XXIX.


Leia starrte ungläubig auf eine drei Meter hohe Säule, die aussah wie ein mit Blut beschmierter und mit pelzigen Algen überwucherter Marterpfahl. Das lag vor allem daran, dass sie von oben bis unten mit ausgesprochen realistisch wirkenden schmerzverzerrten humanoiden Fratzen verziert war, die man in den dunkelroten Porphyr hinein geritzt hatte. Das Bewässerungssystem, dass die Pflanzendecke mit der notwendigen Feuchtigkeit versorgte, gurgelte vor sich hin wie das letzte Röcheln eines Todgeweihten und die Wassertropfen, die unaufhörlich aus den weit aufgerissenen Augen der steinernen Gesichter perlten, ließen an einen endlosen Strom von vergossenen Tränen denken.

Auch Padmés Blick schweifte mit milder Skepsis über eine Gruppe von grotesk verkrümmten grau marmorierten Statuetten, die auf einem länglichen Podest aufgereiht waren und irgendwie an eine mit Grünschimmel überzogene Horde von arthritischen Gartenzwergen in einem Stadium extremer Pein erinnerten. Der Gesamteindruck dieser Kunstwerke war leicht verstörend – gelinde gesagt. Und es gab noch viel mehr davon. Der ganze Raum war damit angefüllt, eine Kollektion von in Granit und Kupferporphyr gemeißelten Alpträumen, dicht bewachsen mit einer speziellen Art von Flechten, die trotz der liebevollen Pflege, die man ihnen offensichtlich angedeihen ließ, etwas räudig wirkten...

Sie beäugte die an der Wand angebrachte Plakette, auf der in großen leuchtenden Kursivbuchstaben 'Malfalda Mellark, Muse der Moose (Irydian)' stand.

„Hast du nicht von einer Vendervir-Ausstellung gesprochen, Liebling?"

„Ich muss da etwas verwechselt haben", murmelte Leia. (Sie wünschte sich inzwischen, sie hätte sich den Eventkalender der Galerie genauer angesehen, aber sie konnte schließlich nicht an alles denken.)

„Das macht doch nichts, das macht gar nichts", sagte Padmé rasch.

Ihr war sehr daran gelegen, dass dieser Ausflug keine komplette Enttäuschung wurde. Es war schon schlimm genug, dass ihre Tochter so geknickt war, weil ihre Freundin Na'oomi jetzt doch nicht daran teilnehmen konnte. (Das arme junge Ding war laut Leias Auskunft am Vortag eine Rolltreppe hinuntergefallen und hatte sich dabei beide Beine zugleich gebrochen, was nun wirklich extremes Pech war!)

„Wir zwei erweitern unseren Horizont eben mit allem, was heute hier zu sehen ist. Ich finde diese Moos-Skulpturen sogar irgendwie ganz... interessant. Sie sind so… na ja… interessant."

Ein anderer Freund der Künste, der bis dahin in einigem Abstand zu den beiden Damen und ihren Bodyguards Miss Mellarks Meisterwerke in andächtigem Schweigen bewundert hatte, drehte sich zu Padmé um und klemmte ein blitzendes Monokel in sein Auge, um die kleinkarierte Kulturbarbarin in der anderen Ecke des Ausstellungsraumes noch besser von oben herab mustern zu können.

Als das geschehen war, rief er mit allen Anzeichen schockierter Empörung: „Interessant?! Ich muss doch sehr bitten, Madame! Was für ein seichtes triviales Wort für diesen faszinierenden Ausdruck urwüchsiger prä-imperialer Energie und Lebenskraft. Diese Skulpturen sind einfach genial. Ja, sie sind geradezu göttlich!"

Er schüttelte langsam und kummervoll seinen kahlen Kopf und einen sehr langen Pferdeschwanz, der aus der Kuppe seines nackten Schädels heraussprang wie ein haariger Fangarm und in einem intensiven Veilchenblauton eingefärbt war. Er war sichtlich zutiefst betrübt über eine derart spießige und engstirnige Einstellung zu diesem in Stein gehauenen Geniestreich. Der banale Konservatismus dieser geistlosen Aristokratin war zu viel für ihn!

Die Leibwächter, die gegen die fragwürdige Faszination, Genialität oder eventuell sogar göttlichen Eigenschaften von irgendwelchen albernen Figuren, Pfosten und Stelen gänzlich immun waren, reagierten bemerkenswert schnell und drastisch auf das unverschämte und vielleicht sogar aggressive Verhalten dieses großspurigen Bürgers gegenüber ihrer sehr aristokratischen Schutzbefohlenen. Sie schickten sich gerade an, dem veilchenblau bezopften Fan der prä-imperialen Ära eine handfeste Demonstration ihrer eigenen und sehr gegenwärtigen Energie und Lebenskraft (und Aggression!) zu verpassen, als Padmé sie mit einem diskret in ihre Richtung geflüsterten „Aber nicht doch, meine Herren!" zurückpfiff.

Sobald die gepanzerten Fäuste der beiden rabiaten Schutzengel den zerknautschten Kragen seines Jacketts und seinen zerrauften Zopf losgelassen hatten, flüchtete der misshandelte Anbeter der irydianischen Muse Hals über Kopf aus der Gefahrenzone.

Leia, die den Vorfall aus dem Hintergrund beobachtet hatte, verdrehte entnervt die Augen. „Wieder mal typisch!", murrte sie vor sich hin. „Immer dasselbe Theater, wenn wir unterwegs sind."

„Manche Leute sind aber auch wirklich zu aufdringlich – und so besserwisserisch! Tut mir Leid, Liebling. Sollen wir lieber wieder gehen?"

„NEIN!", fauchte Leia, die im Moment keinen Wert auf übertriebene Diskretion legte – jedenfalls nicht, wenn es nur um ihr Stimmvolumen ging. „Wir bleiben!"

Eine spannungsgeladene Pause trat ein. „Ich bin sicher, es gibt hier noch andere Sachen zu besichtigen als dieses gruselige Zeug", fügte sie dann etwas gedämpfter hinzu. (Nach ihrem kleinen Ausrutscher konnte es nicht schaden, sich ein wenig zahmer und williger zu zeigen, sonst schleppte ihre Mutter sie womöglich sofort zu einem verfrühten Lunch und danach zu Arden, womit der Tag wieder mal gelaufen gewesen wäre.)

Padmés Miene hellte sich sofort auf. „Du hast ja so Recht. Gehen wir doch einfach weiter in den nächsten Raum und sehen mal nach, was sie uns da zu bieten haben, ja?"

Und genau das taten sie dann auch.

Natürlich hatte die Metropolis-Galerie ihren Gästen mehr zu bieten als nur Malfalda Mellarks moosige Monstrositäten. Und so verbrachten Mutter und Tochter doch noch eine recht angenehme Stunde mit dem gemeinsamen Betrachten von allen möglichen Artefakten, bis Leia nach einem unauffälligen Blick auf ihr Armbandchrono entschied, dass es an der Zeit war, sich für eine Weile abzusatteln.

Der Zufall kam ihr dabei zu Hilfe, denn gerade in diesem Moment erschien die Besitzerin der Galerie, eine gewisse Madame Goya, auf der Bildfläche und hielt in einem Wirbel aus wallenden eisgrauen Locken, farbenfrohen wehenden Gewändern und zahllosen bunten, sanft vor sich hin klingelnden Glasperlenketten, die wie Henkersschlingen um ihren Nacken gewunden waren, zielstrebig auf die potenzielle Kundschaft zu.

„Was für eine Ehre, was für eine Freude! Meine liebe, liebe Lady Vader – es ist so schön, Sie hier begrüßen zu dürfen!", trompetete sie. „Darf ich Sie vielleicht nach nebenan entführen und Ihnen die sensationellen Degassi-Lithografien zeigen, die wir erst gestern brandneu herein bekommen haben?

Ich sage Ihnen, Everard Degassi ist zurzeit der allerletzte Schrei in der Szene – alle reißen sich um ihn und seine bildschönen Drucke. Die Leute bieten uns ganz unglaubliche Summen dafür. Ich bin sicher, wir werden ruckzuck ausverkauft sein.

Sie müssen also einfach die Gelegenheit nutzen, sich ein oder zwei oder drei Stücke davon zu einem absolut fantastischen Vorzugspreis zu sichern, bevor man uns die Türen einrennt und sie uns praktisch aus den Händen reißt."

Leia dachte mit einer Spur von Zynismus, dass irgendein aufmerksamer Mitarbeiter sowohl die panische Flucht des Zopfträgers als auch deren Ursache beobachtet und sofort seine Chefin alarmiert haben musste, damit die Herrin der Glasperlen und der verkäuflichen Degassi-Drucke die möglicherweise ernsthaft erzürnte künftige Kaiserin mit zungenfertiger Schmeichelei und einem einmaligen Sonderangebot wieder beschwichtigte, bevor das Imperium aus purer Rachsucht zurück schlug und die Metropolis-Galerie wegen mutmaßlicher Komplizenschaft bei einer Majestätsbeleidigung zweiten Grades einfach niederbrannte oder ihrer Inhaberin ein ganzes Rudel von unerbittlichen Steuerprüfern auf den Hals hetzte, was garantiert genauso vernichtend gewesen wäre.

Padmé, die sich den atemlosen Redeschwall halb geduldig, halb amüsiert angehört hatte, schien durchaus dazu bereit zu sein, sich entführen und sich den allerletzten Schrei vorführen zu lassen.

Sie neigte gnädig den Kopf, lächelte der Frau zu und sagte in ihrem liebenswürdigsten Tonfall: „Aber sicher, meine Teure, ich werfe gerne einen Blick auf Ihre Lithographien."

Sie hatte übrigens nicht die Absicht, irgendetwas davon zu kaufen, fantastischer Vorzugspreis hin oder her, wollte aber etwas Entgegenkommen zeigen. Die Frau strahlte auf, sichtlich erleichtert – sie hatte die unmittelbare Gefahr für ihr Eigentum erkannt und gebannt.

Sie winkte einladend zu einem Paravent hinüber, der offenbar den Zugang zu den neuesten Objekten verhüllte, und flötete: „Wenn ich bitten darf, Mylady..."

Jetzt wird sie für mindestens eine Viertelstunde abgelenkt und beschäftigt sein. Einfach perfekt!, dachte Leia.

Und als ihre Mutter auffordernd zu ihr hinüber sah, sagte sie schnell: „Entschuldige mich bitte. Ein Ruf der Natur... Ich bin gleich wieder da!"

Weitere Erläuterungen waren überflüssig. Padmé nickte ihrer Tochter zu und entschwand mit der Galeristin hinter dem Paravent, in ihrem Kielwasser einer der Soldaten.

Sein Kamerad wollte eigentlich in einem eher gemütlichen Tempo hinter Leia her zockeln, sah sich aber zu seinem Leidwesen dazu gezwungen, in einen würdelosen Galopp auszubrechen und die lange, wie ein besonders enges Schneckenhaus gewundene Wendeltreppe, die in das obere Stockwerk führte, hinauf zu rennen wie einen Hügel bei einem Angriff auf eine feindliche Stellung.

