White Lie
Hallöchen,
wie in in meiner letzten Geschichte versprochen, führe ich diese Sammlung nun weiter.
Die Story ist im gleichen Universum angesetzt wie "Silver Lining" und kann als Art Vorgeschichte angesehen werden. Es wird ein zweites Kapitel (und eventuell ein drittes und viertes Kapitel) geben, welches definitiv irgendwann in diesem Jahrzehnt fertig wird. Wahrscheinlich. Denke ich.
Immerhin ist das zweite Kapitel schon in Arbeit. Es kann sich also nur noch um Jahre handeln ;)
Ich möchte mich bei allen bedanken, die sich bei "Silver Lining" nicht nur die Zeit zum Lesen genommen haben, sondern auch Kommentare dagelassen haben. Das bedeutet mir enorm viel und motiviert mich ungemein!
Außerdem gilt ganz besonderer Dank meiner Beta-Leserin Emilie_786 (auf AO3), die mir besonders bei Editing und Grammatik im Englischen geholfen hat und mir hilfreiche Tipps gegeben hat.
(PS: Ich werde diese Story auch auf Englisch veröffentlichen (auf AO3 und ). Da ich manche direkt übersetzten Formulierungen seltsam fand, habe ich mir erlaubt, ein paar minimale Änderungen vorzunehmen. Jedoch nichts, was den Inhalt der Geschichte verändert.)
Aber jetzt:
Viel Spaß beim Lesen!
Kapitel 1
White Lies and Little Secrets
„Sicherlich gibt es einen einfacheren Weg", dachte sich Patrick Jane. Mit den Knöpfen seines Hemdes kämpfend, wandelte er ziellos durch die Wohnung seiner Angebeteten. Dies war mittlerweile sein zweiter missglückter Versuch, seinem Oberteil seinen Willen aufzuzwingen. Zwecklos. Man sollte denken, dass er durch seine Zaubertricks ein oder zwei Dinge über Fingerfertigkeit gelernt hat.
Seit der Hochzeit - waren tatsächlich schon zwei Tage vergangen? -, hatte er nicht die Notwendigkeit verspürt, sich in ein Hemd zu zwängen. Oder Hosen. Oder irgendetwas. Er schien in der kurzen Zeit sogar vergessen zu haben, wie mühselig diese verdammten Knöpfe sein konnten. Indessen hatten andere Dinge seine vollkommene Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Nun, da die Realität langsam zurückkehrte und das Leben seine Routine wiederfand, musste er sich solch trivialen Problemen erneut widmen. Eine wahre Schande. Die Sache mit dem Erwachsen-Sein war bescheuert. Noch bestand die Chance, Teresa zu Flitterwochen zu überreden. Er wollte aufgrund der Schwangerschaft vorerst lieber auf eine Flugreise verzichten. An sich sprach nichts dagegen. Aber man konnte nie vorsichtig genug sein. Er wollte jedes Risiko ausschließen. Ihre Gesundheit und die ihres ungeborenen Kindes standen für ihn an allererster Stelle, kompromisslos, ohne Konkurrenz. Er wollte kein Risiko eingehen.
Zum Glück hatte er die Silberbüchs– Airstream, verbesserte er sich rasch. Himmel, Teresa färbte auf ihn ab.
Also, die USA. Oder vielleicht Mexiko. Da blieben etliche Möglichkeiten offen. Virgil wäre wohl angetan von dem Gedanken, seine "Ziehtochter" zu sehen. Einen Versuch war es wert. Jetzt gab es wichtigere Dinge.
Er schaute an seinem Hemd hinunter. Und stieß einen Seufzer aus. Die Knöpfe waren ungleichmäßig, die Hälfte war um ein Loch verschoben. Ein Durcheinander, das ihm bereits zweimal gelungen war. Auf zu Versuch Nummer drei. Mürrisch wandte er sich seinem Knopf-behafteten Erzfeind zu. Er hätte sich für ein T-Shirt entscheiden sollen, dachte er. Das hätte die Zeit, die er zum Anziehen brauchte, sicherlich verkürzt. Wenn er bedachte, dass seine Weste die Zahl an Knöpfen um weitere erhöhen würde, musste er innerlich aufstöhnen. Warum er sich das antat, war ihm völlig schleierhaft. Um ein paar Freunde in irgendeiner Bar zu treffen…
Nun, das war nicht ganz die Wahrheit. Er wusste genau, warum er die Weste anzog.
