XXVII.


Vortega brauchte einen ganzen Tag, um über seinen Schatten zu springen und sich zu einem einsamen Entschluss durchzuringen. Aber eines musste man ihm zugute halten: Als er sich endlich dazu aufgerafft hatte, seiner Herzensdame eine helfende Hand zu reichen, fackelte er nicht lange, sondern handelte sofort.

„Okay, ich hab den Schlüssel!", zischelte er ihr zu, als sie nebeneinander vor der Eingangstür standen und dabei zusahen, wie auch Dhorany Lady Vader eine helfende Hand reichte, als sie so gravitätisch in ihren Wagen hinein stieg wie ein besonders langbeiniger Ibisschnäbler in seinen Teich. (Padmé war gerade im Begriff, zu einem größeren Einkaufsbummel aufzubrechen, und hatte in letzter Minute darauf bestanden, ihre Tochter mitzuschleifen – sehr zum Missvergnügen der mitgeschleiften Tochter!)

Leia, die in den letzten (und schier endlos langen!) vierundzwanzig Stunden wie auf glühenden Kohlen gesessen hatte, war so überwältigt von einem Gefühl universeller Dankbarkeit, dass sie ihrem Kavalier in einer Aufwallung von komplizenhafter Zuneigung am liebsten um den Hals gefallen wäre und ihn stürmisch abgeküsst hätte. Aber das war vor Padmés (und Dhoranys!) Argusaugen nicht ratsam, also begnügte sie sich damit, mit einer Hingabe zu ihm aufzusehen, die an sich schon Bände sprach.

Seltsamerweise wich Vortega ihrem innigen Blick aus, als wäre er ihm aus irgendeinem Grund unangenehm. Stattdessen fixierte er seinen Vorgesetzten, der eben mit einem sichtlich verärgerten Chauffeur über die sicherheitsmäßigen Nachteile der von ihm geplanten Route diskutierte.

Doch schließlich murmelte der Fähnrich: „Aber wir müssen es wirklich gleich heute Abend durchziehen, länger kann ich ihn nicht behalten."

Leia hatte absolut nichts dagegen einzuwenden – ganz im Gegenteil! Sie hatte es ja selber sehr eilig (nicht wegen dem vorgeschobenen rein fiktiven Besuch im Palast!), was Vortega im Eifer des Gefechts aber irgendwie völlig vergessen zu haben schien, denn er war offenbar der Meinung, dass er sein überstürztes Vorgehen begründen musste.

„Der Major hat heute wieder eines von seinen Regimentstreffen und wird spätestens um sechs heimgehen, um sich dafür in Schale zu werfen – das macht er immer so. Und wenn er endlich die Kurve gekratzt hat, wird der Captain auch sofort abtigern, weil er seine Freundin abends gerne in irgend so einen Schickimicki-Wellnesstempel begleitet, wenn er Gelegenheit dazu hat.

Die Luft ist also rein – na ja, so gut wie. Wir treffen uns Punkt 6.45 Uhr direkt vor Lord Vaders Büro. Dann haben wir maximal zehn Minuten, denn um sieben ist Wachablösung im Videoraum und ich will auf keinen Fall von der Nachtschicht erwischt werden."

Nun, das wollte Leia auch nicht. Von der Tagschicht übrigens auch nicht und deshalb meldete sie gleich Bedenken an. „Ondrash, sitzt in der Zwischenzeit denn gar niemand im Videoraum, der uns dabei beobachten könnte?"

„Nee. Heute schiebt nämlich Sergeant Mellican Dienst und der schleicht sich immer schon vor Schichtende raus, wenn er kann, um auf dem Klo schnell noch einen Spicestick zu paffen, bevor er in die Kaserne zurück muss."

Leia gewann allmählich den Eindruck, dass die regelmäßigen Regimentstreffen von Major Cordalis sich generell großer Beliebtheit erfreuten. Ganz nach dem Motto: Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch!

Sie stellte sich unwillkürlich vor, wie Cordalis bald mit kerzengerade durchgedrücktem Rückgrat in irgendeinem militärisch angehauchten Herrenclub hocken und vor einer auserwählten Schar von ebenso steifstieseligen Offizierskameraden damit prahlen würde, mit welch straffer Disziplin er seine Untergebenen (und auch alle anderen Bewohner der Vader-Residenz!) in Schach hielt, ohne auch nur zu ahnen, dass Sergeant Mellican noch vor seinem offiziellen Feierabend in der wenig gemütlichen Umgebung einer Mannschaftstoilette seinem heimlichen (und höchst illegalen!) Laster frönte, während Dhorany sich ebenfalls längst aus dem Staub gemacht hatte, um sich mit seiner Flamme irgendwo in Imperial City in einer Sauna der gehobenen Preisklasse zu aalen oder sich sogar mit einer Paarmassage verwöhnen zu lassen, und ein argloser Vortega Lord Vaders rebellischer Tochter dabei half, die Todessternpläne zu entführen. Der bloße Gedanke hatte etwas ungemein Befriedigendes...

„Einfach genial!", wisperte sie zurück. „Sie haben wirklich an alles gedacht, Ondrash."

Aber auch ihr Lob blieb merkwürdigerweise ohne nennenswerte Reaktion.

Leia betrachtete prüfend das ausdruckslose Gesicht neben ihr, kam jedoch nicht mehr dazu, Vortegas Gefühle in dieser Angelegenheit näher zu erforschen, denn in diesem Moment rief ihre Mutter ein wenig ungeduldig: „Worauf wartest du eigentlich noch, Liebling? Komm endlich!"

Leia schnitt eine kleine Grimasse, trottete aber gehorsam zum Wagen hinüber. Sie schlüpfte hinein, ohne Dhoranys galante Unterstützung abzuwarten, denn der Captain war immer noch damit beschäftigt, Padmés Fahrer auszuzanken.