Wenn Leias Schatten sich darüber wunderte, warum sein Schützling das dort befindliche stille Örtchen in einem leicht überstürzten, aber immer noch damenhaften Sturmschritt aufsuchte, dann ließ er sich nicht zu einem entsprechenden Kommentar hinreißen. Vielleicht lag das aber auch nur daran, dass der Mann völlig außer Atem war, als sie oben ankamen. (Möglicherweise teilte er das Laster von gewissen Kollegen und qualmte in seiner Freizeit zu viele Spicesticks oder ähnlich ungesunde Tabakerzeugnisse, was sich inzwischen negativ auf seine Lungenfunktion oder generell auf seine Fitness auswirken mochte!) Jedenfalls keuchte er wie ein Blasebalg und als er schließlich wie angewurzelt zwischen zwei Türen stehen blieb (über denen übrigens hübsch verzierte antike Nachttöpfe baumelten, um auf den Sinn und Zweck der dahinter verborgenen Räumlichkeiten hinzuweisen!), hustete er sogar und das ziemlich laut und rasselnd.

Leia schenkte dem halben Asthmaanfall direkt hinter ihr nicht die geringste Beachtung. (Das Wohl und Wehe der ganzen Galaxis hing an ihr wie ein Mühlstein – was waren dagegen die gereizten Atemwege irgendeines Leibwächters? Der Mann würde ja wohl nicht gleich daran sterben!)

Sie wählte wie üblich die Tür, auf deren museumsreifem Nachtgeschirr ein nur schemenhaft angedeutetes Fräulein mit einer zierlichen Gießkanne irgendeine dekorative Blumenranke begoss (die Allegorie passte irgendwie, wie sie fand!), und witschte hindurch.

Wie sie gleich darauf mit Genugtuung feststellte, herrschte gähnende Leere in ihrem Refugium und das wusste sie sehr zu schätzen: Bei ihren beiden früheren Visiten hatte hier dank dem nachmittäglichen Besucherandrang Hochbetrieb geherrscht, was für einen erheblichen Rückstau und eine nicht weniger erhebliche Verzögerung gesorgt hatte. (Bei ihrem ersten Versuch hatte Leia es nicht einmal mehr geschafft, den Transmitter rechtzeitig einzuschalten. Und beim zweiten Mal war die Frist abgelaufen gewesen, bevor der Transmitter seinen Empfänger geortet hatte. Fünfzehn Minuten waren wirklich sehr, sehr kurz, wenn man in einer langen, langen Warteschlange stehen und anschließend ein unbekanntes Gerät in Gang bringen musste. Und wenn dieses Gerät dann auch noch ewig brauchte, um über sechs verschiedene Kom-Satelliten eine Verbindung herzustellen, dann war diese Zeitspanne eindeutig zu kurz!) Aber heute waren alle vier Kabinen frei, so dass sie sofort loslegen konnte. Leia sah darin einen Wink des Schicksals.

Es muss jetzt endlich klappen. Es muss einfach!

Als sie sich in einer der Kabinen verschanzte und den Transmitter aus ihrem mitgebrachten Rucksack fischte (Padmé hatte sie damit aufgezogen und sie neckend gefragt, ob sie Proviant mitgenommen hatte wie auf einem Schulausflug!), kam ihr in den Sinn, dass sich der größte Teil ihres Rebellendaseins grundsätzlich in einem mehr oder weniger öffentlichen Sanitärbereich abspielte. Sie sagte sich in einem Anflug von Galgenhumor, dass man eben nirgendwo so ungestört war wie in einem einsamen Hort der Hygiene.

Schon als Teenager hatte sie den Waschraum der Wilhulf-Tarkin-Highschool als Ausgangsbasis für ihre Flugblattaktion auserkoren (auch wenn letzten Endes gar nichts daraus geworden war!), weil er zwischen den Unterrichtspausen völlig verwaist war. Auch ihr unerwartetes Treffen mit Bail Organas Kontaktperson hatte in dem ruhigen Rückzugsgebiet einer Damentoilette stattgefunden. Und nun war ihr großer Spionagecoup im Begriff, auf einem kunstvoll aufgemotzten, aber kunstfreundlosen Kundenklo sein Finale zu finden.

Es passt irgendwie...

Sie klappte den Deckel der Toilette herunter, kauerte davor nieder, setzte den Transmitter darauf ab wie auf einem niederen Tisch und schaltete ihn ein. Sie sah erneut auf ihr Chrono. Es war genau 12.00 Uhr.

Auf die Minute pünktlich. Gutes Timing.

Als sie den Holonetzugang aktivierte, tauchte auf dem handtellergroßen Bildschirm prompt ein Wellensymbol auf, das ihr signalisierte, dass das Gerät damit begonnen hatte, nach dem offenen Kanal zu suchen, auf den es programmiert worden war. Dann erschien ein Hinweis.

VERBINDUNGEN WERDEN ÜBERPRÜFT...

„Ja, ja, ich weiß", wisperte sie vor sich hin.

Sie holte den Datenkristall aus dem Seitenfach ihres Rucksacks und schob ihn in den passenden Anschluss an dem Transmitter, damit er bereit war. Sie wollte keine Zeit verlieren, wenn es so weit war.

Und jetzt hieß es wieder mal warten.

Also wartete sie...


oOoOoOo

Antilles sagte sich, dass er jetzt unbedingt irgendetwas Sinnvolles tun musste, denn wenn er noch länger auf all die Monitore auf seiner Konsole starrte, würde er vermutlich gleich von seinem Sitz aufspringen und damit anfangen, kreuz und quer durch das Cockpit der Mitarsi zu steppen.

Er wusste selber nicht, warum er so rastlos war. Die taktischen Anzeigen waren schwarz und tot. Da draußen im All war nicht mehr Leben als auf einem Eiswürfel, wie die Corellianer immer zu sagen pflegten – jedenfalls nicht in unmittelbarer Nähe der Mitarsi. Sie hatten sich heute vorsichtshalber so weit von den Orbital-Stationen und den üblichen Anflugsektoren der Passagier- und Handelsschiffe entfernt, wie es nur möglich war, ohne völlig aus der Reichweite der planetaren Kom-Satelliten zu geraten. Und bis jetzt hatten sie noch nicht einen Patrouillenkreuzer zu Gesicht bekommen. Nicht einen! Bis jetzt...

Es gab also absolut keinen Anlass für Raymus Antilles, in seinem Pilotensessel herumzurutschen, als hätte sein Sohn ihm wieder Juckpulver auf seine Uniformjacke gestreut (Ideen hatte dieser Racker!), oder eine peinliche Tanznummer aufzuführen. Trotzdem war eine kleine Zerstreuung jetzt angesagt, also angelte er nach der Thermoskanne, die in der Halterung neben seinem Sitz steckte. Ein bisschen mehr Cofecea konnte ja nie schaden – auch wenn ihn das wahrscheinlich noch viel zappeliger machen würde...

Er fummelte an dem Verschluss der Kanne herum und fragte beiläufig: „Wollen Sie auch eine Tasse, Hoheit?"

„Nicht jetzt, danke. Ich hab noch nicht mal meinen Tee ausgetrunken. Aber nachher vielleicht. Ich..."

Bail Organa hielt inne, als sein eigener Monitor plötzlich zum Leben erwachte. Seine Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten, als eine Reihe von vertrauten Buchstaben und Ziffern über den flachen Schirm wanderte.

CHEFKOCH 5559462 AN KÜCHENFEE 3017438 … EMPFANG BESTÄTIGEN JA / NEIN?

„Raymus", sagte er heiser.

„Ja, Sir?"

„Wir haben Kontakt!"

Antilles verlor sofort jedes Interesse an seinem Cofecea und beschwor stattdessen spontan den legendären Heros aus dem bislang dunkelsten Kapitel von Alderaans Historie. (Die Geschichte dieser pazifistischen Welt war nicht immer so friedfertig verlaufen und er hatte eine Schwäche für alte Heldenepen!)

„Bei den Knochen von Ergol Lutiann! Ich werd verrückt! Die Kleine hat es durchgezogen. Sie hat es wirklich durchgezogen."

„Ich habe nie daran gezweifelt", behauptete der Vizekönig, obwohl das nicht so ganz der Wahrheit entsprach. Er hatte nie an Leia Vaders Loyalität oder Mut gezweifelt, aber zunehmend an der Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Mission tatsächlich erfolgreich abschließen würde. Wenn sie sie überhaupt abgeschlossen hatte.

Vielleicht will sie mir auch nur sagen, dass es unmöglich ist. Man soll den Tag nie vor dem Abend loben...

Er verscheuchte seinen höchst unangemessenen Pessimismus, hackte ein besonders energisches JA in die Tastatur seiner Konsole ein und sandte es mit einem Knopfdruck durch den Äther.

Und dann verharrte er, atemlos vor Spannung...


oOoOoOo

Es war bereits 12.08 Uhr, als Leia endlich eine Rückmeldung bekam.

KÜCHENFEE GEORTET. VERBINDUNG HERGESTELLT. EMPFANG BESTÄTIGT.

Acht Minuten!, dachte sie betroffen. Und die Übertragung wird noch länger dauern – sogar viel länger, wenn nicht alles glatt geht. Dieses Mal werden sie mehr als eine Viertelstunde brauchen...

Nun, das war ein Grund mehr, jetzt endlich durchzustarten. Sie klickte hastig den Datenkristall an und als sich das Abfrage-Fenster öffnete...

DOKUMENT-CONTAINER MENU ROYAL... TRANSMISSION SENDEN JA / NEIN?

… handelte sie prompt, obwohl sie die abstrusen Spitznamen, die Bail Organa seinem Schiff, seinem Transmitter und sogar dem Kristall oder vielmehr dem auf ihm abgespeicherten Datenpaket verpasst hatte, albern fand, vielleicht sogar ein bisschen makaber.

Na ja, er kann ja wohl kaum unter seiner eigenen Schiffs-ID durch die Gegend gondeln oder zulassen, dass das Zeug unter der Bezeichnung Todesstern oder Super-GAU durch den Kanal geschickt wird. Man weiß ja nie, ob nicht doch jemand zuhört...

Und so besänftigt, ließ Leia dem Datentransfer einfach seinen Lauf, während sie aus ihrer unbequemen Hockhaltung aufstand und in der Toiletten-Kabine hin und her zu wandern begann. Drei Trippelschritte vor, Drehung, drei Trippelschritte zurück, Drehung...

Zwischendurch spitzte sie die Ohren und lauschte aufmerksam in die Ferne, aber da draußen vor der Tür blieb alles still. Sie fragte sich, ob ihr Wachhund allmählich misstrauisch wurde, weil die Verrichtung ihres Geschäftes so lange dauerte. Sie hoffte beinahe (entgegen aller Wahrscheinlichkeit!), dass der Mann immer noch vor sich hin bellte und japste und röchelte, weil ihn das vermutlich so sehr in Atem halten würde (wortwörtlich!), dass er gar nicht erst auf die Idee kam, herein zu platzen und nach ihr Ausschau zu halten.

Auch ihre Mutter würde sich bestimmt bald über ihre allzu ausgedehnte Abwesenheit wundern. Leia beschloss, dass sie bei Nachfragen einfach wieder gewisse weibliche Heimsuchungen vortäuschen würde, genau wie in der Woche zuvor. Der Schwindel mit den Krämpfen war als Erklärung immer noch plausibel (wenigstens am Rande!). Vielleicht würde ihr dadurch sogar der Gang zu Arden erspart bleiben, was ein sehr erfreulicher Bonus gewesen wäre.