Was man nicht alles tat, um seiner Frau zu gefallen. Seine Frau. Er konnte es noch nicht richtig glauben. Die letzten Tage fühlten sich so surreal an. Wie ein Traum. Ein Traum, aus dem er nie mehr aufwachen wollte.
In gewisser Weise war es seine Schuld, dass sie ein Faible für seine Westen hatte. Schließlich hatte er sie jahrelang täglich getragen. In guten wie in schlechten Zeiten.
Ach ja, die Weste – wo war die bloß? Zuletzt hatte Teresa sie in der Hand gehabt. Ein kurzer Erinnerungsfetzen ging ihm durch den Kopf. Teresa, als sie die Weste ins Irgendwo warf, bemüht, ihm schnellstmöglich seiner Kleidung zu berauben. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Nicht, dass er sich beschwert hätte. Er war ein williger Akteur in der Sache. Die Frage war, wo eben diese Sache geschehen; wo eben dieses Irgendwo, war.
Seine Schritte führten ihn in Richtung des Schlafzimmers.
Ohne von seiner Beschäftigung aufzuschauen, erkundigte er sich bei der anderen Beteiligten seiner kürzlichen Aktivitäten. „Hey, Teresa, hast du eine Ahnung, wo meine Weste abgeblieben ist?"
Keine Antwort. Eigenartig. Das Ausbleiben einer Antwort ließ ihn stutzig den Kopf heben. War Lisbon gar nicht im Schlafzimmer, wie er zunächst angenommen hatte?
Doch da saß sie. Halbbekleidet in einem Top. Auf dem Bett. Inmitten eines Haufens Kleidung, das Gesicht in den Händen verborgen. Seine Alarmglocken läuteten.
„Teresa?"
Ihr Kopf schoss in die Höhe. Schreckgeweitete Augen fanden die seinen.
„Hm? Wie bitte?"
„Alles okay?" Beunruhigt beobachtete er sie; suchte in ihrem Gesicht nach Hinweisen, die ihr Verhalten erklären könnten. Es war ihm nicht möglich, daraus etwas abzulesen. Was er in letzter Zeit häufiger feststellen musste. Das musste er zeitnah ändern. Ein weiterer Eintrag auf seiner wachsenden Liste der aufgeschobener Dinge.
Unsicher schob sie sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Klar. Wieso fragst du?"
Er deutete auf sie, dann auf ihre Umgebung. „Falls du dir Sorgen machst–"
Reflexartig schüttelte sie den Kopf. „Ich mache mir keine Sorgen", kam ihre Antwort. Nun, das war eine Lüge. Netter Versuch. An der Art, wie sie seinen Blick mied, konnte er sehen, dass sie niemanden täuschte - am wenigsten sich selbst. Es war vielleicht der fehlende Kaffee oder die Schwangerschaftshormone, aber sie wirkte längst nicht so zuversichtlich, wie sie vorgab.
„Falls du dir Sorgen machst, was du anziehen sollst, tu' es nicht. Ganz gleich, was du trägst, du wirst fantastisch aussehen." Das ließ sie erröten. Sie hätte inzwischen an seine Komplimente gewöhnt sein sollen. Insgeheim hoffte er, dass sich das nie ändern würde. Er liebte es, sie zum Erröten zu bringen, und als Nebeneffekt lenkte es sie ab und senkte ihre Wachsamkeit.
„Außerdem ist es nur eine Bar. Kein Grund, sich groß herauszuputzen", fügte er hinzu.
„Oh, das ist es nicht, glaub mir."
„Was ist es dann? Ich–" Er machte eine hilflose Geste. „Ich tappe hier etwas im Dunkeln."
Noch vor einigen Jahren wäre dieser Satz nie über seine Lippen gekommen. Genau wie sie nicht zugeben konnte, wenn sie erschöpft war oder Hilfe brauchte, konnte er nicht zugeben, dass er falsch lag oder nicht weiter wusste.
„Es ist– Es ist albern", druckste sie herum und versuchte, sich hinter einem Vorhang aus Haaren zu verstecken.
„Ich bin mir sicher, dass es das nicht ist. Aber lass mich das beurteilen." Er setzte sich neben sie auf das Bett, aufmerksam abwartend. Nah genug, um die von ihr ausgehende Wärme zu spüren, aber nicht nah genug, um sie tatsächlich zu berühren. Er gab ihr Raum, für den Fall, dass sie Abstand von ihm brauchte, wollte ihr dennoch signalisieren, dass er für sie da war. Seine Schulter war dicht an ihrer, ohne sie zu berühren.
„Also?" Sein Blick ruhte fest auf ihr, seine Augen durchdringend, aber geduldig. Fragend hob er eine Augenbraue; beobachtete sie aufmerksam. Ermutigte sie stillschweigend.
