XXV.


Trotz Dhoranys Beteuerungen, dass die Intimsphäre in ihren eigenen vier Wänden genauso respektiert wurde wie in den privaten Gemächern der übrigen Familienmitglieder, wagte Leia es einfach nicht, die Probe aufs Exempel zu machen. Ein derart ungewöhnlicher Ausflug am helllichten Tag und möglicherweise doch vor den Argusaugen von Major Cordalis oder irgendeinem anderen Security-Schergen war ihr einfach eine Spur zu verwegen. Ihr kleines Abenteuer wurde auch so nervenzermürbend genug sein.

Vorsicht ist besser als Nachsicht – immer!, dachte sie. Und deshalb mache ich es auch so wie immer: Ich warte, bis es dunkel wird.

Und so kam es, dass sie wieder einmal erst in Aktion trat, als die Nacht sich herabgesenkt hatte wie ein pechschwarzer Theatervorhang über die riesige, ewig ruhelose Bühne von Imperial Citys Alptraumkulisse. Und genau wie beim letzten Mal hatte sie vor ihrem Start erneut alles getan, um ihr Schlafzimmer und die angrenzenden Räume in absolute Finsternis zu tauchen.

Es gab nur zwei entscheidende Unterschiede zu jener anderen nächtlichen Forschungsexpedition, die inzwischen schon viel zu viele schier endlose Wochen zurück lag: Heute war Leias Ziel ein Badezimmer. Und als sie sich dort hineingeschlichen und die Tür lautlos hinter sich geschlossen hatte, knipste sie trotz all ihrer Bedenken und Befürchtungen die Taschenlampe an, die sie eigens zu diesem Zweck aus ihrem Kleiderschrank geholt und entsprechend vorbereitet hatte: Leia hatte das Glas der Linse mit einem Heftpflaster überklebt, in dessen Mitte sie vorher mit ihrer Nagelfeile ein Loch gestanzt hatte, so dass die Lampe jetzt nur noch einen feinen nadeldünnen Lichtstreif erzeugte, statt dem normalerweise ziemlich breiten hellen Strahl. Denn ganz und gar im Blindflug ging es hier eben einfach nicht. Für das, was sie jetzt vorhatte, brauchte sie immerhin ein Mindestmaß an Helligkeit.

Und so stand Leia nun mitten in ihrem Bad zwischen einer luxuriösen in den Boden versenkten Wanne und einer nicht weniger luxuriösen Duschkabine und ließ diesen sehr viel schmaleren Lichtstrahl über eine Fläche aus meergrünen Fliesen wandern, die auf halber Höhe von einem quadratischen, ebenfalls meergrün lackierten engmaschigen Metallgitter durchbrochen wurde.

Sie hatte sich für das Badezimmer entschieden, weil der Zugang zu den Luftschächten hier wesentlich größer ausfiel als in den anderen Räumen. Das hatte auch einen guten Grund – oder eigentlich zwei Gründe: Abgesehen davon, dass das regelmäßig mit Dampfwolken geschwängerte und entsprechend mit Feuchtigkeit gesättigte Klima in jeder fensterlosen Nasszelle unweigerlich zu Schimmelbildung führte, wenn nicht für eine sehr gründliche Belüftung gesorgt wurde, verfügte der durchschnittliche Wartungstechniker auch über einen durchschnittlichen Körperumfang und brauchte daher einen Zugang, der voluminös genug war, um jedem Humanoiden, der nicht gerade die eher bescheidenen Ausmaße eines Zwerges hatte, zu erlauben, sich für eventuelle Reparaturmaßnahmen dort hinein zu winden wie ein Bohrwurm in ein Bohrloch. Und weil besonders große Metallgitter auch besonders unattraktiv aussahen (auch wenn sie zur Tarnung mit demselben Farbton überpinselt wurden wie die umliegenden Wände!), wurden reine Wohnräume eben mit sehr viel kleineren Exemplaren ausgestattet als Bäder.

