarkasmus wirkungslos an ihm abprallte.

„Schön, dass sie sich wenigstens bei dir mal gemeldet hat. Ich hab schon ewig nichts mehr von ihr gehört. Wo ist sie jetzt eigentlich? Und was treibt sie so?"

Leias Spott mochte an Luke vorbei gedriftet sein, aber dass ihre Haltung sofort besenstielsteif wurde, das entging ihm natürlich nicht.

„Darf ich wenigstens das wissen oder ist das jetzt auch streng geheim?" erkundigte er sich und brachte dabei unwillkürlich selber einen ironischen Unterton ins Spiel, was mehr über sein Gefühl der Ausgeschlossenheit und der wachsenden Isolation aussagte, als ihm bewusst war.

Es war genau dieser Unterton, der seine Schwester dazu brachte die weiße Fahne zu hissen – vorläufig.

„Siri lebt jetzt auf Alderaan. Und dort hat sie auch wieder Arbeit gefunden – dank Bail Organa", sagte sie mit Nachdruck.

„Womit wir endlich beim Thema wären ..."

Luke klappte das Datapad seiner Schwester mit einem gebieterischen KLICK zu, ohne auf die mysteriöse letzte Bilddatei zu achten. Leia sah es mit Erleichterung, denn ihr Bruder war für gewöhnlich noch viel neugieriger als sie, was in Anbetracht der Situation fatal gewesen wäre. Was auch immer die verschlüsselte Datei enthalten mochte, ihr Inhalt war mit Sicherheit nicht für Lukes Augen und Ohren bestimmt.

„Was soll diese ganze Geheimnistuerei? Warum lügst du mich an? Wieso erzählst du mir rührselige Geschichten von irgendwelchen Freundinnen, wenn du dich in Wirklichkeit klammheimlich mit diesem Kerl triffst? Weshalb triffst du dich überhaupt mit ihm? Woher kennst du ihn eigentlich? Was hast du mit ihm zu tun? Was hat er mit dir zu tun? Was will er von dir? Und was zum Henker willst du von ihm?"

Luke hielt inne, atemlos, aber stolz auf die lähmende Wucht dieses Fragenkatalogs, den er aus dem Stehgreif heraus abgefeuert hatte wie ein Sternzerstörer eine Batterie Ionenkanonen auf ein feindliches Schiff. Außerdem hatte es etwas ungemein Befriedigendes, einen potenziell widerspenstigen Gesprächspartner mit einem derart paralysierenden Redeschwall einzudecken, ohne ihm auch nur die leiseste Chance zu lassen, sich auf eine einzelne Antwort zu konzentrieren. Es war wirklich kein Wunder, dass dieser kleine psychologische Trick zu den bevorzugten Verhörtechniken seines Vaters gehörte ...

„Vielen Dank, dass du mich auch endlich mal zu Wort kommen lässt", sagte Leia trocken. (Langjährige Abhärtung hatte sie gegen wortgewaltige Ergüsse à la Vader & Sohn fast vollständig immun gemacht.)

„Und eines wollen wir gleich mal festhalten: Senator Organa ist kein Kerl, sondern ein ehrenwerter, freundlicher und hundertprozentig selbstloser Mann, dem keiner so schnell das Wasser reichen kann. Gewisse Leute hier in diesem Haus dürften ihm nicht einmal die Schuhe putzen!"

Luke fühlte sich natürlich angesprochen, was zur Folge hatte, dass sein Gesicht einen flammenden Purpurton annahm.

„Ach ja?" schoss er mangels einer besseren Antwort trotzig zurück.

Leia begnügte sich mit einem weiteren strahlenden Lächeln, was unweigerlich als Provokation aufgefasst wurde.

„Und wieso ist er jetzt plötzlich Senator? Hast du nicht gesagt, er wäre der Herzog ... nein ... König von Alderaan oder so was in der Art?"

„Vizekönig um genau zu sein", korrigierte Leia. „Und außerdem schließt das eine das andere nicht aus. Warum sollte er irgendeinen x-beliebigen Diplomaten zum Botschafter ernennen, wenn er Alderaan genauso gut selber im Senat vertreten kann?"

Doch das war nicht der springende Punkt bei der Sache und sie wussten es beide.

„Dad hasst den Senat!" trompetete Luke mit dem verklärten Gesichtsausdruck eines Missionars, der einer johlenden Horde von heidnischen Wilden die Zehn Gebote oder eine ähnlich ultimative Wahrheit verkündete.

„Wen hasst er nicht? Er kann es einfach nicht ertragen, wenn irgendjemand es wagt, eine andere Meinung zu haben als er, also hasst er neunundneunzig Prozent aller Lebewesen der Galaxis – mindestens!" konterte Leia. (Sie neigte zu Übertreibungen, sobald es um ihren Erzeuger ging.)

„Dad sagt, alle Politiker sind doppelgesichtige Hyänen und er traut keinem von ihnen weiter als er ihn werfen kann."

„Oooh! Ich wusste gar nicht, dass er inzwischen auch noch damit angefangen hat, Leute durch die Gegend zu werfen. Aber bei ihm muss man heutzutage ja wohl auf alles gefasst sein. Und falls es dich interessiert: Alle Politiker, die ich kenne, halten IHN für einen blutrünstigen Psychopathen!"

Luke schüttelte nur den Kopf, fassungslos vor so viel kindlicher Naivität. Leia hatte einfach keine Ahnung von der gigantischen Bedeutung ihres eigenen Vaters für das Wohl und Wehe der ganzen Galaxis, das arme Mädchen. Oder wollte sie einfach nur nicht verstehen, worauf ihr Bruder eigentlich hinauswollte?

„Jetzt hör mal zu: Wenn es nach Dad ginge, würde er den ganzen Senat morgen noch vor dem Frühstück aus irgendeiner Luftschleuse rauskicken. Du bist doch sonst so clever, Miss Lasergehirn. Hast du dich nie gefragt, warum sich dieser Kerl ... okay, sorry ... MANN ausgerechnet mit dir eingelassen hat? Du bist praktisch die Tochter seines Erzfeindes. Er muss einen verdammt guten Grund haben, um sich ausgerechnet bei dir einzuschleimen, oder nicht?"

Jetzt verfärbte sich Leias Gesicht, allerdings nur zu einer zarten Rosarotschattierung.

„Bail Organa hat es nicht nötig, sich bei irgendjemandem einzuschleimen!" erwiderte sie eisig.

„Hat er sich an dich rangemacht, ja oder nein?" sagte Luke herrisch.

„Nein, er hat sich nicht an mich rangemacht. Also wirklich, du hast dir auf Carida eine sagenhaft ordinäre Ausdrucksweise angewöhnt! Nachdem ich Senator Organa kennengelernt habe ..."

„Wann? Wo?" bellte Luke. (Der militärisch knappe und auch sonst nicht gerade feinfühlige Umgangston auf Carida hatte zweifellos Spuren bei ihm hinterlassen.)

Leia schickte erneut einen demonstrativ leidenden Blick in Richtung Zimmerdecke. Sie hatte viel Übung mit dieser Märtyrermiene. Sie hatte früh gelernt, dass eine ausdrucksvolle Mimik eine genauso gute Waffe sein konnte wie eine messerscharfe Rethorik und dass sie speziell mit diesem Gesichtsausdruck jeden Kontrahenten aus dem Konzept bringen konnte. Für eine Weile jedenfalls ...