„Ich habe überlegt …", begann sie zögernd. Schweigend ließ er sie gewähren. Innerlich schien sie mit sich selbst zu ringen. Schien zu überlegen, ob sie ihm die Wahrheit sagen sollte. Also nahm er ihre Hand und strich mit seinem Daumen in beruhigenden Kreisen über ihren Handrücken. Das schien ihr die Kraft zum Fortfahren zu geben.
Nach einem tiefen Atemzug nickte sie sich selbst zu, als würde sie sich Mut machen. Dann fuhr sie fort.
„Wie erklären wir, dass ich keinen Alkohol trinke? In einer Bar? Ich meine, ich habe zwar sonst auch nie übermäßig getrunken, aber bei einem Bier war ich immer dabei. Vorgestern bei der Hochzeit, mit all den Leuten, hat niemand bemerkt, dass ich mein Getränk gegen ein Alkoholfreies getauscht habe. Selbst dir ist es nicht aufgefallen. Aber nachher– Nachher sind wir zu fünft." Zunehmend redete sie sich in Fahrt, wurde lauter.
„Nun, es sind unsere Freunde–"
„Eben! Freunde, die extrem neugierig sind. Freunde, die den Großteil ihres Lebens als Ermittler verbracht haben." Frustriert warf sie ihre Hände in die Luft. „Und die Tatsache, dass die Bar nur ein paar Blocks von meinem Haus entfernt ist, macht die Ausrede, dass ich Fahrerin bin, auch nicht glaubwürdiger. Verdammt nochmal."
„Hey, Teresa, kein Grund, sich aufzuregen. Wir lassen uns etwas einfallen." Wieder nahm er ihre Hand, die sie ihm soeben entrissen hatte, und ließ seinen Daumen über Handrücken gleiten. Diesmal hatte es nicht den gewünschten Effekt.
„Sag mir jetzt nicht, dass ich ruhig bleiben soll, verstanden? Ich bin ruhig!", fuhr sie ihn mit beinahe hysterischer Stimme an. Erschrocken hielt sie inne. Eine Welle der Verlegenheit ließ ihr Gesicht erröten.
„Entschuldigung. Ich wollte dich nicht anschreien", murmelte sie. Mit gesenkten Blick zupfte sie am Bettlaken herum, wobei ihr ihre Haare ins Gesicht fielen. Jane schob sachte eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. Zum dritten Mal griff er nach ihrer Hand, die sie bei ihrer kleinen Rede weggezogen hatte. Beschwichtigend drückte er diese. Oh Mann, an ihre Stimmungsschwankungen musste er sich erst gewöhnen. Jane wusste, dass ihr Ausbruch nichts mit ihm persönlich zu tun hatte. Immerhin war es nicht das erste Mal, dass ihre Hormone die Kontrolle übernahmen. Es war ihm unklar, wie er die Anzeichen so lange hatte übersehen können. Die Anzeichen waren alle da. Später würde er darüber nachdenken müssen, wie er das übersehen konnte. Im Moment war seine oberste Priorität, sie zu beruhigen und ihr seine Unterstützung zu zeigen.
„Du musst dich nicht–"
„Doch, ich muss mich entschuldigen."
„Es ist in Ordnung. Wirklich", zuckte er mit den Schultern. „Das sind die Hormone. Es wird nur schlimmer."
„Du musst mich nicht immer in Schutz nehmen oder mich entschuldigen, weil ich schwanger bin. Und du kannst nicht alles auf Hormone schieben."
„Meh, vielleicht nicht. Aber die nächsten Monate hast du eine ziemlich valide Ausrede. Außerdem hast du mich auch in Schutz genommen, damals, wie heute. Sieh es als eine Art Ausgleich. Mal davon abgesehen," -er grinste sie an, ein neckendes Glitzern in seinen Augen- "steh' ich drauf, von dir herumkommandiert zu werden."
„Davon habe ich auf Arbeit nicht viel bemerkt", brummte sie.
„Wer sagt denn hier was von Arbeit?"
Er erwartete ein Augenrollen oder wenigstens irgendeine Reaktion. Doch ihre Gedanken schienen bereits abzuschweifen – sie ließ metaphorisch den Kopf hängen.
„Hey. Wir finden eine Lösung." Ganz schien er sie nicht zu überzeugen. „Etwas mehr Vertrauen. Denk daran, ich bin der Meister der Improvisation. Und der Ablenkung." Er zwinkerte ihr zu, selbstgefällig mit den Schultern zuckend.
