XXI.


„... und jetzt sind wir schon bei fünfundzwanzigtausend Credits – wer bietet mehr? Dreißigtausend für den allgemein bekannten jungen Herrn in der zweiten Reihe… Fünfundreißigtausend für die blonde Lady in Blau in der Mitte… Nein, vierzigtausend für… Oh! Fünfundvierzigtausend für den Major da hinten links… Nein! FÜNFZIGTAUSEND für die reizende kleine Miss hier vorne!

Noch ein Gebot? Nein? Wirklich nicht? Also dann: Zum ersten, zum zweiten, zum dritten!" Der Auktionator hieb seinen kleinen Hammer auf das Stehpult und jubelte: „Verkauft! Ein Dinner mit Mister Mar Shelmerdee für eine sehr glückliche junge Dame mit einem äußerst großzügigen Papa!"

Das Publikum applaudierte begeistert, während die glückliche junge Dame, ein mit Schillerlocken und Zahnspangen verzierter Teenager in einem neonpinken Spitzenkleid, neben ihrer strahlenden Mama einen wilden Freudentanz aufführte. Der dazugehörige Papa, ein distinguiert wirkender grauhaariger Gentleman, der trotz all seiner Großzügigkeit gerade etwas säuerlich aussah, zückte mit resignierter Miene eine goldfarbene Kreditkarte und stakste zu dem Podium hinüber, um seinen Fang zu sichern und zu bezahlen. Seine aufgeregte Tochter hüpfte hinter ihm her wie ein Gummiball und himmelte das frisch ersteigerte Objekt ihrer Bewunderung unter sehr viel mädchenhaftem Gekicher an. Es fehlte nicht viel und sie hätte ihren künftigen Dinnerpartner gehätschelt und getätschelt wie ein neu erworbenes Katzenbaby in einem Haustier-Shop.

Mar Shelmerdee, dessen Gesichtsausdruck ebenfalls eine gewisse Resignation widerspiegelte, wechselte ein paar Worte mit seinem frischgebackenen Teilzeit-Besitzer (zweifellos eine Terminabsprache für das gemeinsame Abendessen, das er ihm und seinem immer noch wie besessen vor sich hin giggelnden Ableger nun schuldete!) und entwischte danach mit knapper Müh und Not sowohl ihm als auch einem ganzen Schwarm von etwas älteren, aber ebenfalls giggelnden Mädchen, die sich inzwischen um ihn geschart hatten wie Bienen um einen Honigtopf.

Er flüchtete in den abgelegensten Winkel des ziemlich überfüllten Saals, wo er bereits sehnsüchtig erwartet wurde, obwohl die kleine weiße Figur im Sichtschutz einer künstlichen Hecke aus eingetopften Roserybüschen ihre Sehnsucht recht geschickt mit einem spöttischen Halblächeln tarnte.

Dort angekommen, verkündete Mar mit einer leicht atemlosen Empörung: „Das war ja furchtbar! Ich bin mir vorgekommen wie auf einem Sklaven-Markt… Und dein Bruder hat mich einfach im Stich gelassen! Dabei hat er mir vorhin hoch und heilig versprochen, dass er alles tun wird, um mich frei zu kaufen und mir so eine Heimsuchung zu ersparen."

„Er hat es immerhin versucht", erwiderte Leia, die sich über die bevorstehende Heimsuchung ihres geplagten Freundes mehr amüsierte, als sie zugeben wollte. „Aber fünfzigtausend Credits sind wirklich ein bisschen viel, findest du nicht auch?"

„Ja, schon … Ich hätte nie gedacht, dass irgendjemand eine so hohe Summe für ein paar Stunden mit mir bieten würde", sagte Mar nachdenklich. „Wenn ich das geahnt hätte, dann hätte ich mich natürlich nie darauf eingelassen. Aber Cyntia hat darauf bestanden… wegen der Reklame und so. Also wenn du eine Managerin wie sie hast, dann bist du wirklich so etwas wie ein Sklave.

Und jetzt haben sie mich sozusagen verkauft und ich muss mit dieser kleinen Göre essen gehen. Die ist doch höchstens dreizehn. Und dann dieses schrille Gekicher die ganze Zeit: Hiii! Hiii! HIIIEEEH! Noch eine Oktave höher und man könnte Glas damit schneiden... Ich schwöre dir, das wird der längste Abend meines Lebens", stöhnte er.

„Es ist ja nur dieses eine Mal", tröstete Leia. „Das überstehst du schon irgendwie. Schalte einfach auf Durchzug und denk an all die armen obdachlosen Kriegswaisen, die dank deiner selbstlosen Aufopferungsbereitschaft bald ein funkelnagelneues Zuhause bekommen."

„Also wenn man es ganz genau nimmt, dann bin ich auch so etwas wie eine obdachlose Kriegswaise – oder jedenfalls war ich es. Und außerdem habe ich für die neue Aufbewahrungsanstalt der lieben armen Kinderchen schon zwei Gratisauftritte hingelegt, gestern bei dieser Matinee in der Metropolis-Galerie und heute hier."

„Und jetzt hast du dich hier eben auch noch versteigern lassen und für ein Dinner in deiner Gesellschaft dem Komitee der Wahrhaft Wohlwollenden Wichtigtuerinnen eine ordentliche Stange Geld eingebracht, was natürlich seeehr nobel und edel und großmütig von dir war. Wenn du so weiter machst, ernennen sie dich bestimmt bald zum Philantropen des Jahres und stellen dich irgendwo auf einem hübschen Marmorsockel zur öffentlichen Besichtigung, Verehrung und Anbetung aus – vielleicht sogar in der Metropolis-Galerie, wenn du Glück hast", neckte Leia.

Mar grinste plötzlich und seine dunkelbraunen Augen funkelten vor Belustigung. „Ja, ja, lach mich ruhig aus – das habe ich wohl verdient, was?"

„Nur ein ganz kleines bisschen", versicherte Leia und lachte jetzt wirklich.

„Sag mal, wo ist Luke eigentlich abgeblieben?" Mar reckte seinen Hals und spähte hinter dem mit korallenroten Blüten übersäten lebenden Wall hervor. „Na so was… Spurlos verschwunden… Versteckt er sich etwa vor mir?"

„Eher vor unserer Mutter und ihren Komitee-Hyänen. Sie wollten ihn dazu überreden, sich heute auch versteigern zu lassen, aber er hat sich geweigert. Jetzt ist er wahrscheinlich abgetaucht, damit sie ihn nicht doch noch in letzter Minute in die Enge treiben und auf die Bühne zerren."

„Er hätte nachgeben sollen… für die vom Schicksal gebeutelten Waisen und so. Ist es nicht das, was ein Prinz in Warteschleife tun sollte? Außerdem würden die Leute für einen Abend mit dem allseits bekannten Junior-Vader locker hunderttausend Credits rausrücken – oder vielleicht sogar noch viel mehr."