„Ich weiß! Aber mir ist es völlig egal, ob das ein Umweg ist oder nicht. Wenn ich sage, wir nehmen die Tanagra-Avenue, dann nehmen wir sie auch. Verstanden?"

„Verstanden, Sir", brummte der Chauffeur scheinbar resigniert.

Doch während Dhorany sich ebenfalls auf dem Rücksitz neben den Damen niederließ (etwas abgekämpft jetzt!), murrte der Mann jenseits der trennenden Glasscheibe halblaut, aber unmissverständlich vor sich hin – in seliger Unwissenheit darüber, dass die Gegensprechanlage eingeschaltet war, so dass seine Passagiere im Fond alles mitbekamen!

„Also mir kann's erst recht egal sein! Ich hab den ganzen Tag Zeit. Soll sich aber nachher bloß niemand bei mir beschweren, wenn wir praktisch ewig im Stau festhängen. Sind ja auch nur hundert Umleitungen auf der Strecke – mindestens!", schimpfte er. „Also wirklich... Was man sich von so einem Grünschnabel alles bieten lassen muss! 'Ich weeeiiiß!'", äffte er Dhoranys Tonfall nach. Er gab ein höhnisches Bellen von sich, das zeigte, was er von dem Captain ganz allgemein hielt. „Keine Ahnung von der Planung, aber alles besser wissen... Eingebildeter Fatzke!"

An dieser Stelle begann Leia haltlos zu kichern und sogar Padmé schmunzelte. Was ihre ebenfalls im Wagen sitzenden Sturmtruppen-Leibwächter von der Situation hielten, blieb wie üblich unter ihren Maskenhelmen verborgen.

Doch Dhorany, durchströmt von einer etwas unausgegorenen Mischung aus gerechter Empörung und Belustigung angesichts der umwerfenden Situationskomik, klopfte an die Scheibe und rief sarkastisch: „Hallo da vorne! Ihnen ist schon klar, dass der eingebildete Fatzke hier hinten jedes Wort hören kann – oder nicht?"

Aus dem Lautsprecher drang zuerst ein erstickter Fluch und dann ein leises Knistern, was die abrupte Deaktivierung der Sprechanlage bewies. Im nächsten Moment verfärbte sich die Trennscheibe zu einem undurchdringlichen Schwarz, womit die Privatsphäre in beiden Bereichen wieder hergestellt war – oder jedenfalls so eine Art Sichtschutz für den auf frischer Tat ertappten Möchtegern-Meuterer.

„Ich glaube, ich muss nachher mal ein ernsthaftes Wörtchen mit dem Burschen reden", sagte Dhorany mit einem grimmigen kleinen Lächeln. (Humor hin oder her, seine Autorität musste ebenfalls wieder hergestellt werden, bevor diese Respektlosigkeit sich herumsprach und womöglich noch als schlechtes Beispiel für seine anderen Untergebenen diente.)

„Lassen Sie es gut sein, Captain. Das ist ihm so peinlich – ich glaube, er ist schon genug bestraft", sagte Padmé gütig.

Dhorany zweifelte sichtlich daran, beschloss aber, sich auch großmütig zu zeigen und Gnade vor Recht ergehen zu lassen – für dieses eine Mal. „Wie Sie wünschen, Mylady."

Und damit war die Sache erledigt.

Vielleicht wollte der Chauffeur seine unfreiwillige (und blamable!) Showeinlage wieder gutmachen, vielleicht hatte er aber auch einfach nur Glück im Unglück, auf jeden Fall verlief der Flug trotz der tatsächlich zahlreichen Umleitungen reibungslos und so gut wie staufrei.

Dafür zog sich die anschließende Shoppingtour umso mehr in die Länge, so dass Leia, die ohnehin schon angespannt war, immer nervöser wurde, denn im Gegensatz zu dem Fahrer hatte sie nicht den ganzen Tag Zeit. Tatsächlich flog die Zeit geradezu dahin...

„Warum siehst du denn ständig auf die Uhr? Hast du es eilig?", fragte Padmé, als sie umständlich das achte Paar lachsfarbener Satinpumps anprobierte, die sich übrigens kaum von ihren Vorgängern unterschieden.

Leia, die gerade zum x-ten Mal das zierliche Ziffernblatt der Brosche an ihrer Brust studiert und dabei mit milder Panik registriert hatte, dass der größere der beiden goldenen Zeiger bereits fast den ganzen Weg zwischen fünf und sechs zurückgelegt hatte, zuckte unwillkürlich schuldbewusst zusammen.

„Nein. Ja. Also... irgendwie schon", erklärte sie etwas vage.

„Hast du noch eine Verabredung?"

„Nicht wirklich", murmelte Leia, die aus begreiflichen Gründen nicht zugeben konnte, dass das durchaus der Fall war. „Es ist nur..." Sie zögerte.

„Na was denn? Tu doch nicht immer so geheimnisvoll", erwiderte Padmé ein wenig schroffer als üblich. (Die ausgedehnte Wanderung durch zwei mehrstöckige Fachgeschäfte für prestigeträchtige Haushaltsartikel auf der Suche nach wirklich originellen Servietten und anderen ausgefallenen Deko-Objekten für die nächste Dinner-Party hatte sie mehr angestrengt, als sie angenommen hatte, und die Jagd nach den perfekten Schuhen für ihr neues Gala-Outfit sah auch nicht nach einem erfolgreichen Abschluss aus. Sie fühlte sich müde und ausgelaugt und die notorisch schlechte Laune dieses Kindes ging ihr auf die Nerven.) „Rede endlich! Was hast du jetzt wieder?"

Leia erkannte die Alarmzeichen eines unmittelbar bevorstehenden mütterlichen Ausbruchs, suchte nach einer plausiblen Ausrede und fand eine.