Und deshalb rückte Leia jetzt auch die Phrinxpalme weg, die die Lücke zwischen Wanne und Dusche mit ihren anmutig verzweigten und üppig gefiederten Wedeln verzierte, und schob stattdessen eine ebenfalls sehr dekorative Wäschetruhe aus atmungsaktivem (und garantiert schimmelresistentem!) Balsamholz in die entstandene Lücke. Sie brauchte etwas, um darauf zu steigen, und da Mr. Sirgan die Trittleiter, die er an diesem Morgen benutzt hatte, natürlich wieder mitgenommen hatte, musste sie improvisieren. Also kletterte sie gleich darauf auf die Wäschetruhe und zückte ihren Schraubenzieher. (Es war übrigens derselbe Schraubenzieher, den sie schon vier Jahre zuvor in einem günstigen Augenblick aus Mr. Sirgans Werkzeugkasten gestohlen… äh... ausgeliehen hatte, um sich für eine andere illegale Operation auszurüsten.)

Die Schlitze der Bolzenschrauben, die das Gitter in Position hielten, waren ein wenig zu breit für Leias Schraubenzieher, der dadurch immer wieder abrutschte. (Dass sie den Griff nur mit der rechten Hand umklammern konnte, weil sie mit der linken ihre Taschenlampe festhalten musste, machte ihre Arbeit nicht gerade leichter. Und die feenhafte Beleuchtung, unter der sie vor sich hin werkeln musste, auch nicht!)

Aber zum Glück hatte Mr. Sirgan die Bolzen nicht allzu fest angezogen, da sie ja ohnehin bald erneut herausgedreht werden sollten. Und so gelang es Leia schließlich doch, das Gitter zu lösen. Sie schaffte es sogar, es aufzufangen und geräuschlos auf dem Boden abzustellen, statt es einfach fallen zu lassen, wenn auch nur im letzten Augenblick.

Sie spähte in den offenen Schacht hinein, der sie angähnte wie der aufgerissene Rachen eines unbekannten, aber potenziell bissigen Raubtieres. Sie hatte noch nie an Platzangst gelitten, aber die Aussicht, gleich über längere Zeit durch einen engen Tunnel kriechen zu müssen, sorgte doch für eine gewisse Anspannung in ihr. Und als sie schließlich hineingeklettert war, stellte sie fest, dass es doch ein alarmierend klaustrophobisches Gefühl war, von Kunststoffplatten umzingelt zu sein, die nicht mehr als ein paar Handspannen weit von ihrem Kopf und ihren Schulten entfernt waren. Und dass sie kaum etwas davon sehen konnte, machte es auch nicht unbedingt besser.

Sie widerstand nur mühsam der Versuchung, nach dem roten Schaltknopf zu tasten, der direkt neben dem Eingang an der Wand angebracht war. Denn auch die ziemlich grellen Leuchtröhren, mit denen der Schacht versehen war (Techniker mussten bei ihrer Arbeit definitiv alles sehen können, was es da überhaupt zu sehen gab!), hätten nur unerwünschte Aufmerksamkeit erregt – wenn schon nicht in Leias Bad, dann auf jeden Fall in all den unbelebten und daher auf Ruhezyklus geschalteten Korridoren im Haus. Das Letzte, was Leia jetzt brauchte, war ein verräterisch heller Schimmer, der durch zahllose andere Abluftgitter in nachtdunkle Gänge hinaus sickerte, was sogar dem schlafmützigsten Wachposten an Cordalis Monitor signalisieren würde, dass irgendwo in diesen Luftschächten etwas vor sich ging, das unangemeldet, unautorisiert und damit automatisch verdächtig war.

Aber der Strahl ihrer Taschenlampe würde bestimmt nicht so weit reichen. Und deshalb zupfte Leia jetzt das Pflaster wieder herunter und klebte es auf den Schaft der Lampe, wo es bleiben konnte, bis sie es bei ihrem Ausstieg wieder brauchen würde. Und nun konnte sie immerhin etwas von ihrer Umgebung erkennenzumindestdas, was in ihrer unmittelbaren Nähe war. Zum Beispiel die acht kleinen Pyramiden aus durchlöcherter grauer Pappe, die direkt vor ihr auf dem Boden standen...