„Das geht dich zwar überhaupt nichts an, aber bitte sehr: Es war vor einem Jahr bei diesem gruseligen Wohltätigkeitsbasar, für den ich diese grässliche Tischdecke sticken musste, weil Mutter mich dazu gezwungen hat. Und dann musste ich sie auch noch dorthin begleiten ... und da waren außer ihr nur noch all diese anderen widerwärtigen Weiber, die sich von Kopf bis Fuß mit Schmuck behängen und dann auf edel und barmherzig machen, während sie sich ihre Luxusfressalien reinschieben – es war einfach grausam! Na ja, und dort habe ich ihn getroffen. Er war ein echter Lichtblick, der einzige wirklich engagierte Mensch in dieser Bande von Schmarotzern und Heuchlern. Wir haben uns ein bisschen unterhalten ..."

„Worüber?" fragte Luke misstrauisch.

„Ach, über alles Mögliche, was weiß ich", sagte Leia ausweichend.

Auf keinen Fall wollte sie ihrem Bruder auf die Nase binden, dass sie sich in einem heftigen Anfall von Frust und Erbitterung über alle anwesenden Damen (insbesondere über ihre Mutter!) mit flammender Verachtung und schonungsloser Offenheit geäußert hatte. Es war besser, wenn Luke nicht erfuhr, dass es genau diese hitzköpfige Verdammung der ganzen Lebensweise der versammelten imperialen Elite war, die Bail Organas Interesse an Leia geweckt hatte. Denn das wäre der Wahrheit entschieden zu nahe gekommen und Luke sollte nicht einmal von dem Schatten des Verdachtes heimgesucht werden, dass Organa bei diesem denkwürdigen Erstkontakt auf die Idee verfallen war, Lord Vaders Tochter nach einer langen und gründlichen Prüfung auf Herz und Nieren für die heimlich von ihm unterstützte Rebellenallianz anzuwerben.

„Jedenfalls haben wir uns auf Anhieb fabelhaft verstanden. Und als wir uns rein zufällig wieder begegnet sind ..."

„Wann? Wo?" beharrte Luke.

„... haben wir uns wieder sehr nett unterhalten", fuhr Leia fort, die inzwischen beschlossen hatte, jede weitere Unterbrechung einfach zu überhören. „Und seither treffen wir uns ab und zu, um ... na ja ... um miteinander zu reden und um uns ... auszutauschen. Du siehst also, es ist alles vollkommen harmlos."

Doch Luke war manchmal viel scharfsinniger, als seine Schwester ihm zutraute, nicht oft, aber immerhin.

„Wenn das alles so harmlos ist, warum machst du dann so einen Riesenwirbel darum?"

„Der Einzige, der hier einen Riesenwirbel macht, bist du", sagte Leia schnell, um Zeit zu gewinnen.

Ihr Bruder hatte eindeutig Beute gewittert und verfolgte jetzt die Fährte so hartnäckig wie ein hungriger Taarg. Damit hatte sie nicht gerechnet. Wie sollte sie ihn jetzt nur von der Spur abbringen, ohne seinen bereits hellwachen Argwohn noch mehr anzustacheln? Lukes blaue Augen schienen jetzt schon Löcher in sie hineinzusengen ...

„Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie so ein ... Austausch zwischen euch beiden aussieht", sagte er langsam. „Was hast du mit jemandem wie Organa gemeinsam, dass euch nie der Gesprächsstoff ausgeht?"

Und Leia erkannte, dass es höchste Zeit war die Taktik zu wechseln. Ob es half, wenn sie zur Abwechslung kräftig auf die Tränendrüse drückte?

„Du ... du verstehst das eben nicht. Er ... er ist einfach nur nett zu mir", sagte sie mit einem weinerlichen Tremolo in der Stimme. „Und es gibt schließlich nicht viele Leute, die nett zu mir sind. Es tut mir unglaublich gut, mich mal mit jemandem auszusprechen ... Ich meine, mit jemandem, der mich wirklich mag und der wirklich Verständnis für mich hat. Ich kann mit ihm über alles reden ... über meine ganzen Probleme hier ... über meine trostlose Zukunft ..."

Luke stand sofort lichterloh in Flammen. „Was? Du redest mit einem Fremden über unsere ganz privaten Familienangelegenheiten? Und was heißt hier eigentlich trostlose Zukunft? Deine Zukunft ist nicht trostlos!"

Doch Leia sah, dass sie schon fast gewonnen hatte. Sie musste ihrem Taarg jetzt nur noch einen sanften unauffälligen Schubs in die richtige Richtung geben. Oder vielmehr in die falsche Richtung ...

Sie gab ein bühnenreifes Schluchzen von sich und angelte zielsicher ein blütenweißes Papiertaschentuch unter ihrem Kopfkissen hervor, um es theatralisch gegen ihre gänzlich trockenen Augen zu pressen. (Wer eine wirklich gute Show abziehen wollte, brauchte unweigerlich die geeigneten Requisiten, um den gewünschten Effekt zu erzielen.)

„Du hast ja keine Ahnung, wie einsam ich bin, seit du auf Carida bist", wimmerte sie hinter ihrem fragilen Schutzschild aus sauerstoffgebleichtem Zellstoff. „Und seit Siri auch noch weg ist, gibt es niemanden mehr, dem ich mein Herz ausschütten kann."

Sie äugte vorsichtig über den Rand ihres Taschentuchs hinweg, um zu sehen, wie ihr kleines Melodram ankam. Luke war sichtlich aufgewühlt. Leia war selbst beeindruckt von ihrem schauspielerischen Talent.

„Aber Senator Organa ist immer so mitfühlend ... und er hilft mir, wo er nur kann", schniefte sie. „Als sie Siri damals einfach vor die Tür gesetzt haben, war ich völlig verzweifelt. Ich wusste, dass ich irgendwas für die arme Frau tun muss, aber ich hatte keine Ahnung, an wen ich mich wenden soll. Wer kümmert sich schließlich schon darum, wie es jemandem wie Siri geht? Und wer kümmert sich jemals darum, wie es mir geht?

Also bin ich einfach zu Senator Organa gegangen. Und er hat alles geregelt. Und jetzt ist Siri glücklich auf Alderaan und ich ... ich bin heilfroh, dass ich einen echten Freund gefunden habe. Einen Freund, dem ich mich anvertrauen kann. Einen Freund, der immer für mich da ist, wenn ich ihn brauche. Und ich brauche jemanden wie Senator Organa. Er hat ein gutes Herz ... und er ist so klug ... und er ist ein Mann von Welt. Er ist wirklich an mir interessiert und er gibt mir einfach wundervolle Ratschläge. Er sagt mir, was ich tun kann, um mein Leben in den Griff zu bekommen, um eines Tages auf meinen eigenen Füßen zu stehen.

Er weiß genau, wie schwierig das für mich ist, aber er macht mir Mut und stärkt mein Selbstvertrauen. Ja, genau das: Mut und Selbstvertrauen!" sagte Leia und sie sagte es ziemlich energisch für jemanden, der sich angeblich gerade in Tränen auflöste.

Sie merkte gerade noch rechtzeitig, dass sie ein wenig aus der Rolle gefallen war und tarnte das reichlich aggressive Ende ihres rührseligen Monologs mit einem erneuten herzzerreißenden Schluchzer, der aber leider nicht mehr ganz so überzeugend ausfiel. (Auch die größte Schauspielkunst hat ihre Grenzen!)

Doch Luke war inzwischen schon so durcheinander, dass es ihm gar nicht weiter auffiel, was teilweise daran lag, dass er von uralten Schuldkomplexen überwältigt worden war. Er fühlte sich grundsätzlich schuldig, sobald er mit Leias Misere konfrontiert wurde. Er wusste, dass er nichts für die scheinbar unüberwindliche Kluft zwischen seiner Schwester und seinem Vater konnte, aber das machte es auch nicht leichter für ihn.

„So, so. Ratschläge gibt er dir also", brummte er vor sich hin, nur um irgendetwas zu sagen. „Was für Ratschläge? Und was genau meint jemand wie er mit ‚auf eigenen Füßen stehen'?"