„Krämpfe. Ich hab meine... na ja, du weißt schon was", flüsterte sie.

Sie mimte mädchenhafte Schamhaftigkeit, obwohl Dhorany und die Sturmtruppensoldaten in einigem Abstand von ihnen entfernt standen, alle drei eingepfercht zwischen Regalen voller todschicker und sündhaft teurer Damenschuhe und jeder von ihnen mit rosa bebänderten Schachteln und Einkaufstüten beladen wie Packesel. (Die beiden Soldaten erinnerten mit ihren hängenden Köpfen und Schultern inzwischen an zwei völlig erschöpfte Scouts, die in einem Irrgarten aus unübersichtlichen Kaufhaus-Abteilungen und Rolltreppen ebenso hoffnungslos verloren waren wie in einer unbekannten Dschungelwildnis, während ihr Captain immer noch genug Energie aufbrachte, um mit der typisch männlichen Faszination für die unbegreiflichen Folterwerkzeuge der weiblichen Eitelkeit zwei mörderisch hochhackige Stilettos direkt vor seiner Nase zu bestaunen, die von oben bis unten mit bunten Strasssteinchen besetzt waren. Offenbar stand seine wellnessbegeisterte Freundin nicht auf diese Art von Schuhwerk.)

Padmé verwandelte sich sofort wieder in eine besorgte Mama zurück.

„Warum hast du das nicht gleich gesagt, Liebling? Lass uns das hier abbrechen und nach Hause fahren."

„Ja. Ich glaube, das wäre auch besser. Ich fühle mich gar nicht gut", hauchte Leia.

Sie lehnte sich mit leidender Miene gegen die Rückenlehne des üppig gepolsterte Diwans, auf dem ihre Mutter zur Anprobe Platz genommen hatte, um anzudeuten, dass sie sich eigentlich kaum noch auf den Beinen halten konnte vor lauter Pein und dass sie diese Tortur nur aus reinem Pflichtgefühl so lange durchgehalten hatte. Das reichte völlig aus, um Padmé bemerkenswert schnell auf ihre Beine zu bringen.

Sie winkte herrisch zu der jungen Verkäuferin hinüber, die im Hintergrund auf der Lauer lag, und rief ihr zu: „Ich nehme dieses Paar und das zweite, das ich anprobiert habe. Lassen Sie alles einpacken und per Kurier an mich schicken. Die Rechnung geht auf dasselbe Konto wie immer."

„Ja, Mylady", sagte die kleine Verkäuferin ehrerbietig.

Sie wusste auch ohne weitere Informationen haargenau, welches Konto diese Lady meinte und wohin die Ware gesendet werden sollte. (Es hatte seine Vorteile, zu Darth Vaders Dunstkreis zu gehören – nicht viele, aber immerhin.) Außerdem schien sie sich auch mühelos an die genaue Reihenfolge der probegetragenen Pumps erinnern zu können, denn sie angelte sofort das richtige Duo heraus – zumindest bestätigte Padmé ihre Auswahl, indem sie zustimmend den Kopf senkte.

Leia, für die alle Treter so identisch aussahen, als wären sie voneinander geklont worden, sagte sich, dass die Frau entweder ein überdurchschnittlich gutes Gedächtnis haben musste oder so etwas wie einen modetechnisch geschulten sechsten Sinn. Und für ihre Mutter galt offensichtlich dasselbe.

Aber das alles spielte jetzt keine Rolle. Wichtig war nur, dass sie kurz darauf mit ihrer ganzen Eskorte und Sack und Pack auf dem Heimweg waren. Trotzdem war es schon Viertel nach sechs, als sie endlich wieder zu Hause eintrudelten.

„Du bist ja kreideweiß! Ist es denn so schlimm? Am besten legst du dich gleich ein bisschen hin und ruhst dich aus", schlug Padmé vor, als sie hineingingen.

„Ja, das habe ich auch vor", erwiderte Leia, die keineswegs die Absicht hatte, sich hinzulegen. (Irgendwie zweifelte sie daran, dass sie je wieder dazu in der Lage sein würde sich auszuruhen – ganz egal, wovon.)

„Kommst du nachher trotzdem zum Essen herunter?"

„Auf keinen Fall! Ich... ich glaube nicht, dass ich dazu fähig sein werde."

„Gut. Dann komme ich später nochmal rauf zu dir, um zu sehen, wie es dir geht, Liebling."

„Nein! Ich... werde jetzt einfach ein Sapirin nehmen und schlafen... mich mal gründlich ausschlafen. Das wird bestimmt wahre Wunder bei mir wirken. Du wirst sehen – morgen bin ich praktisch ein ganz neuer Mensch."

„Wenn du meinst..."

„Oh ja, genau das meine ich!", sagte Leia so kategorisch, dass jeder weitere mütterliche Einwand im Keim erstickt wurde.

„Dann also bis morgen." Padmé küsste ihre Tochter auf die Stirn und war erfreut, weil Leia es widerstandslos über sich ergehen ließ, was nicht oft vorkam. „Schlaf gut, Liebling."

„Ja, du auch", erwiderte Leia zerstreut. (Sie war mit ihren Gedanken meilenweit entfernt.)

Wenn Padmé über diesen reichlich verfrühten Gute-Nacht-Gruß an ihre Adresse erstaunt war, dann ging sie kommentarlos darüber hinweg. Sie nickte ihrer Tochter einfach nur zu und schwebte in Richtung Lift davon, gefolgt von Maalin und Zonia, die mittlerweile die Leibwachen von der Last ihrer Mitbringsel befreit hatten.

Die Soldaten gingen hinaus. Dhorany, der Major Cordalis Terminkalender natürlich in- und auswändig kannte, war bereits entschwunden und vermutlich schon auf dem Weg zu seiner Freundin und ihrem bevorzugten Freizeithabitat.