„Ach, du kennst doch Luke. Er hasst es, im Mittelpunkt zu stehen. Sie müssten ihn schon in Ketten legen, um ihn da rauf zu kriegen und ihn dieser ganzen Bande von Geldsäcken sozusagen auf dem Silberteller zu präsentieren, bis sie ihre Scheckbücher rausholen. Nein, nein, mein liebes Brüderchen ist getürmt. Er wird erst wieder auf der Bildfläche erscheinen, wenn sie mit der Auktion fertig sind – oder wenn sie das Büfett eröffnen. Das lässt er sich bestimmt nicht entgehen."

Mar kicherte jetzt selber vor sich hin. „Also das glaube ich dir aufs Wort. Und was ist mit dir? Versteckst du dich auch vor Ihrer Ladyschaft und ihren Möchtegern-Sklavenhändlerinnen?"

Leia zog einen vielsagenden Flunsch, der eigentlich jede verbale Antwort überflüssig machte. Natürlich war auch sie auf der Flucht vor Padmé und den anderen Damen des WWW (Wohlfahrtsausschuss für Witwen und Waisen).

Aber sie konnte sich einen weiteren bissigen Kommentar nicht verkneifen, also riss sie ihre großen Rehaugen noch weiter auf und säuselte mit gut gespielter Unschuld: „Was denn… du denkst doch nicht etwa, dass ich der perfektesten Mutter und Säulenheiligen aller Zeiten und ihren Wirklich Wohlhabenden Weibsbildern aus dem Weg gehe?"

„Man könnte fast den Eindruck gewinnen, wenn man sieht, wie du dich hier in den Ecken herumdrückst."

„Das kommt dir nur so vor", behauptete Leia, doch ihr schelmisches Augenzwinkern widerlegte ihren Einspruch sofort wieder. „In Wirklichkeit stehe ich einfach nur hier herum, um die Spenderliste abzuhaken und unsere Einnahmen zu zählen – aus sicherer Entfernung natürlich, damit es nicht so auffällt und wir nicht so geldgierig wirken."

„Na, das wäre ja auch zu peinlich, nicht wahr? Außerdem könnte ganz offen und schamlos gezeigte Habgier eure Wohltäter kopfscheu machen und bei ihnen so eine Art Verstopfung in den Spendierhosen verursachen", flachste Mar.

„Genau so ist es! Es ist also viel besser, ganz diskret im Hintergrund zu bleiben."

„Natürlich", erwiderte Mar mit todernster Miene. „Und weil das so wichtig ist, sollten wir uns jetzt lieber ganz diskret zurückziehen – am besten in Richtung Bar. Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber mich macht dieses ganze Mildtätigkeits-Getue schrecklich durstig."

„Ja, diese muffigen Ausdünstungen von aufgesetzter Hilfsbereitschaft und vorgespiegelter Herzensgüte trocknen eindeutig die Schleimhäute aus. Ich fühle mich schon wie ein gestrandeter Fisch – ausgedörrte Kiemen und kurz vor dem Ersticken."

„Na, dann lass uns diesen Fisch schnell in irgendein Wasserbecken werfen, um ihn vor dem sicheren Tod zu bewahren. Ich glaube, ich habe irgendwo da draußen einen wirklich netten Springbrunnen gesehen – sogar mit einer Schaumwein-Fontäne!"

„Das hört sich gut an. Wenn diesen Fisch irgendetwas am Leben erhält, dann eine ordentliche Ladung Schaumwein und das sofort."

„Dann sind wir uns ja einig. Darf ich bitten, Mylady?"

Mar reichte seiner Begleiterin galant den Arm und Leia hakte sich mit einem graziösen Nicken bei ihm ein.

Sie gingen davon, lebhaft schwatzend und scherzend. Sie waren so miteinander beschäftigt, dass sie gar nicht mitbekamen, dass sie verfolgt wurden. Keiner von ihnen merkte, dass die Blondine in dem blauen Abendkleid, die erfolglos versucht hatte, Mar bei der Auktion zu ersteigern, und ihn und Leia seither nicht mehr aus den Augen ließ, in einigem Abstand hinter ihnen her trippelte.

Und die rothaarige Amazone in der smaragdgrünen Robe, die sie alle schon seit geraumer Zeit mit Argusaugen beobachtete und der kleinen Gruppe jetzt mit langbeinigen geschmeidigen Schritten nach pirschte wie ein hungriger Pardeg einer Herde Antilopen, bemerkten sie schon gar nicht...

oOoOoOo

Auch die Bar war ausgesprochen gut besucht – vor allem von gelangweilt wirkenden Offizieren in Galauniformen, die offensichtlich nur kurzfristig ihren Ehefrauen oder ähnlich anspruchsvollem weiblichen Anhang entkommen waren, um hier schnell noch ein bisschen Treibstoff aufzutanken oder ganz allgemein ihre Kräfte zu sammeln, bevor sie dazu gezwungen wurden, sich der Schlacht am kalten oder auch nicht kalten Büfett zu stellen oder (noch schlimmer!) gleich anschließend das Tanzbein zu schwingen.

Die Hocker am Tresen waren also besetzt und die meisten anderen Sitzgelegenheiten auch, aber Mar fand nach einem kurzen Rundblick doch noch einen freien Tisch in einer besonders schummerigen Ecke und lotste seine Begleiterin zielsicher hinüber. Als es ihm auch noch gelungen war, Leia und sich mit Gläsern und einer großen Karaffe mit einer rubinroten perlenden Flüssigkeit zu versorgen, setzten sie ihre Unterhaltung fort.

Doch trotz der anregenden Wirkung ihres spritzigen (und alkoholträchtigen) Getränks schwenkte ihr leichtherziges Geplauder schnell auf ernstere Töne um, denn nachdem Mar ein wenig über sich erzählt und auf seine witzige Weise ein paar geistreiche Anekdoten zum Besten gegeben hatte, erkundigte er sich mit aufrichtigem Interesse nach Leias Befinden.

Es war das erste Mal seit seiner Rückkehr, dass sie ganz persönlich, Auge in Auge miteinander redeten. Bisher war Mar so sehr mit dem Einzug in seine neue Wohnung und den Proben für seine Benefiz-Auftritte beschäftigt gewesen, dass er nur Luke zwischendurch kurz getroffen hatte. Mit Leia dagegen hatte er nur via Kom gesprochen (sogar zweimal!). Aus diesem Grund bestand bei ihm noch ein gewisser Nachhol- oder vielmehr Aufklärungsbedarf, zumindest was Leias gegenwärtige Situation und ihre Gedanken zu diesem Thema anging. Luke war in dieser Hinsicht nämlich eine eher dünnflüssige Informationsquelle und Leia selbst äußerte sich am Kom grundsätzlich niemals über das, was sie wirklich bewegte – man konnte ja nie wissen, wer mithörte.

