XXVI.
Der mit bauschigen hellgrauen Wolken überzogene Himmel versprach eindeutig Regen und das laut Wettervorhersage sogar innerhalb der nächsten Stunden. Aber das hielt Leia keineswegs davon ab, ihre mitgebrachte Bastmatte unter einer großen Salica-Weide auszubreiten und sich darauf auszustrecken – und das so graziös wie nur möglich.
Die mit filigranen lanzettförmigen Blättern dicht besetzten Zweige des Baumes hingen fast bis in das samtige Gras hinunter und bildeten eine luftige grüne Laube, in der Leia nun ruhte wie eine zarte junge Elfenprinzessin in einer verträumten Mußestunde – das war jedenfalls der Eindruck, den sie damit erwecken wollte. Ihr ärmelloses Sommerkleid war nur ein Hauch aus duftigem eierschalenweißen Musselin mit einem weich fließenden, aber recht kurzen Rock, der ihre schlanken Waden und ihre Füße in schicken Ledersandalen zum Vorschein kommen ließ. (Sie hatte auf das ursprünglich geplante Outfit verzichtet, weil es einfach zu figurbetont war, wenn man sich darin auf dem Boden herumwälzen musste!) Und ihr langes Haar, das sie heute ausnahmsweise offen und ganz und gar ungebändigt trug, unterstrich das malerische Gesamtbild noch – wenigstens hoffte Leia das. Denn sie wollte gesehen werden. Und sie wollte als malerisches Gesamtbild und darüber hinaus als absolut anbetungswürdig und vollkommen unwiderstehlich angesehen werden.
Aus diesem Grund hatte sie sich auch diesen idyllischen Lagerplatz unter der großen alten Weide ausgesucht, obwohl die dicken, knorrigen Wurzeln, die hier überall aus dem Rasen wucherten, es ihr nicht gerade leicht machten, anmutig in der Gegend herum zu liegen. Bequem war das nicht, aber Schönheit musste eben leiden. Und deshalb stützte Leia sich jetzt auch mit lässiger Eleganz auf ihren Ellbogen, verwünschte stumm all die lästigen Haarsträhnen, die dabei eingeklemmt oder ihr vom Wind ins Gesicht geweht wurden, und biss so verführerisch in einen ebenfalls mitgebrachten Apfel, wie sie nur konnte. Denn sie wusste, dass sie nun von jedem Fenster aus mühelos zu entdecken und zu bewundern war – nun ja, zumindest von jedem Fenster in den ersten drei Stockwerken.
Aber das reichte (rein theoretisch!) auch vollkommen aus, denn Vortega hatte vor ungefähr sechs Minuten noch mit Padmé und Dhorany im Erdgeschoss herumgestanden und in respektvollem Schweigen gelauscht, was Mylady und der Captain miteinander zu besprechen hatten. Und er hatte Leia ein wenig verlegen zugegrinst, als sie leichtfüßig (das heißt fast ganz ohne zu hinken!) an ihm vorbei getrippelt war, mit ihrer Matte unter dem linken Arm und einem Körbchen mit zwei rosaroten Äpfeln in der rechten Hand. Und als sie sein Grinsen mit einem winzigen Lächeln und einem tiefen gedankenversunkenen, aber eindeutig einladenden Blick erwidert hatte, war er auch rosarot angelaufen, was mit Sicherheit ein Zeichen dafür war, dass er hoffnungslos an Leias Haken hing.
Folglich lag Leia jetzt im weitläufigen Garten der Vader-Residenz ausgerechnet in Sichtweite der Fensterfront auf ihrer Matte unter ihrem Baum, kaute auf einem ihrer Äpfel herum und versuchte, dabei umwerfend und begehrenswert auszusehen, während sie darauf wartete, ihre Angelleine einzuholen und ihre Beute endlich mit einem Käscher an Land zu befördern.
Sie musste nicht lange warten. Sie pickte eben das erste Stückchen Kerngehäuse aus ihren perlengleichen Zähnen heraus, als Vortega auch schon in einer der Verandatüren erschien.
Guuut!, dachte sie triumphierend. Jetzt MACH schon!, fuhr sie den Fähnrich in Gedanken an, als er einen Moment lang inne hielt.
Wie auf Befehl setzte sich seine schlaksige Gestalt wieder in Bewegung und spazierte gemächlich auf sie zu.