Leia ließ ihr immer noch makelloses Papiertaschentuch sinken und sah ihren Bruder an. Es gab Momente im Leben, in denen man die Karten offen auf den Tisch legen musste – natürlich nicht alle Karten, aber wenigstens ein oder zwei.

„Er hat mir geraten, mich so schnell wie möglich unabhängig zu machen. Und deshalb soll ich mir einen Job suchen, Karriere machen und überhaupt einfach mein eigenes Leben leben, sobald ich alt genug dafür bin. Und weißt du was? Genau das werde ich auch tun", sagte sie feierlich.

Luke fiel beinahe der Unterkiefer herunter. Es dauerte eine volle Minute, bis er sich von dem Schock erholt hatte, aber dann gab es kein Halten mehr.

„WAS? Der muss übergeschnappt sein, völlig übergeschnappt! Du bist Leia Vader! Du brauchst keinen Job oder eine Karriere oder sonst was! Und du hast schon längst ein eigenes Leben!" schrie er.

„Ach ja? Seit wann denn? Zähl mir nur drei Gelegenheiten auf, bei denen ich genau das machen durfte, was ich machen wollte. Das dürfte dir schwerfallen – mir fällt nicht einmal ein einzige Beispiel dafür ein! Und was die Zukunft angeht: Hast du dir eigentlich jemals Gedanken darüber gemacht, was mal aus mir werden soll, Bruderherz?"

„Ich verstehe gar nicht, was du damit meinst", stammelte Luke.

Tatsächlich hatte er sich noch nie große Gedanken über die Zukunft gemacht, weder über die seiner Schwester noch über seine eigene. Das lag vor allem daran, dass ihrer beider Zukunft schon seit dem Tag ihrer Geburt bis in alle Einzelheiten verplant und festgelegt war – vielleicht sogar schon seit dem Tag ihrer Zeugung.

„Du weißt doch selber ganz genau, wie das alles mal wird: Wenn der Imperator stirbt, besteigt Dad den Thron. Und du und ich ... wir werden von da an ganz offiziell Prinz Luke und Prinzessin Leia sein. Wir werden zusammen mit Dad herrschen und irgendwann ... tja, irgendwann werden wir dann seine Nachfolger sein", sagte Luke zögernd. (Schon die Vorstellung, dass eine so kraftvolle und vitale, scheinbar unbezwingbare Persönlichkeit wie sein Vater eines fernen Tages altern und das Zeitliche segnen würde wie ein ganz gewöhnlicher Sterblicher, beunruhigte ihn so sehr, dass er nicht einmal daran denken wollte. Nicht einmal ansatzweise.)

„Richtig?" fragte er unsicher und hoffte auf hundertprozentige Zustimmung.

„Falsch!" antwortete seine Schwester schroff. „DU wirst eines Tages der Kronprinz, der Nachfolger, der Thronerbe oder Gott weiß was sein. Du allein, Luke! Du wirst den lieben langen Tag neben deinem Daddy sitzen und dir einbilden, dass du auch etwas zu melden hast ... obwohl er in Wirklichkeit natürlich nicht für eine Sekunde die Zügel aus der Hand geben und alles über deinen Kopf hinweg entscheiden wird, so wie immer."

„Ach, Leia", seufzte Luke.

„Doch, genauso wird es sein. Und was soll ich bitte sehr machen, wenn es erst mal so weit ist? Noch mehr Tischdecken besticken?"

„Ach, ich weiß auch nicht. Aber ich glaube, du siehst das alles viel zu schwarz. Du siehst immer alles viel zu schwarz! Natürlich wirst du mit uns zusammen regieren ... irgendwo werden wir schon Verwendung für dich finden. Und außerdem wirst du eines Tages sowieso heiraten und spätestens dann ..."

Luke verstummte, als das Gesicht seiner Schwester sofort zu einer Maske mühsam kontrollierten Zorns erstarrte. Er hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen oder zumindest seine unbedacht herausgesprudelten Worte irgendwie wieder zurückgeholt, aber dafür war es schon zu spät.

„Ach so", säuselte Leia mit einer Gleichmut, die so trügerisch war wie die hauchdünne Eisdecke eines zugefrorenen Sees nach dem allerersten Winterfrost. „Ich soll also deiner Meinung nach die typische Modell-Prinzessin werden, so eine Art lebende Wachsfigur, die jeden Tag schön brav Kinderheime besucht, bei Schiffstaufen die Sektflaschen wirft, stundenlang lieblich lächelnd in die Menge winkt und als Krönung ihrer armseligen Existenz auch noch mit irgendeinem adeligen Schwachkopf verheiratet wird – ein Schwachkopf, den ich mir natürlich nicht mal selber aussuchen darf!"

„So habe ich das nicht gemeint", widersprach Luke hastig.

„Doch, genauso hast du es gemeint und genauso wird es auch kommen – wenn ich es zulasse. Aber du bildest dir doch nicht ernsthaft ein, dass ich das mitmache?"

„Also so schrecklich wäre das auch wieder nicht. Wetten, dass Millionen von Mädchen gerne an deiner Stelle wären? Die würden jederzeit mit dir tauschen. Und außerdem: Was willst du denn sonst mit dir anfangen?"

„Das kann ich dir sagen!" Leia stand abrupt auf und es war ganz erstaunlich, wie imposant eine so kleine Person aussehen konnte, wenn sie so kerzengerade dastand, den Kopf hoch erhoben und das Kinn kämpferisch in die Luft gereckt. „In einem Punkt hast du vielleicht sogar Recht: Ich brauche wirklich keinen Job, keine Karriere oder sonst was. Nicht, wenn ich einfach auch für den Senat kandidiere."

Luke sank scheinbar völlig entkräftet gegen die Rückenlehne seines Stuhls und schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. (Leia war nicht das einzige Mitglied der Familie Vader, das seinem Temperament mit dramatischen Gesten Luft machen musste.)

„Oh nein!" stöhnte er.

„Oh ja!" klang es entschlossen zurück.

„Leia, Dad geht hoch wie eine Neujahrsrakete, wenn du das machst."

Der Blick seiner Schwester nahm sofort einen verdächtig verträumten Ausdruck an – möglicherweise hatte die Vision von Darth Vader, der explodierte wie ein Feuerwerkskörper, auf sie eine ganz andere Wirkung als auf Luke.

„Er wird es überleben", erklärte sie schließlich und es lässt sich leider nicht leugnen, dass in dieser Feststellung ein gewisses Bedauern mitschwang.

„Aber er wird außer sich sein!" rief Luke, der selber außer sich war.

„Na und? Das ist er doch jeden Tag – rund um die Uhr", erwiderte Leia kühl.

Luke suchte krampfhaft nach irgendeinem rationalen und vollkommen einleuchtenden Argument, das die schillernde Seifenblase um Leias absurde Luftschlösser zum Platzen bringen sollte, bevor sie die Dimensionen eines echten Alptraums annahm.

„Äh ... und woher nimmst du das Geld? Du wirst bestimmt jede Menge Kies für deinen Wahlkampf brauchen, jede Menge! Und Dad wird dir dafür keinen müden Credit geben, darauf kannst du Gift nehmen."

„Dann gehe ich eben zu den Naberries. Großpapa und Großmama würden bestimmt ihr letztes Hemd für mich hergeben, wenn sie ihm damit eins auswischen könnten", sagte Leia und bewies damit, dass sie schon jetzt über soviel kaltschnäuziges Kalkül verfügte wie der ausgebuffteste Senator.