Aber jetzt hatte sie endlich Gelegenheit sich richtig mit Mar auszutauschen oder vielmehr ihr Herz auszuschütten. Und Leia hatte eine Menge auszuschütten – auch wenn sie natürlich niemals alles sagen durfte, was sie auf dem Herzen hatte. Es gab Dinge, über die Leia mit niemandem reden konnte – zurzeit nicht einmal mit der einzigen Person, der sie sonst wirklich alles anvertrauen konnte. Es überraschte sie selbst, wie einsam und verlassen sie sich dadurch fühlte. Es war, als wäre sie mutterseelenallein auf der dunklen Seite eines unbewohnten Mondes ausgesetzt worden…

Aber mit Mar Shelmerdee unter vier Augen ganz offen über ihre unerträglichen Eltern und all die anderen Geißeln ihrer Existenz reden zu können, war schon eine große Erleichterung, denn ihm konnte sie immerhin alles anvertrauen, was unweigerlich zu einem Streit oder wenigstens zu einer nervenzermürbenden und kräftezehrenden Diskussion geführt hätte, wenn sie es ihrem Bruder auf die Nase gebunden hätte.

Doch Mar lauschte voller Anteilnahme und bekundete sein Mitgefühl an genau den richtigen Stellen. Er verstand Leia vollkommen, und auch wenn er ihr nicht helfen konnte, tat es einfach gut, bei ihm ein wenig Ballast abzulassen. Er war so warmherzig und durch und durch liebenswert…

Leia betrachtete sein intelligentes, empfindsames Gesicht in dem weichen und durchaus romantischen, wenn auch etwas diffusen Flackerlicht der LED-Kerze, die zwischen ihnen stand, und dachte im Stillen, dass es nur allzu leicht gewesen wäre, ihre eigene unreife Hals-über-Kopf-Teenager-Schwärmerei zu vergessen und sich hier und jetzt ganz ernsthaft in Mar Shelmerdee zu verlieben.

Aber das kam natürlich gar nicht in Frage – leider! Wenn sie sich diesbezüglich jemals irgendwelchen Illusionen hingegeben hatte, dann war es damit schon lange vorbei. Leia wusste nur zu genau, wie ihre Zukunft aussehen würde, wenn nicht bald ein echtes Wunder geschah und sie durch irgendeine völlig unvorhersehbare Wendung von diesem traurigen Los erlöst wurde. Sie wusste längst, dass ihr eines Tages eine arrangierte Heirat mit irgendeiner x-beliebigen, für das Imperium nützlichen Strohpuppe bevorstand und dass man sie in diese Ehe hineinzwingen würde, wenn sie sich dagegen wehrte – notfalls mit roher Gewalt.

Die einzige Möglichkeit, jemals mit jemandem wie Mar zusammenzukommen und so etwas wie wahre Liebe zu erfahren, würde zwangsläufig in einer Affäre bestehen, die sie beide vor den Augen ihrer Welt verschleiern mussten. Nur ein paar gestohlene Stunden hier und da... und selbst diese kostbare kurze Zeit immer überlagert von der Furcht, entdeckt zu werden… immer in der Angst, dass irgend jemand zu wirklich drastischen Mitteln greifen würde, um sie wieder auseinander zu zerren, um sie für immer voneinander zu trennen…

Und ich könnte es nicht ertragen, wenn Mar etwas zustößt… Ich würde lieber sterben, als das zuzulassen, dachte Leia.

Um das zu vermeiden, blieb ihr also gar nichts anderes übrig als tapfer zu sein und zu verzichten – obwohl sie von Anfang an etwas für Mar gefühlt hatte und auch immer gespürt hatte, dass er ihre Gefühle erwiderte. Und plötzlich schossen ihr Tränen in die Augen… Es war wirklich zu albern, aber sie konnte es einfach nicht verhindern...

Mar griff sofort über den Tisch hinweg und umschloss ihre Hand mit einem warmen, festen Griff, er drückte ihre schmalen Finger, tröstend und ermutigend zugleich. Leia konnte die etwas raue Hornhaut an seinen Fingerkuppen fühlen (die Relikte des jahrelangen harten Drucks von stählernen Geigensaiten, die er trug wie ein Soldat seine Kampfnarben), aber ihr kam es so vor, als wäre sie nie zuvor so sanft, so unendlich zart berührt worden.

„Ach Leia...", sagte er sehr leise.

Und da war eine Traurigkeit in seinen ausdrucksvollen Augen, die ihr verriet, dass in diesem schwebenden, fragilen Moment zwischen ihnen alles so klar war, wie es nur sein konnte. Es war gar nicht nötig, es laut auszusprechen; sie brauchten keine wortreichen Erklärungen und gegenseitigen Beteuerungen.

„Es ist schon gut… Ich komme schon irgendwie zurecht. Und du auch", wisperte Leia.

Aber so einfach war das nicht (nicht wirklich!) und sie wussten es beide.

Nach ein oder zwei ergriffenen Schweigeminuten versuchten sie es wieder mit einem etwas entspannteren Smalltalk, aber die Stimmung war eindeutig gekippt und sie konnten nicht mehr zu dem munteren Ton zurückfinden, den sie jetzt so dringend gebraucht hätten. Und so war es wirklich gut, dass Leias vermisster Zwilling sich so plötzlich direkt neben ihnen materialisierte wie ein Flaschengeist aus einer entkorkten Flasche.

„Hey! Da bin ich wieder", verkündete er strahlend.

Er ließ sich auf den einzelnen freien Stuhl zwischen ihnen fallen, griff nach der Weinkaraffe und füllte Leias Glas bis zum Rand, um es dann ganz ungeniert in einem Zug hinunter zu schütten.

„Aaah!", seufzte er zufrieden. „Das hat gut getan!"

„Schön, dass es dir schmeckt", erwiderte Leia ironisch und gab ihrem Bruder einen kleinen Klaps auf den Arm, um ihm gleich mal zu zeigen, was sie wirklich von seiner schamlosen Selbstbedienung hielt.

„Es ist also nicht der Futtertrog, es ist die Tränke, die Luke magisch anzieht", sagte Mar mit einem Augenzwinkern. „Wenn wir das nur schon früher gewusst hätten! Dann hätten wir ihn vorhin gleich aus seinem Schlupfwinkel rauslocken können."

„Hey! Höre ich hier etwa eine gewisse und nicht besonders subtile Kritik an meinem genialen kleinen Verschwindetrick?"

„Aber neeein!", sagte Mar gedehnt. „Wie kommst du denn darauf? Es ist ja nicht so, als ob du uns gefehlt hättest – und schon gar nicht mir, als ich eben da oben herumstand wie ein Idiot… oder wie ein preisgekröntes Schaf auf einem Bauernmarkt!"

Aber Luke lachte nur.