Das dauert ja ewig... Beeil dich gefälligst mal ein bisschen!
Vortega setzte sich prompt in Trab. Tatsächlich rannte er beinahe.
„Leia...", keuchte er etwas atemlos, als er sie erreicht hatte. (Sie waren schon längst auf Vornamensbasis angekommen!) „Guten Tag. Wie geht es Ihnen?"
„Hallo Ondrash! Wie schön, Sie endlich wieder mal zu sehen", flötete Leia. „Mir geht es gut. Und was ist mit Ihnen? Setzen Sie sich doch zu mir", fügte sie rasch hinzu, als der junge Mann unentschlossen vor ihr stehen blieb.
Vortega plumpste gehorsam neben ihr auf die Matte, wobei er das Kunststück fertig brachte, mit beiden Knien zugleich auf einem Teil von Leias loser Mähne zu landen.
„Oh! Wie tollpatschig von mir. Verzeihung."
Er rutschte hastig und ungeschickt zur Seite, was Leia einen weiteren schmerzhaften Ruck an ihren Haarwurzeln verschaffte und darüber hinaus die Erkenntnis, dass Schönheit manchmal doch zu sehr leiden musste – vor allem dann, wenn sie ohne unfallfreie Frisur unterwegs war. Doch immerhin entschuldigte er sich gleich noch einmal.
„Ich bin immer so tapsig. Das reinste Trampeltier!", sagte er verlegen.
Leia teilte diese Meinung durchaus, versteckte das aber hinter einem engelhaften Lächeln. Statt ihre Gereiztheit über so viel Unbeholfenheit zu zeigen, kam sie mit einer Glattzüngigkeit, die eine Menge Übung auf dem schlüpfrigen Parkett etwas komplikationsträchtiger gesellschaftlicher Begegnungen verriet, auf das ursprüngliche Thema zurück.
„Sie waren ja wie vom Erdboden verschluckt, Ondrash. Ich vermisse Sie schon seit Tagen", gurrte sie. „Was war denn los? Viel Arbeit?"
Die Vorstellung, dass er vermisst worden war, verfehlte nicht ihre Wirkung. Vortega, der eben noch etwas geknickt gewesen war (niemand stand vor der Dame seines Herzens gerne als Tölpel da!), strahlte sofort auf.
„Oh ja. Viel Arbeit. Unmengen von Arbeit!", stammelte er. „Der Major lässt uns schuften wie Wookies in einem Bergwerk und macht uns trotzdem die Hölle heiß – ganz egal, wie sehr wir uns abrackern! Der Captain sagt immer..."
Er erging sich in weitschweifigen und langatmigen Schilderungen von Dhoranys scharfsinnigen (und ziemlich zynischen!) Ansichten und Einsichten über Cordalis weniger edle Charaktereigenschaften. Es bestand nicht der geringste Zweifel daran, dass der Major alles gab, um seine Untergebenen leiden zu lassen, und dass es ihm eine diebische Freude bereitete, sie in ihrem Zustand von elender Knechtschaft zu beobachten. Und was Captain Dhorany betraf, so verfügte er offenbar über bemerkenswert tiefenpsychologisch fundierte Theorien über die wahrscheinlichen Ursachen eines derart skrupellos und ungeniert ausgelebten Hangs zu Sadismus.
Leia lauschte dieser wortgewaltigen (und umständlichen!) Erzählung teilnahmsvoll und geduldig (wenn auch nur scheinbar!) und aß unter mitfühlenden Tönen („Hmmm...", „Ja?", „Ach!") die andere Hälfte ihres Apfels auf. Doch nach einer Weile hatte sie genug. Und schließlich setzte sie sich auf (ziemlich abrupt!) und warf die zweite Frucht wie einen Ball in den Schoß des Fähnrichs, was seinen ungehemmten Redefluss wirkungsvoll abbremste.
„Uuups!" Vortega beäugte das Wurfgeschoss, das ihn so unerwartet getroffen hatte, etwas argwöhnisch, identifizierte es dann aber doch als ungefährlich und nahrhaft, möglicherweise sogar schmackhaft. „Danke, Leia. Der sieht ja richtig verlockend aus. Übrigens: Vielen Dank auch für diese... äh... Keks-Dinger. Die waren wirklich toll! Der Captain hat gesagt, ich hätte so viel Freundlichkeit von Ihnen gar nicht verdient."