Leia aber blieb allein und unschlüssig in der Eingangshalle zurück, während sie zu entscheiden versuchte, wo sie die noch verbleibende Restzeit so unauffällig wie nur möglich abwarten konnte. Zuerst wollte sie sich einfach in den verwaisten Wintergarten zurückziehen, um dort der Dinge zu harren, die da kommen sollten. Aber dann fiel ihr siedend heiß ein, dass sie etwas Wichtiges vergessen hatte: Sie musste zuvor noch einen Abstecher in ihr Zimmer machen, denn dort war etwas, das sie gleich dringend brauchen würde. Oder vielmehr verschiedene Dinge, die sie dringend brauchen würde.

Sie nahm denselben Lift, den Padmé zuvor benutzt hatte, und schoss pfeilschnell in ihre Gemächer hinein, um in aller Eile zusammen zu kramen, was sie benötigte. Doch bis sie die notwendigen Utensilien so gut wie unsichtbar unter ihrem Kleid verstaut hatte (es durften keine verdächtigen Ecken oder Rundungen zu sehen sein, die Fragen aufgeworfen hätten!), verstrich mehr Zeit, als sie vorausgesetzt hatte.

Und so war es schon 6.44 Uhr, als Leia schließlich betont lässig durch den Korridor spazierte, in dem das Ziel all ihrer gegenwärtigen Wünsche und Bestrebungen untergebracht war.

Vortega erschien nur Sekunden nach ihr auf der Bildfläche, blass vor Aufregung. Er fischte fahrig eine schlichte graue Plastikkarte aus seiner Hosentasche und ließ sie prompt fallen.

„Verdammt!", zischte er.

Er bückte sich hastig und hob die Karte wieder auf. Dann stieß er sie so resolut in den Schlitz des elektronischen Türschlosses hinein, dass der Scanner darin ein protestierendes Quietschen von sich gab.

„VERDAMMT!"

Er riss die Karte wieder heraus und schob sie noch einmal hinein, aber jetzt wesentlich sanfter.

Er hat mehr Angst als ich. Man könnte meinen, er muss gleich auf Datenklau gehen, dachte Leia.

Aber sie musste einräumen, dass sie genauso zappelig war wie ihr Begleiter, auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen durfte. Und deshalb atmeten beide auf, als der Scanner nun ein sehr viel leiseres Piepsen von sich gab und eine grüne Diode aufleuchtete, die signalisierte, dass der Autorisierungscode akzeptiert worden war.

Das Schloss klickte und klackte endlose Sekunden lang vor sich hin… und dann schwang die Tür auf... ganz langsam, wie in Zeitlupe, als wüsste sie genau, dass die ganz und gar unautorisierten Besucher, die vor ihr standen, keineswegs das Recht hatten, sich Zutritt zu verschaffen.

Endlich!, dachte Leia.

Und doch konnte sie sich nicht überwinden, den ersten Schritt zu tun. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen und sie konnte fühlen, wie ihre Handflächen feucht wurden. Und dann begriff sie plötzlich, dass sie noch etwas vergessen hatte, etwas, dass alles zunichte machen konnte. Wie sollte sie Vortega loswerden? Er durfte auf keinen Fall mit ihr kommen. Sie konnte sich doch unmöglich vor seinen Augen in Vaders Computer hineinhacken!

„Ondrash... Ich..." Sie brach ab. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, wie sie ihren Alleingang rechtfertigen sollte, ohne sich hoffnungslos verdächtig zu machen.

„Jetzt gehen Sie schon rein, Leia. Ich bleibe so lange hier draußen und stehe Schmiere, okay?"

Und damit war das Problem gelöst – einfach so! Leia konnte es kaum fassen.

Glück muss man haben...

„Denken Sie daran, dass Sie höchstens zehn Minuten haben. Dann müssen wir uns wieder auf die Socken machen. Beeilen Sie sich!", drängte Vortega.

Das ließ Leia sich nicht zweimal sagen.

Höchstens zehn Minuten... Wie soll ich das nur schaffen, wenn ich auch noch den Safe aufstöbern muss?!, grübelte sie, als sie über die Schwelle schritt und die Tür hinter sich zuschob, ohne sie ganz zu schließen.

Aber auch diese Befürchtung war voreilig und damit vollkommen überflüssig, wie sich gleich darauf herausstellte. Alles, was Leia begehrte, befand sich auf dem topmodernen Computer, der auf Vaders Schreibtisch lauerte wie eine tickende Bombe – zumindest kam es ihr so vor. Sie erwartete beinahe eine Explosion, als sie ihn einschaltete, nachdem sie Bail Organas virenverseuchten Datenkristall in den entsprechenden Slot gesteckt hatte.

Doch der Computer fuhr einfach ganz normal hoch – bis der Virus in Aktion trat! Er wirkte mit einer magischen Schnelligkeit – es war, als hätte Leia einen Zauberstab geschwungen. Das Fenster, das gleich nach dem Bootprozess auftauchte und gebieterisch eine Passworteingabe von ihr verlangte, blitzte nur einmal kurz auf und verschwand dann sofort wieder. Es wurde durch ein Setup-Menü ersetzt, das fröhlich blinkend meldete, dass ein Programm mit dem denkwürdigen (und vielversprechenden!) Namen Super-GAU auf seine Ausführung wartete. Und gerade als Leia überlegte, ob irgendein Handgriff von ihr erforderlich war…

Muss ich vielleicht auf die Enter-Taste drücken, um das zu bestätigen, oder so was?

… startete die Installation ganz von selbst, wie Organa es ihr versprochen hatte.