„Eher wie eine ganze preisgekrönte Schafherde", erwiderte er fröhlich. „Tut mir wirklich Leid, Kumpel, aber bei solchen Summen kann ich nicht mehr mithalten. Dad ist ja nicht knauserig, aber wenn er meine Kontoauszüge checkt und sieht, dass ich an einem einzigen Tag ganze fünfzigtausend Credits auf den Putz gehauen habe, dann löchert er mich zuerst mit tausend Fragen und hält mir gleich danach einen mindestens zwanzig Minuten langen Vortrag über Verschwendungssucht und Verantwortungsgefühl und all die anderen Tugenden, die mir angeblich abgehen. Und das kann ich mir einfach nicht antun!

Lieber übernehme ich dein Abendessen mit diesem Zahnspangen-Fratz – und das ist wirklich ein Angebot, das ich dir nur aus reinem Altruismus mache, denn um das Gewieher von dieser Kleinen länger als vier Sekunden ertragen zu können, braucht man schon einen Schallschutz-Kopfhörer!"

„Ach ja? Dann muss ich mir wohl so einen Kopfhörer besorgen, denn ihr Dad hat mich gekauft und nicht dich."

„Der Preis des Ruhms… Armer Mar – kannst du mir das jemals verzeihen?", fragte Luke mit eindeutig scheinheiliger Verzweiflung, denn seine klaren blauen Augen glitzerten immer noch vor Schalk.

„Irgendwann schon", murmelte Mar. „Vielleicht", fügte er rasch hinzu, als sein Freund für seinen Geschmack ein wenig zu schnell aufatmete.

Doch Luke faltete die Hände vor dem Mund wie ein improvisiertes Sprachrohr und tönte mit gut geheuchelter Euphorie: „Hört, hört! Spitzt die Lauscher und hört alle zu! Mar Shelmerdee, mein teurer Freund und Waffenbruder im Geiste hat mir vergeben!"

Mar lachte – er konnte gar nicht anders.

Die Offiziere an der Bar, die das Geplänkel zwischen den drei jungen Leuten teils amüsiert, teils skeptisch mitangesehen hatten, lächelten jetzt oder runzelten die Stirn – je nach ihrer mentalen Grundhaltung oder ihrer aktuellen Gemütsverfassung.

Nur die Blondine und der Rotschopf, die sich schon vor einer Weile ebenfalls an frei gewordenen Plätzen niedergelassen hatten, verzogen keine Miene.

Leia dagegen gab dem kleinen Großmaul neben ihr gleich noch einen Klaps (etwas härter jetzt!) und zischelte ihm ins Ohr: „Geht's vielleicht noch ein bisschen lauter und auffälliger, Bruderherz, oder hast du dich jetzt endlich genug aufgespielt?"

„Sei doch nicht immer so eine Spaßbremse!", erwiderte Luke, der seine übermütigen fünf Minuten zu haben schien.

„Du weißt genau, dass du dich nicht so aufführen sollst: Keine Szenen in der Öffentlichkeit. Und ganz allgemein ein bisschen mehr Manieren, Mylord!"

„Herrje, ich bin ja noch nicht mausetot! Oder soll ich mich wirklich so verhalten, als wäre ich es? Ist jetzt schon jedes kleine Lebenszeichen verboten?"

„Luke, bitte!", raunte Leia, die einen Blick in die Runde geworfen und dabei festgestellt hatte, dass ihr Tisch nun tatsächlich im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit stand.

Und es waren nicht nur Uniformträger, die zu ihnen hinüber starrten. Links neben dem Tresen saß eine junge Frau, die mit ihrer langen wallenden silberblonden Mähne und ihrem wasserblauen, mit glitzernden kristallenen Tautropfen bestickten Kleid vage an eine Nixe erinnerte, die gerade eben ihr nasses Element verlassen und irgendeinen Strand erklommen hatte. Und auf der entgegensetzte Seite thronte eine rothaarige Person in einem tief ausgeschnittenen, sehr figurbetonten Etwas aus dunkelgrünen Samt, das sich an ihre üppigen Kurven schmiegte wie eine zweite Haut.

Es bestand gar kein Zweifel daran, dass auch diese jungen Damen völlig unabhängig voneinander ihre Blicke mit relativ unverhohlener Neugier auf die Gruppe am Ecktisch geheftet hatten, zumal sie beide sofort demonstrativ ihre Köpfe wegdrehten, als sie sich von zornig zusammengekniffenen goldbraunen Augen bei ihrer ungezogenen Gafferei ertappt fühlten.

Und Leia, deren Zorn prompt erlosch, empfand plötzlich ein unerklärliches Unbehagen, das sie zu einem spontanen Rückzug veranlasste...

„Wir sollten jetzt lieber gehen", murmelte sie.

„Hab ich es nicht gesagt? Sie ist eine Spaßbremse!", teilte Luke seinem teuren Freund und Ex-Waffenbruder mit, aber jetzt immerhin in einem diskreten Flüsterton.

Trotzdem stand er gehorsam auf – er hatte keine Lust auf einen dritten Knuff. Mar ahmte ihn gleich nach (obwohl er keinerlei Befürchtungen in diese Richtung hegen musste!), und so steuerten die drei nur Sekunden später erneut den Auktionssaal an.

Dieser hatte sich inzwischen in einen improvisierten Ballsaal verwandelt. Auf dem Podium machte sich jetzt eine fünfköpfige Band breit und die Stühle, die vorhin noch in ordentlichen Reihen die Mitte des Raumes beherrscht hatten, waren an die Wände geschoben worden, um Platz zu schaffen.

Die Band begann einen flotten Song zu spielen und ein sehr junges Pärchen, das offenbar schon darauf gelauert hatte und es kaum noch erwarten konnte, glitt sofort auf die Tanzfläche und legte unter viel schwungvollem Gezappel eine ebenso flotte Sohle auf das Parkett. Ein älteres Paar (möglicherweise Verwandte von ihnen oder andere von Mitleid erfüllte Erwachsene!) gesellte sich ausgesprochen hastig zu ihnen und begann mit etwas mehr Eleganz und vor allem sehr viel mehr Würde zu tanzen.

Allmählich strömten immer mehr Gäste herein. Hier und da formierten sich weitere Tanzpaare, aber die meisten von ihnen blieben wie Leia und ihre Begleiter einfach nur stehen und sahen den anderen zu.

Dafür gab es auch einen guten Grund: Durch die geöffnete Tür zum Nebenraum hallte bereits ein verheißungsvolles Klappern und Klirren von Servierplatten und anderem Geschirr und eine verlockende Duftfahne von exotischen Gewürzen wehte zu den Besuchern heraus. Luke Vader war nicht der einzige, der jetzt begehrlich schnupperte.