Damit brachte er sie endlich zum Lachen. „Ich vergaß. Genauso, wie du der Meister der Bescheidenheit bist."
„Hey, was kann ich dafür, dass ich dermaßen gut in dem bin, was ich tue."
„Was ich sagte."
„Touché, meine Liebe, touché."
Mit einem Kopfschütteln schubste sie ihn spielerisch von sich. Das nahm der Berater als Anlass, um sich dramatisch nach hinten fallen zu lassen.
„Uff. Warum bist du immer so grob zu mir?"
Sie lachte und beugte sich hinunter, um ihm sanft in die Rippen zu stoßen.
„Drama Queen. Was kann ich dafür, wenn du die Körperbeherrschung eines toten Fisches hast? Eben meintest du, dass du darauf stehst, wenn ich dich herumkommandiere. Also höre auf, dich zu beschweren."
„Zu meiner Verteidigung, ich hatte zwei recht intensive Nächte hinter mir. Meine Kraftreserven könnten etwas beeinträchtigt sein, also sei gnädig mit mir." Vielsagend wackelte er mit den Augenbrauen. „Nebenbei bemerkt, soweit ich informiert bin, warst du ebenfalls dabei. Oder irre ich mich da? Sollte ich mir Sorgen über meine Performance machen? Wir können das gern wiederholen. Um deine Erinnerung aufzufrischen."
„Blödmann." Mit einem genervten Augenrollen stand sie auf. So zumindest ihr Plan. Denn unbemerkt von ihr hatte sich Janes Arm während seiner Aufmunterungs-Rede um ihre Hüfte geschlichen. Diesen nutzte er nun, um sie mit einem sanften Ruck zu sich herunterzuziehen. Einen Moment desorientiert von der unerwarteten Bewegung, fand Teresa sich plötzlich Auge in Auge mit ihm wieder. Sein Gesicht war wenige Zentimeter von ihrem entfernt, ein schelmisches Grinsen umspielte seine Lippen.
„Anscheinend bin ich nicht der Einzige, der die Körperbeherrschung eines toten Fisches hat."
„Das war gemein. Ich war nicht darauf eingestellt."
„Ich weiß", antwortete er selbstzufrieden. „Meister der Ablenkung und so."
Augenrollend versuchte Lisbon sich aufzurappeln. Sein Griff blieb fest und unnachgiebig.
„Hast du nicht etwas vergessen?" Sanft strich er mit seinem Daumen über ihre Lippen. Ihr Blick schoss umgehend in Richtung seines Mundes und zurück zu seinen Augen. Erwartungsvoll hob er die Brauen. Unbeeindruckt blickte sie zurück. Nach einem kurzen Wett-Starren gab sie letztlich klein bei, ihr Blick wurde weicher und er ging als Sieger hervor. Sie hauchte ihm einen sanften Kuss auf die Lippen, den er sogleich vertiefte. Als sie kurz darauf Anstalten machte, sich von ihm zu lösen, hielt er sie fest umschlungen.
„Wir müssen uns anziehen", nuschelte sie gegen seine Lippen. Er ließ seine Hände ihre Taille umfassen, ließ sie die Wärme seiner Berührung durch den dünnen Stoff ihres Oberteils dringen. Da er mit erneutem Widerstand rechnete, zog er sie näher an sich heran, ihre Körper fast verschmolzen.
„Das kann warten", murmelte Jane, seine Stimme tief und rau, als er einen sanften Kuss auf ihren Hals drückte. Er konnte spüren, wie ihr Herzschlag sich unter seinen Lippen beschleunigte. Gleichzeitig kämpfte ihr Verstand weiterhin dagegen an, sich nicht von ihren Gefühlen überwältigen zu lassen. Ein letzter Schubser würde genügen, um ihre Entscheidung auf die eine oder andere Seite fallen zu lassen. Er musste alle Register ziehen, um sie zu seinen Gunsten ausfallen zu lassen.
„Habe ich dir heute eigentlich schon gesagt, wie sehr ich dich liebe?", fragte er mit einem sanften Lächeln. Zu seiner Überraschung funktionierte sein Plan tatsächlich und Lisbon schwang sich auf seinen Schoß. Ihre Hände wanderten zielsicher in Richtung seines halb geknöpften Hemdes, die Lippen abermals auf seinen. Endlich.
Mit ganzer Leidenschaft erwiderte er ihren Kuss, jeder Nerv in seinem Körper schien sich an diese Berührung zu erinnern. Mm. Natürlich, daran schien sich sein Körper zu erinnern, im Gegensatz zu der Verweigerung bei seinen Knöpfen.