Leia schlussfolgerte daraus, dass Dhorany sich wider Erwarten tatsächlich dazu durchgerungen hatte, seinen Appetit zu zügeln und seinem jüngeren Kollegen zumindest die Überreste von Mrs. Wombards Backkünsten zu überlassen. (Vielleicht wollte er damit seine eigene Umgänglichkeit als Vorgesetzter beweisen. Vielleicht wollte er aber auch nur das unermüdliche Plappermaul seines Schreibtischnachbarn für ein paar Minuten stopfen.)
Trotzdem strahlte sie den redseligen Fähnrich jetzt auch an und säuselte: „Aber nicht doch! Das war doch nur eine Kleinigkeit."
„Nein, nein, das war wirklich riesig nett von Ihnen, Leia", entgegnete Vortega und grub seinerseits so kraftvoll seine Beißerchen in eine knackige rosige Apfelseite, dass der Saft nach allen Seiten spritzte. „Isch musch leider gleisch loschflitschen", verkündete er danach mit vollem Mund und entsprechend undeutlich. „Cap'n wartet beschtimmt schon auf misch."
Leia seufzte innerlich. Aber ihr Picknick-Gast hatte Recht – auf seine unartikulierte, schwer verständliche Weise. Er konnte nie lange mit ihr zusammen sitzen, wenn er im Dienst war. Dhorany würde sicher bald nach ihm Ausschau halten, zumal Cordalis der Westentaschentyrann ihnen so im Nacken saß.
Oder auch aus anderen Gründen...
Außerdem fiel gerade ein einzelner Regentropfen auf ihre Stirn, was bewies, dass auch die Wettervorhersage Recht hatte. Kurz gesagt: Es war Zeit, zum Angriff zu blasen.
Jetzt oder nie!, dachte sie.
„Natürlich müssen Sie wieder los und wie ein Wookie schuften – was bleibt Ihnen auch anderes übrig, Sie Ärmster?", girrte sie. „Aber bevor Sie in Ihr Bergwerk zurückgehen, muss ich Sie noch etwas fragen." Ihr Gesicht nahm einen aufrichtig besorgten, ja, fast schon kummervollen Ausdruck an. „Hören Sie, Ondrash", wisperte sie und beugte sich zu ihm hinüber, um eine vertrauliche Nähe zu schaffen, als wäre sie im Begriff, ein weltbewegendes Geheimnis ausplaudern. „Haben Sie rein zufällig meinen Armreif irgendwo gesehen?"
„Wasch für'n Schamreif?", nuschelte Vortega. (Es war wirklich nicht zu überhören – oder zu übersehen! –, dass er den Imbiss, der ihm buchstäblich in den Schoß gefallen war, sehr genoss.)
„So ein silbernes Teil… Also eigentlich ist es aus Mythril… mythrilanischem Platin... Und es sieht aus wie eine zusammengerollte Schlange. Die einzelnen Schuppen sind mit Brillanten eingefasst, aber das Auge ist ein seltener, unglaublich wertvoller gelber Kryonit. Das ganze Ding ist unglaublich wertvoll... nein, es ist praktisch unbezahlbar! Und ich Pechvogel habe es irgendwie und irgendwo verloren!"
Leia legte eine Kunstpause ein und biss sich heftig in die Innenseite ihrer Wange, was sofort zwei sehr überzeugende Tränen in ihre weit aufgerissenen Augen schießen ließ.
„Das ist schrecklich peinlich für mich, Ondrash! Meine Eltern werden sich wahnsinnig aufregen, wenn sie das rausbekommen. Es war nämlich ein Geburtstagsgeschenk... vom Imperator höchstpersönlich!"
Vortega bekundete sein Mitleid mit einem gefühlvollen Augenrollen und kaute sehr viel heftiger als zuvor – er war gebührend beeindruckt von den exotischen und unbegreiflichen Sorgen und Nöten der oberen Zehntausend.
„Und können Sie sich auch nur ansatzweise vorstellen, wie peinlich das für uns alle wäre, wenn Seine Majestät das rausbekommt?", flüsterte Leia.