„Zum Glück hat Mutter dafür gesorgt, dass der Catering-Service heute auch mal ein paar warme Sachen anbietet. Wenn wir Glück haben, kriegen wir vielleicht sogar ein nettes saftiges Grill-Steak oder so was in der Art", sagte er fidel. „Diese ewigen eiskalten Hummermayonnaisen und Krabbensalate und Muschelpasteten und was noch alles hängen mir nämlich wirklich langsam zum Hals raus."

„Ein echter Soldat braucht eben etwas Herzhaftes zwischen die Rippen, um bei Kräften zu bleiben, was?", frotzelte Mar.

„Ja, genau", stimmte Luke zu. „Also was ist? Gehen wir gleich rüber? Oder wollt Ihr beiden etwa noch hier bleiben und auch durch die Gegend wackeln wie R2 mit einem Kurzschluss?"

„Oh ja, genau das wollen wir, Brüderchen – nicht wahr, Mar?"

„Allzeit bereit ... wie sie auf Carida immer gesagt haben."

Luke schnitt eine kleine Grimasse, rang sichtlich mit sich und meinte dann mit brüderlicher Nachsicht (und mit einer gewissen Überwindung!): „Na schön, dann schiebt von mir aus eben ab. Ich warte sogar auf euch. Aber ich warne euch: Länger als zwei Runden halte ich das nicht aus, also kommt jetzt bloß nicht auf die Idee, hier gleich stundenlang herum zu hoppeln. Das könnt ihr nachher immer noch, okay?"

„Also deine Tanzstunden waren wirklich eine Geldverschwendung", erwiderte Leia mit ihrem süßesten Lächeln.

„Hey, so schlecht bin ich gar nicht darin. Ich steh nur nicht auf dieses ganze Gehüpfe und Gehopse und die Verrenkungen und all das."

„Er wird der perfekte Prinz… so viel steht fest", sagte seine scharfzüngige kleine Schwester mit einem unleugbaren Hauch von Gift in ihrer melodischen Stimme.

Und schon wehte sie mit Mar Shelmerdee davon, anmutig wie eine Seifenblase in einer warmen Brise, während die mit Pailletten besetzte kurze Schleppe ihres elfenbeinfarbenen Satinkleides schimmernd hinter ihr her schlängelte wie das schuppige Schwanzende einer Schneeflockenviper.

Weiß. Immer nur Weiß. Leia trug jetzt nie mehr eine andere Farbe in der Öffentlichkeit. Es war ihr Markenzeichen. Zumindest war es das, was sie immer behauptete, wenn sie sich mit Padmé wegen der monochromen Eintönigkeit ihrer Outfits zankte. Doch in Wirklichkeit war es ein politisches Statement. Die Farbe der Unschuld – und natürlich der deutlichste Gegensatz zu dem stylischen Schwarz, in das ihr Vater sich zu hüllen pflegte.

Luke sah ihnen mit einem Achselzucken nach, bevor er aus purer Langeweile dazu überging, die anderen Zuschauer zu betrachten. Aber es dauerte nicht lange, bis er in dem Meer aus fremden Gestalten und nichtssagenden Gesichtern ein etwas interessanteres Objekt ausmachte. Oder eigentlich gleich zwei...

Sieh mal einer an, dachte er halb belustigt, halb angewidert. Mars Fans schrecken aber auch wirklich vor gar nichts zurück. Goldlöckchen da drüben klebt ihm scheinbar schon seit der Auktion ununterbrochen an den Fersen und verschlingt ihn jetzt regelrecht mit den Augen. Und die rote Sexbombe gleich neben ihr auch. Das grenzt ja schon an Stalking… Ja, ja, der Preis des Ruhms…

Doch dann drehte sich die Rothaarige plötzlich zu ihm um, als hätte sie seinen inquisitorischen Blick irgendwie gespürt… und Luke Vader erstarrte fast zu Stein!

Nein … Das kann sie nicht sein … Oder vielleicht doch?

Er trat unwillkürlich einen Schritt vor, machte eine Bewegung auf die Frau zu. Aber ausgerechnet in diesem Augenblick quoll ein neuer Pulk von fremden Leuten aus dem Korridor herein und als Lukes Sichtfeld wieder frei war, war die Rothaarige fort.

Er drängte sich durch die Menschenmenge, die jetzt die Tür blockierte, auf den Flur hinaus. Dort hielt er eine ganze Weile Ausschau nach diesem flammenden Herbstfeuer-Haarschopf, aber die Frau blieb verschwunden. Es war, als wäre sie von den rötlichen Marmorfliesen ringsum aufgesogen oder geradezu verschluckt worden.

Wo kann sie nur so schnell abgeblieben sein? Das ist ja richtig schräg… Als hätte sie sich in Luft aufgelöst oder so was...

Verwirrt und beunruhigt zugleich kehrte Luke schließlich in den Ballsaal zurück, wo er etwas ungnädig in Empfang genommen wurde.

„Wo warst du denn? Erst machst du einen halben Zwergenaufstand, damit wir dich auch ja nicht eine Minute zu lange warten lassen, und dann lässt du uns auf dich warten!", sagte Leia ärgerlich.

Doch Mar studierte Lukes Gesicht und fragte: „Was hast du denn? Du bist ja ganz blass um die Nase. Bist du so ausgehungert oder hast du gerade einen Geist gesehen?"

„Vielleicht habe ich das wirklich", brummte Luke.

Und mit dieser rätselhaften Äußerung mussten sich seine Gefährten begnügen, denn zu weiteren Erläuterungen war er nicht gewillt.

Aber obwohl sich das Trio nun endlich zur Futteraufnahme bewegte, wie Mar Shelmerdee es ausdrückte, blieb Luke Vader wachsam – und deshalb entging es ihm auch nicht, dass die andere Frau, die er in Gedanken Goldlöckchen getauft hatte, ihnen hartnäckig auf den Fersen blieb.

Wenn Mar die Frau überhaupt zur Kenntnis nahm, so schien ihn ihre Beharrlichkeit jedenfalls nicht stutzig zu machen – er hatte aus reinem Selbsterhaltungstrieb gelernt, allzu aufdringliche Autogrammjäger und ähnlich penetrante Bewunderer einfach zu ignorieren, weil er sonst keine ruhige Minute mehr gehabt hätte.

Doch Leia linste zwei oder dreimal gedankenverloren zu dem Anhängsel hinüber, wie ihr Bruder mit Interesse vermerkte, und machte dabei jedes Mal funkelnde schmale Schlitzaugen.

Ach je, meine kleine Schwester wird doch nicht etwa auf ein Fangirl eifersüchtig sein, dachte Luke erheitert.

Er versuchte Leias Stimmung zu lesen, was er gelegentlich tat, um sich besser auf ihre Laune (oder eher Launen!) einstellen zu können, doch zu seiner Überraschung prallten seine vorsichtig abtastenden Machtfühler an einem gänzlich unerwarteten Hindernis ab. Es war, als wäre Leia plötzlich von einer Glasglocke umgeben. Er konnte sie noch wahrnehmen, aber er kam nicht mehr an sie heran. Nicht wirklich...