Mit solchen und ähnlichen Gedanken vertrieb sie sich die Zeit. (Sie grübelte zum Beispiel über ihren Bruder nach, der wohl immer noch unter seiner erzwungenen Beteiligung an Vaders Kriegsspielen zu leiden hatte und dank der grundsätzlich verhängten Funkstille bei solchen Einsätzen nicht einmal zu Hause anrufen durfte, um sein Herz auszuschütten, der arme Junge. Und auch über Mar Shelmerdee, der zurzeit mit einem neuen Ensemble probte und von einem narzisstischen Dirigenten mit einem unverhohlenen Hass auf ausgewachsene Wunderkinder geplagt wurde. Und schließlich sogar über Ondrash Vortega, der sich wieder mal rar machte oder ihr jetzt einfach völlig aus dem Weg ging!) Doch den Transmitter behielt sie trotzdem im Auge – ununterbrochen.

Sie wurde gerade wirklich unruhig, weil es inzwischen schon 12.24 Uhr war...

Oh nein! Das hört ja gar nicht mehr auf!

… als zu ihrer unendlichen Erleichterung plötzlich TRANSMISSION BEENDET. EMPFANG BESTÄTIGT über den Bildschirm flimmerte. Und direkt danach kam eine etwas wortreichere Botschaft, die trotz ihrer absurden Formulierung höchst willkommen war:

TOLLES REZEPT! GEHEN SOFORT AN DEN HERD. ESSEN PRAKTISCH SCHON AUF DEM TISCH. WIRD ALLEN GROßARTIG SCHMECKEN. DANKE UND GUTEN APPETIT ALLERSEITS!

Leia presste beide Hände vor ihren Mund, um das hysterische Kichern, das unbedingt aus ihr heraussprudeln wollte, zu ersticken oder wenigstens zu dämpfen – ein ungebremst lauter Heiterkeitsausbruch hätte ihr geharnischtes Kindermädchen wahrscheinlich doch noch herbeigelockt.

Doch die rätselhafte letzte Nachricht der selbsternannten alderaanischen Küchenfee ernüchterte sie prompt wieder.

KORREKTUR-VORSCHLAG: SHOLVAC-PILZE NIEMALS AUFWÄRMEN! LIEBER GLEICH WEGWERFEN.

„Was?"

VERBINDUNG BEENDET, teilte der Transmitter ungerührt mit.

Leia durchlebte einen Augenblick intensiver Verwirrung...

Was für Pilze?!

… bis ein Geistesblitz sie überkam.

Ach so! Das meint er.

Natürlich hatte sie sich noch nie zuvor ernsthaft den Kopf darüber zerbrochen, was nach dem Gelingen ihres Auftrags eigentlich mit dem Transmitter und den anderen Spionageutensilien geschehen sollte, die ihr überlassen worden waren. Doch Bail Organa, der viel erfahrener und gewiefter war als sie, hatte offensichtlich genau das getan und vertrat die Meinung, dass sie nun alles entsorgen sollte, was sie eventuell belasten könnte, und das am besten sofort.

Leia sah ein, dass es ratsam war, unwiderlegbare Beweise, die im Fall der Fälle gegen sie sprechen würden, rechtzeitig zu beseitigen. Und doch konnte sie sich nicht einfach so damit abfinden – nicht sofort. Es war so mühselig, so umständlich gewesen, diese überaus nützlichen Gegenstände zu ihr zu schmuggeln. Wäre es nicht sinnvoller, sie einfach für ihren nächsten Auftrag zu behalten?

Was ist, wenn ich irgendwann wieder etwas Wichtiges für die Allianz ausbaldowern soll? Dann müssen sie mir alles nochmal zukommen lassen... neue Geräte... ein anderes Hackerprogramm... Das ist auch riskant!

Andererseits hatte Organa Recht. Manche Dinge sollten besser nicht mehr aufgewärmt beziehungsweise noch einmal benutzt werden.

Na gut. Ich mache schön brav alles, was er mir sagt...

Leia deaktivierte den Transmitter, zog den Kristall aus ihm heraus und steckte beides zurück in ihren Rucksack. Sie nahm den Rucksack auf, entriegelte die Kabinentür und trat in den Vorraum hinaus. Dort stellte sie sich vor eines der Waschbecken und drehte den Wasserhahn voll auf, was eine wahre Fontäne in das Becken hineinspritzen ließ. Das Rauschen und Plätschern dieses Mini-Wasserfalls war nicht zu überhören – zumindest ging Leia davon aus. Sie wollte ihrem Bewacher ihre Rückkehr ankündigen.

Sie wollte schon zu ihm hinausgehen, als sie direkt unter dem Handtuchspender an der gekachelten Wand den gähnenden Schlund eines Müllschluckers bemerkte.

Lieber gleich wegwerfen...

Sie packte den Transmitter wieder aus und warf ihn nach einem kurzen Zaudern in den Müllschlucker. Das Poltern, mit dem er den Schacht hinunter kullerte, war laut genug, um Tote aufzuwecken – so kam es ihr jedenfalls vor. Sie schickte sich gerade an, den Datenkristall mit seinem hochbrisanten Inhalt hinterher zu werfen, als irgendeine Eingebung, eine rein intuitive Anwandlung, die sie selbst nicht nachvollziehen konnte, sie erneut mitten in der Bewegung innehalten ließ.

Nein, der nicht! Ich werde ihn lieber noch ein Weilchen behalten – sicher ist sicher. Ich muss ihn nur gut aufbewahren...

Fürs erste ließ sie den Kristall in den Ausschnitt ihres BHs hinein gleiten, statt ihn wieder in dem Rucksack zu verstauen, dann verließ sie die Toilette endgültig. Inzwischen war es bereits unglaubliche 12.28 Uhr.

Über eine halbe Stunde! Zu viel für ein paar weibliche Wehwehchen... Ich werde Mutter sagen, dass mir schlecht war, dass ich mich übergeben musste und dass ich mich immer noch ganz schwach und elend fühle...

Ihr Soldat hatte sich übrigens längst von seinem eigenen Schwächeanfall erholt und stand wieder da wie ein Ausrufungszeichen. Aber so still und regungslos wie ein echtes Ausrufungszeichen stand er nicht da: Tatsächlich ließ er bei Leias Anblick den Kommunikator, den er in der Hand hielt, so blitzartig wieder verschwinden, als hätte das Teil ihn gebissen. Es schien ihm ausgesprochen unangenehm zu sein, dass sie ihn damit gesehen hatte. Leia hatte sofort ihre eigene Theorie dazu.

Aha! Wir haben wohl gerade ein bisschen mit der Freundin geturtelt und jetzt ist es uns peinlich, dass wir dabei ertappt worden sind...

Dass der Mann seine Atempause (auch wortwörtlich!) genutzt hatte, um einen privaten Plausch zu führen, amüsierte sie. Sie hatte übrigens nichts dagegen. Das zeigte nur, dass unter dieser weißen Rüstung eben doch ein menschliches Wesen steckte, ein Umstand, an dem sie schon häufig gezweifelt hatte.

Und weil sie sich im Gegensatz zu vorhin jetzt selber eine Demonstration von Menschlichkeit und sogar Mitgefühl leisten konnte, sah sie erst auf die Nummernplakette an seinem Brustpanzer und fragte dann teilnahmsvoll: „Ist alles in Ordnung, TAG-158?"

„Jawohl, Miss!", klang es mit militärischer Knappheit zurück.

„Dann ist es ja gut. Gehen wir."

„Jawohl, Miss!"

Sehr redselig ist er ja nicht gerade. Hoffentlich ist er bei seiner Miss nicht so maulfaul, sonst muss die arme Frau jedes Wort mit einer Brechstange aus ihm herausholen, dachte Leia belustigt, als sie mit ihrem Anhang in den Ausstellungsraum zurückkehrte.

Padmé hatte sich in der Zwischenzeit offenbar so glänzend mit ihrer neuen Begleiterin unterhalten, dass sie gar nicht nachforschte, wo ihre Tochter abgeblieben war.

Stattdessen sagte sie fidel: „Madame Goya ist eine wahre Verkaufskanone. Stell dir vor, Liebling, sie hat mir tatsächlich schon drei von diesen Degassis aufgeschwatzt."

Madame Goya lachte siegessicher und klirrte triumphierend mit ihren Glasperlen. Sie war genauso zufrieden mit dem Verlauf des Intermezzos und hatte die vorübergehend verschollene Tochter noch weniger vermisst. (Ein kleines Zwiegespräch mit der richtigen Klientel konnte ja so lukrativ sein! Und wer brauchte bei so delikaten Verhandlungen schon das übellaunige Gesicht dieses mürrischen Mädchens im Hintergrund? Obwohl die Kleine jetzt zugegebenermaßen gar nicht mehr so übellaunig aussah...)

„Wir sollten lieber schnell zu unserem Lunch aufbrechen, bevor sie mir die halbe Galerie andreht", fuhr Padmé fort. „Außerdem haben wir ja noch unseren Termin vor uns."

An der Sitzung bei Arden führt wohl kein Weg mehr vorbei, seufzte Leia innerlich.

Aber ihre Mutter war so beschwingt wie schon lange nicht mehr. Und hatte Leia nicht allen Grund, es auch zu sein? Oh doch, das hatte sie.

Ach, warum nicht?, dachte sie mit einer gelösten Heiterkeit, die sie nur sehr selten verspürte. Alles ist gut. Oder es wird gut sein. Bald.

Na ja, nicht gerade bald. Aber irgendwann schon...


oOoOoOo

Bail Organa war genau derselben Meinung, als er an Bord der Mitarsi mit hungrigen Augen die erste Blaupause der so heiß begehrten und so hartnäckig gejagten Konstruktionspläne verschlang, nachdem er zuvor das Inhaltsverzeichnis des Ordners gesichtet hatte.

Das ist es! Das IST es!, dachte er euphorisch. Jetzt geht es dieser Perversion an den Kragen – nun ja, nicht jetzt gleich, aber eben so schnell wie möglich...

„Großartig! Fantastisch!", sagte er laut, um Antilles an seinen Gedankengängen teilhaben zu lassen.

„Dann ist also alles da, was wir brauchen, Hoheit?"

„Einfach alles… so weit ich das überhaupt beurteilen kann. Natürlich müssen sich unsere Experten das erstmal gründlich ansehen. Unsere ganze Strategenriege... Rieekan und General Dodonna und Admiral Ackbar und all die anderen... Aber so wie es aussieht, ist das hier wirklich der große Wurf. Ich könnte Leia küssen!"

„Ja, sie ist wirklich ein Prachtmädchen. Aber den Rest sollten Sie sich lieber nochmal überlegen, Sir."

„Was?", fragte Bail geistesabwesend. (Er studierte gerade die zweite Datei, die ihm aber nicht viel mehr sagte als die erste. Er war eben ein Diplomat, kein Stratege.)

„Das mit dem Küssen. Ich bin ziemlich sicher, dass Sie damit einem gewissen Jemand mächtig auf den Schlips treten würden, Sir."

„Oh... Ja, natürlich, Raymus. Das war nur so daher gesagt."

„Ich weiß, Sir." Antilles grinste über das ganze Gesicht, obwohl sein Witz nicht ganz gut so angekommen war, wie er gedacht hatte. Der Vizekönig war zu abgelenkt.

Er ist ganz aus dem Häuschen. Ist ja auch kein Wunder...

„Und was jetzt, Sir? Nächste Haltestelle Alderaan?", fragte er munter.

„Ja! Und Raymus... holen Sie alles aus der Mitarsi raus, ja? Jede Stunde zählt."

„Ja, Sir. Dieser alte Eimer ist schneller als er aussieht. Fliegt wie ein geölter Blitz. Wir bringen Sie im Handumdrehen heim."