Sie gab ein gequältes kleines Stöhnen von sich, um anzudeuten, dass der Verlust dieses praktisch unbezahlbaren kaiserlichen Kleinods höchst unerfreuliche Konsequenzen haben könnte: Zum Beispiel den Absturz aller Vaders von den steilen Gipfeln höchster imperialer Gunst in die unauslotbaren Abgründe tiefster imperialer Ungnade. Und vielleicht – aber nur vielleicht! – würde dieser Absturz sogar sehr viele andere und gänzlich unschuldige Zeitgenossen mit sich ziehen, weil sie rein zufällig mit den Vaders bekannt waren. Oder für sie arbeiteten...
Offenbar reichte Vortegas Vorstellungsvermögen aus, um diesen subtilen Fingerzeig nicht nur zu begreifen, sondern auch in seiner ganzen Tragweite zu erfassen, denn er verschluckte sich vor Aufregung an dem letzten Brocken und begann prompt zu husten, als würde er gleich ersticken.
Seine hervorquellenden grünbraunen Augen bettelten um eine Erste-Hilfe-Maßnahme, also klopfte Leia ihm leicht zerstreut, aber doch recht energisch auf den Rücken, während sie mit dem ganzen Pathos einer Bühnenheldin kurz vor ihrem tragischen Ableben klagte: „Ich habe den Armreif schon überall gesucht, aber ich kann ihn einfach nicht finden. Er ist verschwunden. Und das ist eine echte Katastrophe!"
Vortega, der gerade selber einer echten Katastrophe nur um Haaresbreite entkommen war, spuckte, nieste, hüstelte noch zwei- oder dreimal, wischte sich fahrig ein paar zerzauste hellbraune Strähnen aus seiner verschwitzten Stirn und ächzte kraftlos: „Gestohlen! Das Ding ist bestimmt gestohlen worden. Ich werde es sofort dem Captain melden. Wir müssen die Dienstboten-Quartiere durchsuchen. Heute noch!"
Doch von diesem Vorschlag hielt Leia gar nichts. Das letzte, was sie jetzt wollte, war eine Sturmtruppen-Razzia durch die Dienstboten-Quartiere, was garantiert das ganze Haus in Aufruhr versetzt hätte. Und das alles für die gänzlich überflüssige Fahndung nach einem Armreif, der sicher verwahrt in Leias Schmuckkasten lag, wo er auch hingehörte.
„Nein!", schnappte sie.
„Warum nicht?"
Leia merkte, dass sie sich im Ton vergriffen hatte. Sie legte ihre Hand auf Vortegas Arm, besonders sanft, um ihren Fehler wieder gut zu machen, und sah großäugig zu ihm auf.
„Unsere Leute sind doch total loyal... Wirklich, sie sind alle so treu wie Gold."
Vortega schwieg. Offensichtlich war er von der totalen Treue des Personals nicht ganz so überzeugt.
„Außerdem würden sie so etwas nie wagen!", erklärte Leia und sie tat es mit einem gewissen Nachdruck.
Dieses Argument schien der Fähnrich viel plausibler zu finden. Wer würde auch schon so leichtsinnig sein, direkt vor der Nase eines so Furcht erregenden Arbeitgebers auf Raubzug zu gehen?
Leia, die sich danach sehnte, auf Raubzug zu gehen (aber auf keinen Fall direkt vor Vaders Nase!), erkannte, dass der entscheidende Augenblick gekommen war. Sie legte sinnend einen leicht gekrümmten Zeigefinger an ihren Mundwinkel und einen zierlichen Daumen unter ihr Kinn (was die perfekte Geste war, um Nachdenklichkeit zu heucheln – sie hatte das vor dem Spiegel eingeübt, bis sie mit dem Effekt zufrieden gewesen war!).
Dann sagte sie gedankenverloren, als wäre sie eben erst darauf gekommen: „Und abgesehen davon glaube ich inzwischen, dass ich weiß, wo ich ihn verloren habe. Ich bin nur nicht gleich darauf gekommen, weil es ja schon Wochen her ist. Aber ich denke… Nein! Ich bin mir fast sicher, dass der Armreif im Arbeitszimmer von Va... meinem Vater ist."
„Warum ausgerechnet da?"
„Weil ich ihn an diesem Morgen getragen habe, als ich… Papa auf Wiedersehen gesagt habe. Ich war nämlich vorher im Palast, wissen Sie. Und ich trage den Armreif immer, wenn ich dahin gehe, damit der Imperator auch sieht, wie sehr ich sein Geschenk zu schätzen weiß. Er achtet auf solche Details – und wie er darauf achtet!