Sie atmete zweimal tief durch und verzog angewidert das Gesicht, als ein intensiver bitter-süßer Duft ihre Nase traf. Es war wirklich kein Wunder, dass Tinolea-Motten diesen Geruch als abstoßend empfanden. Leia war ziemlich sicher, dass Mr. Sirgan niemals einen seiner geflügelten Feinde in den Klebefallen finden würde, die er heute morgen aufgestellt hatte (übrigens munter vor sich hin pfeifend, aber trotzdem von einem geradezu mörderischen Jagdeifer erfüllt!).

Die Lockstoffe, die diese Papp-Pyramiden angeblich ausströmten, waren wirklich nichts im Vergleich zu dem Gestank, der hier drinnen herrschte, nachdem der Hausmeister mit einer riesigen Sprühflasche eine Mischung aus konzentriertem Livanderöl und irgendeinem Alkoholzusatz verspritzt hatte und das so emsig, als wollte er alles mindestens bis zur Jahrhundertwende mit seiner Mottenabwehr imprägnieren. Dass er diese Aufgabe auch noch mit einem etwas manisch angehauchten Feixen durchgeführt hatte (ungefähr wie ein fanatischer Priester, der bei einem Exorzismus sein Weihrauchfässchen schwenkte, um Dämonen auszutreiben!), stellte endgültig klar, dass er den lästigen Faltern den Krieg erklärt hatte und dass es bei dieser epischen Schlacht Mensch gegen Insekt keine sechsbeinigen Überlebenden geben würde, wenn es nach ihm ging.

Leider galt Mr. Sirgans Sorge und Sorgfalt nicht nur den Wänden dieses Schachtes. Leia war halb davon überzeugt, dass sie ihre Harmelinstola nie wieder würde tragen können, obwohl Zonia ihr bereits erklärt hatte, dass es Mittel und Wege gab, dieses Miasma aus dem kostbaren Stück auszulüften. („Mit etwas Zeit und Geduld… In ein paar Monaten vielleicht... Aber bis zur nächsten Wintersaison bestimmt, Miss Leia!")

Und wenn nicht? Na ja... wen juckt das schon? Was ist schon ein albernes, völlig überteuertes Stück Tierfell? Was gibt man nicht alles für den Sieg von Freiheit und Gerechtigkeit?, dachte Leia in einem Anfall von opferwilligem Heroismus und schob energisch die Klebefallen weg. Auf in den Kampf!

Doch als sie ein paar Minuten lang entschlossen vorwärts gekrochen war, fand sie heraus, dass das allgemeine Unbehagen durch schlechte Sichtverhältnisse und mangelnde Bewegungsfreiheit die geringste Herausforderung ihres Experiments darstellte. Viel schlimmer war die zunehmende Unbequemlichkeit durch eine Fortbewegungsmethode, die von der Natur eigentlich nur für Babys vorgesehen war. Auf allen Vieren zu krabbeln, war in Ordnung, so lange man noch ein Kleinkind war, das nicht laufen konnte, aber für einen Erwachsenen, der daran gewöhnt war, aufrecht und auf seinen Füßen durch die Welt zu schreiten, war das mehr als nur unangenehm. Und obwohl Leia sich in weiser Voraussicht mit den gut gepolsterten Beinschützern und den soliden Lederhandschuhen aus der Smashball-Ausrüstung ihres Bruders ausstaffiert hatte, spürte sie allmählich ihre Knie und ihre Handgelenke. Und ihr Nacken war auch nicht gerade glücklich über die geduckte Körperhaltung, die sie einnehmen musste.

Und bald darauf stellte sie fest, dass es auch noch andere Probleme gab, mit denen sie gar nicht gerechnet hatte. Der Luftschacht ging zwar eine ganze Zeitlang einfach nur geradeaus, aber dann gab es eine Abzweigung nach der anderen.