„Im Handumdrehen ist vielleicht ein bisschen übertrieben, Raymus, aber ich bin sicher, Sie und Ihr geölter Blitz werden Ihr Bestes geben", sagte Bail lächelnd.

Antilles Grinsen wurde noch breiter, als er sich dem Navigationscomputer zuwandte. Und als er damit begann, die erforderlichen Daten einzugeben, um den Hyprraumsprung nach Alderaan zu berechnen, pfiff er sogar vor sich hin.

Bail, der die gelöste Stimmung seines Captains teilte, klickte die beiden geöffneten Dateien auf dem Monitor der Konsole wieder zu und lehnte sich behaglich in seinem Sitz zurück. Zum ersten Mal seit viel zu vielen Monaten fühlte er sich vollkommen entspannt, jetzt, da er seinem Ziel so nahe war – wobei nahe zugegebenermaßen eine leichte Übertreibung war. Denn auch bei Höchstgeschwindigkeit würden sie frühestens gegen acht Uhr morgens auf Alderaan eintreffen.

Und das war noch längst nicht alles, denn sogar wenn sein Verbindungsmann dort seine Kontaktperson sofort erreichte, würden noch mindestens weitere achtundvierzig Stunden vergehen, bis die Todesstern-Pläne endlich in den Händen der Allianz waren. Aber auf diese Dinge hatte Bail Organa keinerlei Einfluss, solche Verzögerungen waren weder seine Verantwortung noch seine Schuld. Er selbst konnte jetzt nur dafür sorgen, dass sein kostbares Mitbringsel Alderaan erreichte – so schnell wie eben möglich. Und dann...

Mon Mothma wird einen Freudentanz aufführen, wenn sie das hört... Und meine Breha auch... Obwohl ich hoffe, dass sie lieber mit mir tanzt. Wir haben schon so lange nicht mehr miteinander getanzt...

Sein Lächeln wurde ebenfalls breiter und noch viel strahlender, als er sich das Wiedersehen mit seiner Frau ausmalte, die er seit Jahren viel zu selten zu Gesicht bekam.

Immer so viel Arbeit für uns beide... Immer nur die Pflicht, die heilige Pflicht...

Aber jetzt werde ich mir ein paar Tage Urlaub nehmen, nur eine Woche oder so. Und ich werde Breha dazu überreden, auch ein wenig kürzer zu treten – nur für ein paar Tage, damit wir ein bisschen Zeit für uns haben. Das haben wir uns verdient, oder nicht?

Auf Alderaan hatte der Frühling gerade begonnen. Die mit Firnschnee bedeckten Kappen der Appenzas würden im Licht der aufgehenden Sonne schimmern, rosig überhaucht von der Morgendämmerung. Und Tausende von silbrig glitzernden Feenglöckchen, wie die Amaryllisblumen im Volksmund gern genannt wurden, würden die steilen Hänge sprenkeln, funkelnd wie Eiskristalle. Ein Meer von Blüten auf dem Wintergras, eine Myriade von winzigen fünfzackigen Sternen auf einem Teppich aus verblasstem grünen Samt...

Und er würde mit Breha Arm in Arm auf der Terrasse vor ihrem Schlafzimmer stehen (oder tanzen!) und sie würden gemeinsam diese Luft einatmen, die schmeckte wie ein Schluck Wasser aus einer Bergquelle, rein und kalt und frisch, mit einem Aroma von Minze und Pinienharz. Und dann...

Er schloss die Augen und überließ sich seinen Tagträumen...

Die wohl seltsamste Eigenheit des Hyperraums bestand darin, Reisenden den trügerischen Eindruck zu vermitteln, dass ihre Schiffe völlig regungslos in einem von turbulenten wirbelnden Schlieren durchzogenen Tunnel standen. Es schienen die Sterne selbst zu sein, die in Bewegung geraten waren, die den sterblichen Wesen in ihren zerbrechlichen Metallhülsen entgegen fluteten und strömten wie endlose verdrehte Möbiusbänder aus Licht.

Es gab kein Oben und Unten, kein Links und Rechts im Hyperraum, es gab keine Orientierung in dieser mäandernden Spirale, dieser Vortex, die um ihre eigene unsichtbare Achse rotierte. Ohne ein vollautomatisches Navigationssystem wäre sogar der erfahrenste Pilot hier rettungslos verloren gewesen. Und es war auch nicht ratsam, allzu lange in diesen universellen Strudel, diesen Mahlstrom der Ewigkeit hinein zu sehen – es gab genug Gerüchte über Leute, die dabei angeblich den Verstand verloren hatten.

Was Raymus Antilles betraf, so fühlte er sich einfach nur ziemlich seekrank, nachdem er eine Weile aus dem Cockpitfenster der Mitarsi geblickt hatte. Der Nav-Computer war jetzt am Ruder, was bedeutete, dass dieser Pilot hier und jetzt endlich eine dringend benötigte Mittagspause einlegen konnte. Und so erhob sich Antilles und machte sich auf den Weg in die Pantry, um nach etwas Essbarem zu suchen, denn er konnte schließlich nicht nur von Cofecea und Abenteuern leben.

Er war gerade dabei, mit zunehmender Enttäuschung eine Packung mit Proteinriegeln zu durchwühlen, die er in einem Vorratsschrank gefunden hatte (und die nicht einmal dann ein kulinarischer Hochgenuss gewesen wären, wenn das Verfallsdatum auf ihnen nicht längst abgelaufen gewesen wäre!), als die Mitarsi völlig unerwartet einen kleinen Satz machte und dann gleich noch einen – ungefähr wie ein kaputtes Jo-Jo, das nur noch ganz träge an seiner Schnur auf und ab sprang.

Aber erst als ein heftiger Ruck durch das ganze Schiff ging (heftig genug, um ihn vorwärts torkeln und schmerzhaft mit der immer noch offenen Schranktür zusammenstoßen zu lassen!), begriff Antilles, dass irgendetwas definitiv nicht in Ordnung war.

Eine Anomalie! Asteroiden? Purrgils?, dachte er, als er sich wieder aufraffte.

Aber es war weder ein neuer Asteroidengürtel noch ein Schwarm von Sternenwalen, denn im nächsten Moment rief Organa aus dem Cockpit: „Raymus, wir sind wieder im Normalraum. Der Hyperantrieb ist ausgefallen."

Ein Triebwerkschaden – und das ausgerechnet jetzt? Das darf doch wohl nicht wahr sein!

Doch leider lag es keineswegs an den Triebwerken, wie Antilles nur Sekunden später als der Vizekönig feststellte, als sie beide in ungläubigem Entsetzen durch das Cockpitfenster hinaus starrten. Es lag an dem Raumschiff, das so unvermutet vor ihnen auftauchte wie der mythologische Leviathan aus den Tiefen eines kosmischen Ozeans.

Eine imperiale Fregatte der Interdictor-Klasse versperrte ihnen den Weg, hockte einfach vor ihnen, breit und plump wie eine giftige Soleander-Kröte mit vier besonders hässlichen Warzen auf ihrem Hals: Gravitationsgeneratoren, die genug Schwerkraft erzeugten, um sogar viel größere Objekte als die Mitarsi aus dem Hyperraum herauszureißen.

Antilles gaffte fassungslos auf das unerwartete Hindernis. „Wie konnten die uns bloß so schnell hier draußen aufstöbern?"

„Die haben uns nicht aufgestöbert, Raymus, die haben uns aufgelauert. Sie wussten schon vorher, dass wir hier entlang kommen."

Organas Lippen pressten sich zu einem dünnen, grimmigen Strich zusammen, während er darüber reflektierte, was sie falsch gemacht hatten, was genau irgendeine misstrauische Patrouille dazu veranlasst haben mochte, sie nicht einfach sofort zu stellen, sondern stattdessen ein Abfangschiff mit Langstrecken-Sensoren von der Leine zu lassen und loszujagen wie einen Apportierhund, um die Mitarsi aufzugreifen wie eine flügellahme Ente in ihrem Teich, um sie erst so weit hier draußen zu fassen, schon fast zwei Parsecs von Coruscant entfernt.

Doch noch bevor er dazu kam, ernsthafte Spekulationen anzustellen, sprang auch schon etwas anderes aus dem Hyperraum, eine wohlbekannte keilförmige Silhouette, so viel größer als die Interdictor-Fregatte, lang und schlank und konisch wie ein Wurfspeer und ebenso tödlich – ein Sternzerstörer.

Oh nein... Nicht das! Das darf nicht sein, dachte Bail bestürzt. Nicht ausgerechnet heute... Bitte nicht!

Doch schon meldete sich ihre Kom-Anlage mit einem schrillen Misston zu Wort, der von der Rückkopplung sich überschneidenden Funkfrequenzen verursacht wurde.

Eine befehlsgewohnte Stimme bellte: „Achtung, malastarischer Frachter! Hier spricht die ISS Judicator. Schalten Sie sofort Ihre Triebwerke aus und fahren Sie Ihre Schilde runter. Wir kommen an Bord."

Nein! Sie dürfen uns nicht kriegen! Sie DÜRFEN einfach nicht!, schrie Organa innerlich.

Antilles handelte rein instinktiv und mit roher Gewalt. Er zerrte den Steuerknüppel nach unten, als müsste er die Mitarsi mit schierer Muskelkraft von ihrem gegenwärtigen Kurs abbringen. Gleich darauf tauchte der Frachter unter der Judicator und ihrer Eskorte hindurch wie ein geflügelter Diskus und raste in den nur scheinbar grenzenlosen Weltraum dahinter. Sein Ausweichmanöver zog eine Breitseite aus sämtlichen Steuerbord-Geschütztürmen des Sternzerstörers nach sich wie ein Schleppnetz, randvoll mit Tod und Vernichtung. Die Mitarsi schwankte und zitterte, als ihre Schutzschilde eine Salve von Lasergarben auffing.

„Schilde runter auf 27 %!", rief er. „Noch so ein Volltreffer und wir sind erledigt." (Trotz der umfangreichen Kampf-Simulationen, die Antilles während seiner Ausbildung auch mit aussichtslosen Szenarien konfrontiert hatten, um ihn auf den Ernstfall vorzubereiten, vibrierte seine Stimme jetzt vor Panik – er hasste es, konnte aber nichts dagegen machen. Training war eben doch etwas ganz anderes als die rauhe Realität.)

Erledigt. Das sind wir so oder so, dachte Bail. Es sei denn, wir...

„Widerstand ist völlig zwecklos!", kläffte es verächtlich aus dem Lautsprecher. „Ergeben Sie sich. Sie haben keine Chance."

Falsch! Eine Chance haben wir noch. Eine verschwindend kleine nur, aber immerhin...

„Hyperraumsprung einleiten – sofort, Raymus!", donnerte er.

Der Captain verzichtete auf jeden Protest, obwohl ein nicht sorgfältig vorprogrammierter Sprung sie aller Wahrscheinlichkeit nach umbringen würde. Sie konnten irgendwo weit jenseits der bekannten Routen in den unkartographierten Tiefen des wilden Raums landen oder sogar in einer fremden Galaxis stranden, sie konnten mit was auch immer kollidieren oder direkt in eine Sonne hinein springen. Es war Irrsinn, aber sie hatten schlicht und einfach keine andere Wahl.

Wenn wir nur einen klitzekleinen Hopser machen könnten, so winzig wie ein Grashüpfer. Nur damit wir von hier wegkommen. Wir müssen es versuchen...

Er zog unendlich vorsichtig an dem sehr viel kleineren Hebel der Steuereinheit, der den Hyperantrieb aktivierte.