Luke versuchte sich auszumalen, wie sein Vater reagieren würde, wenn er herausfand, dass die Naberries ihrer Enkelin ein kleines Vermögen überlassen hatten, um ihr den Weg in den Senat zu ebnen und das gegen seinen ausdrücklichen Wunsch. Er erschauerte.

„Damit kommst du niemals durch, Leia", sagte er kopfschüttelnd.

„Wart's nur ab!"

„Vergiss es! Dad wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um das zu verhindern."

„Wie kann er es denn verhindern? Glaubst du, dass er mich nur enterbt oder dass er mich gleich für verrückt erklären und in eine Klapsmühle einweisen lässt? Oder hast du vielleicht sogar Angst, dass er mich einfach in aller Öffentlichkeit erdolcht wie der klassische Tyrann in einer antiken Tragödie? Na, das gäbe immerhin mal eine wirklich aufsehenerregende Schlagzeile für die Zeitungen ab. Ich kann es jetzt schon vor mir sehen: Lord Vader, Kriegsheld aus Leidenschaft und Halbgott von eigenen Gnaden, metzelt vor fünfhundert Augenzeugen die eigene Tochter nieder! Fortsetzung auf Seite Zwei..."

„Das ist gar nicht komisch", murmelte Luke.

Etwas Besseres fiel ihm nicht ein, denn sogar seine Fantasie versagte, wenn es darum ging, wie genau Darth Vader mit seinem eigenen Fleisch und Blut umzuspringen gedachte, sobald sich eine echte Krisensituation ergab. War eine künftige Senatorin in der Familie eigentlich tatsächlich eine echte Krisensituation? Luke wollte es gar nicht so genau wissen. Nicht wirklich. Statt dem zu erwartenden väterlichen Wutausbruch zog er lieber ein anderes Schreckgespenst aus dem Ärmel, mit dem er eventuell mehr Glück hatte.

„Was ist mit dem Imperator?"

Und siehe da: Zum ersten Mal seit dem Beginn ihrer Diskussion spiegelte sich in Leias Miene eine gewisse Unschlüssigkeit wider. Trotzdem fragte sie herausfordernd: „Was soll mit dem schon sein?"

„Also er wird auch nicht gerade vor Freude an die Decke springen, wenn er davon erfährt. Dad sagt immer, wenn die Senatoren wüssten, was Palpatine in Wirklichkeit über sie denkt, dann würde die eine Hälfte von ihnen sofort ihren Rücktritt einreichen und die andere Hälfte ihr Testament machen", sagte Luke düster.

Er hatte sich wirklich alle Mühe gegeben, diese kleine Insider-Information mit einer angemessen unheilverkündenden Stimme an den Mann oder vielmehr an das Mädchen zu bringen, doch wenn er gehofft hatte, dass seine Schwester sich durch derart subtile Einschüchterungsversuche entmutigen ließ, dann hatte er sich geirrt. Leia tat seinen Einwurf mit einer wegwerfenden Handbewegung ab, als gäbe es nichts Unwichtigeres auf dieser Welt als Palpatines ziemlich ambivalente Haltung gegenüber seinem eigenen Regierungsapparat.

„Ach was! Er würde es niemals wagen, offen gegen den Senat vorzugehen. Er weiß genau, dass er sofort einen Aufstand auf dem Hals hätte, vielleicht sogar einen ausgewachsenen Bürgerkrieg. Dieses Risiko geht er nicht ein."

Und schon gar nicht jetzt, wo sein kostbares Imperium in allen Fugen kracht, fügte Leia in Gedanken hinzu.

„Bist du dir da so sicher?" fragte Luke skeptisch.

„Absolut!" behauptete Leia, die sich keineswegs sicher war. Im Grunde traute sie dem Imperator nämlich alles zu. Alles Schlechte wohlgemerkt ...

Luke sah ein, dass er die Sache von der falschen Seite her angegangen war. Und weil schon von den Naberrie-Großeltern die Rede gewesen war, konnte es bestimmt nicht schaden, zur Abwechslung mal auf die sympathischen Seiten des leutseligen alten Herrn einzugehen, der in den Vader-Sprösslingen immerhin ebenfalls so etwas Ähnliches wie Enkelkinder sah.

„Aber stell dir nur mal vor, wie maßlos enttäuscht er von dir sein wird. Es wird ihn bestimmt schrecklich verletzen, dass du als künftige Prinzessin nichts anderes im Kopf hast, als ihm auch noch bei jeder Sitzung mit irgendwelchen Petitionen und dem ganzen anderen Krampf in den Ohren zu liegen."

Leia runzelte die Stirn. Nichts hätte ihr gleichgültiger sein können als die verletzten Gefühle des Imperators – immer vorausgesetzt, dass dieser bösartige alte Aasgeier überhaupt so etwas wie verletzbare Gefühle hatte, woran Leia in Anbetracht ihrer persönlichen Erfahrungen ernsthaft zweifelte.

Aber wenn Palpatine irgendetwas war, dann gefährlich. Unterschätzen durfte sie ihn ebenso wenig wie Vader oder die rührende Arglosigkeit ihres Bruders. Ach ja, Luke war doch ein richtiges kleines Unschuldslamm. Aber wie unschuldig musste man eigentlich sein, um sich sogar um eine Kreatur wie den Imperator Gedanken machen zu können?

„Ich glaube nicht, dass er etwas dagegen hätte. Ich glaube sogar, es wäre ihm völlig egal. Ich bin ihm völlig egal."

„So etwas solltest du wirklich nicht sagen", protestierte Luke. „Er mag dich sehr. Er fragt mich jedes Mal, wie es dir geht, wenn ich ihn besuche."

„Ja, und wenn du ihm erzählen würdest, dass ich gerade von einer Brücke gesprungen bin, würde er wahrscheinlich extra für dich genau zwei Krokodilstränen herausquetschen und zu meiner Beerdigung würde er garantiert das größte und teuerste Blumenbukett aller Zeiten schicken. Aber das ändert auch nichts daran, dass er mich in Wirklichkeit nicht ausstehen kann."

Luke wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Sein Weltbild war heute schon zu oft unsanft angerempelt worden und gerade im Begriff, komplett umgekrempelt zu werden, ein Zustand, den er als verwirrend und ausgesprochen unerfreulich empfand.

„Äh ... Leia ..."

„Glaub mir, ich könnte vor seinen kalten gelben Katzenaugen tot umfallen und er würde nicht mal mit der Wimper zucken – es sei denn, du würdest direkt neben mir stehen. Für dich würde er natürlich eine große Show abziehen."

„Also wirklich, Leia!"

„Was denn?" gab sie mit einem ungeduldigen Achselzucken zurück. „Die Dinge sind nun einmal wie sie sind. Ich habe mich längst damit abgefunden."

Luke hatte langsam das Gefühl, gegen eine Mauer zu reden. „Sei doch vernünftig."

„Ich bin vernünftig!"

„Bist du nicht. Und daran ist nur dieser Organa schuld", murrte Luke. „Ja, genau! Er hat dir diese Flausen in den Kopf gesetzt."

Er war beinahe froh darüber, dass er wenigstens einen bequemen Sündenbock gefunden hatte, dem er die Schuld in die Schuhe schieben konnte. Aber Leia sah schon wieder ihre Felle davonschwimmen. Eigentlich war die Erörterung ihrer Zukunftspläne ja nur dazu gedacht gewesen, Luke von seinem Kurs abzubringen, doch nun waren sie durch eine Art Zirkelschluss schon wieder beim Vizekönig von Alderaan angekommen. Es war wie verhext. Jetzt half eigentlich nur noch ein gefühlvoller Appell an das hehre Ideal von Liebe und Loyalität unter Geschwistern.