Und als ich wieder nach Hause gekommen bin, da bin ich direkt zu... Papa gegangen, um ihm... einen Abschiedskuss zu geben. Und dabei muss es passiert sein. Ich meine, je länger ich darüber nachdenke... Also ich bin mir ziemlich sicher, dass er irgendwo dort liegt!"
Vortega zog grübelnd die Brauen zusammen. „Hätte Lord Vader ihn dann nicht sehen müssen?"
„Nicht wenn der Armreif irgendwie unter seinen Schreibtisch gerollt ist oder unter seinen Stuhl oder so was. Außerdem war... mein Vater sehr in Eile, als ich ihm auf Wiedersehen gesagt habe. Er hat gerade irgendwas in seine Aktentasche gepackt und ist dann gleich nach mir rausgekommen", schwindelte Leia und betete gleichzeitig, dass Vortega nicht in der Nähe gestanden und Vaders gänzlich tochterlosen Abmarsch beobachtet hatte, was ihr Märchen sofort hätte auffliegen lassen.
„Aber müsste ihn dann nicht der Reinigungsdienst gefunden haben? Ich weiß, dass jemand drinnen war, als Lord Vader schon weg war – zum Staubsaugen und so. Moment mal... Vielleicht hat der Typ vom Reinigungsdienst das Teil geklaut!"
Leia überlegte etwas entnervt, warum Vortega so besessen davon war, dass ihr angeblich verschollenes Schmuckstück einem imaginären Dieb in die Hände gefallen war. Sein Jagdeifer machte es ihr nicht gerade einfach, das Gespräch in die richtige Richtung zu lenken.
„Wie auch immer", begann sie. „Ich..."
„Vielleicht war es aber auch der Fensterputzer! Dem würde ich das nämlich sofort zutrauen. Der guckt immer so finster – ja, irgendwie richtig heimtückisch! Aber dann müsste der Kerl wirklich fix gewesen sein, denn der Captain war ja da und hat auf ihn aufgepasst. Und danach war die Tür ja abgeschlossen…"
„Abgeschlossen?!", echote Leia ungläubig.
Zugleich fragte sie sich, warum diese Tatsache sie so überraschte. Wenn irgendjemand paranoid genug war, sein Büro in einem Haus voller Wachen und Videokameras noch zusätzlich versperren zu lassen, womit der Raum sozusagen hermetisch abgeriegelt war, dann Vader. Doch eine verschlossene Tür war eine neue Barriere, die ihre Mission noch komplizierter machte.
Das glaube ich jetzt einfach nicht!, seufzte sie innerlich.
„...was natürlich so gut wie beweisen würde, dass der Bursche Ihren Armreif genommen haben muss, weil danach niemand mehr Gelegenheit gehabt hätte, da drinnen herum zu schleichen und nach Wertgegenständen zu schnüffeln."
In diesem Augenblick schoss Leia blitzartig der Gedanke durch den Kopf, dass genau dieser unerwartete Bremsklotz der ideale Vorwand für Vortegas Rekrutierung war, weil es anderenfalls gar nicht so einfach gewesen wäre, ihm klar zu machen, warum sie nicht einfach selbst in „Papas" Arbeitszimmer hineinging, um nach ihrem Schatz zu suchen.
„Wie auch immer", wiederholte sie. „Ich muss unbedingt da rein, um mich darüber zu vergewissern. Ich meine, bevor wir damit anfangen, einfach mit wilden Verdächtigungen um uns zu werfen und arme harmlose Reinigungskräfte zu verhören."
Vortega, beseelt vom Geist des geborenen Polizisten und in seiner Fantasie schon längst dabei, den schurkischen (oder jedenfalls mutmaßlich verdächtigen) Fensterputzer festzunehmen und die Wahrheit aus ihm heraus zu holen (notfalls mit roher Gewalt!), stutzte unwillkürlich.
„Was? Ach so... ich verstehe. Wir können den Kerl nicht einfach so schnappen und ihn festnageln, ja?"
Er sah so enttäuscht aus (er hätte zu gerne den Helden gespielt und das Juwel seines Schwarms aufgestöbert!), dass Leia ihn beinahe bedauerte. Beinahe...