Aber statt los zu sausen und mit dem photonengeschwängerten Nichts des Alls zu verschmelzen, kam die Mitarsi überhaupt nicht mehr vom Fleck. Sie verharrte genau dort, wo sie gerade war, als hinge sie fest wie eine stählerne Fliege in den klebrigen Fäden eines unsichtbaren Spinnennetzes. Und noch bevor er das klägliche Winseln ihrer überanstrengten Sublichttriebwerke hören konnte, wurde Antilles klar, was geschehen war.

„Traktorstrahl", sagte er matt.

Und so war es auch. Die Judicator hielt sie mit ihrem Traktorstrahl fest, um ihre waghalsige (oder auch komplett wahnwitzige) Flucht zu verhindern. Und einen Moment später bewegte sich die Mitarsi doch, aber rückwärts. Ganz langsam, doch unaufhaltsam glitt sie auf den Hangar des Sternzerstörers zu, der aufklaffte wie ein weit aufgerissener Rachen, bereit, sie aufzuschlürfen wie einen seltenen Leckerbissen und sie mit der bedächtigen Grausamkeit eines Sarlaccs zu verzehren und zu verdauen.

„Sie ziehen uns rein", flüsterte Antilles.

Er blickte zu seinem Herrn hinüber und las in seinen Augen dieselbe namenlose Angst, dieselbe absolute Hoffnungslosigkeit, die auch er gerade empfand. Sie waren verloren und sie wussten es beide...

Die Mitarsi, die immer noch mit vollem Sublichtschub gegen den weit überlegenen Traktorstrahl ankämpfte, wimmerte wie ein sterbendes Tier. Antilles streckte widerwillig die Hand aus, um die Triebwerke endlich auszuschalten, bevor sie unter dieser enormen Belastung, für die sie nie konstruiert worden waren, zusammenbrachen und durchbrannten. Doch er kam nie dazu, seine Absicht auszuführen.

„Nein! Warten Sie!"

Antilles fragte nicht, warum oder worauf er warten sollte. Er saß einfach nur da und beobachtete mit mildem Erstaunen, wie Organa hektisch auf seiner Computertastatur herumhackte.

Ich muss das hinkriegen! Für uns ist es vorbei, aber nicht für die anderen. Und ich kriege das hin. Wenn ich nur schnell genug bin... Und wenn die Triebwerke lange genug durchhalten...

Rettungskapseln gehörten nicht zu der Standardausstattung eines malastarischen Frachters. Aber dafür war die Mitarsi, die in ihrem ersten Dasein einer Bergwerksgesellschaft gehört hatte, immer noch mit gewissen anderen Geräten ausgerüstet, was vielleicht sehr bald über Sein oder Nichtsein jeder Welt zwischen Kern- und Randsystemen entscheiden würde (von der Allianz ganz zu schweigen!).

Es waren nur zwölf ganz simple und ziemlich altmodische Sonden, die sich in Ausbuchtungen auf dem Dach des Frachters festklammerten wie neugeborene Krabben auf dem Rückenpanzer ihrer Mutter. Ihre einzige Funktion hatte einst darin bestanden, die Kruste eines x-beliebigen Planeten aus seiner Stratosphäre heraus auf diverse Rohstoff-Vorkommen zu untersuchen. Die einzelnen Sonden waren kaum größer als ein Smashball. Aber sie verfügten trotzdem über eine relativ üppige Speichereinheit, Kurzstrecken-Repulsoren und einen soliden Mantel aus Axxium, der sie vor Strahlung und Hitze schützen sollte – und der im Notfall einen durchaus passablen Tarneffekt verursachte. (Übrigens gab es auf der Mitarsi auch einen hochmodernen, besonders leistungsstarken Bordcomputer, der erst vor kurzem auf Anweisung ihres neuen Besitzers hin installiert worden war – und das zusammen mit einer weiteren Apparatur, die sozusagen als Versicherungspolice eingebaut worden war. Aber über diese ganz spezielle Vorrichtung wollte besagter Besitzer in diesem Augenblick lieber nicht nachdenken – noch nicht!)

Und deshalb tippte Bail nun mit fliegenden Fingern eine kurze Befehlsfolge und eine noch kürzere Botschaft ein. Er war früher fertig, als er befürchtet hatte.

„Der Computer überträgt gerade unsere Daten auf diese alten Scan-Sonden", sagte er, sobald er die abschließende Sequenz beendet hatte. „Danach werfen wir sie ab. Wenn ich los sage, klinken Sie die Dinger sofort aus, Raymus, verstanden?"

„Aber Sir... Was soll denn das noch bringen? Die Imps werden die Teile doch ruckzuck finden und..."

„Nein, werden sie nicht. Oder jedenfalls nicht alle. Nicht in dem Trümmerhaufen, den wir gleich hinterlassen", entgegnete Bail Organa mit einer Gleichmut, die nur vorgespiegelt war. Aber dafür war seine Maske perfekt. Stoische Gelassenheit und Würde – ganz wie es sich für den Spross eines so großen und erhabenen Herrscherhauses in so einer Situation geziemte. Das war er einer tausend Jahre umspannenden Ahnenreihe und auch sich selbst schuldig.

Der Adamsapfel in Antilles Hals zuckte ein wenig, als er hart schluckte, aber das war alles. Er war ein Offizier und er stammte aus einer Familie von Offizieren, die immerhin auch schon sechs Generationen umfasste. Er hatte seine eigene Würde zu wahren und wahren würde er sie. Das war er seinem Stammbaum und auch seinem Stolz schuldig.

Die beiden Männer tauschten einen langen intensiven Blick, in dem alles lag, was keiner von ihnen laut aussprechen konnte oder wollte. Mehr war auch gar nicht nötig.

Mittlerweile waren sie ganz nahe an den hell erleuchteten Hangar herangekommen, so nahe, dass Bail sogar schon zwei kerzengerade Kolonnen von Sturmtruppensoldaten erkennen konnte, die parat standen, um die Gefangenen aus ihrem Schiff herauszuzerren und festzunehmen.

Es wird allmählich Zeit...

Er presste seinen Daumen auf die kaum sichtbare kleine Klappe am unteren Rand seiner Konsole. Als das Fach sich öffnete, geisterte flüchtig der Gedanke durch sein Bewusstsein, was für eine Ironie es doch war, dass er die so mühsam beschaffte Giftkapsel in seinem Siegelring am Ende doch nicht brauchen würde. Denn noch hatten die Imperialen auf der Judicator offensichtlich keine Ahnung, wen genau sie da eingefangen hatten, und dabei sollte es auch bleiben. Sie würden niemals erfahren, dass Bail Organa sich auf diesem Frachter befunden hatte, dafür würde er sorgen.

Für Alderaan... Für Breha... Und für so viele, viele andere...

Er dachte an Leia Vader, die zu diesen vielen anderen gehörte. Und er fragte sich voller Bangen, was aus ihr geworden sein mochte. Bedeutete dieser Hinterhalt etwa, dass sie aufgeflogen war? Es musste nicht so sein. Aber falls doch...

Oh nein... Bitte nicht!

Er senkte den Kopf, unfähig, seine Befürchtungen und die katastrophalen Auswirkungen, die sich aus dieser schrecklichen Möglichkeit ergaben, zu ertragen. Aber eines stand fest: Er war machtlos, was Leia Vaders Schicksal anging. Er konnte nur sein eigenes Schicksal bestimmen, er konnte nur tun, was jetzt unbedingt getan werden musste.

Der runde Knopf, der sich unter der Klappe verbarg, war dunkelgrün, nicht alarmierend knallrot, wie er es eigentlich hätte sein sollen. Es stand auch kein dramatischer Warnhinweis darauf. Er sah wirklich ganz harmlos aus, wie ein gewöhnlicher Lichtschalter oder so etwas. Aber er war alles andere als harmlos.

Der Bordcomputer hatte seinen Auftrag ausgeführt. Die Sonden waren endlich startklar.

Gerade noch rechtzeitig... Die Investition in diesen Mehrkern-Prozessor hat sich wirklich gelohnt...

„LOS! Raus damit!"

Das klang ein bisschen schroff – zu schroff für seinen allerletzten Befehl an seinen allertreuesten Gefährten, nicht wahr? Doch Antilles verzog keine Miene. Er war durch und durch ein Soldat.

Und ein guter Mann, ein hervorragender Mann. Bis zuletzt...

„Sonden ausgeklinkt, Sir!"

Das klang einfach nur zackig, wie es sich für einen hartgesottenen Militär gehörte. Aber dann (nach einem winzigen Zögern, in dem er sich offenbar fragte, wie viel emotional aufgeladene Sentimentalität in so einem Augenblick angemessen war, ohne das Gesicht zu verlieren, ohne dabei allzu rührselig oder gefühlsduselig zu wirken!) fügte Antilles etwas sanfter hinzu: „Hoheit, es war mir eine Ehre und eine Freude, Ihnen dienen zu dürfen."

Und Bail Organa lächelte sein allerletztes Lächeln, als er mit so viel Wärme und Herzlichkeit, wie er nur aufbringen konnte, erwiderte: „Raymus, es war mir eine Ehre und eine Freude, Sie kennen zu dürfen."

Er beugte sich vor, seine Daumenkuppe schon auf dem Knopf, ganz leicht nur...

Sein letzter Gedanke galt seiner Frau, die er nun nie wieder sehen würde. Aber dafür konnte er sie vor seinem geistigen Auge sehen, wie sie allein am Fuß der großen Freitreppe vor ihren Privatgemächern stand, um ihn zu begrüßen, um ihn willkommen zu heißen, so wie sie es immer getan hatte, wenn er zu ihr zurückkehrte. Sie trug diese weich fließende Robe aus silbergrauer Seide, die ihr so gut stand, ihr Lieblingskleid, in dem sie heute noch aussah wie das Mädchen, in das er sich damals so verliebt hatte. Und in ihren rabenschwarzen Flechten steckten ein paar Amaryllisblüten...

Feenglöckchen...

Er kniff die Lider zusammen. Und dann drückte er zu, sehr entschlossen, sehr fest...

Die Mitarsi hatte bereits die normalerweise mit Magnetfeldern versiegelte Dockschleuse passiert und erreichte gerade die mit zusätzlich hineingepumptem Sauerstoff angereicherte Innenatmosphäre, als sie plötzlich in einem spektakulären Feuerball explodierte.

Doch die Feuerwalze, die daraufhin durch den Hangar fegte (begleitet von einem wahren Hagelsturm aus sehr scharfkantigen Schrappnellen!), war mindestens genauso eindrucksvoll und noch viel fataler...


oOoOoOo

Captain Gord Jeoffroy war außer sich vor Wut angesichts dieses heimtückischen Sabotageaktes, dem beinahe sein ganzer Sternzerstörer zum Opfer gefallen wäre. (Nun ja, in Wirklichkeit hatte es natürlich nur Hangar C erwischt, aber wen interessierte das schon?) Der noch unidentifizierte malastarische Frachter hatte einen beträchtlichen Schaden verursacht und viele Tote und Schwerverletzte hinterlassen, was zweifellos auch das Ziel dieses brutalen Terroranschlages gewesen war.

Jeoffroy schwor sich, dass er dafür Rache nehmen würde – und seine Rache würde fürchterlich sein! Den nächstbesten mordlustigen mutmaßlichen Rebellen, der ihm lebend in die Hände fiel, würde er eigenhändig häuten und das mit Wonne. (Obwohl er durchaus auch für andere Vergeltungsmaßnahmen offen war, wenn sie nur radikal und blutrünstig genug waren. Er glaubte an die wohltuende Wirkung von Abschreckung in jeder Form!)