Sie legte ihre Hand auf den Arm ihres Bruders und sagte sanft: „Mir ist schon klar, dass du ihn nicht magst, Luke, aber für mich ist Bail Organa sehr, sehr wichtig. Und wenn irgendjemand herausbekommt, dass ich mich mit ihm treffe, könnten wir beide großen Ärger bekommen. Wirklich großen Ärger!"

Sie sah ihn beschwörend an und machte große flehende Augen, um die Dringlichkeit der ganzen Angelegenheit noch zu unterstreichen. Und sie atmete noch einmal tief durch, bevor sie die alles entscheidende Frage stellte.

„Du wirst es doch niemandem erzählen, oder?"

Luke kämpfte mit sich und hundert widersprüchlichen Emotionen. War es einfach nur ein uralter Instinkt, der sämtliche Nervenfasern in seiner Wirbelsäule vor Anspannung kribbeln ließ, oder war es die Macht, die sich plötzlich zu Wort meldete und ihn mit vagen, unausgegorenen Befürchtungen erfüllte? Irgendeine innere Stimme warnte ihn davor, dass Leias Besessenheit von Organa und seinen abstrusen Ideen weit über ihre üblichen Schrullen und Macken hinausging. Etwas Dunkles, Geheimnisvolles war hier im Gang ... vielleicht sogar etwas Schicksalhaftes, das allen Menschen, die er kannte, großes Leid bringen würde ... aber auf jeden Fall etwas, das Luke noch nicht durchschauen konnte, obwohl es jetzt schon alle Alarmsirenen in seinem Kopf losschrillen ließ.

Doch wenn es tatsächlich die Macht war, dann war er einfach noch zu jung und vor allem viel zu unerfahren, um dieses Gespinst aus dunklen Vorahnungen festzuhalten, das sich in seinen Händen auflöste wie Spinnweben, noch während er danach zu greifen versuchte.

Und weder zum ersten noch zum letzten Mal in seinem Leben fragte sich Luke Vader mit stiller Bitterkeit, warum sein Vater ihn bei seinem Sith-Training so streng zurückhielt und warum er und der Imperator immer wieder betonten, dass diese Verzögerung bei seiner Ausbildung nur zu Lukes eigenem Schutz sei und dass er alle Zeit der Welt hätte und dass niemand ihn drängen wollte und dass er sich in aller Ruhe auf die Schule konzentrieren und seine Jugend genießen sollte und überhaupt...

„Luke?"

Aber hier und jetzt stand nur seine Schwester vor ihm, die darauf wartete, dass er ihr vertraute, obwohl sie ihm längst nicht mehr vertraute – oder jedenfalls nicht mehr genug, um ihm wenigstens unter dem Siegel der Verschwiegenheit das zu beichten, was sie ihm so offensichtlich verheimlichte.

Und plötzlich hatte Luke alles so satt. Er hatte genug von dieser völlig sinnlosen Debatte, von diesem komplizierten, ewig Unruhe stiftenden Mädchen, von diesem Tag, der irgendwie kein Ende nehmen wollte, und generell von allem und jedem. Er wollte dieses fruchtlose Hin und Her beenden. Er sehnte sich danach, sich in die gemütlichste Ecke seines eigenen Zimmers zurückzuziehen und für mindestens eine halbe Stunde lang einfach so tun, als wäre er jemand ganz anderes, irgendein x-beliebiger normaler Junge mit irgendeinem x-beliebigen normalen Leben, irgendein beneidenswerter Niemand, der keine größeren Ängste kannte als eine knifflige Mathearbeit voller ungelernter Formeln oder jede Menge verpatzte Torchancen beim nächsten Smashballmatch der Schulmannschaft oder ähnliche herrlich triviale Alltagsprobleme. Luke fühlte auf einmal eine bleierne Müdigkeit in sich, eine physische und psychische Erschöpfung, die nur wenig mit den Aufregungen dieses Tages zu tun hatte, aber sehr viel mit dem alltäglichen Ballast seines eigenen Lebens, das vielleicht in mancher Hinsicht auch beneidenswert, aber dafür keineswegs normal war.

„Schon gut, Leia. Ich werde es niemandem erzählen" sagte er resigniert.

Sie sah ihn prüfend an und für dieses eine Mal waren ihre sonst so warmen dunklen Augen so kalt und hart wie Obsidian. „Versprich es mir!"

„Hand aufs Herz und nicht geflunkert", schwor Luke.

Mit diesem heiligen Eid hatten sie schon so manchen Pakt untereinander besiegelt, obwohl es dabei natürlich nie um etwas Riskanteres gegangen war als um eine verbotene Forschungsexpedition in die Dienstbotenquartiere oder um einen Blitzangriff auf das von einem kinderfeindlichen Gärtner fanatisch bewachte Julabeerenbeet. Aber hatte er denn eine andere Wahl als die Eskapaden seiner Schwester zu decken? Die einzige Alternative – Verrat! – war undenkbar.

Leias Erleichterung, als sie ihm stürmisch um den Hals fiel, tat ihm beinahe körperlich weh. Und noch während sie sich überschwänglich bei ihm bedankte und ihm tausendmal versicherte, dass er sich keine Sorgen um sie zu machen brauchte, dass alles in Ordnung war und auch immer in Ordnung sein würde, wusste Luke schon, dass er einen Fehler gemacht hatte, den er noch lange bereuen würde. Lange? Ewig! Aber ein Versprechen war nun einmal ein Versprechen und er wusste ebenfalls nur zu genau, dass er es niemals brechen würde – ganz egal, was geschah.

Trotzdem konnte er es sich nicht verkneifen, wenigstens einen Bruchteil von dem auszusprechen, was sich vor seinem geistigen Auge inzwischen so deutlich abzeichnete wie die berühmt-berüchtigte Flammenschrift an der Wand. Luke Vader, Nachwuchs-Orakel mit Ladehemmung, musste mindestens eine Warnung los werden, auch wenn er damit auf taube Ohren stieß.

„Was du auch vor hast: Sei vorsichtig, Leia. Sehr, sehr vorsichtig." Und als seine Schwester ihn nur völlig perplex anstarrte: „Jede Freundschaft hat ihren Preis, weißt du? Und vielleicht kommt irgendwann der Tag, an dem du rausfindest, dass du für deinen Alderaaner viel mehr bezahlt hast als er wert ist."

Er merkte natürlich selbst, dass er sich gerade anhörte wie die Psychotante aus der Kummerkasten-Kolumne einer billigen Illustrierten oder – noch schlimmer! – wie ein Unkenruf aus dem Jahreshoroskop für chronisch liebeskranke Sternzeichen, aber er konnte nichts dagegen tun. Es war schließlich nicht seine Schuld, dass die Macht für ihn immer noch genauso unmöglich auszuloten war wie die Kristallkugel einer selbsternannten Wahrsagerin.

Und als Leia nur lachte und ihm sein ohnehin schon verstrubbeltes Haar noch mehr zerzauste und sagte: „Wer sieht denn jetzt alles viel zu schwarz?", konnte er ihr ihre Herablassung nicht einmal verübeln. Wäre er an ihrer Stelle gewesen, er hätte sich auch nicht ernst genommen ...

„Pass einfach nur auf dich auf, okay?" sagte er heiser.

Und dann fiel ihre Zimmertür hinter ihm ins Schloss und Luke stand draußen auf dem Korridor und starrte auf einen farbenprächtigen Wandteppich, der von drei halbnackten, Flöte spielenden Waldgöttinnen und einem gehörnten Fabeltier aus irgendeiner längst verschollenen Mythologie bevölkert war. Aber in Wirklichkeit sah er diesen Teppich gar nicht. In Wirklichkeit sah er einen großen dunkelhaarigen Mann vor sich, der ihn mit formvollendeter Höflichkeit anlächelte – oder mit formvollendeter Überheblichkeit auf ihn herunter grinste ...