Doch immerhin legte Vortega eine rudimentäre Hilfsbereitschaft an den Tag und dieses Eisen musste geschmiedet werden, so lange es noch heiß war. Und es ließ sich nicht leugnen, dass sein berufsbedingter (oder auch persönlicher?) Argwohn gegenüber sämtlichen Reinigungskräften (und auch allen anderen dienstbaren Geistern) dabei von Nutzen war. Dieses Pferd konnte Leia sehr gut vor ihren Wagen spannen.
„Ganz genau, Ondrash. Wenn wir verhindern wollen, dass irgendjemand völlig grundlos verdächtigt wird und in wirklich große Schwierigkeiten kommt,dann müssen wir den Armreif jetzt finden – und das so schnell wie möglich."
Sie wartete einen Atemzug lang, um diese Äußerung und die damit verbundenen Implikationen einsinken zu lassen. Dann sagte sie seidenglatt: „Dhorany hat also einen Schlüssel zu dem Büro. Sie auch, Ondrash?"
„Nee!", klang es kategorisch zurück. „Nur der Captain. Und natürlich noch Lieutenant Bagoryan. Aber der ist ja jetzt mit Seiner Lordschaft auf der Executor."
Leia nahm dieses irrelevante Detail zur Kenntnis, ohne es zu kommentieren. Dass Vaders Senior-Adjutant einen Ersatzschlüssel hatte, war logisch, aber für sie absolut uninteressant. (Lieutenant Bagoryan wäre genau wie Major Cordalis eher tot umgefallen, als für Leia auch nur einen Finger zu rühren.)
Sie ließ ihre eigenen Finger erneut über Vortegas Arm wandern, federleicht, spielerisch, zärtlich...
Und während der Fähnrich wie hypnotisiert auf diese Finger hinunter starrte und ihren Streifzug über den Ärmel seiner Uniformjacke verfolgte, murmelte sie mit samtig-tiefer Stimme: „Sie könnten mir also ganz einfach Dhoranys Schlüssel besorgen und mich in das Arbeitszimmer reinlassen, damit ich meinen Armreif endlich zurück bekomme. Das können Sie doch, wenn Sie wollen, Ondrash – oder nicht?"
Die Betonung, dass alles lediglich von seiner Willigkeit abhing, und der kokett flirtende Tonfall dieses „oder nicht?" ließen durchblicken, dass ein solcher Ausbund an Ritterlichkeit durchaus auf eine angemessene Belohnung hoffen durfte.
Leider erwachte Vortega trotzdem jäh aus dem Zauberbann, der mit so viel Sorgfalt um ihn herum gewoben worden war.
„Also so einfach geht das nun auch wieder nicht, Leia", protestierte er, wenn auch wenig matt und ohne große Überzeugungskraft.
„Nein?", schnurrte sie. „Wer würde Sie denn daran hindern… mein lieber Ondrash?"
Sie ließ ihre kleine Hand auf seinen sehnigen Handrücken hinunter gleiten und dort ruhen, während sie unter gesenkten Wimpern zu ihm hinüber spähte. Sie stellte nicht ohne Genugtuung fest, dass der Kontakt von Haut zu Haut mehr Auswirkungen zeigte als das gefühlvolle Streicheln von Stoff. Vortega hechelte zwar noch nicht, aber er atmete eindeutig sehr viel schneller als zuvor.
„W...was heißt hier überhaupt besorgen?", stotterte er schließlich.
„Das heißt holen, Ondrash. Sie sollen den Schlüssel einfach nur holen. Und mir die Tür aufschließen, damit ich hinein kann – nur für fünf Minuten!"
„Ach, ich weiß nicht. Ich hab kein gutes Gefühl dabei", sagte Vortega klagend. „Ich meine, so ganz ohne Erlaubnis in Lord Vaders Arbeitszimmer rein zu trotten und dort..."
Er brachte den Satz nicht zu Ende, aber es war auch so klar, dass die Aussicht, völlig unautorisiert in das Allerheiligste des zweitmächtigsten Manns des Imperiums einzudringen und dort herum zu stöbern, ihn fast lähmte – auch wenn es nur um fünf Minuten ging.
„Bitte, Ondrash. Ich würde Sie nicht darum bitten, wenn es nicht so dringend wäre."