Schon dreimal hatte Leia sich für ein links oder rechts entscheiden müssen. Und obwohl sie sich getreu eherner Pfadfinderregeln vorsichtshalber immer an ein und dieselbe Richtung hielt (links!) und ihren Weg nach jeder Gabelung vorsichtshalber sogar noch mit einem schwarzen, leicht fluoreszierenden Pfeil markierte (sie hatte einen extra dicken Filzstift mit Glitzereffekt für solche Zwecke mitgenommen!), verlor sie langsam, aber sicher die Orientierung.

Eine Kennzeichnung an den Tunnelwänden gab es nicht. Die Wartungstechniker führten mit Sicherheit Datapads mit schematischen Zeichnungen dieses Irrgartens mit sich. Aber Leia standen solche Hilfsmittel nicht zur Verfügung. Alles, was sie wusste, war, dass sie versuchen musste, von ihrer ursprünglichen Position aus (ihre Suite befand sich im Westflügel) in den mittleren Trakt des Gebäudes zu kommen. Und sie musste eine Möglichkeit finden, irgendwie abwärts zu kommen, weil Vaders Arbeitszimmer zwei Etagen unter ihrer Zimmerflucht lag. Aber genau das war ein weiteres Problem, denn bis jetzt war ihr Kriechgang völlig eben und zeigte keinerlei Zugang zu anderen Stockwerken, weder nach unten noch nach oben.

Es wird schon irgendwo etwas kommen. Es kann ja nicht endlos so weiter gehen, dachte Leia.

Wie auf Stichwort stieß sie gleich nach der nächsten Abbiegung auf ein ausgesprochen verheißungsvolles Loch in der Decke über ihr, das sie nur bemerkte, weil ein kühler Luftzug heraus wehte und über ihre erhitzte Stirn strich. Leia hob den Kopf und ihre Taschenlampe (die sie übrigens immer mit einer Hand vor sich herschieben musste, was ihren Fortschritt noch mehr verlangsamte!) und spähte hinauf. Aber zu ihrer Ernüchterung war der Schacht dahinter nicht nur so hoch und steil, dass sie sein Ende nicht mal erahnen konnte, sondern auch noch so schmal, dass sich niemand dort hätte hinein zwängen können, nicht mal beim besten Willen. Offenbar waren vertikale Schächte nur für Droiden auf Repulsorkissen vorgesehen...

Na wunderbar! Soll das etwa heißen, dass es überhaupt keinen Durchgang nach oben oder unten gibt? Hänge ich auf meiner Ebene fest?

Nun, es würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als weiter zu suchen.

Doch schon ein paar Meter weiter stieß Leia auf eine Wand.

Eine Sackgasse! Auch das noch...

Frustriert kehrte sie um und kroch bis zu ihrer letzten Markierung zurück. Dort legte sie eine kurze Pause ein. Sie richtete sich auf, setzte sich zuerst seitwärts und rutschte dann herum, bis sie endlich auf ihren vier Buchstaben landete, was dank der ziemlich steifen Beinschützer, die sie von den Knöcheln bis zu ihren Oberschenkeln hinauf einschnürten, gar nicht so einfach war.

Also wirklich! Für so eine akrobatische Verrenkung müsste ich eigentlich Sehnen und Gelenke haben wie ein zarabinischer Schlangenmensch!

Das war leider nicht der Fall. Trotzdem fühlte es sich gut an, für einen Moment einfach nur so da zu sitzen. Sie massierte ihre Handgelenke und Kniescheiben (so gut das eben ging!) und drehte behutsam ihren Kopf hin und her, um ihre inzwischen reichlich verkrampfte Nackenmuskulatur wenigstens ein bisschen zu entspannen.

Aber lange konnte Leia sich nicht aufhalten. Und so wälzte sie sich bald wieder herum und machte sich erneut auf ihren mühseligen Pfad. Doch dieses Mal folgte sie einer Kurve nach rechts, was sie immerhin endlich an ein weiteres Abluftgitter brachte. Sie nutzte die Gelegenheit, um schnell auszukundschaften, wo sie eigentlich gerade war.