Was ihn aber fast noch mehr in Wallung versetzte, war das idiotische Theater, das um diese winzige, verbeulte, geschwärzte und garantiert völlig bedeutungslose Bergwerks-Sonde gemacht wurde, die seine Leute unter den Wrackteilen des Frachters aufgespürt hatten. Er konnte beim besten Willen nicht nachvollziehen, warum ausgerechnet dieser armselige Fund die unerträglich arrogante ISB-Agentin, die das Kommando über die Judicator und ihre Crew einfach so an sich gerissen hatte, in einen Zustand von geradezu hysterischer Begeisterung versetzte.

Und gleich danach bestand diese aufdringliche kleine Hexe auch noch ausdrücklich darauf, dass ein ganzer Tag (!) darauf verschwendet wurde, die nähere Umgebung sozusagen mit der Lupe abzugrasen. Und das alles nur, weil ein wichtigtuerischer Sergeant, der im Gegensatz zu seinen weniger glücklichen Kameraden das Attentat ohne einen einzigen Kratzer überlebt hatte, allen Ernstes behauptete, dass er gesehen haben wollte, wie sich Sekunden VOR der Detonation angeblich mehrere „verdächtige Gegenstände" von dem feindlichen Schiff entfernt hätten, was einfach nur lächerlich war. (Nichts und niemand entkam dem unwiderstehlichen Sog des Kraftfelds eines MC70-Traktorstrahls. Gar nichts!)

Captain Jeoffroy, der das unverschämte rothaarige Weibsstück (und diesen besserwisserischen Sergeant!) mit jeder Minute mehr verabscheute, verbrachte den komplett vergeudeten Tag damit, grimmig auf seiner Brücke hin und her zu tigern und wegen dieser sinnlosen Zeitverschwendung vor sich hin zu murren und zu knurren. Und ganz nebenbei und sehr unauffällig tat er alles, um dieser Geheimdienst-Tussi möglichst viele Knüppel zwischen ihre zugegebenermaßen wohlgeformten Beine zu werfen. (Sein 1O und der fügsame Lieutenant, der die Suchmannschaften befehligte, waren dabei wirklich eine große Unterstützung, teils aus Solidarität mit ihrem erzürnten Vorgesetzten, teils aus persönlicher Abneigung gegen diese Nervensäge, die ihnen allen auf der Nase herumtanzte und ihren Teams so viel lästige und vor allem höchst überflüssige Arbeit aufhalste!)

Die Jagd nach weiteren Beweisstücken für Rebellenaktivitäten musste vierundzwanzig Stunden später erfolglos abgebrochen werden und die Judicator flog mit ihrer mageren Beute nach Coruscant zurück – jetzt wieder unter der kompetenten und klugen Führung ihres nur teilweise besänftigten Captains.

Und so kam es, dass die fünf Discovery-XP-Sonden, die trotz des unfehlbaren Traktorstrahls der Judicator und der heftigen Druckwelle der gesprengten Mitarsi NICHT in mikroskopisch kleine Splitterfragmente zerfetzt worden waren, immer noch draußen im All herum schwebten. Einsam (und dank ihrer Axxiumhülle bislang unentdeckt!) drifteten sie an einer der meist frequentierten Hyperraumstrecken der Kernsysteme entlang...

Und weil die sparsamen Hauptaktionäre der Frantalli-Minengilde ungefähr zwanzig Jahre zuvor aus dem berechtigten Wunsch nach Kostensenkung angeordnet hatten, dass die teuren Stücke aus der neuen XP-Serie mit Peilsendern ausgestattet wurden (damit man sie im Gegensatz zu ihren wesentlich billigeren Vorgängermodellen auch wiederfinden konnte, falls sie sich irgendwie bei einem ihrer Einsätze verirren sollten!), begannen die Sonden genau sechsunddreißig Stunden nach ihrem Abwurf damit, ein diskretes SOS-Signal vor sich hin zu piepsen...


oOoOoOo

Der Besuch bei Arden verlief sogar noch unerfreulicher, als Leia vermutet hatte. Aber es hatte bestimmt nichts mit der Flüssigwachs-Enthaarung ihrer Beine zu tun, dass sie sich immer mulmiger fühlte. Und obwohl das Microblading, mit dem Form und Fülle ihrer Augenbrauen den letzten Schliff bekommen sollten, eine etwas unangenehme Prozedur war, war auch das keine Begründung (und nach Meinung ihrer Kosmetikerin schon gar keine Entschuldigung!) für das Unbehagen, das sie so unruhig auf ihrer gut gepolsterten Liege herumrutschen ließ, als wäre sie im Begriff, für eine hochnotpeinliche Befragung dritten Grades auf einer Streckbank festgeschnallt zu werden.

Aaach! Sie müssen schon still sitzen, meine Kleine, sonst geht das schief! Sie wollen doch nicht drei Monate lang mit einer Zickzack-Braue herumlaufen, oder?"

Die Kosmetikerin war sichtlich verärgert über das Gezappel ihrer jugendlichen Klientin und schwenkte kriegerisch ihr Instrument, das vage an eine Heißklebepistole erinnerte (und auch ungefähr so funktionierte!). Doch Leia waren die Folgen eines missglückten Permanent-Makeups völlig gleichgültig – jedenfalls in diesem Moment.

„Ich brauche mal eine Pause."

„Oh, von mir aus!"

Aber als Leia prompt aus dem winzigen und trotz Klimaanlage recht stickigen Behandlungszimmer (nein, Kämmerchen!) floh, folgte ihr ein verdrossenes Gemurmel.

„Es ist ja nicht so, als ob ich noch andere Kundinnen im Wartezimmer sitzen hätte. Nein, nein, ich kann es mir leisten, hier untätig herumzustehen, bis das gnädige Fräulein sich wieder dazu herablässt, mir ihre kostbare Zeit zu widmen. Wir haben ja überhaupt keinen Termindruck – nein, wir nicht!"

Doch Leia, vorübergehend unberührt von dem Sarkasmus der geknechteten Arbeiterklasse, stakste trotzdem mit etwas unsicheren Schritten in den Vorraum, der vielleicht ein klein wenig luftiger war, aber nicht sehr viel.

Einer von Padmés Leibwächtern, der in einem plüschigen pinkfarbenen Sessel neben dem Empfangspult thronte und krampfhaft versuchte, sämtliche Türen des verwinkelten und daher etwas unübersichtlichen Etablissements gleichzeitig im Auge zu behalten, reckte sofort alarmiert den Hals, als sie herauskam.

„Was ist?", schnappte er.

„Nichts. Ich will einfach nur mal durchatmen. Frische Luft!", schnappte Leia zurück. Sie sah sich um, konnte aber den anderen Soldaten nicht finden. „Wo ist denn TAG-158?"

„Draußen. Und das schon seit einer Viertelstunde. Braucht wohl auch frische Luft – eine Menge davon!", grummelte der Leibwächter. (Er war definitiv nicht glücklich über die Abwesenheit seines Kollegen. Es verstieß nicht nur gegen die Vorschriften, sondern auch gegen seine persönliche Arbeitsmoral, einfach so seinen Posten zu verlassen.)

Leia spähte durch die mit Kunstblumengirlanden und Werbeholos dekorierte Glasfront des Salons und entdeckte TAG-158 tatsächlich draußen auf dem Gehweg. Er stand genau in der Mitte zwischen dem Eingang zu Ardens heiligen Hallen und Padmés Wagen auf dem Parkplatz (ein Sicherheitsabstand, der garantierte, dass ihn weder sein Mitstreiter noch der Chauffeur belauschen konnten!) und hielt erneut seinen Kommunikator vor den leicht abgerundeten Dreieck-Schlitz in seinem Plastoid-Helm, der gleichzeitig als Mund und als Belüftungsöffnung diente.

Telefoniert er etwa schon wieder? Er steckt wohl gerade in einer Beziehungskrise, dachte sie.

Doch dieses Mal fand sie die Idee von TAGs mutmaßlichem Liebesleben nicht so amüsant wie zuvor. Es war schon ungewöhnlich, dass der Mann ein Privatgespräch über sein Dienst-Komlink führte. Aber zwei an einem Tag und das innerhalb von wenigen Stunden? Und während er Wache schob? Das war mehr als nur ungewöhnlich, das war... außergewöhnlich.

Und mit einem Mal (und scheinbar ohne jeden Zusammenhang) fiel ihr Organas Warnung wieder ein...

Verlassen Sie sich immer auf Ihren Instinkt, Leia. Wenn Sie merken, dass etwas nicht stimmt, wenn Sie den Eindruck haben, dass irgendetwas anders läuft als sonst

… und wie aus heiterem Himmel überfiel sie eine Panikattacke. Das Blut rauschte in ihren Ohren, ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen und für einen grässlichen Augenblick konnte sie nicht mehr atmen.

Dann war es vorbei – ebenso schnell wie es gekommen war – und sie blieb zurück, in kalten Schweiß gebadet und von einer unbegreiflichen furchtbaren Gewissheit heimgesucht.

Bail! Irgendwas ist mit ihm passiert! Etwas Schlimmes...

Sie hätte es niemandem erklären können (am wenigsten sich selbst!), aber sie wusste plötzlich einfach, dass Senator Organa etwas zugestoßen war, etwas… Endgültiges...

Tränen schossen ihr in die Augen und sie schluchzte auf, hilflos gegen einen Sturzbach von Zorn, Trauer und Angst, der sie durchströmte, ein reißender Fluss, ein chaotischer Strudel aus Emotionen. Aber sie war nicht alleine (sie konnte fühlen, wie sich der forschende Blick des Soldaten in ihren Rücken bohrte, und sie sah die milde Sorge im Gesicht der Empfangsdame als Reflexion in einem der Holowürfel!). Sie konnte es sich nicht leisten, hier vor Publikum zusammenzubrechen. Also biss sie wild in ihre zusammengeballte Faust hinein, um den nächsten Schnieflaut im Keim zu ersticken, und blinzelte heftig, um den Wolkenbruch, der unbedingt aus ihr herauswollte, einzudämmen.

„Können wir jetzt bitte weitermachen? Ich hab nicht ewig Zeit, wissen Sie?", sagte die Spezialistin für strapaziöse Verschönerungsmaßnahmen hinter ihr spitz. Aber als Leia sich zu ihr umdrehte, stieß sie einen noch viel spitzeren Schrei aus (und das in einem erstaunlich schrillen Diskant!).

„Ach du Schreck! Was haben Sie nur angestellt? Ihre ganze Wimperntusche ist verlaufen! Das sieht ja vielleicht aus... Jetzt muss ich Sie auch noch abschminken und Ihnen ein komplett neues Styling verpassen!"

Empört scheuchte sie Leia zurück in ihre kleine rosarote Folterkammer, wo sie sich mürrisch zunächst an die Restaurierung der verschmierten Fassade ihrer widerspenstigen Mandantin machte, bevor sie ihre eigentliche Arbeit fortsetzte.

Leia ließ alles stumm über sich ergehen. Sie saß da wie eine Schaufensterpuppe, starr und regungslos, denn innerlich war sie weit, weit weg. Ihre Gedanken überstürzten sich in einem endlosen Flickflack, während sie um die eine zentrale Frage rotierten.

Wie konnte das geschehen? Wie KONNTE das nur geschehen?!

Und dann, langsam, aber zwingend kam die niederschmetternde Erkenntnis.

Jetzt bin ich ganz allein...