Er fühlte das Feuer in sich auflodern, ein Verlangen, das durch ihre Nähe nur verstärkt wurde. Ihre Berührungen waren wie Elektrizität, die durch seine Adern floss. Es war, als würde jede Faser seines Wesens darauf warten, auf diese Art und Weise von ihr in Anspruch genommen zu werden. Der Moment schien sich endlos zu dehnen, seine Gedanken wurden von der Intensität ihrer Küsse verschlungen.
In diesem Moment brach die Realität durch die Hitzewelle seiner Leidenschaft. So fühlte es sich wohl an, wenn man plötzlich aus einer Trance gerissen wurde.
Enttäuscht musste er feststellen, dass ihre Gedanken in eine andere Richtung als die seinen gingen. Denn obwohl sie ihn weiterhin küsste, begannen ihre flinken Finger, die übrig gebliebenen Knöpfe seines Hemdes zu schließen. Langsam, aber durchaus zielführend. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er den Kontrast zwischen der Leidenschaft ihrer Küsse und der kühlen Effektivität ihrer Handlungen spürte.
Er wagte einen letzten, verzweifelten Versuch, sie umzustimmen. Seine Hand glitt sanft über ihren Arm, suchte nach einem Zeichen des Nachgebens. Seine Lippen wurden intensiver, flehend fast. Der Widerstand in ihren Bewegungen ließ seine Hoffnung schwinden. Ein weiterer Knopf war eingerastet.
„Mmh, ich glaube, das geht andersherum", sagte er, während er ihre Arme schließlich festhielt und ihre Bewegungen stoppte. Den Überraschungsmoment nutzend, schaffte er es, ein paar der Knöpfe zu lösen. Und somit ihren Fortschritt rückgängig zu machen, was einen Teil seiner Brust zu freilegte. Sie errötete. Vor Leidenschaft. Oder wenigstens Verlegenheit. Redete er sich zumindest ein. Ersteres wäre ihm lieber. Ihre momentane Gefühlswelt ähnelte wohl eher dem Modus "Kleine, wütende Prinzessin". Okay, sie hatte ihn soeben angeknurrt. Definitiv wütende Prinzessin.
„Psst, wir haben keine Zeit für das. Ich möchte, dass wir pünktlich sind. Mit deiner Süßholzraspelei kommen wir da nicht voran. Ich musste die Sache selbst in die Hand nehmen." Mit diesen Worten schlug sie seine Hände weg, gab ihm einen weiteren Kuss und setzte ihre Mission fort. Sie wollte Spiele spielen? Sollte ihm recht sein. Den Spieß würde er umdrehen. Was sie konnte, konnte er auch.
Seine Hände wanderten zu ihren Oberschenkeln, wo er mit seinem Daumen sanfte Kreise auf der dort entblößten Haut zog. Er spürte, wie sie Gänsehaut bekam. Wirkungslos schienen seine Machenschaften nicht an ihr vorbeizugehen. Das spornte ihn nur mehr an.
„Mm, ich steh' drauf, wenn du so autoritär zu mir bist."
Wiedererkennen blitzte in ihren Augen auf. Wie er gehofft hatte. Sie hielt erneut inne. Grinsend wartete er darauf, dass der Groschen fiel.
Seine Daumen wanderten derweil, unbemerkt von ihr, höher und höher. Er konnte ihr förmlich ansehen, wie sie versuchte, den Satz einzuordnen. Wie sich in ihrem Kopf die Zahnräder drehten. Bis es plötzlich "Klick" machte und die Zahnräder an der richtigen Stelle einrasteten.
„Das hast du schonmal zu mir gesagt."
~ Ein paar Jahre zuvor ~
Er schlief auf seiner geliebten Couch. Nun, er tat so, als ob er schlief. Warum er die Scharade aufrechterhielt, obwohl niemand im Büro war, wusste er nicht. Vielleicht wollte er seinem Körper vortäuschen, dass er tatsächlich ein paar Stunden Schlaf bekommen hatte. Vielleicht wollte er auch sicherstellen, dass ihn niemand störte. Falls doch jemand vorbeikam und ihn wach vorfand. Vielleicht war es auch einfach einer dieser lästigen Eigenheiten, die man sich über Monate hinweg aneignete. Wie auch immer, es war recht sinnlos, wenn nicht gar albern.