„Verdammter Mistkerl!" sagte Luke voller Ingrimm zu der Gruppe aus gänzlich unschuldigen Wandteppichbewohnern. „Wenn Leia deinetwegen auch nur ein einziges Haar gekrümmt wird, dann bringe ich dich eigenhändig um, das schwöre ich dir! In welchem Loch du dich auch verkriechst, ich finde dich ... und dann reiße ich dir dein verlogenes Herz raus ... und dann ... und dann ESSE ich es!"

Das aus Seidenfäden gewebte Dryaden- und Einhornquartett zeigte sich natürlich völlig unbeeindruckt von diesen wilden blutrünstigen Drohungen, aber Luke Vader fühlte sich trotzdem sofort viel besser. Und als er in sein Zimmer zurücktrabte und auf seinem Anrufbeantworter das nächste Kapitel von Mar Shelmerdees häuslichem Elend vorfand, war erstmal für genug Ablenkung gesorgt, so dass Luke alle düsteren Zukunftsvisionen über seine Schwester und diesen hassenswerten alderaanischen Störenfried mit gutem Gewissen vorläufig auf Eis legen konnte. Die harte Nuss, die die Gegenwart ihm anbot, war mindestens genauso schwer zu knacken und beinahe genauso wichtig ...

Auch Leia verschwendete schon keinen Gedanken mehr an ihren bescheidenen Etappensieg, sondern zerbrach sich schon längst wieder den Kopf über Siris verschlüsselte Datei. Sie wusste, dass sie es hier mit einer Denksportaufgabe zu tun hatte, die sie durchaus lösen konnte, wenn sie sich nur lange und intensiv genug darauf konzentrierte, aber ihre Frustration wuchs mit jedem Fehlschlag.

Sie hatte bereits sämtliche Vornamen, Nachnamen, Geburtstage und Kom-Nummern der ganzen Te'Relkin-Sippe ausprobiert, aber ohne Erfolg. Sie hatte alle bekannten Daten der Severins und ihrer Töchter durchexerziert, dazu die Organas und jede andere Person aus ihrem und Siris bescheidenem gemeinsamen Bekanntenkreis, aber das Passwort war nicht darunter gewesen. Jetzt versuchte sie es mit Siris Lieblingsschriftstellern und Lieblingskomponisten, von denen es erschreckend viele gab, und anschließend mit jedem einzelnen Buchtitel, Theaterstück, Opernwerk oder Lied, das ihre Lehrerin jemals erwähnt hatte. Aber alle Mühe war umsonst. Leia zermarterte sich das Gehirn, sie grübelte und brütete vor sich hin, sie tüftelte Dutzende von Möglichkeiten aus, eine unwahrscheinlicher als die andere, sie bildete von allen bereits verwendeten Begriffen Anagramme, die sie mit fliegenden Fingern und wachsender Rage in ihre Tastatur hineinhämmerte, aber nach jeder Eingabe blinkte das verfluchte Textfenster nur einmal auf und meldete mit enervierender Hartnäckigkeit: NICHT KORREKT.

Gegen Mitternacht stand Leia kurz vor der Explosion, was angesichts ihres gewaltigen, aber immer noch ergebnislosen geistigen Kraftaktes nur zu verständlich war. Sie beschloss aufzugeben und zu Bett zu gehen, bevor sie der Versuchung erlag, sich ihr Datapad zu schnappen und es einfach so lange gegen die Wand zu schmettern, bis es in seine Bestandteile zerfiel. (Leia wäre natürlich jedem an die Kehle gesprungen, der es gewagt hätte, ihr diese Tatsache unter die Nase zu reiben, aber ihr extrem niedriger Siedepunkt wies sie unbestreitbar als Tochter ihres Vaters aus.)

Nachdem sie ihre abendliche Reinigungsprozedur hinter sich gebracht und ihre elektrische Zahnbürste gewaltsam in die dafür vorgesehene Halterung neben dem Waschbecken zurückgestopft hatte, wühlte sie sich in einen frischen Schlafanzug hinein wie ein mordlustiges Frettchen in einen Kaninchenbau und hüpfte anschließend mit so viel wütendem Schwung in ihr Bett, dass die Matratze unter ihr hoch federte wie ein Trampolin und sie beinahe wieder rückwärts hinaus katapultiert hätte. Leia sortierte schimpfend ein Wirrwarr aus Kopfkissen und Stofftieren auseinander und bettete endlich ihr müdes Haupt zur Ruhe.

„LICHT AUS!" fauchte sie in Richtung Umweltkontrollen.

Die Dunkelheit, die sie nun umgab, hatte etwas Tröstliches an sich. Sie kuschelte sich in ihre weiche Bettdecke hinein und haderte noch eine Weile mit umständlichen Lehrerinnen, die ihre Ex-Schülerinnen mit unlösbaren Rätseln quälten, und anderen Beweisen für ein grausames und ungerechtes Universum, das sich eindeutig gegen sie verschworen hatte. Aber sie grollte und schmollte jetzt nur noch mit halber Kraft vor sich hin und schließlich fielen ihr trotz allem die Augen zu. Es dauerte noch eine Viertelstunde, bis sie tatsächlich einschlief, aber irgendwann war es dann doch so weit: Leia schlief ... und träumte ...

Sie saß mitten im Garten der Severins, der sonderbarerweise mit sämtlichen Utensilien aus ihrem Klassenzimmer ausgestattet war. Zwanzig mit modernsten Computereinheiten bestückte Pulte standen im Halbkreis um sie herum, besetzt von ihren leeräugig vor sich hin glotzenden Mitschülern, die sich offenbar im Endstadium akademischer Langeweile oder auch in einem medizinisch begründeten Zustand des Wachkomas befanden. Vor Leia ragte eine riesige, mit blühenden Schlingpflanzen umrankte Displaytafel in den Himmel, die einen Text in einer fremden hieroglyphenartigen Schrift zeigte.

Plötzlich wuchs Siri direkt neben der Tafel einfach aus dem Boden wie eine exotische Blume. Sie lächelte ein wenig geistesabwesend in die Runde, zückte einen Laserpointer, wies mit ihm auf den undefinierbaren Text und sagte zu Leia: „Würdest du uns das bitte vorlesen, Liebes?"

Leia starrte so angestrengt auf die seltsamen Schriftzeichen, dass ihre Augen zu tränen begannen. Aber sie konnte beim besten Willen kein Wort entziffern.

„Ich kann das nicht lesen. Ich kenne ja nicht mal die Buchstaben", sagte sie ärgerlich.

Siri schüttelte den Kopf. „Du gibst dir viel zu viel Mühe, Liebes, du machst dir immer alles viel zu schwer. Dabei ist die einfachste Lösung grundsätzlich die beste. Der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten ist eine Gerade."

„Was hat denn jetzt das damit zu tun? Also ich verstehe gar nicht, was du eigentlich von mir willst", erwiderte Leia gereizt. (Wie sie es hasste, wenn sie auf der Leitung stand!)

Siri kam zu ihr herüber und legte ihr eine beruhigende Hand auf die Schulter. „Aber du hast ja alles vergessen, was ich dir beigebracht habe, Liebes", sagte sie milde. „Weißt du denn gar nicht mehr, was ich dir über das Finclair-Paradoxon erzählt habe?"

Leia dachte fieberhaft nach. Finclair ... Irgendwo tief in ihrem Unterbewusstsein regte sich eine nebelhafte Erinnerung. FINCLAIR ...

„Ich komme einfach nicht drauf. Ich müsste es eigentlich wissen ... es liegt mir praktisch schon auf der Zunge ... aber ich komme einfach nicht mehr drauf!" stöhnte sie.