Nervös presste sie ihr Gesicht gegen das kalte Metallgeflecht. Doch der hektisch hin und her zuckende Strahl ihrer Taschenlampe zeigte ihr nur die schneeweißen würfelförmigen Polster irgendeines Sitzmöbels. Sie konnte nicht einmal unterscheiden, ob es sich dabei um einen Sessel oder um eine Couch handelte. Und wiederzuerkennen, in welchem Raum dieses Möbelstück stand, war einfach unmöglich. Sie vermutete, dass es ein unbewohntes Gästezimmer irgendwo hinter ihrer und Lukes Suite war. Aber das bedeutete unweigerlich, dass sie die ganze Zeit über in die falsche Richtung vorgerückt war, also immer tiefer in den Westflügel hinein, statt zum Haupttrakt hinüber, der zwischen West- und Ostflügel eingebettet war wie der Rumpf eines Vogels zwischen seine ausgebreiteten Schwingen.

Ihren schlechten Orientierungssinn verwünschend...

Verflixt! Ich hätte einen Kompass mitnehmen sollen!

… krauchte sie zornig zu ihrem Rastplatz zurück und von dort aus zu ihrem vorletzten Pfeil. Auch dort bog sie nun nach rechts ab. Und mit ihrer neuen Marschroute hatte sie mehr Glück. Denn ganz unerwartet (was sie beinahe ihre Lampe gekostet hätte!) griff sie ins Leere und gelangte so gerade noch rechtzeitig zu der Erkenntnis, dass sie jetzt ein Loch im Boden vor sich hatte: Ein weiterer Schacht, der aber dieses Mal senkrecht in die Tiefe führte. Und er war nicht nur breit genug für ein Lebewesen ohne Repulsorkissen, sondern wies sogar höchst willkommene Leitersprossen auf.

„Endlich", murmelte Leia.

Gleich darauf kletterte sie sozusagen bergab.

Doch ihre Freude, bis in das nächste Stockwerk vorgedrungen sein, hielt nicht lange an. Denn schon nach wenigen Metern stieß sie auf ein neues Hindernis – eine stabile eckige Metallplatte mit zwei faustgroßen, sanft vor sich hin surrenden Ventilatoren in der Mitte. Eine andere Art von Sackgasse, die Leia prompt zur Umkehr zwang.

Und nachdem sie sich gefühlte zehn Minuten lang mühsam in die entgegensetzte Richtung geschleppt hatte, versperrte ihr unversehens eine große falltürartige Luke den Weg. Leia starrte ungläubig auf die unüberwindliche Barriere. Kein Riegel, kein Schloss, kein gar nichts. Jedenfalls nicht auf ihrer Seite. Offenbar konnte man diese Luke nur von der anderen Seite her öffnen – also von einer Stelle aus, die für Leia unerreichbar war. Hier gab es kein Durchkommen für sie. Und hier gab es auch keine Abzweigung. Es gab nur den Rückweg...

Oh nein! Die ganze verdammte Herumkraxelei war völlig umsonst!

Und als wäre das nicht schon niederschmetternd genug, begann plötzlich auch noch ihre schon stark beanspruchte Taschenlampe verdächtig zu flimmern!

Leia durchstöberte mechanisch die Jacken- und Hosentaschen ihres Jogginganzuges und fahndete dort nach dem einzigen nützlichen Gegenstand, den sie jetzt wirklich dringend gebraucht hätte. Aber alles, was sie aufspürte, war ihr Textmarker, Mr. Sirgans Schraubenzieher, zwei zusammengeknüllte Papiertaschentücher (ein frisches und ein gebrauchtes!), ein Lippenstift (Vaseline und extra feuchtigkeitsspendend!) und ein einsames Fruchtbonbon (längst zu einem ungenießbaren klebrigen Zuckerklumpen kristallisiert!), was jetzt alles gleichermaßen überflüssig war. Sie hatte ungefähr an alles gedacht, aber ein so wichtiges Utensil wie eine Ersatzbatterie für ihre Lampe hatte sie im Eifer des Gefechts völlig vergessen.