Es war schwer zu sagen, wer von den beiden Damen die größere Erleichterung empfand, als jede der anstrengenden und zeitaufwändigen Prozeduren endlich abgeschlossen war. Doch für Leia war es nur eine kurzfristige Erleichterung, denn sobald sie wieder in den Empfangsbereich hinaustrat, wo ihre Mutter längst damit beschäftigt war, mit leiser Irritation eine drei Flimsiplast-Seiten umfassende Rechnung durchzuchecken, wurde sie von einer neuen Angstwelle erfasst.

TAG-158 war wieder da. Aber er hatte sich nicht zu seinem Gefährten gesellt, der mittlerweile seitlich hinter seiner Lady Aufstellung genommen hatte, wie es sich für einen gut dressierten Bodyguard gehörte. Nein, TAG-158 stand jetzt mitten in der Tür wie ein Fels in der Brandung, wie eine Ein-Mann-Barriere.

Und da war ein gewisses Etwas in seiner Haltung... nein, nicht in seiner Haltung, sondern direkt in der Essenz des Mannes, etwas, das aus dem innersten Kern seines Wesens herausquoll wie ein Rauchkringel unter einem Türschlitz, wie der erste Vorbote eines noch unsichtbaren Schwelbrandes... etwas Misstrauisches, etwas Lauerndes...

TAG-158 sah nicht mehr aus wie ein Bodyguard, der pflichtschuldig einen offenen Zugang verbarrikadierte, um eine mögliche Gefahr für seine Schützlinge zu bannen. Er sah aus wie ein Wächter, der einen Fluchtweg blockierte!

Und wieder konnte Leia Organa hören, der in ihrem Hinterkopf predigte.

wenn Sie den Eindruck haben, dass irgendetwas anders läuft als sonst, dann müssen Sie sofort fliehen. Warten Sie nicht, laufen Sie einfach weg!

Aber einfach weglaufen war gar nicht möglich. Nicht hier und jetzt. Oder doch?

Ich muss hier raus...

Der Datenkristall, der immer noch in ihrem BH steckte, schien mit einem Mal eine ganz eigene Wärme zu entwickeln, eine Hitze, die nicht das Geringste mit Leias Körpertemperatur zu tun hatte. Es war, als ob er glühte wie ein Schürhaken in einem Kaminfeuer und ihre Haut versengte.

... oder wenigstens dieses verdammte Ding loswerden. SOFORT!, dachte sie fiebrig.

Padmé war inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass die Rechnung, die man ihr präsentiert hatte, zwar unverschämt hoch, aber durchaus korrekt war. (Obwohl es ihr nach wie vor schleierhaft war, warum verschiedene Positionen, die Leias Anwendungen betrafen, fast doppelt so hoch waren wie bei ihr!) Aber es war ja nicht so, als ob es Leute in beschränkten finanziellen Verhältnissen traf – ganz im Gegenteil! (Tatsächlich verschaffte Padmé jede hohe Ausgabe, die das Konto ihres Ehegatten belastete, eine stille Genugtuung. Deshalb hatte sie heute auch trotz ihres ursprünglichen Desinteresses die extrem auffälligen und sehr hässlichen Lithographien in der Metropolis-Galerie für eine sechsstellige Summe im oberen Grenzbereich erworben, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Sie hatte übrigens vor, die drei Degassis demonstrativ im Flur direkt neben Mylords Gemächern aufzuhängen, so dass sie ihm jeden Tag mindestens zweimal regelrecht ins Auge springen würden, wenn er an ihnen vorbei stolzierte – morgens und abends und mit etwas Glück vielleicht sogar noch zwischendurch!)

Also zuckte sie nonchalant mit den Achseln und genehmigte den Beutezug dieser Raubritter der Kosmetikindustrie mit ihrem Handzeichen, zwei verspielten kleinen Schnörkeln, die sie mit einem vergoldeten Lichtstift auf die transparenten Folien kritzelte.

„So, das war's. Ab nach Hause", sagte sie zu ihrer Entourage.

Aber natürlich musste ihre Tochter wieder eine Extrarunde drehen.

„Ich muss noch mal da rein", sagte Leia und zeigte auf die Kabine hinter ihr. „Ich habe da drinnen die... die Lippenstifte liegen lassen, die ich mir gekauft habe."

„Also wirklich, Liebling, du bist so was von vergesslich! Ich glaube, du würdest deinen eigenen Kopf liegen lassen, wenn er nicht angewachsen wäre... Na, dann geh eben und hol dir deine Lippenstifte. Beeil dich – hopp, hopp!", fügte Padmé hinzu.

Das ließ Leia sich nicht zweimal sagen. Sie huschte zurück in das kleine Kabinett, das ihr stickiger vorkam als je zuvor, und sah sich hektisch um.

Die Polsterliege, der Lehnstuhl daneben, eine hohe spiegelverglaste Konsole mit schmalen Regalen voller Pflegeprodukte in gläsernen Tiegeln und Töpfchen, ein bodenlanger Vorhang in Pastelltönen, hinter dem sich ein helles Rechteck abzeichnete...

Ein Fenster!

Leia stürzte sich auf den Vorhang, zerrte ihn beiseite und entdeckte… ein großes, an der Wand montiertes Leuchtpaneel, statt dem sonnendurchfluteten Weg in die Freiheit, den sie sich erhofft hatte.

Kein Ausweg. Die reinste Rattenfalle...

„Leia?"

„Jaaa! Gleich", rief sie fahrig, während sie den verräterischen Datenkristall herausfischte. Auch wenn sie selbst wieder durch diese Tür hinaus und einem möglichen Verhängnis sozusagen entgegen gehen musste, ihn würde sie auf keinen Fall mitnehmen. Sie musste ihn hier in diesem Raum verstecken. Irgendwo.

Aber wohin damit?

Ihr Blick fiel erneut auf die Konsole. Der Spiegel, dessen Rahmen auf ihrer blankpolierten Fläche ruhte, reichte fast bis zur Decke. Niemand würde sich die Mühe machen, beim Putzen dahinter schauen, nicht einmal der gründlichste Reinigungsdroide.

Sie krabbelte hastig auf die Liege, stand schwankend auf den weichen nachgiebigen Polstern auf und stieß den Kristall in den Spalt zwischen der tapezierten Wand und der Rückfront des Spiegels. Sie schob ihn so tief hinein, wie sie nur konnte, und das mit Wucht, denn der Zwischenraum war so eng, dass der Kristall nur millimeterweise vorwärts rutschte und schließlich steckenblieb wie ein verkeilter Pfropfen. Nicht einmal, wenn Leia es gewollt hätte, hätte sie ihn jetzt wieder herausziehen können. Man hätte den ganzen Spiegel abmontieren müssen, um an ihn heranzukommen.

Gut. Dann ist er hier sicher untergebracht. Wenigstens vorläufig...

Und das war leider mehr, als sie momentan von sich selbst sagen konnte.

Sie hüpfte von der Liege herunter und kehrte in den Vorraum zurück, äußerlich nur ein wenig erhitzt und atemlos, aber innerlich völlig aufgelöst.

Was soll ich jetzt nur machen?! Soll ich abwarten? Oder soll ich einfach losrennen?

Laufen Sie um Ihr Leben, Leia!

Padmé musterte die deutlich geröteten Wangen ihrer Tochter und sagte mütterlich: „Du siehst ja ganz erledigt aus, Liebling. Kein Wunder. Es ist wirklich schrecklich heiß heute und ich muss zugeben, dass es hier drinnen auch nicht viel besser ist. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, ausgerechnet bei so einem Wetter nachmittags hierherzukommen. Ich bin selber fix und fertig. Wenn wir nach Hause kommen, trinken wir erst mal einen schönen kalten Eistee und ruhen uns ein bisschen aus, ja?"

„Ja", sagte Leia tonlos. Sie zwang sich sogar zu einem kleinen Lächeln, obwohl sie lieber laut geschrien hätte.

Padmé, ahnungslos ob der Nöte ihres Kindes, lächelte zurück und übernahm wie immer die Vorhut. Leichtfüßig schritt sie voran, gefolgt von dem zweiten Soldaten. Doch TAG-158 blieb an Leias Seite wie ein Schatten, statt hinter ihr her zu gehen.

Als sie das Gebäude verließen, schlug ihnen eine wabernde flirrende Hitze entgegen, erfüllt von dem Miasma einer Millionenmetropole. Padmé ging rasch in Richtung Parkplatz. Leia dagegen blieb abrupt stehen, nur zwei Schritte neben der Bordsteinkante, und mimte Benommenheit, als wären der sommerliche Gluthauch und die Großstadt-Ausdünstungen einfach zu viel für ein zartes verwöhntes Pflänzchen wie sie. Aber in Wirklichkeit sah sie sich verzweifelt nach Rettung um. Und die Rettung war nah – und doch so fern...

Sehnsüchtig starrte sie auf die doppelsträngige Magnetschiene einer Schwebebahn, die sich hoch über ihr an den Häuserzeilen entlangschlängelte wie ein mechanischer Lindwurm. Und auf der anderen Straßenseite, direkt gegenüber, nur zwanzig Meter und eine Treppe entfernt, war eine Haltestelle.

Wenn ich jetzt einen Sprint einlege...

Sie konnte fühlen, wie jede Muskelfaser in ihr sich anspannte, sprungbereit, fluchtbereit.

Lauf! LAUF LAUF LAUF!, drängte die körperlose Stimme in ihr.

Doch Leia zauderte und überlegte und das mit gutem Grund. Die Haltestelle da drüben war leer und verwaist. Da war keine Traube von wartenden Passagieren, die sich auf dem schmalen Bahnsteig zusammendrängten. Es konnte eine halbe Stunde dauern, bis die nächste Bahn kam oder sogar noch länger. Und zwischen Leia und der Station war auch noch die Rejing-Lane auf dem Höhepunkt der Feierabend-Rushhour – eine endlose und praktisch ununterbrochene Kette von schweren Lasttransportern mit Anhängern, die im Gegensatz zu den flugfähigen Vehikeln ihrer sehr viel mobileren Nachbarn reine Bodenfahrzeuge waren.

Das schaffe ich nie!, dachte sie trübsinnig. Sogar wenn ich irgendwie da rüber komme, ohne überfahren zu werden, schnappen sie mich lange bevor ich ausbüxen kann. Denn wenn nicht zufällig sofort eine Bahn anrauscht, dann bin ich auf meine Füße angewiesen. Und ich kann nicht ewig rennen – schon gar nicht in diesen dummen Schuhen! Wenn ich überhaupt so weit kommen würde...

Wie auf Stichwort glitt TAG-158 betont beiläufig neben sie, so dass er zwischen ihr und der verführerischen Bordsteinkante stand wie eine lebende Leitplanke. Er klebte förmlich an Leias linkem Ellbogen, obwohl er sie nie berührte, nicht ein einziges Mal. Aber er passte auf sie auf, wachsam wie ein Schäferhund, der im Begriff war, ein abtrünniges Lamm von einem drohenden Abgrund wegzutreiben und es zu seiner Herde zurück zu jagen, notfalls mit einem Biss in sein wolliges Hinterteil.

Nein, nicht hier. Ich muss es nachher machen, wenn er mir nicht mehr so auf der Pelle hängt, irgendwann später. Dann werde ich mich irgendwie rausschleichen und türmen...