„Dann will ich dir mal auf die Sprünge helfen", sagte Siri freundlich. „Also: Was ist das ideale Versteck für eine Ganji-Frucht?"

„Ein ganzer Korb voller Ganji-Früchte!" rief Leia und fühlte sich wie erlöst – bis sie merkte, dass sie den Text auf dem Display immer noch nicht lesen konnte. „Also jetzt verstehe ich gar nichts mehr!"

„Aber du wirst es verstehen, Liebes. Schon bald", behauptete Siri und verschwand ebenso unerwartet, wie sie aufgetaucht war.

Nur ihr Laserpointer blieb zurück. Er fiel in Leias Schoß ... und verwandelte sich prompt in eine Ganji-Frucht, sobald sie nach ihm griff. Leia konnte die raue, faserige Struktur der länglichen dunkelblauen Beere zwischen ihren Fingerspitzen fühlen ...

... bis sie plötzlich aufwachte und leicht verwirrt feststellte, dass sie nur das verfilzte Schwanzende von „Pickwick dem putzigen Porkyn" umklammert hielt, ein Stofftier, das dank vieler Dienstjahre in verschwitzten und auch sonst hygienefreien Kinderhänden unzählige Seifenschaumbäder und Ultraschallwäschen durchgemacht hatte, so dass sein ursprünglich flauschiger Pelz trotz des heftigen Einsatzes von Weichspülmitteln inzwischen die stachelig-struppige Konsistenz einer Flaschenbürste angenommen hatte.

Leia blinzelte, gähnte und schielte zu der grellrot bezifferten Uhr auf ihrem Nachttisch hinüber. Sie hatte nur eine knappe Stunde geschlafen und doch ...

„Was für einen Schwachsinn ich immer zusammenträume!" murrte sie vor sich hin.

Pickwick flog in hohem Bogen in irgendeine unsichtbare Zimmerecke. Seine reizbare junge Besitzerin war gerade im Begriff sich einfach umzudrehen und ihre unterbrochene Nachtruhe fortzusetzen, als sie eine Erleuchtung überkam – im wahrsten Sinne des Wortes.

„LICHT!" schrie sie in die absolute Finsternis hinein.

Die Umweltkontrollen registrierten einen erhöhten Stresspegel in ihrer Stimme und reagierten prompt mit einer Lichterflut, deren Luxstärke wahrscheinlich ausgereicht hätte, um ein ganzes Stadion taghell zu machen. Sämtliche Decken-, Tisch- und Stehlampen erwachten gleichzeitig zum Leben und erfüllten Leias Zimmer mit einem erbarmungslosen Gleißen, das einer Phalanx von Suchscheinwerfern alle Ehre gemacht hätte.

Leia, mehr als nur geblendet, verschwand blitzartig wieder unter ihrer Decke und keifte aus der Sicherheit dieser angenehm schummerigen Höhle: „Nicht SO VIEL Licht!"

Sie kam erst wieder zum Vorschein, als die grelle Attacke auf ihre Sehnerven zu einer erträglichen Dämmerstimmung abgeflaut war.

„Verdammte Technik!" murmelte sie, als sie schließlich aus dem Bett krabbelte und barfuß zu ihrem Schreibtisch hinüber tappte.

Es dauerte nur Augenblicke, bis sie ihr Datapad hochgefahren und Siris Datei wieder auf dem Bildschirm hatte, aber Leia kam es vor wie eine Ewigkeit. Sie konnte es kaum noch erwarten, ihren Geistesblitz auszuprobieren. Als es schließlich so weit war, war sie so aufgeregt, dass sie sich zweimal vertippte. Dann stand es endlich in dem Textfeld: GANJI.

Doch als Leia auf die Enter-Taste drückte, erschien nur das übliche NICHT KORREKT. Sie fluchte – ziemlich laut und ausgesprochen blumig – und versuchte es mit FINCLAIR.

Aber das zeigte ebenso wenig Wirkung wie PARADOXON oder FINCLAIR- PARADOXON oder GANJI-FRUCHT. Das Datapad lieferte jedes Mal nur seine Standardantwort ab und Leia bildete sich ein, dass die blinkenden Großbuchstaben ihr höhnisch zuzwinkerten. (Es konnte natürlich auch nur eine Halluzination sein – sie war inzwischen wirklich sehr, sehr müde.)

„Ach, zum Teufel mit dir!" sagte sie missmutig und wusste selber nicht genau, wen oder was sie damit meinte: Das Datapad? Die Datei? Siri? Nein, auf keinen Fall die arme Siri ...

Ein wenig reumütig klickte Leia das eigentliche Video auf, nur um noch einmal einen Blick darauf zu werfen. Vielleicht gab es darin ja einen Hinweis, den sie einfach übersehen hatte, irgendeine Anspielung von Siri, die Leia nicht verstanden hatte, ein Tipp oder was auch immer ...

Aber es gab keinen Hinweis, keine Anspielung, keinen Tipp, nichts, was Leia hier und jetzt auf die Sprünge geholfen hätte. Da war einfach nur Siri, die offenbar in der Bibliothek der Severins saß, denn im Hintergrund war ein wahres Labyrinth aus hohen Regalen zu erkennen, Regale, die fast überquollen vor Büchern ... oh ja, richtige Bücher aus echtem Papier, was heutzutage wirklich eine Seltenheit war, weil die meisten Leute nur noch Datapads oder handtellergroße Reader benutzten, deren Speicherkapazität für gewöhnlich ausreichte, um den Inhalt einer Großstadtbücherei in der Hosentasche mit sich herumzutragen ...

Doch vielleicht waren die Severins ja Antiquitätensammler mit einer Leidenschaft für kostbare Erstausgaben. Oder sie neigten einfach nur zu einer konservativen Haltung gegenüber allen kulturellen Dingen, was bei Alderaanern ohnehin eher die Regel als die Ausnahme zu sein schien. Es war also kein Wunder, dass sie einen ganzen Raum voller altmodischer Wälzer besaßen. Und dass Siri ausgerechnet dort ihre Nachricht aufgezeichnet hatte, war nur zu verständlich, denn wenn irgendjemand mit jeder Faser seines Herzens ein fanatischer Bücherwurm war und sich daher zwischen ganzen Türmen voller staubiger alter Folianten so sicher und geborgen fühlte wie ein Baby-Porkyn in seinem Nest, dann sie.

Und zweifellos saß Siri nur deshalb an diesem kleinen runden Tisch in einer sichtlich gut abgeschirmten Nische, ihre linke Hand noch halb auf dem Buch, das sie wohl gerade gelesen hatte. Es war ein kleiner, relativ dünner Band, in dunkelrotes Leder gehüllt und mit schwungvollen goldenen Buchstaben bedruckt. Leia musste sich fast den Hals verrenken, um den Titel entziffern zu können, denn das Buch lag aus der Perspektive der Kamera auf dem Kopf. Aber schließlich identifizierte sie Siris Lektüre als „BisandenRandderEwigkeit" von Phenia Reyem, was nun wirklich höchst eigenartig war, weil Leias Lehrerin nämlich eine ernsthafte Intellektuelle war und insbesondere die schnulzigen Zuckerguss-Herz-Schmerz-Schmonzetten von Miss Reyem für ein Fanal hielt, das eindeutig den Untergang der gesamten menschlichen Zivilisation oder sogar noch Schlimmeres ankündigte.

Dass Siri sich in ihrer Freizeit den aktuellen Bestseller der berühmtesten Kitschautorin zwischen Coruscant und den Randsektoren zu Gemüte führte, war unvorstellbar ... nein, unmöglich! Es musste also einen guten Grund dafür geben, warum dieser Schmachtfetzen ausgerechnet unter Siris Hand auf diesem Tisch lag und das haargenau im Fokus der Kamera ... Und als Leias überstrapaziertes Gehirn endlich diesen Punkt erreicht hatte, überkam sie erneut eine Erleuchtung und dieses Mal mit Pauken und Trompeten ...