Der Gedanke, womöglich schon innerhalb der nächsten Sekunden völlig hilflos in dem lichtlosen Labyrinth der Luftschächte zu stranden, erfüllte sie mit einer unbeschreiblichen Angst. Sie sah sich hastig um, konnte aber nicht einmal den obligatorischen Schalter finden, der die Leuchtröhren aktiviert hätte.

Der ist natürlich auch hinter dieser verdammten Luke! Das glaube ich jetzt einfach nicht! Kann irgendjemand so viel Pech haben?! Ich muss zurück – und das blitzschnell!

Sie warf einen Blick auf ihr Armbandchrono und stellte zu ihrer Bestürzung fest, dass sie schon seit über einer Dreiviertelstunde in den Eingeweiden der Vader-Residenz unterwegs war. Und sie hatte ungefähr (nicht ganz!) den gleichen Heimweg noch vor sich. Von blitzschnell konnte also gar nicht die Rede sein...

Leia wirbelte herum und rutschte und robbte im Eiltempo zurück. Als sie den Schacht mit der Leiter erreicht hatte, schnellte sie hoch wie eine zusammengestauchte Stahlfeder und hüpfte regelrecht auf die unterste Sprosse hinauf.

Sie erklomm die Leiter mit einer Geschwindigkeit und Geschmeidigkeit, die ihre ehemalige Trainerin an der Wilhulf-Tarkin-Highschool mit Staunen erfüllt hätte. (Leia war keine begeisterte Sportkanone und hatte dies auch allen Koriphäen der erzieherischen Leibesertüchtigung, die ihr jemals in die Quere gekommen waren, mit großer Schärfe klar gemacht!) Und noch während sie sich an den viel zu vielen und verdammt weit auseinander stehenden und glatten Sprossen hoch hangelte wie ein flüchtendes Larus-Äffchen an einer besonders widerspenstigen Bambusstange, gelobte die Ex-Schülerin der WTH bereits voller Ingrimm, dass sie den Fitnessraum, in dem ihr Bruder geradezu lächerlich viel Zeit verbrachte, in Zukunft wohl auch etwas öfter frequentieren würde. Das Leben als Teilzeit-Rebellin war anstrengend und erforderte alles in allem sehr viel mehr Körpereinsatz, als sie angenommen hatte.

Die Taschenlampe, die sie genau wie bei ihrem Abstieg in die Unterwelt in den Halsausschnitt ihres T-Shirts gesteckt hatte, flickerte und flackerte höhnisch vor sich hin – es war beinahe so, als ob sie ihre Besitzerin auslachte!

Und deshalb war Leia auch kein bisschen überrascht, als das idiotische Ding nach einem letzten pathetischen Aufblinken seinen Geist aufgab – und das nur Sekunden, nachdem sie ihren Aufstieg überstanden und sich einigermaßen atemlos wieder in die klassische Vierbeiner-Haltung begeben hatte!

An diesem Punkt gab Leia Vader ein paar deftige Ausdrücke von sich, die wenig ladylike waren, aber dafür aus tiefster Seele kamen – und sie tat es ziemlich laut. Nachdem sie ihren Gefühlen etwas Luft gemacht hatte, verharrte sie für ein paar halbwegs besonnene (oder jedenfalls nicht ganz und gar hysterische!) Momente regungslos, wo sie gerade war, während sie sich fieberhaft daran zu erinnern versuchte, wie sie überhaupt hierher gekommen war.

Achtmal links und einmal rechts… Nein, zweimal rechts! Also dann einfach umgekehrt. Achtmal rechts und… Nein! Erst zweimal links und dann wieder rechts, rechts, rechts...