Gerade als er darüber nachdachte, "aufzuwachen" – es musste ohnehin bereits gegen acht sein – vernahm er die unverkennbaren, entschlossenen Schritte seiner liebsten brünetten Teamleiterin. Sie war zwar die einzige brünette Teamleiterin, mit der er zusammenarbeitete, aber das war nicht der Punkt. Und sie war auf einer Mission. Er lauschte ihren näher kommenden Schritten und erwartete den unvermeidlichen Aufprall ihres Stiefels mit seiner armen Couch.
Wieder einmal überraschte sie ihn. Es machte ihm Freude – nein, er liebte es – dass sie auch nach all den Jahren einen solchen Effekt auf ihn hatte. Trotz seiner Behauptung, sie sei ein offenes Buch für ihn. Denn statt des erwarteten Trittes spürte er die sanfte Berührung ihrer Hand auf seiner Schulter, kaum mehr als ein Hauch.
Es war ein deutlicher Kontrast zu vor ein paar Jahren, als sie einfach seine Couch getreten hätte, um ihn aufzuwecken oder seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Oh, wie er es genoss, sie zu reizen und sich in ihren Kopf einzuschleichen. Es gehörte zu seinen liebsten Zeitvertreiben. Er fand es bezaubernd, wie sich ihre Stirn in Falten legte und das kleine Fältchen zwischen ihren Augenbrauen erschien. Oder wie sie die Augen rollte – ihre wunderschönen, fesselnden Augen.
Wenn er nur eine einzige Farbe in seinem Leben sehen dürfte, würde es die Farbe ihrer Augen sein, ohne Frage. Alles an ihr war einfach so verdammt perfekt. Deswegen musste er sie unbedingt beschützen, ganz gleich, was auch passieren würde.
Er sehnte sich danach, die Bedeutung dieses fremden Gefühls und seine Implikationen zu ergründen. Doch etwas – jemand – hielt ihn davon ab, weiter darüber nachzudenken. Er wusste, dass er diesen Pfad niemals beschreiten durfte – wenn er sie in Sicherheit wissen wollte.
Niemals konnte er zugeben, dass sein Bedürfnis, ihr nahe zu sein und Zeit mit ihr zu verbringen, tiefer reichte als bloße Freundschaft – nicht einmal vor sich selbst. Er durfte seine Gedanken nicht in diese Richtung lenken. Es war ihm nicht erlaubt. Nicht, wenn er sie beschützen wollte. Nicht nur vor Red John.
Sie zu schützen bedeutete nicht nur, sie vor einem verrückten Serienmörder zu bewahren. Es bedeutete auch, sie vor der Dunkelheit zu bewahren, die in ihm selbst lebte. Sie war zu gut, zu rein – ein strahlendes Licht, das er in seinem unendlichen Meer der Finsternis nie verlieren durfte–
„Mm, ich steh' drauf, wenn Sie so autoritär zu mir sind."
Bevor er sich selbst stoppen konnte, rutschte ihm der Satz über die Lippen. So viel zu seinem Vorsatz, sich zurückzuhalten. Er gab der Erschöpfung die Schuld – offenbar war seine Wachsamkeit nach dem Nickerchen weiterhin geschwächt und sein Verstand hatte nicht die Klarheit zurückgewonnen, die er mit mehr Schlaf hätte.
Zu spät. Tja, was soll's. Gesagt ist gesagt. Wie bei dem "Ich liebe Sie" konnte er behaupten, er habe es vergessen. Er wusste, dass er es nicht vergessen hatte. Sie wusste es ebenfalls. Oder sie hatte zumindest einen starken Verdacht, dass er log und bloß so tat, als hätte er es vergessen.
Egal. Sie waren schließlich Freunde, oder? Er konnte sich kaum an eine Zeit erinnern, in der sie nicht ständig geflirtet hatten. Trotzdem. Er musste sich zusammenreißen; musste zusehen, dass er sich unter Kontrolle bekam. Ein Ausrutscher, gut, aber zwei? Das ging zu weit. Er musste hier aufhören.
Er konnte es sich nicht leisten, die Zielscheibe, die ER für Red John auf ihren Rücken gemalt hatte, größer zu machen. Sonst konnte er ihr auch gleich ein leuchtendes Neon-Schild um den Hals hängen.
Flirten war einfach. Flirten war ungefährlich. Es brachte sie nicht in größere Gefahr. Sie waren Freunde. Kollegen. Kollegen flirteten ständig, oder?
Zum Glück war er gut im Ablenken. Auch, wenn er hasste, wie gut er darin geworden war, sie anzulügen. Selbst wenn Red John nicht seinetwegen hinter ihr her wäre, sie verdiente mehr als den kaputten Mann, der er war.