Es dauerte exakt dreiundneunzig Sekunden (sie starrte wie gebannt auf den Bildschirm und zählte mit!), bis der Vorgang abgeschlossen war, das Menü-Fenster erlosch und die Sicht wieder frei gab. Und dann entdeckte Leia es sofort. Es stand direkt vor ihr mitten auf dem Desktop: Ein knallrot gefärbter Ordner...

Rot wie Blut. Wie passend!

… der in Großbuchstaben seinen Inhalt verkündete: PROJEKT TODESSTERN.

Er hat sich extra eine Verknüpfung gemacht, damit er sofort darauf zugreifen kann. Ich hätte nie gedacht, dass er so bequem ist. Oder so leichtsinnig...

Aber ob es nun Bequemlichkeit oder Leichtsinn oder schlicht und einfach Hybris von Vader war – er servierte Leia sozusagen alles, was sie haben wollte, auf einem Silbertablett.

Und ich war felsenfest davon überzeugt, dass ich zuerst zig Festplatten mit ungefähr tausend Unterverzeichnissen abgrasen muss, bis ich das da aufspüre. Das hätte bestimmt ewig und drei Tage gedauert. Aber alles liegt hier auf dem Desktop – einfach so! Ich muss es mir nur noch schnappen. Das ist alles. Es ist fast ZU einfach...

Ein wenig misstrauisch klickte sie den Desktop-Ordner an.

Wenn das Ding jetzt leer ist, fange ich an zu schreien!

Doch der Ordner war randvoll mit Dateien jeder Art...

Mein Gott, das müssen ja mindestens hundert sein!

… also eine etwas unübersichtliche Menge an Textdokumenten, Tabellen und vor allem Grafiken von einem enormen Umfang. Leia wählte versuchsweise eine der größeren Bilddateien aus und öffnete sie – was sie sofort bereute, weil die Datei wirklich ewig zu brauchen schien, bis sie aufging.

Aber ihre Beharrlichkeit wurde belohnt, als eine schier endlose Serie von komplizierten Blaupausen über den Monitor rollte, unzählige Seiten mit mikroskopisch klein beschrifteten schematischen Zeichnungen von rätselhaften Geräten oder technischen Einrichtungen oder was auch immer. Denn das einzige, was für Leias unerfahrene Augen halbwegs Sinn ergab, war die Darstellung einer riesigen, mit einem Gitternetz überzogenen Billardkugel, die in der oberen Hälfte eine kreisrunde Einbuchtung aufwies. Alles in allem sah sie aus wie ein Mond mit einem tiefen Krater von einem Meteoriteneinschlag. Ein künstlicher Mond, von Menschenhand geschaffen und von menschlicher Bösartigkeit und Zerstörungswut ersonnen...

Das ist er – der Todesstern. Hässliches Teil. Einfach scheußlich!

Es bestand nicht der geringste Zweifel daran, dass diese Scheußlichkeit nur eine Bestimmung hatte – nämlich Tod und Vernichtung über die Galaxis zu bringen und das in einem ungeahnten, ja, bisher unvorstellbaren Ausmaß. Leia fröstelte innerlich.

Hoffentlich schaffen die Rebellen es, dieses Monster in die Luft zu jagen.

Aber um das möglich zu machen, musste den Rebellen zunächst das ausgehändigt werden, was sie gerade begutachtete – und das schon viel zu lange!

Sie schloss die Grafikdatei wieder. Zwei Links-Klicks mit dem Touchpad auf der Tastatur und alle Dateien in dem Verzeichnis des Ordners waren markiert. Zwei Rechts-Klicks und die düstere, aber nicht völlig hoffnungslose Zukunft der Galaxis war kopiert und auf dem Datenkristall abgespeichert.

Nun ja, noch nicht ganz abgespeichert! Tatsächlich bewegte sich der Ladebalken, der den Monitor jetzt beherrschte, nur im Schneckentempo vorwärts. Zwei Prozent... Vier Prozent... Sechs...

Also wenn er noch mehr trödelt, läuft er wahrscheinlich gleich rückwärts!, dachte Leia gereizt. Na ja, Terabytes an Grafiken runterzuladen, dauert eben eine Weile. Bei den Tabellen und Textdateien wird es viel schneller gehen – wenn die Speicherkapazität reicht!

Um sich von ihren Sorgen abzulenken (und weil sie ohnehin nichts anderes tun konnte!), sah sie sich ein wenig um. Immerhin handelte es sich bei ihrem Aufenthalt in diesem Raum um eine einmalige Angelegenheit, denn wiederholen würde sie ihren Besuch hier garantiert nie.

Nicht freiwillig, so viel steht fest!

Das Arbeitszimmer sah überraschend normal aus. Leia war fast enttäuscht, denn sie hatte mit einem richtigen Gruselkabinett gerechnet, dessen Atmosphäre so mit Vaders sinisterer Präsenz gesättigt war, dass es auch in seiner Abwesenheit die unheilschwangere Aura eines Spukschlosses verbreitete oder vielleicht sogar finstere Macht-Vibes ausströmte wie ein schlecht abgedichteter Reaktor hochgiftige Wellen von Radioaktivität. Darüber hinaus hatte sie sich auf die Zurschaustellung von dekadentem Luxus gefasst gemacht und wenigstens auf ein paar morbide Kunstobjekte – wie zum Beispiel eine Vitrine mit abgehackten und gefriergetrockneten Jedi-Händen, die immer noch die Laserschwerter ihrer toten früheren Eigentümer umklammerten, oder ähnlich widerwärtige Siegestrophäen.

Auch andere unheimliche esoterische Artefakte wären denkbar gewesen – möglicherweise ein Regal voller uralter modrig riechender Bücher oder Schriftrollen über die unaussprechlichen Rituale von ebenfalls verblichenen und längst zu Staub zerfallenen ehemaligen Sith-Lords.