NEIN! Ich muss nur irgendeine Abbiegung finden und einen von diesen blöden Lichtschaltern! Und wenn ich ihn gefunden habe, dann werde ich damit auch das Licht einschalten – sofort! Von mir aus können diese dämlichen Gitter in jedem Flur von diesem grässlichen Mausoleum aufleuchten wie Kaufhaus-Schaufenster beim Winterfestival. Sollen sie mich doch finden und mich hier raus zerren wie einen Einbrecher... Ist mir ganz egal!

Aber so ganz egal war ihr das natürlich nicht und deshalb grübelte sie auch über eine halbwegs plausible Ausrede nach, während sie sich unendlich vorsichtig (und jetzt im Schneckentempo!) durch die undurchdringliche Schwärze schlängelte und dabei krampfhaft versuchte, nicht noch mehr in Panik zu geraten. Doch ihr Herz klopfte trotzdem einen verängstigten Trommelwirbel gegen ihren Brustkorb und irgendwie fiel ihr das Atmen immer schwerer. Eine Ablenkung war jetzt wirklich angebracht...

Ich… ich werde einfach behaupten, dass ich wieder abhauen wollte und dass ich gehofft habe, von hier aus irgendwie nach draußen zu kommen...

Eine Notlüge, die zumindest Major Cordalis der jungen Missetäterin sofort abkaufen würde. Bei Dhorany war Leia sich da nicht ganz so sicher. Und bei Padmé schon gar nicht. Aber noch war es ja nicht so weit...

Vielleicht komme ich ja doch noch so hier raus. Und wenn nicht, werde ich mich sowieso hoffnungslos verirren und sterben. Ja genau, ich werde in ungefähr drei Tagen einfach verdursten. Und danach werde ich vertrocknen wie eine Backpflaume. Und keiner wird je erfahren, was aus mir geworden ist... Keiner!

Bis in rund fünfzig Jahren vielleicht Lukes Enkelkinder irgendwelche Umbaumaßnahmen durchführen lassen. Sie werden ein paar Mauern einreißen, weil sie noch mehr Platz für ihre gestohlenen Schätze oder noch mehr Kinderzimmer für ihre zwei Dutzend neuen perfekten Sith-Babys brauchen. Und dann werden sie hier meine sterblichen Überreste vorfinden. Sie werden meine Mumie sehen und endlich wissen, was aus ihrer verrückten verschollenen Großtante geworden ist. Was natürlich immer noch viel besser wäre, als vorher von IHM gefunden zu werden...

Leia erschauerte, als ihre Fantasie für sie ausgesprochen plastische Bilder ausmalte, in denen sich eine rote Laserklinge direkt neben ihr durch eine der besagten Mauern bohrte und unter theatralischen Funkenschauern eine von glühenden Rändern gesäumte Lücke in ihre künftige Grabkammer hinein schnitt. Eine Lücke, die gerade groß genug war, um eine vor Schreck versteinerte, aber immerhin noch nicht mumifizierte Tochter zu bergen und sie anschließend ganz nach Lust und Laune dafür zu bestrafen, dass sie dem Eigentümer dieses Laserschwertes so viel Ärger und Umstände machte.

Ehrlich gesagt, würde ich dann doch lieber verdursten und vor mich hin trocknen! Es wäre die Sache immerhin wert...

Der Gedanke, für eine so wertvolle Sache einen ausgesprochen noblen Märtyrertod zu erleiden, war nicht wirklich beruhigend, aber doch irgendwie tröstlich. Und deshalb gönnte Leia sich erneut eine kleine Rast und sah auch noch mal auf ihr Chrono – nur um in einem Anfall von schicksalsergebenem Fatalismus mal ganz grob abzuschätzen, wie viel Zeit ihr noch blieb, bis ein heldenhafter Tod durch Dehydrierung sie ereilte.

Nun, es waren immer noch gute drei Tage, wie Leia feststellte, als sie den winzigen Knopf seitlich am Chrono drückte und ein bläulich aufleuchtendes LED ihr die Uhrzeit anzeigte. Aber vielleicht hatte sie diesen Knopf ein klein wenig zu fest oder zu lange gedrückt, denn das Display erlosch nicht gleich wieder, sondern blieb... und verbreitete einen geisterhaft blassen, aber immerhin konstanten Lichtschimmer!