Und das war eindeutig noch sehr viel verwirrender und beunruhigender als das rothaarige Pseudo-Gespenst! Es war sehr, sehr merkwürdig… und es eröffnete ganz neue, ganz unverhoffte Möglichkeiten und Optionen...

Aber dies war weder die richtige Zeit noch der richtige Ort, um Leia darauf anzusprechen, zumal…

„Mar hat dich gerade gefragt, ob du auch eins von diesen Creme-Desserts willst – schon zum zweiten Mal! Hörst du nicht zu, Luke?"

„Äh … doch … Ja, ich nehme auch eins", antwortete Luke, der immer noch leicht geistesabwesend war.

Er grübelte darüber nach, ob es überhaupt eine richtige Zeit oder einen richtigen Ort gab, um seine reizbare Schwester auf dieses besonders heikle Thema anzusprechen. Und gleich anschließend fragte er sich unversehens voller Sorge, was eine andere und noch sehr viel reizbarere Person von dieser Neuigkeit halten würde. Ganz zu schweigen von einem gewissen Jemand, der sich in letzter Zeit an Luke klammerte wie ein hungriger Kraken…

Und er kam zu dem traurigen Schluss, dass es vielleicht für sie alle besser war, wenn er zunächst den Mund hielt und einfach abwartete, wie sich die Dinge weiter entwickelten. Leia vor ganz bestimmten Möglichkeiten und Optionen zu beschützen, war eindeutig viel wichtiger…

„Ich muss mal kurz weg, um… mir die Nase zu pudern", sagte Leia, was im Klartext hieß, dass sie einem Ruf der Natur folgen musste. „Ich bin gleich wieder da. Und macht in der Zwischenzeit bloß keine Dummheiten, ihr zwei! Ich bin schließlich für euch verantwortlich, weil ihr nicht auf euch selbst aufpassen könnt."

Sie war schon ein paar Meter weiter, bevor Luke eine halbwegs passende Replik auf diese ziemlich dreiste Unterstellung einfiel, also verkniff er sich eine Antwort und begnügte sich mit einem ausdrucksvollen Augenrollen (während Mar natürlich nur zärtlich und gänzlich kommentarlos vor sich hin lächelte!).

Doch erst als Leia schon zur Tür hinaus eilte, fiel ihm auf, dass Mars blonde Anbeterin offenbar ebenfalls von dem dringenden Wunsch beseelt war, sich ihre Nase zu pudern, denn sie ging seiner Schwester nach und das ziemlich schnell.

„Dass Mädchen immer gruppenweise aufs Örtchen gehen müssen", sagte er zu Mar. „Wie ein Rudel Manatakühe zu ihrem Wasserloch."

Der Vergleich war nicht unbedingt schmeichelhaft, traf aber irgendwie den Punkt, wie Luke fand.

Was Leia anging, so hegte sie keinerlei Sympathie für den bekannten Herdentrieb ihrer Geschlechtsgenossinnen. Und so kam es, dass sie etwas ungehalten war, als sie ihre mit synthetischen Duftstoffen geschwängerte Kabine in der Damentoilette verließ, den mit blankpolierten Spiegeln und porentief reinen Porzellanbecken ausgestatteten Waschraum betrat und dabei registrierte, dass sie bei der eventuell fälligen Nachbesserung ihrer Kriegsbemalung Gesellschaft haben würde. Und dass es sich dabei ausgerechnet um die höchst unerwünschte Meerjungfrau handelte, die jetzt vor der langgestreckten Spiegelfront stand und entschieden übereifrig ihre langen welligen weißblonden Strähnen striegelte, war auch nicht gerade erfreulich.

Leia wandte sich mit einem missbilligenden kleinen Schniefen von ihrem lästigen Schatten ab…

Also wirklich! Manche Leute laufen einem einfach zu oft über den Weg!

… und überprüfte mit einem kritischen Blick ihre eigene Erscheinung, wobei sie feststellte, dass ihre Nase tatsächlich ein wenig glänzte. Aber die sorgfältig drapierte Krone aus hochgesteckten Flechten, die ihren Hinterkopf zierte, saß dafür immer noch erfreulich fest (dank gefühlt hundert Haarnadeln, die Maalin die Gründliche zu genau diesem Zweck in Leias Frisur hineingerammt hatte!) und so gut wie perfekt. Also zückte sie nur ihre Puderdose und stäubte mit einer zierlichen Pinselquaste einen Hauch von dezent getöntem Kompaktpuder auf ihren Nasenrücken.

Während sie diese Operation vornahm, sah sie aus dem Augenwinkel, dass ihre nixenhafte Nachbarin aus unerfindlichen Gründen ihre bereits makellos getuschten Wimpern mit Hilfe einer winzigen Mascarabürste noch einmal übertünchte, obwohl dieser Vorgang sie garantiert mit zwei unattraktiven Kränzen aus dicken steifen pechschwarzen Fliegenbeinen auf ihren Lidern zurücklassen würde.

Oder sie will einfach nur Zeit schinden, um mich noch länger anglotzen zu können. Manche Leute wissen einfach nie, wann sie aufhören sollten...

Leia rümpfte verdrossen ihr frisch mattiertes Näschen und rückte die Kette aus silbernen Dreiecken an ihrem Hals wieder zurecht. Der massive und entsprechend schwere Karabinerhaken, der als Verschluss diente, hatte die nervtötende Angewohnheit, immer wieder nach unten zu rutschen, so dass er über ihrem Schlüsselbein baumelte, statt hinten an ihrem Nacken zu bleiben, wo er eigentlich hingehörte.

Sie überlegte gerade müßig, ob sie das ohnehin viel zu plumpe Teil durch eines ersetzen lassen sollte, das etwas graziler und vor allem sehr viel leichter war, was dieses Problem sicher beheben würde, als die Nixe plötzlich und ohne jede Vorwarnung auf ihren hohen Stöckelabsätzen kehrtmachte und direkt auf sie zu stolzierte.

„Sie haben etwas verloren", sagte sie mit einer süßen Singsang-Stimme, die wie ein klingelndes Messingglöckchen klang.

Und dann streckte sie ihre Hand aus und ließ einen kleinen runden Gegenstand auf die schmale gläserne Konsole unter Leias Spiegel fallen.

„Der gehört Ihnen. Ich habe gesehen, wie er vorhin aus Ihrer Handtasche gefallen ist, bevor Sie hier reingegangen sind."

„Was?!"

Diese etwas einsilbige Rückmeldung war alles, was Leia herausbrachte. Doch mehr war auch gar nicht nötig, wie sich herausstellte, denn schon im nächsten Augenblick trat die Nixe so dicht neben sie, dass ihr warmer Atem Leias Wange streifte.