Aber in Wirklichkeit handelte es sich um ein ganz gewöhnliches Büro, das jedem x-beliebigen Imperialen der aristokratischen oder zumindest begüterten Gesellschaftsschicht hätte gehören können. Es gab die übliche Ansammlung von maskulinen Highend-Möbeln aus edlen Hölzern, Acrylglas, Metall und Leder, natürlich alles sehr hochwertig, aber keineswegs übertrieben opulent oder gar verschwenderisch. Und die einzigen Kunstwerke bestanden aus zwei großflächigen Ölgemälden, die irgendwelche epischen historischen Schlachtenszenen darstellten, und aus vier sehr nackten Marmor-Damen, die auf einem Sockel in der Ecke knieten. Ein Quartett aus unbekannten Grazien, die ihre lieblichen steinernen Antlitze in einem erstarrten Ausdruck blinder Verehrung zu dem in Gips gegossenen Relief-Abbild eines extrem muskulösen Kriegers in antiker Kampfrüstung zu erheben schienen, das schräg über ihnen angebracht war...

Leia fand, dass Vaders Geschmack in Sachen Dekoration ziemlich viel über seine Persönlichkeit oder vielmehr sein Ego aussagte.

So sieht er sich also: Ein unwiderstehlicher Kriegsgott, vor dem schöne Frauen gleich reihenweise auf den Knien liegen, um ihn anzubeten. Du meine Güte – so was muss er ja wirklich nötig haben!, dachte sie verächtlich.

Sie kehrte zu dem Schreibtisch zurück und sah auf den Monitor, der immer noch von einem Ladebalken verziert wurde, der zähflüssig seinen ganz eigenen Countdown herunter zählte. Siebenundzwanzig Prozent... Neunundzwanzig... Einunddreißig...

Das sind immer noch diese Grafikdateien!

Doch so einen Zeitaufwand hatte Leia nicht vorausgesehen. Und nun erinnerte sie sich daran, dass da draußen vor der Tür immer noch ein Publikum stand, das von ihrer angeblich gerade stattfindenden Fahndung nach vermissten Schätzen überzeugt werden musste. Ein kleiner Beweis für ihre Bemühungen war angebracht, also huschte sie zu dem massiven schwarzen Ledersessel hinüber, der zusammen mit einer Couch gleicher Machart eine Längsseite des Raumes einnahm. Sie umklammerte mit beiden Händen eine der geschnitzten Armlehnen und stemmte das schwere Stück unter Auferbietung all ihrer Kräfte ein paar Zentimeter in die Höhe. Als sie die Lehne wieder losließ, krachte der Sessel mit einem lauten und höchst befriedigenden Rumpeln auf den Boden herunter.

So! Jetzt denkt Ondrash, dass ich in meiner Verzweiflung sogar Möbel durch die Gegend rücke. Das muss reichen. Hoffentlich hat niemand außer ihm das Gepolter gehört. Das Letzte, was ich jetzt brauche, ist, dass Mr. Huudini oder eines der Hausmädchen sich darüber wundert, wer hier oben im Tempel der Sith-Bosheit herum rumort.

Sie erwog, sich für ein oder zwei Minuten auf der Couch niederzulassen, um sich etwas auszuruhen, denn allmählich spürte sie ihre Füße. (Ihren Rücken übrigens auch nach ihrem Kraftakt!) Mit ihrer Mutter einkaufen zu gehen, war zwar nicht gerade ein Marathonlauf, aber doch ziemlich anstrengend gewesen. Und abgesehen von den beiden Fahrten in Padmés Wagen hatte sie seit Stunden nicht mehr auf ihren vier Buchstaben gesessen, was sich nun bemerkbar machte. Aber ihre innere Rastlosigkeit trieb sie dazu, stattdessen ruhelos auf und ab zu wandern.

Sie unterzog den Bildschirm einer erneuten Prüfung. Dreiundfünfzig Prozent... Achtundfünfzig... Zweiundsechzig...

Das dauert und dauert...

Aber ein Fortschritt hatte eindeutig stattgefunden und jetzt lief das Kopieren wohl etwas schneller – und das war auch gut so!

Leia pilgerte zu den Gemälden zurück und musterte sie kritisch. Gepanzerte Figuren aus derselben Epoche und von derselben Welt wie der Gips-Kämpe metzelten einander mit Schwertern (Eisen, nicht Laser!), Speeren, stachelbesetzten Streitkolben und anderen altertümlichen Mordinstrumenten nieder. Bogenschützen ließen Hagelschauer von Pfeilen auf ihre Feinde niederregnen. Gewaltige Steinkugeln und lodernde Feuerbälle flogen durch die Luft, geschleudert von sonderbaren Riesen-Katapulten, die auf einer Anhöhe oder auf den Zinnen einer Burg montiert waren und dort thronten wie Alptrauminsekten.

Beide Szenen atmeten in ihrer Gewalttätigkeit einen gewissen rohen Realismus aus. Es fehlte nicht an blutrünstigen Details: Die beiden Schlachtfelder waren mit Leichen übersät und mit diversen abgetrennten Körperteilen ausgeschmückt. (Mit allen Gliedern, nur nicht mit Köpfen. Die Häupter der Gefallenen waren ausnahmslos auf Pfählen aufgespießt. Vermutlich ein Ausdruck künstlerischer Freiheit – oder auch eine echte Vorliebe dieser Ära!)

Leia malte sich aus, wie Vader an seinem Schreibtisch saß und die Konstruktionspläne einer nagelneuen Massenvernichtungswaffe studierte, während sein Auge bei jeder Pause auf diesen jahrhundertealten und reichlich brutalen Blutbädern ruhte.

Jetzt weiß ich, warum er keinen Schaukasten für abgehackte Jedi-Pfoten oder andere Perversionen braucht – seine Inspiration für das nächste imperiale Massaker hängt hier einfach ganz offen an der Wand!