„Du hast das damals ernst gemeint, nicht wahr? Nicht nur, das mit dem autoritär sein. Auch das "Ich liebe Sie"." Unruhig rutschte sie auf seinem Schoß hin und her.
Er zuckte die Schultern, leicht verlegen.
„Ich glaube, du weißt bereits die Antwort auf die Frage", begann er mit ruhiger Stimme, sein Blick fest auf ihrem ruhend.
Sie zögerte. Wägte ab, ein verwegenes Glitzern in den Augen, gemischt mit einem Hauch Unsicherheit. „Ich möchte es trotzdem hören."
Sein Gesichtsausdruck wurde ernst. Er blickte ihr tief in die Augen.
„Ich habe dich vermutlich weniger oft belogen, als du denkst. Der Trick sind –waren– Halbwahrheiten", korrigierte er sich, „Damit habe ich abgeschlossen."
Er hielt einen Moment inne, bevor er fortfuhr: „Das bedeutet nicht, dass diese speziellen Aussagen falsch waren. Selbst wenn ich damals versucht habe, es zu verdrängen. Es nicht wahrhaben wollte, dass sich meine Gefühle für dich verändert hatten. Es war unvermeidlich, wirklich, auch wenn es nicht sein durfte. Den Effekt hast du nun mal auf mich. Du hast mich zum Besseren verändert, weißt du das, meine Liebe? Ich habe vor, all das nachzuholen."
„Lass das! Du tust es schon wieder", sagte sie. Ihre Augen glänzten verdächtig, ihre Stimme war von Rührung durchzogen, während sie sich geschmeichelt lächelnd abwandte.
„Was denn?" Er setzte seine beste Unschuldsmiene auf, ein verwegenes Grinsen auf den Lippen.
„Du versuchst mich mit Schmeicheleien abzulenken. Wenn du weiter so machst, fange ich an zu weinen oder gebe nach. Und einer von uns muss stark bleiben."
„Das war der Plan. Nicht der Teil mit dem Weinen, offensichtlich. Aber im Ernst." Er machte eine bedeutungsschwere Pause.
Ihr Blick drückte Verwirrung aus. Er grinste breit. „Wenn du weiter herumzappelst, kommen wir tatsächlich zu spät."
Er warf ihr einen intensiven Blick zu, untermalt mit einem leichten Zucken seiner Hüften. Ihre Augen weiteten sich, als sie begriff. Sie zuckte von ihm weg, ihre Bewegungen plötzlich hektisch, und versuchte, sich hastig von ihm zu entfernen.
„Jane!", zischte sie.
Er musste sich zusammenreißen, um nicht mit den Augen zu rollen. Als ob sie nicht in wesentlich, nun ja, intimeren Situationen gewesen waren. Wenn er jenen Abend zurückdachte, an dem er in seinem Herzen spürte, dass sie ihr Baby gezeugt hatten– Er ertappte sich dabei, wie er schwer schluckte. Und er schweifte wieder ab–
Auch sie schien sich besonnen zu haben, denn sie gab ihm schlussendlich einen letzten, innigen Kuss, bevor sie mit Entschiedenheit aufstand.
Jane hingegen blieb, mit hinter dem Kopf verschränkten Armen, liegen und sah ihr zu, wie sich wahllos eine Bluse aus dem Stapel nahm und sich anschließend über ihren Kopf zog. Dann folgte ihre Hose. Er liebte es, sie bei solch banalen Alltagsdingen zu beobachten.
Er war dankbar, dass er sich dank ihrer Effizienz keine Gedanken mehr um seine Knöpfe machen brauchte. Was ihn an etwas anderes erinnerte.
„Hm, eigentlich bin ich hierhergekommen, um dich zu fragen, wo meine Weste ist."
„Wozu brauchst du deine Weste? Es ist nur eine Bar. Kein Grund, sich groß herauszuputzen", zitierte sie ihn neckend mit einem herausfordernden Blick.
„Mmh. Mag sein. Dennoch findet mich jemand im Raum unwiderstehlich, wenn ich die Weste trage", sagte er mit einem schelmischen Grinsen. Er deutete hinter sich in eine willkürliche Ecke des Raums. „Und die Spinne da ist es bestimmt nicht."
Sie rollte mit den Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. Da war sie wieder, seine kleine wütende Prinzessin. Nichts erinnerte mehr an die Situation von eben.
„Träum weiter."
„Mm, mit Träumen hat das nicht viel zu tun. Aber die Aktivität findet ebenfalls in einem Bett statt", erwiderte er mit einem anzüglichen Zwinkern.