Sie beugte ihr silberblondes Köpfchen noch etwas weiter vor und raunte: „Elora lässt grüßen!"

Es kam so rasch und so leise, dass es kaum zu verstehen war. Tatsächlich bewegten sich die Lippen der jungen Frau fast gar nicht, während sie diese drei Worte wisperte – ein geübter Bauchredner hätte es nicht viel besser machen können.

Und noch bevor Leia überhaupt darauf reagieren konnte, stöckelte sie auch schon davon. Die Tür glitt hinter dem schmalen hellblauen Schemen zu und Leia war endlich alleine.

Sie war so perplex, dass sie einen Moment lang einfach nur regungslos stehen blieb. Dann griff sie ganz mechanisch nach dem Gegenstand auf der Ablage über ihrem Waschbecken. Es war ein transparenter Kunststoffchip, nicht viel größer als ihr Daumennagel. Auf seiner Vorderseite war in dünnen schwarzen Ziffern die Nummer 128 eingestanzt.

Leia erkannte ihn sofort als Gegenstück zu ihrem eigenen Chip, der allerdings die Nummer 163 trug und auch immer noch brav in einem Seitenfach ihrer Handtasche ruhte, wo sie ihn gleich nach ihrer Ankunft verstaut hatte, nachdem sie ihren Umhang an der Garderobe abgegeben hatte. Sie erinnerte sich noch daran, wie schnell einer der Droiden dort ihr mit Pelz verbrämtes Cape weggehängt hatte, während ein anderer ihr diesen Chip überreicht hatte.

Sie zauderte ein paar Sekunden lang, steckte den fremden Chip dann aber rasch zu seinem Pendant und ging wieder hinaus. Äußerlich war ihr nichts anzusehen, als sie in den Speisesaal zurückkehrte, ihr Gesicht blieb völlig ausdruckslos, aber hinter dieser beherrschten Maske rasten ihre Gedanken und schlugen Purzelbäume.

Zumindest eines war jetzt klar, glasklar: Die seltsame Blondine hatte gar nicht Mar Shelmerdee die ganze Zeit über beobachtet wie ein Sperber, sondern sie selbst. Sie hatte Leia im Visier behalten und war ihr dann sogar extra in die Damentoilette gefolgt, um ihr heimlich diesen Chip zu übergeben. Aber warum? Was hatte das alles zu bedeuten?

Elora

Der Name kam Leia irgendwie bekannt vor, aber sie kam einfach nicht darauf, wo oder in welchem Zusammenhang sie ihn schon einmal gehört hatte.

Erst rund zwanzig Minuten später, als sie mit Luke und Mar zusammen an ihrem Tisch saß und ihnen dabei zusah, wie sie eine mit üppigen Sahnetupfern versehene blassgelbe Fruchtcreme auslöffelten, fiel es ihr plötzlich wieder ein: Der Tag von Mars Vorspiel… die sangolesische Botschaft... Anatol, der sie zu einer grauhaarigen Dame hinüber winkte… Miss Bakunin…

Elora Bakunin! Natürlich – die Sekretärin von Bail Organa!

Leia fühlte einen eiskalten Tropfen irgendwo in ihrer Magengrube, der sich seinen Weg abwärts durch ihr Innenleben zu bahnen schien, bis er an der Basis ihrer Wirbelsäule landete, wo er ein unangenehm elektrisches Kribbeln verursachte.

Eine Nachricht! Er hat mir bestimmt eine Nachricht geschickt! Und Blondie hat sie für mich an der Garderobe deponiert, damit ich sie mir dort holen kann.

Sie war so erregt, dass sie am liebsten sofort aufgesprungen und hinaus gestürmt wäre, um sich anzueignen, was in Bail Organas Auftrag für sie hinterlegt worden war. Aber sie musste mit Bedacht vorgehen. Es war besser, wenn Luke nichts davon mitbekam. Also wartete sie, wenn auch nur sehr widerwillig.

Die nächsten Stunden wurden zu einer Qual für Leia und schienen sich daher bis in die Unendlichkeit auszudehnen. Und obwohl sie abwechselnd mit Mar und ihrem Bruder tanzte und sich zwischendurch augenscheinlich angeregt mit beiden unterhielt, war sie in Gedanken weit, weit weg.

Und als kurz vor Mitternacht Padmé endlich erschien wie eine bleiche erschöpfte Märchenfee, um ihre Kinder einzusammeln und sie zusammen mit ihrem eigenen Gefolge wieder nach Hause zu scheuchen, bevor der magische zwölfte Glockenschlag sie womöglich alle in unansehnliche Küchenmägde und Mäuse zurückverwandelte, war Leia zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wirklich heilfroh, ihre Mutter zu sehen.

Doch ihre Geduld wurde noch einmal auf eine harte Probe gestellt, denn an der Garderobe wagte sie einfach nicht, auch ihren zweiten Chip vorzuzeigen und ihn gegen das einzutauschen, was auch immer an einem der Kleiderständer am Haken mit der Nummer 128 hängen mochte. Nicht direkt vor der neugierigen Nase ihres Bruders! (Mar hatte sich in der Zwischenzeit bereits herzlich verabschiedet und war seiner Wege gegangen.) Und auch nicht vor der mindestens ebenso neugierigen langen Nase von Captain Dhoranys magerem cleveren Windhundgesicht oder dem ständig heftig errötenden sanften Babyface von Vaders neuestem Adjutanten, einem blutjungen Fähnrich namens Vortega. Beide fungierten heute Abend als Bodyguards der etwas gehobeneren Klasse, was sich unter anderem darin zeigte, dass sie jetzt als gut dressierte Kavaliere zuerst den Damen zuvorkommend in ihre bereits ausgehändigten Mäntel halfen, bevor sie ihre eigenen auslösten und hineinschlüpften, während Luke sich selbstständig in seinen langen schwarzen Umhang wickelte und das ungefähr so entschlossen wie eine Raupe in ihren Kokon.

Also wartete Leia, innerlich vibrierend, ja, fast schon berstend vor nervöser Anspannung, bis sie endlich alle aufbruchbereit vor der Eingangstür standen und Dhorany hinaus ging, um Padmés Gleiter und ihre darüber wachenden Sturmtruppensoldaten mit einem durchdringenden Pfiff und einem gebieterischen Wink herbei zu zitieren. (Seit seiner Beförderung im Vorjahr war Dhorany nicht nur der stellvertretende Leiter von Vaders Sicherheitsteam, sondern auch Myladys persönlicher Leibwächter, weshalb er Padmé in letzter Zeit immer öfter zu ihren gesellschaftlichen Anlässen begleitete wie ein sehr höflicher, aber mit sehr scharfen Zähnen bewaffneter Anstandswauwau, der im Notfall durchaus dazu bereit war, besagte Zähne auch tatkräftig einzusetzen.)