Aber wenn ich schon mal da bin...

Leia hob versuchsweise den Rahmen des ersten Gemäldes ein wenig an und spähte neugierig dahinter. Nichts. Nur ein Stück weißgestrichene Täfelung. Das Ergebnis beim zweiten Bild war dasselbe. Auch das Relief auf der anderen Seite des Raumes versteckte keine verräterische Stahlplatte.

Also kein Wandsafe. Wie gut, dass alles auf dem Computer war...

Sie kreiselte zu dem Schreibtisch zurück. Der Balken auf der Bildschirm-Anzeige war inzwischen erfreulich nahe an sein Ende herangerückt. Achtundachtzig Prozent... Neunzig... Zweiundneunzig...

Gleich fertig.

Ein diskretes Klopfen an der Tür ließ sie so heftig zusammenschrecken, dass sie nur mit Mühe einen kleinen Aufschrei unterdrücken konnte.

„Leia… Sind Sie so weit?", erkundigte sich Vortegas gedämpfte Stimme.

„Nur noch einen Augenblick, Ondrash! Ich muss nur noch schnell... aufräumen."

Leia rollte zur Tarnung hektisch Vaders Schreibtischstuhl hin und her, so dass die mit Kunststoff ummantelten Stahlrollen auf dem Parkettboden ein unangenehm schrilles Quieken verursachten, während sie fieberhaft den Monitor beobachtete.

Sechsundneunzig Prozent... Achtundneunzig... Hundert. Und damit war der Download komplett.

Gott sei Dank!

Mit fliegenden Fingern tippte sie auf die Symbolleiste, öffnete das dort angezeigte Kontextmenü, loggte den Datenkristall aus und zerrte ihn mit einem Ruck aus seinem Slot heraus. Und während sie den Computer herunterfuhr, betete sie, dass Super-GAU seine Arbeit vollendet und auch wirklich alle Spuren eines unbefugten Zugriffs verwischt hatte.

Sie stopfte den Datenkristall wieder in ihren Slip und zog dafür den Armreif heraus, den sie ebenfalls dort verstaut hatte.

Sie wollte gerade gehen, als ihr klar wurde, dass sie selbst auch noch ein paar Spuren verwischen musste.

Ich darf keine Fingerabdrücke hinterlassen. Sicher ist sicher...

Sie sprintete zu dem Schreibtisch zurück und polierte mit dem Ärmel ihres Kleides in Windeseile über den Monitor, die Zentraleinheit und die Tastatur des Computers. Auch die Rückenlehne des Stuhls bekam ein paar eher unzarte Streicheleinheiten ab.

Was habe ich noch angefasst? Die Bilderrahmen! Und die Armlehne von dem Sessel...

„Wir müssen gehen. Sofort!", fauchte es von draußen.

Hätte ich doch nur Handschuhe mitgebracht...

„LEIA!"

Ach, zum Henker mit diesem bescheuerten Sessel und diesen dämlichen Bilderrahmen! Ich muss hier raus!

Sie eilte hinaus, wo sie von Vortega etwas ungnädig in Empfang genommen wurde.

„Ich dachte schon, Sie wollen da drinnen übernachten", sagte er barsch.

Er ließ die Tür hinter ihr zuschnappen (der Schließmechanismus rastete mit einem hörbaren KLACK ein!), wirbelte herum und marschierte im Sturmschritt davon. Mit seinen langen Beinen kam er so schnell vorwärts, dass Leia beinahe rennen musste, um mit ihm Schritt zu halten.

Er blieb erst wieder stehen, als sie in einen anderen Flur abgebogen waren (und sich damit so weit wie nur möglich von dem Tatort entfernt hatten!), und sah vorwurfsvoll auf sie herab.

„Also das war wirklich knapp. Extrem knapp!"

Leia lächelte zu ihm auf, wobei sie auf die richtige Dosis zwischen Koketterie und schuldbewusster, um Verzeihung heischender Verlegenheit achtete.

„Seien Sie nicht böse auf mich, Ondrash", bat sie. „Ich hätte nie gedacht, dass ich so lange dazu brauche, aber ich musste tatsächlich Papas ganzes Büro abklappern. Aber wenigstens bin ich fündig geworden. Sehen Sie mal!"

Sie hielt ihm ihr Alibi-Objekt unter die Nase. Die üppig verstreuten Brillanten auf dem mit stilisierten Schlangenschuppen ziselierten breiten Reif gleißten und funkelten und das goldgelbe Kryonit-Auge glitzerte in einem eisigen Licht, das es beinahe lebendig wirken ließ. (Übrigens konnte Leia diesen protzigen Klunker, der so gar nicht zu ihrem Wesen passte, nicht ausstehen und hatte ihn noch nie getragen – nicht ein einziges Mal. Und sie vertraute darauf, dass der Imperator ihre Missachtung seines Geschenkes inzwischen tatsächlich bemerkt hatte – ihm entging nämlich wirklich nichts! – und dass er sich darüber schwarz ärgerte. Tatsächlich hätte sie dieses Monument an Geschmacklosigkeit mit Wonne direkt vor Palpatines genauso kalten Schlangenaugen der unersättlichen Spendensammlung des WWW überlassen – so wie sie es früher oder später grundsätzlich mit allen seinen Geschenken machte. Es war eine Frage des Prinzips und sogar der Ehre. Leia war unbestechlich und sie wollte jedem zeigen, dass sie es war – vor allem dem Imperator!)

„Dann war das edle Stück also doch nicht unter Papis Schreibtisch. Na, das wäre ja auch zu leicht gewesen, was?"