Darauf ging sie nicht ein. „Deine Weste ist im Bad", sagte sie stattdessen und machte sich auf in dessen Richtung.
Als er keine Anstalten machte aufzustehen, fuhr sie fort: „Komm mit Romeo. Wir haben nicht ewig Zeit."
Er folgte ihr ins Badezimmer, doch bevor er den Türrahmen erreichte, warf sie ihm die Weste entgegen.
„Du bleibst draußen", sagte sie bestimmt und schob ihn energisch in Richtung Flur. Enttäuscht versuchte er, ihr den Welpenblick zuzuwerfen. Sie blieb ungerührt.
„Wenn wir beide im Bad sind, werden wir nie fertig", argumentierte sie mit einem Hauch von Belustigung in der Stimme, bevor sie die Tür vor seiner Nase schloss.
„Ja, Ma'am."
So stand er nun im Flur vor dem Spiegel, die Weste in der Hand, und betrachtete sein Spiegelbild. Er ließ ein leises Seufzen hören und schüttelte den Kopf. Dann schmunzelte er. Ehrlich gesagt, konnte er ihre Entschlossenheit und Hartnäckigkeit nur bewundern. Einer der unzähligen Gründe, warum er sich überhaupt in sie verliebt hatte. Und weswegen er in der jetzigen Situation war.
Denn sobald die anfängliche Schüchternheit überwunden war, fiel es ihnen schwer, ihre Hände voneinander zu lassen, besonders wenn sie zu Hause waren. Selbst ein flüchtiger Kontakt ihrer Hände konnte eine Leidenschaft in ihnen entfachen, die keiner von beiden kontrollieren konnte (und wollte). Es erforderte jede Menge seiner hart erarbeiteten Selbstbeherrschung, seinen Impulsen zu widerstehen und nicht auf Arbeit über sie herzufallen. Ehrlich gesagt, fühlte er sich wie ein hormongetriebener Teenager. Manchmal vermutete er, dass es ihr ebenso ging.
Er wusste nicht, wie lange er in Gedanken versunken dastand. Dadurch bemerkte er auch nicht, wie sie sich ihm von hinten näherte, bis sie sich auf die Zehenspitzen stellte, ihre Arme um ihn schlang und ihr Kinn auf seiner Schulter ruhen ließ. Er lächelte und betrachtete ihrer beider Spiegelbild. "So sieht wahres Glück aus", dachte er bei sich.
Und wie er vorhergesagt hatte, sah sie umwerfend aus. Und genau das sagte er ihr auch.
„Du siehst bezaubernd aus, meine Liebe."
Sie drehte sich zur Seite, küsste ihn sanft auf die Wange. Sie drückte ihn noch einmal fest an sich, bevor sie losließ und in Richtung Schlafzimmer wegging.
„Willst du nicht auch sagen, wie gut ich aussehe?", rief er ihr hinterher.
„Ich will ja nicht, dass dir das zu Kopf steigt", kam ihre Antwort über die Schulter gerufen.
Lachend schüttelte er den Kopf. „Ach, komm schon, gib es zu. Du kannst der Anziehungskraft der Weste nicht widerstehen."
„Vielleicht ist es weniger die Weste und mehr der Mann, der sie trägt", konterte sie.
Er lachte leise, ein tiefes, warmes Geräusch, das in der stillen Luft widerhallte.
„Vielleicht", räumte er ein. „Ich werde es trotzdem als Kompliment nehmen", murmelte er zu sich selbst und wandte sich seinem Spiegelbild zu.
„Wenn du meinst", vernahm er plötzlich ihre Stimme neben sich. Er konnte sich ein kurzes Zusammenzucken nicht verkneifen. Sie hatte sich angeschlichen. Diese Frau würde einmal sein Tod sein. Er wollte gerade seinen Unmut kundtun, als ein Kuss auf seiner Wange landete.
„Du siehst verdammt gut aus", sagte sie schmunzelnd, gab ihm einen leichten Klaps auf den Hintern und ging davon. Jane konnte sich ein dämliches Grinsen nicht verkneifen.
„Und jetzt beeil dich!", hörte er sie lachend rufen, als sie verschwand.
Danke für's Lesen!
Falls ihr Tipps, Kritik oder Ideen für zukünftige Kapitel habt, immer her damit! Ich freue mich immer darüber!
(Kapitel-Titel stammt aus dem Gedicht "Little Secrets: a poem." von D. Wyn Price)
(Diese Story wurde auch auf AO3 und fanfiktion . de veröffentlicht. )