„Aber wieso ist es denn plötzlich so dringend? Warum können Sie nicht einfach warten, bis Lord Vader wieder da ist, Leia? Ich habe gehört, dass er spätestens in zehn Tagen zurückkommt. Vielleicht sogar schon nächste Woche."
Nun, diese Neuigkeit war noch viel unangenehmer – so unangenehm, dass Leia jetzt ebenfalls nach Luft schnappte.
Auch das noch!
„Weil ich nicht so lange warten kann!", erwiderte sie schnell. „Weil… ich nämlich übermorgen wieder in den Palast muss. Und dann… na, Sie wissen schon. Der Imperator legt eben so viel Wert darauf, dass ich dieses dumme Ding immer mit mir herumschleppe... Also er wäre sehr gekränkt, wenn ich bei ihm aufkreuze und das Teil dieses Mal nicht an meinem Handgelenk baumelt. Und wenn ich ihm beichte, warum ich es nicht mehr anhabe, dann wäre er noch viel gekränkter. Ich würde so einen Ärger bekommen." Sie machte große flehende Kinderaugen. „Sie wollen doch nicht, dass ich Ärger bekomme, nein?"
Nein, das wollte Vortega ganz bestimmt nicht – sein leicht belämmerter Gesichtsausdruck sprach Bände. Trotzdem suchte er krampfhaft nach einer Lösung, die verhindern sollte, dass er Ärger bekam.
„Na gut, das sehe ich ja ein. Aber ich könnte doch einfach den Captain fragen, ob er mir den Schlüssel gibt."
„Nein! Auf keinen Fall! Dhorany würde doch sofort wissen wollen, wozu Sie ihn brauchen. Und wenn er erst mal Bescheid weiß, dann erfährt es auch meine Mutter. Und das wäre wirklich furchtbar, weil sie sowieso schon meint, dass ich die schlampigste Tochter aller Zeiten bin und aus reiner Rücksichtslosigkeit ihr gegenüber grundsätzlich nie auf meinen Kram aufpasse. Sie ist nämlich eine totale Ordnungsfanatikerin. Und man sieht es ihr zwar nicht an, aber sie kann eine richtige Hexe sein. Sie wird mir sofort eine schreckliche Standpauke halten. Sie wird mir den Kopf abreißen. Und das würde ich lieber vermeiden. Diese Sache muss also unter uns bleiben – das verstehen Sie doch, Ondrash, ja?", hauchte sie verschwörerisch.
Doch Vortega zögerte. Er schien nicht ganz zu glauben, was sie ihm da eben aufgetischt hatte, denn mit einem Mal verengten sich seine haselnussfarbenen Augen misstrauisch. Und es war nicht nur Skepsis in ihnen zu lesen, sondern auch eine plötzliche Kühle. Und dann noch etwas anderes, etwas Undefinierbares, das Leia nicht ganz deuten konnte… Ein Wetterleuchten von unterschwelligen Gefühlen, die nichts mit Verliebtheit oder ähnlich romantischen Aufwallungen zu tun hatten... Eher eine Spur von... ja, beinahe Widerwillen. Und darüber hinaus... Spekulation? Vielleicht sogar Berechnung?
Neeein! So was ist einfach nicht in ihm. Er ist ein lieber, durch und durch süßer Junge – wenn auch auf eine hundertprozentig imperiale Weise. Er ist genau wie Mar Shelmerdee – das heißt wenn Mar ein total indoktrinierter braver kleiner Fähnrich wäre. Ondrash ist so... so unschuldig. Und vollkommen naiv. Er ist einfach nur... verunsichert. Beunruhigt. Verängstigt.
Oder vielleicht doch nicht?
Leia verdrängte die höchst unwillkommene Warnung, die aus dem dunkelsten Winkel ihres Unterbewusstseins hervorgekrochen kam, sofort wieder in den Hintergrund ihres Denkens, aber ein Rest von Unbehagen blieb. Denn was auch immer gerade in Vortega vor sich ging, es war definitiv nichts, was gut für sie oder vielmehr ihre Absichten war.
Ich habe viel zu dick aufgetragen. Er schluckt es nicht. Und jetzt springt er ab. Ich habe es vermasselt. Das war's, dachte sie resigniert.