Leia stöhnte innerlich auf, rang aber krampfhaft um Selbstbeherrschung, als sie schließlich doch noch in den Wagen kletterte. Sie durfte sich nichts anmerken lassen, also plauderte sie mit ihrer Mutter sogar über Belanglosigkeiten, allem Anschein nach leichthin und gänzlich sorglos, obwohl ihr Gehirn die ganze Zeit über ratterte wie die Kugel in einer kreiselnden Rouletteschüssel, weil sie über dem ultimativen Masterplan brütete.

Denn dieses Mal war sie keine harmlose zwölfjährige Ausreißerin, die kopflos in die Nacht hinaus rannte und die man auf der Straße aufgreifen und mit einer Mischung aus Gereiztheit und Nachsicht einfach wieder nach Hause schleppen und ihren Eltern übergeben würde, damit sie den kindischen Ausbruchsversuch ihrer dummen Göre mit ein paar wohlverdienten Klapsen auf ihre vier Buchstaben ahnden konnten. Nein, dieses Mal war es ernst, todernst. Wenn Leia jetzt floh, dann brach sie ganz offiziell alle Brücken hinter sich ab, dann war es vorbei mit allen Heimlichkeiten, Spiegelfechtereien und Täuschungsmanövern, dann war alles offenbar. Es würde kein Zurück mehr geben und auch keine zweite Chance...

Ich kriege das schon irgendwie hin, wenn ich mir genug Zeit erkaufen kann, ein paar Stunden nur oder vielleicht einen Tag. Und das kann ich ganz bestimmt, tröstete sie sich in dem Versuch, den aufgeregten Hornissenschwarm in ihrem Magen zu beschwichtigen. Ich meine, was können sie mir auf die Schnelle schon nachweisen? Nichts. Gar nichts! Wenn es um mich geht, dann müssen sie schon auf Nummer Sicher gehen. Sie werden also erst zugreifen, wenn sie etwas wirklich Massives gegen mich in der Hand haben, etwas Unwiderlegbares, aus dem sie mir einen Strick drehen können. Und das haben sie noch nicht. Das KÖNNEN sie gar nicht haben, sonst würde ich jetzt schon hinter Gittern sitzen.

Und morgen um diese Zeit – oder spätestens übermorgen! – werde ich auf und davon sein. In ein paar Stunden bin ich in Sicherheit und frei, endlich frei... Ich darf jetzt nur nicht die Nerven verlieren... Alles wird gut! Alles. Wird. GUT!

Aber ihr übliches Mantra wirkte nicht ganz so beruhigend wie sonst. Und als die Vader-Residenz in ihrem Sichtfeld erschien, dieses Bollwerk aus Basaltblöcken und Arroganz, war sie unwillkürlich erschrocken. Noch nie war ihr der Rückflug aus der City so kurz vorgekommen. Es schienen keine fünf Minuten vergangen zu sein, seit sie mit wackeligen Knien eingestiegen und auf die Sitzbank neben ihrer Mutter gesunken war.

Die Limousine schwebte über die kiesbestreute Auffahrt auf den Haupteingang zu, schwerelos wie ein Schwanenflaum. Sie setzte gerade zur Landung an, war höchstens noch zwei Meter vom Boden entfernt, als plötzlich ein hagerer Mann in einem blauen Overall aus dem Gebüsch stürmte, das die Zufahrt säumte wie eine blättrige grüne Mauer, und direkt unter sie hüpfte, während seine Arme ruderten wie Windmühlenflügel.

Der Chauffeur fluchte und bremste so hart ab, dass Leia und Padmé nach vorne geschleudert wurden, als wären sie zwei mit Schaumgummi gefüllte Stoffpuppen. (Ihre wesentlich gewichtigeren Begleiter, die ihnen gegenüber saßen, schienen keine Gleichgewichtsprobleme zu haben.)

„Ist der Kerl lebensmüde?! Ich hätte ihn beinahe plattgemacht!", röhrte er, denn er hatte generell die Tendenz vor sich hin zu zetern, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. (Seit seinem kleinen Strauß mit Dhorany nahm er dabei nicht einmal mehr Rücksicht auf Myladys Gegenwart. Er war offenbar kein Freund von übertriebener Disziplin, was den Captain bereits zu der ziemlich imperialen Überzeugung gebracht hatte, dass sich übertriebene Duldsamkeit eben grundsätzlich negativ auf den Charakter und das Verhalten von Untergebenen auswirkte!)

Trotzdem schaltete er schleunigst auf Umkehrschub und ließ die Limousine wieder etwas aufwärts steigen, um nachzusehen, ob er dem mutmaßlichen Selbstmörder tatsächlich bei seiner Entleibung geholfen hatte oder nicht.

Padmé, die sich inzwischen wieder aufgerappelt hatte, hielt ebenfalls besorgt aus ihrem Seitenfenster Ausschau nach dem potenziellen Unfallopfer – genau wie ihre Tochter.

„Das ist doch unser Hausmeister. Er sieht ganz schön mitgenommen aus", sagte sie.

Es war wirklich Mr. Sirgan, wie Leia feststellte. Und er war sehr aufgebracht oder vielmehr aufgerüttelt, obwohl er nicht verletzt zu sein schien. Aber sein Gesicht war kreideweiß und verzerrt und er schrie irgendetwas, das dank der massiven Panzerglasscheiben der Limousine und dem Brausen und Summen ihrer Schubdüsen völlig unverständlich blieb. Er machte übrigens keinerlei Anstalten, aus dem Weg zu gehen, sondern blieb einfach stehen, wo er gerade war, wie ein Stoppschild, wie ein Verkehrshindernis, während er weiter wild gestikulierte.

Der hitzköpfige Chauffeur, eben noch froh, dass er den Mann nicht rein aus Versehen umgebracht hatte, fing sofort wieder Feuer.

„He! Ich will da runter. Hau endlich ab!", brüllte er, obwohl Mr. Sirgan ihn höchstwahrscheinlich ebenso wenig hören konnte wie er ihn. Deshalb untermalte er seine energische Aufforderung auch gleich mit einem lärmenden Hupkonzert, damit auch ja nicht der geringste Zweifel an seinen Absichten bestehen konnte.

Doch Mr. Sirgan ignorierte das vollkommen. Er fuhr nur damit fort, heftig zu winken. Es war, als wollte er sie mit aller Macht an der Landung hindern.

„Was macht er denn da? Was will er nur von uns?", wunderte sich Padmé.

Ihre ohnehin eher rhetorisch gemeinten Fragen wurden nie beantwortet, denn in diesem Augenblick stürzte eine Abteilung von Sturmtruppensoldaten aus dem Haus wie ein Überfallkommando und rannte auf Mr. Sirgan zu, in ihrem Kielwasser drei Gestalten in Offiziersuniformen. Zwei der Soldaten packten den sich sträubenden Hausmeister und schleiften ihn ein paar Schritte rückwärts, die anderen verharrten in einem Halbkreis und das mit gezückten Blastern.

„Was geht da vor sich? Warum..."

Padmé stockte, als sie merkte, dass TAG-158 ebenfalls seinen Blaster gezückt hatte... und damit unbegreiflicherweise auf ihre Tochter zielte!

„Keine Bewegung!", schnarrte er.

„Bist du übergeschnappt?", rief sein Sitznachbar, der von dieser spontanen Aktion genauso überrascht war wie alle anderen Anwesenden.

„Misch dich nicht ein. Oder hilf mir lieber – wenn du weißt, was gut für dich ist!", knurrte TAG-158. „Und jetzt runter mit dem Vogel, aber zack, zack!"

Letzteres galt natürlich dem Chauffeur, der alles im Rückspiegel gesehen hatte und nun zögerte, unsicher, wie er auf den eigenartigen Vorfall reagieren sollte.

Leia aber starrte in die todbringende Mündung, die genau auf ihre Nasenspitze gerichtet war (obwohl die Waffe vermutlich eher auf einen Betäubungsschuss als auf die letale Option eingestellt war!), und dachte an ihren eigenen Blaster, der immer noch in der untersten Nachttisch-Schublade in ihrem Schlafzimmer ruhte (sorgfältig eingerollt in eine ausgediente Strumpfhose), wo er niemandem jemals etwas nützen würde – schon gar nicht seiner Eigentümerin. Er würde sie weder retten noch vor einem Schicksal schlimmer als der Tod bewahren...

Und doch fühlte sie sich seltsam distanziert von dem ganzen Geschehen. Es war wie ein Alptraum im Anfangsstadium, in dem man noch alles von außen beobachten konnte, als wäre man nicht die Hauptfigur, sondern eine irgendwie völlig losgelöste unbeteiligte dritte Person, die über den Dingen stand, die weder in Gefahr noch sonst wie unmittelbar betroffen war. Da war keine Angst in ihr, nur eine hallende Leere, während sie da saß wie gelähmt, wie versteinert, wie eine Statue ihrer selbst...

Der Wagen setzte mit einem dezenten KLONK! auf und nur Sekundenbruchteile später wurde die Tür auf Leias Seite so vehement aufgerissen, als wollte man sie aus ihren Angeln reißen. Padmé, die selber in Schockstarre und vorübergehend mit Stummheit geschlagen gewesen war, erwachte jäh wieder zum Leben, als das Mädchen von vier sehr groben Pranken gepackt und hinaus gezerrt wurde.

„Wie können Sie es wagen! Lassen Sie sofort meine Tochter los!", schrie sie.

Aber niemand beachtete sie. Die allgemeine Aufmerksamkeit galt Leia, die mittlerweile umzingelt war wie eine Schwerverbrecherin, und den drei Offizieren, die näher gerückt waren. Einer von ihnen war Major Cordalis. Seine Augen waren kalt und hart wie Glasmurmeln und sein Mund war schmallippig vor Verachtung. Er sah Leia an, als wäre sie der Bodensatz der Menschheit, der allerletzte Abschaum. Durch seine rechte Hand lief ein deutliches Zucken, als er vor ihr stehen blieb, als wäre er in Versuchung sie zu ohrfeigen (oder sie gleich mit einem Fausthieb niederzuschlagen!) und als könnte er sich nur noch mit äußerster Willensanstrengung davon abhalten. Stattdessen gab er einem der Soldaten einen kurzen herrischen Wink, woraufhin der Mann ein Paar Handschellen von seinem Gürtel loshakte.

Hinter Cordalis stand Dhorany, der einfach nur traurig aussah. Er wandte den Blick ab, als Leia gefesselt wurde, als könnte er es nicht ertragen, ihre Erniedrigung mitanzusehen, als ginge es über seine Kräfte, zum Zeugen ihres gnadenlos tiefen Falles, ihres totalen Absturzes zu werden.

Aber als Padmé sich auf den rigiden Ringwall von Männern warf wie eine angreifende Tigerin und „LEIA! NEIN!" kreischte, umfasste er sie schnell und sagte sehr leise und sehr sanft: „Nicht, Mylady. Bitte..."

Und dann schob er sie behutsam, aber mit Nachdruck zur Seite und hielt sie dort fest wie ein verstörtes Kind, das vor sich selbst beschützt werden musste.

Der dritte Offizier war ein Fremder in einer weiß-grauen Uniform mit einem unbekannten Symbol neben seinem Rangabzeichen, ein rautenförmiges Piktogramm, auf dem ein stilisiertes I eingraviert war.

Und sein Gesicht war und blieb ohne jeden Ausdruck, verriet nicht einmal den Hauch einer Empfindung, als er auf die Gefangene zutrat und so leidenschaftslos wie ein Nachrichtensprecher, der die Börsenkurse vorlas, verkündete: „Leia Vader – im Namen des Imperiums, Sie sind verhaftet!"


Fortsetzung folgt ...

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