„Ich kann das Display ja auf Dauerbetrieb umschalten – wie konnte ich das nur vergessen?!"

Leia kicherte und schluchzte gleichzeitig, ihre Erleichterung war so groß, dass sie zwischen Lachen und Weinen schwankte. Und als sie den Arm hob, um sich umzuschauen, entdeckte sie ein noch größeres Wunder: Direkt vor ihr glimmerte etwas auf, nur ein vager Umriss, aber dank der Glitzerpartikel in der Farbe immer noch zu identifizieren. Es war einer ihrer Pfeile.

Beschwingt durch die Tatsache, dass sie jetzt wieder wusste, wo sie hin musste, setzte Leia ihre Kriechwanderung fort.

Es kam ihr so vor, als würde es endlose Stunden dauern, aber irgendwann war es doch vorbei. Mit einem Stoßseufzer glitt sie in ihre Nasszelle zurück. Sie war so froh darüber und zugleich so erschöpft, dass sie nicht einmal mehr die Energie dazu aufbrachte sich aufzuregen, als sie sich schon bei ihrem ersten wackeligen Schritt die Zehen an einer sehr harten und scharfen Kante anstieß. (Sie hatte näher an der Einfassung der Duschwanne gestanden, als sie berechnet hatte!)

Sie zerrte nur mit einem kleinen Aufstöhnen diese nervtötenden Beinschoner von sich, die inzwischen auch durchdringend nach Livanderöl rochen...

Wie soll ich das bloß Luke erklären?

... und ließ sie zusammen mit den ebenfalls duftgetränkten Smashball-Handschuhen ihres Bruders in irgendeine Ecke fallen.

Das Zeug räume ich nachher weg, aber bestimmt nicht jetzt!

Danach humpelte sie in ihr Schlafzimmer wie eine geschlagene Armee, die sich in ihren heimischen Stützpunkt zurückzog.

Was für eine Nacht!, dachte Leia, als sie sich endlich in ihr Bett legen und ihren schmerzenden Fuß auf ein noch unsichtbares, aber zielsicher mit ihren tastenden Fingern geortetes und herüber gezupftes Kissen packen durfte.

Und alles umsonst! Jetzt muss ich mir morgen doch noch Vortega angeln. Wenn ich morgen überhaupt laufen kann...

Na ja, wenn nicht, dann eben übermorgen. Aber spätestens dann ist mein kleiner Bewunderer fällig. Ich werde ihn so bezirzen, dass er mir buchstäblich aus der Hand frisst.

Er muss mir einfach helfen, ich weiß nicht, was ich sonst noch versuchen soll. Ich kann mich ja schließlich nicht einfach da rein hexen oder teleportieren oder so was. Herrje, ich wünschte, ich könnte es!

Aber die Gesetze der Physik waren leider gegen Leia. Also blieb ihr letzten Endes doch nur Plan A.

Sie sortierte im Geist ihr Waffenarsenal (ein hübsches neues Kleid, das gerade eng genug war, um ihre Rundungen vorteilhaft zu betonen, honigsüße Schmeicheleien an das zu bezaubernde männliche Ego, mädchenhaftes Gekicher, seelenvolle Blicke unter bedeutungsvollem Wimperngeklimper und andere sehr weibliche Tricks!) und versuchte dabei Dhoranys vorwurfsvolles Gesicht zu ignorieren, das irritierenderweise vor ihr zu schweben schien wie ein Warnsignal.

Der Zweck heiligt die Mittel!, dachte sie trotzig. Und das Wohl von allen... Ach, es muss eben einfach sein!

Und mit dieser ultimativen Rechtfertigung drehte sie sich auf die Seite und schloss die Augen in dem Versuch, noch etwas Schlaf oder wenigstens Ruhe zu finden.

Aber das fiel ihr weit schwerer, als sie geglaubt hatte...

So wie alles andere auch...


Fortsetzung folgt …