Sie sah wirklich bereits ihre Felle davon schwimmen. Aber gerade als sie sich auf eine Abfuhr gefasst machte, wackelte Vortega zustimmend mit dem Kopf. Dass nicht nur kaiserliche Kränkungen mit all ihren unabsehbaren Folgen, sondern auch die Standpauken von ordnungssüchtigen und auch sonst hexenhaften Müttern um jeden Preis vermieden werden mussten, leuchtete ihm scheinbar doch noch ein, wenn auch mit reichlich Verspätung.
Leia atmete auf, hakte aber trotzdem sofort nach. „Ich kann mich also auf Sie verlassen, Ondrash?" (Es kam so beschwörend aus ihr heraus, dass es eher nach einer Feststellung klang als nach einer Frage.)
Wieder dieses Zaudern. Und wieder dieses seltsame Aufblitzen von was auch immer.
„Ich... werde sehen, was ich tun kann", erwiderte er zu guter Letzt.
Leia wusste nicht recht, wie sie seine ausweichende Antwort interpretieren sollte, doch sie sah ein, dass sie sich damit zufrieden geben musste – zumindest fürs Erste. Vortega jetzt noch mehr zu bedrängen, hätte ihn nur kopfscheu gemacht und ihn endgültig in die Flucht geschlagen. Und das konnte sie sich nicht leisten. Nicht bei dem Zeitdruck, unter dem sie stand.
Vader kommt spätestens in zehn Tagen zurück? Vielleicht sogar schon nächste Woche? Oh nein! Was ist, wenn Vortega mich hängen lässt? Bail Organa wird inzwischen bestimmt schon davon überzeugt sein, dass ich ihn hängen lasse.
Sie unterdrückte die sinnlose und allzu verzagte Mischung aus Frust und Furcht, die sofort in ihr aufkeimte wie die Samen von besonders hartnäckigem mentalen Unkraut...
Ich darf mich nicht hängen lassen!
... und bedachte ihren Möchtegern-Kavalier mit einem neuen schmelzenden Lächeln. „Sie sind ein guter Freund, Ondrash. Ein wahrer Fels in der Brandung. Was würde ich nur ohne Sie anfangen?"
Gar nichts! Genau das ist ja das Problem, dachte sie säuerlich.
Doch ihr Kompliment kam an. Vortega griente über das ganze Gesicht (sichtlich geschmeichelt!) und trompetete etwas wichtigtuerisch: „Ich muss jetzt wirklich wieder rein, es ist höchste Zeit."
Er stand mit Schwung auf, wobei er natürlich ausgerechnet gegen Leias lädierten Fuß stieß.
Du bist wirklich ein Trampeltier!, dachte sie aufgebracht, biss aber die Zähne zusammen und lächelte weiter, wenn auch etwas angestrengt. (Tatsächlich hatte sie in den letzten zehn Minuten so viel und so breit gelächelt, dass inzwischen ihre Kiefermuskeln vor Anspannung schmerzten.)
„Wir sehen uns später noch, Leia, ja?"
Hoffentlich nicht zu spät!
„Aber natürlich, Ondrash. Ich kann es kaum erwarten", zwitscherte sie.
Und wenigstens das war die Wahrheit.
Leia sah dem Fähnrich nach, als er davon schlenderte (er schien es gar nicht so eilig zu haben, wie er behauptet hatte!), und wackelte dabei mit ihren nicht mehr ganz so schmerzfreien Zehen. Sie begutachtete flüchtig ihren Fuß und dachte etwas geistesabwesend, dass der perlmuttfarbene Nagellack, den sie zur Tarnung aufgetragen hatte, den Bluterguss, der den großen Zeh und seinen Nachfolger verunzierte, erstaunlich gut verbarg.
Sie registrierte einen weiteren Regentropfen, der dieses Mal auf ihrer Nasenspitze landete. Irgendwo in weiter Ferne kündigte ein leises Grollen das näher rückende Gewitter an. Es war wirklich höchste Zeit, wieder hinein zu gehen...
Na ja, alles in allem ist es doch gar nicht so schlecht gelaufen, dachte sie, als sie ihre Bastmatte wieder zusammenrollte.
Es hätte aber auch viel besser laufen können.
Oder noch viel schlechter. Egal! Ich werde das schon irgendwie deichseln.
Und an diesem tröstlichen Gedanken hielt sie sich fest, als sie ganz und gar ohne jede elfenhafte Grazie zu der Verandatür zurück humpelte...
Fortsetzung folgt ...