„NATÜRLICH! DAS IST ES!" schrie sie. „Okay, schon gut, alles in Ordnung", fügte sie wesentlich gedämpfter hinzu, denn die Umweltkontrollen waren durchaus dazu in der Lage, im Zweifelsfall einen stummen Alarm in der Security-Abteilung der Vader-Residenz auszulösen. Die Sensoren waren nicht darauf programmiert, den Unterschied zwischen lauten aufgeregten Selbstgesprächen und einer echten Notsituation zu erkennen.

Aber nichts geschah und Leia wandte sich erneut ihrem Datapad zu, um zum hoffentlich letzten Mal Siris mutmaßliche Geheimbotschaft aufzurufen. Selten waren die vier Silben von Miss Reyems einfallslosem Künstlernamen so freudig und erwartungsvoll in irgendeinen Computer eingetippt worden wie in dieser Nacht. Und noch nie zuvor hatte man innerhalb von Leias vier Wänden einen solchen Stoßseufzer vernommen wie in dem Augenblick, als das störrische schwarze Viereck auf ihrem Bildschirm sich endlich öffnete wie ein Geschenkkarton und erwartungsgemäß Siri Te'Relkins Gesicht zum Vorschein kam.

„Mein kluges Mädchen. Ich wusste, dass du es schaffen würdest", sagte Siri leise.

„Ha!" brummte Leia. (Sie war noch nicht dazu bereit, ihre stundenlange Odyssee durch einen Ozean aus falschen Passwörtern einfach so zu vergeben und zu vergessen.)

„Aber wir haben höchstens eine Minute ... eine noch größere Lücke in dem anderen Video wäre einfach zu auffällig gewesen ... Und das hier ist vielleicht für lange, lange Zeit meine einzige Gelegenheit, ganz offen mit dir zu sprechen ..." wisperte Siri.

Sie warf einen schnellen ängstlichen Blick über ihre Schulter, als fürchtete sie, jemand könnte sich in diesem Refugium an sie herangeschlichen haben und sie belauschen. Dann beugte sie sich ruckartig so weit vor und dabei so dicht an die Kamera heran, dass ihr Gesicht aus dem Fokus der Linse verschwand und Leia nur noch ihre Nasenlöcher und ihren Mund erkennen konnte und auch das nur mit Mühe.

„Du weißt doch, dass ich nur dein Bestes will, nicht wahr, Liebes?" raunte der verschwommene herrenlose Mund hektisch in das unsichtbare Mikrofon hinein. „Du bist ja wie ein eigenes Kind für mich und ich würde alles tun, um dich zu beschützen, einfach alles. Der Gedanke, dass du jetzt mutterseelenallein in Imperial City sitzt und gar niemanden mehr hast, der ein bisschen auf dich aufpasst, macht mich ganz krank.

Meine arme Kleine, ich mache mir solche Sorgen um dich! Und ich habe allen Grund dazu, oder nicht? Du bist noch so jung und so idealistisch und trotz allem immer noch viel zu vertrauensselig. Du hörst nur auf dein Herz und verschließt vor allem anderen die Augen. Aber du kannst niemandem vertrauen, Liebes, absolut niemandem! Coruscant ist eine einzige Schlangengrube ... jeder an diesem schrecklichen Ort denkt nur an sich selbst!

Ich sterbe vor Angst, wenn ich mir nur vorstelle, in was du vielleicht jetzt schon verwickelt bist oder bald sein wirst, wenn das so weiter geht. Und deshalb bitte ich dich inständig, Liebes ... nein, ich flehe dich an: Vertraue niemandem! Lass dich nicht in Dinge hineinziehen, die viel zu groß und viel zu gefährlich für dich sind. Lass dich nicht von irgendwelchen selbsternannten Möchtegern-Helden zu Taten anstiften, die dein ganzes Leben zerstören werden, wenn man dich dabei erwischt. Solche Leute sind bei all ihrem hochtrabenden Gerede immer nur an der Verwirklichung ihrer eigenen Pläne interessiert. Und sie haben mit Sicherheit nicht die geringsten Skrupel, wenn es darum geht, ein Mädchen in deiner einzigartigen Position wie eine Schachfigur hin und her zu schieben und schamlos auszunutzen. Und wenn irgendetwas schief geht, dann bringen sie sich schnell in Sicherheit, während du in der Schusslinie stehen bleibst wie eine lebende Zielscheibe, mein Kind. Oder glaubst du wirklich, dass sie im Ernstfall auch nur einen Gedanken daran verschwenden würden, was mit dir passiert?

Bitte hör auf mich, Liebes, ich meine es doch nur gut mit dir. Du darfst nicht alles glauben, was man dir erzählt. Du musst ..."

Und damit riss die Aufzeichnung ab – genauso unerwartet wie das erste Video.

Sie muss einen Timer für die Aufnahme eingestellt haben und dann ist ihr buchstäblich die Zeit davongelaufen, dachte Leia. Aber ich weiß ja auch so, was sie mir noch sagen wollte. Genau dasselbe wie mein Bruder: Dass ich auf mich aufpassen soll. Dass ich sehr, sehr, SEHR vorsichtig sein soll ...

„Was für ein Unsinn!" sagte Leia laut in die Stille ihres Zimmers hinein. "Also wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann Vorurteile! Wie kann man nur völlig grundlos mit wilden Verdächtigungen um sich werfen und Leute, die man nicht mal persönlich kennt, in Bausch und Bogen verurteilen? Und wie kann man einfach so den Stab brechen über einen Mann, der einem nur Gutes getan hat und dem man praktisch alles verdankt, was man hat und was man ist? Das ist nicht fair! Das ist ... ach ... einfach nur Unsinn!"

Doch dieser Ausbruch an selbstgerechter Empörung verhallte ebenso ungehört wie alles andere, was sich heute Abend in ihrem Schlafzimmer abgespielt hatte. Und ob es nun an der späten Stunde, an ihrer Müdigkeit, an einem plötzlichen Temperaturabfall in der Klimaanlage oder an dem geisterhaften Echo von Lukes und Siris kombinierter Katastrophenwarnung lag, auf einmal lief Leia eine Gänsehaut über den Rücken, vielleicht völlig grundlos, vielleicht aber auch nicht.

Fröstelnd machte sie sich daran, den Datenkristall zu formatieren bis auch die letzten Überreste des letzten Holos einen elektronischen Tod gestorben und ins Nirwana eines mehrfach gelöschten Pufferspeichers hinübergewandert waren.

Doch als Leia schließlich wieder in ihr Bett geschlüpft war und sich schaudernd erneut in einen Schutzwall aus Stofftieren und Kissen geschmiegt hatte, redete sie sich erfolgreich ein, dass es nur an ihren eiskalten Füßen lag, dass sie inzwischen so heftig zitterte, dass ihre Zähne klapperten wie bei einem fiebrigen Schüttelfrost.

Wie dumm von mir ... Ich hätte wenigstens Strümpfe anziehen sollen ...

Und das war ihr letzter bewusster Gedanke, bevor sie wieder ins Reich der Träume eintauchte, wo sie wie in so vielen Nächten zuvor durch die endlosen, verwinkelten, tunnelartigen Straßen einer fremden Stadt irrte, die allen Naturgesetzen widersprach und irgendwo in ihren brodelnden Abgründen ein verlorenes Zuhause verbarg, das Leia verzweifelt suchte, aber einfach nicht wiederfinden konnte ...

Fortsetzung folgt ...

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