Vortegas staubtrockener Tonfall ließ in diesem Augenblick eher an Dhorany in einer seiner zynischeren Launen denken als an den immer so gefälligen liebenswürdigen jungen Offizier, der wie ein übereifriges Kuscheltier um Leia und jedermann sonst herum wuselte. Und das ließ ihn mit einem Schlag viel älter wirken und irgendwie… anders als sonst. Irgendwie hartgesottener, abgebrühter. Vielleicht sogar kaltschnäuzig? Es passte so gar nicht zu seinem Wesen.

Aber das war jetzt vollkommen nebensächlich, oder nicht? Es ging hier um etwas ganz anderes.

Zu leicht...

Die beiden Worte hallten in Leias Ohren wider und schienen plötzlich von einer ungeahnt unheilvollen Bedeutung erfüllt zu sein.

Zu leicht... Zu einfach!

War das nicht genau das, was ihr selbst noch vor wenigen Minuten ganz spontan durch den Kopf gegangen war, als sie vor Vaders Computer gesessen und festgestellt hatte, dass all diese streng geheimen Daten ihr dargeboten wurden wie einem naschhaften Kind das ultimativ verführerische Bonbon?

Denn wenn sie bedachte, was sie in den letzten Wochen durchgemacht hatte, von welchen Ängsten sie heimgesucht worden war, wie sie Pläne geschmiedet und Strategien ausgebrütet und alles wieder verworfen hatte, wie sie sich abgeplagt hatte, was sie auf sich genommen hatte, um eine scheinbar undurchführbare Aufgabe doch noch zu bewältigen, also wenn sie all das bedachte, dann musste sie sich jetzt ehrlich eingestehen, dass ihr ach so gefährlicher und hochriskanter Spionageakt letzten Endes alles in allem ziemlich unspektakulär verlaufen war. Also nicht direkt harmlos, aber doch eher zahm.

Ach was! Das ist nur der Stress. Jetzt bloß nicht durchdrehen! Ich habe das Zeug und das ist alles, was zählt...

„Leia?"

„Was?! Ach so... Nein. Er war unter der Couch. Ganz hinten an der Wand. Keine Ahnung, wie er da hingekommen ist. Ich musste regelrecht drunter kriechen, um an ihn heranzukommen. Ich bin jetzt noch voller Fusseln. Diese Teppichbrücke da drinnen haart schlimmer als ein Wookiefell im Frühling."

Sie zupfte ein paar imaginäre Teppichflusen von ihrem ganz und gar fusselfreien Rock, um ihre Behauptung glaubwürdig zu untermauern.

Vortega schwieg eine Weile, dann sagte er ruhig: „Dann haben Sie jetzt also, was Sie unbedingt wollten."

„Ganz genau. Und das habe ich nur Ihnen zu verdanken, mein lieber Ondrash."

„Ich hoffe, dass es die Sache wert war", murmelte er.

Was meint er denn damit?!

„Für Sie wert war", fügte er hinzu, als sie ihn fragend ansah, aber das klärte seine letzte Bemerkung keineswegs auf, sondern machte sie eher noch enigmatischer.

Männer! Können sie nicht einmal klipp und klar aussprechen, was sie eigentlich sagen wollen?, dachte Leia säuerlich.

Nichtsdestotrotz antwortete sie besonders herzlich: „Natürlich war es mir das wert, Ondrash. Ohne Ihre Hilfe würde ich jetzt ganz schön in der Patsche sitzen."

Der Blick, der jetzt zurück kam, war unergründlich, aber er erfüllte Leia doch mit einem leisen Unbehagen.

Was hat er denn bloß? Warum sieht er mich so komisch an?

„Danke. Vielen, vielen Dank", säuselte sie. „Das werde ich Ihnen nie vergessen, Ondrash. Und ich werde mich dafür erkenntlich zeigen, das schwöre ich Ihnen."

Er trat von einem Fuß auf den anderen, als hätten sich die Nägel in seinen Stiefelsohlen irgendwie durch das Leder gebohrt. Leia war offensichtlich nicht die Einzige, die sich momentan etwas unwohl fühlte.

„Schon gut, Leia. Sie schulden mir nichts. Gar nichts. Ich... ich habe nur meine Pflicht getan."

Pflicht? Was soll denn das jetzt heißen? Er redet ja wie ein Page, der gerade irgendeiner hochwohlgeborenen Durchlaucht von eigenen Gnaden ein Glas Limonade gebracht hat. Man könnte fast meinen...

Vielleicht liegt ihm ja gar nicht so viel an mir, wie ich dachte. Vielleicht habe ich mir das alles nur eingebildet und er war die ganze Zeit über einfach nur höflich zu mir. Oder er hat sogar Angst vor mir. Leg dich bloß nicht mit der Tochter vom Chef an oder so was...

Pflicht! Männer...

Sie schluckte ihre Irritation hinunter und widmete ihrem plötzlich nicht mehr ganz so überschwänglichen Paladin ein stark abgekühltes, aber hoheitsvolles Strahlen, das man am besten mit dem Begriff „leutselig" umschreiben konnte. Es war die freundlich distanzierte Miene, die Padmé immer dann aufsetzte, wenn sie es mit Dienstboten zu tun hatte – wohlwollend, aber doch zurückhaltend, so dass jedermann gleich wusste, dass sie im Notfall mit sich reden ließ, ohne dabei jemals zu vergessen, dass man trotzdem in der Hackordnung sehr, sehr tief unter ihr stand.

„Also wenn das so ist... Na, wir sehen uns ja dann noch. Bis bald, Ondrash."

„Ja. Bis bald."

Und sogar in dieser belanglosen Abschiedsformel schwang etwas mit, das Leia nicht ganz verstehen konnte und auch gar nicht verstehen wollte, weshalb sie es kurz entschlossen verdrängte.

Denn sie hatte jetzt wahrhaftig an etwas Wichtigeres zu denken.

An das Wichtigste überhaupt...


Fortsetzung folgt ...