Sobald Dhoranys drahtige, in eine schwarze Dressuniform verpackte Gestalt außer Hörweite war (wenn auch keineswegs außer Sicht!), stieß Leia ein verdutztes (und sehr überzeugendes) „Oooh!" aus.

Und als alle sie mit mildem Erstaunen anstarrten, fuhr sie leichthin fort: „Wie dumm von mir! Ich habe doch tatsächlich da drinnen etwas vergessen. Ich hole es nur schnell."

„Soll ich es für Sie holen, Miss … äh … Ma'am … äh … Lll-Lady Leia?", stotterte der pflichtbewusste kleine Vortega und lief vor lauter Aufregung über all seine etikettemäßigen Ausrutscher erneut puterrot an.

Leia schenkte ihm ein besonders schmelzendes Lächeln (das Vortega sofort noch mehr erglühen ließ!) und girrte: „Nicht nötig, mein Lieber. Das mache ich schon selbst. Bin gleich wieder da!"

Sie huschte in den Vorraum zurück, bevor irgendjemand Einspruch erhob.

Und schon stand sie erneut an der Garderobe und hauchte atemlos: „Das hier bitte!" und hielt dem Droiden an der Ausgabe den anderen Chip hin.

Der Droide stelzte davon und kehrte gleich darauf mit einer großen Plastiktüte zurück, die mit einem komplizierten Arabeskenmuster verziert war – drei ineinander verschlungene, aber immer noch gut erkennbare Ws in Violett und Gold. Er überreichte ihr die Tüte mit einem steifen Nicken. Leia nahm sie hastig entgegen – so hastig, dass es das Interesse eines großen rothaarigen Mädchen in einem grünen Samtkleid weckte, das die ganze Transaktion aus dem Hintergrund beobachtete.

Aber natürlich … Wie raffiniert! Wie schlau!, dachte Leia beifällig, als sie ihre Beute begutachtete.

Denn was wäre für die Übergabe des noch unbekannten Schmuggelgutes passender gewesen als eine Tüte mit dem Emblem des WWW? Eine Tragetasche, die eigens für dieses Event bestellt und angefertigt worden war, damit die Besucher die kleinen Gastgeschenke, mit denen sie bedacht worden waren, einpacken konnten – ganz zu schweigen von all den anderen Artikeln, die sie hoffentlich an den zahlreichen Ständen und Buden des Wohltätigkeits-Bazars gekauft hatten, und von den Mitbringseln, die sie möglicherweise bei den verschiedenen Lotteriespielen gewonnen hatten.

In Leias Tüte befand sich eine umfangreiche und ziemlich gewichtige Schachtel, die mit einem ebenfalls violett-goldenen Band mit einer hübschen Schleifenrosette umwickelt war. Nach dem Aufdruck zu urteilen, enthielt sie nichts Verdächtigeres als vier Pfund feinste Fiodorina-Pralinen, aber Leia hätte schwören können, dass ihr wahrer Inhalt sehr viel gefährlicher war.

Sie befingerte die Pralinenschachtel voller Verlangen. Sie hätte zu gerne sofort einen Blick hineingeworfen, aber das war natürlich undenkbar. Also kehrte sie einfach zu den anderen zurück.

Es war zu schade, dass sie nie auf die Idee kam, einen Blick über ihre Schulter zu werfen. Hätte sie es getan, dann hätte sie gemerkt, dass die Rothaarige ihr immer noch nachsah, eine nachdenkliche Kerbe zwischen ihren schmalen Augenbrauen.

„Was ist denn das?", erkundigte sich Luke, als er ihre Trophäe entdeckte.

„Nur der Trostpreis, den ich bei der Großen Tombola gewonnen habe", schwindelte Leia.

„Ich habe gar nicht gewusst, dass du auch bei der Tombola mitgemacht hast, Liebling", sagte Padmé.

„Doch, doch! Ich habe direkt nach unserer Ankunft zwei Dutzend Lose gekauft – alles für die gute Sache!", log Leia, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. (Sie staunte manchmal selbst, wie glatt, wie selbstverständlich ihr die gewagtesten Flunkereien über die Lippen kamen.)

„Merkwürdig … Ich hab das auch nicht gewusst", erwiderte Luke. „Das musst du ja wirklich blitzschnell erledigt haben."

„Du kriegst eben nicht alles mit, Bruderherz. Außerdem warst du gerade damit beschäftigt, Mars neuesten Befreiungsschlag zu planen. Nicht, dass das dem armen Kerl viel genutzt hätte", gab Leia zurück.

Luke spähte trotzdem in ihre WWW-Tüte hinein – er war wirklich zu naseweis!

„Wow, das ist aber ein ziemlich großer Trostpreis." Und dann hoffnungsvoll: „Die willst du doch nicht alle ganz alleine aufessen, oder?"

„Ich habe durchaus die finstere Absicht, Brüderchen. Im Gegensatz zu dir muss ich ja nicht alle Süßigkeiten auf einmal herunterschlingen. Ich kann mich mit zwei oder drei kleinen Stückchen pro Tag begnügen."

„Geizhals! Wie war das noch mal mit 'Niemals alles für einen, sondern immer alles für uns zwei!'? Herzloses kleines Biest! Aber jammer mir bloß nicht die Ohren voll, wenn du davon Pickel bekommst."

„Also wenn ich mich richtig erinnere, dann warst du derjenige, der mal so mit Akne geschlagen war, dass du ausgesehen hast wie ein Streuselkuchen."

„ICH und Akne?! Niemals! Das war nur ein akuter Anfall von … Windpocken!"

„Oh ja, natürlich. Und deshalb hat Doktor Cratos dir damals auch geraten, weniger Süßkram in dich rein zu stopfen."

„Ach, Doktor Cratos ... Der hat doch keine Ahnung!", murrte Luke.

„Die hat er durchaus – jedenfalls kann er noch zwischen Kinderkrankheiten und Mitessern unterscheiden!"

Während sie einander so beharkten, waren sie zusammen mit den anderen in den Gleiter geklettert. Der Heimflug verlief unter weiterem geübten geschwisterlichen Gefrotzel, spitze Bemerkungen flogen hin und her wie Pingpong-Bälle.

Padmé äußerte sich nicht dazu, sondern saß wortlos und mit geschlossenen Augen in ihrer Ecke, zu müde um einzugreifen. Captain Dhorany, der im Lauf der Jahre Zeuge von vielen ganz ähnlichen Zwillings-Zwisten geworden war, grinste wissend vor sich hin und der kleine Vortega staunte das kampflustige künftige Prinzenpaar nur mit weit geöffneten Augen an.

Niemand achtete mehr auf die Tüte in Leias Schoß – und schon gar nicht darauf, dass sie ihre Henkel bemerkenswert krampfhaft umklammert hielt.

Und das war auch gut so …


Fortsetzung folgt ...